Die Frage der Aktenöffentlichkeit und der Geheimhaltung ist für das Verwaltungsrecht von zentraler Bedeutung. Im Grunde
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German Pages 739 Year 1998
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 747
Akteneinsicht und Geheimhaltung im Verwaltungsrecht Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Verwaltungsverfahrensrecht Von
Georgios Trantas
Duncker & Humblot · Berlin
GEORGIOS TRANTAS
Akteneinsicht und Geheimhaltung im Verwaltungsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 747
Akteneinsicht und Geheimhaltung im Verwaltungsrecht Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Verwaltungsverfahrensrecht
Von Georgios Trantas
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Trantas, Georgios: Akteneinsicht und Geheimhaltung im Verwaltungsrecht : eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und französischen Verwaltungsverfahrensrecht / von Georgios Trantas. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 747) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-09199-X
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09199-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Meinen Eltern in Dankbarkeit und Liebe gewidmet
Omnium habere memoriam et penitus in nullo errare, divinitatis magis quam humanitatis est. C J. 17, 2, 14.
Vorwort
Die Transparenz des Handelns der Exekutive ist eines der meist behandelten Themen in der verwaltungswissenschaftlichen Diskussion der Nachkriegszeit. Eine klare und endgültige Entscheidung bezüglich des Umfangs und der Dichte der Öffentlichkeit von Verwaltungsvorgängen ist nicht getroffen worden und kann vielleicht nicht getroffen werden. Grund dafür sind die der Öffentlichkeit staatlichen Handelns gegenüberstehenden bedeutsamen öffentlichen Interessen. Die Öffentlichkeit hat einen gewissen Preis, insbesondere im Hinblick auf die Effektivität der Verwaltungstätigkeit und die Staatssicherheit. Nicht zuletzt erfordert die Entscheidung über den Umfang der Verwaltungsöffentlichkeit schwierige Abwägungen mit schutzwürdigen Interessen dritter Privater. Es soll nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit sein, einen weiteren Lösungsversuch darzustellen. Die Arbeit geht jedoch von der These aus, daß sich die Kommunikationsstrukturen im öffentlichen Bereich geändert haben und weiter ändern werden und daß diese Entwicklung, die eine Stärkung der Transparenz der Verwaltungsentscheidungsprozesse sowohl für die einzelnen Verwaltungsverhältnisse als auch für die Verwaltung auf höheren Ebenen mit sich bringt, keine Gefährdung der Verwaltungseffektivität darstellt. Der erste Teil der Arbeit stellt zur Unterstützung dieser These das französische Modell der Verwaltungsöffentlichkeit vor. Gezeigt wird, daß eine moderne - und viel zentralisiertere als die deutsche - Verwaltung auch durch die Einführung eines allgemeinen Zugangsrechts der Bürger zu administrativen Dokumenten nicht an Effektivität verlieren kann. Im zweiten Teil wird eine ausführliche Darstellung der Regelungen bezüglich der Verwaltungsöffentlichkeit vorgenommen. Nicht nur die Regelungen in den Verwaltungsverfahrens- und Datenschutzgesetzen, sondern auch diejenigen der verschiedenen Teilen des besonderen Verwaltungsrechts werden berücksichtigt. Die Darstellung des deutschen Rechts schließt mit der wohl wichtigsten Entwicklung der letzten Jahre, nämlich der Einführung eines allgemeinen Zugangsrechts durch das Umweltinformationsgesetz. Daß diese Entwicklung ein Ergebnis der Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts ist, ist charakteristisch. Es bleibt abzuwarten, ob dies eine bereichsspezifische Entwicklung bleibt oder ob sie als Motor für weitere Systemänderungen dienen wird. Die vorliegende Arbeit ist die - zum Teil stark - erweiterte Fassung der Dissertation, die ich der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg vorgelegt habe. Schrifttum und Rechtsprechung sind bis Dezember 1996 berücksichtigt.
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Vorwort
Meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann bin ich zutiefst verpflichtet. Über die normalen Pflichten eines Doktorvaters hinaus hat er mir immer mit Rat und Tat geholfen. Für alle, die das Glück haben, bei ihm zu arbeiten, sind seine wissenschaftliche Größe und seine menschliche Wärme ein schwer zu erreichendes Vorbild. Die Diskussionen, die in Institutsbesprechungen unter seiner Leitung stattfinden, haben mein juristisches Denken entscheidend geprägt. Prof. Dr. Reinhard Mußgnug ist für die zügige Anfertigung seines Votums sowie für seine Anregungen zu danken. Prof. Dr. Herbert Döring hat mir während meiner Assistentenzeit erst in Mannheim und dann in Potsdam einen freien Raum für meine Forschungsinteressen gelassen, und seine Kenntnisse im Bereich der vergleichenden Politikwissenschaft haben mir sehr geholfen. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie dem Referenten und dem Bibliothekspersonal des Instituts ist für die freundlichen Arbeitsbedingungen zu danken. Die jetzigen und früheren Assistenten des Instituts für deutsches und europäisches Verwaltungsrecht der Universität Heidelberg waren immer gespächsund hilfsbereit. Insbesondere möchte ich Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute (jetzt Dresden), Prof. Dr. Pawlos-Michael Efstratiou (jetzt Athen), Dr. Thomas Groß und Dr. Hans-Christian Röhl danken. Mehr als einen Dank schulde ich meinen Lehrern an der Juristischen Fakultät der Universität Athen. Insbesondere möchte ich Herrn Prof. Dr. Prodromos Dagtoglou danken, der die Entscheidung, mein Studium in Deutschland fortzusetzen, stark beeinflußt hat und später mit Interesse den Fortschritt meiner Arbeit verfolgt hat. Prof. Dr. Konstantinos Kerameus hat meinen ersten Kontakt mit der deutschen Rechtswissenschaft im Rahmen des ERASMUS-Programms an der Universität Hannover ermöglicht. Prof. Dr. Dr. Spyridon Flogaitis hat mich oft und vielfältig unterstützt. Die Herren Professoren Georgios Kasimatis, Epaminondas Spiliotopoulos, Prokopis Pavlopoulos, Nikolaos Alivizatos und Antonios Pantelis waren immer zum Gespräch bereit. Die Arbeit hätte ohne die Hilfsbereitschaft des Personals der Universitätsbibliothek Heidelberg nicht verfaßt werden können. Insbesondere soll hier Herrn Dieter Klein gedankt werden. Die finanziellen Voraussetzungen, die mein Studium in Deutschland überhaupt erst ermöglicht haben, wurden durch ein DAAD-Stipendium geschaffen. Paris, Juli 1997
Georgios Trantas
Inhaltsübersicht
I. II. III.
Einleitung Das Problem exekutivischer Geheimhaltung Zur Methode Die Auswahl der Rechtsordnungen
1 10 30
Teill Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich §1
Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit I. Die Praxis der Geheimhaltung zwischen Tradition und Ideologie II. Billigung der Praxis durch die Rechtsprechung? III. Die Rechtfertigung der Geheimhaltungspraxis in der Lehre IV. Die gesetzlichen Grundlagen der Geheimhaltungspflicht V. Kompensation der Geheimhaltungspraxis durch Verwaltungsinformationspolitik?
§2 I. II. III. IV. §3 I. IL III. IV. V. §4 I. II. III. IV.
Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren Die grundsätzliche Geheimhaltung des Verwaltungsverfahrens Die Konzeption des französischen Verwaltungsverfahrens Ausnahmen von der administrativen Geheimhaltung Die droits de la défense als Grundvoraussetzung
35 35 38 39 41 52 54 54 56 70 82
Einsicht im Rahmen öffentlicher Untersuchungen Die Natur der öffentlichen Untersuchungen Entstehung und Verbreitung Entwicklung Ablauf des Verfahrens Die Reform von 1983
146 147 147 150 157 159
Akteneinsicht im Datenschutzrecht Einsichtsberechtigte und Ausübung des Rechts Ausnahmen Garantien Ergebnis
162 167 169 171 173
XII
Inhaltsübersicht
§5
Das allgemeine Zugangsrecht I. Die Wandlung zum allgemeinen Akteneinsichtsrecht II. Verhältnis zu den anderen Akteneinsichtsrechten III. Voraussetzungen des allgemeinen Zugangsrechts IV. Die Ausübung des Akteneinsichtsrechts V. Schranken des allgemeinen Akteneinsichtsrechts VI. Die Garantien des allgemeinen Akteneinsichtsrechts Ergebnis Fallstudium: Zugängliche administrative Dokumente im Bau- und Umweltrecht....
174 174 180 185 204 210 226 249 250
Teil II Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland §1
Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit I. Geschlossenheit der Exekutive als historisch geprägtes Element deutscher Verwaltungstätigkeit II. Geheimhaltung und Akteneinsichtsrechte in der Rechtsprechung III. Akteneinsicht und Geheimhaltung im Bürger-Staat-Verhältnis IV. Die normative Begründung der Geheimhaltung V. Argumente gegen die Anerkennung von Akteneinsichtsrechten gegenüber der Behörde VI. Der verfassungsrechtliche Rahmen
Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte aufgrund von Verfassungsbestimmungen I. Die Einsicht der Beamten in ihre Personal- bzw. Disziplinarakten II. Auskunftsanspruch der Presse III. Einsichtsrechte aufgrund der Wissenschaftsfreiheit IV. Auskunftsanspruch der Betroffenen über die gespeicherten Daten V. Die Akteneinsicht als Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz VI. Akteneinsichtsrechte aus Art. 1031 GG
257 257 261 267 268 300 301
§2
§3 I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren Allgemeines Struktur des Akteneinsichtsrechts Einschränkungen des Akteneinsichtsrechts Ausnahmen Modalitäten der Akteneinsicht Verfahrensfehler Rechtsschutz Erweiterung und Grenzen des Anwendungsbereichs des § 29 VwVfG im Verwaltungsverfahrensrecht
370 370 384 396 401 416 423 440 441 446 464 468 500 506 508 514
Inhaltsübersicht
Die Entwicklung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts im Umweltinformationsgesetz I. Die Problematik des Zugangs der Bürger zu Umweltdaten II. Exkurs I: Internationale Impulse für die Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts: Völkerrechtliches "soft law" und Rechtsvergleichung . III. Exkurs II: Die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts IV. Die EG-Umweltinformationsrichtlinie V. DasUIG VI. Exkurs III: Die Regelung der Akteneinsicht im Entwurf des UGB-AT
XIII
§4
547 547 549 565 568 587 602
Rechtsvergleichender Befund I. II.
Bestandsaufnahme
606
Perspektive
611
Literaturverzeichnis
615
Sachwortverzeichnis
705
Inhaltsverzeichnis
Einleitung I. Das Problem exekutivischer Geheimhaltung 1. Bürokratische Geheimhaltung 2. Nachteile der Geheimhaltung - Defizite der existierenden Korrekturmechanismen 3. Informationsanforderung im Gemeinsamen Markt 4. Elemente für eine mögliche Reform der bestehenden Rechtslage 5. Die Akteneinsichtsrechte als eine Möglichkeit der Öffnung der Verwaltung gegenüber der Öffentlichkeit 6. Besondere Bedeutung der Akteneinsichtsrechte 7. Ergebnis II. Zur Methode
1 1 2 4 5 7 9 10 10
A. Die rechtsvergleichende Methode 1. Methodologische Vielfalt 2. Die Durchführung der Rechtsvergleichung
10 10 11
B. Besonderheiten der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht 1. Das Problem der Staatlichkeit als grundsätzliches strukturelles Problem der öffentlich-rechtlichen Rechtsvergleichung 2. Parameter der Rechtsvergleichung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht a) Systembezogene Hindernisse b) Die Bedeutung außerrechtlicher Strukturfaktoren c) Entschärfte Schwierigkeiten der Rechtsvergleichung
15
17 18 18 21
C. Die Systembezogenheit der Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts 1. Rechtsvergleichung als Systematisierung 2. Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht durch Systematisierung ...
24 25 26
D. Die Frage der Vergleichbarkeit der Rechtsordnungen und das tertium comparationis
28
III. Die Auswahl der Rechtsordnungen
15
30
XVI
Inhaltsverzeichnis
Teil I Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich § 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit I. Die Praxis der Geheimhaltung zwischen Tradition und Ideologie II. Billigung der Praxis durch die Rechtsprechung?
35 35 38
III. Die Rechtfertigung der Geheimhaltungspraxis in der Lehre
39
IV. Die gesetzlichen Grundlagen der Geheimhaltungspflicht 1. Geheimhaltung als Pflicht des Verwaltungspersonals a) Die Verschwiegenheitspflicht b) Das Berufsgeheimnis 2. Die Sperr- und Schutzfristen öffentlicher Archive 3. Konsequenzen
41 41 42 45 49 52
V. Kompensation der Geheimhaltungspraxis durch Verwaltungsinformationspolitik? § 2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren I. Die grundsätzliche Geheimhaltung des Verwaltungsverfahrens II. Die Konzeption des französischen Verwaltungsverfahrens 1. Unterentwicklung des französischen Verwaltungsverfahrensrechts ... 2. Entwicklungstendenzen 3. Pluralismus der Quellen des Verwaltungsverfahrensrechts 4. Verwaltungsverfahren und subjektive Verfahrensrechte 5. Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen
52 54 54 56 57 60 61 65 69
III. Ausnahmen von der administrativen Geheimhaltung 1. Fälle, in denen das Verfahren von Natur aus öffentlich ist 2. Die Fälle, in denen der Bürger ein Recht auf Auskunft hat a) Öffentliche Bücher und Register, Verwaltungsauskünfte b) Auskunftsrechte im Chemikalienrecht c) Auskunftsrechte im Baugenehmigungsverfahren d) Statistische Daten, Steuerliste 3. Akteneinsicht als Bürgerbeteiligung 4. Die "procédures contradictoires" a) Typen b) Procédure contradictoire und Akteneinsicht
70 70 72 72 73 73 76 76 80 80 82
IV. Die droits de la défense als Grundvoraussetzung
82
A. Verteidigungsrechte im gerichtlichen und im Verwaltungsverfahren: Ein struktureller Vergleich
82
B. Die Natur der Verteidigungsrechte 1. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts 2. Prozeß der Rechtsgewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze
86 86 91
Inhaltsverzeichnis
C. Die Gewinnung von Verteidigungsrechten in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen 1. Die verschiedenen gesetzlichen Ausgestaltungen des Prinzips "Audi alteram partem" a) Das rein-oder quasi-Disziplinarverfahren b) Verfahren, bei denen Maßnahmen, die Eigentum entziehen oder belasten, beschlossen werden c) Anhörungsrechte im Verwaltungsvertragsrecht 2. Die Einsicht der Beamten in ihre Personalakte als eigentliches Referenzgebiet der Einsichtsrechte im allgemeinen Verwaltungsverfahren a) Natur der Garantie b) Begünstigte c) Inhalt der Garantie d) Erweiterung der Garantie auf Maßnahmen in bezug auf die Person e) Inhalt der Einsicht 0 Zeit der Einsicht g) Form der Einsicht h) Ausnahmen vom Einsichtsrecht i) Rechtsschutz
103 106 109 111 112 114 117 118 119 122
D. Genese und Entwicklung der Rechtsprechung der droits de la défense 1. Voraussetzungen für die Anwendung von Verteidigungsrechten 2. Inhalt der Verteidigungsrechte 3. Bedeutung der Verteidigungsrechte
... 123 125 127 130
E. Entwicklung durch das Dekret vom 28. 11. 1983 1. Koppelung mit der gesetzlichen Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten 2. Die Begründung von Verwaltungsakten nach dem Gesetz vom 11.7.1979 3. Verfahren, bei denen das Dekret angewendet wird 4. Adressaten der Verfahrensgarantien: Betroffene und Dritte 5. Inhalt der Garantien 6. Ausnahmen 7. Ergebnis
131
§3 Einsicht im Rahmen öffentlicher Untersuchungen I. Die Natur der öffentlichen Untersuchungen II. Entstehung und Verbreitung
99 99 100 101 102
131 133 141 141 142 143 144 146 147 147
III. Entwicklung a) Enteignungsverfahren b) Anlagegenehmigung c) Wandlung des Rechtsinstituts - Umweltverträglichkeit
150 150 153 155
IV. Ablauf des Verfahrens 1. Anordnung der öffentlichen Untersuchung 2. Die Anhörung
157 158 159
2 Trantas
XVIII
Inhaltsverzeichnis
V. Die Reform von 1983 §4 Akteneinsicht im Datenschutzrecht I. Einsichtsberechtigte und Ausübung des Rechts II. Ausnahmen 1. Einsicht in medizinische Akten 2. Verweigerung der Einsicht aufgrund öffentlichen Interesses 3. Besondere Verfahren zur Bestätigung des Vorliegens eines Verweigerungsgrundes
159 162 167 169 169 169 170
III. Garantien 1. Intervention der CNIL 2. Rechtsschutz
171 171 172
IV. Ergebnis
173
§5 Das allgemeine Zugangsrecht I. Die Wandlung zum allgemeinen Akteneinsichtsrecht
174 174
A. Legislative Geschichte 1. Die Initiatoren der Reform 2. Die Initiative des Parlaments
174 174 176
B. Bedeutung der Regelung 1. Universalität des Gesetzes 2. Reaktionen in Wissenschaft, Verwaltung und Rechtsprechung 3. Ein Grundrecht?
176 176 177 178
II. Verhältnis zu den anderen Akteneinsichtsrechten A. Allgemeinheit des Akteneinsichtsrechts 1. Regel für die Konfliktlösung 2. Bedeutung des Gesetzes von 1978 für die einzelnen Akteneinsichtsrechte B. Auswirkung des Gesetzes von 17. 7. 1978 auf die einzelnen Akteneinsichtsrechte 1. Allgemeines Akteneinsichtsrecht und Einsicht der Beamten in ihre Personalakten 2. Allgemeines Akteneinsichtsrecht und Verteidigungsrechte 3. Allgemeines Akteneinsichtsrecht und Zugang zu den kommunalen Akten 4. Das Verhältnis zwischen dem allgemeinen Zugangsrecht und dem Zugangsrecht nach dem Datenschutzgesetz III. Voraussetzungen des allgemeinen Zugangsrechts
180 180 181 181 182 182 183 183 184 185
A. Rechtsträger
185
B. Verpflichtete
189
Inhaltsverzeichnis
C. Antrag
191
D. Zugängliche Dokumente 1. Begriff des Dokuments 2. Administrative Dokumente
193 194 197
IV. Die Ausübung des Akteneinsichtsrechts
204
A. Durchführung der Akteneinsicht 1. Art der Einsicht 2. Bestimmtheit des Antrags, Ort der Einsicht 3. Kopien 4. Unterstützung durch die Beamten
204 204 205 206 206
B. Gegenstand der Einsicht
207
C. Berichtigungsrecht
208
D. Mißbrauchsverbot
210
V. Schranken des allgemeinen Akteneinsichtsrechts
210
A. Die personenbezogenen Dokumente 1. Ausschluß des Zugangsrechts Dritter 2. Die Einsicht in medizinische Akten durch einen Arzt
211 211 212
B. Die Ausnahmetatbestände 1. Geheimhaltung zur Wahrung der Effizienz staatlicher Organe a) Regierungsgeheimnis b) Geheimhaltung der gerichtlichen Vorhaben 2. Geheimhaltung im öffentlichen Interesse a) Verteidigungsgeheimnis b) Geheimnis der auswärtigen Beziehungen c) Geheimnis der Währungs- und Staatsschuldenpolitik d) Geheimhaltung aufgrund von Staatsicherheit und öffentlicher Sicherheit 3. Geheimhaltung zum Schutz privater Interessen a) Geheimhaltung zum Schutz des Privatlebens b) Das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis 4. Geheimhaltung zum Schutz wichtiger öffentlicher und privater Interessen a) Das Geheimnis der Steuer- bzw. Zollfahndung b) Gesetzliche Geheimhaltungsrechte
213 215 215 217 218 218 219 219
223 223 224
C. Schranken-Schranken
225
VI. Die Garantien des allgemeinen Akteneinsichtsrechts A. Die CADA 1. Die Rechtsfigur der unabhängigen Verwaltungsbehörde im französischen Verwaltungsrecht 2. Funktionen und Aufgaben der CADA 3. Die Beschwerde bei der CADA
220 221 221 222
226 226 227 234 238
X
Inhaltsverzeichnis
Β. Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Einsicht 1. Rechtsweg, Zuständigkeit 2. ProzeßVoraussetzungen 3. Prozeßgegenstand, Begründetheit der Klage 4. Beweisverfahren, Sicherung der Beweismittel 5. Drittschutz Ergebnis Fallstudium: Zugängliche administrative Dokumente im Bau- und Umweltrecht ..
243 243 245 245 246 249 249 250
Teil II Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland § 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit ....
257
I. Geschlossenheit der Exekutive als historisch geprägtes Element deutscher Verwaltungstätigkeit
257
II. Geheimhaltung und Akteneinsichtsrechte in der Rechtsprechung 1. Die Position der Rechtsprechung und ihre Aufnahme in die Lehre .... 2. Rechtfertigung durch die Legitimationsproblematik 3. Akteneinsicht und Handlungsformen der Verwaltung
261 261 265 266
III. Akteneinsicht und Geheimhaltung im Bürger-Staat-Verhältnis
267
IV. Die normative Begründung der Geheimhaltung
268
A. Die besonderen Pflichten des Verwaltungspersonals zur Wahrung der Geheimhaltung staatlicher Tätigkeit 1. Die Verschwiegenheitspflicht a) Die Regelung im öffentlichen Dienstrecht b) Die Regelung im Strafrecht 2. Das Berufsgeheimnis 3. Würdigung
268 269 269 278 281 282
B. Die Sperr- und Schutzfristen bei der Benutzung staatlicher Archive 1. Aufbau und Funktion öffentlicher Archive 2. Der Zugang zum staatlichen Archivgut 3. Bedeutung der Sperr- und Schutzfristen
285 285 286 288
C. Die Geheimhaltungsmittel 1. Die prozeßrechtlichen Geheimhaltungsmittel 2. Exkurs: Die Problematik des Schutzes von V-Leuten 3. Sonstige Geheimhaltungsmittel 4. Würdigung
289 290 295 297 299
D.Ergebnis
299
V. Argumente gegen die Anerkennung von Akteneinsichtsrechten gegenüber der Behörde
300
Inhaltsverzeichnis
VI. Der verfassungsrechtliche Rahmen A. Das Prinzip: Grundsätzliche Neutralität der Verfassung gegenüber der Informationspolitik der Verwaltung B. Grundrechtliche Ansprüche auf Geheimhaltung 1. Das Kommunikationsgeheimnis a) Inhalt und Bedeutung des grundrechtlichen Schutzes b) Gesetzliche Ausgestaltungen 2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht a) Allgemeines b) Insbesondere: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . c) Die gesetzliche Regelung des Datenschutzes d) Begriff der geschützten personenbezogenen Daten e) Strukturierung der Datenschutzregelungen - Auswirkungen im Verwaltungsverfahren 3. Die Berufsfreiheit 4. Die Eigentumsgarantie a) Der verfassungsrechtliche Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses b) Die einfachrechtliche Ausgestaltung des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses c) Exkurs: Die Bedeutung der einfachrechtlichen Ausgestaltung des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses für die Bestimmung des Begriffs des Geheimnisses im deutschen Recht d) Erweiterung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung .... 5. Andere Grundrechte C. Verfassungsrechtliche Förderung der Verwaltungsöffentlichkeit 1. Das Demokratieprinzip 2. Exkurs: Unterrichtungs- und Aufklärungsaktionen der Verwaltung ... 3. Das Selbstverwaltungsprinzip 4. Das Rechtsstaatsprinzip a) Das Gebot fairen Verfahrens und die Verwaltungsöffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren b) Das Gebot fairen Verfahrens und die Verwaltungsöffentlichkeit im Verwaltungsverfahren c) Rechtsstaatliche Forderung der Verwaltungsöffentlichkeit außerhalb eines Verfahrens d) Exkurs: Die öffentlichen Bücher und Register 4. Das Sozialstaatsprinzip 5. Die Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen der Ableitung von Verfahrensrechten aus den Grundrechten a) Die grundrechtlichen Verfahrensgarantien b) Die Begründung von Akteneinsichtsrechten 6. Ergebnis D. Gesamtwürdigung
301 302 302 303 303 304 307 307 309 312 319 320 322 323 323 325 329 330 331 331 332 336 339 343 344 348 350 353 356 357 357 365 368 368
X I I
Inhaltsverzeichnis
§ 2 Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte aufgrund von Verfassungsbestimmungen I. Die Einsicht der Beamten in ihre Personal- bzw. Disziplinarakten 1. Die Einsicht in die Personalakte als "hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums" 2. Positive Regelung 3. Exkurs: Akteneinsicht im Disziplinarverwaltungsverfahren 4. Verhältnis zwischen der Einsicht in die Personalakte und der Akteneinsicht nach § 29 VwVfG II. Auskunftsanspruch der Presse 1. Informationsrecht aufgrund der Informations-und Pressefreiheit 2. Der Auskunftsanspruch in den Pressegesetzen 3. Schranken des Auskunftsrechts 4. Rechtsschutz III. Einsichtsrechte aufgrund der Wissenschaftsfreiheit 1. Der grundrechtliche Informationsanspruch des Forschers gegenüber dem Staat 2. Die Forschungsklausel IV. Auskunftsanspruch der Betroffenen über die gespeicherten Daten 1. Auskunftsrecht aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 2. Auskunftsrecht aus dem Persönlichkeitsrecht 3. Das Auskunftsrecht nach den Datenschutzgesetzen a) Inhalt und Gegenstand des Auskunftsrechts b) Ausnahmen c) Verfahren d) Rechtsschutz 4. Auskunftsrechte in spezifischen Datenschutzgesetzen 5. Auskunftsrechte Dritter (öffentliche und nicht-öffentliche Stellen) im Datenschutzrecht
370 370 370 373 381 384 384 384 387 391 395 396 396 399 401 401 402 402 403 405 407 409 410 412
V. Die Akteneinsicht als Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz 416 1. Die Grundentscheidung: Die Öffnung der Stasi-Akten 417 2. Das Akteneinsichtsrecht nach dem StUG 418 VI. Akteneinsichtsrechte aus Art. 103 I GG 1. Akteneinsicht als Erfordernis des Rechts auf rechtliches Gehör 2. Die Regelung im einfachen Recht 3. Akteneinsichtsrechte Dritter 4. Bedeutung von Art. 103 I GG für das Verwaltungsverfahren 5. Analoge Anwendung prozeßrechtlicher Rechte von Beteiligten und Dritten auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden?
423 423 424 432 437 438
Inhaltsverzeichnis
§ 3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren I. Allgemeines 1. Funktion der Akteneinsicht 2. Die Bedeutung der Akteneinsicht als Institut des Verwaltungsverfahrensrechts 3. Einsichtnahme statt Informationsgewährung 4. Aktenführung durch die Behörde II. Struktur des Akteneinsichtsrechts 1. Anspruch auf Akteneinsicht 2. Der Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit 3. Die Einsichtsberechtigten 4. Die Einsichtsverpflichteten 5. Inhalt des Anspruchs a) Einsichtnahme b) Akten c) Verfahrensakten d) Insbesondere: Zur Einsicht stehende Kategorien von Verfahrensakten e) Rechtliches Interesse III. Einschränkungen des Akteneinsichtsrechts 1. Einschränkungen ratione temporis: Die Einsicht in Entwürfe und Vorbereitungsarbeiten 2. Einschränkungen ratione personae: Die Einsicht durch Vertreter in Massenverfahren IV. Ausnahmen 1. Funktion der Ausnahmetatbestände 2. Versagung aufgrund der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung 3. Versagung aufgrund des Schutzes des Staatswohls 4. Versagung zum Schutz geheimzuhaltender Vorgänge a) Vorgänge, die dem Wesen nach geheim sind b) Geheimzuhaltende Vorgänge aufgrund eines Gesetzes c) Einzelne Geheimhaltungsvorschriften aa) Das "Verwaltungsgeheimnis" (§ 30 VwVfG) bb) Das Sozialgeheimnis cc) Das Steuergeheimnis dd) Geheimhaltung im Bereich der Gewerbeaufsicht ee) GeheimhaltungsVorschriften zum Schutz von Wirschaftsgeheimnissen im Umweltrecht, insbesondere im Chemikalienrecht ff) Rückblick V. Modalitäten der Akteneinsicht 1. Ort der Akteneinsicht 2. Kopien 3. Zeit und Dauer
440 441 441 443 444 445 446 446 447 449 452 452 452 454 455 458 462 464 464 467 468 468 470 473 475 476 479 479 480 486 490 496 499 500 500 500 504 506
X I
Inhaltsverzeichnis
VI. Verfahrensfehler VII. Rechtsschutz VIII. Erweiterung und Grenzen des Anwendungsbereichs des § 29 VwVfG im Verwaltungsverfahrensrecht A. Spezielle Verfahren 1. Widerspruchsverfahren 2. Verfahren der Justizverwaltung 3. Berufungsverfahren der Hochschulen 4. Prüfungsrecht
506 508 514 514 514 515 516 517
B. Akteneinsicht im förmlichen Verwaltungsverfahren 518 1. Abweichungen von der Regelung des § 29 VwVfG 518 2. Akteneinsicht im immissionsschutz- und atomrechtlichen Genehmigungsverfahren 519 a) Beteiligte und Einsichtsberechtigte 520 b) Vertretung 523 c) Exkurs: Das Verhältnis zwischen Akteneinsicht und der Auslegung von Antrag und Unterlagen 523 d) Gegenstand der Einsicht 526 e) Durchführung der Akteneinsicht 528 f) Ausnahmen 529 g) Folgen von Verfahrensfehlern 531 3. Akteneinsicht im Genehmigungsverfahren des Gentechnikgesetzes ... 531 4. Die Akteneinsicht im Planfeststellungsverfahren 533 a) Die Planeinsicht 533 b) Die Akteneinsicht 537 5. Das Kartellverwaltungsverfahren 538 § 4 Die Entwicklung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts im Umweltinformationsgesetz 547 I. Die Problematik des Zugangs der Bürger zu Umweltdaten II. Exkurs I: Internationale Impulse für die Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts: Völkerrechtliches "soft law" und Rechtsvergleichung ..
547 549
III. Exkurs II: Die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts
565
IV. Die EG-Umweltinformationsrichtlinie 1. Grundlage der Richtlinie 2. Ziel der Richtlinie 3. Die Einsichtsberechtigten 4. Die Zugangsverpflichteten 5. Inhalt des Informationszugangs 6. Ausnahmen 7. Verfahren, Rechtsschutz
568 570 571 572 574 576 579 582
Inhaltsverzeichnis
8. Umsetzung im deutschen Recht 9. Die unmittelbare Anwendung V. Das UIG 1. Anspruchsberechtigte 2. Anspruchsverpflichtete 3. Inhalt des Anspruchs 4. Ausnahmen 5. Verfahren, Rechtsschutz 6. Würdigung, Verhältnis zum Verwaltungsverfahrensrecht VI. Exkurs III: Die Regelung der Akteneinsicht im Entwurf des UGB-AT
584 585 587 588 589 592 595 599 602 602
Rechtsvergleichender Befund I. Bestandsaufnahme 1. Begriffliche Schwierigkeiten 2. Die Handlungsmodelle 3. Entwicklungsmotoren 4. Die Fragen des Rechtsschutzes 5. Akteneinsicht und Partizipation II. Perspektive 1. Die Einführung von allgemeinen Akteneinsichtsrechten 2. Die Situation nach einer Veränderung der Kommunikationsstrukturen im öffentlichen Bereich
606 606 606 607 609 610 611 611
612
Literaturverzeichnis
615
Sachwortverzeichnis
705
Abkürzungsverzeichnis AJCL AJDA Ass. CA CA A Cass.
CC CE chr. CJEG com. conci. D. DA dact. EDCE GA
GP I.R. J. JCP JDI JO LPA obs. RA RDP Ree. Ree. CC
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Abkürzungsverzeichnis
Ree. Τ Rev. crit. dr. int. pr. REDP/ERPL
RFDA RFAP RFDC RFFP RGDIP RIDC RISA RMC RPDA RSF RTDE RUDH S. Sect. Som. com. TA TC
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Im übrigen wird auf Hildebert KirchnerfFûlz Kastner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin, New York 1993 und Hildebert Kirchner, Jura Extra: Abkürzungen für Juristen, 2. Aufl., Berlin, New York 1993 verwiesen
Einleitung I. Das Problem exekutivischer Geheimhaltung 1. Bürokratische
Geheimhaltung
Die Verwaltung hat ein besonderes Interesse an der Geheimhaltung1. Diese seit Max Weber 2 bekannte Erkenntnis wird in der heutigen Zeit ständig bestätigt. Die bürokratisch organisierten Gesellschaften möchten behördeninternes Wissen nicht an die Öffentlichkeit treten lassen. Dies dient dem Schutz privater oder öffentlicher Interessen und fördert das Machtinteresse der Bürokratie 3. Der Hang zur Geheimhaltung wurde dabei in den ersten Nachkriegsjahren durch den Kalten Krieg besonders gestärkt. Die damalige Zeit kann man als den Höhepunkt administrativer Geheimhaltung betrachten. Erst in der sechziger Jahren wurden Stimmen laut, die gegenüber der bisherigen Geheimhaltungspraxis und ihrer Zweckmäßigkeit kritisch eingestellt waren 4. Die Kritiker nahmen als Beispiel die traditionell gegenüber der Öffentlichkeit freundlich eingestellte schwedische Verwaltung und argumentierten von diesem Gesichtspunkt her für eine differenzierte Informationspolitik der Verwaltung.
1 Zur Geheimhaltung der Verwaltung s. Gregorio Arena , Il segreto amministrativo, Bd. 1: Profili storici e sistematici, Padova 1983; Bd. 2: Profili teoretici, Padova 1984. 2 S. Max Weber , Wirtschaft und Gesellschaft, S. 572: "Diese Überlegenheit des berufsmäßig Wissenden sucht jede Bürokratie noch durch das Mittel der Geheimhaltung ihrer Kenntnisse und Absichten zu steigern. Bürokratische Verwaltung ist ihrer Tendenz nach stets Verwaltung mit Ausschluß der Öffentlichkeit". 3 S. dazu Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 11. Aufl., München 1991, S. 356. Vgl. auch Horst Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen 1991, S. 195 ff. 4 S. Donald Rowat, The Problem of Administrative Secrecy, RISA 1966, S. 99 ff; derselbe, How Much Administrative Secrecy?, Canadian Journal of Economics and Political Science 31 (1965), S. 479 ff; vgl. auch demselben, Rapport général, in: derselbe (Hrsg.), Le secret administratif dans les pays développés, Paris 1977, S. 21 ff und A Comparative Perspective in the Right of Access, in: derselbe (Hrsg.), The Right to Know: Essays in Governmental Publicity and Public Access to Information, 1982, S. 115 ff.
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Einleitung
2. Nachteile der Geheimhaltung Defizite der existierenden Korrekturmechanismen Die Diskussion um den Begriff der Öffentlichkeit 5 berührte nicht nur die Verwaltung, sondern das gesamte staatliche Handeln6. Es ist aber die Geheimhaltung, die vorrangig Ziel der Kritik geworden ist, weil sie im Verhältnis zu den anderen Gewalten das niedrigste Niveau von Handlungstransparenz aufweist und wegen der Expansion der staatlichen Tätigkeit über einen erheblichen Informationsbestand verfügt, was zu einer Ausweitung der bürokratischen Macht führt 7 . Die Interaktion zwischen Bürokratie und politischer Macht 8 eröffnet dabei die Frage, ob diese Geheimhaltung mit einer demokratischen politischen Gemeinschaft vereinbart ist. Wenn die Verwaltung geheim handelt, kann
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Der Begriff der Öffentlichkeit ist vielschichtig: Öffentlichkeit ist zunächst faktische Öffentlichkeit, formelle Publizität allen in einem sachlichen Sinne öffentlichen Lebens. Öffentlichkeit bedeutet auch die Träger des öffentlichen Lebens, das Publikum, die "personifizierte" Öffentlichkeit, die öffentliche Meinung und in diesem Sinne die oberste und letztentscheidende Instanz der Demokratie. Letztlich bedeutet sie die normative Verschmelzung der beiden vorherigen Sinngehalte in das Wesen der modernen Staatlichkeit. Dazu Rudolf Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: derselbe, Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 462 ff (465 ff). Vgl. auch Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966, S. 437 ff; Ulrich K. Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, Stuttgart 1969, S. 72 ff, 87 ff; Peter Häberle, Öffentlichkeit und Verfassung, ZfP 16 (1969), S. 273 ff = derselbe, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 2. Aufl., Berlin 1996, S. 225 ff; Ernst Gottfried Mahrenholz, "Die Kritik ist der Tod des Königs", Bemerkungen zur Öffentlichkeit, in: Ein Richter, ein Bürger, ein Christ - Festschrift für Helmut Simon, Baden-Baden 1987, S. 261 ff; Jörg Schlachter, Mehr Öffentlichkeit wagen, Heidelberg 1993, S. 87 ff. Zum geschichtlichen Hintergrund dieser Begrifflichkeit Lucian Hölscher, Öffentlichkeit, in: Otto BrunnerfWerner Ccwze/Reinhart Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 413 ff. Für einen Versuch, die Öffentlichkeit auf der Basis des modernen demokratischen Staates aufzubauen Alfred Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, Berlin 1971, S. 87 ff, 214 ff, 248 ff, 273 ff und passim. Vgl. auch die Ausführungen von Jean Nicolas Druey, Information als Gegenstand des Rechts, Zürich und Baden-Baden 1995. Hier wird die Öffentlichkeit im Sinne der Publizität des staatlichen Handelns verwendet. 6 Die Geheimhaltung erscheint mit unterschiedlicher Dichte in allen Staatsfunktionen. Man kann dabei zwischen Gerichts-, Parlaments- und Verwaltungsgeheimnis unterscheiden. Vgl. dazu Paolo Barile , Democrazia e Segreto, Quaderni Constituzionali 7 (1987), S. 29 ff. So wird z.B. von Peter Fischer , Zum Grundsatz der Richteröffentlichkeit von Sitzungen des Präsidiums, DRiZ 1979, 203 ff vorgebracht, daß die Sitzungen des Gerichtspräsidiums in der Regelrichteröffentlich zu tagen habe. 7 Zur Rolle der Bürokratie vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 353 ff. 8 Zu den Beziehungen zwischen Bürokratie und politischer Macht vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 361 ff.
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ihre Legitimation als Vollzieher des Gesetzes problematisch werden 9. Die Geheimhaltung verschließt die Verwaltung gegenüber der öffentlichen Meinung 10 und verringert damit ihr Legitimationspotential 11 . Neben den Fragen der demokratischen Legitimation der Verwaltung ist die Geheimhaltung ihres Handelns auch wegen ihrer Zweckmäßigkeit kritisiert worden. Die Verwaltung wird zunehmend in gefährlicher Weise von Interessen, die sie eigentlich regulieren sollte, "besetzt" 12 . Das Phänomen ist nicht nur auf psychologische Gründe zurückzuführen 13. Es ist vorrangig Folge der Grenzen der Eingriffsverwaltung. Die Verteilung der gesellschaftlichen Rollen zwischen Markt und überwachender Behörde piaziert die Verwaltung in die schwächere Position. Die Behörde ist einerseits verantwortlich, wenn ihre Aktionen das wirtschaftliche Wachstum gefährden, und andererseits ist ihr Einfluß durch die Verfassung und das Gesetz begrenzt. Dies führt die Verwaltung zu einer konservativen Einstellung gegenüber den regulierenden Interessen. Ein Folgeproblem ergibt sich dabei aus der verwaltungswissenschaftlichen Erkenntnis, daß die Behörde ihre Aktionen an den bisher aufgetretenen Problemen und Tätigkeiten orientiert. Dies kann praktisch zu Marktbegrenzungen führen, da die neuen Wettbewerber möglicherweise nicht in das inzwischen entwickelte Vorverständnis der Behörde hineinpassen. Die Schwierigkeiten werden verschärft, weil in sehr technischen Angelegenheiten der Verwaltung die erforderlichen Experten, die den vorliegenden Sachverhalt bearbeiten könnten, fehlen 14 . Die pragmatische Grenze staatlichen Handelns liegt allerdings nicht nur auf der Personal9
Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957, S. 208: "Die Repräsentation kann nur in der Sphäre der Öffentlichkeit vor sich gehen". 10 Zum Begriff vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 248 ff mwN. 11 Zum Verhältnis Demokratie und öffentliche Meinung eingehend Emst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 1. erw. Aufl., Hrsg. Alexander v. Brünneck, Frankfurt a.M. 1990, S. 232 ff. Vgl. auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 246: "Die öffentliche Meinung ist die moderne Art der Akklamation". Schmitt bemerkt schon zuvor zutreffend (S. 243), daß das Volk als Begriff nur in der Sphäre der Öffentlichkeit erscheint. Das Volk wirkt als staatliches Organ nach Schmitt aber nur bei seinem gemeinschaftlichen Auftreten mit, was eher bedenklich ist. 12 Das Problem des wachsenden Einflusses der regulierten Interessengruppen an den Entscheidungsstrukturen der Verwaltung ist ein sehr altes Diskussionstopos in den Vereinigten Staaten. Dazu statt vieler Jaffe, The Effective Limits of the Administrative Process: A Réévaluation, Harvard Law Review 67 (1974), S. 1105 ff (1107 ff). Vgl. auch die abweichende Meinung des Richters William O. Douglas in Sierra Club v. Morton, 405 US 727, 745-747. Zum Gruppeneinfluß im allgemeinen s. Jürgen Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, Baden-Baden 1986, S. 135 ff, 158 ff, 183 ff, 207 ff und passim. 13 Dazu eingehend Richard B. Stewart, The Reformation of American Administrative Law, Harvard Law Review 88 (1974/75), S. 1667 ff (1684 ff). 14 Vgl. schon Bernand Schwartz , Legal Restriction of Competition in the Regulated Industries, Harvard Law Review 67 (1954), S. 434 ff (464 ff).
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ebene, sondern auch bei den Finanzmitteln. Ein weiteres Hindernis dabei ist die relative Abhängigkeit der Behörde von Auskünften und Informationen, die ihr von regulierenden Interessengruppen gegeben werden. Vielmehr steht dabei ein politischer Gedanke im Vordergrund: Die Interessengruppen können in manchen Fällen politisch viel einflußreicher sein als die Träger einer bestimmten Behörde. Dies kann die administrative Moral schwächen und die Offenheit und positive Einstellung der Behörde gegenüber Anträgen der Interessengruppen bekräftigen. Diese Probleme bedeuten natürlich nicht, daß die Verwaltung von den Interessengruppen völlig "korrumpiert" wird. Politischer Druck, gerichtliche Kontrolle, kollidierende Interessen Dritter und nicht zuletzt personelle und ethische Parameter bekräftigen den Willen der Behörde, ihre Aufgaben Gesetzes- und zweckgemäß durchzuführen. Es ist auch nicht immer selbstverständlich, daß die Unterstützung einzelner Interessen eine Gefährdung der allgemeinen Interessen darstellt. Die eingetretenen Hindernisse sind aber nicht zu übersehen 15, weil die relative Abhängigkeit der Behörde im Falle der verteilenden Verwaltung den ganzen Entscheidungsprozeß gefährden kann. Dies führt zu einem Überzeugungsdefizit der Verwaltungsentscheidungen 16. Dieses Überzeugungsdefizit wird durch die Geheimhaltung des staatlichen Handelns verstärkt. Als Antwort auf den Legitimations- und Überzeugungsverlust des Verwaltungsentscheidungsprozesses werden meistens die Erweiterung der Dichte gerichtlicher Kontrolle, die partizipatorischen Elemente des Verwaltungsverfahrens sowie eine Erweiterung der Klagebefugnis genannt17. Bei dieser "Erweiterungs"-Trias ist zweifelhaft, ob sie den Bürgern und der Wahrung des öffentlichen Interesses gerecht werden.
3. Informationsanforderung
im Gemeinsamen Markt
Für die westeuropäischen Ländern stellt die Globalisierung der Verhältnisse im Rahmen der europäischen Integration neue Ansprüche an die nationalen Verwaltungen, die mit dem traditionellen Verhalten gegenüber den Bürgern
15 Es gibt eine "malaise in the administrative scheme" FTC v. Ruberoid Co., 343 US 470, 482 (Jackson, J., dissenting). Dies wird vorrangig im Bereich des Verbraucherschutzes festgestellt, wo die Verwaltung nicht gezeigt hat, daß sie die Interessen des Verbrauchers ausreichend schützen kann. Vgl. dazu die Kritik von Richard Posner, The Federal Trade Commission, University of Chicago Law Review 37 (1969), S. 47 ff. 16 Vgl. James O. Freedman, Crisis and Legitimacy in the Administrative Process, Stanford Law Review 27 (1974/1975), S. 1041 ff. 17 Dazu Stewart, The Reformation of American Administrative Law, S. 1716 ff.
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nicht mehr tragbar sind 18 . Die Bürger werden sich mehr und mehr an die Behörden wenden, um bessere Informationen über die Entwicklungen in anderen Ländern zu bekommen. Die nationalen Behörden werden daher in einen Informationswettbewerb miteinander treten, um bessere und vollständigere Informationen für die Bürger des gemeinsamen Marktes zu gewähren. Die Entwicklung vollzieht sich auf zwei Ebenen. Einerseits müssen die Kontakte und der Informationsfluß zwischen den verschiedenen nationalen Verwaltungen verbessert werden. Andererseits müssen die nationalen Verwaltungen nach außen geöffnet werden, weil sie nur so die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Staatsbürger schützen können. Die Entwicklung in dieser Richtung ist sicher langsam, aber es scheint die einzige Möglichkeit für die nationalen Bürokratien zu sein, ihre Lenkungsbefugnisse und ihren Machtgriff zu schützen und sich gleichzeitig zu erneuern und zu reformieren.
4. Elemente für eine mögliche Reform der bestehenden Rechtslage Die oben beschriebenen Kritikpunkte müssen vor dem Hintergrund der sich ändernden Umwelt, in der die Verwaltung handeln soll, betrachtet werden. Die größere "Demokratisierung" und die Öffnung des Verwaltungssystems nach außen steht nicht mehr im Konflikt mit einer besseren Effizienz des staatlichen Handelns. Umgekehrt braucht eine effektive Verwaltung auch nicht mehr in Konflikt mit ihrer Öffnung zu stehen. Die Begriffe sind komplementär und stehen nicht in Konflikt miteinander 19. Die Entwicklung setzt ein modernes Verständnis der traditionellen Elemente der Systematik des Verwaltungsrechts voraus. Sie müssen ständig kritisch überprüft und entsprechend den Anforderungen der Zeit angepaßt werden. Hinter den traditionellen systemgestaltenden Momenten der verwaltungsrechtlichen Verhältnisse steht die Vielfältigkeit der Subjekte. Es geht um phänomenologische Begriffe 20 . Hinter dem Wort "Bürger" steht eine Menge unterschiedlicher menschlicher Bilder. Andererseits ist die Verwaltung selbst eine Abstraktion vieler administrativer Entscheidungszentren und eine juristische Erfassung des 18
Vgl. Gregorio Arena, Rights vis-à-vis the Administration, in: Antonio Cassese!Andrew Chapham!Joseph Weiler (Hrsg.), Human Rights and the European Community: Methods of Protection, Baden-Baden 1991, S. 495 ff (502 ff). Zur Bedeutung von Information als Wirtschaftsfaktor s. Karl Steinbuch, Über den Wert von Informationen, GRUR 1987, S. 579 ff; Walter Dohr, Öffentliche Information und privater Informationsmarkt, Bedingungen eines Brückenschlages, Wien 1990; Stephan W. H. Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, Köln, Berlin, Bonn, München 1996, S. 1 f. 19 Vgl. dazu eingehend Schlachter, Mehr Öffentlichkeit wagen, S. 110 ff. 20 Vgl. dazu Arena, Rights vis-à-vis the Administration, 496 ff. 3 Trantas
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Phänomens administrativer Gewalt. Die hergebrachten Begriffe vereinfachen und typisieren deshalb eine Komplexität, die sich auch unter anderen Aspekten dogmatisch rekonstruieren läßt. Die bisherige juristische Konstruktion der Verhältnisse zwischen der Verwaltung und dem Bürger ist stark von den politischen und ideologischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts geprägt worden. Das juristische Dogma der Trennung von Staat und Gesellschaft 21 hat durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und die Durchsetzung des Parlamentarismus seine alte Funktion verloren. Ihre Rolle ist es heute vielmehr, die Minderheit vor der Mehrheit sowie die Allgemeinheit vor den verschiedenen Gruppeninteressen zu schützen. Der Staat ist nicht mehr allein nach den Formen der obrigkeitlichen Verwaltung organisiert. Er nimmt am Wirtschaftsleben teil und ist besonders für die Vergabe von Leistungen eingerichtet. Die klassische Form der Willensäußerung der Verwaltung, der Verwaltungsakt, ist nicht mehr die einzige Form des Verwaltungshandelns, vielleicht auch nicht mehr die wichtigste, da in einer solchen Umwelt die Verwaltung jetzt andere, konsensuale Formen für die Ausübung ihrer Aufgaben benutzt. Das Paradigma des Verwaltungsrechts ist nicht geändert worden, es ist aber stark transformiert. Kern der Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürger ist noch immer das Problem der Freiheit. Es ist aber durch den Anspruch auf gleiche Teilhabe an den staatlichen Leistungen und der Ausübung der Rechte vervollständigt 22 . Die Rechtsverhältnisse werden aus bipolaren in multipolare gewandelt, und Teilhaberechte und Schutzansprüche stehen heute neben den klassischen Unterlassungsansprüchen. Die Schwierigkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die aus dem Schutz des klassischen Freiheitsbegriffs entstanden sind, diese neuen Anforderungen des Verhältnisses Verwaltung-Bürger vollständig zu kontrollieren, sind ein wachsendes Problem. Die Kontrolle der Effizienz, Unbefangenheit und Ge21 Zur systemprägende Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft s. Hans Peter Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., Studienausg., Kronberg/Ts. 1977, S. 64 ff mwN; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 342 ff; Horst Ehmke, "Staat" und "Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: Festgabe für Rudolf Smend, Tübingen 1962, S. 23 ff = in: Emst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976, S. 241 ff; Konrad Hesse, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, DöV 1975, S. 437ff = in: Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 484 ff = in: derselbe, Ausgewählte Schriften, Heidelberg 1984, S. 59 ff; Emst-Wolfgang Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: Rechtsfragen der Gegenwart - Festgabe für Wolfgang Hefermehl, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1972, S. 11 ff = in: derselbe (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 394 ff = in: derselbe, Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt a.M. 1991, S. 209 ff. 22 Vgl. dazu Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff.
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rechtigkeit der behördlichen Entscheidungsprozesse mit den Instrumenten der richterlichen Prüfung stößt bei den neuen Bereichen staatlicher Tätigkeit auf Schwierigkeiten. Auch wenn die Möglichkeit einer effektiven gerichtlichen Kontrolle besteht, kommt diese oft zu spät, um tatsächlich praktische Bedeutung zu haben. Eine Antwort auf diese Anforderungen ist, die Kontrolle der Gerichtsbarkeit einerseits durch eine Intensivierung anderer etablierter Kontrollmechanismen (Haushalts-, Rechnungs- und Parlamentskontrolle) sowie die Gründung neuer Kontrollinstanzen (unabhängige Verwaltungsbehörden, Beauftragte, Ombudsmänner) zu ergänzen und andererseits die Einführung neuer subjektiver Rechte des Bürgers im Rahmen der behördlichen Entscheidungsprozesse. Die Grundidee dabei ist die Verlagerung des Rechtsschutzes schon in der Phase des Verwaltungsverfahrens. Dies wird durch die Anwendung von partizipatorischen Instrumenten, informellen Verhandlungen und Privatisierungsmechanismen ermöglicht 23 . Diese Mechanismen geben der Verwaltung die Möglichkeit eines verbesserten Inputs von Informationen mit dem Ergebnis der Vermeidung von falschen Einschätzungen seitens der Behörde und der Erhöhung ihrer Effektivität. Der große Nachteil, der bei solchen Mechanismen besteht, ist jedoch, daß damit die Gefahr der "Besetzung" der Verwaltung durch Gruppeninteressen und der folgende Verlust der Übersichtlichkeit der allgemeinen Interessen verbunden ist. Zweck der Gewährung von solchen Mechanismen ist aber nicht die Zersplitterung des öffentlichen Interesses, sondern seine Anpassung an die Forderung individueller Gerechtigkeit. Dies wird erreicht mit der Durchsichtigkeit der Verwaltungstätigkeiten durch eine Öffnung der Verwaltung und den Verzicht auf die bisherige Geheimhaltungspraxis als einziger Garantie.
5. Die Akteneinsichtsrechte als eine Möglichkeit der Öffnung der Verwaltung gegenüber der Öffentlichkeit Die Entwicklung des Verwaltungsrechts richtet sich auf eine Öffnung der Verwaltung nach außen24. Dies muß als ein neues Stadium in der jüngeren 23
Vgl. in allgemeinen Jörn Pipkorn, Transnationale Perspektiven behördlicher Informationspflichten, DöV 1976, S. 340 ff. 24 Vgl. Bertil Wennergren, Civic Information - Administrative Publicity, RISA 1970, S. 243 ff. S. auch Karl-Heinz Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und die prozedurale Rationalität des Umweltrechts, in: Alexander RoßnagellUwe Neuser (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 171 ff. Vgl. auch Bertil Wennergren, La protection des citoyens dans les procédures administratives, Rapport général - XlVe Congrès international des sciences administratives (Dublin 3-6 septembre 1968), Bruxelles 1969, S. 30 f; Patrick Birkinshaw , Free-
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Entwicklung des Verwaltungsrechts betrachtet werden. Das Verwaltungsrecht hat seit der Nachkriegszeit seine Interessen zunehmend am Schutz der Bürger orientiert. In dieser Zeit sind eine Reihe neuer Rechte und Mechanismen, die dieses Ziel verfolgen, eingeführt worden 25 . Die Aktenzugänglichkeit soll innerhalb dieser Fülle von Rechtsinstituten und Mechanismen herausgegriffen werden 26 . Die Veröffentlichung der administrativen Dokumente ist nur einer der Wege, die die Bürgerinformation bedienen. Sie ist in das Gefüge anderer Rechtsinstitute einzugliedern wie die Veröffentlichung und Bekanntmachung der administrativen Akte und Richtlinien, die Information des Publikums über die Projekte von Gesetzen, Sanktionen und Plänen, die Begründung der administrativen Akte, die Öffentlichkeit von Sitzungen administrativer Kollegialorgane, die Bekanntmachung des Namens des für einen Fall zuständigen Beamten und die Information der Bürger über ihre Rechte 27 . Daneben stehen weitere Institute, die das Recht der Bürger, von der Verwaltung angehört zu werden, gewährleisten. Hier sind die Information und Hilfeleistungen bei der Verteidigung gegen administrative Entscheidungen sowie partizipatorische und sonstige konsensuale Instrumente wie beispielsweise Absprachen und Konsultationen, die einen Dialog Verwaltung-Bürger ausgestalten, zu nennen. Alle diese Rechtsinstitute erscheinen in unterschiedlichem Maße und unterschiedlicher Dichte in den verschiedenen Rechtsordnungen. Ihre Einführung und Ausgestaltung im jeweiligen Rechtssystem ist durch die Strukturen des nationalen Rechtssystems bedingt. Die Anpassung der traditionellen Systematik erscheint somit von großem Interesse, weil sie das bessere Verständnis ihrer Funktionen ermöglicht.
dom of Information, The Law - the Practice and the Ideal, London, Dublin, Edinburgh 1988; Hans Reschke , Kann die öffentliche Verwaltung öffentlich verwalten?, AfK 1971, S. 1 ff; Klaus Grünning, Auskunftsansprüche des Bürgers - Auskunftspflichten in der freien Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung, VR 1991, S. 8 ff. 25 Dazu Guy Braibant, Droits vis-à-vis de l'administration, in: Cassese/ Chapham/Weiler (Hrsg.), Human Rights and the European Community, S. 427 ff. 26 Vgl. für die Schweiz Art. 7 des Verfassungsentwurfs der Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung (1977), der im Rahmen des Kapitels über die allgemeinen Grundsätze staatlichen Handelns vorsieht, daß "[d]ie Behörden [] über ihre Tätigkeit ausreichend informieren und Auskunft erteilen [müssen], wenn nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen". 27 S. in allgemeinen Meinhard Schröder, Staatstheoretische Aspekte einer Aktenöffentlichkeit im Verwaltungsbereich, Die Verwaltung 1971, S. 301 ff (301).
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6. Besondere Bedeutung der Akteneinsichtsrechte Die Gewährung von Akteneinsichtsrechten ist die radikalste Maßnahme, die bei der Öffnung der Verwaltung für die Öffentlichkeit benutzt wird 2 8 . Der Grund ist, daß dabei eine dogmatische Neubearbeitung der Verwaltung als Informationssystem erforderlich ist. Der Verzicht auf Geheimhaltung bedeutet eine Rekonstruktion der Verhältnisse innerhalb des Verwaltungsapparats und nach außen. Im Innenrecht bedeutet dies die Ausgestaltung eines Verfahrens zur Feststellung der Geheimhaltungsbedürftigkeit einiger Vorhaben oder Dokumente. Dabei kann man von dem Entstehen einer Geheimhaltungserklärungsgewalt der Regierung sprechen, die aus ihrer politischen und verfassungsrechtlichen Legitimation hervorgeht und auf das hierarchische Prinzip gestützt werden kann. Nach außen ist die Verweigerung der Akteneinsicht an das Vorliegen entgegenstehender schutzwürdiger öffentlicher Interessen gebunden. Solche Interessen sind die Erhaltung der äußeren Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes, der inneren Sicherheit und der Funktionsfahigkeit der Behörden sowie sonstige Fälle, in denen die vorzeitige Bekanntgabe der Informationen zu schwerwiegenden Schäden des öffentlichen Interesses führen könnte. Dazu kommen schutzwürdige private Interessen wie der Schutz der Privatsphäre, der Schutz des Rechts am eigenen Bild und der Schutz der Ehre. Eine Analyse dieser Interessen zeigt, daß die Geheimhaltung in diesen Fällen in der Verfassung verankert ist, nämlich in der Bewahrung der Verfassungsfunktionen 29 und in den Grundrechten. Die Beschränkung der Akteneinsicht wird damit durch ein Interesse mit Verfassungsrang legitimiert. Dieses Interesse muß aber tatsächlich vorliegen und nicht einfach hypothetisch möglich sein können 30 . Das Interesse muß deshalb vorrangig durch Gesetz bestimmt werden 31 . Die Begründung des Akteneinsichtsausschlusses ergibt sich damit aus dem Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Pflicht
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Vgl. Schröder, Staatstheoretische Aspekte einer Aktenöffentlichkeit, S. 304 ff. Z.B. Wahrung der Verfassungsform, der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung
usw. 30
Vgl. Barile , Democrazia e Segreto, 30. Vgl. hier z.B. § 29 II VwVfG. Vgl. auch Art. 12 des italienischen Gesetzes 801/77, wonach unter Geheimhaltung Akten, Dokumenten und Notizen stehen, die durch ihre Verbreitung die Verteidigung der demokratischen Institutionen, die internationalen Beziehungen, die Funktionen der staatlichen Organe, sowie die Unabhängigkeit und Gebietsintegrität des Staates gefährden könnten. Diese Vorschrift fügt etwas Selbstverständliches hinzu: Tätigkeiten von staatlicher Organen gegen die verfassungsrechtliche Grundordnung dürfen nicht als Geheimhaltungsgrund im Sinne des Gesetzes fungieren. 31
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oder eines Interesses für die Verweigerung der Akteneinsicht. Die Verweigerung muß verhältnismäßig sein, Handeln oder Unterlassen gebieten32.
7. Ergebnis Aus verschiedenen Gründen ist die Verwaltung "gehalten", auf ihre Geheimhaltungspraxis zu verzichten, um ihre Steuerungskraft zu behalten. Diese Entwicklung scheint allgemein zu sein, sie wird aber in unterschiedlicher Dichte durch die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen durchgesetzt. Von den verschiedenen Instrumenten der Verwaltung enthalten die Akteneinsichtsrechte bei der Anpassung der dogmatischen Strukturen eine Paradigmabedeutung.
I I . Zur Methode Methodologische Grundlage der Arbeit ist die Rechtsvergleichung. Dies bedeutet, daß die strukturellen Merkmale der zur Untersuchung gewählten Rechtsordnungen in den Rechtsbereichen, die als Gegenstand der vorliegenden Arbeit fungieren, durch die Anwendung der rechtsvergleichenden Methode aufgearbeitet werden.
A. Die rechtsvergleichende Methode 1. Methodologische Vielfalt Unter dem Begriff der rechtsvergleichenden Methode sind verschiedene Methoden zusammengefaßt 33. Deskriptive und historische Ansätze, begrifflichdogmatische Annäherung der Materien, Anwendung von Typen, rechtlichfunktionale sowie sozial-funktionale Methoden stehen in einer Reihe von sich 32
S. G. Paolozziy La tutella processuale di segreto di stato, Milano 1983, S. 89 ff. In diesem Sinne auch Α. Anzon, Segreti di stato e constituzione, Giurisprudenza Constituzionale 1976, S. 1585 ff; ders. y Interrogation su riflessi sostanziali della nozione di segreto di stato individuata dalla Corte Constituzionale, Giurisprudenza Constituzionale 1977, S. 868 ff. Die italienische Lehre findet dabei einen positiv-rechtlichen Anhaltspunkt in Art. 521 und 54 der Italienischen Verfassung. 33 Zu den verschiedenen Methoden s. Hans-Joachim Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, Tübingen 1982, S. 67 ff, 84 ff. Dazu auch Frank Rotter, Dogmatische und soziologische Rechtsvergleichung - Eine methodologische Analyse für die Ostrechtsforschung, Osteuropa-Recht 16 (1970), S. 81 ff.
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korrigierenden und sich ändernden Teilen rechtsvergleichender Methodik. Dabei haben verwandte Rechtsdisziplinen, wie die Rechtsgeschichte und die Rechtssoziologie, erhebliche Bedeutung. Die Methodenvielfalt sichert den Erfolg der rechtsvergleichenden Arbeit. Dies ist bislang in der zivilrechtlichen Rechtsvergleichung, die meistens die rechtlich-funktionale Methode anwendet, nicht deutlich gemacht worden 34 . Der Grund kann aus der Materie des Zivilrechts abgeleitet werden, für die leicht funktionale Äquivalente gefunden werden können, da sie zur Struktur der anderen Privatrechtsordnungen Ähnlichkeiten aufweist. Für das öffentliche Recht ist es erforderlich, die verschiedenen erwähnten methodischen Ansätze parallel anzuwenden, um zu einem vollständigen rechtsvergleichenden Ergebnis zu kommen. Die Wahl der Methode ist nach den Zielen der jeweiligen Untersuchung zu bestimmen35. Vielleicht ist es daher treffender, wenn man von rechtsvergleichender Methodik spricht. Diese Methodik muß an den Strukturen der Rechtsordnungen im Bereich des öffentlichen Rechts orientiert werden 36 .
2. Die Durchführung
der Rechtsvergleichung
Eine rechtsvergleichende Untersuchung gliedert sich nach klassischer Vorstellung in vier Stufen 37: Die Grundlage der Untersuchung bildet der eigene dogmatische und rechtspolitische Standpunkt. Es folgt die exegetische Arbeit am ausländischen Recht. Die dritte Phase bildet die systematische Ordnung und Darstellung des Materials (Rechtsvergleichung), um danach die rechtspolitische
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Zur Methode der Rechtsvergleichung im Privatrecht s. Konrad Zweigert/Hein Kotz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, Tübingen 1984, S. 31 ff mwN, die sich für die funktionale Vergleichung bei konkreten Sachproblemen des Privatrechts aussprechen. Zu den Fragen der funktionalen Untersuchungsmethode s. Hanns Ebert, Rechtsvergleichung, Bern 1978, S. 26 ff. Zur Kritik der funktionalen Rechtsvergleichung s. Jerome Hall, Comparative Law and Social Theory, Binghamton, New York 1963, S. 104 ff. 35 Zutreffend Jef van Langendonck, Probleme und Problemlösungen des wissenschaftlichen Sozialrechtsvergleichs, in: Hans f. Zacher (Hrsg.), Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, Berlin 1977, S. 76 ff (79). 36 Zu Begriff und Bedeutung der Struktur für das Studium des öffentlichen Rechts s. Dieter Jesch, Gesetz und Verwaltung, Tübingen 1961, S. 67 ff. Über die strukturelle Analyse der Rechtsinstitute s. Vittorio Denti , Diritto comparato e scienza del processo, in: L'apporto della comparazione, S. 199 ff (209 ff). 37 Jescheck, Entwicklung, Aufgaben und Methoden der Strafrechtsvergleichung, S. 40 ff.
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Bewertung erfolgen zu lassen. Die zweite und dritte Stufe des rechtsvergleichenden Vorhabens sind an einige besondere Regeln gebunden38. Die exegetische Stufe der Rechtsvergleichung kann abstrakt in zwei Phasen gegliedert werden. Die erste Unterphase ist dem ausländischen Recht gewidmet. Die ausländische Rechtsordnung soll realistisch nach ihren Methoden und anhand der Originalrechtsquellen in ihrer Komplexität und Gesamtheit nach ihrer jeweiligen Hierarchie untersucht werden. Die zweite Unterphase widmet sich dem Verständnis des gesammelten Materials. Hier kommen äußere nichtrechtliche (politische, wirtschaftliche, weltanschauliche, religiöse, geschichtliche) Aspekte zum Zuge. Die Bewertung der rechtsvergleichenden Erkenntnisse ist an die Ziele der Rechtsvergleichung gebunden39. Nach den von ihr verfolgten Zielen kann beim Begriff der Rechtsvergleichung zwischen deskriptiver Rechtsvergleichung, d.h. Rechtsvergleichung zwischen Rechtsordnungen ohne praktische oder theoretische Zwecke, angewandter Rechtsvergleichung, d.h. Rechtsvergleichung mit dem Zweck, nach einem analytischen Prozeß praktische Erkenntnisse zu gewin38
Eine ausführliche Analyse der Regeln der Rechtsvergleichung geben LéontinJean Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 2, Köln, Berlin, Bonn, München 1972, S. 137 ff; René Rodière , Introduction au droit comparé, Paris 1979, S. 137 ff. Vgl. zur Methodik der Rechtsvergleichung nach der (Vier-) Stufenlehre auch Eberl, Rechtsvergleichung, S. 140 ff. 39 Dazu Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 2, S. 331 ff, 371 ff, der eine große Reihe theoretischer und praktischer Werte rechtsvergleichender Erkenntnisse aufführt. Zu den praktischen Funktionen der Rechtsvergleichung s. ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 14 ff. Dazu auch W. J. Kamba, Comparative Law: A Theoretical Framework, International and Comparative Law Quarterly 23 (1974), S. 485 ff (489 ff); Myres S. McDougal, The Comparative Study of Law for Policy Purposes, AJCL 1 (1952), 24 ff; R. H. Graveson, Philosophy and Function in Comparative Law, International and Comparative Law Quarterly 7 (1958), S. 649 ff; Hessel E. Yntemma, Comparative Law and Humanism, AJCL 7 (1958), S. 493 ff; Otto Kahn-Freund, On Uses and Misuses of Comparative Law, Modem Law Review 37 (1974), S. 1 ff; Eric Stein , Uses, Misuses - and Nonuses of comparative law, Northwestern University Law Review 72 (1977), S. 198 ff, jeweils mwN aus dem angelsächsischen Schrifttum. Zu Aufgaben und Leistungen der Rechtsvergleichung des weiteren Ebert, Rechtsvergleichung, S. 172 ff; Adolf Schnitzer, Die Aufgabe der Rechtsvergleichung, ZfRV 14 (1973), S. 186 ff. Grundlegend ist der Aufsatz von Emst Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1967, Bd. 3, S. 1 ff = Konrad Zweigeri/Hans-Jürgen Puttfranken (Hrsg.), Rechtsvergleichung, Darmstadt 1978, S. 85 ff, der aus einer mikrovergleichenden Sicht argumentiert. S. auch Hans Dölle, Der Beitrag der Rechtsvergleichung zum deutschen Recht, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des deutschen Juristentages, Karlsruhe 1960, Bd. 2, S. 19 ff; Ulrich Drobnig, The Use of Foreign Law by German Courts, in: Erik Jayme (Hrsg.), German National Reports for the XIVth Congress of Comparative Law in Athens 1994, Heidelberg 1994, S. 5 ff.
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nen, und abstrakter Rechtsvergleichung, d.h. Rechtsvergleichung auf rein abstrakter Ebene, unterschieden werden 40 . Für den Prozeß der Rechtsgewinnung kommt insbesondere41 die angewandte Rechtsvergleichung in Betracht. Für das öffentliche Recht 42 ist die Rechtsvergleichung außerhalb der rechtspolitischen Zwecke 43 bei der Gewinnung und Auslegung von Normen des internationalen Rechts44 sowie bei der Staatslehre 45 von Bedeutung. Im Hinblick auf die Auslegung der Normen des nationalen Rechts mit Hilfe rechtsvergleichender Befunde 46 ist festzustellen, daß die "Rechtsvergleichung zuerst eine Erkenntnismethode der Rechtswissenschaft ist und nicht ein Weg der konkreten Rechtsfindung" 47. Diese Feststellung wird jedoch im Hinblick auf
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Gutteridge, Comparative Law, 2. Aufl., Cambridge 1949, S. 8 ff. Vgl. Filippo Ranieri , Cenni sull'esperienza della civilistica tedesca di questo secolo, in: L'apporto della comparazione, S. 31 ff. 42 Dazu zusammenfassend Thomas Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Vergleich, Baden-Baden 1992, S. 27 ff. 43 Vgl. Norman S. Marsh , Quelques réflexions pratiques sur l'usage de la technique comparative dans la réforme du droit national, RIDC 1970, S. 81 ff. 44 W. Butler , International law in comparative perspective, Alphen 1980; Rudolf Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 446 ff; Rolf Serick, Über den Wert der Rechtsvergleichung im Völkerrecht, in: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, Heidelberg 1967, Bd. 1, S. 215 ff = Buts et méthodes du droit comparé, Padova, New York 1973, S. 633 ff; Alexandre Charles Kiss , Droit comparé et droit international public, RIDC 1972, S. 5 ff; Kay Hailbronner, Ziele und Methoden völkerrechtlich relevanter Rechtsvergleichung, ZaöRV 1976, S. 190 ff; Ignaz Seidl-Hohenveldern, Rechtsvergleichung und internationaler Umweltschutz, ZfRV 17 (1976), S. 254 ff. Zur Leistung der Rechtsvergleichung bei der Schaffung des europäischen Verwaltungsrechts s. Jürgen Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Baden-Baden 1988, Bd. 1, S. 90 ff. S. zum Europarecht auch Lionel Neville Brown, Comparative Law and the Court of Justice of the European Communities, Cambrian Law Review 1976, S. 65 ff; Anna Bredima, Comparative Law in the Court of Justice of the European Communities, Yearbook of World Affairs 1978, S. 320 ff; Albert Bleckmann, Die Rolle der Rechtsvergleichung in den Europäischen Gemeinschaften, ZvglRW 1976, S. 106 ff; Yves Galmot, Réflexions sur le recours au droit comparé par la Cour de Justice des Communautés européennes, RFDA 1990, S. 255 ff. 41
45 Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht auf dem Gebiet der Staatslehre s. Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, Heidelberg 1991, S. 9 ff. 46 S. zur Auslegung nationaler Normen ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 19 ff. 47 ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 52.
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die Rezeptionsfälle 48 und die Gewinnung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch die Rechtsvergleichung 49 verwässert 50. Hier geht es um eine mittelbare Rechtsgewinnung im Rahmen eines rechtsvergleichenden Prozesses. Die Rechtsgewinnung vollzieht sich mittelbar, weil sie nur dort zulässig ist, wo strukturelle Zusammenhänge bestehen, die einen solchen Prozeß zulassen51. Die Rechtsvergleichung kann dagegen unmittelbar als Auslegungsmethode in Betracht gezogen werden, wenn es um die Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts geht 52 .
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Im griechischen Recht stellt die Rechtsvergleichung mit ihrer ursprünglichen Funktion von rezipierten Rechtsinstituten eine leistungsreiche Aufgabe dar. Dies ist sehr oft von der Lehre ausdrücklich festgestellt worden. So stellte die griechische Staatsrechtslehre vor der Verfassung von 1975 das nur in Verfassungsgewohnheit begründete Prinzip der parlamentarischen Regierungsform, auf der Grundlage des englischen Parlamentarismus als "mittelbarer" Rechtsquelle des Staatsrechts dar. Zur Rezeptionsproblematik s. Imre Zajtay, La réception des droits étrangers et le droit comparé, RIDC 1957, S. 686 ff; ders. y Zum Begriff der Gesamtrezeption fremden Rechts, in: ders., Beiträge zur Rechtsvergleichung, Tübingen 1976, S. 94 ff; Manfred Rehbinder, Die Rezeption fremden Rechts in soziologischer Sicht, in: ders./Ju-Chan Sonn (Hrsg.), Zur Rezeption des deutschen Rechts in Korea, Baden-Baden 1990, S. 5 ff. 49 Hierbei sollten nicht allein die allgemeinen Rechtsgrundsätze des europäischen Rechts in Frage kommen. Auch Normen des nationalen Rechts gehören dazu. So ist z.B. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vom französischen Staatsrat unter dem Einfluß der Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts entwickelt worden. S. Maxime Letourneur, L'influence du droit comparé sur la jurisprudence du Conseil d'État français, in: Livre du centenaire de la société de législation comparé, Bd. 1 Les apports du droit comparé en droit public français, Paris 1969, S. 211 ff. Das Bundesgericht war in seiner Rechtsprechung von den Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts beeinflußt worden. Ähnliche schweizerische Einflüsse auf das französische Recht können wahrscheinlich auch bei der Rechtsprechung zu den Verteidigungsrechten (droits de la défense) festgestellt werden. Der griechische Staatsrat wurde sehr oft von der Rechtsprechung des französischen Staatsrats sowie des Bundesverfassungsgerichts beeinflußt. Zu diesem Phänomen der Imitation durch rechtsvergleichende Untersuchungen s. Jean Rivero y Les phénomènes d'imitation des modèles étrangers en droit administratif, in: Miscallenea Ganshof van der Meersch, Bruxelles 1972, S. 925 ff. Vgl. auch Lorenz , Rechtsvergleichung als Methode zur Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze des Rechts, JZ 1962, S. 269 ff. 50 Zu den Funktionen der Rechtsvergleichung als Ergänzung der Argumentation vgl. Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Vergleich, S. 29 f. 51 So weist beispielsweise das Prinzip der gerichtlichen Anhörung (Art. 103 I GG) derartige Ähnlichkeiten mit den Lösungen anderer Rechtsordnungen (due process of law) auf, daß das deutsche Recht wahrscheinlich von diesen inspiriert worden ist. 52 Gegen solche Fälle sind die nationalen Verwaltungen der einzelnen EG-Staaten aufgrund des europäischen Integrationsprozesses immer weniger immun. Die Überprüfung ausländischer Verwaltungsakte im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit stellt eines der denkbaren Beispiele dar. Vgl. auch Thomas Groß, Die administrative Foderalisierung der EG, JZ 1994, S. 596 ff.
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Im allgemeinen scheint es, daß die Grenzen zwischen Rechtsvergleichung und Rechtsauslegung in Wirklichkeit fließend sind. Eines der Probleme ist, daß dieser Prozeß sich nicht immer methodologisch klar vollzieht. Es ist zu bedenken, daß solche wechselnden "Einflüsse" durch die Rechtsordnungen im Zusammenhang mit einem wertenden, eklektischen Prozeß stehen und eine unterdrückte Tendenz zur Ableitung universaler Rechtsprinzipien verdecken 53.
B. Besonderheiten der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht Neben den generellen Schwierigkeiten, die die Anwendung der rechtsvergleichenden Methode bereitet, entstehen im öffentlichen Recht eine Reihe von Sonderproblemen, die bei der Durchführung der Rechtsvergleichung beachtet und bewältigt werden müssen.
7. Das Problem der Staatlichkeit als grundsätzliches strukturelles Problem der öffentlich-rechtlichen Rechtsvergleichung Die Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht beschäftigt sich mit dem Problem der öffentlichen Gewalt, ihrer Struktur und ihrer Beziehungen zum einzelnen. Auf diese Weise stößt die Rechtsvergleichung auf die Frage, wie dieses Phänomen der Macht in dem jeweiligen Land juristisch erfaßt wird. Die Schwierigkeiten sind dabei zahlreiche, da es sich um die juristische Formulierung eines prinzipiellen, metajuristischen Problems handelt. Die konkrete geschichtliche Entwicklung sowie die politische Philosophie jedes Landes haben eine bestimmte Art des Denkens über das Phänomen der Macht und das Gemeinwesen geschaffen. Im kontinentalen Europa wird die Diskussion grundsätzlich vor dem Hintergrund des Begriffs des Staates (État, Stato) geführt. Der Begriff Staat ist historisch geprägt, was nicht immer bewußt wird, und spiegelt konkrete politische Anforderungen der verschiedenen Epochen wider. Dies hat zur Nebenfolge, daß die "Staatlichkeit" eine differenzierte Dichte im jeweiligen europäischen Staat hat. Besonderen Erfolg hatte die Staatsidee in Frankreich, die aus einer bereits im hohen Mittelalter entstandenen Tradition 53
Zur Bedeutung universaler Rechtsprinzipien als Basis der Funktionsvergleichung der Rechtsinstitutionen s. Josef Esser, Grundsatz und Norm in derrichterlichen Fortbildung des Privatrechts, Tübingen 1956, S. 346 ff. Vgl. auch Giorgio Del Vecchio , Les bases du droit comparé et les principes généraux du droit, RIDC 1960, S. 493 ff.
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der Staatlichkeit durch die Verschmelzung mit demokratischen bzw. republikanischen Ideologieströmungen zum Vorbild der Staat-Nation geworden ist 54 . Der Begriff des Staates wird damit von Vorverständnissen begleitet, die unter Umständen eine besondere Bedeutung bei der Rechtsvergleichung der verschiedenen kontinentalen Rechtssysteme spielen kann, eine entscheidende Rolle aber bei der Rechtsvergleichung zwischen kontinentalen und angloamerikanischen Rechtssystemen spielt. In England fehlt der Bruch zwischen Mittelalter und Neuzeit. Es ist zu Recht betont worden, daß in "Großbritannien bis heute die spezifischen Merkmale eines neuzeitlichen kontinentalen Staates fehlen" 55 . Die Entwicklung zum Verwaltungsstaat und die zunehmende Bedeutung des bürokratischen Apparates hat nichts am englischen "StaatsVerständnis" geändert, mit dem Ergebnis, daß das englische Gemeinwesen sich nicht als "juristische Person", sondern als "Communitas" versteht. Damit wird aber die Verknüpfung des Staates mit dem Willensmoment abgelehnt, was zu konzeptionellen Unterschieden zu den anderen europäischen Ländern im Bereich der Staatsorganisation und der Formen des staatlichen Handelns führt. Die Unterschiede reichen aber von der begrifflichen Ebene eines Staatsverständnisses bis zur Bildung einer Staatskultur. Diese kann sich teilweise verselbständigen, was besonders in dem Unterschied zwischen Großbritannien und den kontinentalen europäischen Staaten in bezug auf die Staatlichkeit zum Ausdruck kommt und die Bereitschaft der letzteren, den Begriff des Staates in der jeweils aktuellen politischen Debatte aufzunehmen. Es ist charakteristisch, daß der Begriff des "Staates" in der politischen Sprache Englands negativ besetzt ist 56 . Andererseits gilt in Frankreich der Staat als Schlüsselbegriff in der politischen Diskussion, was ein Erbe des Absolutismus wie des Jakobinismus ist. Die Probleme, die die konkrete Form des Verständnisses des Gemeinwesens der Rechtsvergleichung bereitet, spiegeln sich in der Bemühung wider, die rechtsvergleichende Methode im öffentlichen Recht in Verbindung mit einer systembezogenen Makro-Vergleichung durchzuführen.
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Vgl. z.B. die Gliederung in Jacques Bourdon! Jean-Marie PontierfJean-Claude Ricci, Droit constitutionnel et institutions politiques, Paris 1980. 55 Otto Brunner, Land und Herrschaft, 5. Aufl., Wien 1965 (Neudr. Darmstadt 1990), S. 146. 56 H. S. Jones, The French State in Question, Cambridge 1993, S. 8 f. Die Engländer benutzen viel lieber den Begriff "Government". Auch der große englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes spricht von "Commonwealth" statt "State".
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2. Parameter der Rechtsvergleichung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht Es ist ein allgemeiner Topos 57 , daß die Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht 58 auf besondere Schwierigkeiten trifft. Vorliegend soll ein Ansatz zur Lösung dieses Problems versucht werden 59 . 57 Die Problematik der öffentlich-rechtliche Vergleichung betont beispielsweise Gutteridge, Comparative Law, 2. Aufl., Cambridge 1949, S. 29, der auf die Bedeutung psychologischer, sozialer, wirtschaftlicher und traditionsbezogener Elemente hinweist. Dazu auch Hans Albrecht Schwarz-Liebermann von Wahlendorf\ Droit comparé, Théorie générale et principes, Paris 1978, S. 66 ff. 58 Dazu Helmut Strebel, Vergleichung und vergleichende Methode im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 404 ff; Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 432 ff; Hans-Werner Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltunsgsvollzug des europäischen Gemeinschaftsrechts, Köln, Berlin, Bonn, München 1977, S. 71 f; Alessandro Pizzorusso, La comparazione giuridica e il diritto pubblico, in: L'apporto della comparazione, S. 59 ff; Gustavo Zagrabelsky , Considerazioni negli studi di diritto constituzionale comparato, in: L'apporto della comparazione, S. 83 ff; Giorgio Lombardi , Premesse al corso di diritto pubblico comparato: problemi e metodo, Milano 1986. Rudolf Streinz , Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Baden-Baden 1989, S. 367 ff; Joon-Hyung Hong, Die Klage zur Durchsetzung von Vornahmepflichten der Verwaltung, Berlin 1992, S. 26 ff; Hartmut Krüger, Rechtsvergleichung im Wissenschaftsrecht, WissR-Beiheft 9 (1992), S. S. 6 ff. Vgl. auch Hans f. Zacher, Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich, in: derselbe (Hrsg.), Sozialrechtsvergleich im Bezugsrahmen internationalen und supranationalen Rechts, S. 9 ff = derselbe, Abhandlungen zum Sozialrecht, Heidelberg 1993, S. 376 ff. 59 Aus dem Bereich der verfassungsrechtlichen Komparatistik József Szabó, Comparative Constitutional Law: Its Possibility and Limits, ÖZöRV 21 (1971), S. 133 ff; Herbert Krüger, Stand und Selbst Verständnis der Verfassungsrechtsvergleichung heute, Verfassung und Recht in Übersee 5 (1972), S. 5 ff; derselbe, Zur Einführung: Überseeische Verfassungsvergleichung, JuS 1976, S. 213 ff; Fritz Münch, Einführung in die Verfassungsvergleichung, ZaöRV 1973, S. 126 ff; ; Rudolf Bernhardt, Probleme eines Grundrechtskatalogs für die Europäischen Gemeinschaften, EG-Bulletin 5/76, S. 19 ff; Henning von Wedel, Staatszielbestimmungen als Mittel der Verfassungsvergleichung, Verfassung und Recht in Übersee 10 (1977), S. 79 ff; Giuseppe De Vergottini, Diritto constituzionale comparato, 3. Aufl., Padova 1991. Zum Verwaltungsrecht s. Roman Schnur, Über vergleichende Verwaltungsrechtswissenschaft, VerwArch 1961, S. 1 ff; J. Starosciak!J. Le tow ski, La méthode comparative dans les recherches de droit administratif, RIDC 1973, S. 158 ff; J. B. Ojwang , The Application of the Comparative Method in the Domain of Public Law: Some Reflections, Revue du droit international et des sciences diplomatiques et politiques 60 (1982), S. 199 ff; Sabino Cassese, Lo studio comparato del diritto amministrativo in Italia, Rivista Trimestrale di Diritto Pubblicco 1989, S. 678 ff. Dazu auch Hermann-Wilfried Bayer , Die Rechtsvergleichung - eine Terra incognita des deutschen Steuerrechts, in: Festschrift für Otto Bachof, München 1984, S. 245 ff; Η. Β. Jacobini, An Introduction to Comparative Administrative Law,
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a) Systembezogene Hindernisse Eine erste allgemeine Bemerkung betrifft die Unterscheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht. Die Rechtsvergleichung verhält sich ihr gegenüber neutral 60 . In den folgenden Ausführungen wird der Begriff des öffentlichen Rechts funktional als das Recht der öffentlichen Gewalt verstanden. Eine zusätzliche allgemeine Bemerkung betrifft den Zusammenhang zwischen Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht bei der Anwendung der rechtsvergleichenden Methode. Obwohl die Unterscheidung oft sehr schwierig ist, sind für die Rechtsvergleichung die verschiedenen Kasuistiken, Trennungslinien und traditionellen didaktischen Themen problematisch, weil sie vom Gegenstand der Vergleichung ablenken. Parallel zum funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden Rechtsdisziplinen führt die Trennung zu einer solchen Höhe der Integration und Interaktion, daß die Analyse ohne die ständige Berufung auf beide nicht vollständig durchgeführt werden kann. Die zentralen Materien des Verwaltungsrechts können nur vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts und der Grundrechte, die dieses Rechtssystem gewährleistet, verstanden werden. b) Die Bedeutung außerrechtlicher Strukturfaktoren Eine besondere Eigenart der Rechtsvergleichung im Bereich des öffentlichen Rechts allgemein stellt das Gewicht außerrechtlicher Faktoren dar 61 . Die konkrete soziale Ausgestaltung einer Gesellschaft nach ihren volks- und schichtspezifischen, religiösen und sprachlichen Bevölkerungsgruppen ist nur eines der politisch-faktischen 62 Momente, die bei der Durchführung der Rechtsvergleichung mitberücksichtigt werden müssen63. aa) Die Rechtsordnungen sind ohne rechtsgeschichtliche Erkenntnisse nur sehr schwer verständlich 64. Aber bei der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht gewinnt die Rechtsgeschichte erst ihre volle Bedeutung. Die RechtsinstiNew York, London, Rome 1991; Marco d'Alberti , Diritto amministrativo comparato, Bologna 1992. Über die Leistungen des vergleichenden Verwaltungsrechts s. Nils Herlitz, L'étude du droit administratif comparé, RISA 18 (1952), S. 796 ff. 60 Vgl. Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung, S. 432. 61 Vgl. Krüger, Rechtsvergleichung im Wissenschaftsrecht, S. 12. 62 Dazu Strebel, Vergleichung und vergleichende Methode im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 415 ff. 63 Krüger, Rechtsvergleichung im Wissenschaftsrecht, S. 13. 64 Zur Beziehung zwischen Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung s. Zweigert/KötZy Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 9 f. Aus der Sicht der Rechtsgeschichte Mario Bretone , Geschichte des römischen Rechts, München 1992, S. 29 ff.
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tute des öffentlichen Rechts sind wegen der sich ändernden und entwickelnden Rolle des Staates von historischen Parametern geprägt 65. "Es ist namentlich der verschiedene Zeitpunkt und die verschiedene Bedeutung von Absolutismus und Revolution, welche der englischen, französischen und deutschen Lösung der Probleme den ihr eigentümlichen Stempel aufgedrückt haben" 66 . Dies ist besonders für die rechtsvergleichende Untersuchung des Verwaltungsrechts wichtig. "Nur eine historische Orientierung kann den Weg durch die vielen verschlungenen, durch keine Kodifikation rationalisierten Pfade unseres Verwaltungsrechts weisen" 67 . Der Begriff der Verwaltung oder das Verständnis der Formen des Verwaltungshandelns sind selbst durch die Geschichte geprägt 68. Ein Beispiel dafür stellen die "Zwillings-"Begriffe "Verwaltungsakt"-"acte administratif' dar. Der französische Begriff des "acte administratif' ist viel weiter gefaßt als der deutsche "Verwaltungsakt", der die nicht-normativen Akte der Verwaltung erfaßt 69. Da der Begriff des Verwaltungsakts von Otto Mayer nach französischem Vorbild konzipiert worden ist, wird dieser strukturelle Unterschied zwischen den beiden Rechtsordnungen nur rechtsgeschichtlich erklärbar. So ist zu bedenken, daß die deutsche Formenlehre in einer Zeit entwickelt wurde, in der der französische Staatsrat die Anfechtungsklage (recours pour excès du pouvoir) gegen Rechtsverordnungen als unbegründet zurückwies 70. Die Wandlung der Recht65
Zutreffend Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Vergleich, S. 26: "Im öffentlichen Recht spielt insbesondere das historisch gewachsene Staatsverständnis des jeweiligen Landes eine große Rolle". 66 Erich Kaufmann, Verwaltung, Verwaltungsrecht, in: Karl Freiherr von Stengel!Max Fleischmann (Hrsg.), Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, Bd. 3, Tübingen 1914, S. 688 ff = derselbe, Gesammelte Schriften, Bd. 1: Autorität und Freiheit, Göttingen 1960, S. 75 ff (77). 67 Kaufmann, Verwaltung, Verwaltungsrecht, S. 77. 68 Vgl. dazu Wulf Damkowski, Die Entstehung des Verwaltungsbegriffs, Eine Wortstudie, Köln, Berlin, Bonn, München 1969, sowie die Bemerkungen von Thomas Ellwein, Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit, Bd. 1, Oplanden 1993, S. 21 ff. Zur Bedeutung der Lehren des Gemeinrechts für die Entwicklung des Verwaltungsrechts s. Antonio M. Hespanha, Représentation dogmatique et projets de pouvoir, Les outils conceptuels des juristes du jus commune dans le domaine de Γ administration, in: Erk Volkmar Heyen (Hrsg.), Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Régime, Frankfurt a.M. 1984, S. 3 ff. 69 Vgl. dazu Carolin Junker, Der Verwaltungsakt im deutschen und französischem Recht und die Entscheidung im Recht der Europäischen Gemeinschaften, Diss. Münster 1990. 70 CE 20. 12. 1872, Fresneau, Ree. 747. Diese Rechtsprechung wurde damit begründet, daß die normativen Akte der Verwaltung als Gesetze zu betrachten seien und deshalb nicht der Jurisdiktion des Staatsrates unterlägen. Anders die Rechtsprechung des Kompetenzhofes (Tribunal des Conflits) und des Kassationshofes. S. TC 13. 5. 1872, Brac de la Perrière, Ree. 299; Cass. civ. 26. 7. 1905, RDP 1905, 74
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sprechung des Staatsrates erfolgte erst später 71 und wurde in Deutschland nicht rezipiert. bb) Für die Vergleichung im öffentlichen Recht spielen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Rechtsordnung eine große Rolle. Der Zusammenhang zwischen Recht und Wirtschaft kann aber nicht als spiegelbildliches Verhältnis verstanden werden 72 . Das Recht verfügt über eine (relative) Autonomie. Dies hat bereits Max Weber betont. "Eine Rechtsordnung kann unter Umständen unverändert bestehen bleiben, obwohl sich die Wirtschaftsbeziehungen radikal ändern", oder Rechtsordnungen entwickeln sich, "ohne daß Wirtschaftsbeziehungen dadurch in erheblichem Maß berührt werden" 73 . Der wirtschaftliche Rahmen der Rechtsordnung kann eine besondere Bedeutung beim Verständnis des ausländischen öffentlichen Rechts haben. Hier geht es nicht allein um die Strukturen des staatlichen Interventionismus, aber er hilft auch bei der richtigen Beurteilung und Bewertung der Rechtsinstitute. cc) Ihrer Natur und ihrem Inhalt nach sind das Verfassungs- und Verwaltungsrecht nur auf dem Hintergrund der politischen Theorien einer Gemeinschaft verständlich 74. Ähnliches kann auch für die Ideologien 75 sowie für kulturelle Elemente gesagt werden 76 . Da die Politik immer mit der Staatsrechtslehre
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CE 6. 12. 1907, Grandes Compagnies de chemin de fer, Ree. 913 = RDP 1908, 38, note Gaston Jèze = S. 1908.3, 1, conci. Tardieu, note Maurice Hauriou; CE 7. 7. 1911, Decugis, Ree. 797, conci. Blum. Die Wende in der Rechtsprechung geschah durch einen Paradigmenwechsel und die Betonung des administrativen Charakters des Delegationsnehmers. S. dazu Jean Delvolvé , Les "Délégations de matières" en droit public, Thèse Toulouse, Paris 1930, S. 64 ff; Heinrich Triepel , Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Stuttgart, Berlin 1942, S. 4 ff; Charles Eisenmann, Die Theorie von der "délégation législative" und die französische Rechtslehre, Zeitschrift für öffentliches Recht 11 (1931), S. 334 ff. 72 S. Bretone , Geschichte des römischen Rechts, S. 32. 73 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen 1985, S. 412. 74 Vgl. die Grundposition von Paul P. Craig in seiner Arbeit Public Law and Democracy in the United Kingdom and the United States of America, Oxford 1990, der dies für den angelsächsischen Rechtsbereich untersuchte. 75 Josef Esser, Vorverständnis und Methoden wähl in der Rechtsfindung, 1. Aufl., Frankfurt a.M. 1970, S. 12 meint zurecht, im Anschluß an Kriele, daß die jede Epoche begleitenden rechtspolitischen Wertungen und Entscheidungen über die Richtigkeit des Systems, obwohl sie außerhalb dieses liegen, für die Rationalität der Rechtsfindung miteinbezogen werden sollten. Vgl. auch Léontin-Jean Constantinesco, Ideologie als determinierendes Element zur Bildung der Rechtskreise, ZvglRW 1978, S. 161 ff; derselbe, Rechtsvergleichung, Bd. 3, Köln, Berlin, Bonn, München 1983, S. 327 ff. 76 Zur Bedeutung der kulturellen Elemente für die sonstigen Typen der Rechtsordnungen s. Helmut Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. Aufl., Berlin, New York 1993, S. 135 ff.
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verbunden war 77 , ist es für die Rechtsvergleichung eine besonders wichtige Aufgabe, auch den politischen Hintergrund der Institutionen und Rechtsinstitute mitzuberücksichtigen und auszuleuchten78. Damit kann in vielen Fällen das politisch weitaus neutralere Verwaltungsrecht nur vor dem politischen Hintergrund verstanden werden 79 . Ein Einfluß der politischen Philosophie und der Politik ist ebenfalls bei der Rechtsvergleichung der Rechtsdogmatik festzustellen. Sogar dogmatische Systeme, die politische Neutralität beanspruchen, sind politisch nicht immun und haben auch politische Funktionen 80 . c) Entschärfte Schwierigkeiten der Rechtsvergleichung Der Stand des öffentlichen Rechts als verhältnismäßig junge rechtswissenschaftliche Disziplin und ihre Materie ergeben die Schwierigkeiten der Durchführung einer rechtsvergleichenden Arbeit. Diese berühren drei bekannte Probleme der Rechtsvergleichung, nämlich die Sprach- und Begriffshindernisse, die unterschiedlichen dogmatischen Strukturen und das Problem der Rechtsquellen. aa) Die Sprache stellt ein bekanntes Problem bei der Rechtsvergleichung dar. Sie beeinflußt die Rechtsanwendung81 wie auch die Textauslegung und ist deshalb ein Parameter von besonderer Bedeutung für die Rechtsvergleichung 82. 77
Heinrich Triepel, Staatsrecht und Politik, Berlin, Leipzig 1927, S. 12 und passim. Zum Verhältnis zwischen Rechtswissenschaft und Politik im allgemeinen vgl. statt vieler Hans Peter Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., Studienausg., Kronberg/Ts. 1977, S. 35 ff mwN. 78 Vgl. Constantinesco y Rechtsvergleichung, Bd. 2, S. 267 ff. Die "politischen" Probleme, die hinter den Sachverhalten stehen und die Rechtsvergleichung erschweren, betont Bernhardt, Probleme eines Grundrechtskatalogs, S. 19 ff (27), wobei er auch auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Staatspraxis hinweist. 79 Krüger, Rechtsvergleichung im Wissenschaftsrecht, S. 10, unter Hinweis auf das Polizeirecht. 80 Über die politischen Funktionen der positivrechtlichen Methoden s. Walter Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1958, S. 129 ff; Peter von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, Frankfurt a.M. 1974. 81 Zu den sprachlichen Problemen, die mit der Anwendung juristischer Begriffe verbunden sind, s. Emmanuel Divier, La common law en français: Étude juridique et linguistique de la common law en français au Canada, RIDC 1991, S. 7 ff. 82 Zu den Sprachproblemen der Rechtsvergleichung s. Sevold Braga , Zur Methode der rechtsvergleichenden Arbeit, in: Rechtsvergleichung, Europarecht und Staatenintegration, Gedächtnisschrift Léontin-Jean Constantinesco, Köln, Berlin, Bonn, München 1983, S. 99 ff (100 ff), der für die Methoden der Übersetzungswissenschaft, beispielsweise das Prinzip der Äquivalenz, plädiert. Wie die Äquivalenz ohne vorherige rechtsvergleichende Untersuchung gefunden werden kann, bleibt jedoch unklar. Vgl. auch 4 Trantas
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Die Sprache bereitet zahlreiche Schwierigkeiten bei der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht. Im Privatrecht, wo sich die Rechtsbegriffe bereits in römischer Zeit herausgebildet hatten, ist die sprachliche Form des Rechts verhältnismäßig stabil. Wegen der gemeinsamen rechtshistorischen Prägung und Ähnlichkeit der Materie besteht eine grundsätzliche Affinität zwischen den Privatrechtsordnungen. Anders verhält es sich beim verhältnismäßig jungen öffentlichen Recht. Hier ist die Begriffsbildung jünger und viel autonomer. Die Begriffe des öffentlichen Rechts stammen aus verschiedenen Quellen, insbesondere aber vom Privatoder vom älteren Polizeirecht, und haben während ihrer Eingliederung ins öffentliche Recht in den verschiedenen Rechtsordnungen sehr oft semantische Unterschiede entwickelt. Klassische Beispiele auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts stellen die "Zwillings-Rechtsinstitute" acte administratif- Verwaltungsakt, contrat administratif- Verwaltungsvertrag, sowie "recours pour excès du pou voir"-Anfechtungsklage dar 83 . bb) Eines der größten Probleme einer rechtsvergleichenden Arbeit im Bereich des öffentlichen Rechts und insbesondere im Verwaltungsrecht ist, daß jedes nationale System der öffentlichen Verwaltung über einen eigenen konzeptionellen Rahmen verfügt, was dazu führt, daß die verschiedenen nationalen Typologien eng an die Besonderheiten der konkreten Rechtsordnungen gebunden erscheinen 84. Internationale Annäherungen und Lösungen der verschiedenen Probleme erhalten ihre eigene Dynamik, wenngleich die Systematik ihr Verwaltungsrechtssystem dialektisch mitprägt. Der Rechtsvergleicher muß zwischen Skylla und Charybdis entscheiden, d.h. zwischen einer oberflächlichen Vergleichung verschiedener Rechtsinstitute und einer globalen Vergleichung von Rechtssystemen, die aber von vornherein mit äußerst geringen normativen Gewinnen verbunden ist 85 .
Manfred Obermeier, Zur Begriffsautonomie in der Rechtsvergleichung, ARSP 48 (1962), S. 223 ff. 83 Vgl. dazu Georges Dupuisl Marie-José Guédon , Droit administratif, 3. Aufl., Paris 1991, S. 483 ff; Rudolf Schmidt, Die Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte (Le recours pour excès du pouvoir) im französischen Verwaltungsrecht, Diss. München 1966; Manfred Degen, Klageverfahren und Klagegründe im französischen Verwaltungsprozeß, Die Verwaltung 1981, S. 157 ff; Christian Rumpf \ Das "détournement de pouvoir" im "recours pour excès du pouvoir", JöR 1989, S. 217 ff; Schiette , Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten, S. 73 ff. 84 Dazu Christian Autexier, Landesbericht Frankreich, in: Christian Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Baden-Baden 1992, S. 129 ff (129). 85 Eine Lösung wäre die Beseitigung der verschiedenen nationalen Systematisierungen und der Rückgriff auf die Konstruktion neuer Kategorien, die die kognitive Vergleichung auf vielfältige Rechtsordnungen ermöglichen. So plädiert Autexier, Landesbericht
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Ein Beispiel für solche unterschiedlichen dogmatischen Denkmodi bildet der Begriff der Verwaltungstätigkeit als Gegenstand des Verwaltungsrechts in Frankreich und Deutschland86. In Frankreich wurden durch die Anerkennung und nachfolgende Erweiterung des Begriffs der öffentlichen Arbeiten (Travaux publics) und des öffentlichen Eigentums (Domaine public) ganze Bereiche staatlicher Tätigkeit den Normen des Verwaltungsrechts zugewiesen. In Deutschland wurden diese Begriffe dagegen nicht anerkannt mit dem Ergebnis, daß die entsprechende Materie privatrechtlich geregelt wird. Hierbei ist anzumerken, daß die Rechtsvergleichung die Rechtssysteme als etwas Vorgegebenes annimmt. Dies ist aus der Sicht der Rechtstheorie nicht selbstverständlich 87. Ähnliches gilt auch für den Begriff des Rechts 88 . Ein Beispiel hierfür stellt das Common Law dar. Common Law ist eine Form juristischen Denkens und juristischer Praxis. Es kann nicht als ein strukturiertes System gestaltet werden. Hieraus folgt, daß es nicht aus strikten Prinzipien abgeleitet wird. Jede Systematisierung birgt deshalb eine Gefahr in sich, da sie die dynamischen Elemente des Common Law verfehlt. Die Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht stößt auf eine zusätzliche Schwierigkeit die Rechtsdogmatik betreffend: die besondere Art von Rechtsdogmatik der einzelnen Länder 89 . Die allgemein herrschenden Denkschwellen beeinflussen überall die dogmatischen Arbeiten 90 . So ist beispielsweise die herkömmliche deutsche Dogmatik stärker als andere Rechtsordnungen von philoFrankreich, in: Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben, S. 129, für ein tertium comparationis als vergleichender Topos. Es ist aber fraglich, ob diese Aufgabe ohne einen Gesamtvergleich möglich ist und ob man an den Grenzen der Leistungsfähigkeit der Rechtsvergleichung steht. Zu den Fragen vgl. Mario Rotondi , Technique du droit, dogmatique et droit comparé, RIDC 1968, S. 5 ff = Buts et méthodes du droit comparé, Padova, New York 1973, S. 557 ff ; Konrad Zweigert, Rechtsvergleichung, System und Dogmatik, in: Festschrift für Eduard Bötticher, Berlin 1969, S. 443 ff. 86 Dazu Kaufmann, Verwaltung, Verwaltungsrecht, S. 109 ff, 114 ff, 123 ff. 87 Zur Beschäftigung H. L. A. Harts mit dieser Frage vgl. Michael Martin, The Legal Philosophy of H. L. A. Hart, Philadelpia 1987, S. 39 ff. 88 Zu Constantinescos Begriff des Rechts im Sinne der Rechtsvergleichung s. Fritz Schwind, Das Recht in der Rechts vergleichung, in: Rechts vergleichung, Europarecht und Staatenintegration, Gedächtnisschrift Léontin-Jean Constantinesco, Köln, Berlin, Bonn, München 1983, S. 689 ff. 89 Vgl. Hans Schulz, Strafrechtsvergleichung als Grundlagenforschung, in: HansHeinrich Jescheck (Hrsg.), Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kriminologie, Berlin 1980, S. 7 ff (17 ff). 90 Helmut Coing , Rechtsvergleichung und Rechtsanschauung, in: Buts et méthodes du droit comparé, Padova, New York 1973, S. 77 ff; Hans Albrecht Schwarz-Liebermann von Wahlendorf\ Méthode comparée et philosophie du droit, in: Buts et méthodes du droit comparé, S. 611 ff. Vgl. auch f. S. C. Northrop, The Comparative Philosophy of Comparative Law, Cornell Law Quarterly 45 (1959/60), S. 617 ff (649 ff) mwN.
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sophischen Systemen geprägt. Insbesondere im deutschen öffentlichen Recht spielt die Lehre Hegels eine große Rolle 91 . Andere Staaten besitzen einen viel pragmatischeren Zugang zum Recht und bemühen sich mehr um eine Verbindung mit den Erkenntnissen der Sozialwissenschaften. cc) Anders als im Zivilrecht steht beim öffentlichen Recht die Frage nach den Rechtsquellen im Mittelpunkt der Rechtsvergleichung 92. Die Kenntnis der Rechtsquellen führt nicht nur zur Ableitung der konkreten Rechtslage, sondern kann auch die Systemstrukturen erhellen. Das klassische Beispiel dabei ist das Verhältnis zwischen Richterrecht und Gesetzesrecht im Common Law.
C. Die Systembezogenheit der Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Als eine rechtswissenschaftliche Disziplin 93 ist die Rechtsvergleichung stark vom Systemgedanken geprägt 94. "Systematische Formung bedeutet mehr als nur Sammlung, Sichtung und Einteilung eines vorgegebenen Normen- und Entscheidungstatbestandes. Ihr geht es vielmehr vorrangig darum, unter Rückgriff auf allgemeine Rechtsgedanken und durchlaufende Wertungslinien aus der
91 Vgl. nur Ernst Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 366 f; Alfred Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, Berlin 1971, S. 123 ff; Ulrich Scheuner, Hegel und die deutsche Staatslehre des 19. und 20. Jahrhunderts, in: derselbe, Staatstheorie und Staatsrecht, Gesammelte Schriften, Berlin 1978, S. 81 ff; Michael Stolleis y Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, München 1992, S. 133 ff. Schon früher Triepel, Staatsrecht und Politik, Berlin, Leipzig 1927, S. 27. 92 Grundlegend dazu Jean Rivero , Réflexions sur les sources comparées des droits administratifs, in: Mélanges Michel Stassinopoulos, Athènes 1974, S. 135 ff. Vgl. auch Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, S. 432; Krüger, Rechtsvergleichung im Wissenschaftsrecht, S. 11. 93 Dazu Claus-Wilhelm Canaris , Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl., Berlin 1983, insbesondere S. 11 ff, 86 ff und passim; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest 1991, S. 437 ff, 474 ff. Vgl. auch zum Begriff des Systems in der Rechtswissenschaft s. Franz-Joseph Peine, Das Recht als System, Berlin 1983; derselbe, Systemgerechtigkeit, Baden-Baden 1985, S. 47 ff, 208 ff. Kritisch zum Systemdenken Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl., Berlin 1976, S. 97 ff. 94 Über die Bildung der Systematik in Rahmen der Rechtsvergleichung s. Konrad ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1,S. 49 ff.
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Vielzahl von Einzelregelungen Ordnungszusammenhänge und übergreifende Institute zu gewinnen" 95 . Die allgemeinen Steuerungsfunktionen des Systemdenkens erscheinen in der Rechtsvergleichung als notwendig. Sie spielen auf zwei Ebenen eine Rolle. Die Disziplin der Rechtsvergleichung hat die Aufgabe, rechtsvergleichende Aussagen zu systematisieren und aus der Fülle der Erkenntnisse konkrete Aussagen über die Strukturierung der Rechtsordnungen zu gewinnen. Andererseits ist der Systemgedanke eine conditio sine qua non für die Annäherung an die Materie des öffentlichen Rechts und die erfolgreiche Anwendung der rechtsvergleichenden Methode. Für das öffentliche Recht hat die Unterscheidung der Rechtsvergleichung in Mikro- und Makrovergleichung 96 eine besondere Bedeutung. Nur wenn die wesentlichen und prägenden Elemente des Rechtssystems ähnlich gestaltet sind, kann die Rechtsvergleichung fruchtbar sein. Unter Makrovergleichung versteht man die Vergleichung aufgrund der allgemein determinierten Elemente einer Rechtsordnung. Das öffentliche Recht kann seinem Wesen nach als Recht, das mit dem Machtphänomen verbunden ist und zum Teil "politisches" Recht 97 ist, nur in seiner Gesamtheit verstanden werden. Die Vergleichung im öffentlichen Recht kann nur vor dem Hintergrund einer Systemaffinität fruchtbar sein.
7. Rechtsvergleichung als Systematisierung Die Bedeutung des Systemdenkens für die Rechtsvergleichung ist schon seit den ersten vergleichenden Arbeiten ein fester Topos wissenschaftlicher Arbeit. Systemdenken bedeutet für die Rechtsvergleichung einen grundlegenden Weg zur Erklärung einer Masse von Materialien. Die Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts verfügt über eine Palette von Möglichkeiten der Annäherung an verschiedene Rechtsordnungen, von im nominalistischen Vergleich gleich benannten Rechtsinstituten bis hin zu dem Versuch eines Gesamtvergleichs 98. Der Systemgedanke bie95
Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Beitrag der Gerichte zur verwaltungsrechtlichen Systembildung, VB1BW 1988, S. 381 ff (381). 96 Zu der Unterscheidung s. Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 1, S. 262 ff; ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 5 f. 97 Zum Begriff Josef Isensee, Verfassungsrecht als "politisches Recht", in: Josef Isensee!?m\ Kirchhof\ Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, Heidelberg 1992, S. 103 ff. 98 Hans f. Zacher, Vorfragen zu den Methoden der Sozialrechts vergleichung, in: derselbe (Hrsg.), Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, S. 21 ff (37 β = derselbe, Abhandlungen zum Sozialrecht, Heidelberg 1993, S. 329 ff (342 f). Zacher
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tet die Möglichkeit, bei der Durchführung rechtsvergleichender Untersuchungen einen Mittelweg zu finden. Der Rechtsvergleicher geht von den bekannten Kategorien bisheriger rechtsvergleichender Systematisierungen aus. Seine Aufgabe ist es, aufgrund der bisherigen Erkenntnisse Feststellungen zu machen, Strukturen zu untersuchen und Zusammenhänge aufzudecken. Danach soll er die Ergebnisse im Hinblick auf die Systematik darstellen und bewerten. Der Begriff des Systems in der Rechtsvergleichung kann nicht als geschlossen betrachtet werden. Das System hat nur eine Hilfsfunktion. Es hilft, die Materien einander systematisch anzunähern, wird aber durch die Erkenntnisse dieses Prozesses weiter ausgeprägt und vervollständigt.
2. Rechtsvergleichung
im öffentlichen
Recht durch Systematisierung
Das öffentliche Recht als selbständige rechtswissenschaftliche Disziplin ist stark vom Systemgedanken geprägt. Dies ist bei den verschiedenen Rechtskulturen in unterschiedlichem Maße festzustellen". Er ist aber unabtrennbarer Bestandteil jeder öffentlich-rechtlichen Ordnung 100 . Der Grund liegt vorab in der praktischen Aufgabe des Systemdenkens im öffentlichen Recht. Bereits durch die Komplexität und die Fülle der Materie bedingt, funktioniert das System typisierend und richtungsweisend 101. Dieser rechtspraktischen Funktion schließt sich die rechtsdogmatische, die systembildend wirkt, an 1 0 2 . Die öffentlichrechtliche Dogmatik gestaltet die systematischen Ansätze des öffentlichen Rechts und sorgt für ihre weitere Entwicklung. Dies trifft insbesondere für das Verwaltungsrecht zu 1 0 3 . betont selbst die typologischen und funktionalen Ansätze der rechtsvergleichenden Methodik. 99 Vgl. Schmidt-Aßmann, Der Beitrag der Gerichte, S. 381:"Das deutsche Verwaltungsrecht gilt im internationalen Vergleich als ein in besonderer Weise systematisch durchgebildetes Recht". 100 Daß ein dialektisches Verhältnis zwischen der wissenschaftlichen Bearbeitung und Systematisierung und der Entstehung des Verwaltungsrechts besteht, zeigt das Beispiel Englands. Vgl. Spyridon Flogaitis, Administrative Law et Droit administratif, Paris 1986, S. 118. 101 Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, Heidelberg 1982, S. 12 ff. 102 Zu den Funktionen der Systemgedanken im Verwaltungsrecht Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts - Reformbedarf und Reformansätze -, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Gunnar F. Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 11 ff (13). 103 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, S . U . Zur Rechtsvergleichung Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Beitrag der Gerichte, S. 383.
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Für die meisten Staaten Europas bildet das allgemeine Verwaltungsrecht das Rückgrat ihrer verwaltungsrechtlichen Systematik. Auch bei Ländern wie Großbritannien, die keine solche Nomenklatur besitzen, stellt sich die Lage nicht anderes dar. Hier handelt es sich um eine Minimalisierung der Materien des gesamten Verwaltungsrechts aufgrundlehren 104. Allgemeines Verwaltungsrecht bedeutet die parallele Existenz von einem nach seinen Grundlinien entwickelten besonderen Verwaltungsrecht. Die Entwicklung des allgemeinen und des besonderen Verwaltungsrechts zeigt eine wechselseitige Beeinflussung. Das allgemeine Verwaltungsrecht ist aus der Verallgemeinerung der Rechtsinstitute von Referenzgebieten des besonderen Verwaltungsrechts entstanden. Andererseits ist die Entwicklung der Dogmatik der verschiedenen Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts von der allgemeinen Rechtslehre gesteuert. Die Trennung zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht ist bei der Rechtsvergleichung von Bedeutung. Die Untersuchung von Rechtsinstituten des besonderen Verwaltungsrechts ist nur im Zusammenhang mit den darüberstehenden Rechtsinstituten des allgemeinen Verwaltungsrechts fruchtbar. Und umgekehrt, die Vergleichung von Rechtslehren des allgemeinen Verwaltungsrechts ist nur ergebnisreich, wenn man die engen Zusammenhänge dieser Lehren mit dem besonderen Verwaltungsrecht in Auge behält. Für das Verwaltungsrecht kommen insbesondere die verfassungsrechtlichen Vorschriften 105 sowie die sog. Referenzgebiete des besonderen Verwaltungsrechts als systembildende Elemente in Betracht 106 . Unter Referenzgebieten sind Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts zu verstehen, die für verschiedene allgemeine Rechtsinstitute das Vorbild abgeben107. Die Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht orientiert sich an der Suche nach solchen systembildenden Elementen. Hier stehen traditionell die verfas-
104
Ein gutes Beispiel stellt dabei das Lehrbuch des englischen Verwaltungsrechts von Wade dar, das die Materien nach dem Vorbild französischer Lehrbücher, insbesondere desjenigen von Marcel Waline, Droit Administratif, 9. Aufl., Paris 1963, erfaßt hat. 105 Zur verfassungsrechtlichen Problematik der systematischen Strukturierung der Rechtsordnung vgl. Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, München 1986, S. 2 f und passim. 106 Zu den Funktionen der Systemgedanken im Verwaltungsrecht s. Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Hoffmann Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 14 f. 107 Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 15, betrachtet vor allem an das Beamten-, Bau-, Polizei- und Kommunalrecht als traditionelle Referenzgebiete.
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sungsrechtlichen Strukturprinzipien im Vordergrund 108 . Die Suche nach Strukturen und Systemansätzen sollte sich jedoch auch auf die Untersuchung anderer innerer Systemzusammenhänge richten. Die Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht kann nur fruchtbar werden, wenn im Rahmen einer Untersuchung auch die systematische Bedeutung des Gegenstands der Untersuchung deutlich wird. Da die makrovergleichenden Kategorien bei der Suche nach solchen Systemelementen nur ein Hilfsmittel sein dürfen, stellt sich die Orientierung anhand sachbezogener Kriterien 109 als wichtig dar. So können sich beispielsweise für die rechtsvergleichende Strukturierung des Rechtsschutzes gegen die Exekutive die subjektive oder objektive Form des Rechtsschutzes, die Klagebefugnis nach subjektivem Recht oder rechtsgeschütztem Interesse sowie die Weite und Dichte der gerichtlichen Kontrolle als solche sachbezogenen Kriterien erweisen. Die Lehre von den Referenzgebieten kann auch bei der rechtsvergleichenden Untersuchung der Bildung und Entwicklung der verwaltungsrechtlichen Ordnungen fruchtbar angewandt werden 1 1 0
D. Die Frage der Vergleichbarkeit der Rechtsordnungen und das tertium comparationis Die Rechtsvergleichung ist letztlich nichts anderes als die transnationale Entwicklung eines intellektuellen Konzeptes, des Rechts 111 . Daß die Rechtsordnungen grundsätzlich anhand der Funktionen des Rechts vergleichbar sind 112 , bedeutet jedoch nicht, daß alle Vergleichungen effizient sind 113 . Die Grenzen los "Vergleichung im öffentlichen Recht wird stets um die Idee der Rechtsstaatlichkeit kreisen" (Strebel, Vergleichung und vergleichende Methode im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 421). 109 Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Vergleich, S. 32. 110 So sind z.B. die Anfänge von Formen der Anhörung in Deutschland und Frankreich im Beamten- und Enteignungsrecht festzustellen. 111 Vgl. Roscoe Pound , Comparative Law in Space and Time, AJCL 4 (1955), S. 70 ff. 112 Vgl. Josef Esser, Grundsatz und Norm, S. 5: "Das Bedürfnis in Verbindung mit einer noch weithin unerforschten Gerechtigkeitsvorstellungen schafft bei gleicher Interessenlage gleichsinnige Lösungen - auch ohne "Gesetz" und doktrinären "Begriff'. 113 Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, S. 124. Zur Frage der Auswahl der Rechtsordnungen für die rechtsvergleichende Untersuchung vgl. ZweigertlKötz, Einführung in die Rechts vergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. 1, S. 44 ff; Ebert, Rechtsvergleichung, S. 143 ff. Grundlegend Giovanni Sartori, Comparing and Miscomparing, Journal of Theoretical Politics 3 (1991), S. 243 ff.
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werden besonders deutlich, wenn rechtsvergleichende Untersuchungen zwischen sozio-ökonomisch oder politisch unterschiedlichen Rechtsordnungen durchgeführt werden 114 . Auch die dogmatische Strukturierung kann Probleme bereiten 115 . Die Frage nach der Vergleichbarkeit stellt sich besonders dringend im Bereich der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht: Können die Strukturen verschiedener Verfassungs- und Administrativsysteme überhaupt miteinander verglichen werden? Die Strukturen selbst erweisen sich als der Vergleichung nur schwer zugänglich. Im Bereich des öffentlichen Rechts ist Vergleichung innerhalb verwandter Rechtsordnungen deshalb die fruchtbarste Methode 116 . Um die Vergleichbarkeit der Rechtsordnungen und das tertium comparationis, d.h. die Vergleichsebene, auf der die Rechtsinstitute letztlich bewertet werden können, zu bestimmen, kommen verschiedene methodologische Gesichtspunkte in Betracht. Der erste ist die Durchführung der Vergleichung nach den Rechtsinstituten. Diese These betont die begrifflichen - und möglicherweise zufälligen - Ähnlichkeiten von Rechtsinstituten und kann nicht für die tatsächliche Lösung der Rechtsprobleme in einem bestimmten Rechtssystem weiter von Nutzen sein 117 . Dies ist aber insbesondere für den Vergleich im öffentlichen Recht von Bedeutung 118 . Besonders unter Bezug auf funktional-soziale Ansätze wird die Bedeutung der Systemtheorie und ihrer strukturell-funktionalen Analyse für die Rechtsvergleichung sichtbar. Die Systemtheorie (Parson, Luhmann) 119 versucht, die Gestaltung und Funktionen sozialer Systeme zu analysieren. Sie stellt eine allgemeine, abstrakte und insoweit flexible Theorie dar, um konkrete soziale Systeme zu beschreiben, miteinander zu vergleichen und ihre Entwicklung zu er114
Vgl. Dietrich A. Loeber, Rechtsvergleichung zwischen Ländern verschiedener Wirtschaftsordnung, RabelsZ 1961, S. 201 ff. 115 Vgl. dazu Imre Zajtay, Begriff, System und Präjudiz in den kontinentalen Rechten und im Common Law, AcP 165 (1965), S. 97 ff. 116 Kaiser, Vergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 397. Zur Frage der Auswahl der zu vergleichenden Rechtsordnungen ähnlich Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 437. 117 Vgl. Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, S. 91 ff. 118 Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, ZaöRV 1964, S. 432 ff (436) hält nur den Vergleich zwischen Institutionen für sinnvoll, doch wird es deutlich, daß damit Funktionen oder auch Lebenssachverhalte gemeint sind (S. 437). Vgl. dazu Ronald Bieber, Das Verfahrensrecht von Verfassungsorganen, Baden-Baden 1992, S. 29. 1,9 Dazu Niklas Luhmann, Soziale Systeme, Frankfurt a.M. 1984. Vgl. auch derselbe, Rechtssoziologie, 2. Aufl., Opladen 1983. Zur funktionalen Systemtheorie Luhmanns s. Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, S. 163 ff.
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fassen. Die Rechtsordnung ist ein funktionales Subsystem der Gesellschaft und nimmt verschiedene Integrationsfunktionen wahr. Die durch die strukturellfunktionale Analyse soziologisch erfaßte tatsächliche Funktion der Rechtssysteme erlaubt es, bestimmte Problemlösungen eines sozialen Systems auf gemeinsame allgemeine Strukturen zurückzuführen. Da die Probleme soziologisch gleich behandelt werden, eröffnet sich die Möglichkeit der funktionalen Bestimmung eines tertium comparationis, nachdem die funktional äquivalente Lösung ermittelt und in ihr System eingebunden werden konnte 120 . Ein weiterer Vorteil dieser Analyse besteht darin, daß sie aufgrund der als systembildende Leistungen verstandenen Handlungen, Wertungen, Rechtsinstitute, Institutionen oder Normen die Vergleichung mit anderen funktionalen Äquivalenten ermöglicht. Aufgrund der strukturell-funktionalen Analyse ist es leichter, die für die Systemleistungen unwichtigen Rechtsinstitute zu identifizieren und sich auf die anderen rechtsvergleichenden Bemühungen zu konzentrieren 121 . Es bleibt aber zu fragen, ob man, wenn das Recht lediglich ein Aspekt der Gesellschaft oder eine ihrer Ausdrucksformen ist, überhaupt noch von einer Rechtsvergleichung oder nicht besser von einer Sozialstrukturvergleichung sprechen sollte. Die offensichtlichen Vorteile der strukturell-funktionalen Analyse dürfen nicht die immanenten Probleme der Rechtsvergleichung verdecken. Es ist schwierig, Vergleichungen zwischen unterschiedlichen Einheiten vorzunehmen, da adäquate Meßinstrumente fehlen. In der Theorie ist es einfach, soziale Systeme zu vergleichen, die Frage ist jedoch, wie die ständigen Wandlungen dieser Systeme in ein Schema einzugliedern sind. Das System verändert sich ständig. Einerseits verändert sich die "Wahrheit" in dem Maße, wie sich die Gesellschaft verändert 122 , und andererseits ist die Gesellschaft zu komplex, um vollständig erfaßt und analysiert zu werden.
I I I . Die Auswahl der Rechtsordnungen Die Analyse der Strukturen der Geheimhaltung und der Bearbeitung der verschiedenen Arten der Öffnung der Verwaltung gegenüber der Öffentlichkeit wird in der vorliegenden Arbeit anhand des deutschen und des französischen Verwaltungsrechts dargestellt. 120
Dazu Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechts vergleichung, S.
123 f. 121
Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechts vergleichung, S. 143 ff. Vgl. dazu John Henry Merrymann , Comparative Law and Social Change: On the Origins, Style, Decline and Revival of the Law and Development Movement, AJCL 25 (1977), S. 457 ff; Alan Watson , Comparative Law and Legal Change, Cambridge Law Journal 1978, S. 313 ff. 122
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Die Auswahl der Rechtsordnungen erfordert nur eine kurze Rechtfertigung. Diese beiden Verwaltungsrechtssysteme nehmen eine Vorbildfunktion zwischen den verschiedenen kontinental-europäischen Rechtsordnungen ein. Das französische Verwaltungsrecht hat durch den Beitrag des Staatsrats in einer frühen Phase das deutsche Verwaltungsrecht beeinflußt 123 und, vermittelt durch das epochemachende Werk Otto Mayers, seine Strukturen entscheidend geprägt 124 . 123 Die Rolle des französischen Verwaltungsrechts bei der Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts zeigt das Interesse des deutschen Schrifttums, insbesondere in bezug auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Vgl. dazu Alfred Bochalli, Einwirkung englischer und französischer Verwaltungsgrundsätze auf die deutsche Verwaltung, DöV 1964, S. 528 ff; Aus der Fülle der Publikationen vgl. E. Loening, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Zeitschrift für Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiet des deutschen öffentlichen Rechts, 5 (1879), S. 335 ff, 6 (1880), S. 12 ff, 181 ff, 308 ff; Walter Hagens, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich und der Conseil d'État, AöR 1902, S. 373 ff; Diefenbach, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich, RuPrVBl. 52 (1931), S. 341 ff; Helmuth Bothe, Der Staatsrat in Frankreich, Leipzig 1935; Werner Dittrich, Die Entwicklung des Staatrates und der Präfekturräte als Verwaltungsgerichte in Frankreich bis zur Verwaltungs- und Finanzreform des Jahres 1926, Leipzig 1942; Jean Theis, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit der Gegenwart, AöR 1951, S. 1 ff; Pierre Landron, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1954, S. 105 ff; Marcel Martin, Die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit in Frankreich, die Doppelfunktion des französischen Staatsrates, DöV 1954, S. 513 ff; Wilhelm Lükking, Die Grundlagen der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Würzburg 1955; Heino Lederer, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Justiz in Frankreich, AöR 1956, S. 449 ff; Friedrich-Karl Koch, Die historischen Grundlagen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich und deren Einfluß auf die Anfänge der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bayern, Diss. Würzburg 1980, S. 24 ff. 124
Zu Otto Mayers Bewunderung des französischen Verwaltungsrechts s. seiner Rezension von Gaston Jèze, Das Verwaltungsrecht der Französischen Republik, Tübingen 1913, AöR 32 (1914), S. 275 ff (277). Vgl. Erich Kaufmann, Otto Mayer, VerwArch 1925, S. 377 ff = derselbe, Gesammelte Schriften, Bd. 1: Autorität und Freiheit, Göttingen 1960, S. 388 ff (393 ff); Wolfgang Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Heidelberg, Karlsruhe 1981, S. 30 f; Alfons Hueber, Otto Mayer, Die "juristische Methode" im Verwaltungsrecht, Berlin 1982, S. 77 ff; Erk Volkmar Heyen, Otto Mayer: Frankreich und das Deutsche Reich, Der Staat 19 (1980), S. 444 ff (450 ff); Wolfgang Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, Berlin 1967, S. 107 ff; Ludwig Wenninger, Geschichte der Lehre vom besonderen Gewalt Verhältnis, Köln, Berlin, Bonn, München 1982, S. 136. Otto Mayer selbst gesteht seine Verpflichtung gegenüber der französische Rechtsprechung ein, wenn er schreibt (Otto Mayer, in: Hans Planitz, Hrsg., Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 1, Leipzig 1924, S. 153 ff, 162): "um mir die volle Anschauung dieses [des französischen Verwaltungsrechts] zu verschaffen..., waren zuerst einmal die zahlreichen Bände der Entscheidungen des Conseil d'État, des französischen Verwaltungsgerichtshofes durchzuarbeiten". Bodo Dennewitz, Die Systeme des Verwaltungsrechts, Hamburg 1948, S. 122 stellt als Quelle von Otto Mayer das Werk von Dufour fest. Zum Stand der damaligen französischen Verwaltungsrechtsprechung zur Zeit der "Grundzüge des französischen Verwaltungsrechts" s. Louis Imbert, L'évolution du recours pour excès de pouvoir 1872-1900, Paris 1952.
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Andererseits ist in der Nachkriegszeit das deutsche Verwaltungsrecht durch die starke Einbeziehung der Grundrechte in die Grundlehren des allgemeinen Verwaltungsrechts 125 und durch die Ausarbeitung vieler Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts auf ein hohes systematisches Niveau gelangt, das nirgendwo anders zu finden ist. Das Interesse an der Vergleichung der zwei Verwaltungsrechtssysteme stärken zwei zusätzlichen Überlegungen: einerseits die besondere Bedeutung, die sie de facto bei der Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts haben 126 , und andererseits der unterschiedliche Rechtsstil 127 , der über die grundsätzliche Affinität der erlangten Lösungen 128 spürbar ist. Damit ist die besondere Bedeutung der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und vorrangig des Staatsrats 129 für das französisches Verwaltungsrecht und die systematische Prägung des deutschen Verwaltungsrechts gemeint. 125 Das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht in Frankreich ist umstritten. Grundlegend Georges Vedel, Les bases constitutionnelles du droit administratif, EDCE 1954, S. 21 ff. Dazu krit. Charles Eisenmann, La théorie des "bases constitutionnelles du droit administratif', RDP 1972, S. 1345 ff. Gegenantwort von Georges Vedel in: derselbe, Droit administratif, Préface 7. Aufl. = Vedel/Delvolvé , Droit administratif, Paris 1984 und derselbe, Les bases constitutionnelles du droit administratif, in: Paul Amselek (Hrsg.), La pensée de Charles Eisenmann, Paris S. 133 ff. Vgl. dazu Francine Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, Paris 1966, S. 197 ff. 126 Vgl. nur die Beispiele bei Ulrich Everling, Auf dem Wege zum einem europäischen Verwaltungsrecht, NVwZ 1987, S. 1 ff. 127 Vgl. dazu Ulrich Scheuner, Französisches Verwaltungsrecht und deutsche Rechtsentwicklung, DöV 1963, S. 714 ff; Roger Warren Evans, French and German Administrative Law, International and Comparative Law Quarterly 14 (1965), S. 1104 ff; Hans Jarass, Besonderheiten des französischen Verwaltungsrechts in Vergleich, DöV 1981, S. 813 ff. Vgl. auch zu den Besonderheiten des französischen Verwaltungsrechts Danièle Loschak, Le droit administratif, rempart contre l'arbitraire?, Pouvoirs 1988, Nr. 46, S. 43 ff; Jacques Chevallier , Le droit administratif, droit de privilège?, Pouvoirs 1988, Nr. 46, S. 43 ff; Georges Langrod, Einige Hauptprobleme der französischen Verwaltung der Gegenwart, VerwArch 1957, S. 191 ff; Horst Lanz, Die französische Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des Verwaltungsrechts und seiner Fehlerhaftheit, Diss. Mainz 1962. 128 Z.B. s. zu den Begriff des État de droit im Vergleich mit dem Rechtsstaat s. Thomas Wolfgang Schmitz, Rechtsstaat und Grundrechtsschutz im französischen Polizeirecht, Baden-Baden 1989, S. 29, ff, 33 ff. Zur politischen Bedeutung des Begriffs s. Olivier Duhamel, Droit constitutionnel, Bd. 1, Le pouvoir politique en France, Paris 1991, S. 47 ff. Zur Ideengeschichte des "État de droit" vgl. Richard Bäumlin! Helmut Ridder , in: Alternativkommentar zum GG, 1. Aufl., Bd. 1, Neuwied, Darmstadt 1984, Art. 20, Teil III, Rdn 9 ff. Anders aber beim Verständnis der Gewaltenteilung. Dazu Michel Troper, La séparation des pouvoirs et l'histoire constitutionnelle française, Paris 1973. 129 Dazu Michel Fromont, Der französische Staatsrat und sein Werk, DVB1. 1978, S. 89 ff; derselbe, Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung in Deutschland, Frankreich und den Europäischen Gemeinschaften, Köln, Berlin, Bonn, München 1967; derselbe, Le système français de protection juridictionelle du citoyen contre l'administration, in:
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System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes - Festschrift für Christian-Friedrich Menger, Köln, Berlin, Bonn, München 1985, S. 887 ff; Hans Reinhard, Der Staatsrat in Frankreich, JöR 1981, S. 73 ff; Jean-Pierre Puissochet, Aktuelle Entwicklungstendenzen des französischen Conseil d'État, Die Verwaltung 1982, S. 323 ff; Jean-Marie Woehrling, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit im Vergleich mit der deutschen, NVwZ 1985, S. 21 ff; Volker Schiette , Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, Baden-Baden 1991, S. 23 ff; Stephan Gerstner, Die Drittschutzdogmatik im Spiegel des französicshen und britischen Verwaltungsgerichtsverfahrens, Berlin 1995, S. 54 ff, 101 ff. Zum Conseil d'État s. Maxime Letourneur, Die Staatsräte (Conseils d'États) als Organe der Verwaltungsrechtsprechung, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Geschichte und Gegenwart, Jubiäumsschrift zum 100-jährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit und zum 10-jährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichtes, Bd. 1, Karlsruhe 1963, S. 337 ff (342 ff); Wolfgang Müller, Le Conseil d'Etat - Der französische Staatsrat im Spannungsfeld von Tradition und Gewaltenteilung, DRiZ 1983, S. 210 ff; ders 9 Der Conseil d'Etat, AöR 1992, S. 337 ff; Manfred Degen, Die Arbeitspraxis des französischen Staatsrats, Verwaltung und Fortbildung 1987, S. 28 ff. S. auch Wilhelm Lücking, Die Grundlagen des französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Würzburg 1955; Maxime Letourneur/Jean Meric, Conseil d'État et juridictions administratives, Paris 1955; Maxime Letourneur/Jacquéime Bauchet/Jean Meric, Le Conseil d'État et les Tribunaux administratifs, Paris 1970. Zu den neuen Verwaltungsappelationsgerichte (Cours administratifs d'appel) s. Diether Karwiese, Neue Struktur der französische Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Einführung von Berufungsgerichten, DöV 1989, S. 713 ff; Michel Fromont, Die Reform der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZaöRV 1989, S. 487 ff; Wolfgang Müller, Reform der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit - eine "révolution en quelque sorte", DRiZ 1989, S. 218 ff; Frank Hospach, Reform des französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 1990, S. 133 ff. Der Staatsrat ist heute grundsätzlich Revisionsgericht geworden. Zur Revision (Cassation) s. Gustave Peiser, Le recours en cassation en droit administratif français, Paris 1958; Denis Jacquemart , Le Conseil d'État juge de cassation, Paris 1957. Die Bedeutung des Staatsrats wird insbesondere von der angelsächsischen Literatur hervorgehoben. Vgl. John W. Garner, Judicial Control of Administrative and Legislative Acts in France, American Political Science Review 9 (1915), S. 637 ff; Stefan Riesenfeld, The French System of Administrative Justice: A Model for American Law?, Boston University Law Review 18 (1938), S. 48 ff, 400 ff, 715 ff; C. J. Hamson, Executive Discretion and Judicial Control, An Aspect of the French Conseil d'État, London 1954; Bernard Schwartz , French Administrative Law and the Common Law World, New York, London, Oxford 1954 (kritisch); Charles E. Freedeman , The Conseil d'État in Modern France, New York 1961; Marguerite A. Sieghart, Government by Decree, A comparative Study of the Ordinance in English and French Law, London 1950, S. 205 ff. Dazu auch Arthur T. von Mehren/ìamcs Rüssel Gordley, The Civil Law System, 2. Aufl., 1977, S. 97 ff, 215 ff, 307 ff, 351 ff; Lionel Neville Brown/Ì . f. Gardner, French Administrative Law, 3. Aufl., 1983; Lionel Neville Brown, The Reform of the French administrative Courts, The Modern Law Review 22 (1959), S. 357 ff; Georges Langrod y The French Counsil of State: Its Role in the Formulation of Administrative Law, American Political Science Review 49 (1955), S. 673 ff; G. M. Raziy The French Contentieux Administratif, American University Law Review 13 (1963/64), S. 154 ff; Helen McCleave Cake , The French Conseil d'État: An essay on Administrative Jurisprudence, Administrative Law Review 24 (1972), S. 315 ff; George A. Bermann , The
34
Einleitung
Scope of Judicial Review in French Administrative Law, Columbia Journal of Transnational Law 16 (1977), S. 195 ff; Note (Stanton J. Lavenworth ), Judicial Review in the French Administrative Courts: Dame David (Conseil d'État 1974), Columbia Journal Transnational Law 16 (1977), S. 174 ff; Ducamin , The Role of the Conseil d'État in Drafting Legislation, International and Comparative Law Quarterly 30 (1981), S. 882 ff; George D. Brown , De Gaulle's Republic and the Rule of Law: Judicial Review and the Conseil d'État, Boston University Law Review 46 (1966), S. 462 ff; Achille Mestre , Droit administratif, Cambridge Law Journal 1929, S. 355 ff; Henri Berthélemy , The Conseil d'État en France, Journal of Comparative Legislation and International law 12 (1930), S. 23 ff; Raphaël Alibert , The French Conseil d'État, Modern Law Review 3 (1940), S. 257 ff; Roland Drago , Some Recent Reforms of the French Conseil d'État, International and Comparative Law Quarterly 13 (1964), S. 1282 ff; Prosper Weil , The Strength and Weakness of French Administrative Law, Cambridge Law Journal 1965, S. 242 ff; Maurice Lagrange , The French Counsil of State (Conseil d'État), Tulane Law Review 43 (1968/69), S. 46 ff; Michael J. Remmington , The tribunaux administratifs: Protectors of the French Citizen, Tulane Law Review 51 (1976/77), S. 33 ff; Maxime LetourneurfRoland Drago , The Rule of Law as understood in France, AJCL 7 (1958), S. 147 ff; Maxime Letourneur/C. J. Hamson, The Control of Discretionary Executive Powers in France, Cambridge Law Journal 1952, S. 258 ff; Maxime Letourneur , Control of Governmental Action to Prevent the Violation of Individual Rights, Ohio State Law Journal 21 (1960), S. 559 ff; derselbe , Reflections on the Role of the Administrative Judge, University of Chicago Law Review 26 (1959), S. 436 ff; C. Summer Lobingier , Administrative Law and droit administratif, University of Pennsylvania Law Review 91 (1942/1943), S. 36 ff; Francis Deak/Max Rheinstein , The Machinery of Law Administration in France and Germany, University of Pennsylvania Law Review 84 (1935/1936), S. 846 ff (858 ff); R. Wallace Brewster , The tribunaux administratifs of France: A venture in Adjudicative Reorganisation, Journal of Public Law 11 (1962), S. 236 ff. Zum Einfluß auf das amerikanische Verwaltungsrecht vgl. beispielsweise Christopher f. Edley , Jr., Administrative Law, Rethinking Judicial Control of Bureaucracy, New Haven, London 1990, S. 240 ff. Zur "Vorliebe" der amerikanische Rechtswissenschaft für das französische Recht im allgemeinen s. Roscoe Pound , The Influence of French Law in America, Illinois Law Review 3 (1908), S. 354 ff.
Teil I
Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich "Ce qui caractérise l'Administration, c'est la haine violente que lui inspirent indistinctement tous ceux, nobles ou bourgeois, qui veulent s'occuper d'affaires publiques en dehors d'elle ... Elle n'entend pas que les citoyens s'ingèrent d'une manière quelconque dans l'examen de leurs propres affaires". Alexis de Tocqueville "La conscience moderne exige que l'administration agisse au grand jour; maintenant on veut que toutes ses décisions et toutes ses actions soient publiques et l'on a le sentiment que ce qui n'a pas été fait publiquement n'est pas régulier". Maurice Hauriou , Note sous CE 27. 3. 1914, Laroche, S. 1914.3,97
§ 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit I. Die Praxis der Geheimhaltung zwischen Tradition und Ideologie Die Geheimhaltung stellt ein essentielles Element traditioneller französischer Verwaltungskultur 1 dar 2. Dies wird besonders bei der Praxis der Schwei1
Über dem Verwaltungsstil und die Verwaltungskultur in Frankreich im allgemeinen s. Frank Thedieck, Verwaltungskultur in Frankreich und Deutschland, dargestellt am Beispiel von französischen und deutschen Gemeindeverwaltungen und unteren staatlichen Verwaltungsbehörden, Baden-Baden 1992. 2 Vgl. die einleuchtende Darstellung von Louis Fougère , Les secrets de l'administration, Bulletin de l'Institut International d'Administration Publique 1967, H. 4, S. 21 ff, der auch Beispiele aus der täglichen Verwaltungspraxis bringt. S. auch J.-C. Boulard, France, in: Rowat (Hrsg.), Le secret administratif dans les pays développés, S. 170 ff; Alain-Louis Mie, L'administration et le droit à l'information, Paris 1985, S. 232 ff; derselbe, Le secret administratif, Thèse 3e cycle, Paris I, 1982, S. 67 ff sowie bereits E. Chapuisant , La notion de l'administration et le secret, Genève 1904.
Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
36
gepflicht der Beamten und der Geheimhaltungsstufen administrativer Dokumente seitens der Behörden deutlich 3 . Andererseits sind die Akten (dossiers ) der Verwaltung traditionell verhältnismäßig unvollständig. Die Beamten sind sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber den anderen Beamten mißtrauisch. Es kommt vor, daß, wenn ein Beamter versetzt oder entpflichtet wird, Akten vernichtet werden, um dem Nachfolger keine Einsicht in eventuell kompromittierende Dokumente zu ermöglichen, womit dessen Arbeit erschwert wird 4 . Die Konsequenzen, die sich aus der Geheimhaltungspraxis der Verwaltung ergeben, sind auch für den Bürger spürbar 5. Dabei ist insbesondere die Unzugänglichkeit administrativer Dokumente, die mangelhafte Anhörung der Betroffenen bei Verwaltungsverfahren 6, die mangelhafte Information der Betroffenen über Entscheidungsvorgänge sowie die Unvollständigkeit der Regelung der förmlichen Begründung der Verwaltungsakte 7 zu erwähnen. Der Hang der französischen Verwaltung zur Geheimhaltung ist vor allem geschichtlich und ideologisch zu erklären. Die französische Verwaltung steht in der Kontinuität der Verwaltung des Ancien Régime 8. Zugleich ist sie stark von der Ideologie der Französischen Revolution beeinflußt 9. Die Geheimhaltung kann als Erbe des Ancien Régime betrachtet werden 10 , als die Verwaltung nur gegenüber dem König verantwortlich war. Die Verantwortung der Verwaltung war immanent, d.h. auf ihre hierarchischen Strukturen
3
"L'administration oppose ... un double barrage légal: le mutisme de ses agents, le secret de ses papiers" (Fougère , Les secrets de l'administration, S. 22). Zur Bedeutung der Praxis s. Mie , Le secret administratif, S. 86 ff. 4 Dazu Charles Debbasch, Science administrative, 4. Aufl., Paris 1980, Nr. 665 in fine. A.A. Fougère , Les secrets de l'administration, S. 25, der den kollegialen Gefühle zwischen den Beamten eine größere Bedeutung einräumt. 5 Dazu Georges Morange, Le secret en droit public français, D. 1978, ehr., S. 1 ff (3 ff). 6 Vgl. Franz Becker, Das Recht auf Gehör im deutschen und französischen Verwaltungsrecht, in: Studien über Recht und Verwaltung, Köln 1967, S. 24 ff. 7 Zum letzeren Punkt s. die Kritik von Georges Wedel, Psychopathologie de la vie administrative, Le Monde 16. und 17. Januar 1972. 8 Dazu Pierre Legendre , Histoire du droit et histoire de Γ administration, in: Histoire de l'administration française depuis 1800 (Colloque organisé par l'I.F.S.A.et 1Έ.Ρ.Η.Ε. IVe section), Genève 1975, S. 83 ff (84 ff); derselbe , La royauté du droit administratif, Revue Historique de droit français et étranger 54 (1974), S. 696 ff. 9 Vgl. dazu in allgemeinen Pierre Guiral , Histoire des idées politiques et histoire del'administration, in: Histoire de l'administration française depuis 1800, Colloque organisé par l'I.F.S.A.et 1Έ.Ρ.Η.Ε. IVe section, Genève 1975, S. 75 ff. 10 Charles Debbasch, Institutions et droit administratif, Bd. 2, 2. Aufl., Paris 1986, S. 170; Jean-Marie Auby , Hacia la "Transparencia" de la Administración en Francia, Revista de Administración Publica 95/1981, S. 315 ff (315).
§ 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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ausgerichtet 11, und nicht nach außen, d.h. auf die ihr Unterworfenen. Diese traditionellen Gewohnheiten, die sich in Jahrhunderten gebildet haben, wurden durch den Wandel der Staatsform nicht geändert 12. Die Tradition bestand fort, obwohl ein demokratischer Wandel des politischen Gemeinwesens inzwischen stattfand. Das Festhalten an der Geheimhaltung stellt den Beweis dafür dar, daß noch innerhalb der französischen Verwaltung oligarchische Tendenzen existie„13 ren . Das Fortbestehen der administrativen Geheimhaltung nach der Revolution in Frankreich ist besonders wichtig, weil Frankreich eine Art Vorbild für die Gestaltung der Verwaltungsstrukturen der im Aufbruch befindlichen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts war. Das Phänomen kann allerdings nur in Zusammenhang mit der Ideologie der Revolution verstanden werden. Da die Verwaltung mit der Exekution der Gesetze beauftragt wurde und die Gesetze "expression de la volonté général" darstellten, wäre es unlogisch, daß sie Rechte der Bürger verletzen könnte. Die Verwaltung war mit der Verwirklichung und der Beachtung des öffentlichen Interesses beauftragt. Statt den Interessen des Königs widmete sich die Verwaltung den Interessen des Volkes, wie sie im parlamentarischen Gesetz konkretisiert waren. Den Revolutionären erschien es jedenfalls nicht erforderlich zu sein, deshalb die bestehende administrative Praxis zu verändern. Die revolutionäre Ideologie übersah dabei, daß die administrative Praxis des Ancien Régime auf eine Person, den König, ausgerichtet war und seine Machtkonzentration bevorzugte, an dessen Stelle nun ein abstrakter Begriff, das Gesetz, als Legitimationsgrundlage trat 14 . Die Macht konzentrierte sich nun nicht mehr beim König, sondern beim administrativen Apparat 15 . Die Geheimhaltung konnte leicht als Waffe der Verwaltung gegenüber den anderen Gewalten und den Bürgern gebraucht werden. Noch mehr wurde die Geheimhaltung zur
11
Zur Organisation der Verwaltung unter dem Ancien Régime s. Peter Claus Hartmann, Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (1450-1980), Darmstadt 1985, S. 8 ff. Vgl. auch Robert Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte, München, Berlin 1910 (Neudruck 1965), S. 207 ff, 394 ff. 12 Debbasch, Science administrative, Nr. 664. 13 Debbasch, Institutions et droit administratif, Bd. 2, S. 170. 14 Vgl. dazu die Ausführungen von Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, Berlin 1932, S. 14 f. 15 Vgl. Gerd Winter, Akteneinsicht in Frankreich, in: derselbe (Hrsg.), Öffentlichkeit von Umweltinformationen, Baden-Baden 1990, S. 175 ff (177). Zur Rolle des französischen Beamtentums vgl. Gérard Timsit, Théorie de l'administration, Paris 1986, S. 275 ff. Vgl. auch Helmut Coing , Ausbildung von Elitebeamten in Frankreich und Großbritannien, Berlin 1983, S. 9 ff und Heribert Zitzelsberger, Die Ausbildung der Führungsbeamten in Frankreich, ZBR 1969, S. 257 ff. 5 Trantas
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Waffe bei Auseinandersetzungen innerhalb der Administration 16 . Dabei läßt sich die Gefahr erkennen, daß die Geheimhaltung nicht als Schutz der Verwaltung nach außen, sondern als Schutz der einzelnen Verwaltungseinheiten voreinander gebraucht wird 1 7 . Bei der Rechtfertigung administrativer Geheimhaltung kommt ein Stück jakobinischer Ideologie hinzu 18 : Der Staat ist Eigentümer der administrativen Dokumente und verfügt frei über ihre Benutzung19. In der Praxis bedeutet dies, daß jede Verwaltungseinheit über ihre Akte frei verfügt.
I I . Billigung der Praxis durch die Rechtsprechung? Nach der Rechtsprechung des Staatsrates ist die Aktenöffentlichkeit nur dann zulässig, wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist 20 . Daneben wird auch die beamtenrechtliche Geheimhaltungspflicht sehr streng interpretiert 21. Es ist jedoch fraglich, ob die Rechtsprechung die Geheimhaltung der Verwaltung als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Verwaltungsrechts anerkannt hat. Der Staatsrat scheint mehr die Praxis zu dulden, als sie als Teil der Legalität zu betrachten 22. Ein zusätzliches, allerdings schwaches Argument in dieser Rich16
Fougère , Les secrets de l'administration, S. 27. Fougère , Les secrets de l'administration, S. 27, der betont, daß die Geheimhaltung sehr oft dazu benutzt wird, Fehlentscheidungen der Verwaltungseinheiten zu dekken. 18 Fougère , Les secrets de l'administration, S. 24. 19 S. z.B. das Dekret vom 20. 1. 1809: "Les manuscrits des archives ... sont la propriété de l'État". 20 CE 12. 3. 1954, Gauthier, Ree. T. 821. Vgl. auch CE 28. 5. 1971, Ville nouvelle Est, Ree. 463; CE 14. 11. 1980, Secrétaire d'État aux ΡΤΓ c. Collet, AJDA 1981, 80, ehr. Feffer/Pinault. Vgl. auch CE 18. 11. 1949, Carlier, Ree. 490; CE 24. 7. 1981, Cadon, Ree. 326; TA Lyon 23. 11. 1989, Clément, Ree. Τ 629 = DA 1990, Nr. 147. 21 CE 6. 3. 1953, Dlle Faucheux, Ree. 123, conci. Chardeau = RDP 1953, 1030, note Waline = S. 1953.3, 93, note Suel; CE 1. 12. 1972, Dlle Obrego, AJDA 1973, 37, conci. Grevisse. Zu den Pflichten des französischen Beamtentums in allgemeinen s. Denis Levy , Frankreich, in: Joseph Kaiser/Franz Mayer/Carl H. Ule (Hrsg.), Recht und System des öffentlichen Dienstes, , Baden-Baden 1973, S. 43 ff (57 ff). Zu den Problemen der Meinungsäußerung der Beamten s. René Bourdoncle, Fonction publique et liberté d'opinion en droit positif français, Paris 1957. Vgl. auch Rolf Dame, Das Verhältnis der Grundrechte zu den besonderen Gewaltverhältnissen nach dem deutschen und französischen Staats- und Verwaltungsrecht, Diss. Köln 1965. 22 Zu Recht weist aber Morange, Le secret en droit public français, S. 5 am Beispiel der formellen Begründung von Verwaltungsakten darauf hin, daß die lange Zeit beste17
§ 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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tung könnte man e contrario aus der öffentlichkeitsfreundlichen Stellung des Staatsrates in Fällen ableiten, in denen das Gesetz Publikationsmöglichkeiten vorgesehen hat 23 , wie zum Beispiel für die Sitzungsberichte der Gemeinderäte sowie den Haushalt und die Einnahmen der Kommunen, für die Bedingungen ("Cahiers de Charge") bei öffentlichen Ausschreibungen (Marchés publics) sowie für die Listen der Einkommensteuerpflichtigen bei der Finanzdirektion des Départements.
I I I . Die Rechtfertigung der Geheimhaltungspraxis in der Lehre Die Lehre versucht, die Geheimhaltung der Verwaltung dogmatisch durch zwei Argumente in das verwaltungsrechtliche System zu integrieren. Das technokratische Argument 24 betont, daß die Geheimhaltung durch die erforderliche Neutralität und den technischen Charakter des Verwaltungsvollzugs legitimiert wird. Die Verwaltung soll neutral und nur unter Berücksichtigung der technischen Aspekte eines Falles entscheiden. Dies ist aber nur bei Wahrung der Geheimhaltung des Verwaltungsentscheidungsprozesses sichergestellt, weil andernfalls die Öffentlichkeit in Form von Interessengruppen oder der öffentlichen Meinung Einfluß beanspruchen würde. Die Verwaltung soll indes in Ruhe, zeitgemäß und nach einer vollständigen Untersuchung des jeweiligen Falles entscheiden. Die würde durch die Öffentlichkeit des Verwaltungshandelns gefährdet. Das Argument ist rein französischer Prägung und aus dem traditionellen Ideal der Verwaltung in der französischen politischen und administrativen Ideologie seit der Revolutionszeiten abgeleitet. Da die Verwaltung mit der einfachen und technischen Exekution des parlamentarischen Gesetzes betraut ist, sollte sie politisch neutral und unbefangenen handeln25.
hende Position der Rechtsprechung die Chancen einer liberalen Entwicklung sehr vermindert hat. Optimistischer dagegen Franck Moderne, Revue critique de doctrine, AJDA 1975, S. 269. Zur "rôle prétorienne" s. des Staatsrats Jean Massot/Jean Maribert, Le Conseil d'État, Paris 1988 (NED 4869), S. 189 ff. 23 Vgl. z.B. CE 6. 7. 1927, Epoux Kissler, Ree. 745 = D.H. 1927, 528 = S. 1928.3, 101. 24 Vgl. die Ausführungen von Debbasch, Institutions et droit administratif, Bd. 2, S. 169; Jean-Claude Boulard , Le secret et l'administration française, in: Le secret et le droit, Travaux de l'Association Henri Capitant 25 (1974), S. 659 ff (679 ff). 25 Vgl. dazu auch Jean Rivero , La transparence administrative: Rapport de syntèse, AEAP 1989, S. 307 ff (310).
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Dieses Argument stammt aus der Verwaltungslehre der ersten Phasen der Entwicklung des "bürgerlichen" Rechtsstaates im letzten Jahrhundert und berücksichtigt nicht die spätere Entwicklung hin zur Massendemokratie. Die Verwaltung ist und kann nicht politisch neutral sein. Dies ist nicht nur ein Ergebnis des Parlamentarismus, sondern auch der sozialen Entwicklungen innerhalb des Beamtentums. Daneben sind auch die Sachverhalte, die der heutige Staat zu regulieren hat, erheblich schwieriger geworden. Die technologische Entwicklung hat die Grenzen der Steuerung durch ein parlamentarisches Gesetz deutlich gemacht. Andererseits sind die Beziehungen zwischen Verwaltung und Gesetz viel komplexer geworden. Die Verwaltung nimmt praktisch an der Vorbereitung der meisten Gesetzesentwürfe teil, wenn sie sie nicht überhaupt selbst vorbereitet. Die Ausführung der Gesetze wird sehr oft durch Ermessensspielräume 26 oder Ermächtigungen zu weiteren Erlassen der Verwaltung praktisch zur Verfügung gestellt. Die Entwicklung zur Massendemokratie sowie der ständig wachsende staatliche Interventionismus, der dieser politischen Entwicklung folgte, führte dazu, daß die Idee von einer von den diversen pressure groups unbeeiflußten Verwaltung als naiv und simplifizierend erscheinen mußte. Das Entstehen von Interessengruppen ist eine natürliche Entwicklung. In ihnen artikulieren sich verschiedene soziale Interessen innerhalb des pluralistischen Staates. Der staatliche Interventionismus macht die Kontakte der Verwaltung mit diesen Interessengruppen unvermeidbar. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung der staatlichen Organisation durch den Aufbau von verschiedenen Fachministerien (z.B. Landwirtschafts- oder Umweltministerien) wider. Es besteht sogar die Gefahr, daß die verschiedenen Fachverwaltungen von den Interessen, die sie theoretisch zu regulieren haben, am Ende "übernommen" werden. Dies führt natürlich zu einer Spaltung der traditionellen Auffassung vom öffentlichen Interesse. In dieser veränderten Umwelt kann die Idee, daß die Geheimhaltung des Verwaltungsentscheidungsprozesses ihre technokratischen Aspekte beschützt, nur als naiv beurteilt werden 27 . Die Geheimhaltung schützt nicht die Neutralität, sondern deckt die Einmischung der Interessengruppen in den administrativen Entscheidungsprozeß. Das klassische technokratische Argument müßte heute umgekehrt funktionieren. Die Öffentlichkeit der Verwaltungsentscheidung gefährdet nicht, sondern sichert, daß das allgemeine öffentliche Interesse die ent26
Zum französischen Begriff des Ermessens vgl. statt vieler Michel Fromont, Le pouvoir discrétionnaire et le juge administratif français, in: Festschrift für Hans Jahrreiß, Köln, Berlin, Bonn, München 1974, S. 67 ff; Volker Schiette , Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten in Frankreich, Baden-Baden 1991; Brigitta Varadinek, Ermessen und gerichtliche Nachprüfbarkeit im französischen und deutschen Verwaltungsrecht und im Recht der Europäischen Gemeinschaft, Diss Berlin 1994, S. 1 ff. 27 So auch und zu folgenden Debbasch, Institutions et droit administratif, Bd. 2, S. 169f.
§ 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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scheidende Rolle bei der Verwaltungsentscheidung spielt. Die Öffentlichkeit stellt kein Hindernis, sondern ein Optimierungsinstrument für den Verwaltungsapparat dar. Die technokratische Arroganz wird durch die Öffentlichkeit kontrolliert. Daneben werden die Probleme des Entscheidungsprozesses berücksichtigt und reformiert und parallel der Input der Verwaltung sowie die Kontakte mit den Bürgern im allgemeinen verbessert. Nicht zuletzt werden die Regeln des Spiels korrigiert, weil die Geheimhaltung die Ungleichheit der Informationsverteilung zwischen den verschiedenen Interessengruppen fördert. Als zweites Argument, mit dem die Geheimhaltung der Verwaltung gerechtfertigt wird, gilt, daß für den größten Teil der Verwaltungstätigkeit die Geheimhaltung sich allein schon aus der Natur ergibt 2*. Hier werden vorrangig die Interessen der nationalen Sicherheit und Verteidigung, die auswärtigen Beziehungen sowie die Rolle des Staates in der Wirtschaft (Währungswesen, Patentwesen, eigene wirtschaftliche Betätigung des Staates) genannt. Dieses Argument versucht die Geheimhaltung aus einer Verallgemeinerung bestimmter Regelungsfelder zu legitimieren. Dies ist jedoch methodologisch untragbar. Die Existenz von Bereichen, die eine höhere Geheimhaltung des staatlichen Handelns erfordern, stellt keinen Grund dafür dar, die gesamte Verwaltungstätigkeit der Geheimhaltung zu unterwerfen. Sie stellen im Gegenteil die absoluten Grenzen für die Öffentlichkeit staatlichen Handelns29.
I V . Die gesetzlichen Grundlagen der Geheimhaltungspflicht Die Geheimhaltung der Exekutive ist gesetzlich nicht vorgesehen 30. Sie findet aber ihren Ausdruck im Beamtenrecht und in den Vorschriften über die Archive 31 .
7. Geheimhaltung als Pflicht des Verwaltungspersonals Der Schutz gegen unbefugte Verbreitung administrativer Kenntnisse verfügt über eine beamten- und eine strafrechtliche Sichtweise. Damit steht der Schutz der dienstlichen Vorgänge auf zwei Säulen, die systematisch streng voneinander 28 29 30
Vgl. Debbasch, Institutions et droit administratif, Bd. 2, S. 169. So auch Debbasch, Institutions et droit administratif, Bd. 2, S. 169. Vgl. y.-Af. Auby, Hacia la "Transparencia" de la Administración en Francia, S.
315 ff. 31 Conci. Guy Braibant sur CE 17. 12. 1971, Rousselot, RA 1972, 149 (150).
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
getrennt sind 32 , nämlich auf dem Schutz durch die Verpflichtung des Verwaltungspersonals zur Verschwiegenheit sowie auf dem Berufsgeheimnis, dem dieses Verwaltungspersonal unterliegt. a) Die Verschwiegenheitspflicht Die professionelle Diskretion der Beamten zählt zu den erforderlichen Qualitäten eines guten Beamten 33 . Ähnlich wie das deutsche enthält auch das französische Beamtenrecht 34 eine ausdrückliche Verpflichtung der Beamten zur Amtsverschwiegenheit 35. Die
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Dazu Jean-Marie Auby/Robert Ducos-Ader/Jean-Bernard Auby, Institutions administratives, 5. Aufl., Paris 1989, S. 610; Jacques Bourdon , Le statut général de la fonction publique, in: Jean-Marie Auby (Hrsg.), Droit public, 2. Aufl., Paris 1989, Bd. 2, S. 731 ff (787). Vgl. auch Christian Autexier , Das Recht des öffentlichen Dienstes in Frankreich, in: Siegfried Magiera/Heinrich Siedentopf (Hrsg.), Das Recht des öffentlichen Dienstes in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, Berlin 1994, S. 235 ff (271); Michel Herbiet, Le secret dans l'administration, Annales de la faculté de droit de Liège 20 (1975) H. 1-2, S. 153 ff (175 ff); Jacques Stassen, Le secret de l'administration et le droit: Rapport général, in: Le secret et le droit, Travaux de l'Association Henri Capitant 25 (1974), S. 599 ff (605 ff). 33 "La discrétion est une des qualités les plus essentielles du fonctionnaire public", Vivien , Études administratives, 3. Aufl., Bd. 1, Paris 1859, S. 244. Dies wird in der französischen Lehre jedoch nicht immer betont und es findet sich beispielsweise bei M. Macarel, Cours de droit administratif, Bd. 1, Paris 1844 und beim A. Batbie, Traité théorique et pratique de droit public et administratif, Paris, Bd. 4, 1863 kein ähnlicher Hinweis. 34 Die erste Kodifikation des französischen Beamtenrechts erfolgte unter dem Vichy-Regime (Gesetz vom 14. 9. 1941). Es folgten das Gesetz vom 19. 10. 1946 (Beamtenstatut 1946) und die Ordonnanz vom 4. 2. 1959 (Beamtenstatut 1959). Heute gilt das Statut von 1983-1986, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 13. 7. 1987. Dies wurde stufenweise in Kraft gesetzt und vereinheitlichte die Vorschriften über alle Kategorien des Verwaltungspersonals: Statut Titre I (Gesetz vom 13. 7. 1983), Statut Titre II (Gesetz vom 11.1. 1984), Statut Titre III (Gesetz vom 26. 1. 1984), betr. den Beamte der territorialen Verwaltung, und Statut Titre IV (Gesetz vom 9. 1. 1986) über die Beamten der Krankenhäuserverwaltung. Sonderstatut ist das Militärstatut (Gesetz vom 13. 7. 1972, geändert durch das Gesetz vom 30. 10. 1975). Bis dahin waren die beiden wichtigsten Statute für die Offiziere das Gesetz vom 19. 5. 1834, für die Unteroffiziere das Gesetz vom 30. 3. 1928. Zum Militärpersonal s. André de Laubadère/ Jean-Claude Venezia , Traité de droit administratif, Bd. 3, 4. Aufl., Paris 1990, Nr. 131. 35 Art. 26 II des Gesetzes vom 13. 7. 1983 lautet: "Les fonctionnaires doivent faire preuve de discrétion professionnelle pour tous les faits, informations ou documents dont ils ont connaissance dans l'exercise ou à l'occasion de leurs fonctions. En dehors des cas expressément prévus par la réglementation en vigueur, notamment en matière de liberté d'accès aux documents administratifs, les fonctionnaires ne peuvent être déliés de cette obligation de discrétion professionnelle que par décision expresse de l'autorité dont ils
§1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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Amtsverschwiegenheitspflicht erfaßt alle Tatsachen, welche dem Beamten aus seiner amtlichen Tätigkeit zur Kenntnis gelangt sind. In Rahmen dieser Pflicht soll der Beamte verschweigen, was er im Dienst erfahren hat 36 und keine Akten weitergeben 37. Andernfalls bedroht ihn das Gesetz mit Diszplinarmaßnahmen 38. Beispielsweise führt die Benutzung von Akten, die der Beamte aufgrund seines Dienstes zur Kenntnis genommen hat, für verwaltungsfremde Ziele zu disziplinarischen Sanktionen39. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob der Beamte die Informationen erhalten hat, obwohl sie ihm eigentlich nicht bekannt sein dürften 40 . Diese Pflicht ist allgemein und besteht zugunsten der Behörde 41. Sie kann deshalb durch eine Entscheidung der Behörde im konkreten Fall aufgehoben werden. Es ist für den Beamten grundsätzlich verboten, seine Kenntnisse außerhalb des Dienstinteresses bei Gesprächen mit anderen Kollegen einzubringen 42.
dépendent". Dasselbe ist auch im Militärstatut vorgesehen (Art. 18 des Gesetzes vom 13. 7. 1972). Für die Kommunalbeamten gilt auch Art. L 411-10 Code des Communes. Die ersten Ansätze zur Amtsverschwiegenheitspflicht findet sich im CE 8. 7. 1931, Guichard, Ree. 743. Die ausdrückliche Gestaltung der Pflicht findet sich erstmalig im Gesetz vom 14. 9. 1941 und im Art. 13 des Gesetzes vom 19. 10. 1946. Vgl. auch Art. 10 der Ordonnanz vom 4. 2. 1959: "Indépendamment des règles instituées dans le code pénal en matière de secret professionnel, tout fonctionnaire est lié par l'obligation de discrétion professionnelle pour tout ce qui concerne les faits et l'information dont il a connaissance dans l'exercise ou à l'occasion de Γ exercise de ses fonctions. Tout détournement,toute communication contraire aux règlements de pièces ou documents de service à de tiers sont formellement interdits". 36 Dies gilt ebenso für Kenntnisse, die mündlich oder schriftlich erlangt werden. Vgl. CE 6. 3. 1953, Dlle Faucheux, Ree. 123, conci. Chardeau = RDP 1953, 1030, note Waline = S. 1953.3, 93, note Suel. 3 7 Vgl. Trib. cor. Paris 17. 11. 1953, JCP 1954 II, Nr. 8119, note Chavanne. 38 CE 11. 1. 1963, Syndicat des Maisons d'enfants, Ree. 824. 39 CE 28. 2. 1964, Carbonnel, Ree. 927. CE 15. 2. 1961, Mme Metevier, Ree. 124. 41 Zur Praxis der Behörde s. Mie , Le secret administratif, S. 31 ff; derselbe , L'administration et le droit à l'information, S. 32 ff. 42 CE 6.3.1953, Dlle Faucheux, Ree. 123, conci. J. Chardeau = RDP 1953, 1030 zust. note Waline = S. 1953.3, 92, note Suel. Bei diesem sehr strengen Urteil handelte es sich um die disziplinarische Verfolgung der Vertreterin einer Gewerkschaft, die den Entwurf einer Verwaltungsvorschrift zur Regulierung der Arbeitszeit verteilt hatte. Vgl. auch TA Paris 17. 1. 1956, Pastre, Ree. 205. Dazu im allgemeinen Jacques Grosclaude, L' obligation de discrétion professionelle des fonctionnaires, RA 1967, S. 127 ff. Diese Regel wird inzwischen etwas flexibler gegenüber Gewerkschaftlern gehandhabt. Dazu CE 18. 5. 1956, Boddaert, conci. Heumann und C. Brechon-Moulenes, Obligation de réserve et liberté syndicale, AJDA 1973, 339 ff.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Der Verschwiegenheitspflicht unterliegen nicht alle Kategorien des Verwaltungspersonals 43. In Betracht kommen grundsätzlich nur Beamte sowie die im Vorbereitungsdienst befindlichen Personen. Insbesondere besteht keine Verpflichtung zur Verschwiegenheit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses. Für das übrige Verwaltungspersonal besteht ebenfalls keine Verpflichtung, soweit nichts Besonderes vorgesehen ist 44 . Die Lösung erscheint jedoch insoweit paradox, als das Hilfspersonal der Verwaltung von der Amtsverschwiegenheitspflicht ausgenommen wird, während es andererseits der Neutralitätspflicht unterliegt.
43 Die Beschäftigten im französischen öffentlichen Dienst sind in verschiedene Kategorien gegliedert (J.-M. Auby/Ducos-Ader/J.-B. Auby, Institutions administratives, 5. Aufl., Paris 1989, S. 497 ff; Jean-Marie Auby/Jean-Bernard Auby, Institutions administratives, 6. Aufl., Paris 1991, S. 334 ff; Jean-Marie Auby, Droit administratif - Le fonction publique, les biens publics, les travaux publics, 7. Aufl., Paris 1986, S. 20 ff; Chapus y Droit administratif, Bd. 2, Nr. 10 ff; Autexier , Das Recht des öffentlichen Dienstes in Frankreich, S. 245 ff). Die Hauptunterscheidung verläuft zwischen dem Personal der öffentlich-rechtlich organisierten Verwaltung und dem Personal der privatrechtlich organisierten Verwaltung (dazu Y. Saint-Jours , L'applicabilité du droit du travail dans le secteur public, D. 1976, chr., S. 183 ff). Das Personal der öffentlich-rechtlichen Verwaltungseinheiten sind die Beamten ("Fonctionnaires ") und die sog. "agents non titulaires ". Agents non titulaires (Dazu A. Moreau , Les agents publics non titulaires de l'État, Thèse Poitiers 1981; Francis Hamon, Les agents non titulaires de l'État, Paris 1983; Y. Saint-Jours , Les différentes situations juridiques des travailleurs employés dans les secteurs publics et privés, Droit social 1980, S. 550 ff; F. Bertrand , Les dispositions générales applicables aux agents non titulaires de l'État, RFDA 1987, S. 554 ff; Nicole Belloubet-Frier , Le statut des agents non-titulaires de l'État: de la précarité à la pérennité, AJDA 1990, S. 851 ff) stellen das Hilfspersonal der Verwaltung dar ("auxiliaires "), die Mitglieder der "cabinets ministériels " (politische Beamte), die mit öffentlich-rechtlichem Vertrag beschäftigten Personen ("agents publics contractuels ". Dazu Chapus, Droit administratif, Bd. 2, Nr. 19; Yves Gaudemet , Existe-t-il une catégorie d'agents publics contractuels de l'administration?, AJDA 1977, S. 614 ff und Y. Saint-Jours , Existe-t-il un contrat de travail de droit public?, Droit social 1980, S. 187 ff mwN), die im Vorbereitungsdienst befindlichen ("stagiaires "), sowie die "agents temporaires ". 44
Solche Erweiterungen der Amtsverschwiegenheitspflicht sind beispielsweise durch das Gesetz vom 6. 7. 1966 für die Wehrpflichtigen, die ihren Dienst im Rahmen der Kooperationsverträge mit dritten Staaten oder in der technischen Hilfe leisten (dazu P.-J. Doli, Le Statut des jeunes gens accomplissant le service national actif au titre de la Cooperation ou de l'Aide technique, JCP 1967.1, 2077. Vgl. auch Laubadère/ Venezia, Traité de droit administratif, Bd. 3, Nr. 126), und mit Art. 15 des Gesetz vom 3. 1. 1973 für Mitarbeiter des Médiateurs (Ombudsmann) vorgesehen. Machmal betrifft die Verpflichtung nur bestimmten Informationen. S. z.B. Art. 4 II des Gesetzes vom 23. 12. 1981 (Informationen der Verfahren betr. die Genehmigung " d'exploration et d'exploitation des grands fonds marins").
§1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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Es besteht keine Amtsverschwiegenheitspflicht, wenn die Beamten vor einem Strafgericht aussagen (Art. 109 Code de procédure pénale)45. Die Aussage erfolgt dann im Interesse der Justiz. Ähnliches gilt jedoch nicht im Zivilverfahren 46 sowie für den Fall, daß die Aussage Verteidigungsgeheimnisse betreffen könnte 47 . Es besteht kein subjektives Recht des Privaten auf eine Aussage eines Beamten über Geheimnisse, von denen der Beamte dienstlich Kenntnis erlangt hat 48 . b) Das Berufsgeheimnis Das französische Recht enthält, im Unterschied zum deutschen Strafrecht, keine besonderen strafrechtlichen Tatbestände zum Schutze des Amtsgeheimnisses, verweist jedoch auf die Regelungen des Berufsgeheimnisses im Strafrecht 49 . Das französische Strafrecht schützt das Berufsgeheimnis ("secret professionnel '") in Art. 226-13 des neuen Code Pénal 50 . Das Berufsgeheimnis ist allgemein und absolut. Es zielt vorrangig auf den Schutz des erforderlichen 45
Dazu Roger Merle!André Vitu> Traité de droit criminel, 4. Aufl., Bd. 2, Paris 1981, Nr. 937. 46 Cass. crim. 6. 7. 1929, D. 1929, 494; CE 11. 3. 1955, Secrétaire d'État à la guerre c. Coulon, Ree. 150 = RDP 1955, 995, conci. Grévisse. 47 Nicht aber in dem Fall, in dem das Verbrechen das Staatsverteidigungsgeheimnis selbst berührt. Dazu CE Avis 6. 2. 1951 (zitiert nach Alain Plantey, Traité pratique de la fonction publique, 3. Aufl., Paris 1971, Bd. 1, Nr. 1465); Trib. cor. Seine 30. 10. 1964, D. 1965, J, 423. 4 « Trib. cor. Seine 26. 6. 1895, D. 1896, J, 230. Vgl. CE 7. 6. 1953, Botton, Ree. 671; CE 6. 4. 1951, Sesmat, Ree. 175. 49 Art. 26 des Gesetzes vom 13. 7. 1983: "Les fonctionnaires sont tenus au secret professionnel dans le cadre des règles instituées par le code pénal". Vgl. dazu Boulard , Le secret et l'administration, S. 660 ff; Bernard Stim/Thierry Tuot , Documents administratifs (accès aux), in: François Gazier/Roland Drago (Hrsg), Dalloz - Répertoire de contentieux administratif, II (Lieferung 1989), Nr. 9. 50 Ähnlich sah der Art. 378 des alten Code Pénal vor, daß "les médecins, chirurgiens et autres officiers de santé, ainsi que les sages-femmes et toutes les autres personnes dépositaires par état ou par profession ou par fonctions temporaires ou permanentes, des secrets qu'on leur confie, qui, hors le cas où la loi les oblige ou les autorise à se porter dénonciateur auront rélevé des secrets seront punis d'un emprisonnement d'un mois à six mois et d'une amende". Andere Vorschriften schützen andere geheimnisbedürftige Tatsachen. So sieht Art. 411-6, 7, 8 des neuen (Art. 74-79 des alten) Code Pénal den Schutz der Verteidigungsgeheimnisse vor. Dazu Marcel Waline , Le secret professionnel des fonctionnaires, D.H. 1930, S. 65 ff; Couturon , Le secret professionnel des fonctionnaires, Thèse Paris 1945; Floriot/Combaldieu , Le secret professionnel, Paris 1973; Sumien , Le secret professionnel des services publiques en matière d'enquête et statistique, GP 1951.2, Doctr. S. 4 ff; J. Grosclaude , L' obligation de discrétion professionnelle du fonctionnaire, RA 1967, S. 127 ff; René Tune , Le secret professionnel des fonctionnaires, RA 1953, S. 127 ff.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Vertrauens in die Ausübung eines Berufs 51 . Das Gesetz bestimmt expressis verbis nur die Geheimnispflicht der Ärzte und des Hilfspersonals des Gesundheitswesens und überläßt es im übrigen dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung zu bestimmen, welche anderen Personen dem Berufsgeheimnis unterliegen 52 . Das Berufsgeheimnis erfaßt die privaten Geheimnisse, die einem Beamten aufgrund seines Amtes bekannt geworden sind. Seine Verletzung führt zu disziplinarischen 53 sowie strafrechtlichen Sanktionen54, wenn der Beamte schuldhaft gehandelt hat und die Verletzung sich aus seiner normalen Funktion ergibt 55 . Der Beamte hat schuldhaft gehandelt, wenn er die Information freiwillig weitergibt 56 . Der Beamte kann daneben auch zivilrechtlich verklagt werden 57 . Strafbar ist die unbefugte Offenbarung. Dabei muß bei den dem Beamten anvertrauten Dokumenten zwischen solchen, die er schützen soll einerseits 58, und seinen sonstigen Kenntnissen andererseits, deren Weitergabe erlaubt ist 59 oder sogar erwünscht sein kann 60 , unterschieden werden. Der Beamte soll die ihm anvertrauten Geheimnisse auch gegenüber seiner Behörde und seinen Vorgesetzten für sich behalten. Diese Pflicht besteht nicht, wenn die Informationen 51 S. dazu Conseil d'État, La transparence et le secret (Rapport public 1995: Considerations générales), EDCE 1996, S. 13 ff (88 f). 52 S. z.B. Art. 59bis Code des Douanes (Zollbeamte), Art. 39 des Gesetzes vom 3. 1. 1973 (Beschäftigte der Banque de France), Art. 19 des Gesetzes vom 2. 12. 1945 (Beschäftigte in der Verwaltung oder der Kontrolle von verstaatlichten Banken). Andere Vorschriften binden den Beschäftigten bei einem Sozialversicherungsträger (organismes de sécurité sociale und organismes de mutualité agricole) auch an das Berufsgeheimnis. S. Art. L 150 und L 700 Code de la sécurité sociale, Art. 1072 Code rural, Art. 133 Code de la famille et de l'aide sociale, Art. 45 des Gesetzes vom 16. 12. 1963, Art. 2020-2 Code général des impôts. Ähnliches gilt für den Beschäftigten in der Sozialhilfe. S. Art. 41, 81, 135, 209, 225 Code de la famille et de Γ aide sociale. Die Rechtsprechung leitet von diesen Vorschriften einen allgemeinen Rechtsgrundsatz ab, und erweitert seine Geltung auf alle Beschäftigten der Sozialverwaltung. S. Cass. crim. 30. 6. 1955, JCP 1955, Nr. 8860; Cass. crim. 11.12. 1957, JCP 1958, Nr. 80393bis. 53 CE 24. 5. 1935, de Noblet, S. 1935.3, 120. 5* Trib. cor. Paris 17. 11. 1953, JCP 1954 II, Nr. 8119, note Chavanne. 55 TC 11. 12. 1909, Girard, S. 1912.3, 76. 56 CE 6. 7. 1960, Préfet de police, Ree. 449 (die Beteiligung an einer Debatte, wo Geheimnisse offenbar werden, genügt nicht für eine Sanktion). 57 CE 11. 12. 1909, Gérard, S. 1912.3, 76. 58 Cass. crim. 8. 5. 1947, GP 1947 II, 12. 59 Der Beamte kann Informationen für seine Verteidigung in Strafverfahren verwenden s. Cour d'Appel Douai 26. 10. 1951, GP 1951.2,426 note. Vgl. CE 24. 10. 1969, Gougeon, Ree. 457 = RDP 1970, 394, note Waline = AJDA 1969, 689, ehr. R. Denoix de Saint Marc/D.Laboutelle = D. 1969 J, 732, conci. G. Guillaume.
§ 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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Teil der Informationsbestände der Verwaltung sind 61 . Der Informationsaustausch zwischen den zuständigen Beamten stellt keine Verletzung der durch den Code Pénal geschützten Güter dar 62 . Im Falle der Amtshilfe 63 findet der Code Pénal grundsätzlich 64 keine Anwendung. Der Beamte soll aber nicht um Informationen ersuchen, die ihn nicht unmittelbar dienstlich angehen65. Ebenfalls wird keine rechtliche Verfolgung angedroht, wenn die betroffene Privatperson die Offenbarung akzeptiert 66. Im allgemeinen ergibt sich aus dem Berufsgeheimnis keine Verpflichtung, wenn der Berechtigte seine Zustimmung zur Veröffentlichung der Tatsachen gibt 67 . Befreiung vom Berufsgeheimnis ist auch in anderen Fällen vom Gesetz vorgesehen 68. Der Kreis der an das Berufsgeheimnis Gebundenen ist in vielen Fällen vom Gesetzgeber selbst bestimmt worden 69 . Die Rechtsprechung kennt daneben ka61 Dazu J.-M. Auby , Droit administratif - Le fonction publique, les biens publics, les travaux publics, S. 192. 62 Cass. crim. 4. 6. 1954, JCP 1955.2, 8471, note Chavanne. 63 René Tune , Le secret professionnel et les relations administratives, RA 1948, Nr. 3, S. 18 ff. Es besteht eine Reihe von besonderen Amtshilfepflichten. So verpflichtet das Steuergesetzbuch (Code général des impôts Art. 1987-1990) alle Behörden, bestimmte Dokumente der Steuerbehörde zu übertragen. Dies gilt ebenfalls für die Verwaltung des öffentlichen Eigentums (administration de domaine public du Ordonnance 23. 10. 1958). Von den Amtshilfepflichten sind nur die Statistischen Ämter in Bezug auf die aus statistischen Gründen gesammelten Informationen ausgenommen (dazu CE 8. 2. 1967, Plagnol, D. 1967, J., 123, note Glélé). 64 Für einen Grenzfall s. aber Chambre mises en accusation Paris 4. 6. 1954, JCP 1954.2,471 (Informationsaustausch zwischen Polizeikommissariat und Air France). 65 Vgl. CE 15. 2. 1961, Dame Metivier, Ree. 124. Vgl. CE 30. 10. 1959, Marcoulet, Ree. 568. 67 CE 24. 10. 1969, Gougeon, Ree. 457 = RDP 1970, 394 note Waline = AJDA 1969, 689, Chr. R. Denoix de Saint Marc/D.Laboutelle = D. 1969 J, 732, conci. G. Guillaume; CE 11. 2. 1972, Crochette, Ree. 138 = D. 1972 J, 426 note M. Le Roy = RDP 1972 conci. G. Guillaume. Vgl. Chapus, Droit administratif, II, Nr. 312. 68 Hierzu zählen die Anzeigepflicht jedes Bürgers bei Straftaten im allgemeinen (dazu Merle/Vitu, Traité de droit criminel, Bd. 2, Nr. 1024. Vgl. auch Art. 40 II Code de procédure pénale), sowie bei Straftaten, die möglicherweise die Verteidigung des Staates gefährden könnten, und epidemischen Krankheiten (Dekret-Gesetz vom 4. 10. 1939). Die Beschäftigten der Postverwaltung sind auch verpflichtet, Adreßänderungen an die Finanzbehörde weiterzugeben. Die frühere Verpflichtung, Abtreibungen anzuzeigen (Dekret-Gesetz vom 29. 7. 1939, sowie Cass. crim. 13. 3. 1897, D.P. 1897.1, 233) ist inzwischen aufgehoben worden. 69 Hier sind insbesondere das Personal des Sozialhilfedienstes hinsichtlich ihrer Aufgaben bei der Bewilligung der Sozialhilfe (Gesetz vom 8. 8. 1950, Art. 5; Gesetz vom 27. 2. 1953, Art. 81) und dem Kinderschutz (Art. 135, 81 Code de la Famille et de Γ Aide Sociale), sowie die Finanz- und Zollbeamten (Art. L 103 Livre des procédures fiscales; Art. 59bis Code des Douanes; Gesetz vom 31. 12. 1968, Art. 11), das Personal der Statistischen Ämter (Gesetz vom 7. 6. 1951, Art. 6), das Justizpersonal (Art. 6, 20
Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
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suistisch die Anforderungen des Code Pénal. Verpflichtet sind Beamte, die in Publikums verkehr stehen, wie z.B. Ärzte 70 , das Personal der Sozialversicherung 71 , Richter und Justizpersonal, Bürgermeister und Kommunalbeamte72, Inspektoren und Polizeibeamte. Das Berufsgeheimnis gilt insbesondere für Beamte, die unter Eid zur Geheimhaltung verpflichtet sind, wie auch für Beschäftigte der P.T.T. und statistischer Ämter oder für Finanzbeamte73. Für den Schutz des Postgeheimnisses kann auch Art. 226-13 des Code Pénal in Betracht kom^
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men . Das Berufsgeheimnis schützt Geheimnisse von Privatpersonen 75, nicht jedoch von politischen oder administrativen Dokumenten76. Der Schutzbereich des Statut de la Magistrature = Ordonnanz vom 22. 12. 1958), das Personal der Archivverwaltung (Gesetz vom 3. 1. 1979, Art. 2) zu nennen. Schweigepflicht besteht auch für die Mitglieder der Personalräte (Commissions Paritaires) in Bezug auf die durch Wahrnehmung ihrer Aufgaben erworbenen Kenntnisse (Dekret vom 14. 2. 1959, Art. 34). Art. 226-13 Code pénal findet Anwendung, wenn diese Informationen bei gewerkschaftlichen Auseindersetzungen von den Vertretern der Gewerkschaften benutzt werden (vgl. Cour d'Appel Paris 17. 11. 1963, GP 19541, 112). 70 Dem Arztgeheimnis unterliegen die Ärzte (Dekret vom 28. 11. 1955), die Hebammen (Dekret vom 30. 9. 1949), die Zahnärzte (Dekret vom 22. 7. 1967), die Lehrlinge sowie die ausgebildeten Krankenpfleger (Art. L 481 Code de la santé publique), die Krankengymnasten und sonstigen medizinischen Masseuren (Art. L 500 Code de la santé publique), die Logopäden und andere Sprachtherapeuten (Art. L 504-5 Code de la santé publique, Gesetz vom 10. 7. 1964 und Ausführungsdektrete), die physikalisch-therapeutischen Lehrer (Gesetz vom 6. 8. 1963 und Ausführungsdekret), die Hilfspersonen für werdende Mütter (Art. L 187 Code de la santé publique), sowie die Apotheker (Art. 9, 10 des Gesetzes vom 22. 6. 1963 und Ausführungsdekret), Präparatisten, und medizinische Analytiker. An das Arztgeheimnis wurden ebenfalls für einige Zeit Beschäftigten an der Sozialversicherungsträger gebunden (Art. 24 des Dekrets vom 29. 12. 1945, aufgehoben durch Art. 8 des Dekrets vom 12. 5. 1960). Die Offenbarung von Informationen, die dem Arztgeheimnis unterliegen, ist nur aufgrund der Seuchenprävention gestattet (Art. L 11, 12 Code de la santé publique, Dekret vom 20. 1. 1960. Vgl. auch Art. L 257-260 Code de la santé publique, Art. L 500 Code de la sécurité sociale, Dekret vom 28. 3. 1960). Das medizinische Geheimnis hat ein absolute Charakter aber gilt nicht gegenüber der betroffenen Person. In Fälle, wo die Heilung einer Organisation (z.B. Krankenhaus) anvertraut ist, bindet das Geheimnis jede Person innerhalb der Organisation. So ausdrücklich Cass. crim. 22. 12. 1966, D. 1967, J., 125. Trib. cor. Paris 17. 11. 1953, JCP 1954 II, 8119, note Chavanne. 72 Cass. crim. 13. 3. 1897, D. 1897.1, 233. 73 Dazu Plantey, Traité pratique de la fonction publique, Bd. 1, Nr. 1456. 74 Cass. crim. 19. 1. 1967, GP 1967 I, 272. Andere Konkurrenzen sind im Fall der Zerstörung des Dokuments denkbar. Vgl. auch Cass. crim. 19. 10. 1960, GP 1961 I, 64. 75 Trib. cor. Paris 17. 11. 1953, JCP 1954 II, Nr. 8119, note Chavanne. 76 Trib. cor. Seine 25. 3. 1896, D. 1896 J, 391: "que les secrets étaient d'ordre purement administratif et politique". Dieses grundlegende Urteil wurde aufgrund der sog.
§1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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erstreckt sich auch auf die Personalakten der anderen Beamten77, aber nicht auf administrative Tatsachen78. Die Rechtsprechung leitet diese Auslegung aus der systematischen Einordnung des Artikels über die Verbrechen gegen das Individuum ab. Das Berufsgeheimnis ist auch am Schutz der Behörde orientiert. Die Geheimhaltung ist für die Verwaltung von Bedeutung, weil die Offenbarung von Informationen die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte verletzen 79 und eine Amtshaftung verursachen kann 80 .
2. Die Sperr- und Schutzfristen
öffentlicher
Archive
Die öffentlichen Archive erfassen das aus dem Geschäftsgang der Verwaltung hervorgegangene Schriftgut 81 . Die Verwaltung der Archive nehmen spezielle Verwaltungseinheiten wahr 82 . Das Archivmaterial stellt einen Teil der öffentlichen Sachen dar 83 und ist im weiteren Sinne als der Begriff der adminiArton-Affäre gefällt. Dabei ging es um die Veröffentlichung der Gründe für die NichtFestnahme jenes Herrn Arton durch den Direktor der "Sûreté" (Sicherheitspolizei), obwohl er in den Skandal um die Panama-Kanal-Aktien verwickelt war. 77 CE 7.6. 1935, Botton, Ree. 432. 78 Trib cor Seine 25. 3. 1896, D. 1896, J, 391. 79 CE 27. 1. 1939, Renouf, D. 1939 J, 295. so CE 25. 10. 1935, Epoux Heur Santucci, Ree. 983 = D. 1936, J, 25; CE 6. 4. 1951, Sesmat, Ree. 175. Das gilt auch für den Fall unrichtiger oder unvollständiger Informationen s. CE 10. 7. 1964, Ministre de la Construction, JCP 1964 II, Nr. 13796 = AJDA 1964.1, 557 = D. 1964, J, 722, conci. Rigaud. 81 Vgl. Bénédicte Delaunay , L'amélioration des rapports entre l'administration et les administrés, Paris 1993, S. 587 ff 82 In Frankreich ist die Archi ν Verwaltung stark zentralistisch organisiert und den Archives de France durch die Archives Nationales et Départementales anvertraut. Es bestehen jedoch auch Kommunalarchive (Art. L 317-1 Code des Communes, Règlement des Archives communales), unabhängige, sowie autonome (z.B. Archive öffentliche Unternehmen) Archive. Eine Sonderstellung nehmen die Archive der Notare (Dekret vom 26. 11. 1971) ein, die - anders als in Deutschland (vgl. § 51 V BNotO) - von den Notare selbst geführt werden sollen. Vgl. dazu Jean Laveissière , Le statut des archives en France, RA 1980, S. 139 ff, 253 ff (145 ff); Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 596 ff. Zu den Besonderheiten der (unabhängigen) Archive des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten (Dekret vom 1. 12. 1980) und des Ministeriums der Verteidigung (Dekret vom 3. 12. 1979) s. Alain-Louis Mie , L'administration et le droit à l'information, S. 47 ff; derselbe, Le secret administratif, S. 52 ff. S. auch Jean Laveissière , Le pouvoir, ses archives et ses secrets, D. 1984, chr., S. 63 ff. 83 Laveissière , Le statut des archives, S. 253 ff. Insbesondere in Frankreich hat der Staat seit langem (vgl. bereits die Ordonnanz vom 25. 3. 1765) Anrecht auf alle Akten, die seine Bediensteten während ihrer Tätigkeit erworben haben. Dazu CE 10. 10. 1969, consorts Muselier, Ree. 432 = D. 1969, J, 669, note Bertrand = R.A. 1970, 29, conci. Braibant = JCP 1969, II, Nr. 16098, obs. P.L. = RDP 1970, note Waline = AJDA 1969,
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
strativen Dokumente zu verstehen 84. Die Archive erhalten die Schriftstücke, die im laufenden Geschäftsgang der Behörde nicht mehr benötigt werden. Wie dies festgestellt wird, wird von der Archivgesetzgebung nicht näher bestimmt 85 . Alle öffentlichen Stellen sind verpflichtet, ihre Unterlagen, die sie nicht mehr für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen, der Archivverwaltung zu überstellen 86 . Die Bewahrung des staatlichen Archivguts stellt kein Ziel per se dar. Die grundsätzliche Vorschrift des Art. 37 des Gesetzes vom 7. Messidor An I I (25. 6. 1794) 87 stellt als Zweck der staatlichen Archivtätigkeit den Zugang der Bürger zu den staatlichen Unterlagen dar 88 .
686, ehr. Denoix de Saint Marc/Labetoulle; Laveissière , ibid; Letteron, L'administré et le droit à l'information, S. 428 f. In Ausnahmefällen haben auch die Gerichte die Existenz öffentlicher Archive erlaubt, obwohl keine Deponierung bei der Archi ν Verwaltung vorlag. Dazu Bernard Even, Essai pour une théorie générale des documents administratifs, fichiers, archives publiques, et application en domaine hospitalier, Thèse Rennes 1984, S. 83 mwN. Dieser organische Archivbegriff iwS ist jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit, abzulehnen. Er ist nur verständlich wegen der politischen Brisanz bestimmter in Händen ehemaliger Beamter befindlicher Dokumente. Vgl. dazu Laveissière . Le pouvoir, ses archives et ses secrets, S. 63 ff. 84 Dazu Letteron , L'administré et le droit à l'information, S. 429. 85 Die Abgabe der Akten ergibt sich nicht aus einer Frist, sondern aus der betreffenden Materien. Zu Recht unterscheidet das Dekret vom 3. 12. 1979 (79-1037) zwischen aktuellen, zwischenzeitlichen und entgültigen Archive. Aktuelle Archive sind jene Akten, die für die tägliche Arbeit der Behörde von Bedeutung sind. Zwischenzeitliche Archive stellen die Akten dar, die, obwohl sie nicht mehr für die laufende Arbeit der Behörde von Nutzen sind, dennoch von Bedeutung sein können. Entgültige Archive sind jene Akten, die für die Verwaltung keine praktische Bedeutung mehr haben. Nur diese letzteren werden der Archi ν Verwaltung übergeben. Damit erweist sich der materielle Archivbegriff als weitergefaßt als der organische. 86 Dekret vom 3. 12. 1979 (79-1037). Dazu Laveissière , Le statut des archives, S. 145 ff. Zu den praktischen Schwierigkeiten s. Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 604 ff. 87 Das Text des (noch geltenden) Gesetzes lautet: "Tout citoyen pourra demander dans les dépôts, aux jours et aux heures qui seront fixés, communication des pièces qu'ils renferment; elle leur sera donnée sans frais et sans déplacement, et avec les précautions convenables de surveillance". Damit wurde ein "archivalischen Menschenrecht" proklamiert (Wilhelm Wiegand, 1907, zit. nach Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 91). Dem Gesetz vom 7. Messidor An II war das Dekret vom 4. 9. 1790 vorausgegangen. Mit diesem wurden die Archive der Konstituante der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Gesetz vom 3. 1. 1979 hat dieses Bürgerrecht in ein Menschenrecht umgewandelt. Damit ist nun jedermann die Zugang zu den Archiven gestattet. Dazu Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 584 ff, 591 ff. 88 Ein Ausnahme stellen jedoch die medizinischen Archive der Krankenhäuser dar, die vorrangig therapeutische Zwecke haben. Sie wurde durch Art. 38 des Dekrets vom 11.4. 1938 eingeführt. Jeder Arzt eines Krankenhauses hat das Recht, die dort befindli-
§ 1 Die französische Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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In Frankreich ist dieser Zugang, der nicht vom Nachweis eines berechtigten Interesses abhängt, so selbstverständlich, daß man ihn als eine Art politisches Recht betrachten und zu den Grundfreiheiten zählen könnte 89 . Der Zugang zu öffentlichen Archiven ist grundsätzlich an den Ablauf von Sperr- und Schutzfristen gebunden. Grund hierfür ist, den Mißbrauch des Zugangsrechts zu vermeiden 90. In Frankreich liegt die Sperrfrist bei dreißig Jahren nach der Beendigung des zugrundeliegende Vorgangs 91 . Im Fall von schutzwürdigen persönlichen und staatlichen Interessen sind besondere Schutzfristen vorgesehen. Diese Schutzfristen laufen in Frankreich 150 Jahre ab der Geburt des Betroffenen in bezug auf die persönlichen medizinischen Unterlagen, 120 Jahre seit der Geburt des Betroffenen für die Personalakten, 100 Jahre nach Abschluß der Angelegenheit für die Justizakten sowie für Akten über Begnadigungsverfahren, das Melderegister und das Personenstandsregister, ebenso 100 Jahre für die von statistischen Ämter gesammelten persönlichen Angaben und 60 Jahre nach ihrer Anlage für die Unterlagen, die das private Leben, die Staatssicherheit oder die nationale Verteidigung betreffen 92. Diese Schutzfristen chen Akten einzusehen (Gesetz vom 31. 12. 1970). Die Gestaltung und die Einzelheiten dieser Archive regelt ein Arrêté interministériel vom 11.3. 1968. Nach diesem sind alle Akten für 20 Jahren bei einfacheren Fällen (z.B. Transfusionen), bis auf unbestimmte Zeit (bei erblichen Krankheiten) in den Archiven zu behalten. Andere Fristen sind auch in der sozialen Gesetzgebung zu finden, beispielsweise für Akten über Arbeitsunfälle, die als Beweismaterial benutzt werden können. Gegenüber aber nicht-betroffenen Dritten sind die Archive nach einem Arrêté ministériel vom 20. 12. 1971, in Ausführung des Dekrets vom 19. 11. 1970 über den Zugang zu administrativen Archiven, für 150 Jahre ab der Tag der Geburt des Betroffenen verschlossen. 89 Der Conseil d'État hat in einem Gutachten vom April 1977 den Zugang zu den Archiven den Charakter einer "Liberté publique" zuerkannt und damit eine gesetzliche Bestimmung zu ihrer Regulierung gefordert. S. Laveissière , Le statut des archives, S. 141, 264. Das Kopieren von Archivunterlagen ist jedoch nicht gratis (CE 9. 2. 1983, Bertin, Ree. 53 = AJDA 1983, 431; CE 25. 3. 1988, Bertin, DA 1988, Nr. 217) und die Behörde ist nicht verpflichtet selbst die Kopien anzufertigen (CE 9. 7. 1982, Bertin, GP 19841, panorama droit administratif, 225). 90 Die Einführung einer Sperrfrist erfolgte in Frankreich durch ein Arrêté vom 16. 5. 1887 nach Ermächtigung durch das Dekret vom 14. 5 1887 als Mißbrauchsschutzklausel des Gesetzes vom 7. Messidor An II. Die Sperrfrist von fünfzig Jahren wurde später auf dreißig Jahre reduziert (Dekret vom 31.7. 1962, Dekret vom 19. 11. 1970). 91 Art 6 III des Gesetz vom 3. 1. 1979. 92 Art. 7 des Gesetzes vom 3. 1. 1979. Dazu TA Paris 21. 1. 1988, Jobez, Ree. TA 1989, 501 = Ree. Τ 584, 799; CE 8. 4. 1994, Ministre des affaires étrangères c. Mme Jobez, Ree. 178 = RFDA 1994, 638 = DA 1995, chron., 2, conci. M. Denis-Linton = AJDA 1994, 679, 744, ehr. L. Touvet/J.-H. Stahl. Welche Unterlagen unter die Schutzfrist von 60 Jahren fallen, ist durch Dekret bestimmt (jetzt Dekret vom 3. 12. 1979). Damit entsteht ein Spielraum administrative Ermessens. Vgl. dazu Laveissière , Le statut des archives, S. 265 f; Letteron, L'administré et le droit à l'information, S/435; Mie , L'administration et le droit à l'information, S. 44 f; derselbe, Le secret administratif, S.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
können mit Ausnahme der notariellen Unterlagen 93 und der statistischen Angaben durch Dispens für bestimmte Vorhaben verkürzt werden 94 .
3. Konsequenzen Die beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflichten sowie die Sperr- bzw. Schutzfristen der staatlichen Archive können nicht als Rechtsgrundlage exekutiver Geheimhaltung fungieren. Sie sind jedoch für den Verwaltungsapparat verbindlich (öffentlich-rechtliche Bindungen), was die Kommunikation der Verwaltung erschwert. Dies gilt nicht nur für die nach außen gerichteten Kommunikationsstrukturen. Die Koordination der verschiedenen Behörden wird erschwert, wodurch sich die Steuerungskapazität staatlicher Information vermindert 95 .
V. Kompensation der Geheimhaltungspraxis durch Verwaltungsinformationspolitik? Unter dem Einfluß angelsächsischer Vorbilder versuchte die französische Verwaltung in der Nachkriegszeit, die Kommunikationsstrukturen mit den Bürgern durch Informationsleistungen zu verbessern 96. Diese Informationspolitik bezweckt, die Nachteile, die sich aus der Geheimhaltung der Tätigkeit der Exekutive ergeben, zu mindern und das Bild der Administration nach außen zu verbessern 97.
48 ff; Bruno Lasserre/Noelle Lenoir/Bernand Stirn, La transparence administrative, Paris 1987, S. 153 f; Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 593 ff; Jean-Marie Becet, La communication des documents au public, in: Francis-Paul Bénoit (Hrsg.), DallozCollectivités Locales, Losebl., 152/1989, Nr. 137 ff. Andernfalls ist jede Ablehnung des Zugangs zum Archivgut zu begründen (Art. 26 des Gesetzes vom 3. 1. 1979). Die Streitigkeiten über die Zugänglichkeit der Archive gehören der Verwaltungsgerichtsbarkeit an. S. TC 19. 4. 1982, Bertin c. Maire de Guipy, Ree. 455 = DA 1982, Nr. 170 = D. 1983,1. R., 235, obs. P. Delvolvé. 93 Art. 23 des Gesetzes vom 25 Ventose An XI. 94 Art. 8 des Gesetzes vom 3. 1. 1979. Dazu Laveissière , Le statut des archives, S. 266 f. 95 Vgl. Thierry Aulagnon/Daniel Janicot , La communication entre administration et administrés, RA 1975, S. 311 ff. 96 Vgl. in allgemeinen André Hollaux, L'information du public, Bulletin de l'Institut International d'Administration Publique 1973, H. 25, S. 7 ff. 97 Jüngst wird auch von einer "Kommerzialisierung" staatlichen Informationen gesprochen. S. Herbert Maisl, Le droit des données publiques, Paris 1996; derselbe, La
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Die Informationspolitik erfolgt auf zwei Ebenen. Zum einen verfügen nun alle Behörden über Verwaltungseinheiten, die auf die bessere Information der Bürger abzielen98. Zum anderen nimmt die traditionelle zentralistische Verwaltungskultur auch in diesem Bereich Einfluß in Form der Ausbildung großer Informationsorganisationen 99. Diese Informationspolitik 100 verbessert die Kommunikationskanäle der Verwaltung. Sie bleiben aber einseitig und unkontrollierbar 101 . Die Verwaltung bestimmt allein, welche Informationen dem Bürger zugänglich sein sollen. Dies führt aber zu einer Verstärkung der Informationsselbstbestimmung der Verwaltung und bestätigt die Geheimhaltung der Exekutive. diffusion des données publiques, AJDA 1994, S. 355 ff; Les domaines publiques, un gisement à exploiter?, RFAP 1994, Nr. 72 (Sonderheft); Conseil d'État , La transparence et le secret, S. 127 ff. Vgl. auch dazu Circulaire du premier ministre du 14. 2. 1994, "relative à la diffusion des données publics" (JO 19. 2. 1994, S. 2864). 98 Vgl. Hollaux , L'information du public, S. 41 ff. 99 Vgl. Hollaux , L'information du public, S. 48 ff. Hier sind der Service d'information et de diffusion (SID) (Dekret vom 6. 2. 1976), die Commission de coordination de la documentation administrative (CCDA) (Dekret vom 13. 7. 1971), die Documentation française (DF) (Dekret vom 6. 2. 1976) und die Commission de coordination de l'informatique juridique (CCIJ) sowie das Comité interministériel de l'informatique et de la bureaucratique dans l'administration (CUBA) in der Zentral Verwaltung zu nennen. Der SID ist das Presseamt der französischen Regierung. Die CCDA ist ein Koordinationsorgan für die Informationspolitik der Behörde und hat zur Aufgabe, die Informationsleistungen zu verbessern. Die DF ist auf die Publikation von Verwaltungsdokumenten, Gutachten oder anderen administrativen Informationen ausgerichtet. Die CCIJ und das CUBA sind Koordinationsebenen und betreffen die neuen Technologien. S. dazu Roland Dumas, Le droit de l'information, Paris, 1981, S. 50 ff, 61 ff, 67 ff; Patrice Sotero, L'accès aux sources de l'information administrative: transparence ou opacité?, Régards sur l'actualité, Février 1985, Nr. 108, S. 43 ff; Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 418 ff. Daneben sind das Statistische Amt (Institut national de la statistique et des études économiques - INSEE) und die Presseämter der Ministerien, die Informationseinheiten der Präfekturen sowie die Pressebüros der Selbstverwaltungsträger und der Anstalten zu nennen. Dazu Delaunay, S. 421 ff. Es bestehen auch viele Verwaltungseinheiten, wie die Centres interministériels de renseignements administratifs (CIRA), die dem Bürger als Orientierung und Hilfe dienen sollen (Dekret 5. 5. 1995). S. Delaunay, S. 425 ff. Vgl. auch Didier Sapaut, L'organisation de l'information gouvernementale, RA 1982, S. 76; Lasserre/ Lenoir/ Stirn y La transparence administrative, Paris 1987, S. 43 ff; Daniel Moatti, Accès à l'information administrative, Nice 1990. S. auch jüngst die Circulaire du premier ministre du 14. 2. 1994 "relative à la diffusion des données publiques (JO 19. 2. 1994, S. 2864 = D. 1994, L., S. 203), die die Übermittlung nicht-konfidenziellen Informationen durch Träger öffentlicher Verwaltung an der Öffentlichkeit und die entsprechende Bezahlung regelt. 100 Vgl Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 430 ff. 101
Zu Problem der Objektivität s. Dumas, Le droit de l'information, 26 ff. S. auch TA Amiens 31. 10. 1978, Hosten et Mahiu, Ree. 723 = AJDA 1979, H. 11, 32, note L. Richter (Gleichheit der Presseträger vor der Verwaltung). 6 Trantas
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
§ 2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte i m Verwaltungsverfahren Die Geheimhaltung administrativer Tätigkeit wird besonders deutlich im Verwaltungsverfahrensrecht.
I. Die grundsätzliche Geheimhaltung des Verwaltungsverfahrens Das französische Verwaltungsverfahren wird prinzipiell unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgeführt 1. Die Geheimhaltung gilt sowohl gegenüber der breiten Öffentlichkeit wie auch gegenüber den Betroffenen. Es scheint, daß die Rechtsprechung Prinzipien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auf das Verwaltungsverfahren übertragen hat2. Nach der Rechtsprechung des Staatsrates ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren nur dann öffentlich, wenn ein Gesetz dies vorschreibt 3. Dies bedeutet, daß es ohne gesetzliche Grundlage kein Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren gibt 4 . 1
Dazu Jean-Marie Auby, La procédure administrative non contentieuse, D. 1956, ehr., S. 27 ff (30); Guy Isaac, La procédure administrative non contentieuse, Paris, 1968, S. 371. 2 Vgl. y.-Af. Auby, La procédure administrative non contentieuse, S. 30; Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 372 und Fn 10. 3 CE 25. 6. 1948, Brillaud, Ree. 292 = D. 1949, somm., 21 = conci. Letourneur, S. 1950.3, 42; CE 27. 10. 1978, Debout, Ree. 395, conci. Labetoulle; CE 11. 7. 1984, Subrini, Ree. 259; CE 10. 6. 1994, Commune de Cabourg, Ree. 300, conci. Lasvignes. Anders jetzt im Hinblick auf Art. 6 EMRK: CE 29. 7. 1994, Département de l'Indre, Ree. 364; CE 31. 3. 1995, avis, ministre du budget c. SARL Auto-industrie Méric et autres, EDCE 1996, 342. Die Möglichkeit einer "audience public" wurde erst durch die Ordonnanz vom 2. 2. 1831 für den Staatsrat und durch das Dekret vom 31. 12. 1862 für die conseils de préfecture (Vorläufer der heutigen tribunaux administratifs) eingeführt. Die heutige Regelung befindet sich in Art. 66 der Ordonnanz vom 31.7. 1945 (für den Staatsrat) und in Art. R 195 Code des tribunaux administratifs et des cours administratives d'appel (für die Verwaltungsgerichte). S. auch Artt. 306, 400 Code de procédure pénale, Art. 22 Code de procédure civile. Dazu in allgemeinen Olivier Gohin, La contradiction dans la procédure administrative contentieuse, Paris 1988, S. 277 ff. Der Staatsrat zählt deshalb - unter Vorbehalt des Art. 6 EMRK - die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Verwaltungsprozesses. Dagegen stellt die geheime Beratung über das Urteil einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Prozeßrechts dar. Vgl. dazu CE 17. 11. 1922, Sieur Legillon, 2e espèce, Ree. 850; CE 11. 6. 1948, Poulhiès, Ree. 268. 4 CE 11. 7. 1947, Ampoulance, Ree. 310.
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren
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Der Geheimhaltungscharakter des Verwaltungsverfahrens hat seine praktischen Auswirkungen in zwei Momenten des Verfahrens: im Ausschluß der Öffentlichkeit von den Beratungen der Behörde 5 und der Kollegialorgane 6 sowie in der Unzugänglichkeit der administrativen Dokumente. Unzugänglich sind zunächst für Dritte die Akten der Verwaltung, die sie nur faktisch belasten und folglich nicht förmlich bekannt geworden sind7. Dies gilt auch für Verwaltungsverträge 8. Verfahrensakten sind ebenfalls nicht zugäng-
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J.-M. Auby, La procédure administrative non contentieuse, S. 30; Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 372. 6 Jean-Marie Auby, Le régime juridique des avis dans la procédure administrative, AJDA 1956.1, S. 53 ff (60); ders., La procédure administrative non contentieuse, S. 30. Vgl. auch Pierre Landron, Die Mitwirkung von Ausschüssen in der französischen staatlichen Verwaltung, VerwArch 1958, S. 297 ff; René Hostiou, Procédure et formes de l'acte administratif unilatéral en droit français, Paris 1975, S. 23 ff; Christian Roblin , Les avis conformes, in: Georges Dupuis (Hrsg.), Sur la forme et la procédure de l'acte administratif, Paris 1979, S. 81 ff. Die Präsenz eines Nicht-Mitglieds bei einer Sitzung des Kollegialorgans ist ein Verfahrensfehler. Dazu CE 30. 7. 1949, Didier, Ree. 394; CE 29. 7. 1953, Pouzelgues, GP 1954 I, 38. Die Rechtsprechung unterscheidet jedoch zwischen Disziplinarräten und anderen Kollegialorganen. Unheilbar sind Verfahrensfehler nur für die Disziplinarorgane. Anhand anderer Fälle soll nachgewiesen werden, daß die Präsenz Dritter einen Verfahrensfehler verursacht hat. Dazu CE 17. 12. 1952, Dame Moskon, Ree. 583; CE 7. 1. 1955, Revue pratique de droit administratif 1955, Nr. 99. Ein wichtige Ausnahme gestattete das Gesetz vom 10. 8. 1871 für die Sitzungen des Departementsrats (Conseil général ). Die Vorschrift gilt allerdings nicht für Departementskommissionen sowie für die Gemeinderatssitzungen. Die Gemeinderatssitzungen sollen öffentlich sein (Art. 28 I). Dabei ist nicht erforderlich, daß die Zuhörer Wähler, Franzosen oder volljährig sind. Beschränkungen können nur aus objektiven Gründe (z.B. nicht ausreichende Größe des Tagungsraums) oder durch das Hausrecht erfolgen. Der Gemeinderat kann die Öffentlichkeit ausschließen, wenn dies von fünf Mitgliedern, dem Präsidenten oder dem Präfekt gewünscht wird (Art. 28 II). Der Rat muß aber darüber abstimmen (CE 20. 6. 1952, Soustelle, S. 1952.3, 108 = GP 1952 II, 175). Das Abstimmungsergebnis unterliegt nicht der richterlichen Kontrolle, wenn die nicht öffentliche Sitzung nicht zur Regel wird (CE 19. 6. 1959, Binet, AJDA 1959, 364). Die Abstimmungen sind öffentlich. Vgl. dazu CE 25. 4. 1956, Sattler, AJDA 1956, 264. Beratungen und Abstimmungen müssen auch innerhalb der nächsten 48 Stunden durch einen Bericht der örtlichen Presse bekanntgegeben werden (Art. 31). Etwas Ähnliches gilt für die Gemeinderäte. Die Abstimmungen und Beratungen müssen durch den Aushang eines Berichts vor dem Rathaus bekanntgemacht werden (Vgl. CE 8. 4. 1911, Lecomte, Ree. 466; TC 7. 5. 1953, Mitard, Ree. 586). Dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 381 f. ι CE 18. 11. 1949, Carlier, Ree. 490 = S. 1950.3, 49, note R. Drago = RDP 1950, 173, conci. F. Gazier, note M. Waline. 8 CE 14. 1. 1916, Ree. 19 (Der Text des Vertrages zwischen einer Gemeinde und einem Unternehmen ist für Dritte nicht zugänglich).
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
lieh. Hierunter fallen insbesondere Gutachten9, Stellungnahmen von Kollegialorganen 10 sowie Untersuchungsakten 11.
I I . Die Konzeption des französischen Verwaltungsverfahrens Die Geheimhaltung im Verwaltungsverfahren erklärt und fördert teilweise das französische Konzept des Verwaltungsverfahrens. 9
CE 14. 3. 1951, Paraire, Ree. 158 (medizinische Gutachten); CE 12. 3. 1954, Gauthier, Ree. 821 (Expertengutachten); CE 15. 7. 1955, Société Générale d'Éntreprises du Sud de la France, Ree. 449 (Gründe für die Veränderung des Projekts des Technischen Ausschusses des Departements durch das Conseil Supérieur des Transports). 10 CE 28. 2. 1919, Canal, Ree. 219 (Stellungsnahme eines Disziplinarrats); CE 20. 1. 1960, Suel, AJDA 1960, II, 245 (Vorschläge der Beförderungsausschüsse). Die Stellungnahmen von Kollegialorganen sind nicht zugänglich, auch wenn für den Bürger Stellung genommen wurde. S. CE 17. 5. 1934, Levy, Ree. 561; CE 9. 3. 1938, Huguet, Ree. 251; CE 3. 2. 1954, Biello, Ree. 858; CE 27. 4. 1956, Malzac, Ree. 171. Der Zugang ist nur dann gestattet, wenn er gesetzlich vorgesehen ist. S. CE 31. 3. 1950, Grunebaum, Ree. 207. Der Zugang wird expressis verbis zugelassen. Die Begründungspflicht genügt nicht. Dazu CE 11. 3. 1949, Orth, Ree. 122. Diese konservative Haltung der Rechtsprechung führt manchmal zu paradoxen Ergebnissen. So kann in die Stellungnahme Einblick genommen werden, wenn ein Widerspruchsverfahren gegen sie gesetzlich eröffnet wurde (CE 8. 4. 1951, Dlle Flacheron, Ree. 192), die Stellungnahme der Widerspruchsstelle bleibt jedoch unzugänglich (CE 11. 10. 1963, Ree. 808, zit. nach Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 374). Andererseits, wenn die Meinung bekanntgemacht werden sollte, stellt der Verzicht auf die Bekanntmachung keinen Verfahrensfehler dar (CE 15. 12. 1954, Rouaix, Ree. 723), aber die Klagefrist wird unterbrochen (CE 7. 2. 1958, Secretaire d'État aux Affaires Économiques c. Moulin, Ree. 84). Die Rechtsprechung wird durch den Gedanke gerechtfertigt, daß die Behörde nicht verpflichtet ist, der Meinung der beratenden Kollegialorgane zu folgen, diese jedoch, wenn sie in bezug auf das Anliegen des Bürgers gefallen sind und ihm bekannt werden, von ihm gegen die Verwaltung benutzt werden können. Andererseits bedienen sich die Behörden sehr oft der Veröffentlichung von Meinungen, um ihre eigenen Fehler zu dekken. Dazu krit. Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 374. Ein Verstärkung der Veröffentlichung der Meinungen von Kollegialorganen ist durch das Dekret vom 28. 11. 1983 erfolgt. Damit ist in den Fällen, wo ein Begründung des Verwaltungsakts durch das Gesetz vom 11.7. 1979 vorgesehen ist, die Meinung zusammen mit den Sitzungsberichten des Kollegialorgans mitzuteilen. Dazu Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 109,469 f. 11 Commission Supérieure de cassation des dommages de guerre 17. 12. 1951, Douvrain, GP 1952 I, 278. In diesem Fall wurde der Zugang zu den Untersuchungsakten abgelehnt, obwohl dies im Gesetz vorgesehen war, weil der für die Untersuchung zuständige Beamte nicht der gesetzlich vorgesehene Spezialist war. Damit scheinen Mißbräuche der Behörde gebilligt zu werden.
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren
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1. Unterentwicklung des französischen Verwaltungsverfahrensrechts Das französische Verwaltungsrecht ist im internationalen Vergleich 12 traditionell 13 von verfahrensrechtlicher Enthaltsamkeit gekennzeichnet14. Verfahrensvorschriften sind selten und fragmentarisch 15. Diese Lage des französischen Verwaltungsrechts ist ironischerweise auf die enorme Dynamik der Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zurückzuführen 16 . Anders als die angelsächsische Tradition richtet sich das französische Verwaltungsrecht nicht an prozeduralen Garantien, sondern an der nachträglichen gerichtlichen Kontrolle der Verwaltungsentscheidungen aus 17 . Diese Kontrolle wird von gerichtlichen Organen ausgeübt, die formell kein Teil der Justiz, sondern der Verwaltung sind; es ist eine objektive Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandlungen und keine Sanktionierung subjektiver Rechte18. Die Jurisdiktion ist durch das Bestehen eines Prozeßrechts gekenn12
Dazu Georges Langrod, Procédure administrative et droit administratif, RDP 1948, S. 549 ff. 13 S. schon Maurice Hauriou , Notes d'arrêts, Paris 1928, Bd. 1, S. X: "le droit français se signale par une indigence manifeste et générale dans l'appréhension de la notion de procédure administrative non contentieuse". 14 Guy Isaac, La procédure administrative non contentieuse, Paris, 1968, S. 16. Vgl. auch Franz Becker, Das allgemeine Verwaltungsverfahren in Theorie und Gesetzgebung, Eine rechtsvergleichende Untersuchung, Stuttgart, Bruxelles 1960, S. 112 ff; Jean-Paul Costa, Il procedimento amministrativo non contezioso, Rivista trimestrale di diritto pubblico 1993, S. 339 ff. Ein Übersicht über die französischen Lehre des Verwaltungsverfahrens gibt Marie-José Guédon , États des travaux sur la procédure administrative non contentieuse, in: Dupuis, Sur la forme et la procédure de l'acte administratif, S. 119 ff. 15 J.-M. Auby , La procédure administrative non contentieuse, S. 27. 16 Vgl. Jean Rivero , Le système français de protection des administrés contre l'arbitraire administratif à l'epreuve des faits, in: Mélanges Dabin, Bruxelles 1963, Bd. 2, S. 819 ff mwN, der auf die Sorge der napoleonischen Verwaltung, Verfahrensgarantien auszugestalten, hinweist. 17 Rivero , Le système français, S. 820; 18 Die Entwicklung verlief nicht linear und erfolgte in verschiedenen Stufen. Die Evolution von einer hierarchischen Kontrolle des Staatsrats bei der Verletzung von subjektiven Rechten zu Beginn des 19. Jahrhunderts (dazu Pierre Sandevoir, Études sur le recours de pleine juridiction, L'apporte de l'histoire à la théorie de la justice administrative, Paris 1964. Vgl. auch M. Macarel , Cours de droit administratif, Bd. 2, Paris 1844, S. 850 ff; Gérard Sautel, Histoire des institutions publiques, 5. Aufl., Paris 1982, Nr. 193 ff, 320 ff) zu einer Jurisdiktion, die objektive Rechtskontrolle ausübt, verläuft parallel. Zu den objektiven Formen des Rechtsschutzes s. Léon Duguit y Traité de droit constitutionnel, 2. Aufl., Bd. 2, Paris 1923, S. 357. Während dieser Entwicklung wird die Bedeutung gerechter Verfahrensgarantien zurückgedrängt. Die Forderung nach besseren Verfahrensgarantien in bestimmten Sachbe-
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
zeichnet. Der Staatsrat hat dabei den Begriff des Verwaltungsverfahrens (procédure administrative) mit dem Begriff des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verbunden. Das Bestehen von Verfahrensregeln ist ein Zeichen der Jurisdiktion und nicht der Verwaltung. Dieses Konzept hat zu Schwierigkeiten geführt, wenn die Rechtsprechung mit Absichten der Verwaltung kollidierte, die aus ihrer Natur bestimmte Verfahrensgarantien förderten, nämlich im Disziplinarrecht. Statt ein Verwaltungsverfahrensrecht anzuerkennen, versuchte die Rechtsprechung durch die Konstruktion von quasi-gerichtlichen Verfahren die praktischen Anforderungen mit ihren traditionellen Positionen zu vereinbaren 19. Das Verwaltungsverfahren ist ein nichtgerichtliches administratives Verfahren (procédure administrative non contentieuse). Diese Konzeption des Verwaltungsverfahrensrechts beeinflußt die Art seiner Behandlung durch die Rechtsprechung. Die Verfahrenshandlungen interessieren den Verwaltungsrichter grundsätzlich nicht, weil er sich auf die Kontrolle der Entscheidung ausrichtet und keinen Rechtsbehelf gegen sie zuläßt. Nur die Verfahrenshandlungen, die eine Bedeutung für den kontrollierbaren Endakt haben, sind bei seiner Kontrolle mit zu berücksichtigen 20. Entscheidend war hier die Fortentwicklung der Lehre der Formfehler (vice de forme). Dieser traditionelle Anfechtungsgrund erfaßt alle substantiellen Formen von Verwaltungshandlungen, d.h. die Formen, die dem Schutz des Bürgers, wie z.B. die Achtung der droits de la défense 21, oder der besseren Funktion der Verwaltung dienen 22 . Die reichen war dabei nicht durch die Ausgestaltung von Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts, sondern durch eine Ausdehnung des Begriffs der Jurisdiktion und der Anerkennung von verschiedenen Verwaltungsorganen als besonderen Verwaltungsgerichten geprägt. Vgl. dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 22 ff, 25 ff. 19 Dazu ausführlich Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 36 ff. Die Bereitschaft des Staatsrats, das Disziplinarverfahren als quasi-gerichtlich zu bezeichnen, erklärt vielleicht in Hinblick auf die Tatsache, daß vor dem Gesetz vom 31.3. 1873 die Disziplinierung nicht durch Verwaltungsorgane, sondern durch Gerichte ausgeübt wurde. Vgl. Rudolf Behrendt, Das rechtliche Gehör im deutschen und französischen Verwaltungsverfahren, Diss. Saarland 1970, S. 24. 20 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 48 ff. 21 Charles Debbasch/Jean-Claude Ricci, Contentieux administratif, 5. Aufl., Paris 1990, Nr. 820; Jean-Jacques Bienvenu , Vice de procédure, in: François Gazier/Roland Drago (Hrsg), Dalloz - Répertoire de contentieux administratif, III, Nr. 121 ff. 22 Dazu Raphael Alibert , Le contrôle juridictionnel de l'administration au moyen du recours pour excès du pouvoir, Paris 1926, S. 230; Paul Duez/Guy Debeyre , Traité de droit administratif, Paris 1952, S. 387 f; Georges Vedel/Pierre Delvolvé , Droit administratif, 11. Aufl., Paris 1990, II, S. 303 f; Jean de Soto, Contribution à la théorie des nullités des actes administratifs unilatéraux, Paris 1941, S. 135 ff; J.-M. Auby , La procédure administrative non contentieuse, S. 29; Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 288 ff; Udo Maas, Verwaltungsakt und Rechtssatz, Zur Systematik rechtswidriger Verwaltungsakte im deutschen und französischen Recht, Köln, Berlin, Bonn, München 1970, S. 94 f; Xavier Philippe , Le contrôle de proportionnalité dans les
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substantiellen Formfehler führen jedoch nur dann zu einer Anfechtung 23 , wenn sachlich keine andere Verfahrenslösung getroffen werden konnte 24 . Eine Schwachstelle des französischen Verwaltungsverfahrensrechts ist dabei die Abneigung der Rechtsprechung, im Fall einer gebundenen Entscheidung (competence liée) der Verwaltung auf Form- bzw. Verfahrensfehler zu prüfen 25 . Rechtsprechung und Lehre haben im Rahmen des traditionellen vice de forme zwischen vice de forme im engeren Sinne und vice de procédure unterschiejurisprudences constitutionnelle et administrative françaises, Paris 1990, S. 198 ff; Debbasch! Ricci, Contentieux administratif, Nr. 817 ff; Schiette , Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten, S. 177 ff. Vgl. dazu CE 18. 7. 1884, Guiches, Ree. 601 (" conditions substantielles"); CE 3. 7. 1896, Syndicat de l'association de vidanges d'Arles, Ree. 546; CE 18. 7. 1905, Boitel de Dieuval, Ree. 691 ("formalité essentielle"). Der Konsens der Betroffenen hebt die Verfahrensfehler nicht auf, weil sie eine "ordre public" darstellen (CE 2. 7. 1909, Pruvost, Ree. 650). Die Behörde kann aber nicht von Rechtswidrigkeit sprechen, wenn sie über längere Zeit hinweg einen formell rechtswidrigen Akt nicht widerrufen hat. Dazu CE 11. 2. 1927, Guillemin, S. 1927.3, 49, note M. Hauriou und CE 20. 4. 1932, Daverat, Ree. 396 (rechtswidrige Beamtenernennung ohne vorherigen Verwaltungsakt). Eine spätere Erfüllung der Form ist nicht rechtmäßig. Dazu de Soto, Contribution à la théorie des nullités des actes administratifs unilatéraux, S. 140. Wenn aber der Form nach auch dann die gesetzlichen Ziele erfüllt sind, ist der Fehler geheilt (CE 13. 2. 1903, Baudard, Ree. 121; CE 23. 4. 1937, Cimetière, Ree. 425). Vgl. in allgemein Hostiou, Procédure et formes de l'acte administratif unilatéral, S. 275 ff. 23
Es kann indessen vorkommen, daß der Formfehler so erheblich ist, daß der Akt absolut nichtig ist. Vgl. zur Unterscheidung zwischen nichtigen und anfechtbaren Akten (act inexistant - act nul) Jean-Marie Auby , L'inexistence des actes administratifs, Paris 1951, S. 273 ff; Maas, Verwaltungsakt und Rechtssatz, S. 79 ff. 24 Z.B. wenn wegen Mangels an Personal eine rechtsmäßige Zusammenstellung der Disziplinarorgane in einer Kolonie nicht möglich ist (CE 17. 1. 1896, Clerget, Ree. 24) oder die Verfahrensmängel durch die Schuld des Betroffenen erfolgen (CE 21. 2. 1908, Busoni, Ree. 174 - Keine Einsicht in die eigene Akte; CE 7. 8. 1909, Winkell, S. 1909.3, 145 - verbotener Streik). Dazu Bienvenu , Vice de procédure, Nr. 11 ff; Jacques Moreau, Les conséquances des illégalités procédurales en droit administratif français, REDP/ERPL 1993, Numéro spécial/Spécial number (Spetses Conferences - 1992), S. 99 ff (90). Vgl. auch dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 295, der auch über unmögliche Formen spricht. Eine andere Beschränkung ist im Fall von Dringlichkeit und Ausnahmezustand von der Rechtsprechung anerkannt. Vgl. Isaac, S. 299 ff. 25 Die Grundidee der Rechtsprechung der "moyens inopérants " ist, daß in diesen Fällen keine Chance besteht, den recours als begründet zu betrachten, weil keine andere Entscheidung getroffen werden konnte. Es gibt aber Fälle, in denen das Verfahren entscheidend für die Beurteilung der Sachlage bei der Ausübung der compétence liée wird. Im diesem Sinne s. CE 7. 6. 1957, Brissaud, Ree. 390, conci. Guldner. Vgl. dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 313 ff, der die Tendenz der Rechtsprechung bemerkt, diese Form der Unzulässigkeit der Klage auf jene Fälle, in denen die Voraussetzung für die gebundene Entscheidung bekannt und stabil (z.B. Alter eines Beamten) oder offensichtlich ist, zu beschränken (S. 316 mwN).
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den 26 , wobei erstere die Fehler in der Handlung im Akt direkt lokalisiert, also z.B. ein fehlendes Datum oder eine unvollständige oder fehlende Begründung, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, letztere hingegen Fehler im Verfahren selbst erfaßt 27. Eine parallele Entwicklung signalisiert die Identifizierung des Verfahrensmißbrauchs (détournment de procédure) im Rahmen des Anfechtungsgrunds des détournment de pouvoir (Ermessensmißbrauch) 28. Diese neuen Gründe für eine Anfechtung haben das Verwaltungsverfahren in die vom Verwaltungsrichter zu kontrollierenden Angelegenheiten integriert. Damit ist aber ein weiterer Schritt in Richtung auf eine gerichtliche Konzeption des Verwaltungsverfahrens vollzogen. Das Verwaltungsverfahrensrecht besitzt keine Eigenständigkeit und wird zum Teil des Instrumentariums der verwaltungsgerichtliche Kontrolle 29 .
2. Entwicklungstendenzen Eine Wende in der Annäherung an das Verwaltungsverfahrensrecht geschah erst nach dem Krieg 30 . Die Befreiung vom Prozeßrecht ist zum großen Teil erfolgt durch den Einfluß ausländischer Vorbilder 31 . Das Verwaltungsverfahrens26
Dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 55 ff; Hostiou, Procédure et formes de l'acte administratif unilatéral, S. 236 ff; Georges Dupuis , La présentation de l'acte administratif, in: derselbe, Sur la forme et la procédure de l'acte administratif, S. 9 ff (9); VedeUDelvolvé , Droit administratif, II, S. 301; Bienvenu , Vice de procédure, passim. 27 In der Praxis erscheint die Unterscheidung sehr schematisch, weil die Rechtsprechung meistens eher zu einem substantiellen Charakter der Fehler (vice der procédure) als dem vice de forme ieS neigt. Dazu VedeUDelvolvé , Droit administratif, II, S. 301. 28 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 59 ff. 29 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 64 ff mit weiteren kritischen Bemerkungen zur Rechtsprechung und Lehre (mit der Ausnahme von M. Hauriou, der den Zusammenhang zwischen Verwaltungsverfahren und Lehre vom Verwaltungsakt betont hat. Dazu Hauriou, Notes d'arrêts, Bd. 1, S. 238), die die Behandlung des VerwaltungsVerfahrensrechts als prozeßrechtliches Institut unternommen haben. 30 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 77 ff. Vgl. auch J.-M. Auby , La procédure administrative non contentieuse, S. 27; Maxime Letourneur , Les principes généraux de la procédure administrative non contentieuse en France, Rapport aux Vile Journées juridiques franco-polonaises, in: Journées Juridiques 1965, S. 249 ff. 31 Vgl. Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 87 ff, der die Rolle der österreichischen Lehre (besonderes von Adolf Merkl) und der österreichischen und amerikanischen Kodifikation betont. Vgl. auch Georges Langrod , La doctrine allemande et la procédure administrative non contentieuse, Bruxelles 1961; derselbe , Le projet modèle de code allemand de procédure administrative non contentieuse, RA 1964, S. 508 ff; G. Van Poelje , La procédure administrative aux Pays-Bas, RISA 1965, S. 275 ff; Franz Becker , La procédure administrative non contentieuse en Europe et la portée de l'apport scientifique de Georges Langrod, Paris 1969, S. 180 ff; Bernand Schwartz , La
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recht wurde nun als Prozedur der Ausarbeitung eines Verwaltungsakts betrachtet 32 . Diese Prozedur dient einerseits dem Schutz des öffentlichen Interesses und der Effizienz des Verwaltungsvollzugs 33 und andererseits dem Interesse des Bürgers 34 . Der Bürger ist durch die Garantien der Verfahrensformen geschützt. Die Schutzfunktion des Verwaltungsverfahrens gewinnt insbesondere im Hinblick auf die praktischen Nachteile des nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes35, die Grenze der Kontrolldichte 36 und die Effektivität der Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Urteile 37 Bedeutung. Daneben steht die Idee des Verwaltungsverfahrens als Instrument der Partizipation und der Demokratisierung der Verwaltung 38 .
3. Pluralismus der Quellen des Verwaltungsverfahrensrechts Die Regeln des Verwaltungsverfahrens sind in einer Fülle von gesetzlichen Vorschriften und normativen Akten der Verwaltung zu finden. Die Lage ist
procédure administrative aux États Unis, RIDC 1951, S. 251 ff; Guy Braibant/N. Questiaux/Céline Wiener, Le contrôle de Γ administration et la protection des citoyens, Paris 1973, S. 130 ff; Céline Wiener, La motivation des décisions administratives en droit comparée, RIDC 1969, S. 779 ff; Bernard Schwartz/H. W. R. Wade, Legal control of government, Administrative Law in Britain and the United States, Oxford 1972. S. auch das schwedische Gesetz über das Verwaltungsverfahren vom 4. 6. 1971 und das norwegische Gesetz über das Verwaltungsverfahren vom 17. 2. 1967 (dazu Audvar Os, Administrative procedure in Norway, RISA 1959, S. 67 ff). 32 Vgl. Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 150 ff. 33 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 175 ff; Auby , La procédure administrative non contentieuse, S. 27. 34 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 178 ff; J.-M. Auby y La procédure administrative non contentieuse, S. 27; Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 243 ff. 35 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 181 ff, der die komplementäre Funktion des Verwaltungsverfahrens gegenüber dem Verwaltungsprozeß betont. 36 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 196 ff. 37 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 205 ff. Die Position von Isaac in bezug auf die komplementäre Funktion des Verwaltungsverfahrens gegenüber dem Verwaltungsprozeß scheint über die Feststellung eines funktionalen Zusammenhangs zu gehen und läuft Gefahr das Verwaltungsverfahren als Vorstadium des gerichtlichen Verfahrens zu betrachten. 38 Ausführlich dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 196 ff, der aber kein Modell der konkreten Ausgestaltung dieses Vorhaben vorschlägt. Vgl. auch Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 132 ff. Eine Entwicklung in diese Richtung ist die Einsetzung von administrativen Referenden durch das Gesetz vom 6. 2. 1992 auf kommunaler Ebene. Dazu Delaunay, S. 84 ff.
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heute umso komplizierter, als im Frankreich der V. Republik 39 eine autonome Rechtssetzungsbefugnis der Verwaltung besteht, die die Domäne des parlamentarischen Gesetzes bestimmt und begrenzt 40. Der Erlaß von Verfahrensregeln 39 Zu der strukturellen Veränderung des französischen öffentlichen Rechts durch die Verfassung vom 1958 s. Marcel Prélot/Jean Boulouis, Institutions politiques et droit constitutionnel, 11. Aufl., Paris 1990, Nr. 382; Günther Haensch/Alain Lory , Frankreich, Bd. 1, München 1976; Hans Lottig, Die Verfassung der fünften französischen Republik, Frankfurt a.M., Berlin 1961; Hans Gangl, Verfassungsfragen der fünften Republik, Graz 1964, insbes. S. 13 ff; Volkmar Götz, Die Verfassung der fünften französischen Republik, NJW 1958, S. 1907 ff. Wilhelm Henke, Frankreichs neue Verfassung, DöV 1959, S. 121 ff; Rudolf Echterhölter, Die verfassungsmäßige Ordnung der fünften französischen Republik, AöR 1959, S. 330 ff. Gerhard Schütt, Frankreichs neue Verfassung, Grundzüge des Staatsgrundgesetzes der fünften Republik, 1958; Henry W. Ehrmann, Die Verfassungsentwicklung im Frankreich der fünften Republik, JöR 1961, S. 352 ff; Helmut Steinherger, Problematik und Bedeutung der französischen Verfassungsänderung vom Herbst 1962 über die Wahl des Präsidenten der Republik durch das Volk, ZaöRV 24 (1964), S. 575 ff; und jüngst Rainer Grote, Das Regierungssystem der V. französischen Republik, Baden-Baden 1995. S. auch Gilbert Ziebura, Die V. Republik, Frankreichs neues Regierungssystem, Köln, Opladen 1960 (politikwissenschaftliche Analyse); Ion Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1967, S. 37 ff, 54 ff. 40 Über die Verordnungsgebung s. VedeUDelvolvé , Droit administratif, I, S. 48 ff, 326 ff; Jean-François Lachaume, Le hiérarchie des actes administratifs exécutoires en droit public français, Paris 1966; Philippe Thevenin , Le pouvoir réglementaire en matière fiscale, Thèse Bordeaux I 1975; Jacques Mariel Nzouankeu , La notion de l'acte réglementaire en droit français, Thèse Paris 2 1976; Pierre Avril , Les décrets réglementaires du Président de la République non délibérés en Conseil des Ministres, AJDA 1976, S. 116 ff; Pierre Le Mire , Le réforme du pouvoir réglementaire gouvernemental, RDP 1981, S. 1241. S. auch Marguerite A. Sieghart, Government by decree, A comparative study of the ordinance in English and French law, London 1950, S. 151 ff; Klaus Tiedemann , Gewaltenteilung und Normsetzungsbefiignis im französischen Rechtsstaat, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1963, S. 513 ff; Cristian A. L. Rasenack , Gesetz und Verordnung in Frankreich seit 1789, Berlin 1967; Gerhard Härdle, Das Verordnungsrecht der französischen Exekutive nach der Verfassung der V. Republik, Diss. Heidelberg 1972; Burt Neuborne, Judicial review and seperation of powers in France and the United States, New York University Law Review 57 (1982), S. 363 ff (377 ff); Grote, Das Regierungssystem der V. französischen Republik, S. 102 ff. Die Trennung zwischen den verschiedenen legislativen Domänen wird um so schwieriger, als zwei Sanktionsmechanismen bestehen. Einerseits setzt der Staatsrat die Grenze der Verordnungsgebung gegenüber dem Gesetz im Rahmen der Normenkontrolle (dazu Wassilios Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, Köln, Berlin, Bonn, München 1979, S. 256 ff) durch recours pour excès du pouvoir. S. Louis Favoreau , Le Conseil d'État défenseur de l'Exécutif, in: L'Europe et le droit, in: Mélanges en hommage à Jean Boulouis, Paris 1991, S. 237 ff. Die Grenze des Gesetzes wird vom Verfassungsrat überwacht. Vgl. dazu Peter Ernst Goose, Die Normenkontrolle durch den französischen Conseil Constitutionnel, Berlin 1973, S. 30 ff; Francine Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, Paris 1966, S. 466 ff; Jürgen Rühmann, Verfassungsgerichtliche Normenqualifikation, Rechtsvergleichende Untersuchung von Funktion und Verfahren am Beispiel von Frankreich und Deutschland, Ba-
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gehört grundsätzlich zum Bereich des autonomen Verordnungsgebers (Art. 34 der Verfassung von 1958) 41 . Ein Gesetz ist jedoch für einige Kategorien von Verfahren erforderlich 42 sowie für den Fall, daß das Verfahren die Verfassungsrechte der Bürger berührt 43 . In der Praxis sind viele der Verfahrensregeln nicht in Rechtssätzen, sondern in Verwaltungsvorschriften vorgesehen 44. Da es sich hier um Innenrecht der Verwaltung handelt, besteht nicht die Möglichkeit, Rechte für die Bürger zu begründen 45. Das Ergebnis ist eine fragmentarische Sammlung von Vorschriften, die allein durch die kreative Intervention der Rechtsprechung vervollständigt wird 4 6 . Die liberale Tradition des Gerichts 47 war einer der entscheidenden Motoren bei der Entwicklung der Garantien des Bürgers im Rahmen des Verwal-
den-Baden 1982; Dominique Rousseau, Droit du contentieux constitutionnel, 2. Aufl., Paris 1992, S. 220 ff. Vgl. auch Michel Fromont, La séparation des pouvoirs selon la jurisprudence du Conseil constitutionnel, in: Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Carl Carstens, Köln, Berlin, Bonn, München 1984, Bd. 2, S. 589 ff. 41 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 255 ff. Die heutige Verfassungslage entspricht den Befugnissen der Regierung in der III. und IV. Republik, Verordnungen zur Organisation und Funktion der Behörde ohne Ermächtigung zu erlassen, und erweitert diese. S. CE 19. 2. 1904, Chambre synidicale des fabricants constructeurs de materiel pour le chemin de fer, S. 1906.3, 75, conci. Romieu; CE 4. 5. 1906, Babin, RDP 1906, conci. Romieu. Diese Rechtsprechung beeinträchtigte nicht den Vorrang des Gesetzes. Die Regulierung des Verwaltungsverfahrens konnte auch durch Gesetz oder durch Verordnung nach Ermächtigung eines Gesetzes erfolgen. Vgl. J.-M. Auby, La procédure administrative non contentieuse, S. 28. 42 Es geht um die Besteuerungsverfahren, die nach der Verfassung mit den Voraussetzungen für die Besteuerung zur Domäne des Gesetzes gehört. Dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 256. 43 Vgl. Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 256 f, der eine großzügige Auslegung der Befugnisse des Gesetzgebers vornimmt. Diese Befugnisse des parlamentarischen Gesetzgebers können aber Teil einer gesetzlichen Ermächtigung der Verwaltung werden. 44 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 261 ff mwN. Zur Behandlung der VerwaltungsVorschriften in Frankreich s. Vedel/Delvolvé , Droit administratif, I, S. 257 ff; Jürgen Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, Baden-Baden 1976, S. 68. 45 Die Rechtsprechung hat jedoch versucht die Verfahrensposition des Bürgers zu stärken und eine Selbstbindung der Behörde in solchen Fälle anerkannt, in denen die Verfahrensregel eine Garantiefunktion aufweisen und nicht allein dem Interesse der Behörde dienen. Dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 266 ff. 46 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 270 ff. 47 Dazu Danièle Loschak , Le rôle politique du juge administratif français, Paris 1972, S. 157 ff.
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tungsverfahrens 48. Eine Verbesserung der Lage erfolgte erst durch das Dekret vom 28. 11. 1983 49 , das verschiedene Regeln bezüglich der Fristen der Erledigung von Anträgen sowie die Aufhebung rechtswidriger normativer Akte und Verwaltungsakte und bestimmte Verfahrensgarantien für die Betroffenen eingeführt hat 50 . Das Dekret sieht auch vor (Art. 1), daß die Verwaltungsvorschriften die Verwaltung binden und der Bürger aus ihnen Rechte ableiten kann 51 , was im 48
Diese positive Bilanz wird nicht durch den - bei solchen Vorhaben natürlichen fragmentarischen und in manchen Fällen sich widersprechenden Charakter der Lösungen getrübt. 49 Décret 83-1025. Vgl. bereits den Circulaire du ministre délégué chargé de la Fonction publique et des Réformes administratives vom 23. 12. 1981, in: Bulletin officiel du Premier ministre 1982, fase. 1 (Verweisung eines Antrag an die zuständige Behörde) und den Circulaire du Premier ministre vom 25. 5. 1982, in: Bulletin officiel du Premier ministre 1982, fase. 2 (Rechtsbelehrung, Fristen für Verwaltungshandlungen). Vgl. dazu Eibe Riedel, Europäische Verwaltungsverfahrenssysteme in Vergleich, EuR-Beiheft 1 (1995), S. 49 ff (63 ff) 50 Dazu ausführlich Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 246 ff, 273 ff mwN. S. auch Jean-Marie Auby, Le décret du 28. 11. 1983, AJDA 1984, S. 124 ff; Pierre Delvolvé , Des nouvelles modalités pour les actes administratifs unilatéraux, D. 1984, chr., S. 137 ff; Corine Lepage-Jossua, Le décret du 28. 11. 1983 concernant les relations entre l'administration et les usagers: une mini révolution?, GP 1984, doctr., S. 145 ff; Maire-Claude Rouault , Le décret du 28. 11. 1983 concernant les relations entre l'administration et les usagers, RA 1984, S. 466 ff; Herbert Maisl/Céline Wiener/Jean-Marie Woehrling , Un décret ne fait pas le printemps, AJDA 1984, S. 466 ff; Letteron , L'administré et le droit à l'information, S. 203 ff; Lasserrel Lenoir I Stirn, La transparence administrative, S. 167 ff. Das Dekret findet keine Anwendung bei Verfahren der örtliche Selbstverwaltung und öffentliche Unternehmen. 51 Der Staatsrat hat mit dem Urteil des Großen Senats CE 29. 1. 1954, Institution Notre-Dame-du-Kreisker, Ree. 64 = Revue pratique de droit administratif 1954, 50, conci. Tricot = AJDA 1954.2bis, 5, ehr. F. Gazier/M. Long = GA Nr. 85 = JeanFrançois Lachaume, Les grandes décisions de la jurisprudence administrative, 9. Aufl., Paris 1995, S. 127 unter den VerwaltungsVorschriften diejenigen unterschieden, die einen normativen Charakter haben und von den Bürgern als Grundlage gegen die Verwaltung benutzt werden. Die Weite des Prinzips war jedoch gering, weil die Verwaltungsvorschriften in den meisten Fällen von Organen erlassen worden waren, die keine Träger rechtssetzender Befugnisse waren, nämlich von Minister (dazu Céline Wiener, Recherches sur le pouvoir réglementaire des ministres, Paris 1970, S. 153 ff, 239 ff). Die Lösung für die Rechtsprechung hatte schon 1959 der Steuergesetzgeber übernommen (Art. L 80-A Livre des procédures fiscales). Das Gesetz vom 17. 7. 1978 hat neben einem allgemeinen Recht auf Zugang zu administrativen Dokumenten die Veröffentlichung der Verwaltungsvorschriften, die eine Auslegung des positiven Rechts oder die Beschreibung von Verwaltungsverfahren enthalten, vorgesehen. Das Dekret von 1983 hat die Verbindlichkeit der Verwaltungsvorschriften, soweit sie nach dem Gesetz von 1978 veröffentlicht sind (dazu Daniel Mockle, Recherches sur les pratiques administratives pararéglementaires, Paris 1984, S. 141 ff) und nicht gegen ein Gesetz oder eine Verordnung verstoßen, vorgesehen. Die Verbindlichkeit kann eine Person verlangen, die an der Befolgung der Verwaltungsvorschrift Interesse hat. Das Dekret bezweckte damit eine
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Hinblick auf die zahlreichen Verwaltungsvorschriften, die das Verwaltungsverfahren betreffen, von erheblicher Bedeutung ist 52 .
4. Verwaltungsverfahren
und subjektive Verfahrensrechte
Das französische Verwaltungsverfahrensrecht befindet sich noch in seiner Entwicklungsphase. Die Zielrichtung des Verfahrens und sein Bezug zur Verfassung sind noch nicht geklärt. Die Grundposition von Lehre und Rechtsprechung sieht im Verwaltungsverfahrensrecht ein Teilgebiet des Verwaltungsrechts, das vorrangig Vorhaben der Verwaltung dient. Wie die Bezeichnung des VerwaltungsVerfahrens ("procédure administrative non contentieuse" 53 ) zeigt, liegt das Gewicht des Verfahrens nicht auf den Rechten des Bürgers. Auch wenn das Verfahren bestimmte Garantien enthält, sind diese nicht als subjektive Rechte54, sondern als Pflichten der Verwaltung gestaltet. Der Bürger verfügt lediglich über Reflexverfahrensrechte. Damit befindet sich das Verwaltungsverfahrensrecht auf derselben Linie wie das übrige französische öffentliche Recht.
Erweiterung der Rechtsprechung auf alle Verwaltungsvorschriften. Die Verwaltungsgerichte sind dabei eher bereit, die Verbindlichkeit von nicht-normativen Verwaltungsvorschriften anzuerkennen (vgl. TA Rennes 29. 1. 1987, Dame Louarn, Ree. 461; TA Nice 11.6. 1987, Syndicat des commerçants non sédentaires des Alpes-Maritimes, JCP 1988 II, Nr. 21041, conci. Ν. Calderaro; TA Merseille 11. 12. 1987, Dame Bernardi, Ree. 494; TA Pau 3. 1. 1989, Lorente Bilbao, REc. 375; TA Clermont-Ferrand, 3. 4. 1990, Gamet, AJDA 1990, 643, obs. J.-P. Briseul), während der Staatsrat zurückhaltender bleibt (Vgl. CE 27. 5. 1987, Arnaudies, Ree. 187). Dazu Paul Amselek, L'opposition à l'administration de sa propre doctrine - Les innovations apportées par le décret du 28. 11. 1983, Revue du droit fiscal 1984, H. 4, 149 ff; Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 266 ff. 52 Das Dekret kann aber nicht als vollständiger Ersatz für die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens angesehen werden. Zur französischen Kodifikationsdiskussion s. Maxime Letourneur, Quelques réflexions sur la codification du droit administratif, in: Mélanges Julliot de la Morrandière, Paris 1964, S. 277 ff; Céline Wiener , Vers une codification de la procédure administrative, Paris 1975, S. 15 ff; Yves Gaudemet , La codification de la procédure administrative non contentieuse en France, D. 1986, chr., S. 107 ff; Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 284 ff. Parallel dazu läuft der Versuch, die Verwaltungsverfahren und Verwaltungsformulare zu vereinfachen. Vgl. Dekret vom 18. 12. 1990 und Delaunay, S. 383 ff. 53 Richtiger wäre es das Verwaltungsverfahren als "procédure administrative non juridictionelle" zu bezeichen. Vgl. Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 243 Fn 1. 54 Zum Begriff des subjectiven öffentlichen Rechts und den "droits subjectifs administratifs " vgl. Pierre Wigny, Droit administartifs, Principes généraux, Bruxelles 1953, S. 331 ff, 336 ff.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Anders als in Deutschland stellt in Frankreich der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts keinen Eckpfeiler des verwaltungsrechtlichen Systems dar 55 . Theorie und Rechtsprechung zeigen ihre Abneigung, ein subjektives öffentliches Recht des einzelnen anzuerkennen. Dies geht so weit, daß nicht von Grundrechten, sondern von öffentlichen Freiheiten (libertés publiques) die Rede ist 5 6 , die als nur objektiv geltende Normen verstanden werden . Der Hintergrund für dieses Konzept findet sich bei Léon Duguit 58 , der den Begriff des subjektiven Rechts infolge des Positivismus von Comte 59 als metaphysische Einbildung ablehnt 60 . Duguit geht von einem objektiven Verständnis der Rechtsordnung aus 61 , indem er die Rechtsordnung in der sozialen Solidarität
55 Vgl. dazu Martin Rott, Das verwaltungsrechtliche subjektive öffentliche Recht im Spiegel seiner Entwicklung im deutschen liberalen Rechtsstaat und in der französischen "théorie des droits subjectifs des administrés", Diss. Gießen 1976, S. 138 ff, 233 ff. 56 Zu diesem bemerkenswerten Fehlen einer grundrechtsbezogenen Argumentation im französischen Verwaltungsrecht s. Thomas Wolfgang Schmitz, Rechtsstaat und Grundrechtsschutz im französischen Polizeirecht, Baden-Baden 1989, S. 45. Vgl. auch Zu den Grundrechte der französische Verfassung s. Mayer, Die Grundrechte der Franzosen, Diss. Erlangen 1952; Michael Bachmann, Das System der Grundrechte im französischen Recht unter besonderer Berücksichtigung der Religionsfreiheit, Diss. Mainz 1956; R. Echterhölder, Die verfassungsmäßige Ordnung der V. französischen Republik, AöR 1959, S. 353 ff; Klaus Tiedemann, Das Grundrechtsproblem im französischen Rechtsstaat, DöV 1962, S. 367 ff; Rolf Schmid, Die Handels- und Gewerbefreiheit in der französischen Rechtsprechung, Diss. Tübingen 1965; Armin Hiller, Das französische Presserecht, Diss. Würzburg 1967, insbesondere S. 4 ff; Klaus Stahl, Die Sicherung der Grunfreiheiten im öffentlichen Recht der fünften französischen Republik, Hamburg 1970; Kay Heilbronner, Der Schutz der Grundrechte in der Europäischen Gemeinschaft, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/76, S. 34 ff; Eric Savoie , Frankreich, in: Eberhard Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, Bd. 1, Kehl, Straßburg, Arlington 1986, S. 203 ff. 57 "Die individuellen öffentlichen Rechte stellen Verbote an die Regierenden dar" (Guy Debeyre, Le droit public des français, Paris 1956, S. 52). Vgl. die kritische Darstellung von Philippe Braud, La notion de liberté publique en droit français, Paris 1968, S. 45 ff sowie dazu die richtigen Bemerkungen von Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten, S. 53 ff. Vgl. auch Maurice Duverger/Lucien Sfez, Die staatsbürgerlichen Freiheitsrechte in Frankreich und in der Union Française, in: Die Grundrechte, Bd. 1, 2. Halbband, Berlin 1967, S. 543 ff. 58 Diese Aussage muß nicht absolut verstanden werden. Der Staatsrat lehnte den subjektiven Rechtsschutz bereits früher ab. Vgl. dazu Louis Imbert, L'évolution du recours pour excès de pouvoir 1872-1900, Paris 1952, S. 115 ff. Vgl. auch die Positionen von Debeyre, Le droit public des français, S. 53, der diesen Charakter aus einem Zuständigkeitsverständnis des contrat social abzuleiten scheint. 59 Léon Duguit, Souveraineté et liberté, Paris 1922, S. 142 ff. 60 Léon Duguit, Leçons de droit public général, Paris 1926, S. 49 ff. 61 Léon Duguit, L'État, le droit et la loi positive, Paris 1901, S. 140 ff.
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(solidarité sociale) zu begründen 62 versucht 63. Damit betont Duguit den objektiven Charakter der Rechtsgarantien des Individuums und vertritt die Meinung, daß die Grundfreiheiten als unmittelbare, den Träger der Staatsgewalt bindende Rechtssätze zu verstehen sind 64 . Die Gegenpositionen65 bleibten isoliert 66 , und auch der mit dem Namen Roger Bonnards verbundene dynamische Versuch, subjektive öffentliche Rechte zu begründen 67, konnte sich nicht durchsetzen. Obwohl sich in der neueren Lite62 Duguit, L'État, le droit et la loi positive, S. 25 ff; Léon Duguit, Les transformations du droit public, 3. Aufl., Paris 1925; Léon Duguit, Traité de droit constitutionnel, 2. Aufl., Bd. 1, Paris 1921, S. 11 ff. Duguit versucht damit eine Alternative zum Staat als Herrscher vorzuschlagen. Zu seinem Staatsverständnis s. Ulrich Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates I, Tübingen 1959, S. 376 ff; H. S. Jones, The French State in Question, Cambridge 1993, S. 159 ff. 63 Zutreffend dazu François Gény , Science et technique en droit privé positif, Bd. 2, Paris 1915, S. 200 ff. Über die Lehre Duguits s. Dieter Grimm, Solidarität als Rechtsprinzip, Die Rechts- und Staatslehre Léon Duguits in ihrer Zeit, Frankfurt a.M. 1973, passim; Wolf gang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. 1, Tübingen 1975, S. 496 ff. 64 Duguit, Leçons de droit public général, Paris 1926, S. 54 ff. 65 Vgl. insbesondere die von M. Hauriou betreute Dissertation von Joseph Barthélémy , Essai d'une théorie sur les droits subjectifs des administrés dans le droit administratif français, Paris 1899 (s. dazu die Kritik von Duguit , L'État, le droit et la loi positive, S. 578 ff, gefolgt von der Kritik Duguits an G. Jellinek, S. 581 ff). Barthélémy geht von der Vorstellung aus, daß ein gerichtlicher Rechtsschutz nur durch den Schutz eines subjektiven öffentlichen Rechts zulässig wäre. Es scheint aber, daß Barthélémy, wie auch später R. Bonnard, nicht sehr deutlich zwischen subjektivem Recht, Anspruch und Klage unterscheidet. Dazu Evangelia Koutoupa-Rengagos, Le pouvoir discrétionnaire de l'administration interventionniste en droit français, Thèse Paris I, 1987, S. 350 f. 66 Duguits Vorstellung richtete sich gegen das Konzept des subjektiven Rechts im allgemeinen. S. beispielsweise seine Kritik zu der Jellinkschen Lehre der Selbstbindung des Staates in: Léon Duguit, La doctrine allemande de l'autolimitation de l'État, RDP 1919, S. 161 ff. Vgl dazu die energische Widerlegung von François Gény , Science et technique en droit privé positif, Bd. 4, Paris 1924, S. 175 ff. Die vom Zivilrecht ausgehende Kritik Génys greift auch die Stellungsnahme Duguits von der Inexistenz subjektiver öffentlicher Rechte an und zeigt die Inkonsequenz seiner Analysen. 67 Roger Bonnard, Les droits publics subjectifs des administrés, RDP 1932, S. 695 ff; derselbe, Le contrôle juridictionnel de Γ administration, Paris 1934, S. 35 ff; derselbe, Précis de droit administratif, 4. Aufl., Paris 1943, S. 5 f (unter Erwähnung Ο. Bühlers), 12 f, 25 f, 72 ff, und insbes. S. 83 ff. Bonnard versucht, ein subjektives öffentliches Recht des Bürgers auf rechtsmäßiges Handeln der Verwaltung zu begründen. Für dieses subjektive Recht in der Legalität der Verwaltung findet man auch im früheren Schriftum Anregungen. S. Emile-Victor Foucart, Elements de droit public et administratif, 4. Aufl., Paris 1855, Bd. 1, S. 204 ff, Bd. 3, S. 658 ff; Serrigny, Traité de l'organisation, de la compétence et de la procédure en matière contetieuse administrative, 2. Aufl., Paris 1865, Bd. 1, S. 47 ff. Vgl auch die Positionen von Gaston Lafferrière,
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
ratur Plädoyers für ein subjektives Verständnis der Grundfreiheiten 68 und Rechtsbehelfe des Verwaltungsrechts 69 finden, bleibt die klassische Lehre unverändert durch die Kritik. Maurice Hauriou versuchte mit seiner Institutionslehre 70 , die beiden Vorstellungen vereinbar zu machen71. Nach Hauriou verfügen die Grundfreiheiten über einen subjektiven und einen objektiven Charakter und stellen eine Institution dar 72 . Hauriou selbst betont aber den objektiven gegenüber dem subjektiven Gehalt der Grundfreiheiten und kommt damit der klassischen französischen Lehre näher. Die Abneigung, dem Bürger subjektive Rechte zuzuerkennen, erscheint besonderes bei der Ablehnung subjektiver Verfahrensrechte als kritisch, weil sich Traité de la jurisdiction administrative, 2. Aufl., Paris 1896, Bd. 2, S. 436 (s. auch S. 306). Diese Positionen stammen aber aus der Zeit, in der der Staatsrat sich nicht auf eine einfache Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkte (zwischen 1852-1870). Vgl. dazu Léo Goldenberg, Le Conseil d'État juge du fait, Paris 1932, S. 122 ff. Zu Bonnards Theorie s. Marcel Waline , L'individualisme et le droit, Paris 1945, S. 209 ff. 68 So z.B. Braud , La notion de liberté publique en droit français, S. 243 ff spricht von subjektiven Rechten gegenüber der Verwaltung. Vgl auch J. Dabin, Le droit subjectif, Paris 1952, S. 85; Charles Eisenmann, Une nouvelle conception du droit subjectif, RDP 1954, S. 763 ff. Gegenüber der Legislative erkennt Braud (S. 229 ff) nur Reflexrechte an und ist der Meinung, daß die libertés publiques wirkliche subjektive Rechte der Bürger darstellen. Es ist interessant, daß die französische Rechtslehre Unterscheidungen benutzt, die in Deutschland nur noch selten benutzt werden. Zu den Reflexrechten s. Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1905 (Neudruck Darmstadt 1963), S. 67 ff. Vgl dazu Wilhelm Henke, Zur Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, in: Im Dienst an Recht und Staat, Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, Berlin 1974, S. 495 ff (509 ff). 69 Vorrangig Bruno Kornprobst, La notion de partie et le recours pour excès de pouvoir, Paris 1959, der die subjektiven Elemente des recours pour excès du pouvoir betont, ohne jedoch die Unterscheidung zwischen subjektivem Recht und Anspruch heranzuziehen. 70 Vgl. Roman Schnur (Hrsg.), Die Theorie der Institution, Und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou, Berlin 1965. S. auch Luden Sfez, Essai sur la contribution du doyen Hauriou au droit administratif français, Paris 1966, insbesondere S. 86 ff. Zur Institutionslehre Haurious s. Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 254 ff; Arndt Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, München 1970, S. 26 ff; Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. 1, S. 504 ff und Yann Tanguy , L'institution dans l'oeuvre de Maurice Hauriou, RDP 1991, S. 61 ff, der zurecht darauf hinweist, daß das institutionelle Denken schon Sophokles's Antigone zu finden ist. Zur heutigen Bedeutung vgl. Ronald Bieber, Das Verfahrensrecht von Verfassungsorganen, Baden-Baden 1992, S. 27 f. 71 Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten, S. 55 f. 72 Maurice Hauriou, Précis de droit constitutionnel, 2. Aufl., Paris 1929, S. 612 ff. Dazu Peter Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl., Heidelberg 1983, S. 73 ff. mwN. Zu den aktuellen Tendenzen eines institutionellen Verständnisses der Grundfreiheiten in der französischen Rechtsprechung s. Häberle, S. 280 ff.
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die gesamte Struktur des Verfahrensrechts an objektivrechtlichen Garantien orientiert. Damit läuft man Gefahr, daß die Verfahrensgarantien des Bürgers als Rechtsprinzipien konzipiert werden und ständig mit den jeweiligen öffentlichen Interesse abgewogen werden.
5. Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen Nach der Rechtsprechung des Staatsrates sind gerichtliche Rechtsbehelfe gegen die einzelnen Phasen eines Verwaltungsverfahrens unbegründet. Die Verfahrenshandlungen können nicht Gegenstand eines recours pour excès du pouvoir sein, weil sie keine eigenen Rechtsfolgen haben und möglicherweise ergebnislos bleiben 73 . Sie sind keine Verwaltungsakte (décisions), und es besteht damit kein Grund dafür, sie gerichtlich anzugreifen. Die Rechtsprechung hat eine "Liste" solcher Fälle ausgearbeitet 74. Wenn der Verwaltungsrichter jedoch Indizien für das Vorliegen eines Verwaltungsakts findet, kann er die betreffende Handlung aus dem Verwaltungsverfahren heraustrennen und den Rechtsweg eröffnen 75. Wann dies geschieht, ist 73
Vgl. Hubert Charles, "Actes rattachables" et "actes détachables" en droit administratif français, Paris 1968, S. 195. 74 Es handelt sich um Handlungen, die: - der Unterstützung der Behörde bei ihrer Entscheidung dienen, z.B. Berufung eines beratenden Organs (CE 23. 12. 1887, Commune de Castelnau-de-Brassac, Ree. 831; CE 8. 11. 1938, Goyeneche, D. 1939, J., 153; CE 5. 4. 1957, Commune des Abymes, Ree. 240), Akte betreffend die Organisation eines solchen Organs, die Meinung des beratenden Organs (CE 10. 7. 1903, Des Isnards, Ree. 508; CE 21. 10. 1913, Chavegrand, Ree. 1040; CE 24. 10. 1934, Menjou, Ree. 949; CE 4. 12. 1935, Briffa, Ree. 1134; CE 10. 3. 1946, Dlle Anthoinoz, Ree. I l i ; CE 5. 4. 1957, Commune des Abymes, Ree. 240; CE 26. 2. 1965, Sieur Guy, AJDA 1965, 404, note P. Laporte). - der Vorbereitung der behördlichen Entscheidung dienen, z.B. Übertragung der auf den Fall bezogenen Akten (CE 16. 7. 1920, Blancho, Ree. 720; CE 24. 5. 1935, Bery, Ree. 587; CE 25. 3. 1938, Grange, Ree. 307; CE 10. 2. 1943, Béziers, Ree. 35), Vertagung eines Antrags (CE 12. 11. 1915, Mounier, Ree. 303). - Bekanntmachungen über den Gang des Verfahrens, z.B. Sitzungsberichte (CE 28. 3. 1939, Bideaux, Ree. 223), Datumsbestimmung (CE 16. 11. 1960, Dame Gout, Ree. 631), Zusammenstellung (CE 9. 12. 1954, Saintal, Revue Juridique et politique de l'Union française 1956, 371, conci. Heumann). 75 Die methodologische Begründung der Rechtsprechung ist im Fall der Abtrennung, wie Charles, "Actes rattachables" et "actes détachables", S. 196 gezeigt hat, sehr problematisch. Sie orientiert sich an einer prozeßrechtlichen Unterscheidung zwischen "jugements préparatoires ", d.h. Urteilen/Beschlüssen, die verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Vorbereitung des Endurteiles treffen und "jugements interlocutoires", d.h. Urteile/Beschlüsse, die, ohne den Streitgegenstand zu regeln, über eine inzidente Streitigkeit entscheiden. Die praktische Bedeutung war, daß in der damaligen Fassung der 7 Trantas
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
eine tatsächliche Frage 76 . In der Rechtsprechung können jedoch einige Fallgruppen festgestellt werden. So sind Verfahrenshandlungen abzutrennen: - wenn die Handlung einen normative Charakter hat, z.B. wenn das beratende Organ als ständiges Organ und nicht ad hoc eingerichtet wird; - wenn die Handlung das erforderliche Tatbestandsmerkmal der Entscheidung erfüllt, z.B. bei der Entlassung eines Beamten; - wenn die Handlung die Entscheidung selbst wiedergibt; - wenn sich der recours pour excès du pouvoir gegen formelle Mängel (contrôle externe) der Stellungnahmen des Gemeinderats richtet 77 . Nach der bisherigen Rechtsprechung stellt die Weigerung der Verwaltung, Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren zu gewähren, keinen abtrennbaren Akt dar und kann damit erst nach dem Ende des Verfahrens gerichtlich angegriffen werden 78 .
I I I . Ausnahmen von der administrativen Geheimhaltung 1. Fälle, in denen das Verfahren
von Natur aus öffentlich
ist
Es gibt Fälle, in denen die Öffentlichkeit ein Teil der Verfahrensformen des Verfahrens ist. Die Geheimhaltung ist demnach bereits durch das Wesen des Verfahrens ausgeschlossen79. Einen ersten derartigen Fall stellt die öffentliche Ausschreibung für den Abschluß eines Vertrags unter Benutzung öffentlicher Angebote (adjudication publique) dar 80 . Die Vermeidung der Ausschreibung oder die Nichtbeachtung der entsprechenden Fristen führt zu Verfahrensfehlern 81. Nicht nur die Ausfranzösischen ZPO (Code de procédure civile) Berufungen gegen jugements interlocutaires vor und unabhängig von der Berufung gegen das Endurteil zulässig waren. Inzwischen sind auch gegen jugements préparatoires Berufungen nach der Änderung durch das Gesetz vom 23. 5. 1942 zulässig. 76 Charles, "Actes rattachables" et "actes détachables", S. 196 ff mwN. 77 So der Staatsrat im Fall einer öffentlichen Untersuchung (enquête publique) in Rahmen des Enteignungsverfahrens (CE 19. 1. 1944, Dame Veuve Debazach, Ree. 19). 7 * CE 29. 7. 1953, Caton, Ree. 417. 79 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. III ff. 80 Art. 2 des Dekrets vom 10. 11. 1882, Art. 21 des Dekrets vom 6. 4. 1942. S. auch Gesetz vom 3. 1. 1991. Dazu Conseil d'État , La transparence et le secret, S. 33 ff. si CE 23. 5. 1919, Fournier, Ree. 480; CE 7. 4. 1922, Imprimerie Commerciale, Ree. 349; CE 18. 3. 1931, Mayer, DP 1931.3, 11; CE 6. 4. 1935, Marchesini, Ree. 460.
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Schreibung, sondern auch die Sitzung des zuständigen Ausschusses ist öffentlich und zwar nicht nur für die Beteiligten, sondern ebenso für das breite Publikum. Die Angebote werden auch öffentlich verlesen. Einen anderen Fall stellt die Verpflichtung dar, bei der Einstellung von Personal die Zahl der nicht besetzten Stellen zu veröffentlichen und sie auszuschreiben 82. Einen dritten Fall stellt die öffentliche Anhörung (Enquête publique) vor einer Enteignung dar 83 . Vor der Anhörung muß das Projekt bekanntgemacht werden. Dazu werden besondere Lokaltermine durch Entscheidung des Präfekten festgelegt. Wenn das Verfahren abgeschlossen wird, ist der Bericht im Rathaus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um dem Bürger die Wahrnehmung eventueller Ansprüche zu erleichtern.
Die Verwaltung kann die Fristen außer acht lassen, wenn ein triftiger Dringlichkeitsgrund vorliegt. Dies unterliegt der Kontrolle der Verwaltungsgerichte. Vgl. auch Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 301 ff. 82 Vgl. CE 21. 4. 1961, Mailhol, AJDA 1961, 494; CE 8. 3. 1963, Amie, des Membres des Tribunaux administratifs, AJDA 1963,495. 83 Das Enteignungsverfahren ist nach dem Code d'expropriation in eine administrative und eine gerichtliche Phase gegliedert. Die administrative Phase gliedert sich in eine vorbereitende Phase, die aus einer allgemeinen Untersuchung (enquête) und der Stellungsnahme (Avis) von Behörden einerseits und andererseits aus einem Enteignungserlaß im Form eines Gesetzes oder einer Verordnung besteht, wodurch das Vorliegen eines öffentlichen Interesses für die Enteignung bestimmt wird, sowie eine Phase der Ausarbeitung der Entscheidung in bezug auf das dem Staat übertragene Eigentum, die, nach einer förmliche Anhörung (enquête) der Eigentümer, in Form eines begründeten dinglichen Verwaltungsakts erfolgt. Gegen alle Stellungsnahmen der administrativen Phase besteht Rechtsschutz durch Anfechtungsklage (recours pour excès du pouvoir). Die gerichtliche Phase der Enteignung besteht im Abschluß des Enteignungsverfahrens durch einem Enteignungsbeschluß der ordentlichen (Zivil)Gerichte. Dem Abschluß der Enteignung folgt das Entschädigungsverfahren, das aus einer Bewertung der enteigneten Grundstücke durch eine Bewertungskommission und der möglichen Beschwerde bei einem Zivilgericht besteht. Zum Enteignungsverfahren s. DuezJDebeyre, Traité de droit administratif, S. 827 ff; Louis Rolland, Précis de droit administratif, 11. Aufl., Paris 1957, S. 485 f; Michel Rougevin-Baville/Renaud Denoix de Saint Marc!Daniel Laboutelle, Leçons de droit administratif, Paris 1989, S. 582 ff; René Chapus, Droit administratif général, Bd. 2, 9. Aufl., Paris 1996, Nr. 764 ff; Charles Debbasch/Jacques Bourdon/ Jean Mane Ρontier/Jean-Claude Ricci, Institutions et droit administratif, Bd. 3, Paris 1982, S. 242 ff.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
2. Die Fälle, in denen der Bürger ein Recht auf Auskunft hat Bei bestimmten Fällen hat das Gesetz aus Gründen der Sicherung privater oder öffentlicher Interessen besondere Einsichtsrechte vorgesehen 84. Hier geht es nicht um reine Zugangsrechte in bezug auf administrative Dokumente, sondern um die Gestaltung von Auskunftspflichten der Verwaltung 85 . Die Verwaltung haftet für die Richtigkeit der Auskünfte 86 . Voraussetzung der Amtspflichtverletzung ist, daß die Verwaltung wirklich verpflichtet war, Auskunft zu geben 87 , und die Auskunft durch die geschädigten Bürger und nicht durch Dritte erbeten wurde 88 . Die Verweigerung der Auskunft ist rechtswidrig und kann die persönliche Haftung des Verwaltungsorganwalters begründen 89. a) Öffentliche Bücher und Register, Verwaltungsauskünfte Hierunter fallen vor allem die Möglichkeit der Interessierten, Informationen beim Standesamt zu erhalten (Dekret vom 26. 9. 1953), die Pflicht der Präfekturen, die für die Anwendung des Gesetzes über den Erwerb von Kraftfahrzeugen (Gesetz vom 29. 12. 1934) erforderlichen Funktionsbescheinigung (Circulaire ministérielle vom 28. 2. 1935) auszustellen, die Pflicht der Schulgesundheitsämter, den Familien die Gesundheitsakten ihrer schulpflichtigen Kinder mitzuteilen (Dekret vom 26. 11. 1946), die Pflicht der Steuerverwaltung, sonstige Organisationen, die ein Recht auf bestimmte gesetzlich vorgesehene Einkünfte haben, durch Offenbarung von Informationen steuerlicher Art zu unterstützen 90. Weiterhin zählen dazu die sich aus dem Zollrecht ergebende Verpflichtung der Zollbeamten, im Rahmen der Auskunft über die Zolltarife alle zum diesem Zweck erforderlichen Dokumente sowie Erklärungen zur Verfügung zu stellen 91 , sowie die Pflicht der Bauämter, die Vergabe von Baubescheinigungen zu gewähren (Circulaire réglementaire du 13. 12. 1950).
84
Dazu Pierre di Malta , Les renseignements administratifs, D. 1964, Chr., S. 225 ff; Isaac y La procédure administrative non contentieuse, S. 380 f. 85 Vgl. z.B. Art. L 236-3 Code du travail (Auskunftsrecht der Gesundheits- und Arbeitssicherheitskommissionen). 86 CE 16. 1. 1935, Jacque, Ree. 62. 87 CE 31. 5. 1950, Grenoilleau, Ree. 331. 88 CE 17. 4. 1953, Banque Bastide, Ree. 177. 89 TC 20. 1. 1929, Unel, Ree. 50. 90 S. Art. 22 I Nr. 1-5 des Gesetzes vom 31. 7. 1968. Die Vorschrift ist im Code général des impôts aufgenommen. Welche Organisationen so privilegiert werden, ist durch Dekret bestimmt. 91 CE 16. 1. 1935, Jacque, Ree. 62. Die Auskunft enthält nicht alle Dokumente, sondern nur die wegen ihrer finanziellen Konsequenzen wichtigsten.
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b) Auskunftsrechte im Chemikalienrecht Eine Auskunftsform sieht auch das Chemikalienrecht bei der Genehmigung neuer Produkte vor 92 . Nach Art. 6 des Gesetzes vom 12. 7. 1977 dürfen einige Verfahrensakten niemals als Industrie- oder Geschäftsgeheimnis geschützt werden. Hierzu gehören der kommerzielle Name der Substanz, die physikalischen und chemischen Daten, die Gefahren, die toxikologischen und ökologischtoxikologischen Ergebnisse sowie der Name der Organisation, die diese Ergebnisse überprüft hat, die Methoden und Vorsichtsmaßnahmen bei der Benutzung, der Transport, Feuer- oder sonstige Gefahren sowie die Notmaßnahmen im Fall eines Unfalls. Hierzu ist nach Art. 6 die Verwaltungsbehörde verpflichtet 93 . Die Auskunftspflicht erfaßt nicht ausdrücklich die chemische Identität des Produkts, die nach Art. 5 I I Nr. 2 des Gesetzes vom 12. 7. 1977, wenn dies notwendig wird, mit dem Zweck der Information des Publikums über gefährliche Stoffe veröffentlicht werden kann. Daneben verfügt die Verwaltung über einem Ermessensspielraum, gegebenenfalls die Geheimhaltungswürdigkeit des Produkts und die Gefährlichkeit der Stoffe gegeneinander abzuwägen und die Öffentlichkeit mit genauen Angaben zu informieren. Der Schutz der Öffentlichkeit ist besonders ausgeprägt bei Arzneimitteln. Ähnlich wie im deutschen Recht gibt es auch in Frankreich Transparenzlisten 94. c) Auskunftsrechte im Β augenehmigungsverfahren Besonderes wichtig sind die Vorschriften über die Veröffentlichung der Baugenehmigungen (Art. R 421-39 Code de l'urbanisme) 95 sowie der Zugang zu 92
Das Chemikalienrecht ist durch das Gesetz vom 12. 7. 1977 (77-771), geändert durch das Gesetz vom 21. 10. 1982 geregelt. Die Genehmigung erfolgt auf Antrag, dem eine Verträglichkeits- (dossier d'impact) und technische Akte (dossier technique) beigefügt werden soll. Das "dossier technique" soll immer vertraulich bleiben. In Rahmen der die Beratung des zuständigen Ministers vornehmenden "commission d'évaluation de l'écotoxité des substances chimiques" hat nur der Berichterstatter vollen Zugang zur Formel der Substanz. Der Antragsteller kann mit einer Begründung diejenigen Teile der Informationen bekanntmachen, die Dritte nicht bekannt werden müssen. In diesem Fall sollen die Dokumente in einem Exemplar und getrennt voneinander vorgelegt werden. Dazu Michel Prieur , Droit de l'environnement, Paris 1984, Nr. 677 ff; Meinhard Schröder, Der Geheimhaltungsschutz der Umweltchemikalien II, UBA-Berichte 7/82, Berlin 1982, S. 32 ff. 93 Art. 9 VI des Dekrets vom 15. 1. 1979 (79-35) erweitert den Kreis der Verpflichteten auf die Mitglieder der toxikologischen Begutachtungsstelle. 94 Dazu Norbert Reich, Arzneimittelregelung in Frankreich, Baden-Baden 1988, S. 103 ff, 167. 95 Früher Art. 13 des Dekrets vom 13. 9. 1961. Dazu CE 29. 1. 1965, Ministère de la Construction c. Erard, AJDA 1965, 98. Die Baugenehmigung (permis de construire) ist ein Verwaltungsakt und setzt einen Bebauungsplan (POS) voraus. Dazu Robert Savy, Droit de l'urbanisme, Paris 1981, S.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
den Dokumenten, die die Baugenehmigung betreffen 96. Über die verschiedenen Publizitätsanforderungen (Aushang der Baugenehmigung im Rathaus und am Bauort) hinaus ist auch ein allgemeines Einsichtsrecht in die Akten der Baugenehmigung97 vorgesehen. In einer entsprechenden Ministerverordnung 98 wird das Recht auf Einsicht in die Akten einer Baugenehmigung geregelt. Die Frist für die Einsicht beträgt dreizehn Monate nach der öffentlichen Bekanntgabe der Baugenehmigung im Rathaus. Sie verlängert sich bis zur förmlichen Erklärung des Berechtigten, daß die Bauarbeiten abgeschlossen
519 ff; de Laubadère/Venezia , Traité de droit administratif, Bd. 3, Nr. 889 ff; RougevinBaville/Denoix de Saint Marc!Laboutelle, Leçons de droit administratif, S. 612 ff; JeanBernard Auby/Hugues Perinet-Marquet, Droit de l'urbanisme et de la construction, 4. Aufl., Paris 1995, Nr. 294 ff; Prieur , Droit de Γ environnement, Nr. 788 ff (insbesondere bezüglich eines Baus im außenplanmäßigen Bereich s. Nr. 785 ff). Vgl. auch Jean-Emmanuel Cornu , Permis de démolir, Paris 1972. Sie werden in Gemeinden die über keine POS verfugen in Auftrag des Staates von der Gemeinde erteilt und, falls ein POS existiert, von der Gemeinde im eigenen Namen, mit Ausnahme der Fälle, in denen es sich bei der Verwirklichung des Planes um Konstruktionen des Staates oder der Regionen, der Departements, der Anstalten oder ihrer Beliehenen handelt. Im letzteren Fall ist die Genehmigung von der Gemeinde in Auftrag des Staates zu erteilen. Die Genehmigung kann als erteilt gelten, wenn eine Zustimmungsvermutung im Fall der Verschwiegenheit der Behörde vorliegt. Diese fiktive Erteilung der Baugenehmigung ist keine Fiktion wie die des § 5 BauGB-MaßnG, der sich nur auf die teilweise materiellrechtliche Rechtmäßigkeit des Vorhabens erstreckt, sondern eine volle fiktive Baugenehmigung, wie diejenige der Werbegenehmigung des § 60 III S. 1 HmbBauO. Dazu S. J. M. Lavieille, Le permis de construire tacite automatique, RDP 1974, S. 992 ff; Mireille Monnier , Les décisions implicites d'acceptation de l'administration, Paris 1992, S. 69 ff. Dazu in allgemeinen de Laubadère/Venezia , Traité de droit administratif, Bd. 3, Nr. 3 f; P. M. Martin , La décleration préalable à l'exercise des libertés publiques, AJDA 1975, S. 436 ff; P. Livet, L'autorisation préalable et les libertés publiques, Paris 1974; P. LigneaUy Le procédé de la déclaration préalable, RDP 1976, S. 679 ff. S. auch Francis Caballero, Essai sur la notion juridique de nuissance, Paris 1981, S. 113 ff, der aus der Sicht des Umweltschutzes Kritik übt. Das Gesetz vom 6. 1. 1986 hat ein vereinfachtes Verfahren eingeführt, wonach für einige Kategorien keine vorherige Genehmigung erforderlich ist und die Bauarbeiten mit einer vorherigen Erklärung gegenüber der Behörde (déclaration préalable) zulässig sind. Vgl. Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 398 ff. 96 Der Zugang war zunächst nur für die Akte zugelassen worden, die dem Antrag auf Baugenehmigung beigefügt war (Arrêté Min. du 7. 3. 1963). 97 Dazu Jean-Claude Lorthe y Le permis de construire, Thèse Toulouse 1977, S. 174 f; Robert Savy, Droit de l'urbanisme, Paris 1981, S. 569; Monnier y Les décisions implicites, S. 135 f. 98 Arrêté du Ministre de l'Equipement et du Logement 30. 5. 1975; circulaire vom 31. 12. 1976 (JO 10. und 11. 1. 1977); Ministererklärung nach Anfrage im Senat (JO Débats Sénat 20. 4. 1977, S. 578). S. auch Dekret vom 30. 12. 1983 und circulaire vom 6. 6. 1984. Die Vorschriften werden heute in Artt. R- 421-9, A-421.7, A-421.8 Code de l'Urbanisme enthalten. Dazu Monnier y Les décisions implicites, S. 135 f; Philippe Renoufy De l'affichage à la publicité des permis de construire, AJDA 1996, S. 418 ff.
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sind". Die Zulassung der Einsicht in die Akten zielt auf die Information von Umweltschutzverbänden sowie Dritter ab 1 0 0 . Nicht alle Akten der Baugenehmigungsverfahren sind jedoch zugänglich. Die Akten, die der Dritte oder sein Vertreter (Rechtsanwalt, Notar oder Bevollmächtigter) einsehen und kopieren darf, sind in Art. 2 der Ministerverordnung fetsgelegt. Zugänglich sind der Antrag auf Baugenehmigung, die Baupläne und die Baugenehmigung selbst sowie, wenn ein solcher Fall vorliegt, die Baudispense101 nebst den Verträgen oder Entscheidungen über die Belastung mit Nießbrauch. Verwaltungsvorschriften des Ministeriums bestimmen die Kategorien der Akten, in die nicht Einsicht
99
Ministererklärung nach Anfrage im Parlament (J.O. Débats A.N. 3. 4. 1976, S. 376, Question Nr. 19.103). - Die Ministererklärungen in Frankreich werden traditionell als Verwaltungsvorschriften betrachtet. S. B. Oppetit, Les réponses ministeriélles aux questions écrites des parlementaires et l'interprétation des lois, D. 1974, chr., S. 107 ff. 100 Lorthe , Le permis de construire, S. 174. Dies bedeutet aber nicht, daß sie alle über ein Klagerecht verfügen. In Fall eines recours pour excès du pouvoir kann der Kläger in der Regel nur einer der Nachbarn sein. Die Klagebefugnis steht nicht jedem Stadtbewohner zu. Die Kläger können auch andere Dritte sein, jedoch nur, wenn sie im Interesse umweltschützender oder bauplanerischer Interesse klagen. Es gibt z.B. keine Klagebefugnis eines Vereins von Freidenkern, die Baugenehmigung einer Kirche anzufechten. Dazu Rougevin-Baville/Denoix de Saint Marc!Laboutelle, Leçons de droit administratif, S. 614 ff. Vgl. auch Jean-Marie Woehrling, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Frankreich auf dem Gebiet des Umweltrechts - unter Einschluß der Probleme der grenzüberscheitenden Verfahrensbeteiligung, Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut Nr. 116, Saarbrücken 1986. 101 Der Behörde steht nach dem Code de l'urbanisme das Recht zu, Dispense zu gewähren (accorder une dérogation). Über das Rechtsinstitut des Dispenses im französischen Recht s. Caballero, Essai sur la notion juridique de nuissance, S. 135 ff, 139 ff. Daneben besteht gemäß Art. L 123-4 die Möglichkeit, daß die Behörde eine Genehmigung erteilt, obwohl eine Änderung des noch nicht vorliegt, und das Planungsverfahren läuft (application anticipée). Umgekehrt kann sie auch gemäß Art. L 123-5 des Code de l'urbanisme während des Verfahrens zum Erlaß eines Bebauungsplans (POS) die Erteilung von Genehmigungen einstellen, wenn das Verfahrensergebnis gefährdet wird (surcis à statuer). In solchen Fällen ist die Rechtsprechung bei der Auslegung der Vorschriften sehr restriktiv gewesen. Vgl. CE 18. 7. 1973, Ville de Limoges, Ree. 530. Es geht um eine Sonderanwendung der sog. "théorie du bilan" (Abwägung). Dazu s. CE 28. 5. 1971, "Ville nouvelle-est", Ree. 109, conci. G. Braibant; Caballero, Essai sur la notion juridique de nuissance, S. 93 ff mwN; Philippe , Le contrôle de proportionnalité, S. 375 ff; Henry-Michel Crusis , Les combinaisons de normes dans la jurisprudence administrative française, Paris 1991, S. 177 ff; Schiette , Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten, S. 300 ff. Die Rechtsprechung hat inzwischen der Gesetzgeber übernommen. Nach Art. L 123-1 Code de l'urbanisme ist ein Dispens nur für kleine Änderungen und den Fall eines tatsächlichen Erfordernisses zulässig. Der Staatsrat kontrolliert Verweigerungen oder Gewährungen von Baugenehmigungen traditionell besonders gründlich und mit höherer Kontrolldichte (Vgl. Nicolay, Cours de droit administratif, Bd. 2, S. 120 f).
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genommen werden kann 102 . Diese sind der Briefwechsel im Rahmen des Verfahrens, die Bemerkungen zu den Dokumenten sowie die Stellungnahmen der angefragten Kommissionen und Behörden, sofern sie nicht bindend sind ("avis conformes") 103 . E contrario wäre deshalb eine Erweiterung des Kreises der zugänglichen Dokumente durch die Richtlinien möglich. Die praktische Bedeutung wird besonders bei den Sondergenehmigungen für Industrieanlagen deutlich. Die Rechtsprechung ist jedoch im Hinblick auf den Schutz des Bauherrn besonders streng 104 . Danach soll die Behörde dem Bürger nichts anderes zur Einsicht geben als die vorgeschriebenen Dokumente. d) Statistische Daten, Steuerliste Dem wissenschaftlichen Interesse dient die Pflicht der Statistikbehörde, Informationen für wissenschaftliche Zwecke und unter Beachtung der Anonymität weiterzugeben 105. Zur Förderung der Ehrlichkeit bei Steuererklärungen kann auch die Liste der Namen und der Einkünften der Steuerzahler eingesehen werden' 0 6 .
3. Akteneinsicht als Bürgerbeteiligung Nach Art. 32 des Gesetzes vom 10. 8. 1871 hat jeder Wähler oder Steuerpflichtige des Départements das Recht, Einsicht in die Tätigkeitsunterlagen und Sitzungsberichte der Départementsrâte zu nehmen, davon Kopien anzufertigen und sie durch die Presse zu verbreiten 107 .
102
Circulaire Nr. 73.58 vom 13. 3. 1973, Moniteur des travaux publics 1973, Nr. 21, S. XI. 103 Zur beratenden Verwaltung in allgemeinen s. A. Heilbronner/Roland Drago , L'administration consultative en France, RISA 1959, S. 57 ff; Yves Weber , Administration consultative, Paris 1968; Le consultation dans l'administration contemporaine, Paris 1972. 7.-L. Bonnefoy , Aperçu sur l'administration consultative, Paris 1964 (NED Nr 3133). >°4 CE 25. 10. 1968, Perrière, Ree. 514. 10 5 Vgl. Art. 2 II des Gesetzes vom 11. 10. 1941. 106 S. Art. 38 des Gesetzes vom 23. 12. 1946. Heute ist die Regel in Art. L 111 Livre des Procédures fiscales (Code Générale des Impôts Art. 243) enthalten. Hierbei handelte es um eine Ausnahme vom Steuergeheimnis, das auch im Code Générale des Impôts geregelt wird (eingeführt durch Gesetz vom 15. 7. 1914). Vgl. dazu CE 25. 10. 1935, Fleur Santucci, Ree. 983, die die Verletzung des Steuergeheimnisses als Amtspflichtverletzung ansieht und entsprechende Entschädigung vorsieht. 107 Die Vorschrift lautet: "Tout électeur ou contribuable du département a le droit de demander la communication sans déplacement et de prendre copie de toutes les dèli-
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Ähnlich und wohl viel allgemeiner wurde diese Möglichkeit im Art. L 12119 Code des communes ausgestaltet108. Danach wird jedem Bürger oder Steuerpflichtigen das Recht zuerkannt, Einsicht in die Sitzungsberichte des Geberations du Conseil général ainsi que des procès-verbaux des séances publiques et de les reproduire par voie de presse" (Gesetz vom 10. 8. 1871, Art. 32). 108 Früher Art. 34 des Code de l'administration communale. Das Recht wurde mit Art. 58 des Gesetzes vom 5. 4. 1884 begründet (Vgl. schon Gesetz vom 21. 3. 1831, Art. 22 des Gesetzes vom 5. 5. 1855). Vgl. dazu Mie , Le secret administratif, S. 118 ff; Letteron , L'administré et le droit à l'information, S. 379 ff; P. Brolles , L'accès aux documents des collectivités territoriales, Paris 1987; Becet , La communication des documents au public, Nr. 10 ff. Zum französischen Kommunalrecht s. Gert Treffer, Französisches Kommunalrecht, München 1982; François Luchaire/Yves Luchair e, Le droit de la décentralisation, Paris 1983, insbesondere S. 237 ff; Jean-Michel de Forges , Les institutions administratives françaises, Paris 1985, S. 159 ff; Vedel/Delvolvé , Droit administratif II, S. 398 ff, 475 ff; Michel Fromont, Die französischen Dezentralisierungsgesetze, DöV 1983, S. 397 ff; Britta Hofmann , Die französische Gebietskörperschaften in der Dezentralisierungsreform, Würzburg 1996, S. 149 ff, 227 ff; Thomas Wiedmann, Idee und Gestalt der Region in Europa, Baden-Baden 1996, S. 97 ff. Zur früheren Rechtslage vgl. Hermann Knothe, Die Gemeindegesetzgebung der französischen Revolution, Diss. Erlangen 1919; Hans Jäger, Die Gemeinde in Frankreich, Diss. Berlin 1938; Heinrich Franz, Maire und Bürgermeister, Ein rechtsvergleichender Beitrag zum ehemals rheinischen, zum französischen und zum geltenden deutschen Gemeindeverfassungsrecht, Diss. Marburg 1938; Peter Schimmels, Die Rechtsstellung des Bürgemeisters in Frankreich, Diss. Mainz 1960; Otto Steinkopff\ Die Selbstverwaltung der französischen Gemeinde, Diss. Göttingen 1965; Charles Martin, Verwaltung und Verwaltungsrecht Frankreichs unter besonderer Berücksichtigung der französischen Kommunal Verfassung, VerwArch 1965, S. 1 ff, 158 ff; Ernst Bartholome, Die zwischengemeindliche Zusammenarbeit in Frankreich, Diss. Bonn 1968; Udo Hachmann, Ein Vergleich zwischen der geltenden rheinischen Bürgermeisterverfassung und dem französischen Kommunalverfassungsrecht, Diss. Münster 1968. Für Teilaspekte: Frido Wagener, Neubau der Verwaltung, Berlin 1970, S. 245 ff; Heinz Bujnoch, Die Selbstverwaltung der französischen Gemeinden unter dem Aspekt der Finanzkraft, Diss. München 1972; Thomas Bruns, Regionalisierung in Frankreich: das Gesetz vom 5. Juli 1972, VerwArch 1974, 237 ff; Manfred Dauses, Grundzüge der Regionalreform in Frankreich, DVB1. 1974, S. 613 ff; Jürgen Hartmann, Kommunale Neubildung in Frankreich, VerwArch 1968, S. 345 ff; Charles Martin, Die Stadtgemeinschaft in Frankreich, DöV 1967, S. 853 ff; Heinrich Siedentopf Interkommunale Zusammenarbeit in Frankreich, Der Ständetag 1967, S. 308 ff; Frank Paul, Internationale Partnerschaften zwischen lokalen Gebietskörperschaften nach deutschem und französischem Recht, Aachen 1993, S. 15 ff, 143 ff. S. auch J.-M. Auby/J.-B. Auby, Institutions administratives, S. 97 ff; André Coudevylle y Contribution à la théorie générale du service public communal, Thèse Bordeaux I 1976. Aus verwaltungswissenschaftliche Sicht vgl. das Sammelwerk von Jacques Lagroye/Vincent Wright (Hrsg.), Local government in Britain and France, Boston, Sydney 1979, S.l ff, 28 ff, 74 ff, 114 ff, 150 ff, 183 ff, 214 ff. Zur Dogmengeschichte s. Reinhard Sparwasser, Zentralismus, Dezentralisation, Regionalismus und Föderalismus in Frankreich, Berlin 1986. Vgl auch Spyridon Flogaitis, La notion de décentralisation en France, en Allemagne et en Italie, Paris 1979, S. 3 ff, 39 ff.
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meinderats, das Budget, die Rechnungen sowie die Entscheidungen der Gemeinde zu verlangen sowie Kopien davon anzufertigen und sie zu veröffentlichen 109 . Die Vorschrift verpflichtet die Bürgermeister, alle erwähnten Arten von Dokumenten zugänglich zu machen 110 . Dokumente anderer Art, z.B. öffentlich109 Die Vorschrift lautet: "Tout habitant ou contribuable a le droit de demander communication sans déplacement, de prendre copie total ou partielle des procès-verbaux du Conseil municipal, des budgets et des comptes de la commune, des arrêtés municipaux. Chacun peut les publier sous sa responsabilité" (Code des Communes Art. L 12119). Das Text des Art. 58 des Gesetzes vom 5. 4. 1884 hat die Liste der Zahlungsbescheide (mandats de paiement) nicht erwähnt, weshalb sie nicht zugänglich war (CE 27. 7. 1923, Pister, Ree. 623). Sie ist inzwischen unter den kommunalen Rechnungen zugänglich (schon CE 8. 11. 1935, Syndicat des Contribuables de Boulogne-Billancourt, Ree. 1035). Zugänglich sind auch die Sitzungsberichte (CE 21. 5. 1926 Mériot, Ree. 532 = S. 1926.3, 57, note M. Hauriou; CE 29. 10. 1943, Debelfont, Ree. 347; TA Nice 21. 7. 1981, Giudicelli, Ree. 540), die Wählerlisten (vgl. CE 2. 12. 1931, Hilaire-Darrigaud, Ree. 1050), die Listen der Sozialhilfeempfänger und die Grundbesitzunterlagen. Nicht zugänglich sind dagegen Akten bezüglich die Vergütung der kommunalen Beamten (CE 13. 2. 1974, Pietri, Ree. 880), die Polizeiakten und die Akten über die Wehrpflichtigen. S. auch CE 11. 1. 1978, Commune de Muret, Ree. 5 = AJDA 1978, 219, conci. Β. Genevois (Zugänglichkeit von Verträge über die Verleihung von Wasser). Das Gesetz vom 6. 2. 1992 hat den Zugang durch die Eröffnung der Möglichkeit für die Bürger, auf ihre Kosten Kopien des Haushaltsplans und der Rechnungen zu beantragen, vervollständigt. Art. 121-19 Code des communes ist ebenfalls auf Gemeindeverbände anwendbar. Darauf verweisen Art. 67 des Gesetzes vom 10. 5. 1871 über die Departementsräte, Art. 6 des Gesetzes vom 5. 7. 1972, für die Regionen und Art. V III des Gesetzes vom 6. 2. 1992 für die Verbände zwischen Regionen und zwischen Departements. Dazu Jean-Bernand Auby, La loi du 6. 2. 1992 et la citoyenneté locale, RFDA 1993, S. 37 ff (40 f); vgl. auch Hofmann, Die französische Gebietskörperschaften, S. 339 f. Der Gemeindehaushaltsplan ist nach einer anderen Regelung (Art. L 212-14 Code des communes, der die Regelung des Gesetzes vom 18. 7. 1837, des Art. 160 des Gesetzes vom 5. 4. 1884 und des Art. 184 des Code de l'administration communale, geändert durch Ordonnanz vom 5. 1. 1959, übernimmt) zugänglich. Diese Vorschrift ist durch das Gesetz vom 6. 2. 1992 ergänzt worden. Damit sind alle Gemeinden verpflichtet, ihren Haushaltsplan nach seinem Abschluß fünfzehn Tage der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Kommunen mit mehr als 3500 Einwohnern sind zusätzlich dazu verpflichtet, eine Liste der von ihnen subventionierten Verbände sowie die Bilanzen der kommunalen und subventionierten Unternehmen bekanntzugeben. Art. 212-14 Code des communes ist ebenfalls auf Gemeindeverbände anwendbar. Darauf verweisen Art. 67 des Gesetzes vom 10. 5. 1871 über die Departementsräte, Art. 6 des Gesetzes vom 5. 7. 1972, für die Regionen und Art. 15 III des Gesetzes vom 6. 2. 1992 für die Verbände zwischen Regionen und zwischen Departements. Vgl. J.-B. Auby, La loi du 6. 2. 1992, S. 40; Hofmann, Die französische Gebietskörperschaften, S. 339 f. n° Die Gemeinde hat keine Befugnis das Vorliegen des Rechts auf Zugang zu diesen Dokumente zu verweigern. S. CE 10. 2. 1978 Garnotel, Ree. Τ 722 = AJDA 1978, 451 = RDP 1979, 559 = DA 1978, Nr. 84. Der Bürgermeister kann die Einsicht jedoch verweigern, wenn Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (ordre public) oder der Wahrung der Funktionsfähigkeit der Gemeindeverwaltung vorliegen (CE 9. 7. 1975, Mercier, Ree. 897 = DA 1975, Nr. 306 = AJDA 1976, 148 = RDP 1976, 377).
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rechtliche Verträge der Gemeinde 111 , bleiben grundsätzlich geheim, und es steht im Ermessen des Bürgermeisters, sie jeweils zugänglich zu machen 112 . Die Einsicht kann persönlich oder durch einen Bevollmächtigen, der kein Bürger der Kommune sein muß, genommen werden 113 . Der Bürgermeister hat das Recht, den Zugang zu regulieren. Die Beschränkungen sollen aber die Verhältnismäßigkeit wahren und die Ausübung des Zugangsrechts nicht erheblich oder willkürlich erschweren 114. Die Vorschrift bezweckt nicht nur die Sicherung der Interessen des Bürgers, sondern sie stellt ebenso eine Form der Kontrolle über die Ausübung kommunaler Selbstverwaltung dar 115 . Der Körperschaftscharakter scheint dabei eine besondere Rolle beim Zugang der Bürger zu administrativen Dokumenten zu spielen. Die Rechtsprechung ist dazu bereit, den Zugang der Mitglieder von Körperschaften der funktionalen Selbstverwaltung auf die Vereinsakte auszuweiten116. m CE 4. 1. 1916, Legras, Ree. 16; CE 2. 1. 1935, Allemand, Ree. 2. 112 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 383. 113 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 384. 114 Zum Einsichtszeit s. CE 7. 8. 1905, Henri Descubes, Ree. 774; CE 2. 12. 1931, Hilaire, Ree. 1051; CE 12. 12. 1948, Perduit, Ree. 214; CE 2. 11. 1960, Costedoat, Ree. 582 = AJDA 1960 II, 383; CE 23. 3. 1962, Casablanca, Ree. 207 = AJDA 1962, 432; TA Orléans 12. 10. 1979, Fontaine, Ree. 651; dagegen CE 22. 7. 1933, Pélissié, Ree. 847. Die Abfertigung von Kopien ist grundsätzlich zulässig (CE 10. 2. 1978, Garnotel, Ree. Τ 722 = DA 1978, Nr. 84 = RDP 1979, 559 = AJDA 1978, 451; TA Versailles 30. 5. 1979, Groupe d'action municipale d'Aubergenville, Ree. 519). Es besteht jedoch keine Anspruch auf Begläubigung der Kopien (CE 25. 7. 1919, Bouysson, Ree. 684). Das Mitnehmen der Akten ist nicht gestattet. Die Akten dürfen auch in der Stadtbücherei eingesehen werden. Es ist zulässig, daß der Bürgermeister die Einsicht nur in seiner Anwesenheit gewährt oder einen schriftlichen Antrag mit genauer Auflistung der einzusehenden Dokumente verlangt (CE Perduit, ibid; relativierend etwa TA Nancy 12. 10. 1971, Ree. 878) oder wegen technischer Schwierigkeiten das Photographieren der Dokumente verbietet (vgl. TA Rouen 23. 11. 1970, Association des habitants de Coulonges, Ree. 804). Dazu CADA III, S. 35 ff. Die Einsicht findet normalerweise unter der Aufsicht eines Kommunalbeamten bzw. -angestellten statt, da es sich in der Regel um Originale handelt. Dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 384 f; Becet, La communication des documents au public, Nr. 22 ff, 30 ff. 115 Jeanne Lemasurier , Vers une démocratie administrative: du refus d'informer au droit d'être informé, RDP 1980, S. 1239 ff (1248). Vgl. auch CE 24. 1. 1940, Thomas, Ree. 4; CE 9. 11. 1973, Commune de Pointe-à-Pitre, AJDA 1974, 93. CE 17. 12. 1971, Rousselot, Ree. 780 = RA 1972, 149, conci. G. Braibant = AJDA 1972, 94, 111, ehr. Labetoulle/Cabanes. Hier handelte es sich um den Antrag eines Mitglieds auf Zugang zu den Akten eines Eigentümervereins gemäß dem Gesetz vom 1865 (Vereine für die Durchführung von gemeinsamen Bauwerken durch die Eigentümer von Grundstücken an einem Ort). Der Fall ist um so interessanter, als hier keine Zwangsmitgliedschaft bestand und die erbetene Akte nicht die Grundstücke der Mitglieder, sondern ein im Eigentum des Vereins befindliches Grundstück betraf.
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4. Die "procédures contradictoires" Die wichtigste Ausnahme stellt die "procédure contradictoire" dar. Mit diesem Stichwort werden jene Verfahren bezeichnet, bei denen den Betroffenen das Recht zugestanden wird, angehört zu werden und sich zu verteidigen 117 . Die Verwaltung ist nicht verpflichtet, dem Verfahren den Charakter einer "procédure contradictoire" zu geben, wenn es nicht gesetzlich vorgesehen ist 1 1 8 . Die Begründung für die Position der Rechtsprechung ist die Bewahrung der Effizienz des Verwaltungshandelns vor erheblichen Belastungen durch solche Verfahrensarten 119. a) Typen Es gibt verschiedenen Typen von "procédures contradictoires". Ihr Charakter kann manchmal auf einer bloßen vorherigen Mitteilung der Vorwürfe als Gründe für das Verfahren sowie der Möglichkeit, sich darüber zu äußern, beruhen. Hierzu zählen das Verfahren beim Abriß von gefährlichen Gebäuden (Art. 12 des Gesetzes vom 15. 2. 1902, Art. 12 des Dekret-Gesetzes vom 24. 5. 1938), das Verfahren der Schließung von religiösen Gebäuden (Art. 13 I I I des Gesetzes vom 9. 12. 1905) sowie die sonstigen Vollstreckungsverfahren 120. Auf andere Fälle solcher Art bezieht sich die Möglichkeit einer gütlichen Beilegung des Streits, wie bei zivilen Requisitionen (Art. 20 des Gesetzes vom 11. 7. 1938) oder der Erklärung eines Gebäudes zum geschützten Denkmal (Art. 5 des Gesetzes vom 31. 12. 1913) oder bei Vergleichsmöglichkeiten 121 . 117
Über die procédures conradictoire
s. VedeUDelvolvé , Droit administratif I, S.
282 ff. 118
Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 387, unter Bezug des CE 12. 7. 1955, Société Régionale du Jura, Ree. 420. Vgl. auch CE 16. 4. 1986, Société méridionale de participations bancaires industrielles et commerciales, Ree. 93 = AJDA 1986, 294, 335, chr. Azibert/Fornacciari ("aucune disposition législative ou réglementaire ni aucun principe du droit ne faisaient obligation d'entendre contradictoirement les intéressés"); TA Versailles 6. 12. 1985, Société Calif c. Commune de Torcy et autres, AJDA 1986, 374, obs. J. Moreau. Anders das verwaltungsgerichtliche Verfahren, das immer als "procédure contradictoire" ausgestaltet werden muß, auch wenn dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Dazu CE 20. 6. 1913, Téry, Ree. 735. 119 Der Staatsrat sieht sich nicht als rechtschützende Instanz, sondern als Vermittler zwischen privatem und öffentlichem Interesse. Da seine Mitglieder auch höhere Beamte sind und langjährige Verwaltungserfahrung mit sich bringen, spiegelt sich hier die Sorge wieder, daß die verfolgten Lösungen kein Hindernis für die Effizienz der Verwaltung darstellen. Vgl. dazu Achille Mestre , Le Conseil d'État protecteur des prérogatives de l'administration, Paris 1974, passim und S. 237 ff. 120 Dazu Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 387. 121 Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 387.
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Aber auch die Durchführung dieser Verfahrensart kann von einer Beteiligung der Betroffenen abhängen. So ist bei der Änderung von kommunalen Grenzen die Anhörung der Gemeinderäte der betroffene Gemeinde sowie die Meinung einer von den betroffenen Bürger gewählten Kommission erforderlich (Art. 5 der Ordonnanz vom 2. 11. 1945). Ein weiterer Typ eines solchen Verfahrens ist die Durchführung einer öffentlichen Untersuchung (enquête publique) der Form commodo incommodo, bei der alle Interessierten ihre Einwände in ein öffentliches Buch eintragen dürfen. Förmliche Verwaltungsverfahren 122 und Verwaltungs verfahren, bei denen ein ordentliches Gericht, wie bei
122 Wie bei dem Verfahren vor der damaligen commission de la concurrence . Nach Art. 16 des Gesetzes vom 19. 7. 1977: "en toute hypothèse, la procédure suivie devant la Commission de la Concurrence devra présenter à l'égard de toute partie intéressé un caractère pleinement contradictoire". Das Verfahren wurde im Dekret vom 25. 10. 1977 vorgeschrieben. Nach Art. 6 des Gesetzes war nach Eröffnung des Verfahrens der Minister verpflichtet, die Betroffenen schriftlich davon in Kenntnis zu setzen. Nach Art. 7 des Gesetzes waren die Berichte, die das Verfahren eingeleitet haben sowie die Informationen und Dokumente, die als Grundlage für die Vorschläge des Berichterstatters an die Kommission fungieren, dem Betroffene zur Einsicht zukommen zulassen. Es besteht eine Pflicht der Kommission, die Verfahrensakten dem Betroffene zu übersenden, welche verpflichtet waren, sie gegenüber Dritten geheim zu halten. Die Sitzungsberichte der Kommission standen nicht zur Einsicht zur Verfügung. Nach der Einsicht gibt es für die Betroffenen die Möglichkeit, ihre diesbezügliche Stellungnahme schriftlich der Kommission vorzulegen und von ihr, nach Ermessen der Kommission, mündlich angehört zu werden. Dazu Jean-Claude Lorthe, Le contrôle administratif français des concentrations économiques, RDP 1980, S. 471 ff (489 ff) und CE 13. 3. 1981, Ordre des avocats à la cour de Paris, Ree. 135 RDP 1981, 1428, note Y. Gaudemet = D. 1981, 418, note C. Gavalda = GP 1982 I, 280, note O. Gohin = JCP 1981, II, Nr. 19580, conci. M.-D. Hagelsteen; CE 22. 5. 1985, Société Cabot corporation, Ree. 158.
Heute bestehen verstärkte ähnliche Verfahrensgarantien vor dem Conseil de la concurrence gemäß der Ordonnanz vom 1. 12. 1986 (abgedr. WuW 1988, S. 38 ff), einschließlich ein uneingeschränktes Recht auf Akteneinsicht (Art. 21 I). Dazu Jean Donnedieu de Wahres, La nouvelle autorité: Le Conseil de la concurrence, Les Cahiers de l'entreprise 1987, Nr. 1, S. 28 ff. Zum Akteneinsichtsrecht s. Dietrich Kleemann, Das neue französische Wettbewerbsrecht, WuW 1987, S. 628 ff (634); Stephanie Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren nach deutschem, französischem und europäischen Kartellrecht und die Berücksichtigung der Verteidigungsrechte, Bern, New York, Paris 1989, S. 155, 203; Marcus Girnau, Die Stellung der Betroffenen im EGKartell verfahren, Köln, Berlin, Bonn, München 1993, S. 60 f mwN; Corine LepageJossua, Le nouveau droit de la concurrence: une chance pour la juridiction administrative?, GP 1986 I, doctr., 332 ff. Einschränkung enthält Art. 23 der Ordonannanz zum Gunsten von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (eine strafrechtliche Geheimnisschutz findet auch in Art. 24 der Ordonnanz). In solchen Fällen steht dem Präsident des Conseil de la Concurennce die Befugnis zu, die Einsicht zu verweigern, wenn die entsprechenden Akten für das Verfahren oder für die Ausübung der Verteidigungsrechte des Betroffenne nicht erforderlich sind. S. dazu Girnau, S. 61.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Auslieferungen 123 , oder ein Verwaltungsgericht, wie bei Disziplinarverfahren gegen Schullehrer, zuständig ist und wobei entsprechende gerichtliche Verfahrensgarantien angewendet werden dürfen, schließen die Palette der Möglichkeiten ab. b) Procédure contradictoire und Akteneinsicht Die Analyse der verschiedenen Arten von procédures contradictoires zeigt, daß nicht bei jedem derartigen Verfahren die Anerkennung eines Zugangsrechts erforderlich ist. Nur bei denjenigen Verfahren, bei denen die Verwaltung die sog. Verteidigungsrechte ("droits de la défense") zu achten hat, ist die Gewährung des Zugangs zu den entsprechenden administrativen Dokumenten erforderlich 124 .
I V . Die droits de la défense als Grundvoraussetzung A. Verteidigungsrechte im gerichtlichen und im Verwaltungsverfahren: Ein struktureller Vergleich Der Begriff der droits de défense ist prozessual geprägt 125 . Es geht dabei um die Ausdehnung von Merkmalen prozessualer Art auf das Verwaltungsverfahren. Die Übertragung von Prozeßprinzipien auf Verwaltungsverfahren erfolgt indes durch ihre Transformation. Die Möglichkeit des Klägers, seine Rechte bzw. rechtlich geschützten Positionen zu verteidigen, stellt eines der Strukturmerkmale des Verwaltungsprozesses dar 126 .
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In Frankreich ist die Auslieferung als eine Art von Verwaltungsverfahren gedacht, da die Beziehungen mit dem Ausland der Zuständigkeit der Verwaltung unterliegt. Die Entscheidung fällt jedoch in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte. Gegen ihre Entscheidung gibt es die Möglichkeit einer Beschwerde vor dem Staatsrat. 124 Zutreffend Jacques Soubeyrol, La communication des documents administratifs aux administrés, AJDA 1958, S. 43 ff (45). Vgl. auch J.-Ai. Auby , La procédure administrative non contentieuse, S. 31. Zur Akteneinsicht als Teil der Verteidigungsrechte im allgemeinen s. Allan R. Brewer-Carias, Les principes de la procédure administrative non contentieuse, Études de droit comparé (France, Espagne, Amérique latine), Paris 1992, S. 143 ff. 125 Zutreffend Raymond Odent , Les droits de la défense, EDCE 1953, S. 60 ff (60); derselbe , De l'arrêt Trompier-Gravier à l'arrêt Garysas, EDCE 1963, S. 46 ff (49). 126 Nach CE 6. 12. 1933, Neveu (unveröffentlicht, zit. nach Conci. Chenot, RDP 1944, S. 256); CE 12. 5. 1961, La Huta, Ree. 313, ist der Verwaltungsprozeß seiner
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Das Verwaltungsverfahren dient dagegen vorrangig der Durchsetzung der gesetzlichen Aufgaben der Verwaltung. Dies führt zu tiefgreifenden Strukturunterschieden zwischen den droits de la défense bei Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren, die zu einer differenzierten Betrachtung ihrer möglichen Begrenzung seitens der Rechtsprechung führt 127 . So behalten die gerichtlichen Verteidigungsgarantien in allen Fällen Gültigkeit, weil sie eine sine qua non Voraussetzung gerichtlichen Rechtsschutzes darstellen, wobei die droits de la défense im Verwaltungsverfahren nach Ansicht der Rechtsprechung im Falle von Krieg oder bei beamtenrechtlichen Verfahren im Falle von Beamtenstreiks ausgesetzt werden dürfen. Verschieden sind auch die Konsequenzen der Verletzung von Verteidigungsrechten. Die droits de la défense stellen einen Teil der "ordre public" bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren dar 128 . Dies bedeutet, daß ihre Verletzung zur Kassation des ganzen Verfahrens führen kann. Außerdem ist es ein Verfahrensmangel, wenn das Urteil ergangen ist und die rechtzeitig von einer Partei angeforderte Vorlage von Akten nicht erfolgte 129 . Fehlerhaft ist ebenfalls das Verfahren, bei dem die Natur nach eine "procédure contradictoire ". Vgl. dazu Jean Donnadieu de Wahres, La protection des droits de l'homme par les juridictions administratives en France, EDCE 1949, S. 30 ff (36); Pierre Pactet , Essai d'une théorie de la preuve devant la juridiction administrative, Paris 1952, S. 26; André Heurté , Les règles générales de procédure, AJDA 1964.1, S. 4 ff (6); Jacques Puisoye , La jurisprudence sur le respect des droits de la défense devant les juridictions administratives, D. 1969, chr., S. 1 ff; Gohin, La contradiction dans la procédure administrative contentieuse, S. 40 ff; umfassend JeanPierre Chaudet , Les principes généraux de la procédure administrative contentieuse, Paris 1967, S. 365 ff. Als Ausdruck der droits de la défense im Verwaltungsprozeß seien insbesondere drei Prozeßrechtsgrundsätze erwähnt: das Prinzip der vorherigen Anhörung im Verwaltungsprozeß (CE 6. 2. 1931, Syndicat normand de filature du coton, S. 1931.3, 49, note P. de Font-Réaux; CE 7. 2. 1947, d'Aillères, Ree. 50 = RDP 1947, 68, conci. Odent, note Waline = JCP 1947 II, 3509, note G. Morange; CE 27. 4. 1949, Milliès Lecroix, Ree. 182), das Prinzip der Einsicht der Parteien in die Prozeßakten (CE 10. 8. 1918, Sieur Villes, Ree. 841, conci. Berget = S. 1922.3, 57) und das Prinzip der Berechtigung der Parteien, ihre Positionen vor Gericht zu erklären (CE 20. 6. 1913, Tery, Ree. 736, conci. Corneille; CE 21. 3. 1950, Bergery, Ree. 187). Die oben genannten Prinzipien, die das Prinzip des rechtlichen Gehörs praktisch ausgestalten, sind nach der Rechtsprechung sehr streng anzuwenden (CE 31. 10. 1928, Société Totain et Cie, Ree. 1097; CE 21. 3. 1947, Sieur Drouand, Ree. 119; CE 28. 6. 1948, Sieur Brillaud, Ree. 293). Vgl. dazu Benoît Jeanneau, Les principes généraux du droit dans la jurisprudence administrative, Paris 1954, S. 76 ff. 127 Vgl. Gustave Priser , Le recours en cassation en droit administratif français, Paris 1958, S. 335 f. 128 CE 24. 3. 1947, Société civile immobilière de l'hôtel Mazarin, Ree. 131; CE 6. 5. 1949, Vanzelle, Ree. 204. 129 CE 7. 7. 1905, Le Bechu de Champsavoir, Ree. 636. Die Vorlagepflicht der Verwaltung erstreckt sich auf alle Akten, die innerhalb des Dossiers der Behörde zur betreffenden Streitsache enthalten sind. Ausführlich dazu Gohin, La contradiction dans
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
la procédure administrative contentieuse, S. 160 ff. Es ist aber möglich daß die Verwaltung die ihren Akten zugrundeliegenden Beweggründe (motifs ) oder Dokumente vorzulegen verweigert, weil es sich hier um ein Staatsgeheimnis handelt. Hier ist die gerichtlichen Kontrollfunktion in Konflikt mit der Staatsraison geraten. Die Rechtsprechung hat die Regel entwickelt, daß alle internen Dokumente dem Verwaltungsrichter vorgelegt werden müssen. Dazu TA Constantine, 4. 3. 1961, R...c. Ministre des Armées, D. 1961, J., 335, note Bourdoncle. Eine Ausnahme ist jedoch für Dokumente des diplomatischen Verkehrs mit anderen Staaten anerkannt. Dazu CE 23. 12. 1904, Poujade, Ree. 871. Im Fall der gesetzlich durch den Code Pénal geschützten Geheimnissen, wie beim Verteidigungsgeheimnis oder der ärztlichen Schweigepflicht, hat die Rechtsprechung versucht, den Anspruch der gerichtlichen Kontrolle mit den gesetzlichen Erfordernissen zu vereinbaren. S. dazu die Ausführungen von Bernard Pacteau, Le juge de l'excès de pouvoir et les motifs de l'acte administratif, Clermont-Ferrand 1977, S. 76 ff; Chaudet , Les principes généraux de la procédure administrative contentieuse, S. 437 ff; Gohin, La contradiction, S. 172 ff mwN. Vgl auch François Moderne , Le sécret médical devant les juridictions administrative et fiscale, AJDA 1973, 404. Die Rechtsprechung hat grundsätzlich die Ausnahme der gesetzlichen Geheimnisse aus den Dokumenten, die der Aktenvorlagepflicht unterliegen, gebilligt. Zu diesem Grundsatz hat sich die Assemblée (Großer Senat) des Staatsrats im Fall Coulon bekannt. S. CE 15. 3. 1955, Coulon, Ree. 150 = RDP 1955, 985, conci. Grévisse = D. 1955, J., 555, note de Soto/Leauté = AJDA 1955.2, 181, obs. Long. Im diesen Fall handelte es sich um den Schutz eines Verteidigungsgeheimnisses. Die Verwaltung wollte nicht die Akten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Angestellten einer Rüstungsfabrik vorlegen. In erster Instanz hat das TA Caen die Einsicht der gesetzlichen Geheimakten nur durch die Mitglieder des Gerichts und in camera angeordnet. Der Staatsrat dagegen billigte die Handlungen der Verwaltung. Dieses Prinzip ist inzwischen jedoch um Nuancen angereichert worden, die die Effizienz der gerichtlichen Kontrolle gewährleisten. Es ist also zulässig, daß das Verwaltungsgericht die Akten mittelbar, d.h. über den Berechtigten, von der Verwaltung erhält. So kann das Verwaltungsgericht dem Kläger vorschreiben seine Akten, die z.B. unter die ärztliche Schweigepflicht fallen und folglich von der Behörde nicht vorgelegt werden dürfen, bei der Verwaltung zu erfragen und an das Gericht weiterzugeben werden können. Dazu CE 24. 10. 1969, Ministre de l'Equipement et Logement e. Gougeon, Ree. 457 = D. 1969, J., 732, conci. Guillaume = AJDA 1969, 689, obs. Denoix de SaintMarc/Laboutelle = RDP 1970, 394, ehr. Waline (Fall der Anfechtung des Führerscheinentzugs aufgrund gesundheitlicher Probleme. Vgl. auch CE 12. 11. 1969, Pasquier, Ree. 495 = RDP 1970, 394, ehr. Waline = AJDA 1969, 689, obs. Denoix de SaintMarc/Leboutelle; CE 20. 7. 1971, Pasquier, Ree. 562 = AJDA 1971, 689, ehr. Denoix de Saint-Marc/Cabanes. Die Billigung der gesetzlichen Geheimnisse als Rechtfertigungsgrund für die Nichtvorlage der Akten bedeutet aber nicht, daß das Gericht nicht weiter kontrollieren kann. Dies hat ausdrücklich die Arrêt Coulon (ibid) festgestellt. Es geht letztendlich um eine Form von Beweisbeschränkung. Das Verwaltungsgericht kann über andere Mittel entscheiden. Die Nichtvorlage kann für die Verwaltung nicht nur Vorteile bringen. Es schadet ihren Prozeßchancen, wenn sie schweigt und ihre Akten nicht dem Gericht überläßt. Dazu CE 2. 10. 1963, Houhou, Ree. 468. Die Behörde hat in diesem Fall die Akten wegen Beachtung des Verteidigungsgeheimnisses nicht vorgelegt und den Prozeß verloren. S. auch TA Paris 7. 1. 1959, Benauali, Ree. 738; TA Caen 16. 7. 1959, Ziani, Ree. 838. Vgl. Conci. Braibant CE 11. 5. 1962, Foucher-Creteau, Ree. 319. Diese Rechtsprechung steht in einer Linie mit der berühmten Entscheidung CE 28. 5. 1954,
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Parteien nicht die Verfahrensakten einsehen konnten 130 . Die droits de la défense im Verwaltungsverfahren werden dagegen nicht als "moyens d'ordre public" betrachtet und ihre Achtung wird nicht ex officio vom Verwaltungsrichter kontrolliert 131 .
Barel, D. 1954, J., 594, note G. Morange = S. 1954.3, 97, note A. Mathiot = GP 1954 I, 405 (Nichtzulassung kommunistischen Sympathisanten zum "concours" der ENA), die die Regel festsetzte, daß die Behörde die Beweggründe (motifs) ihre Entscheidung dem Richter vorzulegen hat, andernfalls die Entscheidung aufgrund mangelnder Begründung als rechtswidrig aufgehoben wird. Vgl. dazu CE 1. 5. 1936, Couepel du Mesnil, Ree. 485; CE 21. 12. 1960, Premier ministre c. Vicat Blanc, Ree. 1093; CE 26. 1. 1968, Société "Maison Genestal", Ree. 62 = Droit Social 1969, 456, note M. Fromont = AJDA 1968, 122. Über die Kontrolle der "motifs " s. Pacteau, Le juge de l'excès de pouvoir et les motifs de l'acte administratif, ibid; Lemasurier , Vers une démocratie administrative, S. 1250 f; Philippe , Le contrôle de proportionnalité, S. 135 ff, 159 ff und passim; Stavroula Ktistaki , L'évolution du contrôle juridictionnel des motifs de l'acte administratif, Paris 1991; Schiette , Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensakten, S. 234 ff. Vgl. auch Léo Goldenberg, Le Conseil d'État juge du fait, Paris 1932; Georges Vedel , Essai sur la notion de cause en droit administratif français, Paris 1934. 130 Ständige Rechtsprechung: CE 27. 7. 1901, Elections de Rézentières, Ree. 709; CE 10. 6. 1932, Ollier, Ree. 570; CE 24. 7. 1936, Breton, Ree. 857; CE 29. 1. 1937, Disch-Vitus, Ree. 129; CE 13. 3. 1937, Société de transbordement du port de Strasbourg, Ree. 310; CE 24. 6. 1938, Société des établissements Meunier-Cogez, Ree. 582; CE 30. 1. 1942, Veuve Digennard, Ree. 33. Alle Aktenstücke müssen allen Prozeßbeteiligten zur Kenntnis gelangen: "au nombre de ces règles générales qui s'imposent à même en l'absence d'un texte exprès à toutes les juridictions figure celle d'après laquelle aucun document ne saurait être régulièrement soumis au juge sans que les partis aient été mises à même d'en prendre connaissance" (CE 10. 8. 1918, Sieur Villes, Ree. 841, conci. Berget = S. 1922.3, 57). S. auch CE 10. 6. 1932, Ollier, Ree. 570; CE 13. 3. 1937, Société de transbordement du port de Strasbourg, Ree. 310; CE 26. 6. 1946, Dlle X.., D. 1947, J, 31, note J. C.; CE 12. 5. 1961, Société La Huta, Ree. 313; CE 13. 12. 1968, Association syndicale des propriétaires de Champigny-sur-Marne, Ree. 645 = AJDA 1969, 179, note A. Homont; CE 4. 7. 1968, Ordre des avocats près la cour d'appel de Paris, Ree. 358; CE 26. 3. 1976, Conseil régional de l'ordre des pharmaciens de la circonscription Aquitaine, Ree. 152 = AJDA 1977, 157, conci. P. Dondoux. Dazu Hervé Lenoan, La procédure devant le Conseil d'État statuant au contentieux en première et dernière instance, Paris 1954, S. 124 f. Über die Beweislast im französischen Verwaltungsprozeß s. Pactet, Essai d'une théorie de la preuve, S. 51 ff. Akten, die keine Bedeutung für das Verfahren haben, können nicht im Rahmen des Beweisverfahrens eingesehen werden. Dazu CE 9. 11. 1910, Parent, Ree. 756; CE 19. 5. 1922, Hecquel, Ree. 444. Die Ergebnisse gerichtlicher Untersuchungen sollen den Parteien in allen Fälle bekanntgegeben werden. Dazu CE 24. 12. 1920, Leven, Ree. 1110. Vertrauliche Dokumente dürfen von den Parteien jedoch nicht eingesehen werden (CE 28. 1. 1937, Disch-Vitus, Ree. 129). 131 Dazu Christian Debouy , Les moyens d'ordre public dans la procédure administrative contentieuse, Paris 1980, S. 51. Contra Michel Stasinopoulos , Le droit de la défence devant les autorités administratives, Paris 1976, S. 216. 8 Trantas
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B. Die Natur der Verteidigungsrechte Während die prozessualen Verteidigungsrechte die Inspiration für die droits de la défense im administrativen Verfahren fundieren, erlauben die jeweils unterschiedlichen Strukturen und Ziele keine reine analoge Übertragung der Schutzmechanismen des Verwaltungsprozesses auf das Verwaltungsverfahren 132 . Die Transformation erfolgte nicht auf dem Weg der Analogie, sondern in Form der Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Verwaltungsrechts. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze stellen eine der bekanntesten Techniken des Staatsrats bei der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit dar 1 3 3 .
7. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind als allgemeine Rechtsprinzipien des Verwaltungsrechts zu verstehen. Sie sind daher zuallererst "Denkformen, in denen sich die Transformierung präjuristischer Werturteile und Prinzipien in echte Rechtswertungen typischerweise vollzieht" 134 . Die Benutzung allgemeiner Rechtsprinzipien, Rechtsgrundsätze und Rechtswerte übt bei der Fortbildung des Rechts durch die Gerichte eine kritische Funktion aus 135 . Die Existenz all132
Dabei scheint auch die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts einen Einfluß auf die Ausgestaltung der Verteidigungsrechte ausgeübt zu haben. Vgl. über den Umfgang der Verteidigungsrechte in der Schweiz Blaise Knapp, Précis de droit administratif, 4. Aufl., Bâle, Francfort-sur-le-Main 1991, Nr. 652 ff, 669 ff. 133 Über die allgemeinen Rechtsgrundsätze im französischen Verwaltungsrecht s. statt vieler Francis-Paul Bénoit , Le droit administratifs français, Paris 1968, S. 535 ff; J. Roche, Réflexions sur le pouvoir normatif de la jurisprudence, AJDA 1962, S. 532 ff; Rasenack, Gesetz und Verordnung in Frankreich, S. 234 ff; Helmut Krech, Die Theorie der allgemeinen Rechtsgrundsätze im französischen öffentlichen Recht, Göttingen 1973; Hans-Werner Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des europäischen Gemeinschaftsrechts, Köln, Berlin, Bonn, München 1977, S. 111 ff; Bruno Genevois, Principes généraux du droit, in: Répertoire Dalloz des Contentieux, Paris 1984; Schmitz, Rechtsstaat und Grundrechtsschutz im französischen Polizeirecht, S. 37 ff. 134 Josef Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, Tübingen 1956, S. 56. Aus der Sicht der allgemeinen Rechtslehre s. auch die Systematisierung von Erik Wolf, Die Natur der allgemeinen Rechtsgrundsätze, in: ders., Rechtsphilosophische Schriften, Frankfurt a.M. 1972, S. 89 ff. 135 Dies wird in der französischen wie der deutschen Lehre allgemein anerkannt. Dazu Jean Boulanger , Principes généraux du droit et droit positif, in: Le droit privé français au milieu du XXe siècle, Etudes offertes à Georges Ripert, Paris 1950, Bd. 1, S. 51 ff; Georges Ripert, Les forces créatrices du droit, Paris 1955, S. 325 ff; Karl Larenz , Wegweiser zurichterlicher Rechtsschöpfung, in: Festschrift für Arthur Nikisch, Tübingen 1958, S. 275 ff (299 ff); Hans-Julius Wolff, Rechtsgrundsätze und verfassungsge-
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gemeiner Rechtsprinzipien ist derjenige Maßstab, mit dem Lücken im positiven Recht festgestellt werden 136 . Da die Gerichte diese Lücken zu füllen haben, stellt sich ihnen die Aufgabe, allgemeine Rechtsgrundsätze zu entwickeln 137 . Ihr instrumentaler Charakter wird nicht zuletzt in der Feststellung, daß sie in vielen Fällen in Widerspruch zueinander stehen 138 , deutlich. Das Zusammenwirken zwischen Prinzip und System bei der Ausfüllung von Lücken ist ein komplexer Prozeß, der zur Konkretisierung und Institutionalisierung des allgemeinen Rechtsprinzips führt 139 . Der Staatsrat verleiht den allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine verbindende Funktion zwischen den verschiedenen Schichten des Verwaltungsrechts. Dabei ist er bereit, nach dem jeweiligen Sachbereich die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze durch teleologische Reduktion oder Extension der anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften 140 zu erweitern. Die Prinzipien sind von vorpositiven Grundsätzen streng zu unterscheiden 141 , weil sie positives Recht darstellen, das von der Rechtsprechung angewendet wird 1 4 2 . So sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze vom Staatsrat immer als ein untrennbarer Teil der "Légalité" betrachtet worden 143 . Die allgestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München 1955, S. 33 ff; Esser, Grundsatz und Grundnorm; Claus-Wilhelm Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl., Berlin 1983, S. 92. 136 Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 94. Vgl. auch Chaudet , Les principes généraux de la procédure administrative contentieuse, S. 52 ff. 137 Zum Rechtsfortbildungsauftrag der Gerichte s. Hans-Jürgen Papier , Die Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat, Berlin, New York 1979, S. 15 ff. 138 Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 95 f. 139 Dazu Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 160 ff. 140 Beispiele für solche Vorhaben s. bei Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 143 ff. Vgl. auch Jean-Bernard Auby , Le recours aux objectifs des textes dans leur application en droit public, RDP 1991, S. 327 ff. 141 Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 93. 142 Zutreffend Paul Kirchhof \ Rechtsquellen und Grundgesetz, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz - Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen 1976, Bd. 2, S. 50 ff (61 ff) mwN: "Rechtsgrundsätze sind erkennbare Verhaltensregeln mit Geltungsanspruch, also positives Recht". Vgl. auch Reinhard Mussgnung, Das allgemeine Verwaltungsrecht zwischen Richterrecht und Gesetzesrecht, in: Richterliche Rechtsfortbildung-Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg 1986, S. 203 ff. 143 Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 164 ff. Vgl. auch Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 282 ff. Der allgemeine Rechtsgrundsatz steht in der Hierarchie der Rechtsquellen über den Verwaltungsakten und den normati-
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ven Akten der Verwaltung, aber unter dem formellen Gesetz (bestätigt durch CC 19. 12. 1991, 91-167L, Ree. CC 1991, 134 = RA 1992, 33, ehr. R. Étien = ehr. L. Favoreu, RFDC 9/1992, 33). Der Rechtsprechung zufolge besteht jedoch die Vermutung, daß der Rechtsgrundsatz anwendbar ist. Nach der Formulierung des CE 7. 2. 1947, Sieur Aillères, Ree. 50: "L'expression dont a usé le législateur ne peut être interpretée, en l'absence d'une volonté contraire clairement manifestée, comme excluant le recours en cassation". Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber kann die Abweichung von einem Rechtsgrundsatz anordnen kann, wenn dies aber nicht expressis verbis geschehen ist, dann wird das Rechtsprinzip parallel anwendbar. Der Rechtsgrundsatz scheint damit einen quasi-legislativen Charakter anzunehmen. Inzwischen wurde durch die Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel die Rechtsgrundsätze weiter ausdifferenziert. Der Verfassungsrat unterscheidet zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen mit Verfassungsrang, die als Maßstab bei der Verfassungskontrolle fungieren, und den übrigen Rechtsgrundsätzen. Dazu Jean Rivero , Les principes fontamentaux reconnus par les lois de la République: une nouvelle catégorie constitutionnelle, D. 1972, chr., S. 265; Pierre Le Mire , La jurisprudence du Conseil constitutionnel et les principes généraux du droit, in: Mélanges Robert-Eduard Charlier, Paris 1981, S. 271 ff; Didier Truchet , Les mutations des sources du droit administratif, Paris 1994, S. 28 ff. Über den Verfassungsrat und seine Auswirkungen im französischen öffentlichen Recht s. Peter Ernst Goose, Die Normenkontrolle durch den französischen Conseil Constitutionnel, Berlin 1973; Ludger Buerstedde, Kontrolle der rechtsetzenden Gewalt durch Conseil Constitutionnel und Conseil d'État nach der französischen Verfassung vom 4. Oktober 1958, JöR 1963, S. 145 ff; Peter Zürn, Die Republikanische Monarchie, Zur Struktur der Verfassung der V. Republik in Frankreich, München 1965, S. 236 ff; Claude Franck , Les fonctions juridictionneles du Conseil constitutionnel et du Conseil d'État dans l'ordre constitutionnel, Paris 1974; Michel Fromont , Der Conseil constitutionnel, ZfP 1979, S. 151 ff; François Luchaire , in: François Luchaire/Gérard Conac (Hrsg.), La constitution de la république française, 2. Aufl., Paris 1987, Art. 56 ff; Dominique Rousseau, Droit du contentieux constitutionnel, 2. Aufl., Paris 1992. Zu den geschichtlichen Wurzeln Jeanne Lemasurier, La constitution de 1946 et le contrôle de constitutionnalité des lois, Paris 1953, insbesondere S. 133 ff; Dietrich Collofong, Elemente einer Verfassungsgerichtsbarkeit in Frankreich, Von Sieyès zum Verfassungsrat der V. Republik, Diss. Mainz 1964. Zu den Problemen der Verfassungsmäßigkeitskontrolle in Frankreich s. Charles Eisenmann/Léo Hamon, La jurisdiction constitutionnel en droit français, in: Hermann Mosler (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart, Köln, Berlin 1962; Charles Eisenmann, Le contrôle Juridictionnel des lois en France, in: Actualité du contrôle Juridictionnel des lois, Paris 1973, S. 71 ff; Pierre Koenig , La contrôle de constitutionnalité en France et en République Fédérale d'Allemagne, in: Pierre Koenig/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland, Köln, Berlin, Bonn, München 1985, S. 1 ff; Michel Fromont, Rapport de synthèse, ebenda, S. 175 ff. Obwohl der Staatsrat direkte Kollisionen administrativer Akte mit der Verfassung kontrolliert, weil die Verfassung einen Teil der Legalität darstellt, verweigert er die Kontrolle, wenn sich die Verfassungswidrigkeit aus einem Gesetz ableitet, da in diesem Fall jede Kontrolle letztendlich zu einer Kontrolle des Gesetzes führt, was der Staatsrat noch ablehnt. Dazu Francine Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, Paris 1966, S. 70 f, 86 ff. Zu den Begriff der "légalité " s. stellvertretend für viele Reinhardt Hoffmann, Das Ermessen der Verwaltungsbehörden in Frankreich, Berlin 1967, S. 27 ff; Jean-Marie Auby, Droit Administratif - Généralités, in: derselbe (Hrsg.), Droit public, 2.
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Aufl., Paris 1989, Bd. 1, S. 201 ff. Die Anerkennung von Rechtsgrundsätzen mit Verfassungsrang ist deshalb bis jetzt in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur unterblieben. Vgl. René Chapus, De la soumission au droit des règlements autonomes, D. 1960, ehr., S. 119 ff. Im Hinblick auf diese Auffassung des Staatsrates hinsichtlich der Teilung zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen von Verfassungsrang und sonstigen Rechtsgrundsätzen zwei Theorien vorgeschlagen worden. Nach der relativierenden und dualistischen Ansicht von René Chapus, De la valeur juridique des principes généraux du droit et des autres règles jurisprudentielles du droit administratif, D. 1966, ehr., S. 99 ff und Droit administratif, I, Nr. 110 ff entwickeln Conseil Constitutionnel und Conseil d'État in eigener Sache ihre eigenen allgemeinen Rechtsgrundsätze. Vgl. dazu Benoît Mercuzot, L'intégration de la jurisprudence constitutionelle à la jurisprudence administrative, in: CURAPP (Hrsg.), Le droit administratif en mutation, Paris 1993, S. 177 ff. Nach richtiger synthetischen und monistischen Auffassung von Vedel/Delvolvé , Droit administratif, I, S. 477 ff (Bestätigt durch CC 16. 1. 1991, 90-287 DC, Ree. CC 1991, 24 [30] = ehr. P. Avril/J. Gicquel, Pouvoirs 58/1991, 134 ff [145 f] = ehr. L. Favoreu, RFDC 6/1991, 293). Vgl. auch die Conci. Dondoux, sur CE 6. 12. 1978, GISTI, CFDT, CGT, Ree. 433) gleichen sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die in der Rechtsprechung der beide Gerichte entwickelt werden. Zur Diskussion vgl. Domenico Menna, La théorie des principes généraux du droit à l'épreuve de la jurisprudence constitutionnelle, in: CURAPP (Hrsg.), Le droit administratif en mutation, Paris 1993, S. 201 ff. In der jüngsten Zeit zeichnet sich nach der Entscheidung des Staatsrats, die Völkerrechts- bzw. Europarechtsmäßigkeit von Gesetzen zu prüfen, eine Anerkennung des Verfassungsrangs von Rechtsgrundsätzen ab, da viele der allgemeinen Rechtsgrundsätze in der EMRK entsprechende Regeln haben. S. CE 20. 10. 1989, Nicolo, Ree. 190, conci. Frydmann = D. 1990, J., 135, note Sabourin = JCP 1989 II, Nr. 21371, conci. = AJDA 1989, 756, 788, ehr. Honorat/Baptiste, note Simon = RDP 1990, 801, note Touchard = RFDA 1989, 812, conci., note Genevois, note Favoreu, note Dubois = RTDE 1989, 771, conci., note G. Isaac = RGDIP 1989, 1041, conci, und 1990, 91, note Boulouis = Rev. crit. dr. int. pr. 1990, 125, note Lagarde = RMC 1990, 384, note Lachaume = RUDH 1989, 262, conci. = EuGRZ 1990, 93 = GA Nr. 113 = Lachaume, Les grandes décisions, S. 50. Dazu Ludet/Stotz, Die neue Rechtsprechung des französischen Conseil d'État zum Vorrang völkerrechtlicher Verträge, EuGRZ 1990, S. 93 ff; Clemens Lerche, Ein Sieg für Europa?, Anmerkung zum Urteil des Conseil d'État vom 20. 10. 1989, Nicolo, ZaöRV 1990, S. 599 ff. Vgl auch die Urteile des Großen Senats CE 3. 2. 1989, Alitalia, Ree. 44 = RFDA 1989, 391, 417, 422, conci. Chahid-Nouraï, note Dubois, note Beaud = AJDA 1989, 387, note Fouquet = RTDE 1989, 509, note Vergés = GA Nr. 112; CE 29. 6. 1990, GISTI, Ree. 171, conci. Abraham = D. 1990, J., 560, note Sabourin = JCP 1990 II, Nr. 21579, note Tercinet = AJDA 1990, 621, conci. Abraham, note Teboul = RFDA 1990, 923, note Lachaume = RDP 1990, 1578, note F. Sabiani = RGDIP 1990, 879, conci. Abraham und 1991, 109, com. Buffet-Tchakaloff und 1991, 753, note Ch. Rousseau = Revue crit. dr. int. pr. 1991, 61, conci. Abraham, note Lagarde = JDI 1990, 965, note Julien-Laferrière = GA Nr. 115 = Lachaume, Les grandes décisions, S. 59. Zur Problematik s. Léotin-Jean Constantinesco , Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu späterem nationalen (französischen) Recht, EuR 1968, S. 317 ff; Eric E. Bergsten, Community Law in the French Courts, The Hague 1973, S. 122 ff; Georg Ress, Der Rang völkerrechtlicher Verträge nach französischen Verfassungsrecht, Überlegungen zur Entscheidung des Conseil Constitutionnel vom 15. Januar 1975 über den Rang der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte
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meinen Rechtsprinzipien können nach ihrem Geltungsgrund in drei Kategorien unterschieden werden 144 : Die Rechtsprinzipien, die aus der Ordnungsidee des positiven Rechts abgeleitet werden, die Rechtsprinzipien, die auf die Rechtsidee zurückzuführen sind, und die Rechtsprinzipien, die aus der "Natur der Sache" abgeleitet werden 145 . Obwohl beide, Rechtssätze und allgemeine Rechtsgrundsätze, Rechtsnormen darstellen und Teil der staatlichen Rechtsordnung sind, bestehen zwischen ihnen erhebliche strukturelle Unterschiede. Der Rechtssatz ist allgemein, weil er auf eine unbegrenzte Zahl von Fällen oder Tatsachen angewendet werden kann. Er ist aber zugleich speziell insoweit, als er nur bei der Erfüllung eines bestimmten Tatbestands angewendet wird. Der allgemeine Rechtsgrundsatz ist allgemein, weil seine Anwendung nicht an einen bestimmten Tatbestand gebunden ist 1 4 6 . Dabei sind gesetzliche Vorschriften ständig den Anforderungen neuer Entwicklungen anzupassen, und ihre Anwendung ist von der konkreten Ausgestaltung des Tatbestandes abhängig, während sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze durch ihre zeitliche Stabilität und flexible Anwendung auszeich-
und Grundfreiheiten nach Art. 55 der französischen Verfassung, ZaöRV 35 (1975), S. 445 ff; Michel Fromont, L'integration du droit international au droit français, in: Europarecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht - Festschrift für Bodo Börner zum 70. Geburtstag, Köln, Berlin, Bonn, München 1992, S. 77 ff; derselbe, Das Verhältnis zwischen dem nationalen Recht und dem EG- bzw. Völkerrecht in Frankreich, EuZW 1992, S. 46 ff; Denys de Bechillon, L'applicabilité des directives communautaires selon la jurisprudence du Conseil d'État, RDP 1991, S. 759 ff. Vgl. auch H. Siedentopf/C. Hauschild , L'application des directives communautaires par les administrations nationales, RFAP 1988, S. 31 ff; Jean-François Flauss , Les incidences du droit européen sur les théories de droit administratif français, in: Joachim Burmeister (Hrsg.), Die verfassungsrechtliche Stellung der Verwaltung in Frankreich und in der Bundesrepublik Deutschland, Köln, Berlin, Bonn, München 1991, S. 229 ff; eingehend jetzt D. Truchet, S. 126 ff. 144 Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 96 ff. 145 Ähnlich kann man auch die Rechtswerte unterscheiden. Dazu Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 128 ff. 146 Vgl d a z u Boulanger , Principes généraux du droit et droit positif S. 51. 147
Dazu Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 184 ff, der auch die Bedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze bei der Ergänzung des Systems des Verwaltungsrechts durch neue Institute betont. Ähnlich Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 277 ff; Yves Gaudemet, Les méthodes du juge administrative, Paris 1972, S. 34 ff; Théodore Fortsakis, Conceptualisme et empirisme en droit administratif français, Paris 1987, S. 292 ff.
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2. Prozeß der Rechtsgewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze Die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung des Staatsrats haben grundsätzlich zwei Quellen. Die eine Kategorie geht auf bekannte zivilrechtliche Institute zurück. Das Zivilrecht diente insbesondere im letzten Jahrhundert als Grundlage für die Ableitung allgemeiner Grundsätze des Verwaltungsrechts. Der Einfluß des Zivilrechts auf die Rechtsprechung des Staatsrats ist in unterschiedlichem Maße in den verschiedenen systematischen Teilen des französischen Verwaltungsrechts festzustellen. Eine besondere Rolle bei der Entwicklung der allgemeinen Rechtsgrundsätze spielte der Verwaltungsvertrag 148 und das Staatshaftungsrecht 149 , zwei Bereiche, die sich aus ihrer Natur heraus als offener für zivilrechtliche Einflüsse erwiesen haben. Der Einfluß erfolgte auf unterschiedli148 Dazu Owe Lüthje, Die Theorie des contrat administratif im französischen Verwaltungsrecht, Hamburg 1964; Pavlos-Michael Efstratiou, Die Bestandskraft des öffentlichrechtlichen Vertrags, Berlin 1987, S. 87 ff, 278 f.; Christian Autexier, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten in Frankreich, VVDStRL 52 (1993), S. 285 ff. Vgl. auch Georges Péquignot , Contribution à la Théorie générale du Contrat administratif, Perpignan 1945; Yves Mathiot , Aux frontières du contrat et de l'acte administratif unilatéral: Recherches sur la notion de l'acte mixte en droit public français, Paris 1971; Dominique Pouyaud , La nullité des contrats administratifs, Paris 1991. w Dazu Michel Fromont , La responsabilité de l'État pour le compertement illégal de ses organes, in: Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Hrsg.), Haftung des Staates für rechtswidriges Verhalten seiner Organe, Köln, Berlin, Bonn, München 1967, S. 133 ff; derselbe, Staatshaftungsrecht in Frankreich, DöV 1982, S. 925 ff. Vgl. auch Robert Schulze, Die Haftung des Staates für schuldlose Handlungen nach französischem Recht, Diss. Jena 1936; Klaus Barnbeck,, Das französische öffentliche Haftungsrecht als Vorbild einer deutschen Neugestaltung, Diss. Hamburg 1956; Hans-Jürgen Lange, Die Entschädigung für schuldlosrechtswidrige Eingriffe des Staates, insbesondere die Gefährdungshaftung im deutschen öffentlichen Recht, unter Berücksichtigung des französischen Staatshaftungsrechts, Diss. Frankfurt a.M. 1955; Jacques Moreau, L'influence de la situation et du comportement de la victime sur la responsabilité administrative, Paris 1957; Walter Leisner, Französisches Staatshaftungsrecht, VerwArch 1963, S. 1 ff, 240 ff, 369 ff; Berthold Mondry, Die öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung in Frankreich und das Problem der Einfügen einer öffentlichrechtlichen Gefährdungshaftung in das deutsche System staatlicher Ersatzleistungen, Marburg 1964; Ingo Richter, Die Grundlagen der Haftung für "faute de service" im französischen Staatshaftungsrecht, Frankfurt a.M., Berlin 1965, S. 29 ff; Frithjof Wahl, Die französische Staatshaftung, Diss. Mainz 1968; Karl Herbert Vogt, Die Entwicklung der "Responsabilité sans faute" in der neueren französischen Lehre und Rechtsprechung, Berlin 1975; Bernard Scheier, Die außervertragliche Staatshaftung ohne Verschulden nach französischem Verwaltungsrecht, Diss. Frankfurt a.M. 1968; Harald Müller, Die internationale Amtshaftung, Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris 1991, S. 44 ff. Zum Erstattungsanspruch Gabriel Bayle , L'enrichissement sans cause en droit administratif, Paris 1973.
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che Weise. Der Staatsrat wendete bei der Übernahme zivilrechtlicher Rechtsinstitute und -prinzipien drei Techniken an 1 5 0 , nämlich die reine und unmittelbare Rezeption, die Veränderung im Blick auf die konkreten Erfordernisse der Verwaltung sowie die vollständige Transformation der Regeln des Zivilrechts. Eine zweite traditionelle Quelle von Rechtsgrundsätzen stellen Prinzipien der Französischen Revolution, Verfassungsprinzipien, insbesondere die Grundrechte und Grundwerte 151 , sowie die Natur der Sache, d.h. die interne Logik der Rechtsinstitute bzw. der öffentlich-rechtlichen Institutionen 152 ' 153 , dar. Ergänzt werden sie durch die Induktion allgemeiner Rechtsinstitute aus verschiedenen
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Dazu André Hauriou , L'utilisation en droit administratif des règles et principes du droit privé, Mélanges Gény, Bd. 3, S. 92 ff (96). 151 Vgl. Rougevin-Baville/Denoix de Saint Marc/Laboutelie, Leçons de droit administratif, S. 80 f. 152 Vgl. Chaudet , Les principes généraux de la procédure administrative contentieuse, S. 98 ff. 153 Hier hat der Staatsrat in jüngerer Zeit im Conseil Constitutionnel einen Verbündeten und Mitläufer gefunden. Der Verfassungsrat benutzt die verfassungsrechtlichen Rechtsgrundsätze als Maßstab für die Ausübung seiner Kontrollfunktion. Dazu Peter Goose, Die Normenkontrolle durch den französischen Conseil Constitutionnel, S. 123 ff; Georg Ress, Der Conseil constitutionnel und der Schutz der Grundfreiheiten in Frankreich, JöR 1974, S. 121 ff; Christian Tomuschat, Grundrechtsschutz in der neueren Rechtsprechung des Conseil d'État und des Conseil constitutionnel, EuGRZ 1979, S. 191 ff; Rousseau, Droit du contentieux constitutionnel, S. 91 ff; Rougevin-Baville/Denoix de Saint Marc/Laboutelle, Leçons de droit administratif, S. 83 ff. Vgl. auch Claus Tiedemann, Das Grundrechtsproblem im französischen Rechtsstaat, DöV 1962, S. 367 ff; Stahl, Die Sicherung der Grundfreiheiten im öffentlichen Recht, S. 44 ff; Rupert Klisch, Gesetz und Verordnung in der Verfassung der 5. französischen Republik von 4. Oktober 1958, Berlin 1971, S. 170 ff; James E. Beardsley, The Constitutional Council and Constitutional Liberties in France, AJCL 20 (1972), S. 431 ff; Rudolf Bernhardt, Probleme eines Grundrechtskatalogs für die Europäischen Gemeinschaften, EG-Bulletin 5/76, S. 19 ff (34 ff). Inzwischen erstrecken sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung des Verfassungsrats auch auf die Übernahme von allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Verwaltungsrechts, wie sie in der Rechtsprechung des Staatsrats entwickelt sind. So ist die Untätigkeit der Verwaltung als Ablehnung des Antrags einzustufen, sofern keine Rechtsvorschrift etwas anderes vorsieht. Dazu CC 26. 6. 1969, 69-55L, Ree. CC 27 = JCP 1969 I, Nr. 2990bis, note M. Voisset = Louis Favoreu/Loic Philip, Les grandes décisions du Conseil constitutionnel, 8. Aufl., Paris 1995, Nr. 18. Dieser Grundsatz war im Rahmen der Schutzmaßnahmen für Naturdenkmäler als charakteristisch hervorgehoben worden. Dazu Michèle Voisset, La reconnaissance de l'existence des principes généraux du droit par le Conseil constitutionnel, JCP 1969 I, Nr. 2290bis; Georges Vedel , Réflexions sur quelques apports de la jurisprudence du Conseil d'État à la jurisprudence du Conseil constitutionnel, in: Mélanges René Chapus, Paris 1992, S. 647 ff; Truchet , Les mutations des sources, S. 45 ff.
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gesetzlichen Vorschriften 154 . Obwohl die Mitglieder des Staatsrates 155 behaupten, daß die Rechtsgrundsätze an gesetzliche Postulate gebunden sind 156 , über-
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Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 123 ff; Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, Paris 1966, S. 122 ff. Vgl. auch Chaudet , Les principes généraux de la procédure administrative contentieuse, S. 69 ff. 155 Exemplarisch dazu Maxime Letourneur , Les principes généraux du droit dans la jurisprudence du Conseil d'État, EDCE 1951, S. 19 ff. Vgl. auch die Position von Hauriou, Précis de droit constitutionnel, S. 236; Georges Morange , Valeur juridique des principes contenus dans les déclarations des droits, RDP 1945, S. 229 ff. 156 Die wissenschaftliche Stellungnahme der Mitglieder des Gerichts ist um so bemerkenswerter, als die Rolle der Rechtsprechung bei der Entwicklung des französischen Verwaltungsrechts erheblich war. Dazu Vedel/Delvolvé , Droit administratif I, S. 481 ff; François Gazier, Le rôle de la jurisprudence dans le développement du droit administratif français, Journées de la Société de législation comparée 1986, S. 161 ff; Roche, Réflexions sur le pouvoir normatif de la jurisprudence, S. 532; Georges Wedel, Le droit administratif peut-il être indéfiniment jurisprudentiel?, EDCE 31 (1979/1980), S. 31 ff; derselbe, Le précédant judiciaire en droit public français, in: Journées de la Société de législation comparée, Paris 1984, S. 233 ff = derselbe, Le précédant judiciaire en droit public, in: Uwe Blaurock (Hrsg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, Frankfurt a.M. 1985, S. 75 ff. Die Position der Richter ist jedoch durch die besondere Rolle, die das Dogma von der Souveränität des Gesetzes im französischen öffentlichen Recht spielt, sowie das traditionelle Verständnis des Prinzips der Gewaltenteilung, zu erklären. Es ist charakteristisch, daß die Stimmen, die sich gegen die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze erheben, meistens aus der Sichtweise der Souveränität des Gesetzes argumentieren. Vgl. exemplarisch die Argumentation von Woisset, La reconnaissance de l'existence des principes généraux du droit, unter 7. (Zu den Problemen des ungeschriebenen Rechts gegenüber dem Legalitätsprinzip vgl. die positive - allgemeine Stellungnahme von Thomas Cottier , Die Verfassung und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, Diss. Bern 1983, S. 13 f). Dafür tritt auch die traditionelle Ablehnung des Rechtsquellencharakters der Rechtsprechung durch die französische Rechtslehre ein. S. hierzu François Gény , Méthode d'interpretation et sources en droit privé positif, 2. Aufl., Paris 1919, Bd. 2, S. 33 ff; Léon Duguit , Traité de droit constitutionnel, 2. Aufl., Bd. 1, Paris 1921, S. 72 ff (S. 82 f); Marc Ancel , Case Law in France, Journal of Comparative Legislation and International Law, 3. Reihe, 16 (1934), I, S. 1 ff. Im allgemeinen stehen die Öffentlichrechtler jedoch der Anerkennung von Richterrecht freundlicher gegenüber als die Privatrechtler. S. zur Rechtsprechung als Rechtsquelle des öffentlichen Rechts Bernard Gény , De la méthode et de la technique du droit privé positif à celles du droit administratif, in: Le Conseil d'État Livre Jubilaire, Paris 1952, S. 277 ff; Olivier Dupeyroux, La jurisprudence, source abusive de droit, in: Mélanges Jacques Maury, Paris 1960, Bd. 2, S. 349 ff; John P. Dawson, The Oracles of the Law, Ann Arbor 1968 (Neudruck 1973), S. 416 ff (insbesondere für den Conseil d'État S. 425 ff). Dazu Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. 1, S. 493 ff, 495 ff. Vgl. auch Friedrich Müller, Richterrecht rechtstheoretisch formuliert, in: Richterliche Rechtsfortbildung -Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg 1986, S. 65 ff (ablehnend) und Paul Kirchhof, Der Auftrag des Grundgesetzes an die rechtsprechende Gewalt, ebenda, S. 11 ff.
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zeugt die in der Lehre vertretene Meinung 157 , die von einer kreativen Rolle der Rechtsprechung ausgeht 158 , eher 159 . Zum traditionellen Begriff des Gesetzes in der Französischen Rechtslehre s. Raymond Carré de Malberg, Contribution à la théorie générale de l'État, Bd. 1, Paris 1920, S. 285 ff, 326 ff, und insbesondere derselbe, La loi expression de la volonté générale, Paris 1931. Vgl. auch Karin Oellers-Frahm, Demokratieverständnis und Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, in: Staat und Völkerrechtsordnung - Festschrift für Karl Doehring, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong 1989, S. 691 ff; Volker Schiette, Die Konzeption des Gesetzes im französicshen Verfassungsrecht, JöR 1984, S. 279 ff. Zum französischen Verständnis der Gewaltenteilung vgl. die Ausführungen von Raymond Carré de Malberg, Contribution à la théorie générale de l'État, Bd. 2, Paris 1922, S. 109 ff. Es ist jedoch zu bemerken, daß hinter der Argumentation von Carré de Malberg ein parlamentarisches Verständnis der Staatsform steht, das im heutigen Frankreich mit der stark ausgebauten Stellung des Präsidenten gemäß der Verfassung der V. Republik kollidiert. 157 Jean Rivero , Le juge administratif français, un juge qui gouverne?, D. 1951, S. 21 ff. Vgl. auch De Soto, note unter CE 5. 5. 1944, Dame Veuve Trompier-Gravier, D. 1945, J., 110 (112). Nicht zurückhaltend auch Chapus, La soumission au droit des règlements autonomes, S. 123; Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, S. 119 ff. Vgl. auch Gaudemet , Les méthodes du juge administrative, S. 252 f. Rivero hat die erste umfassende Untersuchung des Phänomens als eigenständiger Quelle der "légalité" vorgeschlagen. Er betont jedoch teilweise die supralegislative Kraft der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Obwohl sich seine These als konsequent erweist, wird sie von der Rechtsprechung nicht unterstützt. Aus den jüngeren Schriftum Didier Linotte , Déclin du pouvoir jurisprudentiel et ascension du pouvoir juridictionnel en droit administratif, AJDA 1980, S. 631 ff; Stéphane Rials , Sur une distinction contestable et un trop réel déclin: à propos d'un article récent sur le pouvoir normatif du juge, AJDA 1981, S. 115 ff. 158 Die kreative Rolle der Rechtsprechung als "juge prétorien " (s. zu diesem Begriff Gény , Méthode d'interpretation et sources en droit privé positif, Bd. 2, S. 33 ff sowie Papinianus 1.1 .D.De just.et jure. § 1 : "Jus Praetorium est quod praetores induxerunt adjuvanti, vel supplendi, vel corrigendi juris civilis gratia propter utilitatem publicam") bedeutet nicht, daß es sich hier um eine einfache jurisprudentielle Regel handelte. Solche Regeln sind z.B. diejenigen, die die Kontrolldichte von Ermessensentscheidungen der Verwaltung definieren oder die Bestimmung von Standards bei der gerichtlichen Kontrolle (Dazu Stéphane Rials , Le juge administratif et le technique du standard, Paris 1980). Es geht um die tatsächliche Behandlung von bestimmten Fällen durch die Rechtsprechung. Anders als die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind solche Regeln speziell, fallbezogen und von Zeitumständen abhängig. Die allgemeine η Rechtsgrundsätze haben ihre eigene Dynamik und stellen eine besondere Quelle des Rechts dar. Dazu Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 242 ff, 245 ff. Die grundsätzliche Unterscheidung der jurisprudentiellen Regel von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen wird jedoch insoweit abgeschwächt, als ihre ständige Anwendung ein Vertrauen bei den Prozeßparteien erzwingt. Vgl. zu diesem Aspekt die Meinung des Staatsrats Tony Sauvel, Essai sur la notion de précédent, D. 1955, ehr., S. 93 ff (94 ff). 159 Es ist jedoch der Versuch unternommen worden, die Geltung der allgemeinen Rechtsgrundsätze als Gewohnheitsrecht zu begründen. Dazu DuezJDebeyre, Traité de droit administratif, S. 389; Marcel Waline, Droit administratif, 9. Aufl., Paris 1963, S.
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468, Nr. 770; derselbe, Précis de droit administratif, Paris 1969, S. 340, Nr. 636; derselbe», Le pouvoir normatif de la jurisprudence, in: Mélanges Scelle, II, S. 613 ff; Georges Wedel, Droit administratif, 4. Aufl., Paris 1968, S. 203. Häufig werden die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Gewohnheitsnormen eingestuft. Dazu Martin Baring , Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts eine Rechtsquelle?, Juristen-Jahrbuch 6 (1965/66), S. 27 ff (32). Vgl. auch Christian Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, Heidelberg 1972, S. 41 Fn 74 mwN und Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, Tübingen 1913, S. 180 ff. In Frankreich wird das Bestehen von Gewohnheitsrechtsnormen im öffentlichen Recht allgemein angenommen. So hat z.B. Léon Duguit, Traité de droit constitutionnel, 2. Aufl., Bd. 4, Paris 1924, S. 719 die Befugnis der französischen Verwaltung, die eigene Organisation durch autonome Rechtsverordnungen zu bestimmen, mit einer Verfassungsgewohnheit begründet. Über das Gewohnheitsrecht im französischen öffentlichen Recht s. Yves Gouet, La coutume en droit constitutionnel interne et en droit international, Paris 1932; Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, S. 140 ff; Jacques Chevalier , La coutume et le droit constitutionnel français, RDP 1970, S. 1375 ff; vgl. aber auch dazu Chaudet, Les principes généraux de la procédure administrative contentieuse, S. 92 ff. Die klassische Entwicklung der französischen Lehre des Gewohnheitsrechts findet sich bei François Gény , Méthode d'interprétation et sources en droit privé positif, 2. Aufl., Paris 1919, Bd. 1, S. 316 ff. Dazu Marcel Waline , L'individualisme et le droit, Paris, S. 264 ff. Umfassend jetzt Gérard Teboul , Usages et coutume dans la jurisprudence administrative, Paris 1989 und derselbe, À propos de la coutume dans la jurisprudence administrative, Dialogue intérieur, in: Mélanges René Chapus, Paris 1992, S. 589 ff, der die jurisprudentiellen Regel als Grundlage des Gewohnheitsrechts im französischen Verwaltungsrecht ansieht, was auf die engen Verbindungen zwischen Rechtsprechung und Gewohnheit hinweist. Dieser Versuch leidet an zwei Mängeln. Zum einen scheitert er zunächst an der ständigen Ablehnung der Rechtsprechung des Staatsrats, die Verletzung von Gewohnheitsregelungen zu überprüfen. Vgl. dazu Jean Rivero , Droit administratif, Nr. 74. Daneben stehen aber auch andere Gründe allgemeiner, theoretischer Art. Das Bestehen einer Gewohnheitsregelung schließt die Annahme einer Lücke aus (dazu Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 29 f.), d.h. etwas, daß die Anwendung von Rechtsgrundsätzen legitimiert. Der Rechtsanwender handelt in Fall einer gewohnheitlichen Regel secundum legem und nicht praeter legem, da hier eine konkrete Norm vorliegt. Das Gewohnheitsrecht stellt ebenfalls einen Teil des positiven Recht wie das geschriebenen Recht dar. Es ist eine andere Frage, was geschieht, wenn auch das Gewohnheitsrecht Lücken hat. "Insgesamt läßt sich der Unterschied zwischen Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf die kurze Formel bringen, daß hier Recht der Induktion gegen Recht der Deduktion steht" (Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht, S. 48). Das Gewohnheitsrecht leitet sich aus der ständigen Übung ab, während die allgemeinen Rechtsgrundsätze aus rechtsethischen Postulaten abgeleitet werden. Dazu Wolff \ Rechtsgrundsätze und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen, S. 43 ff. Vgl. auch Chûstian-Friedrich Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Tübingen 1954, S. 70 ff. Zu Recht weist Tomuschat, S. 56 daraufhin, daß die auf Rechtsverwirklichung gerichtete richterliche Entscheidung nicht mit den gleichen Maßstäben wie die Übung der Beteiligten im Gewohnheitsrecht beurteilt werden kann. Ähnlich Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 236 ff, der bezweifelt, daß die Elemente des "opinio iuris vel necessitatis " bei der Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze vorliegen.
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Die allgemeinen Rechtsgrundsätze stimmen mit der rechtsschöpferischen Rolle, die der Staatsrat im französischen Verwaltungsrecht ausübt, überein. Dies wird bei der Analyse der Feststellung eines Rechtsgrundsatzes durch die Rechtsprechung 160 deutlich. In vielen Fällen verallgemeinert der Staatsrat die Grundlage einer gesetzlichen Vorschrift. Dies geschieht in Form einer teleologischen Extension, führt aber manchmal zu Ergebnissen, die der Gesetzgeber nicht, oder besser überhaupt nicht, vorgesehen hat. Eine andere Methode der Rechtsgrundsatzgewinnung stellt einen weiteren Schritt dar, nämlich die Inspiration eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes durch eine oder verschiedene gesetzliche Vorschriften. Die Prozedur der Rechtsgewinnung erfolgt auf der Grundlage des Rechtssystems. Der Verwaltungsrichter analysiert die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Rechtsnormen und stellt die Existenz eines allgemeinen Prinzips fest. Von Bedeutung ist, daß der Staatsrat in manchen Fällen 161 auch über diese Grenze hinausgegangen ist und wirklich das Gesetz vertretende allgemeine Rechtsgrundsätze angewendet hat 162 . Eine andere Taktik des Staatsrats bei der Gewinnung von Rechtsgrundsätzen ist eher problematisch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Gerichten und Gesetzgeber. Manche Rechtsgrundsätze sind von den essentialia der Verwaltungsrechtsinstitute abgeleitet. Die Rechtsprechung argumentiert aus der "Natur der Sache" heraus in der Weise, wie sie in der richterlichen Interpretation der Rechtsinstitute vorgeht. Die Gefahr liegt darin, daß die Rechtsprechung Entscheidungen des Gesetzgebers vorgreift 163 . Der rechtsschöpferische Charakter der GewinFür eine reine richterrechtliche Qualifizierung der allgemeinen Rechtsgrundsätze plädieren deshalb Jean-Marie Auby/Roland Drago , Contentieux administratif, Nr. 1148; dieselbe , Traité des recours en matière administrative, Paris 1992, Nr. 302 f; Claude Albert Colliard , Libertés publiques, Nr. 117; Voisset , La reconnaissance de l'existence des principes généraux, unter 8; Rivero , Droit administratif, Nr. 74; Wedel, Droit administratif, 4. Aufl., S. 251 ff; Chapus, De la valeur juridique des principes généraux du droit administratif, S. 99 ff. 160 z u ( j e n Methoden s. Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 123 ff. Vgl. auch Roger Latournerie , Essai sur les méthodes juridictionnelles du Conseil d'État, in: Le Conseil d'État - Livre Jubilaire, Paris 1952, S. 177 ff; Gaudemet , Les méthodes du juge administrative, passim; Daniel Labetoulle , Remarques sur l'élaboration des décisions du Conseil d'État statuant au contentieux, in: Mélanges René Chapus, Paris 1992, S. 333 ff. 161
Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 132 f. Es geht in diesem Fall um richterlichen Taktik, die in der eher konservativen deutschen Rechtsprechung nicht leicht zu finden wäre. Nach der Rechtsprechung des Staatsrats ist für die Genese eines Rechtsgrundsatzes keine gesetzliche Regulierung der Materie erforderlich. Das bloße Interesse des Gesetzgebers einen Bereich zu regulieren genügt, um auf der Grundlage seines (natürlich vermuteten) Willens einen Rechtsgrundsatz in seiner Stelle zu entwickeln. Vgl. dazu die sehr interessanten Bemerkungen von Jean-Marie Auby, L'inexistence des actes administratifs, Paris 1951, S. 170; Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 133. 163 Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 135. 162
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nung von Rechtsgrundsätzen erscheint jedoch am deutlichsten in den Fällen, in denen die Rechtsprechung ein Rechtsprinzip aus der Verfassungstradition des Landes oder aus der normativen Auswirkung der Tatsachen, wie es insbesondere bei den Prinzipien erscheint, die die Funktionfähigkeit der Verwaltungsorgane zu sichern bezwecken, ableitet 164 . Diese Methoden sind hier idealtypisch dargestellt worden. In vielen Fällen kann man auch eine Konkurrenz der verschiedenen Methoden feststellen, obwohl natürlich die Anwendung der jeweiligen Methoden zu großen Teilen von der Ausgestaltung des konkreten Rechtsbereichs abhängig ist. Allgemeine Rechtsgrundsätze und gesetzliche Vorschriften stehen in einem komplementären und sich ergänzenden Verhältnis, das konkret in dem jeweiligen Rechtsbereich unterschiedlich erscheint. Die jeweiligen Strukturen und besonders die regulative Dichte der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften sind letztendlich entscheidend bei der Wahl der jeweiligen Methode. Die Strategie 165 des Staatsrates bei seiner Rechtsprechung, allgemeine Rechtsgrundsätze zu entwickeln, ist nicht neu 166 . Sie hat jedoch erst nach dem zweiten Weltkrieg einen viel dynamischeren Charakter erhalten 167 und wurde erstmals ausdrücklich im Urteilstext angekündigt 168 . Diese "neue Generation"
164 Vgl. dazu Benoît Jeanneau, La théorie des principes généraux du droit à l'épreuve du temps, S. 37 f, 43 ff. 165 Zum Begriff s. Gaudemet, Les méthodes du juge administrative, S. 245. 166 Vgl Gaston Lafferrière , Traité de la juridiction administrative et des recours contentieuses, 2. Aufl., Paris 1896, Bd. 1, S. XII. Der berühmte Präsident (" Vice-Président ") des Staatsrates erwähnt zusätzlich die Prinzipien der Billigkeit (équité) als eine der Orientierungslinien der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Die enge Konstruktion der verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisse seitens des Staatsrats gibt nicht oft den Weg frei für Billigkeitserwägungen in der Urteilsbegründung. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß die Billigkeit ein unerwähntes Prinzip verwaltungsrichterlicher Tätigkeit darstellt. 167 Die Änderung der Taktik des Staatsrats ist wahrscheinlich mit den Erfahrungen des Vichy-Regimes zu erklären. S. Letourneur , Les principes généraux du droit dans la jurisprudence du Conseil d'État, ibid; Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 3 f. Dazu auch Danièle Loschak , Le Conseil d'État sous Vichy et le Consiglio di Stato sous le fascisme, in: CURAPP (Hrsg.), Le droit administratif en mutation, Paris 1993, S. 51 ff (77 ff). 168 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind erst 1945 ausdrücklich anerkannt worden. S. CE 26. 10. 1945, Aramu, Ree. 213 = S. 1946.3, 1, conci. R. Odent = D. 1946, J., 158, note G. Morange = EDCE 1947, 48, conci. R. Odent = Lachaume, Les grandes décisions de la jurisprudence administrative, S. 78. Das Recht auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren wurde schon früher anerkannt, ohne daß dies ausdrücklich als allgemeiner Rechtsgrundsatz erwähnt worden wäre. S. CE 5. 5. 1944, Veuve TrompierGrevier, Ree. 133. Dazu Olivier Dupeyroux, La règle de la non-rétroactivité des actes administratifs, Paris 1954, S. 54 ff. Vgl. auch Letourneur, Les principes généraux, ibid.
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von allgemeinen Rechtsgrundsätze (principes généraux) 169 hat den Zweck, die vom Gesetzgeber übersehenen Lücken zu füllen, insbesondere wenn sie den Bürger gegenüber der Verwaltung ohne Schutz lassen 170 . Dabei erscheinen die allgemeinen Rechtsgrundsätze als äußerste Garantien des Bürgers für seine Verteidigung 171 , seine Freiheit 172 oder seine Gleichheit 173 gegenüber der Macht 169
Carcelle/Mas , Les principes généraux du droit applicables à la fonction publique, RA 1958, S. 606; derselben , Les principes généraux du droit applicables à la fonction publique, D. 1960, chr., 119 ff; Batailler , Le Conseil d'État juge constitutionnel, S. 118 ff; Georges Morange , Les principes généraux du droit sous la Ve République, RDP 1960, S. 1188 ff; derselbe , Une catégorie juridique ambiguë: Les principes généraux du droit, RDP 1977, S. 761 ff. S. auch Alain Serge Mescheriakoff\ La notion de principes généraux du droit dans la jurisprudence récente, AJDA 1976, S. 596 ff; Nicolas Nitsch , Les principes généraux du droit à l'épreuve du droit public économique, RDP 1981, S. 1549 ff; Benoît Jeanneau, La théorie des principes généraux du droit à l'épreuve du temps, EDCE 1981-1982, S. 33 ff. 170 Dazu Dupeyroux , La règle de la non-rétroactivité des actes administratifs, S. 51 ff. 171 CE 5. 5. 1944, Dame Veuve Trompier-Bravier, Ree. 133 = RDP 1944, 257, conci. Chenot, note G. Jèze = S. 1945.3, 14 = D. 1945, J., 112, conci., note De Soto = GA Nr. 63 = Lachaume, Les grandes décisions de la jurisprudence administrative, S. 458. In diesem Fall ging es um die Aufhebung einer Kioskgenehmigung durch den Präfekten. Der Grund war rechtmäßig, die Anschuldigungen wurden aber nicht bekanntgegeben. 172 CE 17. 2. 1950, Dame Lamotte, Ree. 111 (Entscheidung des Grosen Senats). Der Präfekt von Ain sprach Herrn Testa das Grundstück von Sautherbrier, Eigentum von Frau Lamotte, zu. Dies erfolgte nach dem Gesetz vom 23. 5. 1943 und zielte auf die produktive Kultivierung vernachlässigter Grundstücke durch ihrer Konzessionierung ab. Hierzu entwickelte der Staatsrat den Rechtsgrundsatz, daß ein recours pour excès du pouvoir zulässig ist, auch in den Fällen, wo dies nicht expressis verbis im Gesetzestext vorgesehen war. Viele Garantien des Bürgers wurden praktisch in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze vom Staatsrat abgeleitet. Vgl. dazu den Überblick der Rechtsprechung bei Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 40 ff. 173 Als allgemeine Rechtsgrundsätze sind verschiedene Aspekte des Gleichheitssatzes judiziert. Die Gleichheit vor den Staatsleistungen wurde in CE 9. 3. 1951, Société des concerts du conservatoire, Ree. 151 = Droit Social 1951, 368, conci. Letourneur, note Ri vero = GP 1951 I, 204, anerkannt. Hier ging es um die Verweigerung der Rundfunkanstalt die Übertragung der Konzerte einer bestimmten musikalischen Vereinigung aufzunehmen, obwohl sie bei anderen Vereinigungen keine derartigen Probleme hatte. Die Steuergleichheit wurde in CE 4. 2. 1944, Guieysse, RDP 1944, 166, conci. Chenot begründet und inzwischen in den Präambeln der Verfassungen von 1946 und 1958 verfassungsrechtlich verankert. Zur älteren Rechtsprechung vgl. die Analyse von Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 7 ff. Vgl. auch Pierre Delvolvé , Le principe d'égalité devant les charges publiques, Paris 1969. Zum französischen Konzept der Gleichheit im allgemeinen s. Jean-Claude Venezia , The Protection of Equality in French Public Law, in: V. T. Koopmanns, Constitutional protection of equality, Leiden 1975, S. 125 ff; Ursina Krumpholz, Der Gleichheitssatz im französischen Recht, Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris 1989.
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der Verwaltung 174 . Parallel gestaltet die Rechtsprechung mit Hilfe der allgemeinen Rechtsgrundsätze die Funktionsgrundlagen einer modernen Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat175.
C. Die Gewinnung von Verteidigungsrechten in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen Der Staatsrat hatte bei der Konstruktion von Verteidigungsrechten im Verwaltungsverfahren grundsätzlich an die verschiedenen gesetzlichen Anhörungsvorschriften im allgemeinen und das Rechtsinstitut der Einsicht der Beamten in ihre Personalakte im besonderen angeknüpft.
7. Die verschiedenen gesetzlichen Ausgestaltungen des Prinzips "Audi alteram partem" Bei der Ausgestaltung der Pflicht, die droits de la défense im Verwaltungsverfahren zu beachten, konnte der Staatsrat an eine Menge von Anhörungsbestimmungen anknüpfen, von denen er die für die Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes erforderlichen Strukturmerkmale ableiten konnte. Hier geht es um die in der Methodologie des französischen Staatsrates bekannte Anwendung der Induktion für rechtsschöpferische Zwecke 176 .
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Zurecht bemerkt Jeanneau, Les principes généraux du droit, S. 182, daß dies schon in der älteren Rechtsprechung geschehen sei. Der Unterschied besteht darin, daß jetzt die Rechtsgrundsätze als Teil der Rechtsquelle der Rechtsprechung angesprochen worden. Dabei enthält die Entwicklung das, was Jeanneau (S. 182) eine quasi-rückwirkende Wirkung nennt, d.h. sie rationalisieren und systematisieren bisherige Lösungen der Rechtsprechung. 175 Hier ist insbesondere der Rechtsgrundsatz der Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu nennen, die der Staatsrat im Großen Senat in CE 7. 7. 1950, Dehaene, RDP 1950, 691, conci. F. Gazier, note Waline = D. 1950, J., 539, note Gervais anerkannt hat. Gemäß dem Staatsrat sollte das Unterlassen des Gesetzgebers, Maßnahmen zu treffen um Streiks in Öffentlichen Dienst zu regeln nicht die Funktionsfähigkeit der Behörde gefährden. Kommt es zu einem Streik im Öffentlichen Dienst, ist die Verwaltung deshalb befugt, selbst und ohne gesetzliche Ermächtigung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Ausübung dieser Befugnis untersteht jedoch der gerichtlichen Kontrolle. 176 Zu dieser Methodik des französischen Verwaltungsrichters in allgemeinen s. Crusis, Les combinaisons de normes dans la jurisprudence administrative, idid.
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Bei der Analyse der verschiedenen Anhörungsrechte kristallisieren sich drei Typen von Verwaltungsverfahren heraus, bei denen das Prinzip "Audi alteram partem" gesetzlich ausgestaltet wird 1 7 7 : a) Das rein- oder quasi-Disziplinarverfahren Hier zu nennen sind insbesondere die Rücknahme der Zulassung einer privaten Garde (Gesetz vom 12. 4. 1892, Art l ) 1 7 8 , die Disziplinarmaßnahmen gegen Armeeoffiziere sowie ihre Versetzung in den Ruhestand wegen zeitweiliger Krankheiten (Gesetz vom 19. 5. 1834), die Streichung aus der Liste der Berufsunteroffiziere (Dekret vom 25. 8. 1921) sowie alle gegen Unteroffiziere verhängten Disziplinarmaßnahmen, die schwerer wiegen als innerdienstliche ("Mesures d'ordre intérieur") Maßnahmen (Dekret vom 25. 1. 1896, Art. 1), sowie die automatische Absetzung eines Gemeinderatsmitglieds, das an drei aufeinanderfolgenden Sitzungen fehlte (Gesetz vom 5. 4. 1884, Art. 60). Anhörungsrechte gelten ebenfalls bei Disziplinarmaßnahmen gegen Mitglieder der kommunalen Feuerwehrdienste (Gesetz vom 25. 10. 1874 und Règlement d'administration publique du 7. 3. 1953), bei Disziplinarmaßnahmen gegen Oberbürgermeister und Bürgermeister (Gesetz vom 8. 7. 1908), bei Disziplinarmaßnahmen gegen die Lehrkräfte der primären (Gesetz vom 30. 10. 1886, Art. 32), sekundären (Gesetz vom 15. 3. 1850) und höheren (Dekret vom 28. 12. 1885) öffentlichen und privaten Lehranstalten sowie bei Disziplinarmaßnahmen gegen Studenten (Dekret vom 21.7. 1897). Charakteristikum der oben genannten Verwaltungsverfahren ist die strafähnliche Finalität der Maßnahmen. Die Verfahren zielen auf eine Art Sanktion ab. Außerhalb der Disziplinierung von Personen, die in einer Sonderverbindung mit der Verwaltung stehen, bestehen verschiedene Vorschriften, die eine Sanktion verhängen und dem Bürger die Chance geben, sich diesbezüglich zu äußern. So ist vor einem Führerscheinentzug dem Betroffenen das Recht gegeben, sich über die Anschuldigungen zu informieren und sich dagegen zu verteidigen (Art. R 268 Code de la route). Obwohl sie keine Sanktionen darstellen, gehören wegen der erheblichen persönlichen Belastung, die sie verursachen, hierzu auch die Verfahren bei der Auslieferung von Ausländern (Gesetz vom 10. 3. 1927) 179 und das Verfahren für die Ausweisung von Ausländern, die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis sind, wenn keine Dringlichkeit (urgence)
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Vgl. dazu Marcel Waline , Le principe "audi alteram partem", in: Conseil d'État du Grand-Duché de Luxembourg (Hrsg.), Livre Jubilaire, Luxembourg 1957, S. 495 ff (498 ff). Vgl. auch Lasserre/ Lenoir! Stirn, La transparence administrative, S. 19. ™ Dazu CE 29. 4. 1898, Ouvrard, Ree. 336. 179 Es geht um eine Art gerichtlichen Vorverfahrens. Für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens sind die ordentliche Gerichten zuständig.
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vorliegt (Ordonnanz vom 2. 11. 1945, Art. 24-26) 180 . Ein anderes Beispiel findet sich in der Anhörung, bevor die Entlassung von Betriebsratsmitgliedern oder Gewerkschaftern genehmigt wird (Art. R 268 Code du Travail). Der Gesetzgeber hat auf diesen Grundlagen den Anhörungskreis erweitert. So ist zum Beispiel bei der Ablehnung eines Antrags auf Zulassung von neuen Medikamenten die Anhörung des Antragsstellers vorgeschrieben (Art. 7, Dekret vom 24. 6. 1942 und Dekret vom 13. 9. 1945). Besonders wichtig sind auch die Anhörungsrechte im Besteuerungsverfahren 181. In allen bisherigen Fällen richtete sich die belastende Maßnahme gegen eine natürliche Person. Eine Ausweitung der Anhörungsrechte ist auch auf juristische Personen möglich. Ein solcher Fall lag bei der Rücknahme der Genehmigung einer Sparkassengesellschaft (Gesetz vom 9. 12. 1907) vor. Hier würde die Rücknahme der Genehmigung die weitere Funktion der Gesellschaft gegenstandslos machen. Dies stellt eine erhebliche Belastung dar, die ähnlich wie bei natürlichen Personen die Anhörung rechtfertigt. Aus allen oben genannten Fällen konnte der Staatsrat induktiv ableiten, daß die Anwendung von Sanktionsmechanismen oder das Ergreifen von Maßnahmen, die unmittelbar zu persönlichen Belastungen führen, die Gestaltung von Anhörungsstrukturen im Verwaltungsverfahren erfordern. b) Verfahren, bei denen Maßnahmen, die Eigentum entziehen oder belasten, beschlossen werden Vorrangig sind hier die öffentlichen Anhörungen bzw. Untersuchungen (enquêtes publiques) im Enteignungsverfahren zu nennen. Verwandt sind auch verschiedene Verfahren, bei denen Entscheidungen getroffen werden, die zu Belästigungen der Bevölkerung oder eines Teils der Bevölkerung eines Ortes führen können. Hierbei wird auch das Verfahrensinstrument der "enquêtes publiques" angewendet. Weil die enquêtes publiques Rechte gestalten, die weiter 180 Zum Verwaltungsverfahren bei der Ausweisung von Ausländern s. Nicole Guimezare s, Le droit des étrangères, Paris 1987, S. 147 ff. Für die droits de la défence im Fall der Verweigerung der Aufenhaltserlaubnis s. ebenfalls Guimezares, S. 110 ff. 181 Art. 1649quinquies des Code Générale des Impôts sieht vor, daß die Steuerbehörde den Steuerpflichtigen über die Natur und die Gründe der Steuerbelastung zu informieren und ihm eine Frist von dreißig Tagen zu gewähren hat, entweder zuzustimmen oder Einspruch einzulegen. Dabei besteht die Möglichkeit eines Vergleichs offen. Vgl. auch Gesetz vom 27. 2. 1977 und Gesetz vom 8. 7. 1987. Dazu P. Lavigne, Le contribuable comme usager de l'administration fiscale, Revue française de finances publiques 1986, S. 77 ff; Letteron, L'administré et le droit à l'information, S. 409 ff; D. Gobeaut , L'accès des contribuables à l'information fiscale, in: Centre universitaire de recherches administratives et politiques de Picardie (Hrsg.), Information et transparence administrative, Paris 1988, S. I l l ff; Lasserrel Lenoir! Stirn, La transparence administrative, S. 163 ff. 9 Trantas
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als die normale Anhörung gehen und sich Formen der Partizipation annähern, ist es wegen der solchermaßen unterschiedenen Strukturen der Rechtsprechung nicht gelungen, eine Verallgemeinerung solcher Verfahren anzuordnen. Nach der Rechtsprechung ist die enquête publique nur anwendbar, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist. Kein allgemeiner Rechtsgrundsatz erfordert die Gestaltung einer solchen Art von Verfahren 182 . Sie sind Verfahren verwandt, bei denen wegen des Eingriffs in das Eigentum eine einfache Anhörung der Betroffenen als erforderlich erscheint, wie beim Verbot der Bewohnung eines gefährlichen Gebäudes (Gesetz vom 15.2. 1902, Art. 12, geändert durch das Dekret vom 24. 5. 1938), dem Abbruch eines baufälligen Gebäudes (Gesetz vom 5. 4. 1884 und Gesetz vom 21. 6. 1898) 183 . Keine einfachen Anhörungsstrukturen sind in der Gesetzgebung für Zivilrequisitionen (Gesetz vom 11. 7. 1938, Art. 20) 1 8 4 und der Klassifizierung von Gebäuden als Denkmal (Gesetz vom 31. 12. 1913, Art. 5) zu finden. Hier ist die Möglichkeit eines Arrangements zwischen Bürger und Verwaltung vorgesehen, was auf Verhandlungen und die Gestaltung von Kommunikationsstrukturen hinweist. Solche Verfahrensarten sind isoliert. Sie sind aber ein Bereich voller Inspiration für die Induktion der Verteidigungsrechte seitens des Staatsrats, weil es sich hier um die Anerkennung von Anhörungsrechten bei Maßnahmen handelt, die keinen Sanktionscharakter enthalten, sondern eine Belastung für die Erfüllung des öffentlichen Interesses darstellen. c) Anhörungsrechte im Verwaltungsvertragsrecht Nach den Bedingungen der Verträge, die in den Verdingungsordnungen für öffentliche Verträge (cahiers de charge) vorgeschrieben sind, ist die Behörde verpflichtet, den Vertragspartner darüber zu informieren, daß sie in das Vertragsverhältnis einzugreifen gedenkt. Dies spielt eine besondere Rolle bei Konzessionsverträgen mit Beliehenen 185 . Hier geht es um nichts anderes als die Begründung von Anhörungspflichten durch Vertrag. Die Information wird als Vertragspflicht behandelt.
182 Aus der neueren Rechtsprechung s. CE 14. 3. 1980, Chantebout, Ree. 147 = CJEG 1980, 114, conci. B. Génevois, note Virole = AJDA 1980, 377, obs. J. Lemasurier; CE 19. 4. 1989, Association de défense de l'environnement de Buire-au-Bois et Noeux-les-Auxi, RDP 1989, 1529. 183 Hier ist nicht nur die vorgesehene vorherige Bekanntmachung an die Betroffenen erwähnenswert, sondern auch der Suspensiveffekt ex lege der Klage. 184 Über das Requisitionsverfahren s. Rolland, Précis de droit administratif, S. 499 ff. Vgl. auch J.-P. Dorly, Les réquisitions personneles, Paris 1965. 185 Dazu Waline, Le principe "audi alteram partem", S. 500.
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Diese Fälle sind interessant, weil sie implizit zeigen, daß der Gesetzgeber die nicht durch Gesetz erfolgende Begründung von Anhörungsrechten, hier durch Vertrag, billigt. Es war daher analog dazu abzuleiten, daß die Anerkennung von Anhörungsrechten in Form von Richterrecht wegen der mangelnden gesetzlichen Grundlagen keinen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip darstellte 186 .
2. Die Einsicht der Beamten in ihre Personalakte als eigentliches Referenzgebiet der Einsichtsrechte im allgemeinen Verwaltungsverfahren Die Einsicht in die Personalakten des Beamten ist in der grundlegenden Vorschrift des Art. 65 des Finanzgesetzes (Loi de finances) vom 22. 5. 1905 vorgesehen 187. Nach der Vorschrift steht allen Beamten (Zivilbeamten oder Soldaten) sowie den Beschäftigten und Arbeitern sämtlicher Behörden das Recht zu, alle Akten oder Bemerkungen, die in ihre Akten eingetragen sind, vertraulich und persönlich einzusehen, bevor über eine Disziplinarmaßnahme entschieden wird, sie strafversetzt oder in ihrer Beförderung zurückgestellt wer-
186 Daß die Rechtsprechung des Staatsrats rechtsschöpferische Funktionen wahrnimmt, bedeutet nicht, daß die Richter contra legem oder contra spiritum legis handeln. Prägend hierfür ist das Diktum Montesquieus, daß der Richter der Mund ist, der die Gesetze spreche, ein "lebloses Wesen, das weder seine Stärke noch seine Härte zu mildern vermag". 187 Vor dem Gesetz von 1905 haben nur das Dekret vom 21. 7. 1897 für die "conseils d'Université" und das Dekret vom 8. 11. 1903 für die "conseils d'enquête" formelle Disziplinarverfahren vorgesehen. Zum damaligen Stand der Lehre s. Henry Nézard , Théorie juridique de la fonction publique, Paris 1901. Zu den Problemen des Disziplinarverfahrens s. derselben, Les principes généraux du droit disciplinaire, Paris 1903, S. 253 ff, in bezug auf die Verteidigungsrechte insbesondere S. 313 ff, 330 ff. Die Reform von 1905 hat die Verteidigungsrechte der Beamten verallgemeinert und den öffentlich-rechtlichen Charakter des Dienstverhältnisses betont. Zur Bedeutung des Art. 65 s. Gaston Jèze, Les principes généraux du droit administratif, 3. Aufl., Bd. 3, Paris 1926, S. 101 ff; Léon Duguit , Traité de droit constitutionnel, 2. Aufl., Paris 1923, Bd. 3, S. 150 ff; Maurice Hauriou , Précis de droit administratif, 11. Aufl., Paris 1927, S. 618 ff; Jean Debry , La communication des dossiers des fonctionnaires, Paris 1933. Aus dem jüngeren Schrifttum André de Laubadère!Jean-Claude Venezia/Yves Gaudentet, Traité de droit administratif, Bd. 2, 8. Aufl., Paris 1986, Nr. 208 ff; J.-M. Auby/Ducos-Ader/J.B. Auby, Institutions administratives, S. 620 ff; J.-M. Auby/J.-B. Auby, Institutions administratives, S. 422; Bourdon , Le statut général de la fonction publique, in: J.-M. Auby (Hrsg.), Droit public, Bd. 2, S. 780, 792. Vgl. auch die Anmerkung von M. Waline zu CE 9. 12. 1955, Garysas, RDP 1956, 330; Pierre Coûtant , La communication du dossier, RA 1955, S. 398 ff; Pierre di Malta, Essai sur la notion de pouvoir hiérarchique, Paris 1961, S. 112 ff; M. Manville , La communication du dossier ou le respect des droits de la défense principe général du droit, Droit ouvrière 1966, S. 23 ff.
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den 1 8 8 . Das Gesetz von 1905 hat seinen Hintergrund im sog. "Akten-Skandal" (affaire des fiches). Damals wurde im Parlament die skandalöse Behandlung der Personalakten ("Fichiers") der Beamten sowie die Art und Weise, mit der aufgrund dieser Akten Disziplinar- und Beförderungsmaßnahmen getroffen wurden, enthüllt 189 . Das Parlament reagierte und verabschiedete entsprechende Verfahrensgarantien als Zusatzvorschrift 190 im Haushaltsgesetz von 1905.
188 Art. 65 lautet: "tous les fonctionnaires civils et militaires, tous les employés et ouvriers de toutes administrations publiques ont droit à la communication personelle et confidentielle de toutes les notes, feuilles signalétiques et tous autres documents composant leur dossier avant d'être l'objet d'une mesure disciplinaire ou d'un déplacement d'office, soit d'être retardés dans leur avancencement à l'ancienneté". 189 Die Geschichte dieser Affäre ist insofern interessant als sie die Bedeutung des Gesetzes im Hinblick auf die bisherige Behandlung der Personalakten des Verwaltungspersonals verdeutlicht: Eine untreue Angestellte der "Grand-Orient" der Freimaurerlogen stahl eine Reihe von Fiches und verkaufte sie an die Nationalisten, die die Dokumente benutzten, um die extrem republikanische und antiklerikal Regierung Combes zu stürzen, was am 19. 1. 1905 geschah. Aus den gestohlenen Dokumenten ging hervor, daß die radikalen Republikaner einen Überwachungsmechanismus des Verwaltungsapparats eingerichtet hatten und die gesammelten Akten bei den "Grand-Orient" der Freimaurerlogen deponiert hatten, in denen sie Mitglieder waren. Die gestohlenen Dokumente stammten von Kriegsminister General André, der innerhalb seines Ressorts zwei Listen von "Fiches" organisiert hatte. Die eine nannte er "Korinth" nach den alten Spruch "non licet omnibus adire Corinthum". Hier waren die sog. "guten" Offiziere eingeschrieben, d.h. diejenigen Offiziere, deren Ehefrauen nicht die Kirche besuchten. Die zweite Liste bestand aus Akten den Offiziere, deren Gattinnen Kirchengängerinnen waren, André nannte sie "Karthago" nach "delenda est Carthago". Die in dieser Liste eingetragenen Offiziere hatten offensichtlich keine Beförderungschancen und wurden leichter einem Disziplinarverfahren unterstellt. S. zu der Affäre Marcel Waline, Traité de Droit administratif, 9. Aufl., Paris 1963, Nr. 1428; 7.-7. Chevalier, Histoire des institutions politiques de la France de 1789 à nos jours, Paris 1952, Nr. 324; Claude Emeri , De la responsabilité de l'administration à l'égard de ses collaborateurs, Paris 1966, S. 70 f; Guy Thuillier , La communication du dossier et l'article 65 de la loi du 22. 4. 1905, RA 1975, S. 454 ff; Chapus, Droit administratif, II, Nr. 64; jüngst François Vindé , L'affaire des fiches (1900-1904), Chroniques d'un scandale, Paris 1989; vgl. auch RA 1994, S. 133 ff. Zur Eingliederung der Affäre in der politischen Hintergrund des Konflikts zwischen Staat und Kirche (dazu Axel Freiherr von Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, Göttingen 1962) s. Marcel Morabito/Daniel Bourmaud, Histoire constitutionnelle et politique de la France (1789-1958), Paris 1991, S. 351. Den Mißbrauch der Personalakten des Verwaltungspersonals in dieser Epoche beleuchtet auch eine Anekdote aus der Vorgeschichte des Gesetzes (Stasinopoulos, Le droit de la défence, S. 95 f): In den Personalakten eines Zollbeamten war eingetragen, daß sein Fuß gelähmt war ("boite un peu"). Der Vorgesetzte las hingegen, er trink etwas ("boit un peu"), so daß am Ende der Beamte im seinem Bericht als unverbesserlicher Trinker ("ivrogne incorrigible") bezeichnet wurde. All dies muß auch vor dem Hintergrund der Dreyfus-Affäre gesehen werden. Dazu stellvertretend für viele die Bewertungen von Morabito!Bourmaud, S. 338.
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In den ersten Jahren nach dem Gesetz gab es eine große Menge von Rechtsbehelfen vor dem Staatsrat, was beweist, daß die Verwaltung der Vorschrift nicht gerade freundlich gesonnen war. Der Staatsrat blieb aber beim Schutz der Verfahrensgarantien streng 191 . Bis zum Zweiten Weltkrieg sind oft recours aufgrund des Gesetzes zu finden. Mittlerweile sind sie sehr selten geworden, weil die Regel, in die Personalakten Einsicht zu gewähren, von der Verwaltung angewendet wird und vollständige Aufnahme in der Verwaltung gefunden hat und Teil ihrer Ethik geworden sind 192 . Art. 65 des Gesetzes vom 1905 gilt noch heute subsidiär zu den übrigen beamtenrechtlichen Vorschriften 193 . Die Aus-
190 Der Vorschlag stammt von dem Abgeordneten und Chef der Sozialisten Marcel Sembat (JO, Débats parlamentaires, Chambre des députés, 9. 3. 1905, S. 878). Der Vorschlag von Sembat war viel weiter gefaßt als eine bloße Verfahrensgarantie bei Disziplinarverfahren: "Tous les fonctionnaires civils et militaires, tous les employés et ouvriers de toutes administrations publique ont droit à la communication de toutes les notes, feuilles signalétiques et autres documents composant leur dossier". Der Gesetzes Vorschlag von Sembat scheint den Ausdruck "administration au grand jour " eingeführt zu haben. Im Senat stieß die Initiative Sembats aber auf Schwierigkeiten. S. dazu Debry, La communication du dossier des fonctionnaires, S. 6 f. Besonders wichtig waren die Gegenstimmen der Senatoren Séblime und General Billot. Séblime versuchte den Gesetzesentwurf durch einen Änderungsvorschlag zu neutralisieren, durch den die Akten der Vorgesetzten vom Anwendungsbereich ausgenommen sein sollten; Billot betonte die Gefahren, die die Initiative für die Disziplin mit sich brachte. Schießlich scheiterte die Initiative dreimal im Senat und erhielt sich ihre entgültige Fassung erst nach einem Vorschlag des Senators Milliès-Lacroix. Dazu JO, Débats parlamentaires, Sénat 22. 4. 1905, S. 919; Chambre des Députés, 22. 5. 1905, S. 1641. Zur Geschichte dieser Gesetzgebung s. Thuillier, La communication du dossier et l'article 65, S. 458 ff. 191
Zum Beitrag der Rechtsprechung des Staatsrats Max Querrien , Du droit jurisprudentiel au droit écrit: la part du Conseil d'État dans l'élaboration du statut de la fonction publique, in: Conseil d'État - Livre jubilaire, Paris 1952, S. 311 ff. 192 Dazu Waline , Droit administratif, Nr. 1430. 193 In Betracht kommt insbesondere Art. 19 des Gesetzes vom 13. 7. 1983 (Statut I), welcher lautet: "Le fonctionnaire à l'encorte duquel une procedure disciplinaire est engagée a droit à la communication de l'intégralité de son dossier individuel et de tous les documents annexes... L'administration doit informer le fonctionnaire de son droit à communication". Diese Vorschrift befand sich früher in Art. 67-68 des Gesetzes vom 19. 10. 1946 (Beamtenstatut 1946) und Art. 56 des Dekrets vom 1. 4. 1933 für die Berufssoldaten. Ähnlich Art. 40 des Gesetzes vom 28. 4. 1952 für die Kommunalbeamten (dazu CE 8. 2. 1952, D. 1952, J., 8). Nach dem Gesetz vom 17. 7. 1978 haben die Beamten wie alle Bürger ein allgemeines und ständiges Recht auf Einsicht in ihrer Personalakten. Dazu Circulaire du ministre chargé de la fonction publique du 5. 10. 1981 (AJDA 1981, S. 538); J.-M. Auby/DucosAder/J.-B. Auby, Institutions administratives, S. 641 f; J.-M. Auby/J-B. Auby, Institutions administratives, S. 435. S. auch Jean-Bernard Auby, Juris-Classeur administratif, fase. 182. Dies hat nicht die Bedeutung des Art. 65 gemindert, weil hier die Behörde
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
Strahlung der Vorschrift ist so groß, daß die Rechtsprechung des Staatsrats daraus einen allgemeinen Rechtsgrundsatz ableitet 194 , der allgemein gilt und auch von den spezifischen Beamtenstatuten zu respektieren ist 1 9 5 . Parallel dazu gehört Art. 65 zu den fundamentalen Grundsätzen der Gesetze der Republik ("principes fontamentaux reconnus par les lois de la République"), die in die Präambel der Verfassung von 1958 eingegangen sind, und genießt deshalb verfassungsrechtlichen Rang 196 . a) Natur der Garantie Die Anwendung der Vorschrift durch die Rechtsprechung durchläuft verschiedene Phasen197. Die Entwicklung ist mit der Frage verbunden, ob die Einsicht von Amts wegen oder auf Antrag erfolgt. In einer ersten Phase betonte der Staatsrat den absoluten Charakter der Verfahrensgarantie der Vorschrift und sanktionierte die Verweigerung der Einsicht von Amts wegen mit der Anfechtung eben dieser Verweigerung durch die Behörde 198 . Später berücksichtigte die Rechtsprechung indessen auch die Erfordernisse des Verwaltungslebens 199 und wertete es als den Anforderungen des Gesetzes entsprechend, wenn die Verwal-
selbst verpflichtet ist, dem Beamten die Einsicht zu gewähren. Zutreffend Chapus, Droit administratif, II, Nr. 320. 194 CE 22. 5. 1946, Meillon, JCP 1947 II, 3403. Dazu A. Mathiot, Cours de droit administratif, Paris 1962-1963, S. 364. Der Rechtsgrundsatz gilt unmittelbar und automatisch. Davon sind andere Regeln des Disziplinarverfahrens abgeleitet, wie z.B., daß es nach der Einsicht nicht mehr möglich ist, eine neue Anschuldigung zu erheben, ohne erneut Einsicht zu gewähren (CE 1. 4. 1938, Sous-Préfet de Pontoise, Ree. 338). •95 CE 6. 8. 1909, Vilar, Ree. 812; CE 27. 10. 1932, Le Bouteiller, Ree. 875; CE 30. 5. 1954, Territoire de Madagascar, Ree. 827. »96 Chapus, Droit administratif, II, Nr. 366. S. auch CC 17. 1. 1989, 88-248DC, Ree. CC 18 = RDP 1989, 490, note L. Favoreu = RFDA 1989, 215, note Β. Genevois = ehr. P. Avril/J. Gicquel, Pouvoirs 50/1989, 197 = ehr. J.-L. Autin, RA 1989, 223 = Charles Debbasch, Les grands arrêts du droit de l'audiovisuel, Paris 1991, Nr. 51 = Favoreu/Philip , Grandes décisions, Nr. 42: "conformément à ce principe, aucune sanction ne peut être prononcée sans que l'intéressé ait été mis à même, tant de présenter ses observations sur les faits qui lui sont reprochés, que d'avoir accès au dossier le concernant" (29. Erwägungsgrund). 197 Dazu Emeri , De la responsabilité de l'administration à l'égard de ses collaborateurs, S. 71 f. Vgl. auch Duguit , Traité de droit constitutionnel, 2.Aufl., Bd. 3, S. 153. 198 CE 22. 2. 1907, Mamet, Ree. 167; CE 5. 11. 1908, Serres, Ree. 1908; CE 11. 12. 1908, Duchêne, Ree. 1016; CE 22. 5. 1908, Baudelot, Ree. 559. Die Rechtsprechung folgt dabei den Ausführungen von Gaston Jèze, Communication préalable du dossier aux fonctionnaires, RDP 1906, S. 497 ff, der die Einsicht nach teleologischer und subjektiver Auslegung der Vorschrift als Pflicht der Behörde sah. 199 Lucien Lacourte , Des garanties accordées aux fonctionnaires contre les actes qui les révoquent, Paris 1911, S. 52 ff stimmt der Rechtsprechung zu.
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im V e r w a l t u n g s v e r f a h r e n 1 0 7
tung den Beamten zur Einsicht einlud und er daran kein Interesse zeigte 200 . Die Rechtsprechung beurteilte es als ausreichend, wenn der Beamte über das Disziplinarverfahren ausreichend informiert wurde und ihm ein angemessener Termin zur Einsicht gegeben wurde 201 . Es genügte, daß die Behörde den Beamten zur Einsicht einlud 202 und der Betroffene über die verhängte Disziplinarmaßnahme informiert wurde 203 . Damit erfüllte die Verwaltung ihre Pflicht, wenn sie den Beamten darüber informierte, daß die Entscheidung über eine Sanktion gegen ihn von einem Verfahren anhängig sei 204 . Hingegen war die Behörde nicht verpflichtet, ihn über das Recht auf Einsicht in seine Personalakten zu belehren 205 . Die Entwicklung der Rechtsprechung interpretiert die gesetzliche Vorschrift nicht als Pflicht der Verwaltung, sondern als Verfahrensrecht des Beamten 206 . Der Beamte trägt im Disziplinarverfahren die Beweislast, weshalb ihm das Recht zusteht, die Einsicht in die Personalakten zu beantragen. Diese Einsicht ist antragsgebunden. Der Beamte muß die Einsicht beantragen 207, nachdem ihm mitgeteilt wurde 208 , daß gegen ihn ein Disziplinarverfahren eröffnet wurde, und
200 CE 21. 2. 1908, Busoni, Ree. 174; CE 22. 5. 1908, Guéry, Ree. 558. 201 CE 25. 6. 1909, Janvion, Ree. 610, conci. Teissier; CE 6. 8. 1909, Vilar, Ree. 812. 2
02 CE 17. 5. 1918, Le Cunff, Ree. 475. CE 10. 11. 1911, Rogie, Ree. 195. Dazu Coûtant , La communication du dossier, S. 400. 204 Beispiele: Wenn die Verwaltung den Beschäftigten von den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen benachrichtigt (CE 28. 7. 1952, Huguet, Ree. 414), einen Kündigungsantrag von ihm erbittet (CE 5. 6. 1959, Dufay, Ree. 345; CE 23. 4. 1965, Dme Schurando, AJDA 1965, 621), ein Plan für Personalentlassungen ihm mitgeteilt wird (CE 15. 2. 1980, Brault, DA 1980, Nr. 92; CE 28. 9. 1984, Ville de Bobigny, DA 1984, Nr. 432; CE 11. 7. 1986, Croissant, DA 1986, Nr. 460) oder eine Suspendierung bekanntgegeben wird (CE 3.1.1972, Colonbat, RA 1972, 604 = DA 1972, Nr. 358). Eine Übersicht über die verschiedenen Fälle findet sich bei Debry, La communication du dossier des fonctionnaires, S. 53 ff. 205 Für die Beamten (Art. 19 des Gesetzes vom 13. 7. 1983) und die Beamten "non titulaires" (Décrets du 17. 1. 1986 und du 15. 2. 1988) besteht jetzt eine Pflicht der Verwaltung, den Beamten über sein Einsichtsrecht zu informieren. Für die übrigen Kategorien des Verwaltungspersonals gilt noch die traditionelle Rechtsprechung, die als wenig beamtenfreundlich erscheint. Dazu Chapus, Droit administratif, II, Nr. 368, der eine Ausweitung der legislativen Lösungen auf alle Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes de lege ferenda vertritt. 2 Vgl. CE 17. 6. 1983, Affatigato, Ree. 263 = AJDA 1983, 486, note M.-T. Sur (Auslieferung); CE 18. 5. 1984, SA La participation mobilière et immobilière, Ree. 184 = AJDA 1984, 513, conci. M. Dandelot (Veto der Verwaltung in der Entscheidung der Generalversammlung einer Gesellschaft); CE 31. 10. 1984, Fédération d'action nationale et européenne, Ree. 234 = AJDA 1988, 567, obs. X. Prétot = RDP 1988, 567, note J.-M. Auby = D. 1989, J. 168, note C. S. (Auflösung von Verein); CE 7. 6. 1985, Société Acopasa, Ree. 177 = D. 1986, J., 57 = RFDA 1986, 57, conci. Latournerie = DA 1985, Nr. 344 (Verweigerung einer Importgenehmigung); CE 17. 6. 1985, Dauberville, Ree. 177 (Verweigerung einer Exportgenehmigung); CE 24. 1. 1990, Amon, AJDA 1990, 420, conci. M. de Saint-Pulgent (Erklärung von ein Bild zum historischen Denkmal); die Rechtsprechung scheint diese Kategorie von Akten sehr eng auszulegen. Vgl. CE 30. 3. 1984, Ministre des affaires sociales c. Abecassis, Ree. Τ 477, 619; CE 25. 3. 1983, Ministre de l'Education c. époux Mousset, Ree. 135 = D. 1983, J., 643, conci. M. Franc = AJDA 1983, 296, 327, ehr. B. Lasserre/J.-M. Delame; CE 23. 10. 1987, Consorts Métras, Ree. 320 = AJDA 1987, 708, 758, conci. S. Dael, ehr. M. Azibert/M. de Boisdeffre = RA 1988,40, note J. Pertek. 370 Letteron, L'administré et le droit à l'information, S. 357 ff. Vgl. dazu CE 13. 3. 1985, Ville de Strasbourg, RDP 1986, 261; CE 7. 10. 1987, Abbad, Ree. 303 = DA 1987, Nr. 576. Nicht erfaßt sind jedoch die Verweigerung eines Einreisevisums (CE 28. 2. 1986, Ngako Jeuga, Ree. 49 = RA 1986, 257, obs. B. Pacteau) sowie die Weigerung, polizeiliche Maßnahmen zu treffen (CE 12. 3. 1986, Metzler, Ree. 70 = D. 1986, J., 422, note P. Temeyre). 371 Nach einer Begründung verlangen ebenfalls die Vollstreckungsakte der Sanktionen (CE 9. 10. 1989, Société civile agricole du Breuil, Ree. 444). Keine Begründung erfordern die "mesures d'ordre intérieur " und Sicherungsmaßnahmen (CE 7. 6. 1984, Edwige, Ree. 350 - Suspendierung eines Beamten). Vgl. auch CE 19. 4. 1991, Monnet, Ree. 150 = AJDA 1991, 509, 557, ehr. C. Maugûé/S. Schwartz, conci. F. Lamy. 372 Vgl. Letteron , L'administré et le droit à l'information, S. 365 ff.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
bei Genehmigungen sowie die Verweigerung der Genehmigung 373 , die Aufhebung von Verwaltungsakten, die Rechte begründen 374, sowie gegen eine Verjährung ausgesprochene Entscheidungen. Gleiches gilt für Entscheidungen, die die Begünstigung verweigern, und diejenigen, die ein Recht für die die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllenden 375 Bürger vorsehen 376. Neben den belastenden Verwaltungsakten sieht das Gesetz vor, daß auch die Verwaltungsakte, die einen Dispens erteilen, begründungspflichtig sind (Art. 2) 3 7 7 . 373 Dazu Letteron, L'administré et le droit à l'information, S. 367 ff. Die Verweigerung der Genehmigung ist jetzt im Text des Gesetzes vom 1986 (Art. 26) enthalten. 374 Die Begründung ist auch in dem Fall erforderlich, daß der Verwaltungsakt die Folge eines Betrugs ist (CE 25. 4. 1990, Mme Figueréo et M. Bemachy, Ree. 546 = AJDA 1990, 641, obs. X. Prétot = D. 1991, Som. com., 135, obs. F. Llorens/P. SolerCouteaux). Die Aufhebung der Ernennung von Beamten, deren Stellen der Regierung zur Disposition stehen, erfordert dagegen keine Begründung (CE 14. 5. 1986, Syndicat nationale des cadres hospitaliers, Ree. 369 = JCP 1987 II, Nr. 20715, obs. C. Gabolde. sowie Chr. A. Baldous/J.-P. Nègrin, RFDA 1987, 238; CE 22. 12. 1989, Morin, Ree. 279 = AJDA 1990, 90, 121, ehr. E. Honorat/E. Baptiste). Der Staatsrat will der Regierung dabei erlauben, bei der Besetzung solcher Stellen ihre Gründe nicht offenbaren zu müssen. Vgl. aber auch TA Paris 24. 3. 1988, Lejade, AJDA 1988,489, obs. D. C. 375 Zu dieser Voraussetzung s. CE 8. 2. 1985, Craichero, Ree. 29 = AJDA 1985, 267, conci. J.-M. Pauti. 376 Hierzu gehören nur die wenigen Fälle, in denen die Verwaltung gebunden ist und über keinen Ermessensspielraum verfügt. S. aber CE 11. 6. 1982, Le Duff, Ree. 320 = JCP 1983 II, Nr. 19953, conci. Β. Genevois = AJDA 1982, 583, 599, ehr. B. Lasserre/J.-M. Delarue = RA 1982, 390, obs. B. Pacteau (Verweigerung von Wehrpflichtbefreiung). S. auch CE 29. 7. 1983, Mlle Lorraine, Ree. 762; CE 23. 10. 1985, Niel, DA 1985, Nr. 520; CE 11. 5. 1988, Droulers, DA 1988, Nr. 330; CE 26. 1. 1990, Vincent, Ree. 547 = D. 1991, som. com., 133, obs. F. Llorens/P. Soler-Couteaux; CE 25. 3. 1994, Gueye, Ree. 160. Es scheint, daß die Rechtsprechung eine Begründung als nicht erforderlich ansieht, wenn keine gesetzlichen Kriterien für das Ermessen der Verwaltung vorliegen oder das Gericht oder das Gesetz einen Beurteilungsspielraum zulassen. Vgl. dazu Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 482 mwN. Eine Ausnahme macht Art. 28 des Gesetzes vom 17. 1. 1986 bei der Verweigerung von Begünstigungen von Institutionen der Sozial- bzw. Arbeitslosenversicherung nach Art. 6 Gesetzes vom 11.7. 1979. Ihre Entscheidungen sind immer zu begründen, auch wenn sie Ermessensentscheidungen sind. 377 Letteron, L'administré et le droit à l'information, S. 355 f. Die Begründung ist die Folge dessen, daß es sich um eine Ausnahme von der normalen Rechtslage handelt. Nicht begründungspflichtig sind dagegen per se Entscheidungen aufgrund von Vorschriften, die von allgemeinen Regeln abweichen, wie z.B. die Genehmigung einer Namensänderung (CE 20. 1. 1989, Sommer, Ree. 445 = AJDA 1989, 308, 337, ehr. E. Honorat/E. Baptiste). Dazu Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 484. Eine besondere Bedeutung hat die Begründungspflicht besonders bei Baudispensen (CE 17. 12. 1982, Société Angélica-Optique Centraix et autres, Ree. 419) und Dispensen von Regelungen, die die Lage von Apotheken betreffen (CE 3. 11. 1982, Mlle Mugler, Ree. 505 = AJDA 1983, 296, 328, ehr. B. Lasserre/J.-M. Dalarue = RA 1983, 43, obs. B. Pacteau; CE 16. 2. 1983, Vigne, Ree. 596 = AJDA 1983, 296, ehr. B. Lasserre/J.-M. Dalarue; CE 3. 6.
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren
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Die Begründung kann unterbleiben 378 , wenn ein Geheimhaltungsgrund (Art. 4 I I ) 3 7 9 oder eine absolute Dringlichkeit (Art. 4 I S. I ) 3 8 0 vorliegen. Im letzten Fall kann der Betroffene beantragen 381, daß die Behörde ihm innerhalb eines Monats die Begründung vorlegt 382 . Nicht begriindungspflichtig sind auch die impliziten Verwaltungsakte (Art. 5 S. I ) 3 8 3 . Der Betroffene kann in diesem Fall 1983, Ministre de Santé c. Conseil régional de l'ordre des pharmaciens du LanguedocRousillon, DA 1983, Nr. 279; CE 5. 5. 1986, Ministre des Affaires sociales et de la Solidarité nationale e. M.M. Leblanc et Tissier, Ree. 128 = AJDA 1986, 390, obs. L. Richer = RA 1986, 464, note Β. Pacteau). S. auch CE 5. 11. 1993, Fédération nationale des syndicats de transports CGT, Ree. 566. 378 Lasserre/ Lenoir/ Stirn, La transparence administrative, S. 126 ff. 379 Das Gesetz verweist hier auf den Begriff des Geheimnisses im Gesetz vom 6. 1. 1978 (Datenschutz) und im Gesetz vom 17. 7. 1978. Insbesondere kommen auch Art. 413-9 ff des neuen Code Pénal (Verteidigungsgeheimnis und Staatsschutz) in Betracht. Vgl. dazu CE 10. 4. 1991, Chemouni, Ree. 126 = D. 1992, som. com., 212, obs. D. Maillard Desgrées du Loû = RFDA 1991; CE 23. 3. 1994, Société Matiex, DA 1994, Nr. 248; TA Paris 26. 6. 1991, Pruja, Ree. 665. 380 Zur absoluten Dringlichkeit (urgence absolue) s. Sur, La loi no 79-587 du 11.7. 1979, S. 5. Die Gerichte kontrollieren, ob tatsächlich eine absolute Dringlichkeit vorliegt. So wurde entschieden, daß die absolute Dringlichkeit als Voraussetzung für ein rasches Ausweisungsverfahren nach dem Ausländerrecht nicht automatisch unter die absolute Dringlichkeit des Gesetzes von 1979 fällt, mit dem Ergebnis, daß solche Entscheidungen grundsätzlich begründet werden müssen. Dazu CE 13. 1. 1988, Abina, Ree. 6 = AJDA 1988, 225, conci. Ο. Schrameck; CE 6. 5. 1988, Abdul, Ree. 182. 381 Nach dem Gesetz vom 17. 1. 1986 muß der Antrag innerhalb von zwei Monaten (die Frist der Erhebung eines recours pour excès du pouvoir) gestellt werden. Der Antrag hat keinen Widerspruchscharakter und hemmt nicht den Beginn des Termins der Erhebung der Anfechtungsklage (CE 5. 12. 1990, Commune d'Hyères c. Salvi, Ree. 352 = AJDA 1990, 234, obs. X. Prétot). 382 Die Verwaltung kann jedoch ihre Pflicht zur Vorlage der Begründung ohne Konsequenzen unterlassen, weil nach der Rechtsprechung für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts der Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblich ist. Vgl. Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 488. 383 Diese Regelung ist sehr problematisch, da sie in bezug auf die Maßstäbe der Rechtsprechung einen Rückschritt darstellte. Vgl. Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 489. Nach dem Staatsrat sollen implizite Akte begründet werden, wenn dies für die entsprechenden expliziten Akte erforderlich war. Dazu CE 7. 11. 1975, Dlle Laglaine, Ree. 549; CE 17. 11. 1976, Société pour le développement de l'hospitalisation, Ree. 486; CE 12. 7. 1993, Enterprise Thot Communication, Ree. 217 = RDP 1995, 559 = RFDA 1993, 1030 = DA 1993, Nr. 442; CE 25. 3. 1994, Association Radio Zinzine, Ree. 161 = RFDA 1994, 630 = DA 1994, Nr. 311. Vgl. auch CE 30. 6. 1978, Lenert, Ree. 284 = RDP 1978, 1725, note M. Waline = AJDA 1978, 422, 450, ehr. O. Dutheillet de Lamothe/Y. Robineau; Sur, La loi no 79-587 du 11. 7. 1979, S. 6. Die Verwaltung konnte die Begründungspflicht daher nicht in Form des impliziten Verwaltungsakts umgehen (CE 11. 7. 1980, Ministre des Transports c. Ruaz, DA 1989, Nr. 289).
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ebenfalls innerhalb von zwei Monaten die Vorlage der Begründung beantragen 384 . Die Behörde ist verpflichet, die Begründung innerhalb eines Monats vorzulegen (Art. 5 S. 2). Die Frist der Anfechtungsklage verlängert sich bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Behörde die Begründung abgibt (Art. 5 S. 3) 3 8 5 . Die Beachtung der Frist der Anfechtungsklage hat besondere Bedeutung, insofern als dies den einzigen Schutzmechanismus im Falle des Unterlassens einer Begründung seitens der Behörde darstellt 386 .
384 Diese Regelung hat Bedeutung für die Anwendung des Dekrets von 1983, weil es einen Hinweis darauf darstellt, daß auch bei impliziten Entscheidungen ein Verwaltungsverfahren stattfinden sollte. Diese Regel beinhaltet bereits die CE 12. 10. 1956, D. 1956, J., 664, conci. Lasry. Vgl. Isaac, La procédure administrative non contentieuse, S. 317 ff. 385 Nach der Rechtsprechung kann der Betroffene, wenn die Behörde untätig bleibt, fristlos Anfechtungsklage erheben. Dazu CE 29. 3. 1985, Testa, Ree. 93 = AJDA 1985, 260, 287, ehr. S. Hubac/J.-E. Schoettl = RA 1985, note Β. Pacteau; CE 17. 11. 1986, Chabot, Ree. 1987, som., 188; CE 10. 6. 1994, Lacan, Ree. 1994; TA Lyon, 31. 10. 1990, Djeffal, JCP 1991 IV, 244. Daher kann die Verwaltung nicht diese Vorschrift als Ausweg nutzen, um ihrer Begründungspflicht zu entgehen. 386 Das Unterlassen einer förmlichen Begründung nach dem Gesetz von 1979 stellt einen Formverstoß (vice de forme) dar, der zur Anfechtung des Verwaltungsaktes führt. Wenn die Entscheidungen aber völlig unbegründet sind, d.h. wenn der Richter keine " motifs " feststellen kann, kann die Entscheidung wegen Verstoßes gegen das materielle Recht angefochten worden. Dazu CE 20. 10. 1982, Duffourg, D. 1983, J., 112, note Julien-Laferrière. Fehlende bzw. fehlerhafte Begründung als Anfechtungsgrund stellt kein " moyen d'ordre public" dar und ist deshalb nicht von Amts wegen vom Gericht überprüfbar, sondern muß durch den Kläger erhoben werden (CE 18. 12. 1981, Ministre de Cooperation c. Seimoni, Ree. 452). Andererseits ist es der Verwaltung nicht gestattet, mit einer nachgereichten Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts den Formfehler zu beseitigen (CE 5. 5. 1986, Ministre des Affaires sociales et de la Solidarité nationale c. M.M. Leblanc et Tissier, Ree. 128 = AJDA 1986, 390, obs. L. Richer = RA 1986, 464, note Β. Pacteau), weil sie damit einen Weg benutzte, um ihre Pflicht zu umgehen.
Der Stand des Rechtsschutzes kann als nicht sehr groß betrachtet werden. Einerseits findet die Rechtsprechung in bezug auf Formfehler keine Anwendung in jenen Fällen, in denen die Verwaltung nicht nach Ermessen, sondern gebunden handelt (CE 19. 5. 1984, Bertin, RDP 1983, 1097, conci. R. Denoix de Saint-Marc = CE 5. 11. 1986, Département du Morbihan e. Dame Le Ny, D. 1987, Som., 188). Vgl. dazu Jean-Marie Auby , Les moyens inopérants dans la jurisprudence administrative, AJDA 1966, S. 5 ff. Formfehler können andererseits auch keine Haftung der Verwaltung begründen, wenn diese keine Befangenheit verursacht haben und in der Sache keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können (CE 7. 6. 1940, Veuve Hoareau, Ree. 194; CE 11. 10. 1961, Clément, Ree. 559). Andererseits kann in sozialrechtlichen Fällen (Art. 6), für die die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig ist, der Akt nur aufgrund der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen und nicht im Hinblick auf Formfehler überprüft werden.
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren 3. Verfahren,
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bei denen das Dekret angewendet wird
Die Verwaltungsakte müssen von staatlichen Ämtern (services administratifs) oder Anstalten (établissements publiques) 387 erlassen werden. Ausgenommen sind gemäß dem Dekret die Akte der Strafvollzugs- und Schulbehörden. Die Nichtanwendung des Dekrets durch die Träger der Selbstverwaltung und ihrer Anstalten ist sehr problematisch, weil implizit sehr wichtige Teile der Verwaltungstätigkeit, und insbesondere die allgemeine Polizeibefugnis des Bürgermeisters, von den Regelungen der Verteidigungsgarantien ausgenommen werden 388 . Ebenfalls sehr problematisch ist die Ausnahme der privatrechtlich organisierten Verwaltungseinrichtungen (établissements publics industriels et commerciaux) 389 , weil auch sie in manchen Fällen zum Erlaß von Verwaltungsakten befugt sind 390 .
4. Adressaten der Verfahrensgarantien:
Betroffene
und Dritte
Der Kreis der Adressaten der Verfahrensgarantie des Art. 8 des Dekrets ist sehr weit ausgestaltet. Er erstreckt sich zunächst auf alle Personen, die ein Interesse an dem Verfahren haben, d.h. die natürlichen und juristischen Personen, Franzosen oder Ausländer, die von der Maßnahme betroffen sind. Zusätzlich sieht das Dekret vor, daß auch Dritte ("concernés") intervenieren und mündlich angehört werden können. Der Drittschutz ist jedoch nicht groß, weil der Text des Dekrets nur die mündliche Anhörung der Dritten zuläßt und 387 Über die juristischen Personen des öffentlichen Rechts im französischen öffentlichen Recht s. Roland Drago , Les crises de la notion d'établissement public, Paris 1950; René Connois , La notion d'établissement public en droit administratif français, Paris 1959; Christian Autexier , Landesbericht Frankreich, in: Cristian Starck (Hrsg.), Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Baden-Baden 1992, S. 129 ff (138 ff) mwN. Vgl. auch Rüdiger Breuer, Rechtsvergleichende Generalbericht, in: Starck, ibid, S. 15 ff (71 ff). 388 Grund für diese Ausnahme ist, daß die Regierung, die damals erfolgte Dezentralisierungsreform nicht durch überlastete staatliche Gesetzgebung gefährden wollte. Dazu Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 275. 389 Zum Begriff der "établissements (services public) industriel et commerciar s. Jean-Louis de Corail , La crise de la notion de service public en droit administratif français, Paris 1953, S. 25 ff. Über die Formen und die Funktion öffentlicher Unternehmer s. Jean-Denis Bredin, L'entérprise semi-publique et publique et le droit privé, Paris 1957; de Corail , S. 233 ff. Zu den Fragen der Unterscheidung zwischen juristischen Personen des öffentlichen und des Privatrechts in Frankreich s. Epaminondas Spiliotopoulos, La distinction des institutions publiques et des institutions privées en droit français, Paris 1959, S. 5 ff und passim. 390 Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 276.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
die Behörde nicht verpflichtet ist, schriftliche Stellungsnahmen anzunehmen391. Eine weitere Beschränkung stellt die Tatsache dar, daß die Verteidigungsrechte sich an dem Begriff der Akten, wie sie durch das Gesetz vom 11. 7. 1979 begründet werden, orientieren. Nach der Rechtsprechung des Staatsrats ist dieses Gesetz jedoch so konstruiert, daß nur belastende Akte schriftlich begründet werden, die jemanden unmittelbar betreffen 392 . Diese Rechte gelten nur, wenn der Betroffene 393 nicht ein Beamter oder sonstwie im Öffentlichen Dienst Beschäftigter ist, denn bei diesem findet das Dekret keine Anwendung 394 .
5. Inhalt der Garantien Bei dem Entscheidungsverfahren in bezug auf die im Dekret erwähnten Kategorien von Verwaltungsakten muß die Behörde dem Betroffenen die Chance geben, sich schriftlich dazu äußern zu können 395 . Dafür hat die Behörde eine angemessene Frist festzusetzen 396. Dritte haben das Recht, eine mündliche Anhörung beim zuständigen Beamten oder einer dazu bestimmten Person zu
391 Ministre de l'Interieur, Inspection générale de l'administration, Rapport sur la préparation de la mise en ouevre du décret du 28. 11. 1983 concernant les relations entre l'administration et les usagers, mai 1984 (Typoskript), S. 12, zit. nach Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 43. 392 S. z.B. CE 19. 1. 1990, Dame Bodin, Ree. Τ 553 = AJDA 1990, 93, 125, ehr. E. Honorat/E. Baptiste: Die Auflösung eines Gemeinderats ist nicht rechtswidrig, wenn die Garantien des Art. 8 des Dekrets von 1983 nicht beachtet wurde. Die Auflösung ist ein für die Gemeinde begünstige Verwaltungsakt, von der die Gemeinderäte nur mittelbar betroffen sind. 393 Betroffen kann auch eine Behörde sein, wenn sie Privaten gleichgestellt wird. S. z.B. TA Besançon 30. 1. 1985, Caisse d'allocations familiales de la Haute-Saône c. Mme Jacqueline C., RFDA 1985, 498, note F. Mallol (Anfechtung der Rücknahme einer Genehmigung des Ministers, einen Gewerkschaftler zu entlassen). 394 Es geht keineswegs um eine Minderung des Verteidigungsstandards für das Verwaltungspersohal. Das Verwaltungspersonal genießt weitgehende Garantien wie die des Art. 8 des Dekrets von 1984 im Rahmen des Beamtenstatuts und der verwandten Gesetze, nicht zuletzt durch Art. 65 des Gesetzes von 1905. 395 Dem Betroffene müssen die Anschuldigungen bekanntgemacht werden, nicht jedoch die gesamte Verfahrensakte. Dazu Delaunay, L'amélioration des rapports, S. 49. 396 Vgl. CE 26. 6. 1987, Fédération d'action nationale et européenne, Ree. 234 = AJDA 1988, 567, obs. X. Prétot = RDP 1988, 567, note J.-M. Auby = D. 1989, J. 168, note C. S.; CE 19. 1. 1990, Société française de revues, AJDA 1990, 93, ehr. E. Honorat/E. Baptiste.
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren
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beantragen 397. Das Recht auf mündliche Anhörung steht auch dem Betroffenen zu 3 9 8 . Es besteht keine Pflicht der Behörde, die Ergebnisse der Anhörung zu berücksichtigen 399. Die Behörde kann die mündliche Anhörung verweigern, wenn der Betroffene bereits mehrmals die Anhörung beantragt hat oder der Antrag offensichtlich einen Verfahrensmißbrauch darstellt 400 . Der Betroffene kann bei der mündlichen Anhörung von einem Bevollmächtigen (in den meisten Fällen einem Anwalt) unterstützt werden oder sich von ihm vertreten lassen.
6. Ausnahmen Die Behörde kann von den Garantien des Art. 8 des Dekrets von 1983 abweichen 401 , wenn ein Dringlichkeitsgrund 402 oder Ausnahmefall vorliegt 403 , es
397 In der Verwaltungspraxis tendiert die Behörde indes dazu, die Anhörung Dritter zu vermeiden. S. dazu M. Le Claince/C. Wiener, Du fatalisme au volontarisme, Revue française d'administration publique 1988, 89 ff. 398 Über das Verhältnis zwischen schriftlicher und mündlicher Anhörung und die Fristen für die Vorlage der schriftlichen Stellungnahme des Betroffenen gab es bei der Auslegung des Dekrets eine Kontroverse, weil im Text des Dekrets eine mündliche Anhörung nur zugunsten eines Dritten Erwähnung findet. Nach Ansicht von Auby, Le décret du 28. 11. 1983, S. 126 stellen die schriftliche und die mündliche Anhörung zwei verschiedenen Verfahren dar. Delvolvé , Des nouvelles modalités pour les actes administratifs unilatéraux, S. 141 betonte dagegen die Verbindung zwischen den beiden Anhörungsarten (ähnlich auch Bartélémy , Procédure administrative non contentieuse, Nr. 80). Ihm folgte der Staatsrat. Dazu CE 19. 1. 1990, Société française de revues, Ree. Τ 554 = AJDA 1990, 93, 124, ehr. E. Honorat/E. Baptiste. Diese Ansicht ist teleologisch richtig und auch in Hinblick auf die Auslegungsregel a maiore ad minus vertretbar. Im Verwaltungspraxis bestand auch unterschiedlichen Anhörungsmodalitäten. Während der Ministre de l'environnement (Instmetion vom 3. 1. 1985) ein förmlichen Anhörung mit Protokollführung abgeordnet hat, haben der Ministre des transport und der Ministre d'urbanisme (Circulaire Nr. 84-45 vom 12. 7. 1984) schlichten Telephongesprächen als genügend angesehen. Krit. dazu Bartélémy , Nr. 79. 399 Delaunay , L'amélioration des rapports, S. 49. 400 A contrario ist deshalb abzuleiten, daß mehreren Anträge auf Anhörung grundsätzlich zulässig sind. S. Bartélémy , Procédure administrative non contentieuse, Nr. 84. 401 Eine andere Ausnahme ist vom Gesetz von 1979 abzuleiten und betrifft die Geheimhaltungsvorschriften. 402 Vgl. CE 24. 1. 1990, Amon, AJDA 1990, 420, conci. M. de Saint-Pulgent (Dringlichkeit der Eröffnung eines Verfahrens, ein Bild zum historischen Denkmal zu erklären, da die Ausfuhr ins Ausland drohte). Anders als beim Gesetz von 1979 genügt die einfache Dringlichkeit des Vorhabens. 403
Dazu Bartélémy , Procédure administrative non contentieuse, Nr. 86 f, der dafür teleologische Erwägungen bringt.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
um die öffentliche Sicherheit und Ordnung (ordre public) 4 0 4 oder die auswärtigen Beziehungen geht und wenn das Verfahren von dem Betroffenen beantragt wurde 405 . Die letzte Ausnahme beschränkt den Anwendungsbereich des Dekrets erheblich, weil wichtige Kategorien von Akten, die nach dem Gesetz vom 11.7. 1979 begründungspflichtig sind, von den Verfahrensgarantien des Art. 8 ausgenommen werden 406 . Eine zusätzliche Beschränkung ist von der Rechtsprechung durch teleologische Reduktion entwickelt worden und betrifft die Verwaltungsakte in jenen Fällen, in denen die Verwaltung nicht nach Ermessen, sondern gebunden handelt 407 .
7. Ergebnis Art. 8 des Dekrets von 1983 hat keine neue Art von Verwaltungsverfahren eingeführt, sondern bestimmte Verfahrensstandards ausgestaltet, die subsidiär zu den bestehenden Verfahrensvorschriften anzuwenden sind 408 . Wenn die bestehenden Vorschriften schon ähnliche oder bessere Verfahrensgarantien enthalten, ist die Anwendung des Dekrets ausgeschlossen409.
«κ Vgl. CE 13. 6. 1990, Pentsch et Sari PUB 90, Ree. 161, 162 = JCP 1990IV, 279 (Schließung eines Gewerbes wegen Drogenhandels und Waffengebrauchs). 405 Vgl. CE 17. 1. 1990, SARL Touraine Editions Loisirs, Ree. 560; CE 30. 11. 1990, Ville d'Orléans, Ree. 339 = AJDA 1991, 118, chr. E. Honorat/R. Schwartz. Die Verweigerung der Garantien des Art. 8 des Dekrets von 1983 erscheint in diesem Fall als unbillig. Der Betroffene sollte angehört werden, wenn das Verfahren aus Gründen, die nicht in seinem Antrag enthalten sind, eine für ihn nicht positive Entwicklung nimmt. Nach TA Lyon 5. 10. 1989, Dame Bekkai, Ree. 449 = DA 1990, Nr. 140 ist auch das Verfahren, das durch ein recours gracieux gegen ein Verwaltungsakt eröffnet wird, ein Verfahren, das von dem Betroffenen beantragt wurde, auch wenn dieser Verwaltungsakt nach ein procédure contradictoire erlassen worden ist. Die Lösung erscheint als eher problematisch. 406 Hierzu gehören insbesondere die Verweigerung von Genehmigungen, die Einführung von Nebenbestimmungen in Verwaltungsakte, die Entscheidungen, die sich gegen eine Verjährung aussprechen, und die Verweigerung einer Begünstigung. Das Dekret findet dagegen Anwendung bei Maßnahmen, die die Freiheit einschränken, bei polizeilichen Maßnahmen, bei Sanktionen und bei der Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der Rechte begründet. 407 CE 30. 1. 1991, Société Route et Ville, DA 1991, Nr. 109 = JCP 1991 IV, 101. Der Staatsrat bezweckt, die Verwaltung von unnötigen Formalitäten zu befreien. 408 Chapus, Droit administratif, I, Nr. 1135-1. 409 So die Entscheidung des Großen Senats CE 8. 3. 1985, Garcia Henriquez et Deveylder (2 Urteile), Ree. 70 = AJDA 1985, 407, chr. S. Hubac/J.-E. Schoettl = RDP 1985, 1130, conci. Β. Genevois. In diesem Fall ging es um die Anwendung des Art. 8 des Dekrets von 1983 auf Auslieferungsverfahren von Ausländern. Da das Gesetz hier
§2 Geheimhaltung und Einsichtsrechte im Verwaltungsverfahren
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Die Entwicklung der Rechtsprechung der droits de la défense ist soweit gediehen, daß heute ein erhebliches Maß von Verwaltungsverfahren als "procédure contradictoire" gestaltet werden. Wenn die Verwaltungsmaßnahmen, die eine Sanktion wegen Disziplinierung oder infolge einer allgemeinen Beurteilung beinhalten, sowie die Maßnahmen, die in bezug auf die Person entschieden werden, von der Rechtsprechung der Verteidigungsrechte erfaßt werden, bleiben nur die polizeilichen Maßnahmen übrig. Diese sind aber nach Einbeziehung der staatlichen Polizeibefugnisse in das Dekret von 1983 allein auf die Maßnahmen beschränkt, die in bezug auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung getroffen werden 410 . Übrig bleiben einige Kategorien von Maßnahmen, die keine Sanktion enthalten und nicht in bezug auf die Person getroffen werden. Hierzu gehören vorrangig die Maßnahmen, die die Verwaltung der öffentlichen Unternehmen 411 oder der öffentlichen Sachen (domaine public) 4 1 2 betrifft.
ein besonderes Verwaltungsverfahren vorsieht (Gesetz vom 10. 3. 1927) und dieses die Verteidigungsrechte des Betroffenen schützt, besteht kein Grund, das Dekret von 1983 anzuwenden. Ähnlich CE 6. 11. 1985, Hollecker, DA 1984, Nr. 575. S. auch CE 10. 6. 1988, Ministre du Travail c. Votion, Ree. Τ 580, 1053 (Genehmigung von Entlassungen von Arbeitern nach dem Code du Travail); CE 24. 1. 1990, Amon, Ree. 13 = AJDA, 420, conci. M. de Saint-Pulgent (Klassifizierung als historisches Denkmal durch Dekret); CE 13. 11. 1992, Grosjean, Ree. 402 = RDP 1993, 1114 = RFDA 1993, 211 (Commission nationale des comptes de campagne); CE 19. 4. 1991, Préfet de police de Paris c. Demir, Ree. 148 = D. 1991, J., 406, note X. Prétot = AJDA 1991, 641, conci. A.-M. Leroy = JCP 1992, II, Nr. 21832, note P. Icard (Ausweisung von Ausländem an den Grenzen unter Achtung der Verfahrensgarantien des Gesetzes vom 2. 8. 1989 und des Gesetzes vom 10. 1. 1990 - contra früher unter der geringeren Verfahrens Standards des Gesetzes vom 9. 9. 1986: TA Paris 27. 2. 1989, Dlle Mohindee, JCP 1990 IV, 76 und CE 11. 7. 1990, Ministre de l'Interieur c. Dlle Mohindee, Ree. 212 = AJDA 1990, 744, ehr. E. Honorat/R. Schwartz = D. 1991, J., 68, note X. Prétot). 410 Vgl. VedeUDelvolvé , Droit administratif, I, S. 285. 411
Vgl. CE 16. 4. 1986, Société méridionale de participations bancaires, industrielles et commerciales, Ree. 92 = AJDA 1986, 294, chr. M. Azibert/M. Fornacciari (Einschätzung des Wert einer verstaatlichten Bank). 4 '2 Vgl. CE 23. 6. 1986, Thomas, Ree. 167 = RFDA 1987, 194, conci. Β. Stirn. Zu diesem Verwaltungszweig s. Herbert Hardinghaus, Öffentliche Sachenherrschaft und öffentliche Sachverwaltung, Eine Untersuchung des deutschen Rechts der öffentlichen Sachen verglichen mit dem französischen Recht des domaine public, Berlin 1966; Willrich lpsen y Theorie und Recht des domaine public, Das öffentliche Sachenrecht in Frankreich, Diss. Göttingen 1969.
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Frankreich
§ 3 Einsicht i m Rahmen öffentlicher Untersuchungen Eine der Besonderheiten des französischen Verwaltungsverfahrensrechts stellt die Durchführung von öffentlichen Untersuchungen ( CADA V, 60 f. 392 Zugänglich sind die Berichte über die Prävention von Umweltverschmutzungen sowie die im entsprechenden Verwaltungsverfahren getroffenen Maßnahmen (Vgl. CADA V, 61), die Verwaltungsverträge für Konzessionen an Private mit ihren Anlagen zur Schutz der Umwelt (CADA Avis 10. 7. 1986, Association de défense des intérêts de Saint-Cyprien, CADA V, 61), Stellungnahmen zur Lage der Anwendung der Umweltgesetzgebung (Vgl. CADA Conseil 17. 3. 1983, Ministère de l'Environnement, CADA V, 61. Vgl. auch CADA V, 62), Akten über die Genehmigung von umweltgefährdenden Anlagen (CADA V, 62), die Anzeige von industriellen Anlagen (CADA 14. 1. 1982, Cu vier, CADA V, 62 - unter der Voraussetzung, daß sie nicht Teil eines laufenden Verfahrens sind und daß dies keine Verletzung des Betriebsgeheimnisses darstellt: CADA Conseil 4. 8. 1986, Préfecture de la Mayenne und CADA Avis 12. 3. 1987, Les Amis de la terre de Meaux, CADA V, 62).
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Teil I: Geheimhaltung und Akteneinsicht in
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Messungen der Immissionen von genehmigungsbedürftigen Anlagen zugänglieh . Dies gilt auch für Atomkraftwerke Im Bereich des Bauplanungsrechts ermöglicht das Gesetz vom 17. 7. 1978 die Einsicht in alle Dokumente des Bauplanungsverfahrens 395. Die Akten in Zusammenhang mit der Vorbereitung des Entwurfs des Bebaunungsplans sind zu-jQi vyj gänglich unter der Voraussetzung, daß der Entwurf fertig ist . Sonst sind sie als unzugängliche vorbereitende Dokumente anzusehen. Zugänglich sind auch die Verträge zwischen der Gemeinde und dem Staat über die technische Unter-
393
Prieur , Droit de Γ environnement, Nr. 103; CADA V, 63 f. Insbesondere sind alle Resultate der sehr häufig (z.B. täglich) vorgenommen Messungen über das Maß der Umweltverschmutzung, die in Form von monatlichen oder trimestriellen Berichten zusammengefaßt werden, sowie die trimestriellen oder monatlichen Messungen über die Umweltverschmutzung zugänglich, wenn die Bekanntmachung das Betriebsgeheimnis nicht gefährdet. Dies gilt nicht, wenn die Einsicht vergangene Messungen betrifft oder wenn eine rechtliche Pflicht zur Bekanntmachung besteht. 394 Die CADA schränkt dies jedoch ein. S. dazu Prieur , Droit de Γ environnement, Nr. 104. Die CADA hat beispielsweise die Einsicht in den Sicherheitsbericht des Atomkraftwerks Chooz (CADA 4. 2. 1982) sowie der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague (CADA 4. 3. 1981, Β. Lalonde) unter Berufung auf das Interesse der Staatssicherheit und der öffentlichen Sicherheit sowie des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses verneint. Andererseits hat die CADA das Umweltministerium aufgefordert, die erforderlichen Publikationsmaßnahmen zu treffen, um die Information der Öffentlichkeit mit den Geheimhaltungsinteressen in Einklang zu bringen. S. CADA II S. 181. Im Rahmen der Information über die Unfälle ist die CADA jedoch liberaler (CADA 23. 12. 1982) und sieht die Berichte der Enquêtes nach Unfällen oder Zwischenfällen mit Ausnahme derjenigen, die das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gefährden, als zugänglich an. 395 Zugänglich sind beispielsweise: die Schlußfolgerungen des Commissaire-Enquêteur betreffend eine Enquête über eine Enteignung (CADA 4. 2. 1982, Association pour la protection de l'environnement et l'amélioration de l'habitat à Sermaise; CADA 6. 5. 1981, Bonnet); Pläne und Berichte des Enteignungsverfahrens (CADA 4. 5. 1981, Doury - von der Verwaltung gegenteilig entschieden); Pläne und Annexdokumente der Raumordnung und Bebauung (CADA 4. 3. 1982, Association pour la défense des sables, des buttes et des tuilleries); vorbereitende Dokumente einer POS (CADA 20. 5. 1981, Auburtin - von der Verwaltung gegenteilig entschieden); Dokumente über die Straßensignale (CADA 20. 5. 1981, Borniche - von der Verwaltung entgegen entschieden); Kopien von Bauplänen (CADA 12. 11. 1980, Ferrière); Sonstige administrative Dokumente betreffend die temporäre Benutzung öffentlicher Sachen (CADA 10. 6. 1981, Govys); Sitzungsberichte einer administrativen Gruppe zur Vorbereitung einer POS (CADA 24. 9. 1981, Lidolf); Brief des Departementsdirektors über die allgemeine Lage der Bauentwicklung einer Gemeinde (CADA 14. 1. 1981, Masson); POS (CADA 4. 3. 1982, Mazeaud); sonstige Dokumente betreffend die Vorbereitung einer ZAC (CADA 10. 6. 1981, Moreau). 39 * CADA V, 65. 397 CADA Conseil 13. 3. 1986, Commune de Plailly, CADA V, 65.
§5 Das allgemeine Zugangsrecht
2
Stützung der Gemeinde bei Planungsvorhaben 398. Während der ênquete publique ist die Einsicht nur über die baurechtlichen Vorschriften gestattet399. Die Akteneinsicht in Stellungnahmen anderer Behörden oder Privater in öffentlichen Registern ist aber auch dann möglich 400 . Die Einsicht in den Bericht des Untersuchungskommissars ist erst nach Abschluß des Verfahrens möglich 401 . Die Einsicht erstreckt sich dann ebenfalls auf alle technischen, graphischen oder sonstigen Dokumente 402 . Das abgeschlossene POS mit seinen Anlagen ist immer zugänglich 403 . Zugänglich sind auch die Listen der Bauleitpläne einer Region, die Raumordnungsdokumente und die Flächennutzungspläne (Schémas directeurs) m. Die Einsicht in die Akten über die Verwirklichung der Pläne ist auch möglich. In der Praxis hat die Einsicht in die Dokumente und Berichte der enquête publique während des Enteignungsverfahrens besondere Bedeutung 405 . Andere Maßnahmen der Planverwirklichung sind ebenfalls oft Gegenstand von Einsichtsanträgen. Erwähnenswert sind besonders die Dokumente in bezug auf die staatlichen Bauinterventionen in Form der Erklärung einer ZAC sowie die Umlegung, die Baukonzessionen, die Konzessionen an öffentlichen Sachen und die Tätigkeiten von Entwicklungsträgern 406 . Gemeinnützige Bauvorhaben sind ein beliebter Gegenstand von Akteneinsichtsanträgen 407. In den meisten Fällen bleiben sie jedoch erfolglos 408 , weil es sich um vorbereitende Dokumente handelt 409 . Positiver sind die Ergebnisse bei
398
CADA Avis 10. 1. 1985, Association Les amis de la terre du Val-de-Seine, CADA V, 65. 399 Art. L 121-1 ff Code d'urbanisme. Dazu CADA Avis 20. 2. 1986, Lecoq, CADA V, 65. ^ s. CADA V, 65. 401
CADA Conseil 9. 1. 1986, Commune de Mimet und CADA Avis 30. 4. 1987, Bo, CADA V, 65. Es spielt keine Rolle, ob der Bericht später aufgehoben wurde. S. CADA Conseil 11.9. 1986, Préfecture du Jura, CADA V, 66. 402 CADA Conseil 5. 6. 1986, commune d'Angoulème und CADA Avis 12. 9. 1985, Sylva, CADA V, 65. «» CADA V, 66. Eingehend CADA V, 66 mwN. 405 Ausführlich CADA V, 66 f. Die "Rechtsprechung" der CADA hat viele Nuancen, weil viele der angefragten Dokumenten vorbereitende Charakter haben. Dazu CADA V, 67 ff. 407 Vgl. z.B. CADA 17. 3. 1983, Compagnie technique et financière, CADA V, 69 (Akte über eine neue Ferienanlage). Andere Beispiele CADA V, 69. 408 S. beispielsweise CADA Avis 5. 7. 1984, Chance, CADA V, 69 (Finanzierung eines geplanten Gemeindebads). 4» CADA V, 69.
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Einsichtsanträgen zu Wasserverteilungsplänen mit ihrer Anlage 410 sowie zu Akten in bezug auf Straßenbauvorhaben 411. Unter der Vielfalt der administrativen Dokumente im Bereich des Bauordnungsrechts, die zugänglich sind 412 , verdienen besonderes die Katasterdokumente 413 , die Baugenehmigungen sowie alle Akten, die in Zusammenhang mit einem Baugenehmigungsverfahren stehen, Erwähnung 414 .
410 s. CADA V, 70 mwN. 4M Eingehend CADA V, 70. 412 Zugänglich sind z.B.: Dienstberichte über Vorschriftenverstöße während der Konstruktion (CADA 12. 11. 1980, Audureau); Bericht, in dem die Gründe der Ablehnung eines Konformitätszertifikats dargestellt werden (CADA 1.4. 1981, Aufort); Kopie der in der Ablehnung einer Baugenehmigung erwähnten Gutachten (CADA 14. 1. 1981, Beaugiraud); technischer Bericht über die Konformität einer privaten Wohnung mit Bauvorschriften (CADA 4. 3. 1981, Bollet); Stellungnahme der Baukommission ( Commission d'Urbanisme ) betreffend die Ablehnung einer Baugenehmigung (CADA 12. 11. 1980, Bosquet); Benachrichtigung eines Dritten über den Beginn der Bauarbeiten nach Erteilung der Baugenehmigung (CADA 10. 12. 1981, Defer); Dossier des Antragstellers betreffend seinen Antrag auf Zustimmung der Architektenkammer (CADA 10.6. 1981, Dusserme Telmon. Vgl. auch CADA 10. 12. 1980, Gras); Petition gegen ein Bauprojekt der Antragsteller (CADA 14. 1. 1982, Ferraro et Sibellas - mit Anonymisierung); Antrag des Pächters auf Genehmingung einer Nutzungsänderung (CADA 19. 11. 1981, Maillard); Berichte der Commission d'agrément en Architecture betreffend den Antragsteller (CADA 4. 3. 1982, Mme Ducros); Dossier über eine Baugenehmigung erstellt von einem interessierten Dritten (CADA 10. 6. 1981, Revert); Dokumente betreffend die Konstruktion eines Gebäudes (CADA 11.2. 1981, Vasse Robiaud). 413 Die Einsicht steht auch Dritten zu. S. CADA Avis 30. 4. 1987, Société des travaux dauphinois, CADA V, 71. 414 Dazu CADA V, 71 ff. Zugänglich sind auch Dokumente in bezug auf den Abriß von Gebäuden.
Teil II
Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
"Es bedarf keiner näheren Begründung, daß die öffentliche Verwaltung nur dann rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten kann, wenn sichergestellt ist, daß über die dienstlichen Vorgänge von seiten der Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Stillschweigen gewahrt wird". BVerfGE 28, 191 (198) = NJW 1970, S. 1498.
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit I. Geschlossenheit der Exekutive als historisch geprägtes Element deutscher Verwaltungstätigkeit Die deutsche Verwaltung hat eine lange Tradition der Geheimhaltung1, die unmittelbar auf Genese und Entwicklung der deutschen Staatlichkeit zurückzuführen ist. Die vordemokratische Entstehung der Tradition liegt vor der Grenze der Dogmen des Konstitutionalismus und geht auf die Verfassungsstrukturen Deutschlands im Ausgang des Mittelalters zurück 2. Bereits damals wurde die 1
Vgl. nur Peter Düwel, Das Amtsgeheimnis, Berlin 1965, S. 16. Vgl. dazu Walter Leisner, Der unsichtbare Staat, Berlin 1994, S. 65 ff; im allgemeinen Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969. Die geschichtlichen Wurzeln der Geheimhaltung der Verwaltung liegen im Mittelalter. Kennzeichen der Entwicklung ist die Ersetzung des im feudalen Recht geltenden Akkusationsprozesses, der germanischer Herkunft ist und öffentlich durchgeführt wurde (Dazu Lucian Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, Stuttgart 1979, S. 11 ff; derselbe, Öffentlichkeit, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 413 ff [417 ff]) durch den im kanonischen Recht üblichen und unter Geheimhaltung laufenden inquisitorischen Prozeß. Dazu JeanMarie Auby, Hacia la "Transparencia" de la Administración en Francia, Revista de Administración Publica 95/1981, S. 315 ff. Zur Synthese des ius civile und des ius cano2
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
nicum und der Entstehung des römisch-kanonischen Prozesses s. Adriano Cavanna , Storia del diritto moderno in Europa, I, Le fonti e il pensiero giuridico, Milano 1979 (Neuedruck 1982), S. 83 ff Die wesentlichen Merkmalen des kanonischen Prozesses in der katholischen Kirche (vgl. heute c. 1642 ff CIC) sind die Geheimhaltung (die Gerichtsverhandlungen finden unter Ausschluß der Öffentlichekeit statt) und das Schriftlichkeitsprinzip (das Urteil darf sich nur auf den Inhalt der Prozeßakten stützen - Quod non est in actis non est in mundo). Dazu statt vieler Oskar Kühn/Joseph Weier, Kirchenrecht, Heidelberg 1986, S. 110; Adalbert Erler, Kirchenrecht, 5. Aufl., München 1983, S. 160 ff. Für die moderne Verwaltung ist besonders die Rezeption des römischen-kanonischen Prozesses in Frankreich von Bedeutung (dazu John P. Dawson , A History of Lay Judges, Cambridge/Ma 1960, S. 44 ff), weil ihre Prinzipien (besonders die Inquisition und die Geheimhaltung) auf das Verfahren bei der Ausübung von Verwaltungstätigkeiten übertragen wurden (vgl. Auby, Hacia la "Transparencia" de la Administración en Francia, S. 315). Es ist auch daran zu erinnern, daß in dieser Epoche die Trennung zwischen Justiz und Verwaltung nicht vollzogen war. So war die Geheimhaltung der Verwaltungsentscheidungen im Verfahren vor den "Parlements " zu achten (John P. Dawson , The oracles of the law, Ann Arbor 1968 (Neuedruck 1973), S. 301 ff) und die Urteile und Verwaltungsbeschlüsse waren nicht zu begründen (vgl. Tony Sauvel, Histoire du jugement motivé, RDP 1955, S. 1 ff [18 ff] - Es ist zu beachten, daß in Frankreich die Begründung von Verwaltungsakten grundsätzlich nicht erforderlich ist). Die Entwicklung ist mit der Rezeption von Vorbildern der römischen Kurie verbunden. Die römischen bürokratischen Traditionen haben in der Verwaltung der katholischen Kirche überlebt (Otto Hinze, Der Beamtenstand, in: derselbe, Soziologie und Geschichte, 2. Aufl., Göttingen 1964, S. 66 ff [79]) und wurden von der königlichen Verwaltung übernommen. Zurecht betont Roland Mousnier, Conclusion générale, in: Werner Paravicini/Karl Ferdinand Werner (Hrsg.), Histoire comparée de l'administration (IVe-XVIIIe siècles), Zürich, München 1980, S. 615 ff (618), daß "c'est le droit canon, ce sont les pratiques de la chancellerie romaine, qui inspirent souvent les Conseils royaux". Diese Entwicklung auf administrativer Ebene ist noch ein Ausdruck des langen Prozesses der Rezeption. "Das kanonische Recht setze die Gültigkeit des römischen voraus" (R. Stintzing, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 1, München, Leipzig 1880, S. 5). Die Verwaltung bestand aus Juristen (Legisten), die an den Universitäten römisch-kanonisches Recht studiert hatten (vgl. Hinze, Der Beamtenstand, S. 83 ff). Sie waren bereit, nach den Vorbildern der kirchlichen Verwaltung zu handeln. "Der Einfluß von Ideen geht immer über Menschen. Daher ist es wichtig, sich daran zu erinnern, daß in Europa seit dem Spätmittelalter die öffentliche Dinge, die Verwaltung und Politik, überwiegend in den Händen von Juristen gelegen haben, und daß seit der Antike das Recht als das entscheidende Steuerungsmittel in Staat und Gesellschaft betrachtet worden ist" (Helmut Coing, Das Recht als Element der europäischen Kultur, Historische Zeitschrift 238 [1984], S. 1 ff [13]). Das kanonische Recht war der "Führer auf dem Wege zur Rationalität" (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 481). Der Anteil der kirchlichen Jurisprudenz an der Ausbildung des modernen staatlichen Rechtssystems ist erheblich. Dazu Sergio MochiOnory, Fonti canonistiche dell'idea moderna dello Stato, Milano 1951; Dieter Wyduckel , lus Publicum, Berlin 1984, S. 91 ff mwN; Le Bras, Les origines canoniques du droit administratif, in: L'évolution du droit public, Mélanges offertes à Achille Mestre, Paris 1956, S. 395 ff; Legendre, La royauté du droit administratif, S. 701 ff; Jean-Louis Mestre, La contribution des droits romain et canonique à l'élaboration du droit administratif, AEAP 1982, S. 925 ff. Insbesondere die Binnenstruktur der Kirche diente als
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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Geheimhaltung mit der Amtsverschwiegenheit der Beamten gekoppelt3, die den Beamten verpflichtete, "bei seinen Dienstgeschäften die erforderliche Verschwiegenheit zu beobachten"4. In Deutschland war es aufgrund der quasi-föderalen Strukturen, die damals herrschten, nicht möglich, den Staatsgedanken und das Souveränitätsdogma vollständig durchzusetzen. Anders als in Frankreich gab es in Deutschland keine wirklich souveränen Herrscher 5. Die Landesherren waren Legitimationsträger, allerdings in ihrer persönlichen Eigenschaft, weil sie nicht auf ihre Identität mit dem Staat verweisen konnten. Die Geheimhaltung war damit nicht wie in Frankreich institutionalisiert, sondern berührte die persönliche Beziehung zwischen dem Landesheim und seinen Dienern. Die Geheimhaltung ist eine Folge dieses persönlichen Verhältnisses zwischen dem Landesherrn und seinen Beamten. Damit wurde sie zunächst als Teil der Beamtenethik, als Beamtenpflicht, angesehen und entsprechend behandelt6. Was zunächst als moralische Vorbild staatlicher Organisation. Dazu Wyduckel, lus Publicum, S. 96 ff. In diesem Sinne auch Reinhart Koselleck, Verwaltung, Amt, Beamter - Einleitung, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 1 ff (2 f), der auch zurecht auf die Unerläßlichkeit struktureller Analogien und funktioneller Äquivalente zwischen dem damaligen und dem heutigen, stark aus dem Staatsverständnis heraus geprägten, Verwaltungskonzept hinweist. 3 Vgl. z.B. für Brandenburg die Khurfürstlichen-Ordnung der Kantzley des Kammergerichts zu Berlin (1562): "Es sollen auch die Secretarien und Schreiber,... alles was von unseren und anderen Sachen in die Kantzley kommt, verschweigen und geheim halten, und dasselbe, wie bisher geschehen, nicht ausbreiten" (zit. nach Heinz RichterBrohm, Die Verschwiegenheitspflicht des Beamten, Diss. 1927, S. 27). Es gibt eine Fülle ähnlicher Gesetzestexte aus Preußen (s. Richter-Brohm, S. 27 ff), wie z.B. den sog. Büchsenmeistereid für die Kurfürstlichen Brandenburgischen Festungen vom 1.1. 1672, den Eid der Protonotare und der Gerichtsschreiber in der Neumärkischen Kammergerichtsordnung vom 11. 12. 1700, § 19 Kammergerichtsordnung vom 1. 3. 1709, §§ 2, 18,40, 68 Preußische Allgemeine Gerichtsordnung vom 6. 7. 1793, Rescriptum vom 16. 11. 1798. Der Kerngedanke dieser Vorschriften war, daß "es [] zu den unbezweifelten allgemeinen Pflichten der Diener des Staates [gehört], daß sie ... über Verfügungen ... und Amtsgeheimnisse ein gewissenhaftes Stillschweigen beobachten" (Rescriptum vom 1798, zit. nach Richter-Brohm, S. 31). 4 Revidiertes Ostpreußisches Landschafts-Reglement vom 24. 12. 1808 (Text zit. nach Richter-Brohm, Die Verschwiegenheitspflicht, S. 30). 5 Es ist vielleicht kein Zufall, daß der Aufstieg von Juristen in der Verwaltung in Deutschland später als in Frankreich erfolgte und insbesondere nach 1500 durch die Reformation in Gang gesetzt wurde. Dazu Gerald Strauss , Law Resistance and the State, Opposition to Roman Law in Reformation Germany, New Jersey 1986, S. 140 ff. Zu dem daraus resultierenden Einfluß des römischen Rechts auf die Verwaltungspraxis der Territorialen Staaten vgl. John Gagliardo , Germany Under the Old Regime, 1600-1790, London, New York 1991, S. 95 f. 6 Vgl. dazu Michael Stolleis, Grundzüge der Beamtenethik (1550-1650), Die Verwaltung 1980, S. 447 ff = derselbe, Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frank-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Verpflichtung verstanden wurde, wurde mit der Rechtsentwicklung zur verbindlichen Rechtsregei 7. Die Geheimhaltung war ein Instrument des Landesherren, um seine Entscheidungen durchzusetzen8 und seine Entscheidungsunabhängigheit gegenüber dem Reich und seinen eigenen Ständen9 zu schützen. Da in Deutschland der Begriff der Staatlichkeit mit der Entwicklung des Berufsbeamtentums eng verbunden ist 10 , sind die Geheimhaltungspflichten der Beamten tief in der Verwaltungstradition des Landes verwurzelt. Die Geheimhaltungspraxis wurde als etwas Selbstverständliches angesehen und hat so alle späteren politischen Wandlungen überstanden 11. Die eigentliche Natur des Grundsatzes der Geheimhaltung ist nicht klar. Man kann entweder von einem fürt a.M. 1987 ff (223 ff) = derselbe, in: Roman Schnur, Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 273 ff (295) mwN. 7 Die Grenzen zwischen positivem Recht, ethischen Regeln und Naturrecht sind geschichtlich geprägt. Zur Entwicklung allgemein vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Rechtsbegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, Archiv für Begriffsgeschichte 12 (1968), S. 145 ff. 8 So sagt Carl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat, Hrsg. von Hermann Conrad und Gerd Kleinheyer, köln, Opladen 1960, S. 475, wenn er die Vorteile der absoluten Monarchie darstellt, daß "sie [] den zuverlässigsten und nachdrücklichsten Schutz gegen auswärtige Feinde vermöge der Gleichförmigkeit, Geheimhaltung und schnellen Ausführung ihrer Beschlüsse gewährt". Dazu Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 130 ff. Vgl. auch Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 3. Aufl., Stuttgart 1981, S. 27 f. Die Geheimhaltung ist somit als Teil der absoluten Monarchie zu verstehen. Zur autoritären Tradition als Grund für die Geheimhaltung der Verwaltung s. Auby, Hacia la "Transparencia" de la Administración en Francia, S. 316. 9 Zur Geheimhaltung des absolutistischen "Etats" (Haushalts) eingehend Reinhard Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, Göttingen 1976, S. 76 f. 10 Zur Genese und Bedeutung des BeamtentumsΓ fonction public" s. Κ Ο. Frh . von Aretin, Der Aufgeklärte Absolutismus, Köln 1972, S. 24 ff; B. Wunder, Privilegierung und Disziplinierung, Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg, München, Wien 1978. Vgl. auch Horst Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen 1991, S. 36 ff; Roland Mousnier, La fonction public en France du début du XVIe siècle à la fin du XVIIIe siècle, Revue Historique 261 (1979), S. 321 ff. 11 Das Überleben der Geheimhaltungspraxis kann wahrscheinlich auf zwei Gründe zurückgeführt werden. Der eine ist, daß sie von den großen Änderungen des Systems des öffentlichen Rechts, die aufgrund der Entstehung des Interventionsstaates stattfanden (vgl. Michael Stolleis, Die Entstehung des Interventionsstaates und das öffentliches Recht, ZNR 1989, S. 128 ff), nicht unmittelbar betroffen wurde, weil diese Änderungen vorrangig die Einarbeitung neuer Formen staatlichen Handelns betrafen. Der zweite Grund ist ein politischer. Durch die Durchsetzung des parlamentarischen Systems wurde die Macht der Exekutive auf die von der Mehrheit der Abgeordneten gestützten Regierung konzentriert. Die Regierung hatte dabei kein Interesse daran, auf die Vorteile der Geheimhaltung zu verzichten, insbesondere da dies in einer Massendemokratie vorrangig die Oppositionsgruppen durch Informationen unterstützt.
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gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz sprechen oder von einem Herkommen 12 . Die Bestimmung der Rechtsnatur dieses Grundsatzes hat jedoch nur theoretische und geringe praktische Bedeutung13, weil in allen Fällen die so bestehenden Grundsätze durch einfaches Recht aufgehoben werden können.
I I . Geheimhaltung und Akteneinsichtsrechte in der Rechtsprechung 7. Die Position der Rechtsprechung und ihre Aufnahme in die Lehre Nach der Rechtsprechung ist die Aktenöffentlichkeit zulässig, wenn sie ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, hat die Verwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einsichtsgewährung zu entscheiden14. Ähnliches gilt bei der Gewährung von Auskünften 15 . Diese Meinung 12 Unter Herkommen versteht man eine in langer Tradition gefestigte Praxis, die jedoch keinen spezifischen Rechtswert hat. Dazu Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 57; Fritz Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., Tübingen 1928, S. 84. Zu den Begriffen Gewohneheitsrecht, Herkommen, Observanz s. allgemein Ferdinand Regelsberger, Pandekten, Leipzig 1893, S. 99 ff; Celsus 1. 39 D. 1,3. Als Beispiele des Herkommens wird im früheren Recht § 54 PreußSchulordnung vom 11. 12. 1854 (dazu PrOVGE 55, 200) genannt. Als Beispiel für eine Observanz wird häufig § 3 des Preußischen Gesetzes über die Reinigung öffentlicher Wege erwähnt. Zum Gewohnheitsrecht als Quelle des Verwaltungsrechts s. PrOVGE 5, 160; E 7, 158; E 16, 282; E 45, 174; BVerwGE 8, 321. Dazu Wilhelm Merk, Deutsches Verwaltungsrecht, I, Berlin 1962, S. 331 ff; Ernst Höhn, Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht, Bern 1960 (mit Bespr. Franz Mayer, AöR 1961, S. 496 ff). Zur Role der Tradition s. Alexander Blankenagel, Tradition und Verfassung, Baden-Baden 1987, S. 167 ff und passim. 13 Zur Unterscheidung zwischen Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheit s. Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2. Aufl., Einsiedeln, Zürich, Köln 1948, S. 60 f. " BVerwGE 5, 95; E 7, 153; E 12, 296 (297); E 15, 132; E 19, 128; E 30, 154 (156); E 36, 134; E 49, 89; E 68, 300 = DVB1. 1984, 56 = NVwZ 1984, 445; E 69, 278 = NJW 1984, 2590 = BayVBl. 1985, 221 = DVB1. 1984, 1078; E 84, 375; BVerwG, DöV 1958, 706 = NJW 1958, 1837; BVerwG, DöV 1964, 438; BVerwG, DVB1. 1965, 648; BVerwG, Buchholz 316 § 29 VwVfG Nr. 8; BVerwG, NJW 1981, 535 = DVB1. 1981, 683; BVerwG, DVB1. 1984, 1078; OVG Koblenz, AS 3, 134; VGH Stuttgart, DVB1. 1956, 487 = BWVB1. 1956, 42 = DöD 1956, 42; VGH Stuttgart, VerwRspr. 10, 158; VGH Stuttgart, ESVGH 7, 145; OVG Münster, OVGE 14, 199 = DöV 1959, 189; BayVfGHE n.F. 13 II, 80 = DVB1. 1960, 806; OVG Münster, DB 1963, 960; VGH Kassel, ESVGH 11, 67 = JZ 1965, 319, mit Anm. P. Dagtoglou; OVG Münster, JZ 1966, 77 = MDR 1966, 84; VGH Kassel, ESVGH 12, 67; OVG Lüneburg, DVB1. 1967, 859; OVG Münster, JZ 1973, 242; OVG Lüneburg, NJW 1973, 638; VGH Mannheim, DVB1. 1974, 817; OVG Hamburg, NJW 1983, 2405; VGH München, BayVBl 1988, 19 Trantas
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
wird von der herrschende Lehre im Schrifttum mit der zusätzlichen Bemerkung, daß es außerhalb des Verwaltungsverfahrens kein Akteneinsichtsrecht gibt 16 , gebilligt 17 .
404; LSG Berlin, 9. Senat, Urteil vom 6. 12. 1989, Az: L 9 Kr 58/88 (zit nach Juris); OVG Münster, NJW 1989, 544 = BauR 1989, 74; OLG Hamm, MDR 1950, 355; VG Braunschweig, RDV 1986, 213; HessVGH, Deutsche Verwaltung 1949, 658; BezVG Berlin (britischer Sektor), NJW 1947/48, 280; bereits SächsOVG, Jahrb. 4, 132 (133) und Jahrb. 5, 294 (295). Vgl. auch BayVerfGHE n.F. 13 II, 80; VG Bremen, NJW 1958, 1795, mit Anm. Chemnitz sowie § 12 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung vom 1958, § 11 I S. 3 des 1. Gesetzes zur Neuordnung und Vereinfachung der Verwaltung von NRW und § 88 VwVfG SchlH a.F. Die Entscheidungen sind nach Einführung des § 29 VwVfG weniger geworden, weil dieser ein Akteneinsichtsrecht für das Verwaltungsverfahren vorsieht. Die Rechtsprechung ist jedoch für diejenigen Verfahren, in denen § 29 VwVfG und andere Vorschriften die Akteneinsicht nicht zulassen, weiterhin interessant. Der wohl wichtigste solcher Fälle betrifft das Steuerverwaltungsverfahren. Dort steht die Einsicht der Akten im Ermessen der Finanzbehörde. S. BFHE 143, 503. Dazu Klaus Tipke/Heinrich Wilhelm Kruse, AO/FGO, Köln (Losebl., 14. Aufl., 1993), § 91 AO, Rdn. 2; Franz Klein/Gerd Orlopp, AO, 5. Aufl., München 1995, § 91, Rdn. 2. is BVerwG, DöV 1965, 488; OVG Münster, ZBR 1964, 287. Verhandlungen des 44. DJT (1962), Bd. 2/D 2. Abt., Tübingen 1962, S. 106. ,7 Peter Badura, Das Verwaltungsverfahren, in: Hans-Uwe Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin, New York 1995, S. 415 ff (460), § 37, Rdn. 20; Peter-Michael Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, Heidelberg 1992, S. 153; Paul Stelkens, Verwaltungs verfahren, München 1991, Rdn. 289; Bonk, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs, VwVfG, 4. Aufl., München 1993, § 29, Rdn. 14; Peter Weides, Verwaltungsverfahren und Widerpruchsverfahren, 3. Aufl., München 1993, S. 134; v. Mutius, in: Peter Krause/Albert v. Mutius/Joachim Siewert, Gemeinschaftskommentar zum SGB - Verwaltungs verfahren, Neuwied, Frankfurt a.M. 1991, § 25, Rdn. 1; Egon Schunk/Hans De Clerk, VwGO, 3. Aufl., Siegburg 1977, § 100, Anm. 2a; Hans Julius Wolff/Otto Bachofi Verwaltungsrecht III, 4. Aufl., München 1978, § 156 IVe; Ingo Voigt, Das Recht auf Einsicht in die Akten der Verwaltungsbehörden unter vergleichender Darstellung des Rechts auf Einsicht nach dem schwedischen Pressefreiheitsordnung, Diss. Hamburg 1957, S. 6 ff, 19; Schreier, Die Akteneinsicht im Sozialrecht, Sgb 1957, S. 195 ff (195); Karl Zeidler, Empfiehlt es sich, die bestehenden Grundsätze und Zusagen in der öffentlichen Verwaltung beizubehalten?, Verhandlungen des 44. DJT (1962), Gutachten, Bd. 1, Teil 2, Tübingen 1962, S. 89, Nr. 2; Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 114; Hans-Ulrich Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, Berlin 1971, S. 161 ff (vgl. S. 138 ff); Michael Fellner, Zur Regelung des Verwaltungsverfahrens in den Länder, VerwArch 1957, S. 95 ff (104); Joachim Kratzer, Nochmals: Zum Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, BayVBl. 1965, S. 15 ff (16); Gerd Beinhardt, Die Verpflichtung der Behörde
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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Daraus ergibt sich, daß die Rechtsprechung die Geheimhaltung nicht als zwingend betrachtet. Andererseits erfordert die Zulassung der Akteneinsicht
zur Erteilung von Auskünften, DöV 1965, S. 480 ff; Hans Windsheimer, Die "Information" als Interpretationsgrundlage für die subjektiven öffentlichen Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG, Berlin, 1968, S. 144 ff; Stein, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, Der Gemeindetag 1973, S. 26; Dieter Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, München 1973, S. 261; Hans Leinen, Das Recht auf Einsicht in die Akten der Verwaltungsbehörden, NJW 1949, S. 609; German Rädel, Gedanken zum Recht der Einsicht in Verwaltungsakten, Der Bayerische Bürgermeister 1951, S. 101 ff (102); Karl-Heinz v. Köhler, Einsicht in Behördenakten, NJW 1956, S. 1460 ff; Fritz Haueisen, Das formell subjektive Recht im Verwaltungsprozeß, insbesondere das Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens, DVB1. 1952, S. 521 ff; ders, Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, NJW 1967, S. 2291 ff (2292); Hildegard Krüger, Aktenvorlage und Aussagegenehmigung, Der Deutsche Beamte 1957, S. 22 ff (22); H. Wiethaupt, Einsichtnahme in Behördenakten außerhalb eines Verwaltungsgerichtsverfahrens, MDR 1958, 474 ff; Hans-Günther König, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im verwaltungsbehördlichen Verfahren, DVB1. 1959, S. 189 ff; Manfred Lepper, Die Aktenvorlage im Verwaltungsprozeß, DöV 1962, S. 813 ff; Rolf Groß, Verschiegenheitspflicht der Beamten und Auskunftspflicht der Behörden, ZBR 1962, S. 185 ff; derselbe, Zum Amtsgeheimnis, Ri A 1966, S. 81 f; Gurgen Ganschezian-Finck, Schweigepflicht der Behörden, NJW 1961, S. 1652 ff; Hans Klickermann, Unbeschränkte Aktenvorlagepflicht der Behörden im Verwaltungsgerichtsverfahren?, BWVB1. 1959, S. 31 ff (31, 34); German Foerster, Wann darf die Verwaltungsbehörde die Akteneinsicht verweigern, Staats- und Kommunalverwaltung 1970, S. 20; Kai Krieger, Das Recht des Bürgers auf behördliche Auskunft, Berlin 1972, S. 32 ff; Martin Bullinger, République Féderale d'Allemagne, in: Rowat (Hrsg.), Le secret administratif dans les pays développés, S. 197 ff. Vgl. bereits Hermann Mangoldt/Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl., Berlin, Frankfurt a.M. 1957, Art. 5, Anm. V 2a. Vgl. auch Art. 21 IV Verf. Bdg: "Jeder hat nach Maßgabe des Gesetzes das Recht auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen der Behörden und Verwaltungseinrichtungen des Landes und der Kommunen, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen". Contra Carl-Hermann Ule/Franz Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, Köln, Berlin 1964, S. 42; Franz Mayer, Verfahrensgrundsatz der Verwaltung, BayVBl. 1960, S. 332 ff (336); Gerhard Erdsiek, Persönlichkeitsrecht und behördliche Auskunftspflicht, NJW 1960, S. 616; Christian Friedrich Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch 1963, S. 286 ff (293 f); Hans Spanner, Ein Entwurf des Verwaltungsverfahrensgesetzes, DVB1. 1964, S. 845 ff (847); derselbe, Der Regierungsentwurf eines Bundes-Verwaltungsverfahrensgesetzes, JZ 1970, S. 671 ff; Carl-Hermann Ule, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß, VerwArch 1971, S. 114 ff (129); Horst Sendler, Zum Stand der Erörterungen über ein Verwaltungsverfahrensgesetz, AöR 1969, S. 130 ff (148).
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
eine spezielle gesetzliche Grundlage 18 , ansonsten besteht ein pflichtgemäßes Ermessen der Verwaltung 19 , die Einsicht zu gewähren oder zu verweigern 20 . Wenn aber die Akteneinsicht oder eine Auskunft gewährt wird, haftet die Verwaltung für die Richtigkeit der Akten oder der Informationen nach Amtshaftungsgrundsätzen 21. Bei der Ermessenentscheidung sind die Interessen des Antragstellers mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen und Interessen Dritter abzuwägen22. Der Ermessenspielraum der Verwaltung ist damit unter Umständen stark begrenzt 23.
Kritisch Peter Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, Bad Homburg 1970, S. 565, 640 f. Zweifelnd etwa Wolf gang Ρ er schei, Der geheime Behördeninformant, JuS 1966, S. 231 ff (235 f) und Dagtoglou, Anm. JZ 1965, 320, die zurecht darauf hinweisen, daß die Position der Rechtsprechung letztlich auf einem argumentum e contrario beruht, nämlich, daß der Gesetzgeber ein Akteneinsichtsrecht für die Fälle, in denen er die Einsicht wollte, geschaffen hat, was bedeutet, daß in den übrigen Fällen die Geheimhaltung die Regel sein soll. Diese Argumentation ist nicht einwandfrei, weil man statt des e contrario Schlusses ebenso eine Analogie auf der Grundlage der gesetzlichen Akteneinsichtsrechte befürworten kann. Der grundsätzliche Ausschluß der Akteneinsicht wird daraus gefolgert, daß die Verwaltungsverfahren nicht öffentlich sind (s. statt vieler WolfflBachof § 156 IVf; Maximilian Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Siegburg 1985, S. 265). 18 Kritisch dazu Joachim Scherer, "Öffentlichkeitsarbeit" der Verwaltung und Informationsfreiheit des Bürgers, in: Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Bürgernahe Verwaltung?, Analysen über das Verhältnis von Bürger und Verwaltung, Neuwied, Darmstadt 1979, S. 313 ff; Burkhard Schulz, Zugangsmöglichkeit zu behördlichen Akten, ZRP 1981, S. 278 ff. 19 Contra das frühere Schrifttum, das eine Billigkeitsentscheidung der Verwaltung befürwortet. 5. v. Köhler, Einsicht in Behördenakten, S. 1462; Kratzer, Nochmals: Zum Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, S. 16. Ob es sich hier um einen Ermessens- oder um einen Beurteilungsspielraum handelt, ist in Rechtsprechung und Schrifttum nicht klar. Dazu Windsheimer, Die "Information" als Interpretationsgrundlage, S. 153. 20 Zulässige Kriterien für die Ermessensausübung sind z.B. die Funktionsfähigkeit der Behörde, die Betroffenheit des Bürgers, die Drittbetroffenheit der Akteneinsicht. S. Andreas Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt, Berlin 1991, S. 68. 21 Vgl. Peter Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, Berlin 1974, S. 334 ff. S. auch in allgemeinen Peter Wilhelm Kamphausen, Rechtsprobleme bei Auskünften von Verwaltungsbehörden an den Bürger, Bochum 1983.
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit 2. Rechtfertigung
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durch die Legitimationsproblematik
Die Gerichte scheinen von dem Grundgedanken auszugehen, daß die Gewährung der Akteneinsicht oder einer Auskunft eine Entscheidung ist, die eine Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen erfordert. Diese Abwägung ist primär vom Gesetzgeber zu treffen, weil er die Legitimation besitzt, die durch die Akteneinsicht entstehenden Grundrechtskonflikte zu lösen oder die entgegenstehenden grundrechtlichen Ansprüche einzugrenzen, falls dies erforderlich ist. Nur wenn der Gesetzgeber untätig bleibt, ist die Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht von der Verwaltung im konkreten Fall zu treffen. Die Gewährung oder Verweigerung der Akteneinsicht ist damit wegen ihrer Verbindung mit Fragen der grundrechtlichen Freiheit und der Demokratie mit der Legitimationsproblematik 24 gekoppelt. Die Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht erfordert wegen ihrer Verfassungsrelevanz ein möglichst hohes Legitimationsniveau. Dies wird grundsätzlich durch ein parlamentari-
22 VGH Kassel, ESVGH 11, 67 = JZ 1965, 319; Windsheimer, Die "Information" als Interpretationsgrundlage, S. 147. Vgl. auch BVerwGE 7, 153 (158 f); E 12, 296 (303); E 30, 154; BayVerfGH, DVB1. 1960, 806, OVG Koblenz, AS 3, 134; OVG Münster, OVGE 14, 199 = DöV 1959, 391; OVG Münster, ZBR 1964, 288. Differenziert Manfred Lepper, Die staatliche Archive und ihre Benutzung, DVB1. 1963, S. 315 ff, der auch in den Fällen, in denen kein Interesse unmittelbar entgegensteht, die Einsicht an das Vorliegen eines berechtigen Interesses des Bürgers bindet. Demnach hat die Behörde nicht Interessen unmittelbar abzuwägen, sondern lediglich zu prüfen, ob ein berechtigtes Interesse im konkreten Fall vorliegt, wobei sie dazu eine Gegenüberstellung der betroffenen Interessen vornehmen muß. Anders Gerhard Erdsiek, Persönlichkeitsrecht und behördliche Auskunftspflicht, NJW 1960, S. 616 ff, der die Prüfung des Vorliegens von entgegenstehenden Interessen nicht in die Prüfung des Vorliegens des berechtigten Interesses integriert, sondern die beiden Voraussetzungen getrennt abhandelt. Obwohl die Argumentation der beiden ähnlich ist, führt sie zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen. Während Lepper das berechtigte Interesse als zusätzliche Schranke der Akteneinsicht betrachtet, ist für Erdsiek das berechtigte Interesse grundsätzlich in den meisten Fällen wegen des grundrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit zu bejahen, so daß die Einsicht nur zu verneinen ist, wenn die entgegenstehenden Interessen sich als tatsächlich überwiegend erweisen. Dazu Windsheimer, S. 150 ff. 23 VGH Kassel, JZ 1965, 319. Vgl. auch BVerwG, DöV 1965, 489; OVG Berlin, NJW 1955,1940; VG Freiburg, NJW 1956, 1941. 24 Dazu statt vieler Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 1991, S. 329 ff. S. auch Günther Cornellius Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung des institutionellen Gesetzes Vorbehalts, Berlin 1991, S. 76 ff.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
sches Gesetz oder eine aufgrund eines solchen erlassene Rechtsverordnung bzw. Satzung der Behörden gesichert. Fehlt dies, so erfordert die Gewährung der Akteneinsicht ein verfassungsrelevantes Interesse des Bürgers. Im letzeren Fall handelt es sich um eine Konkretisierung der Verfassung durch die Behörde. Im Rahmen dieser Problematik ist aus dieser Sicht auch die organisatorische Ausdifferenzierung des Verwaltungsapparats relevant. Es geht um das Vorliegen zusätzlicher Legitimationsmodi, insbesondere der sog. körperschaftlichen Legitimation 25 . Die Relevanz liegt darin, daß bei Vorliegen dieser Legitimationsmodi die Gewährung bestimmter Arten von Akteneinsicht für die Behörde erforderlich werden kann. Die Selbstverwaltung erfordert ein höheres Niveau der Partizipation durch die Körperschaftsmitglieder, das unter Umständen nur durch die Gewährung von Akteneinsicht realisiert werden kann. Andererseits sind solche Zwangsmitgliedschaften mit einer Sammlung von persönlichen Informationen seitens der Körperschaft verbunden, die ein Einsichtsrecht der Bürger in diese Informationen nötig macht.
3. Akteneinsicht und Handlungsformen
der Verwaltung
Da die Gewährung der Akteneinsicht als solche nach heutigem Verständnis keinen Regelungscharakter hat 26 , gehört sie nicht zu den Handlungsformen der Verwaltung iS des § 9 VwVfG 2 7 . Die Akteneinsicht ist somit entweder eine Verfahrenshandlung, wenn sie während eines Verfahrens stattfindet, oder ein Realakt, wenn sie selbst Gegenstand einer Verwaltungsentscheidung ist. In beiden Fällen kann als solche die Akteneinsicht nicht Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung sein. Klagegegenstand ist entweder der Endakt im Verwaltungsverfahren oder die Genehmigung oder Verweigerung der Akteneinsicht 28 .
25
Dazu Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation, S. 379 ff. Vgl. Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, S. 329 f. 27 Anders natürlich, wenn es um ein Entscheidung zur Gewährung oder Verweigerung der Akteneinsicht geht. 28 Es war umstritten, ob die Genehmigung ein Verwaltungsakt oder ein Realakt ist. Die Frage hat prozeßrechtliche Konsequenzen. So muß bei Verweigerung der Akteneinsicht der Antragsteller entweder eine Verpflichtungsklage oder eine allgemeine Leistungklage erheben. Nach heute herrschender Auffassung (vgl. BVerwGE, DVB1. 1959, 582; BSG, NJW 1969, 1492 - nicht sehr eindeutig BVerwGE 31, 301 = DVB1. 1969, 700, mit Anm. Bettermann; Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, S. 338 f) ist die Gewährung der Akteneinsicht bzw. der Auskunft als Realakt zu betrachten. Vgl. auch Michael Kloepfer, Information als Intervention in der Wettbewerbsaufsicht, Tübingen 1973. 26
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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I I I · Akteneinsicht und Geheimhaltung im Bürger-Staat-Verhältnis Auch wenn sich die Akteneinsicht nicht in die Formen der klassischen Formenlehre einpaßt, kann ihrer Bedeutung für die verwaltungsrechtliche Systematik mit Hilfe der Lehre vom verwaltungsrechtlichen Verhältnis deutlich werden. Die Geheimhaltung und die Akteneinsicht sind im Gefüge der Verhältnisse zwischen Bürger und Verwaltung zu sehen. Geheimhaltung und Akteneinsicht sind keine vorgegebenen Kategorien. Sie werden dagegen von den jeweiligen Sachstrukturen und den bestehenden Rechten und Pflichten bestimmt. Diese Dimensionen können mit dem Instrument des Verwaltungsrechtsverhältnisses heuristisch erfaßt werden 29 . Eine solche Art von Analyse wird im Fall der Geheimhaltung bzw. der Akteneinsicht besonders ergiebig, weil hier multipolare Verhältnisse in Erscheinung treten. So kann die Einsicht in die Akten der Verwaltung für den Antragsteller vorteilhaft sein, sie kann aber gleichzeitig die Interessen eines Dritten
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Vgl. zur Leistung des Verwaltungsrechtsverhältnisses im allgemeinen Eberhard Schmidt Aßmann, Die Lehre von der Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVB1. 1989, S. 533 ff (539). Zur Annerkennung des Rechtsverhältnisses als Bestandteil der Verwaltungsrechtsdogmatik s. Norbert Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, Berlin 1982; Hartmut Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre von subjektiven öffentlichen Recht, Berlin 1986, S. 167 ff; ders.y Altes und Neues zur Schutznormentheorie, AöR 1988, S. 582 ff (610 ff); ders., Zum öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz im Wasserrecht - BVerwG, NJW 1988, 434, JuS 1990, S. 24 ff (28 ff); ders.. Die Bundestreue, Tübingen 1992, S. 261 ff; ders.y Verwaltungslehre im Umbruch?, Rechtsformen und Rechtsverhältnisse als Elemente einer Zeitgemäßen Verwaltungsrechtsdogmatik, Die Verwaltung 1992, S. 301 ff; Rolf Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, Tübingen 1992; Peter Häberle y Das Verwaltungsrechtsverhältnis - Eine Problemskizze, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, Königstein/Ts. 1980, S. 301 ff; Wilhelm Henke y Das subjektive Recht im System des öffentlichen Rechts, DöV 1980, S. 621 ff (624 ff); ders.y Recht und Staat, Grundlagen der Jurisprudenz, Tübingen 1988, S. 607 ff; ders.y Wandel der Dogmatik des öffentlichen Rechts, JZ 1992, S. 541 ff (542 f); Hans-Günther Henneke, Informelles Verwaltungshandeln im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, NuR 1991, S. 267 ff (274 f); Hermann Hill, Rechtsverhältnisse in der LeistungsVerwaltung, NJW 1986, S. 2602 ff; Werner Hoppe/ Martin Schulte, Rechtsschutz der Länder in Planfestellungsverfahren des Bundes, Köln 1993, S. 40 ff; Karl-Heinz Ladeur y Rechtsdogmatische Grundlagen des Naturschutzes im Wasserrecht, UPR 1992, S. 81 ff; Joachim Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, München 1985, S. 24 ff; Christoph Mayr, Aufsichtsverhältnisse als Verwaltungsrechtsverhältnisse, Spardorf 1984; Reiner Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo 1990, S. 455 ff; Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Beitrag der Gerichte zur verwaltungsrechtlichen Systembildung, VB1BW 1988, S. 381 ff (384); Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, Tübingen 1995, S. 203 ff mwN.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
verletzen 30. Es kann auch sein, daß die Gewährung der Einsicht eine Verletzung von einer Schutzpflicht oder von einer Vertragspflicht der Verwaltung darstellt.
I V . Die normative Begründung der Geheimhaltung Es besteht keine umfassende Rechtsnorm, welche die Geheimhaltung staatlichen Handelns anordnet. In der deutschen Lehre wurden jedoch einige Versuche unternommen, die Geheimhaltung am Begriff des Amtsgeheimnisses festzumachen. Einige weitere Rechtsgrundlagen können hinzugefügt werden.
A. Die besonderen Pflichten des Verwaltungspersonals zur Wahrung der Geheimhaltung staatlicher Tätigkeit Die Verschwiegenheit des Verwaltungspersonals wird sehr oft als eigentliche Rechtsgrundlage exekutivischer Geheimhaltung genannt31. Der Schutz gegen unbefugte Verbreitung administrativer Kenntnisse bedarf einer beamtenund strafrechtlichen Sicht. Entsprechend sind die Sanktionen disziplinaren und strafrechtlichen Charakters. Systematisch gesehen steht der Schutz der dienstlichen Vorgänge auf zwei Säulen. Die eine ist der Schutz durch die Verpflichtung des Verwaltungspersonals zur Verschwiegenheit. Die zweite ist das Berufsgeheimnis als Verpflichtung des Verwaltungspersonals.
30 Vgl. dazu Regula Kägi-Diener, Entscheidfindung in komplexen Verwaltungsverhältnissen, Basel/Frankfurt a.M. 1994, S. 517 ff. 31 Vgl. Peter Düwel, Das Amtsgeheimnis, Berlin 1965, S. 26 ff. Aus dem älteren Schriftum Hedemann, Amtsverschwiegenheit, DJZ 1907, S. 218 f; Wilhelm von Calker, Die Amtsverschwiegenheitspflicht im deutschen Staatsrecht, in: Festgabe für Otto Mayer, Tübingen 1916, S. 119 ff; Manfred Fauser, Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nach deutschem Staatsrecht, Diss. Tübingen 1931; Krieger, Das Recht des Bürgers auf behördliche Auskunft, S. 38 ff. Aus schweizerischer Sicht Anna Maria Grossmann, Die Verletzung des Amtsgeheimnisses aufgrund des Art. 320 des schweizerischen Strafgesetzbuches, Diss. Bern 1946; René Perrin, Le secret de fonction en droit fédéral suisse, Diss. Neuchâtel 1947 mwN; Paul Reichlin , Die Schweigepflicht des Verwaltungsbeamten, Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung 53 (1952), S. 473 ff; Walter Buser, Der Schutz der Privatsphäre durch das Amtsgeheimnis, in: Privatrecht, Öffentliches Recht, Strafrecht - Grenzen und Grenzüberschreitungen, Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1985, Basel, Frankfurt a.M. 1985, S. 51 ff. Für weitere Beispiele Düwel, Amtsgeheimnis, 34 ff.
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1. Die Verschwiegenheitspflicht Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit stellt eine beamtenrechtliche Kernpflicht von hohem Rang dar 32 . a) Die Regelung im öffentlichen Dienstrecht Das deutsche Recht enthält in § 61 BBG sowie in § 39 BRRG 3 3 eine über die Beendigung des Beamtenverhältnisses hinausgehende34 Verpflichtung der Beamten zur Wahrung des Amtsgeheimnisses35. Dieser Pflicht unterliegen auch ehrenamtliche, auf Probe oder auf Widerruf sowie im Vorbereitungsdienst be-
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Hans Rudolf Claussen/Werner Janzen, Bundesdisziplinarordnung, 8. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1996, Einl. C Rdn. 25. Vgl. im allgemeinen Otto Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, Berlin 1988, S. 54 ff. 33 Ebenso die Landesbeamtengesetze. S. beispielsweise § 79 BW LBG, Art. 69, 71 BayBG, § 26 BerlLBG, § 61 BremBG, § 65 HmbBG, § 77 HessBG, § 66 LBG NRW, § 77 SaarBG, § 79 SchlH LBG. Vgl. Rolf Groß, Verschwiegenheitspflicht der Bediensteten und Informationsrecht der Presse, Göttingen 1964, S. 11 f. Als Vorbilder sind die § 8 DBG vom 26. 1. 1937 und die § 11 des Gesetzes betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31.3. 1873 anzusehen. Dazu Georg Meyer/Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 2. Teil, München, Leipzig 1917, S. 592 f mwN. Aus den damaligen Rechtsvorschriften s. Art. 14 BayBG, § 5 WürttBG, § 9 BadBG, Art. 4 StBG Sachsen-Meiningen, § 17 StBG Sachsen· Altenburg, § 20 StDG Braunschweig, § 15 StDG Reuß jL, § 13 StDG SchaumburgLippe, § 22 BG Lübeck, § 26 BremBG. In Preußen galt die KabinettsO vom 21. 11. 1835 (GS 237), die im Unterschied zu den vorerwähnten Vorschriften die Gegenstände des Schweigebots nicht bestimmte (vgl. auch KabinettsO vom 31. 12. 1825, D, X [GS 5]; Zirkularrescript vom 31. 1. 1836). Dazu Richter-Brohm, Die Verschwiegenheitspflicht, S. 31 ff mwN an spezifischen Regelungen. 34 BVerwG, DÖD 1983, 162. Die Grenze kann jedoch aus Art. 12 I GG abgeleiten werden. So darf einem aus dem Finanzverwaltungsdienst ausgeschiedenen Beamten oder Angestellten nach geltendem Recht bei der Zulassung als Helfer in Steuersachen (Steuerberater) nicht die Auflage gemacht werden, er dürfe eine gewisse Zeit nicht bei solche Steuerpflichtigen tätig sein, für die er vor seinem Ausscheiden als Beamter oder Angestellter zur Bearbeitung ihrer Steuersachen zuständig gewesen war. Dazu BFHE 70, 330 = NJW 1960, 792 = BB 1960, 351 = DB 1960, 343 = DStZ 1960, 159. 35 Die Verschwiegenheitspflicht wurde erstmalig - unter preußischem Einfluß - in § 11 RBG von 1873 geregelt. Danach wurden der Verschwiegenheit alle Tatsachen, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich war, unterstellt (Dazu Richter-Brohm, Die Verschwiegenheitspflicht, S. 40 ff. Spezielle Vorschriften: § 5 PostwesenG 1871, § 8 Telegraphenwesen 1892, §§ 45, 46 PostO 1892, §§ 28, 39 RBankG 1875, §§ 349 ff AVG 1911, § 345 ff AngestelltenversicherungsG 1925, § 141 RVO). Im Anschluß daran hatte § 8 DBG auch Angelegenheiten erfaßt, die nach dem Gesetz oder dienstlicher Anordnung als geheimhaltungsbedürftig vorgeschrieben waren.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
fmdliche Amtspersonen 36. Die in § 61 BBG normierte Pflicht des Beamten zur Amtsverschwiegenheit gehört zu seinen Hauptpflichten 37 und dient in erster Linie dem öffentlichen Interesse, insbesondere dem Schutz der dienstlichen Belange der Behörde 38 . Es ist unerheblich, wie die Kenntnis erlangt wurde. Die Pflicht erstreckt sich auf alle Tatsachen39, welche dem Beamten bei seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt wurden 40 . Sie erfaßt aber auch Tatsachen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben stehen, wie beispielsweise die künftige Versetzung eines Kollegen sowie den Beamten selbst betreffende Vorgänge und Vorgänge, in denen der Beamte ein rechtswidriges Verhalten der Behörde erblickt 41 . Nicht erfaßt werden aber Kenntnisse aus privater Tätigkeit des Beamten. Amtlich bekannt geworden sind die Tatsachen, die dem Beamten kausal aufgrund seines Amtes zur Kenntnis gelangt sind. Kern der Verschwiegenheitspflicht der Beamten ist somit das Schweigen über alle amtlich bekannt gewordenen, vertraulichen Tatsachen. Das Schweigen gilt außerhalb sowie innerhalb des Dienstes42. In letzerem Fall betrifft es auch 36 Heinz Köhler/Günther Ratz, BDO, 2. Aufl., Köln 1994, Β. II. 9b Rdn. 4; Walter Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, Bd. 1, (Losebl.), § 61, Rdn. 7. 37 Statt vieler vgl. Mayer, Recht des öffentlichen Dienstes, in: Mayer/Ule, Staatsund Verwaltungsrecht in Rheinland-Pfalz, S. 361; Ferdinand Wind/Rudolf Schimana/Peter Wallerius, Öffentliches Dienstrecht, 3. Aufl., Köln, Stuttgart, Berlin, Hannover, Kiel, Mainz, München 1991, S. 137 ff; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rdn. 190. Vgl. auch BVerwG, NJW 1992, 1713. 38 BVerwG, 1. Disziplinarsenat, Urt. v. 18. 10. 1984 (Az: 1 D 107/83) - unveröffentlicht. 39 Beispielsweise Weitergabe von Informationen an Journalisten (BDHE 6, 94 = ZBR 1962, 225), Verletzung des Postgeheimnisses (BVerwGE 33, 132; E 63, 26), Veröffentlichung geschützter Dienstgeheimnisse wegen angeblicher verfassungswidriger Praktiken der Behörde (BVerfGE 28, 191), Angaben über die Solvenz von Postkunden (BVerwGE 43, 57). Vgl. auch BVerfGE 27, 344; BDHE 5, 48. Für weitere Beispiele Claussen/Janzen, BDO, Einl. D Rdn. 41a; Köhler/Ratz, BDO, B. II. 9 d. 40 Köhler/Ratz, BDO, B. II. 9b Rdn. 5; Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, § 61, Rdn. 4 ff. 41 Dazu ClaussenUanzen, BDO, Einl. C Rdn. 25 und die dort zitierte Entscheidung des BVerwG, NJW 1982, 2343. 42 Vgl. dazu Bonk y in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 28. Dies gilt aber nicht im Rahmen der Finanzkontrolle durch die Rechnungshöfe. Gegenüber ihnen gelten grundsätzlich keine Verschwiegenheitspflichten. Dadurch werden sie in großem Umfang zu Trägem fremder Geheimnisse und verpflichten sich ihrerseits zur Wahrung der Geheimnisse auch im Rahmen der Berichterstattung, soweit dies mit den Erfordernissen der Rechnungsprüfung überhaupt vereinbar ist. Dazu Heinrich Otto Plinke, Kann sich die Verwaltung gegenüber Auskunftsersuchen der Rechnungshöfe auf Verschwiegenheitspflichten berufen?, DVB1. 1967, S. 899 ff. So stehen z.B. die Rechte des Leiters einer psychiatrischen Abteilung einer Universitätsklinik der Vorlage von Patientenakten an den Landesrechnungshof zu Prüfungszwecken nicht entgegen. Dazu
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unbeteiligte Beamte43. Das Wissen um das Gebot der Verschwiegenheit in dienstlichen Angelegenheiten kann im Grundsatz heute bei jedem Beamten vorausgesetzt werden, ohne daß es einer besonderen Belehrung über diese Pflicht bedarf 44 . Fahrlässigkeit entschuldigt den Beamten regelmäßig nicht 45 . Die Verschwiegenheitspflicht kennt einzelne Ausnahmen. Sie gilt nicht für offenkundige Tatsachen46. Hierzu zählen Tatsachen, die allgemein bekannt oder für einen Verwaltungsfremden jederzeit feststellbar sind 47 . Hiermit ist insbesondere die Veröffentlichung gemeint. Daß es sich allerdings um "offene" Geheimnisse oder allgemein einem weiteren Kreis von bestimmten Personen bekannte Tatsachen handeln, macht sie nicht offenkundig 48 . Allerdings dürfen auch offenbare Angelegenheiten durch spezielle Schweigegebote wieder zu geschützten Tatsachen erhoben werden 49 . Auch wird die Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der Tatsachen aufgehoben, die ihrer Natur nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Dies ist aus der Teleologie der Amtsverpflichtung zu entnehmen, die nach den Umständen ein berechtigtes und begründetes Interesse des Dienstherrn an der Geheimhaltung voraussetzt. Hierzu sind zunächst geringfügige Vorkomnisse50 zu zählen51. Die Abgabe von Material an Außenstehende, das keiner besonderen Geheimhaltungspflicht unterliegt, durch den Beamten im Rahmen seiner Verteidigung in einem gegen ihn gerichteten Disziplinar- oder Strafverfah-
BVerwGE 82, 56 = MedR 1989, 254 = NJW 1989, 2961 = CR 1989, 1112 = BayVBl. 1990, 217 = RDV 1990, 87, dierichtigerweise die mit Stichprobecharakter durchgefürte Prüfung von Patientenakten durch Beamten des Rechnungshofes im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Anforderung lückenloser Rechnungsprüfung für verhältnismäßig hält. 43 BGHZ 34, 184. Die Beschränkung kann auch von den Grundrechte, z.B. Art. 10 GG, abgeleitet werden. So ist der Dienststellenleiter nicht berechtigt, die Daten über dienstliche Telefongespräche seinen Amtsleitern zur Kontrolle und Stellungnahme zuzuleiten. BVerwG, NVwZ 1990, 71 = PersV 1989, 488 = ZBR 1990, 53 = VR 1990, 70 = Ri A 1990,47 = ZfSH/SGB 1990, 194. Vgl. auch B AGE 52, 88. 44 Vgl. die unveröffentlichte Entscheidung des BVerwGs, 1. Disziplinarsenat, vom 13.1.1988 (Az: 1 D 127/86). 4 5 BDHE 6,94. " Vgl. OVG Münster, OVGE 16, 134. Dazu Ulrich Battis , BBG, München 1980, § 61 Anm 3. 47 Vgl. BVerfGE 10, 183; BVerwG, DVB1. 1983, 35. Claussen/Janzen, BDO, Einl. C Rdn. 26; Köhler/Ratz, BDO, Β. II. 9b Rdn. 18. 4 » Dazu OVG Münster, ZBR 61, 248 = DöV 1962, 873. 49 Dazu Battis , BBG, § 61, Anm. 3. 50 Beispielsweise der Speiseplan der Kantine. Dazu Wind/Schimana/Wallerius> Öffentliches Dienstrecht, S. 137. Für weitere Beispiele Köhler/Ratz, BDO, Β. II. 9b Rdn. 19. 51 Die Beschränkung nur auf solche Fälle wäre unrichtig. Dazu Claussen/Janzen, BDO, Einl. C Rdn. 27.
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ren ist keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht 52, ebenso wie die Verbreitung einer ihn selbst betreffenden Disziplinarmaßnahme 53. Wenn der Vorgesetzte die Tatsachen ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig klassifiziert hat, unterliegen auch sie der Schweigepflicht 54. Obwohl die Verschwiegenheitspflicht gegenüber jedermann gilt, sind einige Ausnahmen im Gesetz vorgesehen. Nach § 62 I S. 2 BBG unterliegen Mitteilungen im dienstlichen Verkehr nicht der Schweigepflicht 55. Diese Ausnahme erfaßt auch Mitteilungen an den Personalrat, nicht aber an die Gewerkschaften 56. Die Verschwiegenheitspflicht gilt für Mitteilungen an Abgeordnete, naturgemäß aber nicht für dienstliche Mitteilungen vor einer parlamentarischen Kommission 57 . § 63 BBG regelt die Institution des behördlichen Pressesprechers. Danach sind nur der Behördenvorstand sowie vom ihm bestimmte Beamte zu sachgerechten und genehmigten 58 Presseerklärungen berechtigt 59. Je nach der Bedeutung der als vertraulich zu behandelnden amtlichen Vorgänge und dem Grad des Verschuldens des Be52 BDHE 5,48. 53 Für die Unterscheidungen s. Claussen/Janzen, BDO, Einl. C Rdn. 27. 54 Vgl. BDHE 6, 94. 55 Eingehend Köhler/Ratz, BDO, Β. II. 9b Rdn. 7 ff, 15 ff; Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, § 61, Rdn. 9. Als dienstlicher Verkehr gilt grundsätzlich der innerbehördliche Amtsbetrieb, sowie der Verkehr aufgrund amtlicher Aufgabenerfüllung mit außerhalb der eigenen Behörde stehenden Stellen. Auch die Amtshilfe ist zum zwischenbehördlichen Verkehr zu zählen. Die Amtshilfe ist zulässig, soweit eine Ermächtigung vorliegt, z.B. Art. 35 I GG, §§ 4 ff VwVfG, § 99 VwGO, § 20 S. 1 BDO, § 3 PetitionsauschußbefugnisG. Die polizeilichen Ermittlungsverfahren unterliegen grundsätzlich der beamtenrechtlichen Geheimhaltungspflicht. So sind die Mitteilungen der Kriminalpolizei über ein schwebendes Ermittlungsverfahren gegen einen bei einer öffentlichen Dienststelle Beschäftigten an den Leiter dieser Dienststelle nicht mit der Amtshilfe zu begründen. Dazu BGHZ 34, 184 = DVB1. 1961, 329 = JZ 1961, 290 = MDR 1961, 394 = NJW 1961, 918 = DöV 1961, 308 = RiA 1961, 170 = BB 1961, 388. Sie können allerdings bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen trotzdem nach allgemeinen polizeilichen Gesichtspunkten gerechtfertigt sein. Zur allgemeinen Amtshilfepflicht PrOVGE 20, 445 (448). Bei speziell zum Schutze des Bürgers geltenden Vorschriften ist Amtshilfe nach Güterabwägung und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig. 56 OVG Münster ZBR 1961, 248 = DöV 1962, 873; BVerwG, NJW 1977, 1760. Vgl. femer OVG Münster, OVGE 16, 56; BGH 6, 292 und BVerfGE 10, 177; Erwin Schütz, Dienstverschwiegenheit, Aussagegenehmigung und Zeugnisverweigerung der Beamten, DÖD 1957, S. 135. Dazu Köhler/Ratz, BDO, Β. II. 9b Rdn. 11 f. In den meisten Fällen ist der gewerkschaftliche Meinungskampf mit offenkundigen Tatsachen durchzuführen. Vgl. dazu BDiG, DÖD 1979, 199. 57 Claussen/Janzen, BDO, Einl. C Rdn. 28b. 58 Vgl. BVerwG, ZBR 1983,181. 59 Diese Äußerungen sind als Äußerungen der Behörde zu behandeln. Gegen sie besteht die Möglichkeit der Wahrnehmung eines Unterlassungsanspruchs vor den Verwaltungsgerichten (Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 17. 5. 1979, Az: X 639/78).
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amten kann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht unterschiedliche disziplinarische Folgen nach sich ziehen 60 . Ein Ausdruck des Interesses der Verwaltung an der Amtsverschwiegenheit ist das Verbot in § 61 I I BBG dar, wonach der Beamte ohne vorherige Genehmigung seines Vorgesetzten in gerichtlichen oder außergerichtlichen Verfahren nicht aussagen darf 61 . Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit erstreckt sich in weiteren Vorschriften auch auf andere Kategorien von Amtspersonen 62. Hierzu zählen die beammo BVerwG, 1. Disziplinarsenat, Urteil v. 18. 10. 1984 (Az: 1 D 107/83) - unveröffentlicht. Dazu Köhler/Ratz, BDO, B. II. 9c. 61 Zur Geheimhaltungspflicht der Beamten bei Zeugenpflicht s. Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 3, Tübingen 1913, S. 499. Die Aussagenehmigung ist ein Verwaltungsakt, auf dessen Vornahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geklagt werden kann. Dazu VG Wiesbaden, NJW 1950, 799; OVG Münster, VerwRspr. 12 (1957), 179. Die Rechtmäßigkeit der Versagung einer Aussagegenehmigung für Beamte, die in einem Strafverfahren als Zeugen vernommen werden sollen, kann nach einer Meinung gemäß § 13 GVG auch das erkennende Straf- bzw. Zivilgericht überprüfen. Nach h.M. bleibt auch dann der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. S. unter. 62 Vgl. dazu DüweU Amtsgeheimnis, S. 52 ff. Für die Minister ist die Geheimhaltungspflicht in § 6 I BMinisterG geregelt. S. auch § 10 Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages. S. auch § 84 VwVfG, § 18 IV WPflG (Beisitzer der Musterungsausschuß. Dazu Werner Scherer/Wolfgang Steinlechner, Wehrpflichtgesetz, 4. Aufl., München 1988, § 18, Rdn. 26 ff), § 9 V S. 3 KDVG (Mitglieder der Ausschüsse für Kriegsdienstverweigerung. Dazu Hans-Theo Brecht, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, 3. Aufl., München 1992, § 9 KDVG Rdn 7; Fritz, in: Roland Fritz/Peter Baumüller/Bernd Brunn, Kommentar zum Kriegsdienstverweigerungsgesetz, Neuwied, Darmstadt 1983, § 9, Rdn. 38 ff). Zum Schweigepflicht des Sozialarbeiters s. Walter Schellhorn/Hans Jirasek/Paul Seipp, Kommentar zum BSHG, 13. Aufl., Neuwied 1988, § 102 Rdn. 5 ff; S. auch § 165 StVollzG (Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Beirats eines Gefagnisanstalts. Dazu Erhard Hoffmann, in: Alternativkommentar zum StrVG, Neuwied, Darmstadt 1980, § 165; Karl Peter Rotthaus, in: Hans-Dieter Schwind/Alexander Böhm, StVollzG, Kommentar, 2. Aufl., Berlin, New York 1991); § 5 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) - Vereinbarung der Landesjustizverwaltungen in Kraft seit 1.1.1977 (Verschwiegenheitspflicht des Gefägnispersonals). Übersicht der formellen Verschwiegenheitspflichten bei Hirschberger 9 Zugang des Bürgers zu staatlichen Informationen, S. 152 f mwN. Für die Ärzte gilt im allgemeinen § 2 Muster-Berufsordnung. Dazu E. Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 144 ff. S. auch Götz-Joachim Kuhlmann, Übertragung einer Arztpraxis und ärztliche Schweigepflicht, JZ 1974, S. 170 ff. Vgl. auch BFHE 66, 225 = BB 1958, 181 = DB 1958, 185 = DStZ 1958, 86 = NJW 1958, 646. Offenbarungspflichten bestehen z.B. gemäß §§ 3, 5, 6 BSeuchG, §§ 12, 15 DatenübermittlungsVO, §§ 1 la, 12, 13 Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten, §§ 1 ff 1.Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. S. auch § 8 I S. 2 Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit.
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teten Richter (§ 46 DRiG) 6 3 , die Notare (§ 18 BNotO) 6 4 und insbesondere die Soldaten (§ 14 SoldatenG) 65 . Der Amtsverschwiegenheitspflicht unterliegen danach die Berufssoldaten, die Soldaten auf Zeit sowie die Wehrpflichtigen. Meinungsäußerungen einzelner Gemeinderäte unterliegen auch dann der Schweigepflicht, wenn sie im Verlaufe einer unter Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit durchgeführten Ratssitzung abgegeben werden 66 . Rechtsgrundlagen für die Schweigepflicht der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes sind die Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers nach §§ 611 iVm 823 I u. II, 826 BGB, und § 17 U W G 6 7 sowie tarifrechtliche
Die ärztliche Schweigepflicht besteht auch gegenüber den Dienstherrn. Die Ärzttätigkeit ist immer "ars muta " (Virgilius, Äneis, 12. Buch). Zu den rechtlichen Problemen der ärztlichen Schweigepflicht umfassend Gerhard H. Schlund, in: Adolf Laufs/Wilhelm Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, München 1991, S. 374 ff mwN; Adolf Laufs, Arztrecht, 5. Aufl., München 1995, Rdn. 262 ff; derselbe, Krankenpapiere und Persönlichkeitsschutz, NJW 1975, S. 1433 ff. Die ärztliche Schweigepflicht bindet grundsätzlich die Amtsärzte, sofern ihre medizinischen Untersuchungen nicht die gesetzlichen Entscheidungsgrundlagen der Verwaltung darstellen. Die ärztliche Offenbarungsbefugnis ist aus dem jeweiligen Verwaltungsverfahren abzuleiten und richtet sich nur an die Behörden. Dazu Schlund, in: Laufs/Uhlenbruck, S. 393; vgl. auch Hans-Heiner Kühne, Innenbehördliche Schweigepflicht von Psychologen, NJW 1977, S. 1478 ff. Beim Justizvollzugsdienst sind die Anstaltsärzte (§§ 56 ff, 155 II StVollzG) bei den Gesundheitszuständen der Gefangenen an die Schweigepflicht gebunden (BVerfG, NJW 1972, 811). Die Offenbarung ist nur dann berechtigt, wenn der Gefangene selbst zustimmt oder ein rechtfertigender Notstand vorliegt. Dazu Schlund, S. 394 ff, der auch eine weitere Offenbarungsbefugnis wegen zwingenden öffentlichen Interesses zuspricht. 63 § 46 DRiG iVm § 39 BRRG und die entsprechende Landesgesetze (z.B. § 7 BerlRiG iVm § 26 BerlLBG, § 2 HessRiG iVm § 77 HessBG). Zur Problematik der Verwertbarkeit handschriftlicher Aufzeichnungen eines Richters über Verlauf und Ergebnis einer Beweisaufnahme als Beweismittel in einem anderen Strafverfahren Ingo Flore, Verwertbarkeit handschriftlicher Aufzeichnungen von Richtern im Strafverfahren, wistra 1989, S. 256 ff, der zum Ergebnis kommt, daß die richterlichen Aufzeichnungen im Urkundenbeweis verwertet werden dürfen, falls der Dienstvorgesetzte dies genehmigt. 64 Vgl. auch § 76 BRAO, § 83 SteuerberatungsG, § 64 WirtschaftsprüferO. 65 Vgl. bereits § 34 Wehrgesetz vom 30. 3. 1920. OVG Koblenz, AS 14, 356. S. auch z.B. § 17 GO BW. Zum Verhältnis von Verschwiegenheitspflicht und Meinungsfreiheit ehrenamtlicher Gemeinderatsmitglieder BVerwG, NVwZ 1989, 975 = DVB1 1990, 153 = BayVBl. 1990, 157. 67 Dazu Günther Schaub, Arbeitsrecht - Handbuch, 7. Aufl., München 1992, § 54, S. 330 ff; Roland Reinfeld, Verschwiegenheitspflicht und Geheimnisschutz im Arbeitsrecht, Göttingen 1989; Ulrich Preis/Roland Reinfeld, Schweigepflicht und Anzeigerecht im Arbeitsrechtsverhältnis, AuR 1989, S. 361 ff; Ulrike Wendeling-Schröder, Autonomie im Arbeitsrecht, Frankfurt a.M. 1994, S. 76 ff.
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Vorschriften 68 . Die Verschwiegenheitspflicht ist heute in § 9 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) 6 9 , § 9 ΒAT-Ost, § 11 Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB) vom 25. 5. 1960 und § 11 Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (MTL II) vom 17. 2. 1964 70 bestimmt 71 . Während die Beamten in allen durch die Amtstätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sehen die Tarifbestimmungen einen niedrigeren Maßstab vor 72 . Danach sind grundsätzlich nur die Angelegenheiten der Verwaltung oder des Betriebes, z.B. Personaldaten, bevorstehende Personalentscheidungen, Ermittlungsverfahren, Prüfungsthemen, Gutachten, Bearbeitungen, Vorgänge in Sitzungen, die gesetzlich73 oder vom Dienstherrn bestimmt sind,
68 Dazu Bernd Müller, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 3. Aufl., München 1995, S. 204 ff; Düwel, Amtsgeheimnis, S. 51 f. 69 Dazu Brüse, in: Detlev Bruse/Axel Görg/Wolfgang Hamer/Heinrich Hennig/Wilfried Mosebach/Rainer Dieper/Uwe Rzadkowski/Wolfgang Scheiter/Hubert Schmalz/Frank J. Wolf, BAT, Köln 1989, § 9; Julius Grisolli/Ludwig Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Neuwied, Kriftel, Berlin, Losebl., Stand 1991, § 9 BAT; Horst Clemens/Ottheinz Scheuring/Werner Steingen/Friedrich Wiese, BAT, Stuttgart, Berlin, München, Losebl., Stand 1991, § 9. 70 Dazu Ottheinz Scheuring/Werner Steingen/Jürgen Bunse/Michael Scheuring/Ro Thievessen, Manteltarifs vertrag für Arbeiter der Länder, München, Losebl. Stand 1992, § 11 MTL II. 71 Es gibt keine Vorschrift über die Verschwiegenheit im Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G). Der BAT und MTB betrifft nicht Arbeitnehmer der Bundesbahn und der Bundespost. Letztere sind jedoch an das Postgeheimnis gebunden. 72 Früher wurde die Amtsverschwiegenheitspflicht für alle Kategorien des nicht-beamteten Verwaltungspersonals in § 15 RTO und dann in § 4 Allgemeine Tarifordnung (ΑΤΟ) ähnlich wie für die Beamten geregelt. 73 Beispielsweise §§ 9, 55 KWG, § 32 BBankG, § 8 II Gesetz über die Betriebsärzte, § 16 BStatG, § 9 BArchG, § 17 UWG, Geschäftsordnungen der Gesetzgebungsorgane (z.B. § 17 GO BT), § 30 AO, § 35 SGB I, § 30 VwVfG, § 69 SchwbG, sowie Vorschriften über den Gesundheitsdienst der Länder, z.B. § 6 Bay Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst. Hierzu zählen auch die StGB-Vorschriften und die BestehungsVO. Der Verweis auf gesetzliche Vorschriften stellt eine Verklammerung der Amtsverschwiegenheitspflicht der Angestellten und Arbeiter der Verwaltung mit dem Berufsgeheimnis dar. Dies kommt besonders zum Ausdruck, wenn man die Sondertarifregelungen (SR) untersucht. Es besteht dort die Sorge, Fälle zu erfassen, die nicht über den Weg des Berufsgeheimnisses erfaßt werden. Nach SR 2a sind Angestellte, die Geheimnisse der Ärzte kennen, und ärztliche Hilfspersonen an die Schweigepflicht gebunden. Dies gilt auch, wenn sie kein Hilfsperson iS von § 203 StGB darstellen. Nach Nr. 4 Abs. 1 SR 2 e III sind auch Angestellte von Bundeswehrkrankenhäusern und nach Nr. 4 SR 2c Ärzte in Anstalten und Heimen (nicht aber Ärzte der Bundeswehrkrankenhäuser) gebunden. Nach Nr. 2 Abs. 1 SR 2s unterliegen der Verschwiegenheitspflicht die Sparkassenangestellten für die Angelegenheiten der Sparkassen.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
von der Verschwiegenheitspflicht erfaßt. Diese besteht während und auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses 74. Einer Sonderverpflichtung zur Amtsverschwiegenheit unterliegen die Mitglieder der Personalvertretungen. Anders als in § 79 BetrVG 75 besteht die Schweigepflicht bereits von Gesetzes wegen und nicht erst nach einer geleisteten konkreten "Geheimhaltungswillenserklärung" 76. Nach § 10 BPersVG sind die Mitglieder der Personal- und Jugendvertretungen bezüglich der Angelegenheiten und Tatsachen, die ihnen durch ihre Aufgaben und Befugnisse bekannt wurden, zur Verschwiegenheit verpflichtet 77 . Die Verschwiegenheitspflicht 78 74
Vgl. § 9IV BAT. § 79 BetrVG gestaltet die Geheimhaltungspflicht der Mitglieder des Betriebsrats betreffend der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmers. Unter diesen versteht man das materielle und formelle (nach Erklärung des Arbeitsgebers) Geschäftsund Betriebsgeheimnis des § 17 UWG. Zur Auseinandersetzung um die Weite der Verpflichtung der Betriebsratsmitglieder Hermann Blanke, in: Wolfgang Däubler/Michael Kittner/Thomas Klebe/Wolfgang Schneider, BetrVG, 3. Aufl., Köln 1992, § 79; Hess, in: Harald Hess/Ursula Schlochauer/Wemer Glaubitz, Kommentar zum BetrVG, 3. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1986, § 79; Dieter Stege/F. K. Weinspach, BetrVG, Köln 1990, § 79; Gerhard Etzel, Betriebsverfassungsrecht, 4. Aufl., Neuwied, Frankfurt 1990, S. 167 ff, Rdn. 464a ff; Rolf Dietz/Reinhard Richardi, BetrVG, 6. Aufl., München 1982, Bd. 2, § 79; Hans Galperin/Manfred Löwisch, Kommentar zum BetrVG, 6. Aufl., Heidelberg 1982, Bd. 2, § 79; Günther Wiese, in: Gemeinschaftskommentar BetrVG, 4. Aufl., Neuwied 1990, § 79 mwN; Manfred Weiss, BetrVG, Baden-Baden 1980, § 79; Manfred Löwisch, Taschenkommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, Heidelberg 1985, § 79; Karl Fitting/Fntz Aujfarth/Heinrich Kaiser/Friedrich Heither/Gerd Engels BetrVG, 17. Aufl., München 1992, § 79. Vgl. auch Ulrike Hitzfeld, Geheimnisschutz im Betriebsverfassungsrecht, Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris 1990. Die Diskussion ist für das öffentliche Recht von anderem Interesse, insofern als das BetrVG in öffentlichen und kommunalen Unternehmen angewendet wird. Eine ähnliche Vorschrift wie § 79 BetrVG enthält § 29 SprecherausschußG für die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die Mitgliedern des Sprecherausschusses bekannt geworden sind und der Arbeitgeber als geheimhaltungsbedürftig erklärte. Zu den möglichen Gewissenskonflikten s. jüngst Wendeling-Schröder, Autonomie im Arbeitsrecht. 75
Das BetrVG enthält auch einige gesetzliche Geheimhaltungspflichten für die Betriebsratsmitglieder. Diese sind in §§ 82 II S. 3, 83 I S. 3, 99 I S. 3, 102 II S. 5 BetrVG enthalten, und betreffen die persönlichen Geheimnisse des Betriebspersonals. Eine ähnliche Vorschrift wie § 83 BetrVG enthalten die §§ 25 III, 53 SchwbG (Verschwiegenheitspflicht der Schwerbehinderten Vertretung. Dazu Dirk Neumann/Ronald Fahlen, Schwerbehindertengesetz, 8. Aufl., München 1992, § 25, Rdn. 13; Horst H. Cramer , Schwerbehindertengesetz, 4. Aufl., München 1992, § 25, Rdn. 8). 76 Alfred Söllner/Hans Jochen Reinert, Personalvertretungsrecht, Baden-Baden 1985, S. 229 ff. 77 Dazu Lothar Altvater/Eberhard Bacher/Georg Hörter/Giovanni Sabottig/ Wolfgang Schneider, BPersVG, 3. Aufl., Köln 1990, § 10; Wilhelm liberti, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, 4. Aufl., Bonn 1990, § 10 BPersVG; Walther Grabendorff/Clemens Windscheid/Wilhelm Ilbertz/Ulrich Wildmaier, Bundesperson
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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besteht vorrangig für Angelegenheiten, deren Geheimhaltung vorgesehen, angeordnet oder ihrer Bedeutung nach erforderlich ist. Sie entfallt jedoch bei offenkundigen oder nicht geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen. Offenkundig sind Tatsachen, die gerichtsbekannt, allgemein bekannt bzw. erkennbar sind. § 101 I I BPersVG enthält eine Rahmenvorschrift. Von dieser haben die Länder entsprechend Gebrauch gemacht79, ohne jedoch Unterschiede untereinander zu vermeiden 50. Die Schweigepflicht gilt nicht 81 für die übrigen Mitglieder der Vertretungsgesetz, 7. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln 1991; Rolf Dietz/Reinhard Richardis Bundespersonalvertretungsgesetz, 2. Aufl., München 1978, § 10; Lorenzen/Haas/ Schmitt, Bundespersonalvertretungsgesetz, Stand August 1989, § 10. 78 Bismark, Amtsverschwiegenheit und Informationsweitergabe zugunsten von Koalitionen, PersV 1978, S. 145 ff; Kunze, Die Weitergabe von Sitzungsprotokollen des Personalrats, PersV 1978, S. 16; Lorenzen, Bundesdatenschutzgesetz und Personalvertretung, PersV 1979, S. 305; H inninger, Die Schweigepflicht und die Personal Vertretung, PersV 1979, S. 305; Wilhelm llbertz, Schweigepflicht, Zeitschrift für Personalvertretungsrecht 1980, S. 130; Büchner, Besondere Schweigepflicht der Personalvertretung und Amtswalter mit Betreuungsaufgaben, Unterrichtsblätter der Deutschen Bundespost 1984, Ausgabe A, S. 3 ff; Wahlers, Informationsrecht und Schweigepflicht des Personalrats, PersV 1986, S. 393 ff. Ähnlich ist die Schweigepflicht in § 60 BPersVG 1955 gestaltet. Zur dieser Vorschrift Duesberg, Die Schweigepflicht des Betriebsrats und Personalrats, BB 1957, S. 715 ff; Rewolle, Die Schweigepflicht, PersV 1958, S. 25 ff; Bischoff\ Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht der Personalratsmitglieder, Arbeit und Recht 1963, S. 200 ff; Magdeburg, Auskunfts- und Schweigepflicht der Personalvertretung, PersV 1963, S. 172 ff; Clemens Windscheid, Die Schweigepflicht der Personal Vertretung, PersV 1969, 25 ff.
79 § 10 SchlH PersVG (dazu Manfred Donalies, Gesetz über die Mitbestimmung der Personalräte [Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein], Wiesbaden, Losebl., Stand 1991, § 9), § 10 PersVG BW (dazu Hans-Jürgen Arndt/Rudolf Aufhauser/Ralf Brunchöber/Norbert Waga, LPVG BW, Köln 1990, § 10), § 10 BayPersVG (Kurt Schelter, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, 2. Aufl., München 1987, § 10; Gustav Ballerstedt/Hans Werner Schleichter/Bernhard Faber/Longinus Eckinger, Bayerische Personalvertretungsgesetz, Losebl., München, Stand 1992, § 10), § 11 BerlPersVG (dazu Claas Hinrich Germelmann, Personalvertretungsgesetz Berlin, Losebl., Köln, Stand 1990, § 11), § 57 BremPersVG, § 9 HmbPersVG, § 68 HessPersVG, § 69 NdsPersVG (dazu Rudolf Spon, Nds. PersVG, 4. Aufl., Wiesbaden 1985, § 69), § 9 PersVG NRW (dazu Hans Havers , LPVG NRW, 6. Aufl., o.o. 1985, § 9; Klaus Orth/Horst Welkoborsky, LPVG NRW, 5. Aufl., Köln 1993, § 9), § 9 SaarPersVG, § 71 PersVG Rh.-Pf. (dazu Helmes/Jacobih. Loewenfeld, Personalvertretungsgesetz für Rheinland-Pfalz, 1981, §71). 80
Vgl. GrabendorfflWindscheid/IlbertzJWildmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 10, vor Rdn. 1. Dem BPersVG stehen nur § 10 PersVG BW und § 71 PersVG Rh.-Pf. gleich. Eine weitgehende Entbindung von der Schweigepflicht ist in § 11 BerlPersVG enthalten. § 9 III PersVG NRW sieht eine Aussagegenehmigung für Mitglieder der Personalvertetungen vor. § 10 III PersVG SchlH erweitert die Schweigepflicht auf Personen, die das Protokoll führen. 81 § 9 HmbPersVG erwähnt ausdrücklich den Personenkreis für den die Schweigepflicht entfällt. 20 Trantas
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Vertretung, die vorgesetzten Dienststellen, die Stufenvertretung und den Gesamtpersonalrat 82. Die Schweigepflicht gilt jedoch gegenüber den Gewerkschaften 83 und der Presse 84. b) Die Regelung im Strafrecht 85
Nach § 353b StGB ist die Verletzung von Dienstgeheimnissen und besonderen Geheimhaltungspflichten strafbar. Die Pflicht zur Wahrung des Dienstgeheimnisses ist unerläßlich für eine geordnete Arbeit der Behörde und gehört daher zum Kernstück des Pflichtenkreises öffentlicher Bediensteter 86. Da sie auch in außerstrafrechtlichen Regelungen enthalten ist (z.B. §§ 61 BBG, 39 I BRRG, § 9 BAT, § 9 BAT-Ost) und Verstöße gegen diese Vorschriften disziplinaroder arbeitsrechtliche Sanktionen zur Folge haben, ist ein Teil der Lehre der Meinung, diesen Schutz bereits als genügend zu erachten und die strafrechtliche Ergänzung als übertrieben anzusehen87. Der Gesetzgeber hat jedoch auch für die Einführung besonderer Straftatbestände gesorgt 88. Rechtsgut des strafrechtlichen Schutzes ist nicht das Dienstgeheimnis, das Geheimhaltungsinteresse als solches oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verwaltung 89 , sondern in abstracto der Schutz des Amtsgeheimnisses (§§ 61 BBG, 39 BRRG) 90 . 82
§ 10 BayPersVG beschränkt jedoch das Entfallen der Schweigepflicht bei Anrufung von Stufenvertretung und Gesamtpersonalrat. Nach § 57 BremPersVG beschränkt sich die Schweigepflicht gegenüber der vorgesetzten Dienststelle und dem Gesamtpersonalrat auf Berufsgeheimnisse. Nach § 10 SchlH PersVG, § 68 HessPersVG, § 69 NdsPersVG, § 9 PersVG NRW und § 9 SaarPersVG entfällt die Schweigepflicht gegenüber der vorgesetzten Dienststelle, der Stufenvertretung, und dem Gesamtpersonalrat nur bei Anmfung im Rahmen von Zuständigkeiten. 83 Eine Ausnahme findet sich jedoch in § 9 I SaarPVG, wonach die Schweigepflicht gegenüber Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen unter bestimmten Voraussetzungen entfällt. 84 Vgl. Rolf Gross, Auskunftsrecht der Presse und personalvertretungsrechtliche Schweigepflicht, Ri A 1967, S. 121 ff. 85 Zur Verfassungsmäßigkeit des § 353b I s. BVerfGE 28, 191. Dazu die Anm. von R. Schmidt, JZ 1970, S. 686; Blei, JA 1970, S. 185. Zur Geschichte der Vorschrift Otto Probst, Der strafrechtliche Schutz des Amtsgeheimnisses, Unter besonderer Berücksichtigung der §§ 353b und 353c StGB, Köln 1939. Kritisch mit Blick auf die Informationsfreiheit Gerald Grünwald, Meinungsfreiheit und Strafrecht, KJ 1979, S. 291 ff. BVerfGE 28, 191 (200 f) = JZ 1970, 686 mit Anm. Schmidt. 87 Grünwald, Meinungsfreiheit und Strafrecht, S. 301; Schmidt, Anm. JZ 1970, S. 686. 88 Dazu Ernst Träger, StGB, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., Bd. 7, Berlin, New York 1988, 28. Lieferung 1982, § 353b, Rdn. 1. 89 Theodor Lenckner, in: Adolf Schönke/Horst Schröder, StGB, 24. Aufl., München 1991, § 353b, Rdn. 1. Für das Vertrauen der Allgemeinheit als Rechtsgut des Delikts s. Heinrich Laufhütte, Staatsgeheimnis und Regierungsgeheimnis, GA 1974, S. 52 ff (58);
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Täter können nur die in § 353 I Nr. 1-3 StGB genannten Personen sein. Diejenigen sind Amtsträger, die für den öffentlichen Dienst besonders verpflichtet sind ( § 1 1 1 Nr. 2-4 StGB) 91 , d.h. Personen, die, ohne Amtsträger zu sein, an einer Behörde bzw. zwischengeschalteten Organisationen förmlich aufgrund eines Gesetzes verpflichtet sind, und Personen mit Aufgaben der Personalvertretung, die aber nicht notwendig bei der Behörde arbeiten müssen (z.B. Gewerkschaftsvertreter nach § 36 BPersVG) 92 . Nach § 48 Wehrstrafgesetz stehen die Bundeswehrsoldaten Amtsträgern gleich 93 . Geschützt sind auch die in § 203 StGB genannten Geheimnisse. Erforderlich ist, daß dem Täter das Geheimnis als Amtsträger anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Das Geheimnis94 besteht, wenn es einem begrenzten, aber nicht notwendig geschlossenen Personenkreis bekannt ist. Die Tatsachen sollen geheimhaltungsbedürftig sein. Hier unterscheidet sich der strafrechtliche Tatbestand, der eine positive Kenntnis des Geheimnisses erfordert, von den beamtenrechtlichen Tatbeständen, die aus dem Schutz der Verschwiegenheitspflicht negativ die Tatsachen ausnehmen, die keiner Geheimhaltung bedürfen 95. GeBVerfGE 28, 191 ; Edward Dreher/Herbert Tröndle, StGB, 45. Aufl., München 1991, § 353b, Rdn. 1. Das Vertrauen der Allgemeinheit erscheint jedoch in der Dogmatik des § 353b StGB als Form unmittelbarer Gefährdung öffentlichen Interesses. So können auch durch die Tatsache, daß der Geheimnisbruch bekannt und auf diese Weise das Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit der Verwaltung schlechthin erschüttert wird, wichtige öffentliche Interessen gefährdet sein. Vgl. dazu LG Bad Kreuznach, CR 1991, 37 = RDV 1991,149; OLG Koblenz, CR 1991, 39. 90 Ähnlich verbietet § 353d die Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen. Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353d mwN. Die Schweigepflicht besteht nach der Verkündung eines Beschlusses gemäß § 174 III GVG oder im Falle eines gesetzlich geforderten Ausschusses gegenüber der Öffentlichkeit (z.B. § 48 JGG, §§ 170, 171 II GVG). 91 Dazu Albin Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, § 11, Rdn. 34 ff. Vgl. auch Jessen, Können Angehörige privatrechtlicher Versorgungsunternehmen strafrechtlich als Beamte zur Verantwortung gezogen werden?, MDR 1962, S. 526 ff; Hartmann, Zur Frage der Strafbarkeit der Gemeinderatsmitglieder, DVB1. 1966, S. 809 ff. Zu den Anforderungen an eine förmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen nach § 1 VerpflG BGH, MDR 1980, 244 = NJW 1980, 846. 92 Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 353b, Rdn. 10; Träger, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 353b, Rdn. 4, die auch auf die Erweiterung des Täterkreises durch Art. 194 EAGV und Art. 9 c des Übereinkommens zur Errichtung einer Sicherheitskontrolle auf dem Gebiet der Kernenergie vom 20. 12. 1957 hinweisen. 93 Ihre Pflicht gilt auch nach der Beendigung des Dienstes für Geheimnisse, die sie während ihres Dienstes erfahren haben (§ 1 III WStG). Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 353b, Rdn. 10; Ernst Träger, StGB, Leipziger Kommentar, § 353b, Rdn. 3. 94 Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn. 3 ff. 95 Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn. 5.
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heimnisse im Sinne des § 353b StGB sind Staatsgeheimnisse, Amtsgeheimnisse sowie Geheimnisse, die dem privaten Bereich einer Person angehören und so Geheimnisse im Sinne des § 203 I I StGB sind 96 . Das Strafgesetz enthält daneben eine Beschränkung des Schutzes in Form des Erfordernisses zur Offenbarung von Geheimnissen, die wichtige öffentliche Interessen gefährden 97. Darunter fallen alle wichtigen öffentlichen Belange von hohem Rang 98 . Umstritten ist aber, ob die Verletzung der Interessen mittelbar erfolgen kann 99 . Der Beamte darf die ihm dienstlich anvertrauten Geheimnisse weitergeben, wenn sie "offenkundig" (§§ 61 I S. 2 BBG, 39 I S. 2 BRRG), d.h. allgemein zugänglich sind, wie beispielsweise bereits durch eine Zeitung zuverlässig berichtete und verbreitete Tatsachen 100 . Der Schutz amtlicher Belange ist in § 353b I I StGB erweitert durch den Schutz der Geheimhaltung von Gegenständen (Schriften, Modellen und anderen körperlichen Sachen) und Nachrichten, d.h. mündlichen Mitteilungen 101 . Es ist 96 Lenckner, § 353b, Rdn. 5. Für ein Kasuistik nach der Rechtsprechung s. Träger, StGB, Leipziger Kommentar, § 353b, Rdn. 10 f. 97 Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn. 6. Vgl. auch Hans-Jürgen Buschke, Die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen in § 353b Strafgesetzbuch, Diss. Tübingen 1989. 98 Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn. 9; Träger, StGB, Leipziger Kommentar, § 353b, Rdn. 24 ff jeweils mwN. Eine konkrete Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen kann auch darin bestehen, daß die bloße Tatsache des Geheimnisbruchs bekannt und auf diese Weise das Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit der Verwaltung, insbesondere der Polizei, schlechthin erschüttert wird. Vgl. LG Bad Kreuznach, CR 1991, 37 = RDV 1991,149; OLG Koblenz, CR 1991, 39. 99 Ablehnend gegenüber der Möglichkeit einer mittelbaren Verletzung z.B. Β ley , II, 12. Aufl. 1983, S. 467 f. Kritisch auch Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn. 6a mit dem Hinweis, daß die Verletzung solcher Rechtsgüter, wie beispielsweise des Vertrauens der Bevölkerung in die Integrität und die Verschwiegenheit der Behörde, schon durch § 203 StGB geschützt wird. Anders die wohl h. M. Vgl. z.B. BGHSt 11, 404. Der BGH denkt, daß es für die Verwirklichung des äußeren Tatbestandes des Bruchs des Amtsgeheimnisses keinen Unterschied macht, ob die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen die unmittelbare oder nur mittelbare Folge der Tat ist. Dieser Unterschied kann jedoch für die Prüfung der inneren Tatseite Bedeutung erlangen. Denn es kann von Bedeutung sein, daß das durch den Bruch des Amtsgeheimnisses gefährdete öffentliche Interesse nicht von der in § 353b StGB vorausgesetzten Wichtigkeit (vgl RGSt 74, 110) ist. Aus der jüngeren Rechtsprechung LG Bad Kreuznach, CR 1991, 37 = RDV 1991, 149; OLG Koblenz, CR 1991, 39. 100 Vgl. OVG Münster, DöV 1966, 504, 505. Mangelnde Dienstaufsicht bildet bei der Bemessung der wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen zu verhängenden Strafen in der Regel keinen Milderungsgrund. Dazu BGH, NStZ 1989, 318 = MDR 1989, 652 = NJW 1989, 1938 = wistra 1990, 356 mit Anm. Rüdiger Molketin = JuS 1989, 937, mit Bespr. Winfried Hassemer. 101 Dazu und zum Folgenden Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn. 12 ff; Träger, StGB, Leipziger Kommentar, § 353b, Rdn. 51 f.
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nicht erforderlich, daß dieser Schutz etwas materiell Geheimhaltungsbedürftiges betrifft. Erforderlich ist nur die Verpflichtung zur Geheimhaltung durch Beschluß eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes oder die förmliche Verpflichtung durch eine andere amtliche Stelle. Förmlichkeit bedeutet hier die Notwendigkeit der inhaltlichen Formalisierung durch eine ausdrückliche Erklärung und nach außen erkennbar gemäß eines Formgebots durch eine schriftliche oder beurkundete Erklärung. Dies ist erforderlich, da die Verpflichtung ein belastender Hoheitsakt ist und einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung oder der Einwilligung des Betroffenen bedarf 102 . Ausreichend ist eine allgemeine Ermächtigung oder Vereidigungsvorschrift. Rein militärische Befehlsgewalt genügt jedoch nicht für eine förmliche Verpflichtung 103 . § 93 StGB enthält eine Bestimmung besonderer Kategorien von Staatsgeheimnissen, so ζ. B. Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die geheim und nicht illegal sind und durch ihre Bekanntmachung einen Nachteil für die äußere Sicherheit des Staates bedeuten könnten 104 . Die §§ 94 ff StGB enthalten Sondertatbestände zum Schutz von Staatsgeheimnissen wie auch illegalen Geheimnissen, die, wenn offenbart, ebenfalls einen Nachteil für die äußere Sicherheit des Staates darstellen könnten.
2. Das Berufsgeheimnis § 203 StGB verbietet die Mitteilung von Geheimnissen Privater. Schutzzweck der Vorschrift ist nicht nur das Individualinteresse an der Geheimhaltung, sondern ebenso das allgemeine Vertrauen bei der Ausübung bestimmter Berufe und an der Verwaltung und ihren Amtsträgern 105 .
102 103
Träger, StGB, Leipziger Kommentar, § 353b, Rdn. 48. Zur förmlichen Verpflichtung s. Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 353b, Rdn.
15. im Dazu Walter Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 93. Vgl. auch Hans Wolfgang Schmidt, Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Staatsschutzsachen, MDR 1990, S. 102 ff, MDR 1991, S. 185 ff. 105
Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203, Rdn. 3; Jähnke, in: Leipziger Kommentar, § 203, Rdn. 3, 14 f; Holger Preisendanz, StGB, 30. Aufl., Berlin 1978, § 203. Vgl. Volker Krey, Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1, 9. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln 1994, Rdn. 456 ff; Harro Otto, Grundkurs Strafrecht, Die einzelne Delikte, 4. Aufl., Berlin, New York 1995, S. 126; Roland Schmitz, Verletzung von (Privat-)Geheimnissen - Der Tatbestand des § 203 StGB, JA 1996, S. 772 ff (772).
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Geheimnisse sind Tatsachen, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind 106 . Ob der Betroffene (Geheimnisträger) diesem Personenkreis auch angehört, spielt keine Rolle. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Sozialversicherungsträger über Kenntnisse der Krankheit des Patienten verfügt, die der Patient selbst nicht hat. Der Geheimnisträger muß ein sachlich begründetes Interesse an der Geheimhaltung haben. Der strafrechtliche Schutz betrifft fremde Geheimnisse, die entweder im persönlichen Lebensbereich, d.h. in die Intim- und Privatsphäre des Betroffenen gehören oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen, sowie die für bestimmte Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßten Daten 107 . Die Geheimnisse des Staates sind grundsätzlich durch § 353b StGB geschützt. § 203 I I StGB verbietet die Offenbarung von Geheimnissen, die anvertraut oder sonst bekannt geworden sind. Täter sind die in § 203 Abs. 2, Nr. 1-5 StGB genannten Personengruppen. Hierzu gehören außer den Amtsträgern und den im öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 11 I Nr. 2 und 4 StGB) auch Personen, die Mitglieder der Personalvertretungen sind (BPersVG; §§ 49, 72, 74 DRiG; §§ 35, 70 SoldatenG, § 37 ZDG, sowie die Landesrichtergesetze für die Staatsanwälte, wie z.B. § 71 f BW LRiG), sowie die Hilfspersonen von Untersuchungsausschüssen, sonstigen Ausschüssen und Räten und die öffentlich bestellten Sachverständigen 108. Die Strafbarkeit fehlt, wenn es um die Durchführung von Mitteilungs- und Auskunftspflichten geht 109 . So wird beispielsweise die Offenbarung von Geheimnissen ermöglicht in den §§ 73 JWG, 31 BZRG, 267 f SGB V, 306 SGB V, 17 ff BVerfSchG, 10 ff MADG, 8 ff BNDG, 17 ff MRRG, Landesmeldegesetze110, 30 f StVG, 26 VStVZO 1 1 1 , 105 und 116 AO oder Akteneinsichtsvorschriften 112, wie z. B. §§ 80 II, 147, 385 III, 397 I, 406e StPO, 29 I VwVfG, 100 VwGO, 299 ZPO, 34 FGG, 61 PStG, geht.
3. Würdigung Ein grundlegender Unterschied zwischen der Amtsverschwiegenheitspflicht und dem Berufsgeheimnis ist, daß das Berufsgeheimnis zuerst auf den Schutz 106
Dazu und zum Nachfolgenden s. Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203, Rdn. 6; Jähnke, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 203, Rdn. 19 ff, der auch das Bestehen eines Geheimhaltungswillens als Voraussetzung nennt. 107 Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203, Rdn. 46 ff. 108
Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203, Rdn. 55 ff. Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203, Rdn. 53b. no Dazu BayVerfGH, NVwZ 1987, 786; OVG Münster, NVwZ 1989,1177. m Dazu vgl. BVerwG, NJW 1986, 2329, mit Bespr. Bull = JZ 1986, 637; OVG Koblenz, NJW 1984,1914; VGH Mannheim, NJW 1984,1911. h 2 Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 203, Rdn. 53b. 109
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privater Interessen und erst reflexiv auf den Schutz des Vertrauens der Bürger in die Verwaltung zielt. Es gestaltet eine Pflicht, die weit außerhalb der hierarchischen Struktur der Verwaltung steht, da das Berufsgeheimnis auch innerhalb des Über-Unterordnungsverhältnisses weiterbesteht. Es kann allerdings nicht als ausreichende Grundlage exekutivischer Geheimhaltung angesehen werden. Der Grund liegt in seiner Zielorientierung. Die Geheimhaltung der Verwaltung ist nicht auf private Geheimnisse beschränkt und kann nicht durch die Zustimmung Privater aufgehoben werden. Das Berufsgeheimnis spielt eine subsidiäre Rolle in Rahmen der staatlichen Geheimhaltung und kann nicht als ihre Rechtsgrundlage angesehen werden. In der Lehre ist die Funktion der Amtsverschwiegenheit meist nicht näher erörtert, sondern wird mit dem Hinweis auf die Anforderungen der Effektivität der Verwaltung oder mit dem Ansehen des öffentlichen Dienstes und der Vertrauensbildung seitens des Bürgers 113 begründet. Die Funktion der Amtsverschwiegenheitspflicht findet jedoch ihre theoretische Begründung in dem Interesse der Verwaltung an der Informationsverteilung und dem Informationsverkehr innerhalb der Verwaltung. Dies kommt insbesondere bei der Untersuchung der Reichweite der Pflicht zum Ausdruck. Die Pflicht besteht nicht bei Mitteilungen im dienstlichen Verkehr. Sie erfaßt zunächst die Mitteilungen in beiden Richtungen des Verkehrs im Rahmen des Über- und UnterordnungsVerhältnisses innerhalb einer Behörde sowie die zulässige Amtshilfe 114 . Die Amtsverschwiegenheitspflicht ist letztendlich ein Ausdruck eines hierarchisch strukturierten Verwaltungsapparates 115. Ihre systematische Eingliederung in die Konsequenzen des hierarchischen Prinzips ist anhand der praktischen Ausgestaltung der Amtsverschwiegenheit gerechtfertig 116. Die
113 So Philip Küttig, Das Recht des öffentlichen Dienstes, in: Eberhard SchmidtAßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin, New York 1995, S. 577 ff (640), Rdn. 137. Vgl. auch Ulrich Battis , Beamtenrecht, in: Norbert Achterberg/Günter Püttner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, Heidelberg 1990, S. 899 ff, Rdn. 117. 114 Kunig, Recht des öffentlichen Dienstes, Rdn. 137. Zu den Fragen der Amtsverschwiegenheit und Geheimhaltung bei die Durchführung von Amtshilfe s. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, S. 268 ff mwN. Vgl. auch Helmut Karehnke, Amtshilfe und sonstige Auskünfte durch Rechnungshöfe, Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten durch Rechnungshofsbeamte, DöV 1972, S. 809 ff. 115 Zu Rechtsbegriff und Konsequenzen des hierarchischen Prinzips Horst Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen 1991, S. 141 ff und passim. 116 So ist z.B die inneramtliche Kritik des Beamten in einer Entscheidung zulässig (vgl. zur Problematik Ingeborg Berggreen, Die "dissenting opinion" in der Verwaltung, Zum Problem der Öffentlichkeit staatlicher Entscheidungsvorgänge, Berlin 1972; der-
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Pflicht besteht nicht, wenn der Dienstvorgesetzte eine Aussagegenehmigung erteilt. Die Eröffnung des Disziplinarverfahrens bei ihrer Verletzung steht ebenfalls im Ermessen der Dienstvorgesetzten. Die Amtsverschwiegenheitpflicht ist vor allem ein Mittel zur Durchsetzung des hierarchischen Prinzips. Sie erlaubt den Dienstvorgesetzten nicht nur, ihre Entscheidungen durch die hierarchisch Untergeordneten durchzulassen, sondern auch die Formen und die Weite der Information innerhalb der Behörde zu bestimmen 117 . Die Amtsverschwiegenheitspflicht verstärkt die hierarchische Struktur der Verwaltung insofern, als sie die Kommunikation innerhalb des über- und untergeordneten Rechtsverhältnisses in der Behörde grundsätzlich einschränkt sowie die Kommunikation im Amtshilfeverhältnis und im Verhältnis Behörde-Bürger auf die gesetzlichen Ermächtigungen solcher Kontakte begrenzt. Da beide nach außen eine Begrenzung der Informationsverbreitung zu tragen haben, ist die Amtsverschwiegenheit praktisch mit der Treue- und Neutralitätspflicht 118 der Beamten oft assimiliert. Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit selbe, Die "dissenting opinion" in der Verwaltung, DöV 1973, S. 158 ff und die Bespr. von Prodromos Dagtoglou, DVB1. 1973, 519). Pflichtwidrig ist dagegen die öffentliche Kritik des Beamten an seinem Vorgesetzten (sog. "Flucht in die Öffentlichkeit"), und das auch in Fällen, in denen keine Amtsverschwiegenheitspflicht besteht. S. BDHE 1, 25. Vgl. auch BVerwGE 76, 76 (80); BVerwGE 86, 188 = DVB1. 1990, 296 = NVwZ 1990, 762 sowie Erwin Schütz, Beamtenrecht und Unterrichtung der Öffentlichkeit, ÖVD 1968, S. 205 ff. Der Beamte kann das Petitionsrecht gemäß Art. 17 GG ausüben. Es besteht daneben die Möglichkeiten der Remonstration, der Beschwerden auf dem Dienstweg sowie an den Landtag (vgl. z.B. § 179 LBG NRW). Über diesen Grenzen hinaus handelt der Beamte auf eigene Gefahr. Die Rechtsprechung scheint die Anforderungen an eine Grundrechtsverletzung und die vergebliche Beschwerde bei den in Betracht kommenden Organen als Voraussetzungen der Zulässigkeit einer "Flucht in die Öffentlichkeit" anzusehen. Dazu und zur Aussage im Rahmen gewerkschaftlicher Tätigkeit s. Claussen/Janzen, BDO, Einl. C Rdn. 47. Zusätzlich soll die unmittelbare Information der Öffentlichkeit bei schweren Verstößen gegen die verfassungsmäßige Ordnung als zulässig betrachtet werden (vgl. BGH, ZBR 1977, 106, 108 sowie BGHSt 20, 342 = JZ 1966, 278 = NJW 1966, 1227 - Fall Pätsch). 117
Der Vergleich mit der Justiz zu diesem Punkt ist eklatant. So hat der BGH als Dienstgericht des Bundes die Aufforderung des Dienstvorgesetzten an den Ermittlungsrichter, sich zu einem von diesem erlassenen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß dienstlich zu äußern, als eine grundsätzliche Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit betrachtet (BGHZ 100, 271). 118 Dazu Wind/Schimana/Wallerius, Öffentliches Dienstrecht, S. 134 f; Kunig, Recht des öffentlichen Dienstes, S. 613 f, 615 f (Rdn. 76 ff, 80 ff). "Die Treuepflicht des Beamten durchzieht das ganze Beamtenverhältnis" (Ingo v. Münch, Öffentlicher Dienst, in: derselbe, Hrsg., Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Berlin, New York 1988,1 ff, 46). S. schon Max von Seydel, Bayerisches Staatsrecht, 2. Aufl., Freiburg i.B., Leipzig 1896, Bd. 2, S. 221 f. Vgl. auch Carl Friedrichs, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1953, S. 61 ff.
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ist in der Treuepflicht des Beamten enthalten 119 . Der Beamte soll bei seinem Verhalten mäßig und zurückhaltend handeln. Dies bedeutet, daß sich der Beamte der Äußerungen oder eines Verhaltens, das einer parteipolitischen oder staatsfeindlichen Meinungsäußerung entspricht, enthalten soll 1 2 0 . Die Verletzung der Amtsverschwiegenheit könnte ein solches Verhalten darstellen. Die Neutralitäts- und Treuepflicht entspricht auch der Idee der hierarchisch organisierten Verwaltung, da sie zum Erscheinungsbild des Staates als Einheit nach außen maßgeblich beiträgt 121 .
B. Die Sperr- und Schutzfristen bei der Benutzung staatlicher Archive 1. Aufbau und Funktion öffentlicher
Archive
Die Einhaltung von Archiven ist seit Beginn schriftlicher administrativer Tätigkeit ein Charakteristikum jeden organisierten Gemeinwesens, angefangen von den Kanzleien der Reiche des Vorderen Orients über die griechische städtische "archeia", Rom und die päpstliche Kurie bis zum modernen Staat und der Gründung von Archivverwaltungen 122 .
119 So auch Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. 1, Tübingen 1911, S. 459. In der Rechtsprechung wird auch die These vertreten, daß es im Interesse einer rechtsstaatlich einwandfreien, zuverlässigen und unparteiischen Arbeit der öffentlichen Verwaltung liegt, über dienstliche Vorgänge von Seiten der Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Stillschweigen zu bewahren. Dazu BVerwG, NJW 1983, 2343 = RiA 1983, 58 = DVB1. 1983, 505 = ZBR 1983, 181 = DÖD 1983, 162. 120 Zur Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung der Beamten und Angestellten des Staates im Hinblick auf die Amtsverschwiegenheit s. Rolf Groß, Verschwiegenheitspflicht der Bediensteten, S. 18 f. 121 "Die Zurückhaltung bezweckt, die Meinungsverschiedenheiten nicht außerhalb des "Serail" zu verbreiten" (Jean-Yves Vincent, L'obligation de réserve des agents publics, RA 1973, S. 143 ff, 272 ff, 140). Ihr Ziel ist, das Verhalten der Beamten nach außen zu standardisieren. 122 Zur geschichtlichen Entwicklungen vgl. die Ausführungen von Alexanderf 7. Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, Baden-Baden 1989, S. 11 ff. Insbesondere zur Geschichte des deutschen Archivwesens Thomas Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, Tübingen 1969, S. 116 mwN; Friedrich P. Kahlenberg, Sonderbereiche der Kulturverwaltung, II. Archive, in: Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/GeorgChristoph v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, Stuttgart 1987, S. 737 ff mwN.
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Die öffentlichen Archive erfassen das aus dem Geschäftsgang der Verwaltung hervorgegangene 123 Schriftgut 124 . Die Verwaltung der Archive nehmen spezielle Verwaltungseinheiten wahr 125 . Das Archivmaterial ist Teil der öffentlichen Sachen und ist weiter als Begriff der administrativen Dokumente zu verstehen. Die Archive erhalten die Schriftstücke, die in dem laufenden Geschäftsgang der Behörde nicht mehr benötigt werden 126 . Welches diese sind, wird in der Archivgesetzgebung nicht näher bestimmt. Die Weitergabe der Akten an die Archive ist nicht fristgebunden, sondern bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Erledigung. Alle öffentlichen Stellen sind verpflichtet, ihre Unterlagen, die nicht mehr für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigt werden, der Archivverwaltung auszuliefern 127.
2. Der Zugang zum staatlichen Archivgut Die Beibehaltung des staatlichen Archivguts hat keinen Selbstzweck. Zweck der staatlichen Archivtätigkeit ist vorrangig der Zugang der Bürger zu staatlichen Unterlagen 128 . In Deutschland gab es bis 1987 keine gesetzliche Grundlage für ein subjektives Recht auf Nutzung von Archiven 129 . § 5 I BArchG sieht inzwischen vor 1 3 0 ,
»23 s. z.B. § 3 LArchivG BW. Der Begriff des Schriftguts ist für Deutschland normativ definiert. Nach dem § 1 I der Regierungsanweisung im Anhang zu § 19 GGO I sind Schriftgut "alle im Bereich der Bundesministerien aus der Geschäftstätigkeit erwachsenden amtlichen Unterlagen, unabhängig von dem Material, auf dem die Aufzeichnung erfolgt. Schriftgut sind also auch Karteien, Karten, Pläne, Bild- und Tonaufzeichnungen, mechanisch oder magnetisch angebrachte Markierungen in Belegen oder sonstigen Speichermedien". 125 In Deutschland wird diese Rolle von unselbständigen Anstalten des öffentlichen Rechts wahrgenommen (vgl. aber § 14 LOrganisationsG NRW), vorrangig dem Bundesarchiv und den Landesarchive, wie auch dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, den Archiven des Bundestages und der Landtage, den Kommunal-, Universitätsund Kirchenarchiven. Eine Besonderheit stellt das Geheimstaatsarchiv Berlin als ein Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dar. Zur Organisation der Archivverwaltung Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 15 ff; Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 425 f; Kahlenberg, Sonderbereiche der Kulturverwaltung, jeweils mwN. 126 Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 27. 124
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Vgl. § 2 I BArchG, § 3 LArchG BW. Dazu Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 27 ff. ™ S. aber auch § 3 II LArchivG BW. 129 Dazu Manfred Lepper, Die staatlichen Archive und ihre Benutzung, DVB1. 1963, S. 315 ff; Reinhardt Heydenreuter, Die rechtlichen Grundlagen des Archivwesens, Der Archivar 1979, Sp. 257 ff.
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daß jeder, der ein berechtigtes Interesse angibt, das Recht hat, das Archivgut der Bundesarchive zu benutzen, nachdem eine bestimmte Zeit verstrichen ist und wenn keine Rechtsvorschriften entgegenstehen131. Der Zugang zum öffentlichen Archivgut ist im Sozialstaatprinzip des Grundgesetzes zu begründen 132 und findet seine Grenzen an den schutzwürdigen Interessen Dritter 133 . Der Zugang zu öffentlichen Archiven ist grundsätzlich an den Ablauf von Sperr- und Schutzfristen gebunden134 . Grund der Fristregelung ist die Vermeidung des Mißbrauchs des Zugangsrechts. Die Sperrfrist liegt bei dreißig Jahren
130 Dazu Siegfried Becker/Klaus Oldenhage, Bundesarchivgesetz, in: Das Bundesrecht, August 1988, S. 7 ff; Klaus Oldenhage, Bemerkungen zum Bundesarchivgesetz, Der Archivar 1988, Sp. 477 ff; Rainer Polley, Das Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes, NJW 1988, S. 2026 f; Gerhard Granier, Zur Benutzung von Archivgut des Bundes nach dem Bundesarchivgesetz, Der Archivar 1989, Sp. 387 ff; Dieter Wydukel, Archivgesetzgebung im Spannungsfeld von informationeller Selbstbestimmung und Forschungsfreiheit, Zur Genese, Geltung und verfassungsrechtlichen Würdigung des Bundesarchivgesetzes, DVB1. 1989, S. 327 ff; Hans Schmitz, Archive zwischen Wissenschaftsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, Anmerkungen zur Archi vgesetzgebun g in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Archivalienbenutzung, in: Friedrich Kahlenberg (Hrsg.), Aus der Arbeit der Archive, Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde und zur Geschichte, Festschrift für Hans Booms, Boppard 1989, S. 95 ff. 131 § 6 LArchG BW fordert zusätzlich die Glaubhaftmachung eines berechtigen Interesses und ist insoweit strenger. Dabei erscheint als problematisch die Normierung des Zugangsrechts auf Länderebene in Form von als Landesverordnungen zu erlassenden Benutzungsordnungen. Durch diese Praxis wird die subjektive Rechtsposition des Bürgers geschwächt, da die Benutzungsordnungen als Verwaltungsvorschriften anzusehen sind. Vgl. dazu Jürgen Salzwedel, Anstaltbenutzung und Nutzung öffentlicher Sachen, in: Hans-Uwe Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin, New York 1995, S. 531 f (§ 41, Rdn. 13 f). Zu den Problemen des Rechtsschutzes beim Einblick in archivierte Akten OVG Koblenz, DVB1. 1983, 600. Da hier die Verwaltung nicht nur die Art und Weise von Leistungen bestimmt, sondern zusätzlich Abwägungen der Interessen der Benutzer und Dritter trifft, wäre es im Hinblick auf die Wesentlichkeitslehre (auch das Homogenitätsgebot) sinnvoller, die Benutzungsverhältnisse auf Länderebene gesetzlich zu bestimmen. 132 Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 68. 133 Dabei kommen insbesondere Belange des Datenschutzes in Betracht. Dazu Hans-Ullrich Gallwas, Datenschutz und historische Forschung in verfassungsrechtlicher Sicht, Der Archivar 1986, Sp. 313 ff = Informatik und Recht 1986, S. 150 ff; Gerhard Granier, Archive und Datenschutz, Der Archivar 1981, Sp. 59 ff. Vgl. auch H. J. Albrecht, Datenschutz und Forschungsfreiheit, CR 1986, S. 92 ff. 134 Die Fristregelung gilt unabhängig davon, ob sich das Archivgut im Besitz der Archiv Verwaltung befindet oder nicht. Anders wäre es für die Behörde möglich durch die Nicht-Übergabe ihrer Unterlagen an die Archivverwaltung das Zugangsrecht der Bürger zu vereiteln. S. Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 29.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
nach der Beendigung des zugrundeliegenden Vorgangs 135 . In manchen Fällen verlangen schutzwürdige persönliche und staatliche Interessen, daß Teile des öffentlichen Archivguts für längere Zeiten nicht offengelegt werden sollte. Für diese Fälle sind besondere Schutzfristen vorgesehen 136. In Deutschland laufen die Schutzfristen 80 Jahre für Unterlagen, die bestimmten Geheimhaltungsvorschriften unterliegen, und 30 Jahre für personenbezogenes Material nach dem Tode des Betroffenen oder, wenn dieser nicht festellbar ist, 110 Jahre ab der Geburt. Es besteht allerdings die Möglichkeit der Verkürzung oder der Verlängerung der jeweiligen Fristen nach Abwägung zwischen den jeweils einer Offenlegung entgegenstehenden privaten oder öffentlichen Interessen 137.
3. Bedeutung der Sperr- und Schutzfristen Es ist fraglich, ob die Sperr- und Schutzfristen bei der Benutzung des Archivguts die sedes materiae der Geheimhaltung der Verwaltung darstellen. Der Grundgedanke für eine solche Lösung liegt in zwei naheliegenden Argumenten. Da der Zugang zu allen administrativen Dokumenten nach Ablauf der Sperrbzw. Schutzfristen frei ist, wird das erste Argument daraus abgeleitet, daß e contrario die Offenbarung außerhalb der Voraussetzungen der Archivgesetzgebung nicht zulässig wäre. Dem ist nicht zuzustimmen, weil die Sperr- bzw. Schutzfristen eine Folgewirkung als Grundlage der Geheimhaltung der Verwaltung darstellen. Die Zugangssperre dient nicht der Geheimhaltung als solcher, sondern dem Schutz konkreter rechtlich geschützter öffentlicher oder privater Interessen 138. Die Fristregelung versucht eine möglichst interessengerechte Abwägung zu erreichen und ist mehr als Zeichen grundsätzlicher Öffentlichkeit anzusehen denn als Zeichen der Geheimhaltung139. In der Tat versucht die Sperrfrist mit ihrer Geheimhaltungsfunktion die Arbeit der Beamten vor Eingriffen durch die Öffentlichkeit zu schützen und damit gleichzeitig die Interessen Betroffener und die ansonsten gefährdete Vollständigkeit der Aktendurch135 § 5 I u. II BArchG, § 6 LArchG BW. Die 30-Jahre-Regelung findet sich auch in den Archivbenutzungsordnungen der Länder. Dazu Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 91 f. 136 Zur Unterscheidung zwischen Sperr- und Schutzfristen s. Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 91. 137 § 5 I, II, III, V BArchG. Für die differenzierten Lösungen auf Länderebene s. § 6 II LArchG BW und Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 91 f, 97 f. Vgl. auch Gerhard Granier, Benutzungsgrenzjahre in öffentlichen Bibliotheken, Der Archivar 1975, Sp. 196 ff. 138 Dazu und zu Folgendem Granier, Benutzungsgrenzjahre, Sp. 197 f; Freys, Das Recht der Nutzung und des Unterhalts von Archiven, S. 98 ff mwN. 139 Es ist nicht zu vergessen, daß manche Teile des Archivguts an keine Fristregelung gebunden sind. Vgl. Laveissière , Le statut des archives, S. 265.
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fuhrung zu sichern 140 . Das zweite Argument zielt ebenfalls auf eine e contrario Konsequenz. Was die Behörde an die Archivverwaltung übertragen hat oder übertragen wird, ist von geschichtlicher Bedeutung. Daraus folgt, daß alle Informationen, die in aktueller Benutzung sind, geheim zu halten sind und nur das, was etwa in der Vergangenheit liegt, offenbart werden darf. Dieser Gedanke geht allerdings von einer falschen Konstellation aus. Nicht, was Geschichte enthält, wird der Archivverwaltung zugeteilt, sondern, was die Archivverwaltung erhält, wird Teil der Geschichte! 141 Mit anderen Worten: Was in den Archiven steht, soll grundsätzlich zugänglich sein, und was sich noch in den Behörden findet, bleibt grundsätzlich geheim. Aber damit bestimmt nur ein interne administrative Entscheidung, was öffentlich und was geheim ist. Dies ist rechtsstaatlich nicht tragbar. Die Fristregelungen dürfen daher nicht als Rechtsgrundlage der Geheimhaltung der Exekutive dienen 142 .
C. Die Geheimhaltungsmittel Unter Geheimhaltungsmitteln versteht man alle Möglichkeiten der Exekutive, die Geheimhaltung lückenlos zu schützen 143 . Darüber hinaus ergibt sich die Konsequenz, daß die Geheimhaltungsmittel eigentlich Erscheinungsformen und keine Grundlage exekutivischer Geheimhaltung darstellen. In der Lehre ist jedoch der Versuch unternommen worden, die Geheimhaltung durch Berufung auf die Geheimhaltungsmittel begrifflich zu konkretisieren 144 . Es stellt sich deshalb die Frage, ob sich aus den verschiedenen stark differenzierten Geheimhaltungsmitteln die Rechtsgrundlage der Geheimhaltung ergibt.
140 Nicht zuletzt dient die Fristregelung die Aufarbeitung und insbesondere Katalogisierung des Archivguts. 141 Letteron , L'administré et le droit à l'information, S. 435. 142 Dies gilt insbesondere für die Länder, die noch den Zugang und die Benutzung der Archive durch Verwaltungsvorschriften regeln. 143 Vgl. Düwel, Amtsgeheimnis, S. 34. 144 So versteht Düwel, S. 34 ff den Begriff der Geheimhaltungsmittel etwa differenziert. Für ihn sind die eigentlichen Geheimhaltungsmittel die Amtsverschwiegenheit, die Versagung von Akteneinsicht und die Verweigerung einer behördlichen Auskunft. Daneben tritt die Möglichkeit, aus den Geheimhaltungsmitteln seinen Zweck, d.h. die Geheimhaltung zu bestimmen. Dieser Annäherungsversuch von Düwel hilft jedoch nicht weiter. Was von seiner eigenen Analyse klar wird, ist, daß die gesetzliche Strukturierung der Geheimhaltungsmittel uneinheitlich ebenso wie unzweckmäßig und sachlich unbegründet ist, und daß die Erörterungen diese und nicht die Geheimhaltung als Gegenstand haben (S. 41). Der Versuch Düwels ist von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen und deshalb gescheitert, weil die eigentlichen Geheimhaltungsmittel die Erscheinungsformen der von ihm als solche betrachteten Rechtsbegriffe sind.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Geheimhaltungsmittel sind in zwei Normkomplexe unterteilt. Den ersten bilden die prozeßrechtlichen Vorschriften, die der Wahrung der Geheimhaltungsinteressen der Verwaltung dienen. Den zweiten bildet eine unterschiedliche Menge von Normen, die, meistens innerdienstlich, die Geheimhaltung schützen. Zu den Geheimhaltungsmitteln sind nicht die verschiedenen besonderen Geheimhaltungs- und Datenschutzvorschriften sowie die Ausnahmetatbestände von Offenbarungsvorschriften zu zählen, weil diese nicht der Geheimhaltung allgemeiner, sondern konkreter Interessen dienen 145 .
1. Die prozeßrechtlichen
Geheimhaltungsmittel
Das deutsche Prozeßrecht enthält drei grundsätzliche Möglichkeiten zum Schutz exekutivischer Geheimhaltung. Dies sind die Zeugnisverweigerung des Verwaltungspersonals, die Aussonderung amtlicher Schriftstücke aus den vorzulegenden Beweismitteln und die Verweigerung der Behörde, den Gerichten bzw. der Staatsanwaltschaft, Auskunft zu geben 146 . a) Die Zeugnisverweigerung der Beamten und anderer Personen des öffentlichen Dienstes 147 ist in § 54 StPO 148 und in § 376 ZPO 1 4 9 geregelt. Nach diesen Vorschriften steht die Zeugnisverweigerung auf einer formal gesetzlichen und 145 Dies bedeutet natürlich nicht, daß sie in keinem Verhältnis zu den Geheimhaltungsmitteln stehen. Zu Auswirkungen der Geheimhaltungsvorschriften in verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren s. Johannes Jansen, Geheimhaltungsvorschriften im Prozeßrecht, Diss. Bochum 1989, S. 46 ff. 146 S. Düwel, Amtsgeheimnis, S. 38 ff. Vgl. Jürgen Tatschke, Akteneinsicht und Geheimnisschutz im Strafverfahren, CR 1989, S. 299 ff, 410 ff; derselbe, Die behördliche Zurückhaltung von Beweismitteln im Strafprozeß, Frankfurt u.a. 1989; Jansen, Geheimhaltungsvorschriften in Prozeßrecht. 147 Dazu Gerhard Merld, Die Zeugenaussage nicht beamteter Personen des öffentlichen Dienstes vor Zivil- und Strafgerichten (Aussagegenehmigung nach §§ 376 ZPO, 54 StPO, Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO), Diss. Regensburg 1973; Ludwig Leiß, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes als Zeugen über dienstliche Vorgänge, DöV 1956, S. 396 ff. 148 Dazu Hans Dachs, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., Bd. 1, Berlin, New York 1988, § 54. Vgl. auch §§ 53, 53 a StPO, die für bestimmte Kategorien des Verwaltungspersonals in Konkurrenz stehen. Die Vorschriften der StPO sind auch beim Wehrdisziplinarverfahren (§ 85 I WDO) und beim Wehrbeschwerdeverfahren (§ 18 II S. 2 iVm § 85 I WDO) anzuwenden. 149 Dazu Jürgen Damran, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. 2, München 1992, § 376; Ekkerhard Schumann, in: Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., Bd. 2, Teilbd. 2, Tübingen 1989, § 376. Auf § 376 ZPO verweisen die §§ 98 VwGO, 118 SGG, 82, 84 FGO. Vgl. auch §§ 382-385 ZPO. Dazu OLG Stuttgart, WRP 1977, 127. Für den Prozeß vor dem Bundesverfassungsgericht s. § 28 II BVerfGG.
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
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nicht auf einer gewissensbezogenen Rechtsgrundlage 150. Beide Vorschriften knüpfen die Aussage an eine Genehmigung zur Aussage, die gemäß den Voraussetzungen des Beamtenrechts zu erteilen ist 1 5 1 . In Betracht kommen § 62 BBG sowie die § 3 9 I I - I V BRRG 1 5 2 . Nach den §§ 62 I BBG, 39 I I I S. 1 BRRG ist die Aussagegenehmigung grundsätzlich zu erteilen. Es können aber erhebliche Tatsachen entgegenstehen, die bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden sollten 153 . Die Behörde soll die Aussagegenehmigung nicht erteilen, wenn sie dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereitet oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde 154 . Die Koppelung 150
Anders natürlich bei den Tatbeständen der §§ 53, 53a StPO. So kann die Gewissensentscheidung des Geistlichen, das Zeugnis zu verweigern, für ihre Beurteilung von Bedeutung sein. Wichtig ist, ob ihm etwas in seiner Eigenschaft als Seelsorger bekannt gegeben worden ist und ihm deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Dazu BGHSt 37, 138 = JZ 1990, 927 = MDR 1990, 1029 = NStZ 1990, 601 = NJW 1990, 3283. Vgl. RGSt 54, 39, sowie OLG Nürnberg, OLGZ 1977, 370 (Zeugnisverweigerung des für eine GmbH tätig gewesenen Wirtschaftsprüfers nach Konkurs der GmbH). Zum Zeugnisverweigerungsrecht des Verwaltungsdirektors eines Krankenhauses zustimmend OLG Oldenburg, NStZ 1983, 39 mit ablehnende Bespr. von G. Pelchen, Zum Zeugnisverweigerungsrecht des Verwaltungsdirektors eines Krankenhauses, NStZ 1983, S. 39 f. Solche gerichtlichen Abwägungen sind während des Verfahrens bei der Vernehmung der Beamten oder des Personals des öffentlichen Dienstes nicht gesetzlich vorgesehen. 151 Die Verweisung auf die beamtenrechtlichen Vorschriften wurde durch das Inkrafttreten des DBG (26. 1. 1937) eingeführt. Kritisch dazu Düwel, Amtsgeheimnis, S. 38. 152 Dazu Gemeinschaftskommentar öffentliches Dienstrecht, Bd. 1, Teil 2a (Losebl.), § 62 BBG. Auf Länderebene § 79 LBG BW, Art. 69 BayBG, § 26 BerlLBG, § 61 BremBG, § 65 HambBG, § 75 HessBG, § 68 NdsBG, § 64 LBG NRW, § 70 LBG Rh.-Pf., § 75 SaarBG, § 77 LBG SchlH. Die Vorschriften entsprechen § 9 I DBG. Andere Vorschriften, die die Zeugnisverweigerung regeln,finden sich in § 14 II SoldatenG, § 29 ZDG, Art. 38 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3. 8. 1059. Für die Minister s. §§ 6 II, 7 BMinisterG. 153 Dazu FriemeU Die Zeugnisverweigerungspfli'cht der Beamten im Strafprozeß, Diss. Tübingen 1952; Eberhard Menzel, Die Aussagegenehmigung für Beamte und Soldaten vor Gericht, Zur Verwirklichung der Rechtsstaatlichkeit im Verfahrensrecht, DöV 1965, S. 1 ff; Paul Wetterich, Der Polizeibeamte als Zeuge, Stuttgart, München, Hannover 1970; Klaus Böhm, Zum Erfordernis einer Genehmigung des Dienstherrn für Zeugenaussagen eines Polizeibeamten, NStZ 1983, S. 158 ff; Ursula Ziegler, Die Aussagegenehmigung im Beamtenrecht, Baden-Baden 1989. Vgl. auch Rudolf Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, Paderborn, München, Wien, Zürich 1979. Zur Aussagegenehmigung für Minister Georg Nolte , Aussagegenehmigung für Abgeordnete des Bundestages, MDR 1989, S. 514 ff. 154 Darüber können auch private Geheimnisse, wie z.B. das Steuergeheimnis, fallen, wenn ihre Offenbarung das Vertrauen des Bürgers gegenüber der Behörde und die Kooperationsbereitschaft verletzt. Vgl. Gerhard Rössler, Das Steuergeheimnis und die Stellung des Finanzbeamten als Zeuge vor Gericht, MDR 1969, S. 356 ff. S. aber Bern-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
der Aussagegenehmigung mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben stellt ein schwer zu überwindendes Hindernis dar, obwohl es sich hier natürlich um einen voll nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff handelt 155 . Die Aussagegenehmigung erteilt der Dienstherr 156 . Die Aussagegenehmigung nach Verwaltungsermessen erscheint insbesondere beim Strafprozeß in Hinblick auf Art. 97 und 101 I GG als problematisch 157 . Die grundsätzliche Kritik ist, daß dem gesetzlichen Richter Prozeßstoff durch administratives Ermessen entzogen wird 1 5 8 . Durch die Aussagegenehmigung erhält die Behörde praktisch die Möglichkeit, den Prozeß zu lenken 159 . Hinzu tritt die Frage, ob in solchen Fälle die Verweigerung der Aussagenehmigung mit einem Verwertungsverbot der relevanten Materien seitens der Verwaltung gekoppelt werden sollte. Die Erteilung bzw. Verweigerung der Aussagegenehmigung160 ist ein Verwaltungsakt 161 und kein Justizverwaltungsakt. Sie kann vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden 162 .
hard Raschauer, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1981), S. 240 ff, der zutreffend bemerkt, daß das traditionell überstrapazierte "Amtsgeheimnis", die "verwaltungspolitischen" Selbstbindungen suspekt macht. 155 Gefordert wird eine sorgfältige Abwägung der im Widerstreit stehenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter unter Berücksichtigung des gesamten konkreten Sachverhalts. S. BGHSt 36,44 = NJW 1989, 1228 = MDR 1989,473 = ZBR 1989, 144. Hat die Behörde ihre Entscheidung über die Beschränkung der Aussagegenehmigung nicht oder nicht verständlich begründet oder ist die Begründung fehlerhaft, muß das Strafgericht von der Behörde eine Überprüfung verlangen. S. auch §§ 62 II BBG, 39 III S. 3 BRRG, die die Versagung der Genehmigung zur Erstattung von Gutachten auch auf die Gefährdung der dienstlichen Interessen stützen. 156 Wenn das Beamtenverhältnis beendet ist, wird die Genehmigung vom letzten Dienstherrn erteilt (§ 39 II BRRG). Wenn der Beamte den Dienstherrn gewechselt hat und die Aussage einen Vorgang des Dienstes bei dem früheren Dienstherrn betrifft, ist die Genehmigung nur mit Zustimmung dieses zu erteilen. 157 Dazu Friedrich von Zezschwitz, Verfassungsrechtliche Problematik administrativer Aussagebeschränkungen im Strafprozeß, NJW 1972, S. 796 ff. 158 Zum Behinderungsverbot der Garantie des gesetzlichen Richters s. Karl August Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, in: Karl August Bettermann/Hans Carl Nipperdey/Ulrich Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II 2, Berlin 1959, S. 523 ff (542). »» s. aber BDH-Wehrdienstsenat, NJW 1962, 1884 ("Fall Barth"), wonach die Aussagegenehmigung aus genau diesem Grund nicht erforderlich für das Verfahren vor den Wehrdienstgerichten ist. Dazu Menzel, Die Aussagegenehmigung für Beamte und Soldaten vor Gericht, S. 1 ff; Düwel, Amtsgeheimnis, S. 85 ff. 160 M. Baring , Die Ablehnung der Aussagegenehmigung, ZBR 1956, S. 37 ff, 71 ff; G. Β. Schweitzer, Die Versagung der Aussagegenehmigung, ZBR 1956, S. 201 ff; Hans
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b) Die Aussonderung amtlicher Schriftstücke aus den vorzulegenden Beweismitteln ist in § 96 StPO 163 sowie in § 99 VwGO, § 86 FGO, § 119 SGG 1 6 4 geregelt 165 . Nach § 96 StPO ist die Vorlage von Akten durch die Behörden 166 nicht zu fordern, wenn die oberste Dienststelle 167 erklärt, daß das Bekanntwerden ihres Feller, Persönliche und gegenständliche Reichweite der Vorschriften zur Verpflichtung zur Aussagegenehmigung, JZ 1961, S. 628 ff. 161 Dazu Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO, § 376 Rdn. 30, 39; Dachs, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 54, Rdn. 24. Zu den Problemen der Abgrenzung von innerdienstlichen Akten s. allgemein Klaus Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, Stuttgart, München, Hannover 1956, S. 105 ff. ι « BVerwG, NJW 1983, 638; Dachs, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 54, Rdn. 24; Peter Hantel, Rechtsschutz bei der Verweigerung einer Aussagegenehmigung für Beamte, JuS 1984, S. 516 ff; ausführlich bereits Düwel, Amtsgeheimnis, S. 194 ff. Vgl. aber VG Berlin, DöV 1977, 144, nach dem die Rechtmäßigkeit der Versagung einer Aussagegenehmigung für Beamte, die in einem Strafverfahren als Zeugen vernommen werden sollen, gemäß § 13 GVG das erkennende Strafgericht zu überprüfen hat. In diesem Sinne auch Ursula Ziegler, Die gerichtliche Kontrolle der Geheimhaltungsmittel der Exekutive, ZRP 1988, 25 ff; dieselbe, Die gerichtliche Überprüfbarkeit des behördlichen Geheimnisbereichs - am Beispiel der beamtenrechtlichen Genehmigung zur Aussage vor Gericht, DRiZ 1989, 11 ff. 163 Dazu Gerhard Schäffer y in: Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., Bd. 1, Berlin, New York 1988, § 96. 164 Dazu Redeker/Oertzen, VwGO, § 99; Kopp, VwGO, § 99; Ey ermann! F röhler, VwGO, § 99; Werner Hennig/Hans-Siegmund Danckwerts/Walter König, SGG, Kommentar, Neuwied, Kriftel, (Losebl.), § 119; Kummer, in: Hubertus Hommel/Helmar Bley/Peter Kummer/Horst Peters/Theodor Sautler/Richard Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln (Losebl. 1968 ff), § 119 SGG. 165 Die ZPO folgt einer differenzierten Lösung. In einem Fall, in dem die Behörde Streitpartei ist, ist sie nur aufgrund des § 810 BGB verpflichtet die Unterlagen vorzulegen (§ 432 II iVm § 422 ZPO). Hat die Behörde oder der zuständige Beamte die Mitteilung der Urkunden untersagt, sind dann die §§ 428-431 ZPO anzuwenden (§ 432 III ZPO). Die Behörde kann jedoch entscheiden, die Verpflichtung zu umgehen und die Konsequenzen nach der Beweislastregel zu tragen. In einem Fall, wo die Behörde keine Partei im Verfahren ist, genießt sie weitgehende Freiheit. Das Ersuchen des Gerichts, Akten vorzulegen, ist praktisch nach der allgemeinen Regel der Amtshilfe zu beantworten (§ 432 ZPO, Art. 35 GG). Dazu kritisch Düwel, Amtsgeheimnis, S. 40. Die Abweichung der ZPO von der StPO und VwGO ist aufgrund des differenzierten Gegenstandes und Beweisaufnahmesystems des Zivilprozesses zu erklären. 1
66 § 96 StPO erfaßt alle Verwaltungsbehörden. A.A. Jürgen Taschke, Zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Sperrvermerks nach § 96 StPO, StrV 1986, S. 54 ff, der die Meinung vertritt, daß die genannte Vorschrift sich nur auf zur Amtshilfe verpflichtete Behörden beziehe, nicht aber auf die Polizei als Strafverfolgungsbehörde. 167 Welche Verwaltungsstelle die Funktion der obersten Dienstbehörde im Sinne des § 96 StPO ausübt, ist aus dem jeweiligen Verwaltungsorgan!sationsgesetz abzulei21 Trantas
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Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde. Die endgültige Sperrerklärung der Behörde ist für das Strafgericht nicht bindend, wenn sie offensichtlich willkürlich oder mißbräuchlich ist 1 6 8 . Hierbei ist erforderlich und ausreichend, daß die oberste Dienstbehörde ihre Wertung der Tatsachen als geheimzuhaltende so einleuchtend darlegt, daß das Gericht diese Wertung unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Belange nachvollziehen kann 169 . Behördliche Unterlagen sind nicht schon wegen ihres Wesens geheimhaltungsbedürftig 170 . Das Strafgericht prüft, ob die Sperrerklärung der Behörde den Anforderungen des § 96 StPO entspricht und kann 171 , wenn die Vorausetzungen nicht vorliegen oder ein wichtiges öffentliches Interesse an der Verfolgung des Strafanspruchs besteht 172 , die Beschlagnahme der Unterlagen gemäß § 94-95 StPO anordnen 173 . Die Sperrerklärung kann als Verwaltungsakt vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden 174 . Der Mechanismus des § 96 StPO ist Vorbild für die Verweigerung der Aktenvorlage in den verschiedenen Prozeßordnungen. Die Regelung für den Verten. Vgl. dazu BGH, MDR 1989, 757 = StrV 1989, 377 = NStZ 1989, 485 = NJW 1989, 3294. S. auch U.-H. Schneider, Die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage im Strafprozeß, S. 69 ff. 168 KG Berlin, NStZ 1989, 541. Die Sperrerklärung ist für das Gericht nicht bindend, wenn sie offensichtlich auf unsachlichen Erwägungen beruht und keine Gründe darlegt, daß die Verweigerung auf einen der in der StPO genannten Hinderungsgründe zurückzuführen ist. Vgl. auch BVerfGE 57, 250. 169 BVerwGE 66, 39. 170 So richtig BVerwGE 75, 1 = NJW 1987, 202 = StrV 1986, 523 = DVB1. 1986, 1207 = DöV 1987, 249, in bezug auf Verfassungsschutzakten. 171 Dazu U.-H. Schneider, Die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage im Strafprozeß, S. 129 ff. Das Gericht soll aber auch prüfen, ob das Rechtsschutzbedürfnis bei der Abwägung des jeweiligen konkreten Falls höher als der durch die Wahrung der Geheimhaltung gewährte Schutz der Persönlichkeit Dritter steht. Dazu Bogomil Maetzel, Beweisverbote zwecks Geheimniswahrung, DVB1. 1966, S. 665 ff (668 ff). 172 Ein wichtiges öffentliches Interesse an der Verfolgung des Strafanspruchs besteht z.B. wegen Verletzung von Unterhaltspflichten und kann die Beschlagnahme von Behördenakten begründen, die gemäß § 30 VwVfG und § 35 SGB I zur Geheimhaltung bestimmt sind. Dazu LG Darmstadt, NJW 1978,901 = JuS 1978,641 = VR 1978, 390. 173 KG Berlin, NStZ 1989, 541. Vgl. auch VG Berlin, DöV 1977, 144. Anders KG Berlin, JR 1980, 476. Die Anordnung der Beschlagnahme von Behördenakten durch das Gericht ist zulässig, wenn ein wichtiges öffentliches Interesse an der Verfolgung des Strafanspruchs, z,B. wegen Verletzung von Unterhaltspflichten, besteht. S. LG Darmstadt, NJW 1978, 901 = VR 1978, 390. Dazu Bernhard Kramer, Die Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten im Strafverfahren, NJW 1982, S. 1502 ff. 174 BVerwGE 75, 1 = NJW 1987, 202 = StrV 1986, 523 = DVB1. 1986, 1207 = DöV 1987, 249; VGH Mannheim, StrV 1986, 52.
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waltungsprozeß entspricht derjenigen des § 96 StPO. Die oberste Dienststelle hat das Recht, die Aktenvorlage aus bestimmten Gründen zu verweigern (§ 99 I S. 2 VwGO). In diesem Fall kann auf Antrag eines der Beteiligten das Gericht über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entscheiden. c) Die Verweigerung der Auskunft bei der Justizbehörde wird nicht ausdrücklich geregelt 175 . Ihr ist jedoch als Ausnahme der Auskunftspflicht, die die Behörden als Prozeßparteien tragen und die in § 161 StPO expressis verbis vorgesehen ist, zuzustimmen. Als Rechtsgrundlage der Auskunftsverweigerung wird die analoge Anwendung der Vorschriften über die Verweigerung der Aussage und der Aktenvorlage vorgeschlagen 176.
2. Exkurs: Die Problematik des Schutzes von V-Leuten In der Praxis werden die Geheimhaltungsmittel im Prozeßrecht kombiniert eingesetzt, um Personen zu schützen, die die Behörden mit Informationen versorgt haben. Die Behörden sind dabei entweder aufgrund von entsprechenden Zusagen oder zum Schutz der Informationsquelle für die Zukunft nicht bereit, Informationen zu geben, die die Anonymität der Informanten (sog. V-Leute) gefährdet. Die Problematik ist besonders im Strafprozeßrecht bekannt und heftig diskutiert 177 . Die Diskussion konzentriert sich auf die Vereinbarung einer bela175
Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 39. Vgl. Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 39. Ein zusätzlicher Grund kann sein, daß die Behörden einem Verwendungsverbot der Informationen unterliegen. Zur Problematik der Informationsverwertungsverbot im Stafprozeß statt vieler Rainer Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, Marburg 1992. 177 Das Schrifttum ist unübersichtlich. S. nur exemplarisch Georg Schulz, Bekanntgabe von V-Leuten an die Staatsanwaltschaft, GA 1958, S. 264 ff; Heinz Meilicke, Der vom Staatsgeheimnis verhüllte V-Mann-Belastungszeuge?, NJW 1963, S. 425 ff; Thorolf Stegmann, Behördlich geheimgehaltene Zeugen als Beweismittel im Strafprozeß, Diss. Tübingen 1967; Winfried Krause, V-Leute und die Verwertung ihrer Nachrichten im strafgerichtlichen Verfahren, Diss. Berlin 1969; Hans-Jürgen Bruns, Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen "V-Mann-Problems", Baden-Baden 1982; Ralf Krüger, Verfassungsrechtliche Grundlagen polizeilicher V-Mann-Arbeit, NJW 1982, S. 855 ff; Jürgen Meyer, Zur prozeßrechtlichen Problematik des V-Mannes, ZStW 1983, S. 834 ff; Karl-Heinz Schmidt, Der "gesperrte" V-Mann, DRiZ 1983, S. 474 ff; Herbert Schäfer, Das Ende des "V-Mannes"?, JR 1984, S. 397 ff; Jürgen Meyer, Zur V-MannProblematik aus rechtsvergleichender Sicht, in: Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, Bd. 2, Berlin 1985, S. 1311 ff; Hermann Heinrich Haas, V-Leute im Ermittlungs- und Hauptverfahren, Neue prozessuale Aspekte, Pfaffenweiler 1986; Frank Arloth, Geheimhaltung von V-Personen und Wahrheitsfindung im Strafprozeß, München 1987; Herwig v. Zwehl, Der Einsatz von V-Leuten und die Einführung des Wissens von V-Leuten in das Strafverfahren, Pfaffenweiler 1987; Henning Ernst Müller, Behördliche Geheimhai176
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Stenden Aussage in einem rechtsstaatlich gestalteten Prozeß 178 , d.h. auf die Frage um die Geheimhaltung der Identität von Belastungszeugen. Neuerdings wird aber auch die Frage des Entlastungsvorbringens erhoben 179 . Die Behörden, insbesondere die Polizei, sind nicht bereit, in der Praxis 180 die Erfüllung ihrer Aufgaben durch Preisgabe wichtiger Informanten zu gefährden. So wird in der Praxis die Aussagegenehmigung von Beamten sowie die Vorlage von Akten verweigert, wenn durch diese die Identität des Informanten bekannt wird. Oder es kommt vor, daß die Verwaltung nur eine verdeckte Zeugenvernehmung zuläßt. In solchen Fällen hat das Gericht im Rahmen seiner legitimen Aufgabe der Wahrheitsfindung die Informationssperre behördlicher Stellen zu überprüfen 181 , und falls ihre Handlung als offensichtlich rechtswidrig oder zweifelhaft rechtmäßig erscheint, darf es die Beschlagnahme der bei der Behörde liegenden Beweismittel anordnen oder die Aussage verlangen 182 .
tung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten, Tübingen 1992, S. 2 f mwN. Vgl. auch BGHSt 30, 34 = NJW 1981,1052 = JZ 1981, 357 = MDR 1981, 511. 178 Vgl. hier statt vieler Adolf Arndt, Der Rechtsstaat und sein polizeilicher Verfassungsschutz, NJW 1961, S. 897 ff; Heribert Ostendorf \ Die Informationsrechte der Strafverfolgungsbehörden gegenüber anderen staatlichen Behörden im Widerstreit mit den strafrechtlichen Geheimhaltungspflichten, DRiZ 1981, S. 4 ff; Werner Beukle, Das Einsichtsrecht des Strafverteidigers in die polizeilichen Spurenakten, in: Festschrift für Hanns Dünnebier, Berlin, New York 1982, S. 285 ff; Günther Ernesti, Staatsanwaltschaft, Polizei und die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten, ZRP 1986, S. 57 ff; Rüdiger Deckers, Verteidigung beim ersten Zugriff der Polizei, NJW 1991, S. 1151 ff. Zur besondere Probleme Träger der Sozialverwaltung s. Walter, Zur Auskunftspflicht der Sozialbehörden und Arbeitsämter in Ermittlungs- und Strafverfahren, S. 868 ff. Vgl. auch Adelheid Harthun, Der Schutz privater Geheimnisse bei der Entscheidung über Anträge auf Übersendung sozialgerichtlicher Verfahrensakten, Sgb 1977, S. 181 ff; Stegmann, Behördlich geheimhaltene Zeugen als Beweismittel im Strafprozeß, passim. Zur Problematik der Verfassungsmäßigkeit bezüglich des Prinzips fairen Verfahrens s. BVerfGE 57, 250 = NJW 1981, 1719 = EuGRZ 1981, 402 = NStZ 1981, 357 = MDR 1981,900 = JZ 1981, 741. 179
Henning Ernst Müller, Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten, Tübingen 1992. Vgl. früher Friedrich v. Zezschwitz, Verfassungsrechtliche Problematik administrativer Aussagebeschränkungen im Strafprozeß, NJW 1972, S. 197 ff; Klaus Lüderssen, Zur "Unerreicherbarkeit" des V-Mannes, in: Festschrift für Ulrich Klug, Köln 1983, S. 527 ff. 180 Dazu Vgl. Peter Loosy Verratsfälle und Verräter, Betrachtungen zur Vertraulichkeit polizeiintemer Informationen, Kriminalistik 1989, 121 f und 124; Winfried Tabarelli, Fundgruben und Quellen, Aktive Informationsbeschaffung bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, Kriminalistik 1990, S. 635 ff. isi Nach OVG Lüneburg, NJW 1984, 940 und VG Mainz, DVB1. 1982, 659 sind hier nicht die Verwaltungsgerichte zuständig, sondern das jeweils in der Hauptsache zuständige Gericht nach § 23 EGGVG. i 8 2 Henning Müller, Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten, S. 42 ff. Dieser Verfasser sieht zusätzlich auch eine Pflicht der Behörde
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3. Sonstige Geheimhaltungsmittel Neben den prozeßrechtlichen Sicherungen der Geheimhaltung besitzt die Verwaltung eine Reihe anderer Instrumente mit demselben Zweck. Ohne den Anspruch, die Problematik zu erschöpfen, wird hier nur auf vier Normkomplexe hingewiesen. a) Die Einsetzung von Verwaltungsverfahren, die ausgestalten sind, um die Sicherheitsrisiken zu mindern, stellt ein erstes Beispiel von Geheimhaltungsmitteln der Behörde außerhalb von Prozessen dar. Hier handelt es sich um Sonderverfahren oder Ausnahmetatbestände in den normalen Verfahrensregelungen 183. So darf das luftverkehrsrechtliche Genehmigungsverfahren und die abschließende Sachentscheidung bei der Anlegung oder wesentlichen Änderung militärischer Flugplätze entfallen, wenn und soweit dies nach den Umständen des Einzelfalls mit der Erfüllung des Verteidigungsauftrags gänzlich unvereinbar ist. Im übrigen sind sowohl das Verfahren als auch der Inhalt der Genehmigung hinsichtlich der Einzelheiten des Vorhabens dem jeweiligen Geheimhaltungsbedarf anzupassen und demgemäß jedenfalls eingeschränkt, z.B. in Form eines isolierten Anhörungsverfahrens, durchzuführen bzw. offenzulegen 184. Solche Vorschriften stehen in Konflikt mit der demokratischen Funktion des Verwaltungsverfahrens und können unter Umständen im Fall von Genehmigungsverfahren die verfassungsrechtliche Garantie der Planungshoheit der Gemeinde verletzen. Sie sind daher als Ausnahmen sehr eng auszulegen, und ihrer Einsetzung steht die Kontrolle durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entgegen. b) Ein anderes Mittel zur Erhaltung der Geheimhaltung bildet die Geheimhaltungsabstufung administrativer Vorgänge und Akten in bezug auf diese Vorgänge. Diese Abstufung entspricht der Verleihung von Sicherheitsbescheiden, die den Zugang zu bestimmten Vorgängen zulassen185. zur erneute Abwägung der Geheimhaltungsbelange bei schweren Straftaten im Hinblick auf Strafverfolgungs- und Schutzpflichten des Staates (Müller, S. 67 ff, insbes. S. 84 ff). Vgl. hier auch OVG Koblenz, CR 1990, 730. »» Vgl. z.B. § 60 BImSchG iVm § 2 12. BImSchV. S. auch § 29a BAbfG. Dazu Kunig, in: Philip Kunig/Gerfried Schwermer/Ludger-Anselm Versteyl, Abfallgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 1992, Art. 29a, Rdn 5. im Dazu BVerwGE 81, 95 = NVwZ 1989, 750 = DVB1 1989, 363 = UPR 1989, 302 = ZLW 1989, 143. S. auch §§ 6, 30 LuftVG. Zu diesem Genehmigungsverfahren im allgemeinen s. Roland Hartmann, Genehmigung und Planfeststellung für Verkehrsflughäfen und Rechtsschutz Dritter, Berlin 1994. 185 Eine genaue Beschreibung dieses Systems, das im Bereich der Verteidigungsund Sicherheitsbehörden besonders stark angewandt ist, wird anders als in Frankreich nicht in der Literatur gegeben. Da die Grundlagen des Abstufungssystems NATO-Vor-
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Solche Maßnahmen gehören zum Innenrecht der Verwaltung und werden aufgrund von Verwaltungsvorschriften beschlossen. Sie dienen dem Interesse der Behörde. Danach kann die Verleihung oder Entziehung des Sicherheitsbescheides kein subjektives Recht der Beamten oder Soldaten begründen. Als innerdienstliche Maßnahmen stellen sie keine Verwaltungsakte dar. Dies bedeutet aber nicht, daß die Entziehung solcher Sicherheitsbescheide nicht gerichtlich überprüfbar ist. Die Entziehung kann nach den Umständen Schaden beim Ansehen und der Karriere des Beamten oder Soldaten verursachen, insbesondere, wenn es sich um Personal der Verteidigungs- oder Sicherheitsverwaltung handelt. Die Gerichte können mit Erhebung einer Feststellungsklage zur Geltendmachung der Rechtswidrigkeit der Entziehung eines Sicherheitsbescheides angerufen werden 186 . Das Gericht muß prüfen, ob der Sicherheitsbescheid willkürlich, ohne Anhörung oder unter diskriminierenden Umständen entzogen wurde. Es kann aber nicht die Abstufungen der Akten und Vorgänge prüfen oder die Wiederholung der internen Sicherheitsprüfung anordnen. c) Gesetzlich nicht geregelt, aber doch praktiziert und weit verbreitet sind die sog. Verschlußsachenermächtigungen. Hier handelt es sich um Angelegenheiten, die der Staat als Auftraggeber eines einem Unternehmen erteilten öffentlichen Auftrags als Verschlußsachen zur Gewährleistung staatlicher Sicherheitsbelange eingestuft hat. Der Zugang zu diesen Informationen ist nur durch besondere Ermächtigungen dem Personal des Auftragnehmers gestattet. Die Regeln über die Erforderlichkeit, die Voraussetzung der Erteilung und Versagung einer Verschlußsachenermächtigung, ihr Begriff und ihr Inhalt sind im Geheimschutzhandbuch niedergelegt, dessen Anwendung auf einer Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeberin und dem jeweiligen Unternehmen beruht. Diese Regeln begründen sich aus den Sicherheitsbelangen. Sie stellen damit nach Auffassung der Rechtsprechung keinen unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar 187 . d) Zu den Geheimhaltungsmitteln gehören auch Sonderbindungen des Verwaltungspersonals, die eine Minderung der Sicherheitsrisiken oder der Verbreitung von Informationen bezwecken.
bildern in beiden Ländern folgen (vgl. BVerwG 1. Wehrdienstsenat vom 29. 3. 1990, Az: 1 WB 54/89, zit. nach Juris), ist hier auf die französische Literatur und deren entsprechende Analysen in Teil I bezüglich des Verteidigungsgeheimnisses in Frankreich zu verweisen. 186 BVerwGE 81, 258 = BayVBl. 1989, 569 = NVwZ 1989, 1055 = ZBR 1990, 21 = RiA 1990,41. 187 BVerwG, NJW 1988, 1991 = DVB1. 1988, 580 = GewArch 1988, 221 = JuS 1989, 139, mit Bespr. Peter Selmer.
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So werden mit Verwaltungsvorschriften oder Dienstanordnungen die Reisen des Verwaltungspersonals mit höherem Dienstgrad durch ihren Sicherheitsbescheid in bestimmte ausländische Staaten eingeschränkt (sog. Reisenerlasse oder Reiseanordnungen) 188. Die Rechtmäßigkeit dieser Erlasse kann durch eine Feststellungs- bzw. eine Fortsetzungsfestellungsklage geprüft werden 189 . Ein anderes Beispiel bilden die Genehmigungen für die Nebentätigkeiten von Beamten. Grund dafür ist die Gefahr der Beeinträchtigungen bei dienstlichen Leistungen, bei der Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten oder bei anderen öffentlichen Interessen 190. Zu letzterem gehört auch die Vermeidung der Verbreitung von Informationen der Behörden. Die Behörde kann auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses bestimmte Auflagen für die Ausübung künftiger Tätigkeiten erlassen. Solche Auflage müssen jedoch im Hinblick auf die Berufsfreiheit verhältnismäßig sein und dürfen nicht die Berufschancen des Betroffenen erheblich erschweren 191.
4. Würdigung Die Geheimhaltungsmittel sind, wie ihre Bezeichnung verrät, Mittel zur Sicherung der Geheimhaltung administrativer Vorgänge. Sie stellen Instrumente und keine Normprogramme dar. Sie sind damit Erscheinungsformen, Ausdrücke der Geheimhaltung der Exekutive und können nicht als ihre Rechtsgrundlage betrachten werden.
D. Ergebnis Die Analyse der verschiedenen Vorschriften, die eine allgemeine Geheimhaltung anordnen, ergibt keine positive Regelung zum generellen Ausschluß der Öffentlichkeit seitens der Verwaltung. Da die deutsche Verwaltung an das 188
So war es nach dem Inkrafttreten der Reiseanordnung der Bundesregierung vom 20. 12. 1989 auch die hierzu vom Bundesminister der Verteidigung erlassenen vorläufigen Durchführungsbestimmungen vom 21. 12. 1989 dem Geheimnisträger mit dem Geheimhaltungsgrad "Streng Geheim/Cosmic Top Secret/Atomal" nicht gestattet, Privatreisen in Staaten mit besonderem Sicherheitsrisiko zu machen. 189 Dazu BVerwG, Urteil des 1. Wehrdienstsenats vom 29. 3. 1990, Az: 1 WB 54/89 und BVerwG, Urteil des 1. Wehrdienstsenats vom 22. 3. 1990, Az: 1 WB 124/89 (zit. nach Juris). »*> Vgl. BVerwGE 60, 254 = DöD 1980, 200 = ZBR 1981, 31 = PersV 1981,461 = VwRspr. 32, 59. ™ Vgl. BGH, MDR 1987,561.
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Recht gebunden ist (Art. 20 I I I GG), bedeutet diese Feststellung, daß die Behörden nur nach den jeweiligen Sach- und Rechtsstrukturen über die Geheimhaltung oder Aktenöffentlichkeit entscheiden dürfen.
V. Argumente gegen die Anerkennung von Akteneinsichtsrechten gegenüber der Behörde Außerhalb der Geheimhaltungspostulate sind in der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit von Akteneinsichtsrechten auch andere Argumente vorgeschlagen worden. Nach einer Ansicht gefährdet die Gewährung der Akteneinsicht das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung 192 . Die Argumentation hat zwei Richtungen, die beide nicht als tragbar erscheinen. Es wird zunächst argumentiert, daß die Akteneinsicht möglicherweise den Bürger auf Fehler in staatlichen Entscheidungsprozessen hinweist und damit seine Achtung für die Verwaltung verlorengeht. Ob diese Art von "Vormundschaft" des Volkes mit der Volkssouveränität vereinbar ist, ist zu bezweifeln 193 . Viel gewichtiger ist dagegen das Argument, daß die Akteneinsichtsrechte die Anonymität der Gewährsleuten der Behörde in Frage stellen und damit die Bereitschaft zur Kooperation mit der Verwaltung mindern 194 . Auch dieses Argument spricht nicht gegen einen Ausschluß der Akteneinsicht, sondern für eine Ausgestaltung solcher Rechte nach der jeweiligen Sachlage unter Beachtung der Schutzerfordernisse der Verwaltungsinformanten 195. Gegen die Anerkennung der Akteneinsichtsrechte wird auch vorgebracht, es sei dann möglich, durch ihre Inanspruchnahme die Effizienz der Behörde mit erheblicher zusätzlicher Belastung zu gefährden 196. Auch diese Argumentation ist nicht tragbar. Der ungestörte Betrieb der Verwaltung stellt in der Tat einen Rechtsgrundsatz des Verwaltungsrechts dar, vielleicht sogar einen von Verfas192
S. German RüdeU Gedanken zum Recht auf Einsicht in Verwaltungsakten, Der Bayerische Bürgermeister 1951, S. 101 ff (102); Kriegler, Beeinträchtigung des Rechtsschutzes durch staatliche Geheimhaltungsmaßnahmen, S. 184; Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 178 ff. 193 Vgl. zutreffend Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 180; Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, S. 100. 194 S. Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 182 ff. Die Frage der Geheimhaltungszusagen wird hier nicht weiter untersucht. 195 Vgl. Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, S. 100 f. 196 Vgl. Kratzer, Nochmals: Zum Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, S. 16. Zum Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Aktenöffentlichkeit s. auch Schröder, Staatstheoretische Aspekte einer Aktenöffentlichkeit, S. 318 f mwN.
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sungsrang. Er kommt aber nur in Betracht, wenn die Akteneinsichtsrechte mißbraucht werden. Die Bequemlichkeit der Behörden ist nicht Grund genug, die Einsichtnahme zu vermeiden 197 . Andererseits ist in viele Fällen die Verwaltung zur Bekanntmachung von Informationen 198 verpflichtet, die viel kostspieliger oder aufwendiger sein können. Aus den spezifischen Regelungen des Akteneinsichtsrechts kann kein argumentum e contrario zur generellen Verweigerung der Akteneinsicht abgeleitet werden 199 . Kein Ausschluß der Akteneinsicht kann auch aus der Zugehörigkeit der Akten der Verwaltung zu deren Vermögen abgeleitet werden 200 . Die Eigentumsverhältnisse der Akten der Behörden können nicht als ausreichende Rechtsgrundlage für ihre Geheimhaltung betrachtet werden, weil diese die Frage unbeantwortet läßt, wie man mit dem Teil der Akten verfahren soll, die von Privaten zur Behörde gelangt sind oder deren Eigentumslage nicht klar ist. Die Zulässigkeit oder Verweigerung der Akteneinsicht kann damit nur von Kriterien in bezug auf den Inhalt der Akten bedingt werden 201 .
V I . Der verfassungsrechtliche Rahmen Die Geheimhaltung exekutivischer Tätigkeit und die Gewährung der Akteneinsicht stehen im Mittelpunkt miteinander kollidierender Interessen. Die Beziehung zwischen den Begriffen muß man somit am verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem diese Interessen stehen, entwickeln.
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Vgl. Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, S. 102 f. Dazu statt vieler Hirschberger, Zugang des Bürgers zu staatlichen Informationen, S. 122 ff mwN zu den gesetzlichen Vorschriften. S. auch Püttner, Verwaltungslehre, S. 332. 199 Vgl. Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, S. 104f mwN; Jung, Akteneinsichts- und Informationsrechte des Bürgers, S. 176 ff; P. Dagtoglou, Anm. JZ 1965, 320. Für eine e contrario Ablehnung Roller, Akteneinsicht im Bereich der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt, S. 131; Klickermann, Unbeschränkte Aktenvorlagepflicht der Behörden im Verwaltungsgerichtsverfahren, S. 34; BVerwGE 30, 156; OVG Koblenz, AS 3, 134 (136); VGH Stuttgart, ESVGH 7, 145. S. auch die Dienstanordnung (Entscheidung) des Ministers für Wiederaufbau des Landes NRW, NJW 1947/1948, 662, mit (krit.) Anm. Cüppers, die mit Merkel, S. 104 und Fn. 3 als Grundlage dieser Argumentation anzusehen ist. 200 So aber VGH Stuttgart, ESVGH 7, 145. 198
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106.
Zutreffend Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, S.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
A. Das Prinzip: Grundsätzliche Neutralität der Verfassung gegenüber der Informationspolitik der Verwaltung Die Verfassung als solche ist grundsätzlich neutral gegenüber der Informationspolitik der Verwaltung. Dies ergibt sich aus zwei Gründen. Zunächst enthält die Verfassung, anders als für die Parlamentsarbeit (Art. 42 I S. 1, 44 I S. 2, 52 I I I S. 3 GG), keine Aussage über die Öffentlichkeit der Verwaltungsarbeit 202 . Dies bedeutet, daß die Verfassung nicht die Geheimhaltung oder die Öffentlichkeit administrativer Entscheidungsprozesse bestimmt, was über eine e contrario Argumentation denkbar wäre, sondern daß sie dies dem Gesetzgeber überläßt. Weiterhin ist aus keiner Grundrechtsbestimmung ein abwehrrechtlicher Anspruch auf unbeschränkten Zugang des Bürgers zum Informationsbestand der Verwaltung, oder umgekehrt ein Anspruch auf totalen Verschluß dieses Informationsmaterials abzuleiten. Das Grundgesetz räumt damit dem Gesetzgeber einen Spielraum ein, in dem er, nach der erforderlichen Abwägung der Interessen, befugt ist, die Geheimhaltung oder den Zugang zu administrativen Akten anzuordnen. Einzige Grenze seiner Entscheidungen sind nur die Grundrechte und die Verfassungsprinzipien.
B. Grundrechtliche Ansprüche auf Geheimhaltung Die Geheimhaltung der Exekutive ist heute nicht nur als ein Erbe früherer Stadien der Staatsentwicklung anzusehen. Es ist immer zu überprüfen, ob sie Folge eines aus den Grundrechten abgeleiteten Abwehranspruchs oder einer Schutzpflicht sind. Als Rechtsgrundlage abwehrrechtlicher Ansprüche fungieren vorrangig das Kommunikationsgeheimnis (Art. 10 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch andere Grundrechte, wie z.B. das Kommunikationsgeheimnis, können unter Umständen in Betracht kommen. 202
Das Grundgesetz erwähnt auch nichts über die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen. Man kann aber davon ausgehen, daß diese Öffentlichkeit schon im Begriff der rechtsprechenden Tätigkeit enthalten ist. Publizitätspostulate befinden sich in Art. 21 I S. 4 (dazu Wilhelm Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl., Göttingen 1972, S. 18 ff), Art. 42 I S. 1 und Art. 52 I S. 3, Art. 44 I S. 2, Art. 82 (Veröffentlichung von Akten materieller Gesetzgebung), sowie in Art. 103 1,104 III S. 1, 104 III S. 2,104IV GG. Die Publizität setzen Art. 33 II und 38 I S. 1 GG voraus.
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1. Das Kommunikationsgeheimnis a) Inhalt und Bedeutung des grundrechtlichen Schutzes Das Kommunikationsgeheimnis (Art. 10 GG) enthält drei verfassungsgeschützte Arten von Geheimnissen203. Das Post- bzw. das Fernmeldegeheimnis betrifft nur die Postverwaltung und fordert die Geheimhaltung aller Betriebsvorhaben in ihrem Aufgabenbereich, vorrangig Postsendungen, Telegramme und Fernkommunikationen 204. Das Briefgeheimnis bezieht sich dagegen auf die Beachtung der Geheimhaltung von Vorgängen durch Stellen außerhalb des Bereichs der Postverwaltung. Die verfassungsrechtlich gebotene Unverletzlichkeit dieses Kommunikationsgeheimnisses richtet sich vorrangig auf den Schutz der Bürger vor Beeinträchtigungen in ihrem InformationsverteAr seitens staatlicher Organe während der Kommunikation. Für das Verwaltungsverfahrensrecht ist jedoch vorrangig das Kommunikationsgeheimnis aufgrund seines zeitlich verlängerten Geheimhaltungsschutzes gegenüber Dritten interessant. Solche Fälle kommen selten vor, sind aber nicht undenkbar 205 . Der wichtigste Fall bezieht sich auf die praktizierte Aufzeichnung der bei der Behörde ankommenden Briefe bzw. Telefongespräche. Die Frage ist, ob diese Aufzeichnungen sowie die mit Einwilligung des Gesprächspartners der Verwaltung er203
Ekkerhart Stein, Staatsrecht, 14. Aufl., Tübingen 1993, S. 296; Hermann Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 19. Aufl., Heidelberg 1993, Rdn. 374; Jarass, in: Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, GG, 3. Aufl., München 1995, Art. 10, Rdn. 3 ff; Theodor Maunz/Reinhold Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl., München 1994, § 24 V I ; Günther Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10, Rdn. 13 ff; Wolfgang Löwer, in: Ingo v. Münch/Philip Kunig, Grundgesetzkommentar, I, 4. Aufl., München 1992, Art. 10, Rdn. 9 ff; Ernst Härlin, Zum Postgeheimnis des Art. 10 GG, MDR 1965, S. 343 ff; Christoph Gusy, Das Grundrecht des Post- und Femmeldegeheimnisses, JuS 1986, S. 90 ff. 204 Differenziert jedoch Stein, Staatsrecht, S. 296, der das Femmeldegeheimnis nur auf den außerpostalischen Femmeldeverkehr beschränkt. Zurecht betont aber Walter Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, VI, Heidelberg 1989, S. 41 ff (79), daß das Femmeldegeheimnis sowohl im Bereich der Post-Telekom als auch im außerpostalischen Bereich gilt. Contra Bruno Schmidt-Bleibtrau/Franz Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl., Neuwied, Kriftel, Berlin 1995, Art. 10, Rdn. 6 f. 205 Vgl dazu Hans Schneider, Die Weitergabe von Anschriften der Postbenutzer, in: Gedächtnisschrift Hans Peters, Berlin, Heidelberg, New York 1967, S. 822 ff. So darf die Deutsche Bundespost die neue Adresse eines Empfängers Dritten nicht bekanntgeben, wenn eine entsprechende Auskunft aus dem Melderegister unzulässig wäre. S. OVG Koblenz, AS 16, 20 = NJW 1981, 837 (hier: Anschrift einer Justizvollzugsanstalt). S. auch Peter Weides, Die Gefängnisadresse als "neue Anschrift", JuS 1982, S. 49 ff.
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
folgten Bandaufzeichnungen von seinen Telefongesprächen mit der Behörde von Dritten eingesehen bzw. angehört werden dürfen. Dies ist zu verneinen, es sei denn der Gesprächpartner willigt ein 2 0 6 . b) Gesetzliche Ausgestaltungen Gesetzliche Bestimmungen über das Postgeheimnis finden sich im Strafrecht sowie im Post- bzw. Fernmelderecht 207. § 354 I und I I StGB gestaltet ein Sonderdelikt zugunsten des Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Postverkehrs. Er ist insoweit eine Konkretisierung des Art. 10 GG. Voraussetzung 208 der Verletzung des Postgeheimnisses ist, daß Tatsachen, die dem Postgeheimnis unterliegen, d.h. alle in § 1 PostG, §§ 1, 10 I S. 3 FAG sowie in § 354 V StGB genannten Tätigkeiten, und als Täter ein Postbediensteter 209 bekannt geworden ist 2 1 0 . Tathandlung ist die unbefugte Mitteilung dieser Tatsachen an einen anderen. Die Befugnis besteht 211 , wenn der Betroffene einwilligt 2 1 2 oder die Post 206 Dieser Fall ist zu unterscheiden von dem Fall, wo der Dritte Informationen, die aufgrund von Eingriffen in Art. 10 GG, wie z.B. durch Anwendung des "G 10", gewonnen wurden, fordert. Hier ist ebenfalls die Einsicht zu verweigern, aber aus datenschutzrechtlichen Gründen. Es wäre nicht logisch die Ergebnisse eines Eingriffs unter den Schutz des eingegriffenen Grundrechts zu stellen. 207 Dazu Kurt Lengrting, Post- und Femmeldegeheimnis, 3. Aufl., 1967. 208 Theodor Lenckner, in: Adolf Schönke/Horst Schröder, StGB, 24. Aufl., München 1991, § 354, Rdn. 3 ff. 209 Zum Begriff s. Karl Schäfer, in: StGB, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., Bd. 7, Berlin, New York 1988, 28. Lieferung 1982, § 354, Rdn. 6. 210 Täter können nach § 354 I StGB auch ehemalige Postbedienstete sein. Anders bei § 354 II StGB, der nur noch Bedienstete betrifft. 211
Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 354, Rdn. 12ff. Umstritten ist die Frage der Einwilligung, wenn nur einer der Kommunikationspartner zustimmt. Die wohl herrschende Meinung bejaht einen solchen Eingriff. Vgl. beispielsweise OVG Bremen, NJW 1980, 506. In neuerer Zeit stellt sich die Frage wegen der Zulässigkeit einer postinternen Überwachung des Femmeldeverkehrs zwischen bestimmten Personen durch das Anbringen von "Fangschaltungen" und "Zählervergleichseinrichtungen". Zur Diskussion ausführlich Schäfer, StGB, Leipziger Kommentar, § 354, Rdn. 49 ff mwN. Aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung exemplarisch OVG Münster NJW 1975, 1355 mit Anm. Meyn S. 2358; VG Bremen NJW 1978, 66, mit Anm. v. Münch und Bespr. Meyn, S. 657; OVG Bremen, DöV 1980, 197 = NJW 1980, 506, mit Bespr. Wolf gang Schatzschneider, Femmeldegeheimnis und Telefonbeschattung, NJW 1981, S. 268; BVerwG, NJW 1982, 840; BVerwG, PersV 1989, 488 = NVwZ 1990, 71 = ZBR 1990, 53 = VR 1990, 70, mit Bespr. Peter Gielen = Ri A 1990,47 = DöV 1990, 576 = ZfSH/SGB 1990, 194. S. auch B AGE 54, 67 = NZA 1987, 515 = DB 1987, 1153 = BB 1987, 1037 = RDV 1987, 136 = CR 1987, 592 (Geheimhaltung der Telefongespräche des Psychologen einer Beratungsstelle für Erwachsene, Kinder und Jugendliche eines Landkreises). Die wohl h.M. scheint dies bei 212
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durch ein Gesetz zu Mitteilungen und Anzeigen verpflichtet ist 2 1 3 oder wenn ein Recht zur Mitteilung besteht (z.B. § 5 PostG) 214 . § 354 IV StGB erweitert den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses auch auf die unbefugte Offenbarung durch andere Amtsträger für Tatsachen, die ihnen durch einen befugten Eingriff in das Post- oder Fernmeldegeheimnis bekannt geworden sind 215 . Für die übrigen Fällen ist § 202 StGB auch bei Amtsträgern anwendbar. § 5 PostG schützt einfachgesetzlich das Postgeheimnis und konkretisiert es 216 . Der Begriff des Postgeheimnisses wird nicht gesetzlich definiert, weil er als Rechtsbegriff mit seinem Inhalt und seinen Grenzen geschichtlich konkretisiert ist 2 1 7 . § 5 PostG schützt nicht das Briefgeheimnis, weil dies die verschlossenen Briefe und anderen Schriftstücke außerhalb des Postverkehrs erfaßt 218 . Im System des Schutzes des Postgeheimnisses richtete sich § 5 PostG nur auf den Schutz gegen Eingriffe der Bediensteten der Bundespostverwaltung. Schutzgut der Vorschrift ist nicht nur die Privatsphäre des Benutzers, wie in Art. 10 GG, sondern auch das Vertrauen der Öffentlichekiet in die Sicherheit des Postverkehrs 219 . Das Postgeheimnis erfaßt alle Tatsachen 220 , die den Postverkehr zwi-
einseitiger Einwilligung zu bejahen. Dazu Löwer, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 10, Rdn. 18. 213 z.B. § 138 StGB, §§ 1 ff G. zu Art. 10 GG, § 6 VII ZollG, § 12 FAG, § 121 KO, §§ 99 ff StPO, § 453 Telekommunikationsordnung. 214 Dazu Schäfer, StGB, Leipziger Kommentar, § 354, Rdn. 49 ff mwN. 215 Dazu Schäfer, StGB, Leipziger Kommentar, § 345, Rdn. 44 ff mwN. 216
Der Begriff des Postgeheimnisses des Art. 10 GG ist aber weiter als der des § 5 PostG. Die Verfassung verpflichtet alle staatliche Organe zum Schutz des Postverkehrs. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur, für die Postorgane. Art. 10 GG schützt damit auch die Postorgane gegen Eingriffe anderer staatlicher Organe. Zum ganzen Ferdinand Ohnheiser, Postrecht, 4. Aufl., Heidelberg 1984, § 5 PostG, Rdn. 2; jüngst Christian Müller-Dehn, Das Postgeheimnis nach § 5 PostG und die Postreform, DöV 1996, S. 863 ff. Vgl. auch Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10, Rdn. 10. Das Postgeheimnis ist nicht mit dem Amtsgeheimnis identisch, weil das Postgeheimnis alle Vorgänge in Postverkehr schützt, wobei das Amtsgeheimnis eine Qualifizierung ist. 217 Vgl. Ohnheiser, Postrecht, § 5 PostG, Rdn. 1. 218 Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 2. 219 Peter Badura, in: BK, Art. 10, Rdn. 26; Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 3. Das Postgeheimnis schützt eine bestimmte Verfahrensweise bei der Durchführung des Postverkehrs. Es ist nicht Zweck des Postgeheimnisses, die tatsächliche Geheimhaltung des Inhalts der Briefe zu schützen, sondern allein, daß die Geheimhaltung während der Zeit, wo ein Brief im Einflußbereich der Post steht, nicht beinträchtigt wird. 220 Zum Begriff der Postsendungen s. die PostO. Dazu Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 7.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
sehen Absender und Empfänger betreffen 221 . § 5 I PostG verbietet den Postbediensteten die Öffnung von Postsendungen oder in anderer Weise Kenntnis von Inhalt der Postsendungen zu nehmen, über den Postverkehr und seinen Inhalt Dritte zu informieren oder solche Handlungen anderen zu gestatten bzw. zu fordern 222 . Absender und Empfanger können auf die Wahrung des Postgeheimnisses seitens der Post verzichten 223 . Zusätzlich muß das Postgeheimnis nicht in den Fällen geachtet werden, in denen andere Vorschriften dies erfordern 224 oder dies aufgrund der betriebsbedingten Abwicklung des Postdienstes gerechtfertigt ist 2 2 5 . Eine entsprechende Vorschrift wie § 5 PostG enthält zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses § 10 F A G 2 2 6 . Alle diese gesetzlichen Vorschriften richten sich auf die Achtung der Geheimhaltung seitens der Amtswalter 227 . Eine allgemeine, die Behörden als solche bindende Vorschrift besteht nicht.
221 Dazu Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 4. Nicht erfaßt werden Vorhaben, die im Zusammenhang mit Banktätigkeiten der Post stehen. § 6 PostG gestaltet das Postscheckund Postbankgeheimnis getrennt vom Postgeheimnis und als eine Sonderform des Bankgeheimnisses. S. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10, Rdn. 16. 222 Zur Begrifflichkeit der Vorschrift ausführlich Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 7 ff. 223 Ausführlich zu den Verzichtsberechtigten Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 6. 224 Solche Vorschriften sind das "G 10", § 6 VII ZollG, § 4 Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 25. 5. 1961, §§ 99, 100 StPO, § 138 StGB, § 121 KO, § 13 I Nr. 6 Betäubungsmittelgesetz, § 95 BHO. Dazu Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10, Rdn. 36 ff, 49 ff; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GGK, I, Art. 10, Rdn. 32 ff sowie Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 20, der auch § 44 AWG als Rechtfertigung der Aufhebung des Postgeheimnisses betrachtet (Art. 10 ist nicht im AWG nach § 19 I S. 2 GG zitiert). Alle diese Vorschriften berühren den öffentliche Interesse und können nicht als Grundlage für die Offenbarung gegenüber dritten Privaten fungieren. Der Betroffene kann Fortsetzungsfeststellungsklage erheben. Vgl. BVerwG, BVerwGE 87, 23 = JZ 1991, 511 = DVB1. 1991, 169 = NJW 1991, 581 = DöV 1991, 379. Dazu Christoph Gusy, Der Schutz vor Überwachungsmaßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Art. 10 GG, NJW 1981, S. 1581 ff. Vgl. auch Gustav Weber, Postgeheimnis und pornographisches Zollgut, JR 1972, S. 187 ff; H.-F. Leinung, Die Behandlung von Auslandspostsendungen mit unzüchtigem Inhalt durch die Deutsche Bundespost, JR 1973, S. 5 ff. 22 5 Βadura, in: BK, Art. 10, Rdn. 49 f; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10, Rdn. 66; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GGK, I, Art. 10, Rdn. 31; Ohnheiser, § 5 PostG, Rdn. 20 mwN; OVG Hamburg, DVB1. 1953, 536. 226 Von Interesse sind auch andere Vorschriften des FAG. So sind auch Dritte, die den behördlichen Funk (vorrangig den Polizeifunk) empfangen auch an das Femmeldegeheimnis gebunden. S. die §§ 11, 18 FAG. Dazu Dazu Joachim Aubert/Ulrich Klinger, Femmelderecht/Telekommunikationsrecht, Bd. 2,4. Aufl., Heidelberg 1990, S. 222. 227 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 10, Rdn. 11 f.
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2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht a) Allgemeines Art. 2 I GG schützt die engere Persönlichkeitssphäre vor staatlichen Eingriffen 2 2 8 . Besonders geschützt werden damit 2 2 9 die Privat-, Geheim- und Intimsphäre jeder Person 230 , ihre Ehre und die Verfügung über die Darstellung der eigenen Person , das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort und der Schutz gegen die Unterstellung nicht gemachter Äußerungen 233 . Die Achtung der Interessen des Betroffenen in seiner Intimsphäre hat damit eine besondere Bedeutung bei der Ermittlung und Verwertung von persönlichen Informationen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren 234 . Aus der bisherigen 228
Stein, Staatsrecht, S. 249 ff; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, S. 57 ff; Dietwalt Rohlf\ Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des GG Art. 2 Abs 1, Berlin 1980. Grundlage des Grundrechts ist Art. 2 I GG, beinflußt aber von Art. 1 I GG. Dazu Schmidt-Bleib traut Klein, GG, Art. 2, Rdn. 3 in fine ;Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rdn. 26; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2, Rdn. 65; Schmitt Glaeser, S. 87 ff; Rupert Scholz/Rainer Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, Berlin 1984, S. 66 ff. Art. 1 I GG fungiert als Auslegungsrichtlinie für Art. 2 I GG. Zur Beziehung zwischen den zwei Bestimmungen s. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 2, Rdn. 30. 229 Vgl. Stein, Staatsrecht, S. 250; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rdn. 27 ff; Philip Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 2, Rdn. 33 ff; Bernhard Schlink, Die Amtshilfe, Berlin 1982, S. 172 ff. "ο BVerfGE 27,1 (6) - Mikrozensusbeschluß; BVerfGE 27, 344 (350 f) - Scheidungsaktenbeschluß; BVerfGE 32, 373 (379 f) - Patientenkarteibeschluß. Dazu Ruprecht Kamiah, Datenüberwachung und Bundesverfassungsgericht, DöV 1970, S. 361 ff. 2 31 BVerfGE 35, 202 (220, 228 f) - Lebach-Urteil. Vgl. auch BVerfGE 63, 131 (142 f) - Gegendarstellung. Vgl. BAG, NJW 1988, 791. 232 BVerfGE 34, 238 (240 f, 246) - unbefugte Tonbandaufnahme. 2 33 BVerfGE 34, 269 (281 ff) - Soraya-Entscheidung; BVerfGE 54, 148 (153 ff) Epplerbeschluß. Vgl. auch BVerfGE 54, 208 (217 ff) - Boll. 2 34 S. z.B. BVerfGE 44, 353 = JZ 1977, 506 = NJW 1977, 1489 = BayVBl 1977, 601 = EuGRZ 1977, 334 = ZfSH 1977, 308 = NDV 1978, 48 - Suchtkrankenberatungsstelle; BVerfGE 56, 37 = NJW 1981, 1431 = JZ 1981, 303 = BB 1981, 639 = DB 1981, 984 = ZIP 1981, 361 = EuGRZ 1981, 311, mit Anm. Hans Heiner Kühne = MDR 1981, 818 - Selbstbezichtigung. Dazu Ernst Benda, Privatsphäre und "Persönlichkeitsprofil", Ein Beitrag zur Datenschutzdiskussion, in: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 23 ff; Christoph Sasse, Persönlichkeitsrecht und Datengesetzgebung in Deutschland, Festschrift für Walter Mallemann, Baden Baden 1978, S. 213 ff; Hans-Ulrich Gallwas, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Datenschutzes, Der Staat 1979, S. 507 ff; Peter Krause, Datenschutz und Grundgesetz, DVR 1980, S. 229; Hans-Peter Bull, Verfassungsrechtlicher Datenschutz, in: Das Europa der zweiten Generation - Gedächtnis-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich jedoch keine Beschreibung des genauen Inhalts des geschützten Rechts 235 . Man kann jedoch die Interessen ermitteln, die bei der Abwägung der staatlichen Organe miteinbezogen werden müssen. Die Verwaltung ist der Achtung und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verpflichtet (Art. 1 I I I GG). Die Behörden dürfen danach nicht durch die Gewährung der Akteneinsicht die Persönlichkeit eines Bürgers verlet'j'ifi "yxn zen , wenn kein Rechtfertigungsgrund vorliegt und er nicht einwilligt. Nach der Anerkennung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist der Schutz aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur bei Vorhaben relevant, die keinen Datenschutzcharakter aufweisen. Dies bedeutet, daß auch im Fall von Akten, die keinen personenebezogenen Charakter aufweisen, bei der Gewährung der Einsicht die Interessen Dritter an der Geheimhaltung der Materialien zu ermitteln sind 238 . schrift für Christoph Sasse, Bd. 2, Kehl a.R., Straßburg 1981, S. 869 ff; Günther Hermann, Zum verfassungsrechtlichen Schutz der Persönlichkeit in ihrer Identität, Selbstbestimmung und Ehre, ZUM 1990, S. 541 ff. S. auch Thomas BartheUWilhelm Steinmüller (Hrsg.), Datenschutz ist Bürgerrecht, München, Wien 1980; Hans Peter Bull, Datenschutz oder Die Angst vor dem Computer, München, Zürich 1984 passim; Klaus Lenk, Datenschutz in der öffentlichen Verwaltung, in: Wolfgang Kilian/Klaus Lenk/Wilhelm Steinmüller (Hrsg.), Datenschutz, Frankfurt a.M. 1973, S. 15 ff; Bernhard Schlink, Der Bürger als Datenobjekt, in: Kilian/Lenk/Steinmüller, S. 155 ff; Gerhard Löschner/Wilhelm Steinmüller, Datenschutz und Datensicherung, Karlsruhe 1975. Zum Gewaltenteilungsgedanken insbesondere s. Hansjörg Geiger, Datenschutz und Gewaltenteilung, in: Kilian/Lenk/Steinmüller, S. 173 ff. Vgl. zu den Fragen der Amtshaftung BGHZ 78, 274 = VersR 1981, 231 = NJW 1981, 675 = DVB1. 1981, 395 = VwRspr. 32,421. 235
Vgl. Brigitta Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, Berlin 1994, S. 31; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 31, Rdn. 31. Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/l, München 1988, S. 646 f betrachtet zurecht die bisherigen Ergebnisse der Rechtsprechung "als Konkretisierungen, als unselbständige Einzelaspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts". Vgl. aber auch Schlink, Die Amtshilfe, S. 186 ff. 236 Vgl y e Berlin, RuP 1985, 111 (Akteneinsicht in Akten des sozialpsychiatrischen Dienstes). Vgl. auch BVerfG, NJW 1988, 2031 (öffentliche Bekanntmachung der Entmündigung einer Person wegen Verschwendungen oder wegen Trunksucht). 237
Vgl. die Schranken des Art. 2 I HS 2 GG. Die Frage kommt insbesondere auch im Fall der Verwertungsverbote im Verwaltungsverfahren in Betracht. Vgl. zum Verwertungsverbot rechtsmäßiger staatlicher Informationen Carl-Eugen Eberle t Zum Verwertungsverbote für rechtswidrig erlangte Informationen im Verwaltungsverfahren, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, Berlin, New York 1987, S. 351 ff sowie Hans-Peter Hüsch, Verwertungsverbote im Verwaltungsverfahren, Pfaffenweiler 1991, S. 323 ff, der allerdings am Beispiel des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung argumentiert. 238
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b) Insbesondere: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Aus den verschiedenen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 239 wurde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung entwikkelt, das dem Bürger die Befugnis gewährleistet, "selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen" 240 . Eingriffe in dieses Recht 239 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK, Art. 31, Rdn. 38; Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 69 ff. Vgl. Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, S. 59, 84 ff, der das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in die Schutzkategorie Recht auf Selbstdarstellung integriert. Zur Abkehr von der Sphärentheorie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts s. Klaus Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, Baden-Baden 1987, S. 47 ff. 2 «> BVerfGE 65, 1 (43 = EuGRZ 1983, 577 = DB 1984, 36 = NJW 1984, 419 = DVB1. 1984, 128 = DöV 1984, 156 = ZfSH/SGB 1984, 64 = UPR 1984, 52 - Volkszählungsurteil. S. auch BVerfGE 78, 77 (84); E 84, 192 (194). Dazu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 428; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rdn. 28a (mwN aus der bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung); Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 11 ff; Peter Krause, Grundrechtliche Grenzen staatlicher und privater Informationserhebung und -Verarbeitung, DB-Beilage 23/83; Christoph Gusy, Grundrechtsschutz vor staatlichen Informationseingriffen, VerwArch 1983, S. 91 ff; Herbert Meister, Orwell, Recht und Hysterie - Eine Bemerkung zum informationellen Selbstbestimmungsrecht, DuD 1984, S. 162 ff; Hansgeorg Frohn, Nochmals: Zum Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, DöV 1984, S. 458 ff; Hermann Heußner, Das informationelle Selbstbestimmungsrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Sgb 1984, S. 279 ff; Dirk R. Lupberger, Auskunfts- und Prüfungsverfahren der Kartellbehörden gegen Unternehmen und verfassungsrechtlicher Datenschutz, Köln, Berlin, Bonn, München 1987, S. 29 ff, 43 ff; Bernhard Schlink, Das Recht der informationellen Selbstbestimmung, Der Staat 1986, S. 233 ff; Markus Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei, Heidelberg 1992, S. 64 ff; zusammenfassend Peter Badura, Die Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für die normative Regelung der öffentlichen Telekommunikationsdienste der Deutschen Bundespost, JbDBP 1989, S. 9 ff. Es bestehen jedoch dogmatische Einwände gegen die Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Art. 2 I GG iVm Art. 1 I GG. Vgl. Scholz/Pitschas, S. 89 ff; eingehend zu den sonstigen Möglichkeiten Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 89 ff, 116 ff, 127 ff, 136 ff, 139 ff, 144 ff. Eine differenzierte Lösung enthält ebenfalls das abgestufte Persönlichkeitschutzmodell von Vogelgesang, S. 162 ff, 174 ff, 189 ff, 197 ff. Die Abstufung auf Verfassungsebene, die er vorschlägt, findet allerdings bereits auf einfachrechtlicher Ebene statt.
Eine zusätzliche Rechtsgrundlage stellt die Datenschutz-Konvention des Europarats dar (Konvention Nr. 108, Ratifiziert durch Gesetz vom 13. 3. 1985, BGBl. II, 538). Dazu Herbert Meister, Konvention des Europarates zum Schutz des einzelnen vor automationsgestützter Verdatung, DuD 1981, S. 17 ff; Hans-Joachim Mengel, Die Datenschutzkonvention des Europarates, EuGRZ 1981, S. 376 ff; Ferdinand Henke, Die Datenschutzkonvention des Europarates, Frankfurt a.M. u.a. 1986. Die Konvention ist aber nicht self-executing (Art. 4 I). Eine zusätzliche Rechtsgrundlage stellt femer Art. 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 dar (dazu Manfred Nowak, Kommentar zum UN-Pakt über bürgerliche und politische 22 Trantas
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
unterliegen dem Gesetzesvorbehalt 241. Ein Gesetz ist erforderlich, um die Ziele für die Erhebung und Verwendung der Daten zu bestimmen (Zweckbindung) 242 Rechte, Kehl a.R., Art. 17, Rdn. 21). S. auch Council of Europe, Resolution (74)29 on the protection of the privacy of individuals vis-à-vis electronic data banks in the public sector (dazu Fritz W. Hondius , Internationale Aspekte des Datenschutzes im öffentlichen Bereich, Wirtschaft und Recht 34 (1982), S. 86 ff); Leitlinien für den Schutz des Persönlichkeitsbereichs und den grenzüberschreitenden Verkehr peronenbezoger Daten, der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom 23. 9. 1980 (zum OECD Instrumentarium s. Meinhard Schröder, Der Geheimhaltungsschutz der Umweltchemikalien II, UBA-Berichte 7/82, Berlin 1982, S. 52 ff mwN; Marie-Theres Tinnefeld/Eugen Ehmann, Einführung in das Datenschutzrecht, München, 2. Aufl., Wien 1994, S. 26; Lasserre! Lenoir! Stirn, La transparence administrative, S. 175 ff). S. im allgemeinen Barbara Unger , Datenschutz in internationalen Organisationen, München 1991. Zur datenschutzrechtlichen Tätigkeit der EG s. Matthias Mähring, Institutionelle Datenschutzkontrolle der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1993, S. 23 ff. Das Grundrecht gilt nicht nur für die automatisierten Daten sondern für alle Arten von Daten, die personenbezogene Informationen enthalten. S. statt vieler Spiros Simitis, Die informationelle Selbstbestimmung - Grundbedingung einer verfassungskonformen Informationsordnung, NJW 1984, S. 938 ff (398). Contra Helmut Roewer, Datenverarbeitung und Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörden, NJW 1985, S. 773 ff (775); LG Berlin, RDV 1986, 23. Eine ausdrückliche Regelung des Grundrechts findet sich in Art. 4 II Verf. NRW (Dazu Gerd Stähler, Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., Köln 1988, S. 13 f; Heinrich Weyer, Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen, Essen 1988, S. 13 ff); Art. 2 II Saarländischen Landesverfassung; Art. 33 Sächsische Verfassung; Art. 6 I Verfassung LSA; ausführlicher Art. 11 Brandenburgische Verfassung. Vgl. dazu Hans v. Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer, Berlin 1993, S. 42 ff. Über die Landesgrundrechte und die Grenzen des Art. 142 GG s. Wolf gang Graf Vitzhum, Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, VVDStRL 46 (1988), S. 31 ff; großzügiger Jost Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht im Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, S. 693 ff, Rdn. 45 ff. 241 BVerfGE 65, 1 (44). Dazu Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 56 ff. Bereits Schlink, Die Amtshilfe, S. 202 f. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt nicht absolut. Es findet seine Grenze am Vorliegen eines Interesses der Gemeinschaft an personenbezogenen Informationen. Vgl. BVerfGE 77, 1 ; Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 27 ff; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, S. 98 ff. S. auch zu den Schranken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Anja Breitfeld, Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie als Schranke des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Berlin 1992, S. 13 ff. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedeutet nicht die Aufhebung der Pflichten einer Person, die nach dem Fall erforderlichen Informationen offenzulegen, sondern es sichert die Vertrauensgrundlage einer solchen Offenlegung. Vgl. Peter Gola, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der aktuellen Rechtsprechung, RDV 1988, S. 109 ff
(110).
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BVerfGE 65, 1 (46). Dazu Lotte Tuner, "Zweckbindung contra Aufgabenerforderlichkeit?", ÖVD 1984, S. 55 ff; bereits Eggert Schwan, Datenschutz, Vorbehalt des
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und die dafür erforderlichen Eingriffe in die Rechte des Betroffenen zu bestimmen 243 . Anders als die anderen Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts richtet sich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht auf die betroffenen Aspekte der Persönlichkeit und die Art des Informationseingriffs, sondern auf den Zweck, die Nutzung und die Verwendung der erhobenen Daten 244 . Das Recht führt damit auch zu einer Art Pflicht des Staates245, Vorsorgemaßnahmen zu treffen 246 . Diese Vorsorge hat besonders bei der Ausgestaltung der Strukturen der Amtshilfe 247 und der Information gegenüber der Öffentlichkeit Bedeutung. Nur so kann die Gefahr der Verselbständigung von personenbezogenen Daten 248 durch die Anwendung der neuen Technologien bewältigt werden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verlagert die Entscheidung über die Geheimhaltung bzw. die Gewährung der Akteneinsicht auf eine Frage
Gesetzes und Freiheitsgrundrechte, VerwArch 1975, S. 120 ff. Diese Voraussetzung bezieht sich letztendlich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers, selbst die Lösung des Konflikts kollidierender Interessen im Bereich der informationellen Selbstbestimmung wahrzunehmen. Vgl. Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 125 ff. 2*3 BVerfGE 65, 1 (43 f). 244
Das dogmatische Interesse des Urteils liegt vorrangig in der Erweiterung des Eingriffbegriffs auf Tatsachen, die im Binnenbereich der Verwaltung stehen, wie die Verletzung der Zweckbindung bei der Weitergabe und Speicherung von Informationen. Dies scheint für die Rechtsprechung einen potenziellen Eingriff darzustellen. Vgl. Friedhelm Hufen, Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung - eine juristische Antwort auf "1984"?, JZ 1984, S. 1072 ff (1075); Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 81 ff; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, S. 95 ff. 245 Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 129 f, sprechen hier von eine Schutzpflicht des Gesetzgebers. Die Intervention des Gesetzgebers befreit jedoch nicht die Verwaltung von ihrer eigene Verantwortung. Vgl. zurecht Scholz/Pitschas, S. 130 ff. 246 Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 103 ff, die über den Datenschutz als ein Art Staatsaufgabe sprechen. 247 Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 116, die über die informationelle Gewaltenteilung sprechen. 248 Zu dieser Gefahr vgl. Scholz!Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 18 ff. Vgl. auch Joachim Scherer, Telekommunikationsrecht und Telekommunikationspolitik, Baden-Baden 1985, S. 112 ff; bereits Arthur R. Miller, Der Einbruch in die Privatsphäre, Datenbanken und Dossiers, Neuwied 1973; Jürgen Schulze, Technische Möglichkeiten des Datenschutzes, ÖVD 1972, S. 166 ff; Ulrich Seidel, Datenbanken und Persönlichkeitsrecht, unter besonderer Berücksichtigung der amerikanischen Computer Privacy, Köln 1972; allgemeiner Carl-Eugen Eberle, Die öffentliche Verwaltung vor den Herausforderungen der Informationsgesellschaft, Die Verwaltung 1987, S. 460 ff. Exemplarisch Wolf-D. Walker, Zur Datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der öffentlichen Bekanntgabe von Klausurergebnissen, WissR 1987, S. 209 ff.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
von Verfassungsrelevanz. Dabei erlangt die bereichspezifische Ausgestaltung des Datenschutzes besondere Bedeutung 249 . c) Die gesetzliche Regelung des Datenschutzes Im Normbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegen eine Fülle von Vorschriften sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene, die Datenschutzregelungen treffen. Die einfachgesetzlichen Normen des Datenschutzes sind in drei Kategorien einzuteilen: allgemeine Datenschutzgesetze250, spezifische Datenschutzgesetze, die für bestimmte Bereiche der Verwaltungstä-
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Vgl. Badura, Die Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, S. 26 ff. 2 *> BDSG (1991), BayDSG, DSG BW, BerlDSG, BbgDSG, BremDSG, HambDSG, HessDSG, DSG MV, NdsDSG, DSG NRW, LDG Rh.-Pf., DSG LSA, Sachs DSG, LDSG SchlH, ThürDSG. Dazu Peter Gola/Klaus Hümmerich/Uwe Kerstan, Datenschutzrecht, Teil 1, Berlin 1977, S. 19 ff (Bundesrecht); Hans Walter Louis, Grundzüge des Datenschutzes, Köln, Berlin, Bonn, München 1981, S. 47 ff; Hermann Heußner, Aufgaben und Mittel des Datenschutzes, VSSR 1979, S. 293 ff; Hans Peter Bull, Ziele und Mittel des Datenschutzes, Königstein/Ts 1981; derselbe, Die Notwendigkeit von Datenschutz und die Grundsätze des deutschen Datenschutzrechts, in: Hans Peter Bull/Zentaro Kitagawa (Hrsg.), Computer im Dienst der Gesellschaft?, , Köln, Berlin, Bonn, München 1984, S. 81 ff; Mane-Theres Tinnefeld/Helga Tubies, Datenschutzrecht, 1988; Erwin Dörr/Dietmar Schmidt, Neues Bundesdatenschutzgesetz, Handkommentar, Köln 1990; Herbert Auernhammer, Bundesdatenschutzgesetz vom 20. Dezember 1990, Köln, Berlin, Bonn, München 1991; Hans-Jürgen Schaffland/Noeme Wiltfang, Bundesdatenschutzgesetz, Ergänzbarer Kommentar nebst einschlägigen Rechtsvorschriften, Berlin (Losebl. 1991 ff); Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 38 ff, 44 ff. S. auch Herbert Auernhammer, Das Bundesdatenschutzgesetz, BB 1977, S. 205 ff; Klaus Hümmerich/Rolf Kruffka, Die Entwicklung des Datenschutzrechts im Jahre 1978, NJW 1979, S. 1182 ff; Klaus Hümmerich/Peter Gola, Die Entwicklung des Datenschutzrechts in den Jahren 1979 und 1980, NJW 1981, S. 1480 ff; Peter Gola, Die Entwicklung des Datenschutzrechts im Jahre 1981, NJW 1982, S. 1498 ff; derselbe, Zur Entwicklung des Datenschutzrechts im Jahre 1983, NJW 1984, S. 1155 ff; derselbe, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der aktuellen Rechtsprechung, RDV 1988, S. 109 ff; Hans Peter Bull, Das Bundesdatenschutzgesetz, Jura 1987, S. 193 ff, 295 ff; Herbert Fiedler, Datenschutznovellierung, CR 1989, S. 131 ff; Karl Riedmaier, Datenschutz in der öffentlichen Verwaltung, ZBR 1989, S. 221 ff; Wulf Büermann, Datenschutzrecht, in: Richard Ley (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für Rheinland-Pfalz, 3. Aufl., Baden-Baden 1992, S. 223 ff; Hans-Wolfgang Arndt, Datenschutz, in: Hartmut Maurer/Reinhard Hendler (Hrsg.), Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt a.M. 1990, S. 544 ff; Jörg Keidel, Datenschutzrecht, in: Otto N. Bretzinger (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für Baden-Württemberg, Baden-Baden 1991, S. 633 ff; Uwe Lauber, Gemeinden und Datenschutz in Baden-Württemberg, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988, S. 79 ff; Spiros Simitis, Datenschutz, in: Hans Meyer/Michael Stolleis, Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, 4. Aufl., Baden-Baden 1996, S. 109 ff.
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tigkeit eine vollständige Datenschutzregelung treffen 251 , sowie Gesetze, die nur Teilaspekte regeln und die bestimmte Ermächtigungen zur Datenerhebung, 251 Spezifische Regelungen sind wegen der Besonderheiten der Rechtsmaterien in einigen Bereichen zwingend. Vier solche Bereiche weisen solche Besonderheiten auf: - Das Polizei und Sicherheitsrecht steht in Mittelpunkt des Interesse datenschützender Maßnahmen (eingehend dazu Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 157 ff). Spezifische Datenschutzvorschriften finden sich bereits in den Polizeigesetzen von Bayern, Berlin, Bremen (§§ 27 f, 32 f, 36 BremPolG), Hessen, Nordrhein-Westfalen (§§ 9 ff PolG NRW, RdErl. des NRW- Innenministeriums vom 19. 4. 1991), dem Saarland, Rheinland-Pfalz (§§ 25a ff PVG Rh.-Pf.), Baden-Württemberg, in den neuen Bundesländer sowie in den §§ 9-15, 19-26 BVerfSchG, §§ 3-11 BBDG, §§ 5-12 MADG und in Landesverfassungsschutzgesetzen. Zum Polizeidatenschutzrecht s. Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl., Göttingen 1991, Rdn. 144 ff; Wolfgang Kay/Reinhold Böcking, Polizeirecht Nordrhein-Westfalen, München 1992, S. 60 ff; Thomas Würtenberger/Dirk Heckmann/Rainer Riggert, Polizeirecht in BadenWürttemberg, Heidelberg 1993, Rdn. 153 ff; Heinz Wolf/Ulrich Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 1995, § 37 ff; Christoph Gusy, Polizeirecht, 2. Aufl., Tübingen 1994, Rdn. 230 ff; Dieter Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, Berlin 1994; Spiros Simitis/Gerhard Fuckner, Informationelle Selbstbestimmung und staatliches "Geheimhaltungsinteresse", NJW 1990, S. 2713 ff; Eugen Ehmann, Kriminalpolizeiliche Sammlungen und Auskunftsanspruch des Betroffenen (II), CR 1988, S. 575 ff; Franz-Ludwig Knemeyer, Datenerhebung und Datenverarbeitung im Polizeirecht, NVwZ 1988, S. 193 ff; Andreas Geiger, Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung, Berlin 1994. Zu Datenschutzvorschriften im Bereich des Verfassungschutzes s. Tinnefeld/Ehmann, Einführung in das Datenschutzrecht, S. 151 ff, 162 f. Zur früheren Lage Henner Wolter, Rechtsprobleme der Informationssammlung und Informationsweitergabe durch die Ämter für Verfassungsschutz, DVR 1978, S. 297 ff; Reinhard Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, Köln, Berlin, Bonn, München 1980; Christoph Gusy, Der Schutz gegen rechtswidrige Informationsbeschaffung durch die Nachrichtendienste, DöV 1980, S. 431 ff; derselbe, Die Verwendung rechtsmäßig erlangter Informationen durch die Nachrichtendienste, NVwZ 1983, S. 322 ff. Es ist umstritten, welche die Grundlage der faktischen Beinträchtigungen durch polizeiliche Datenerhebung und -Verarbeitung ist. Dazu ausführlich Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 165 ff. Es besteht Streit über den sog. "Übergangsbonus" als Konsequenz des Volkszählungsurteils. Vgl. Klaus Vogelgesang, Der Übergangsbonus, DVB1. 1989, S. 962 ff; derselbe, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 210 ff; Udo Kauss, Der suspendierte Datenschutz bei Polizei und Geheimdiensten, Frankfurt a.M. u.a. 1989; Volkmar Götz, Die Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (1987-1989), NVwZ 1990, S. 725 ff (726, 729); Spiros Simitis/Gerhard Fuckner, Informationelle Selbstbestimmung und staatliches "Geheimhaltungsinteresse", NJW 1990, S. 2713 ff; Erhard Denninger, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und innere Sicherheit, Rechtsgutachten, in: Hessische Staatskanzkei (Hrsg.), Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat, Wiesbaden 1984, S. 285 ff. Vgl. dazu BVerwG, NJW 1990, S. 2761 ff. - Bereiche, in denen die Erhebung von personenbezogenen Daten Voraussetzung und Gegenstand der Erfüllung einer Aufgabe sind, beanspruchen ebenfalls eine sachgerechte spezifische Regelung. S. z.B. § 61 PStG, § 3 sowie die §§ 1 II und III, 2a, 2b, 3a und 4 PAuswG; §§ 41 u. II, 16, 17, 18, 21, 22 PaßG; §§ 45 ff LRG NW, §§ 49 ff WDR-
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Gesetz. In der Praxis besondere Bedeutung haben die Regelungen im MRRG und in den Landesmeldegesetze (so regeln z.B. die §§ 3, 5 und 30 ff MG NRW die Speicherung, Verarbeitung und Übermittlung der Daten, § 6 MG NRW verpflichtet die Mitarbeiter der Meldebehörden oder anderer Stellen auf das Meldegeheimnis, §§ 7 ff MG NW normiert die Schutzrechte des Betroffenen. Zum Melderecht s. Gerhard Fuckner, Das Melderahmengesetz, NJW 1981, S. 1081 ff; Reiner Beiz, Meldegesetz für Baden-Württemberg, 3. Aufl., Stuttgart 1987; derselbe, Melderecht und Datenschutz, VB1BW 1981, S. 344 ff, 377 ff; Uwe Lauber, Gemeinden und Datenschutz in Baden-Württemberg, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988, S. 56 ff; Gerhard Pflüger/Reiner Beiz, Meldegesetz für Baden-Württemberg, 2. Aufl., Stuttgart 1980). - Wegen der Weite und der Sensibilität der gesammelten Informationen erfordert die Durchführung der Statistik besondere Regelungen (zum Verhältnis zum allgemeinen Datenschutzrecht Otto Ziegler, Statistikgeheimnis und Datenschutz, München 1990, S. 82 ff). Muster dabei ist das nach dem Volkszählungsurteil erlassene BStatG 1987. Danach ist die Durchführung einer Statistik an ihre Anordnung durch Gesetz gebunden (§ 5 BStatG), das auch eine Pflicht der Bürger zur Auskunft ausgestaltet (§ 15 BStatG). Die Erhebung und Behandlungen der statistischen Informationen ist detailliert vorgesehen (§§ 6-13, 17 BStatG). Dazu Peter Dorer/Helmut Mainusch/Helga Tubies, BStatG, München 1988. Für den Datenschutz besonders wichtig ist die Geheimhaltung statistischer Daten (§ 16 I 1. Variante BStatG; vgl. auch § 15 Mikrozensurgesetz). Dies verpflichtet die mit der Statistik beauftragten Verwaltungsstellen zur Geheimhaltung aller Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse, die für die Statistik gemacht werden. Anders als in den allgemeinen Datenschutzgesetzen werden nicht nur die Informationen natürlicher Personen erfaßt. Die datenschutzrechtliche Geheimhaltung ist hier weitere ausgestaltet und erfaßt auch Informationen von juristischen Personen, sogar des öffentlichen Rechts. Der Grund ist nicht nur der Vertrauensschutz, sondern die Sicherung der für die Durchführung der Statistik erforderlichen Kooperation der Bürger. Zum Statistikgeheimnis eingehend Dorer! Mainusch/Tubies, § 16, Rdn. 13 ff; Ziegler, S. 55 ff, 58 ff. Die Geheimhaltung entfällt, wenn die erhobenen Daten als statistische Ergebnisse veröffentlicht werden, wenn diese nicht einem der Befragten bzw. Betroffenen zugeordnet werden können, wenn der Betroffene einwilligt, wenn ein Gesetz die Veröffentlichung der Daten vorsieht (z.B. § 127 BSHG, § 35 WoGG, § 6 HochschulStatG, § 12 I Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30. 6. 1993, § 15 Finanz- und PersonalstatistikG vom 21. 12. 1992), oder wenn eine Übermittlung der Daten durch Gesetz für einen bestimmten Zweck ermächtigt wird und der Empfänger eine öffentliche Stelle ist. Dazu Ziegler, S. 69 ff, 136 ff; ausführlich jüngst Holger Poppenhager, Die Übermittlung und Veröffentlichung statistischer Daten im Lichte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Berlin 1995, S. 29 ff, 66 ff, 157 ff. Liste der spezifischen Statistiken bei Wilfried Hirschberger, Zugang des Bürgers zu staatlichen Informationen, Diss. Speyer 1983, S. 110 f. Zu den kommunalen Statistiken s. Hans Herbert v. Arnim, Volkszählungsurteil und Städtestatistik, Rechtsgutachten, in: DSTBeiträge, Reihe H, Heft 32, S. 1 ff (53 ff). - Die erforderliche Sensibilität der Behandlung von Daten durch die Sozialverwaltung (dazu Walter Wiese, Grundfragen des Datenschutzes, DVB1. 1980, S. 861 ff; Hans Sendler, Sozialdatenschutz in der Verwaltunsgspraxis, DOK 1977, S. 773; derselbe, Sozialdatenschutz, Sgb 1977, S. 528; Hermann Heußner, Bundesdatenschutzgesetz und Sozialversicherung, in: Festschrift für Kurt Brackmann, Sankt Augustin 1977, S. 333 ff; Jan Meydam, Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und mögliche Konsequenzen für den Sozialdatenschutz, DuD 1985, S. 12 ff; Peter Lange, Probleme des Per-
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sönlichkeitsrechts und Datenschutzes im Sozialrecht, Diss. Bochum 1982) ist der Grund für die Entstehung des Sozialdatenschutzes. Grundlage ist das SGB X 2. Es bestehen aber zusätzlich ein Fülle von Vorschriften aus allen Bereichen des Sozialrechts. S. z.B. § 63 SGB IV, §§ 61-68 SGB VIII, §§ 98-103 SGB VIII, § 50 II S. 3 BaföG, § 7 AFG. Dazu Franz Ruland, Sozialrecht, in: Eberhard Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin/New York 1995, S. 667 ff (755 f, Rdn. 216 ff); Harald Pikkel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, 2. Aufl., Wiesbaden 1985, S. 452 ff; derselbe, Geheimhaltung und Offenbarung von Daten im Sozialrecht, MDR 1984, S. 885 ff; Wolf gang Schatzschneider, Die Neuregelung des Schutzes von Sozialdaten im Sozialgesetzbuch, MDR 1982, S. 6 ff; Wolfgang Gitter, Sozialrecht, 3. Aufl., München 1992, S. 291 f; HelmarBley, Sozialrecht, 6. Aufl., Frankfurt a.M. 1988, S. 42; Bertram Schulin, Sozialrecht, 3. Aufl., Düsseldorf 1989, S. 341 f, Rdn. 913 ff; Arnold Erlenkämper, Sozialrecht, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1987, S. 688 ff; Thomas Mörsberger (Hrsg.), Datenschutz im sozialen Bereich, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1982; Günter Borchert/Friedhelm Hase/Stefan Walz, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Schutz der Sozialendaten, Neuwied 1989; Anton Knopp, in: Gesamtkommentar, SGB Sozialversicherung, Losebl., Bd. 4, Stand 1991, §§ 67 ff SGB X; Wolf-Dietrich Wallroth, SGB X/1,2, Losebl. Stand 1991, §§ 67 ff; Georg Wannagat, SGB IV, Köln, Berlin, Bonn, München, Losebl. Stand 1991, § 63, Rdn. 19 ff; Dieter Krauskopf/Günther Schroeder-Prinzen, Soziale Krankenversicherung, 3. Aufl., München (Losebl.), § 63 SGB IV, Rdn. 15 ff; Heinz Krug/Hans Grüner/Gerhard Dalichau, KJHG - SGB VIII, Kommentrar, Losebl., Starneberg, Percha (Losebl.), §§ 61 ff; Hauck, in: Karl Hauck/Hartmut Haines, SGB VIII (KJHG), Berlin, Losebl., §§ 62 ff; Walter Schellhorn/Manfred Wienand, Das KJHG, Neuwied, Kriftel 1991, §§ 61 ff; Ulrich Ramsauer/Michael Stallbaum, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 3. Aufl., München 1991, § 50 Rdn. 14; Werner Hennig/Horst Kähe/Norbert Henke, Arbeitsförderungsgesetz, Kommentar, Neuwied, Kriftel, Berlin 1992, Losebl., 70. Lieferung 1992, § 7; Gagel, in: Alexander Gagel (Hrsg.), Arbeitsförderungsgesetz, Losebl., München, Stand 1989, § 7, Rdn. 6 ff, vor § 142, Rdn. 188; Wolfgang Heine, in: Bernd von Maydell/Frank Ruland (Hrsg.), Sozialarechtshandbuch (SRH), Neuwied 1988, § 11 Sozialdatenschutz, S. 437 ff. Aus der Fülle des Schrifttums Walter Wiese, Der Schutz des Sozialgeheimnisses, Deutsche Rentenversicherung 1979, S. 167 ff; derselbe, Der Schutz der Sozialdaten, DAngVers 1980, S. 449; derselbe, Artzgeheimnis und Datenschutz im Krankenhaus, Datenschutz und Datensicherung 1981, S. 2 f; Rudolf Küppers, Zu den neuen Geheimhaltungs- und Datenschutzvorschriften im Sozialgesetzbuch, DuD 1980, S. 185 ff; Wolfgang Krägeloh, Zur Neuregelung des Sozialgeheimnisses, VR 1980, S. 407 ff; Lothar Florian, Die Einwilligung des Betroffenen nach § 3 BDSG und §§35 SGB 1/67 SGB X, DRV 1980, S. 281; Otto Mallmann/Stefan Walz, Schutz der Sozialdaten nach dem neuen Sozialgesetzbuch, NJW 1981, S. 1020 ff; Lotte Eul, Die Neuregelungen des Zweiten Kapitels des SGB X - Datenschutz im Sozialbereich, DOK 1981, S. 449 ff; Otto Mallmann, Datenschutz bei Sozial- und Jugendämtern nach der Neuregelung des Sozialgeheimnisses im SGB, NDV 1981, S. 89; Spiros Simitis, Datenschutz in der Jugend- und Sozialhilfe, NDV 1982, S. 62; Jan Meydam, Bereichsspezifischer Datenschutz bei stationärer Behandlung, BIStSozArbR 1982, S. 211 ff; Viktor Barram, Datenschutz und Informationsrecht, BIWohlfPfl 1982, S. 200 f; Wolf gang Hans Peter Mehl, Was will und bewirkt der Datenschutz in der öffentlichen Sozialarbeit?, Ein grundsätzlicher und kritischer Beitrag, BIWohlfPfl 1982, S. 183 ff; Rudolf Küppers, Zu den neuen Geheimhaltungs- und Datenschutzvorschriften im Sozialgesetzbuch, DSuDS 1982, S. 185 ff; Helmut Platzer, Schutz der Sozialdaten und Abgabe von Drittschuld-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
-Verarbeitung 252 oder -Übermittlung 253 enthalten. Die Vorschriften der letzten Kategorie sind zahlreich 254 und fast unüberschaubar 255.
nererklämngen, SozVers 1982, S. 253 ff; Kurt Maier, Die Sphinx des Sozialgeheimnisses bei besonders schutzwürdigen personenbezogenen Daten, Sgb 1983, S. 89 ff; Helmut Platzer, Das Verhältnis von Datenschutz und Amtshilfe nach dem X. Buch des Sozialgesetzbuches, Diss. Bayreuth 1986; Harald Pickel, Einschränkungen der Offenbarungsbefugnis im Sozialrecht, DuD 1986, S. 225 ff; Kurt Maier, Der Datenschutz im Medizinbetrieb der gesetzlichen Rentenversicherung, SozVers 1986, S. 311 ff; Utz Krahmer, Computereinsatz in der Sozialverwaltung - Was bringt der Datenschutz nach §§ 79 ff SGB X in der automatisierten Datenverarbeitung?, ZfSH/SGB 1987, S. 623 ff; Horst Deinert, Der neue Datenschutz und die Amtspflegschaft, DAVorm 1990, S. 757 ff. Zu den besonderen Datenschutzvorschriften der §§ 61 ff SGB VIII s. Thomas Mörsberger, Zur Bedeutung der Datenschutzbestimmung im neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), Zenralblatt für Jugendrecht 1990, S. 365 ff; Bernd Jeand'Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, Berlin 1993, S. 176 ff mwN. Vgl. auch Vgl. auch Jan Meydam, Die Realisierung des Datenschutzes in der Sozialversicherung, BlStSozArbR 1977, S. 268; derselbe, Die Regelung des Sozialdatenschutzes im Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X), BlStSozArbR 1980, S. 278 ff; Heinz Schieke, Daten- und Geheimnisschutz aus verfassungsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Sicht, Interessenkollision zwischen Datenschutz und einer funktionierenden bürgemahen Sozialverwaltung, BG 1979, S. 741 ff; Hans-Christoph Oberfeld, Zur Datenübermittlung durch Leistungsträger der Sozi al Verwaltung innerhalb des öffentlichen Bereiches, SGb 1980, S. 143 ff. S. auch BSGE 55, 150; E 57, 253 = NZA 1985, 468 = DVR 1984, 383; BSGE 59, 76 = NJW 1986, 3105 = DRV 1986, 408, mit Anm. Karl-Heinz Tannen = ZfSH/SGB 1986, 389 = RDV 1986, 141 = CR 1987, 29; BSGE 59, 172 = NJW 1986, 1574 = CR 1987, 31. Zum Subsidiaritätsprinzip der Datenschutzgesetze Peter Gola/Klaus Hümmerich/Uwe Kerstan, Datenschutzrecht, Teil 2, Berlin 1978, S. 10 ff; eingehend Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 54 ff mwN. 252 Z.B. § 46 GWB (dazu Lupberger, Auskunfts- und Prüfungsverfahren, S. 171 ff, 189 ff, 197 ff; Werner Junge, in: GWB und Europäisches Kartellrecht - Gemeinschaftskommentar, 4. Aufl., 4. Lieferung, Köln, Berlin, Bonn, München 1981, § 46, Rdn. 28; Heinz Müller/Peter Giessler, Kommentar zum GWB, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1974 (Loseblatt), § 46, Rdn. 27 ff und § 47 aF; Rainer Bechtold, Das neue Kartellrecht, München 1981, S. 308; Hans-Rudolf Ebel/Heinz Mayer-Wegelin, Kartellrecht, Neuwied, Kriftel, Berlin (Losebl.), § 46 GWB, Rdn. 27 ff; Rupert Scholz, Informationspolitik des Bundeskartellamts und Informationsrecht der Öffentlichkeit, NJW 1973, S. 481 ff (481 f). Vgl. auch Art. 20 II VO 17 EWG und EuGH 13. 2. 1979, RIW/AWD 1979, 554 = WuW/E EWG/M UV 447, 448 "Vitamine". Die Auskunftsverteilung ist möglich, wenn der Betroffene zustimmt. S. VGH Kassel, DVB1. 1962, 641; Konrad Zweigert, Zur Auskunftserteilung durch das Kartellamt, Der Markenartikel 1959, S. 219), § 36 II, III, V, VIII ZDG, § 14 ff BWO (Wählerverzeichnis), § 25 WoGG, §§ 11, 12 Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, § 19 MutterschutzG, § 19 LAbfG BW; § 26 HessAbfG. Zur ärzlichen Dokumentationspflicht s. Eberhard Jung, Das Recht auf Gesundheit, München 1982, S. 146 ff. 253 Hierzu zählen z.B. die Vorschriften, die Einsichts- und Berichtigungsrechte bei öffentlichen Registern enthalten, wie die §§ 55, 1563 BGB, §§ 14, 16 VO über das Erb-
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
baurecht, §§ 125,126,132 ff FGG, §§ 8 ff GebrauchsmusterG, § 20 AGBG, §§ 7, 8 GeschmacksmusterG, § 6 HandwO, § 21 HeimstättenG, § 146 VII KO, §§ 79-90 KostenO, § 43 KWG, §§ 12, 23, 306a, 36 PatentG, §§ 33, 43e, 46a, 46b, 47, 65 PStG, §§ 12, 18 ff, 56, 57 Gesetz über Rechte von eingetragenen Schiffen und Schiffbau werken, §§3, 6, 10, 11 Warenzeichen^ §§ 9, 31, 32 GWG, § 9a l.WohnbauG, §§ 4, 9 WohnungseigentumsG. S. auch §§ 41 ff sowie die §§ 19, 23, 27 II, 31, 37 I, 39-47, 58 BZRG, § 13 II GBO, § 30 StVG, § 13a StVZullO. Andere Vorschriften regeln die Übermittlung an bestimmte Behörde (z.B. § 19 I NdsAbfG) oder die Einsicht in Kataster (z.B. in das Kataster der Altbegrabungen und Altstandorte gemäß §§ 31, 32 LAbfG NRW und § 16 SaarAbfG, oder das Bodenzustandskataster und die Bodendatenbank gemäß §§ 15, 18 BodenschutzG BW). Nicht hierher gehören jedoch die sonstigen Aufklärungspflichten gegenüber der Öffentlichkeit (z.B. in § 23 LAbfWAG Rh.-Pf.). S. im allgemeinen Franz Meilinger, Datenschutz im Bereich von Information und Dokumentation, Baden-Baden 1984. 254 Solche Vorschriften finden sich z.B im Ausländerrecht (§§ 75 ff AuslG, Ausländerübermittlungsverordnung, Ausländerdateiverordnung Verordnung zur Durchführung des AuslG), in Post- und Femmelderecht (Postdienst-Datenschutzverordnung vom 24. 6. 1991; Postbank-Datenschutzverordnung vom 24. 6. 1991; Telekom-Datenschutzverordnung vom 24. 6. 1991; §§ 449-458 Telekommunikationsordnung - TKO -und TelekommunikationsVO - TKV vom 24. 6. 1991. Dazu Joachim Schmidt, Die Gewährleistung des Datenschutzes bei der Teilnahme an Telekommunikationsdiensten der Deutschen Bundespost - dargestellt unter Berücksichtigung der Telekommunikationsordnung, JbDBP 1988, S. 315 ff), in Straßenverkehrsrecht (§§ 28 ff StVG, §§ 31 ff und der Fahrzeugregisterverordnung - dazu Tinnefeid/Ehmann, Einführung in das Datenschutzrecht, S. 159 ff; Hermann Mühlhaus/Horst Janiszewski, Straßenverkehrs-Ordnung, 13. Aufl., München 1993, § 28 ff StVG), in Architektengesetzen (z.B. BW, Brem, NRW, Rh.-Pf.), Denkmalschutzgesetzen (z.B. Bremen), Hochschulgesetzen (z.B. BW, Brem, Nds., Rh.-Pf., wie in § 63 HochschulG Rh.-Pf., § 49 FachhochschulG Rh.-Pf.), Katastergesetzen (z.B. KatasterG Rh.-Pf.), Katastrophenschutzgesetzen (z.B. BW, Rh.-Pf.), Krankenhausgesetzen (z.B. Bay, Brem, Rh.-Pf., Hmb, Hess, Saar, wie in § 36 LandeskrankenhausG Rh.-Pf.), Krebsregistergesetzen (z.B. Hmb, NRW, Saar), Medien- und Rundfunkgesetzen (z.B. Bay, Bremen, Rh.-Pf., Hmb, Hess, Saar, BW, Nds, Beri, NRW), Landespersonalausweisgesetzen (alle Bundesländer - Dazu Lauber, Gemeinden und Datenschutz, S. 79 ff), Schulgesetzen (z.B. Brem, Rh.-Pf., Saar, SchlH), Landesstatistikgesetzen (z.B. Bay,Brem, Rh.-Pf., Hess, Saar, Nds.), sonstige Statistikgesetzen (z.B. § 18 BBankG; § 26 II, III, IV AWG, § 6 III, IV AFG, § 58 GüKG, § 55 BaföG; § 1 la Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, § 2 Nr. 5 Gesetz über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes vom 4. 8. 1951; § 1 Gesetz über eine Statistik des grenzüberschreitenden Gütekraftverkehrs vom 21. 12. 1973; UmweltstatistikG v. 14. 3. 1980; Gesetz über die Statistik von Produziernden Gewerbe v. 30. 5. 1980; MineralöldatenG v. 20. 12. 1988; AgrarstatistikG v. 23. 9. 1992; RohstoffstatistikG v. 15. 12. 1989; § 5 HochschulStatG vom 2. 11. 1990; DienstleistungsstatistikVO v. 18. 11. 1991. - Vgl. dazu in allgemeinen Rolf Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 8. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln 1993, S. 164 ff und BVerwG, NJW 1991, 1246 = GewArch 1991, 133; ausführlich Poppenhäger, Die Übermittlung und Veröffentlichung statistischer Daten, S. 123 ff. Dazu müssen auch die EG-Verordnungen zur Wirtschaftsstatistik miteinbezogen werden. Vgl. Poppenhäger, S. 210 ff), in Wassergesetzen (z.B. Hess), Rundfunkgesetzen. S. auch § 40 VerglO. Vgl. auch Kirchengesetz über den Datenschutz (EKD) und Anordnung über den Kirchlichen Datenschutz in den Diözesen (katholische Kirche).
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Datenschutzgesetze betreffen die Behandlung von automatisierten und sonstigen personenbezogenen Daten durch öffentliche Stellen 256. Diese werden nach einem funktionellen Behördenbegriff bestimmt, der alle in öffentlichrechtlicher Form organisierte Verwaltungsträger sowie ihre Vereinigungen, ungeachtet ihrer Rechtsform, beeinhaltet 257 .
255 Zu dieser Hypertrophie krit. Reinhard Mußgnug, Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, in: Hermann Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, Berlin 1989, S. 23 ff (41 f). 256 Im Zusammenhang mit den Ziele des Datenschutzes steht das Datengeheimnis. Hierbei geht es um eine über die Dauer der bestimmten Tätigkeit hinausgehende persönliche Verpflichtung der bei der Datenverarbeitung Beschäftigten zur Geheimhaltung des Inhalts personenbezogener Daten. Vgl. § 5 BDSG. Das Datengeheimnis verbietet als solches nur die gesetzlich unbefugte Verarbeitung und Benutzung der Daten durch die Personen, die im Datenverarbeitungsbereich tätig sind, und stellt keine allgemeine Geheimhaltungsanordnung dar. Es ist damit als eine zusätzliche Sicherung der Verwirklichung der Zwecke des Datenschutzes in Form einer personellen Verpflichtung anzusehen. Dies wird zum Teil als überflüssig angesehen werden, weil die Beschäftigten in den öffentlichen Stellen bereits zur Verschwiegenheit nach dem Amtsgeheimnis (§§ 61 ff BBG, § 9 BAT, § 9 BAT-Ost) und dem Verpflichtungsgesetz verpflichtet sind. Dazu Herbert Auernhammer, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1993, § 5 mwN; Tinnenfeld, Datenschutzrecht, S. 81 ff; Tinenfeld/Ehmann, Einführung in das Datenschutzrecht, S. 117 ff; Rainer Grell, Landesdatenschutzgesetz für Baden-Württemberg, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1980, § 7; Jochen Nungesser, Hessisches Datenschutzgesetz, Mainz 1988, § 9 (vgl. auch § 23); Thomas Kutzmann, Landesdatenschutz Rheinland-Pfalz, Köln, Berlin, Hannover, Kiel, Mainz, München 1982, § 8; Gerd Stähler, Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., Köln 1988, § 6; Heinrich Weyer, Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen, Essen 1988, § 6. Die Verletzung des Datenschutzgeheimnisses stellt eine Amtsprflichtverletzung dar. S. Louis, Grundzüge des Datenschutzrechts, S. 154. Zum Verhältnis zwischen Datengeheimnis und Amtsgeheimnis s. Tinnenfeld, S. 19 ff; Tinnenfeld/Ehmann, S. 48 ff.
Eine Sonderform des Datengeheimnisses stellt das Statistikgeheimnis (§ 1612. Variante BStatG), das die Verschwiegenheit der mit der Durchführung der Bundesstatistik betrauten Bedientesten anordnet, sowie eine Verschwiegenheitspflicht der Erhebungsbeauftragten der Statistik (§ 14 BStatG) vorsieht. Diese Geheimhaltungspflicht erweitert das Gesetz auf die Empfänger einer möglichen Übermittlung statistischer Daten (§ 16 X BStatG). Dazu Dorer! Mainusch/Tubies, BStatG, § 14, Rdn. 12 ff, § 16, Rdn. 8, 67 f, 78; Poppenhäger, Die Übermittlung und Veröffentlichung statistischer Daten, S. 103. Vgl. bereits Peter Czapski, Die Geheimhaltung bundesstatistischer Einzelangaben im Rahmen der neueren Datenschutzgesetzgebung, ÖVD 1975, S. 163 ff. 257 Vgl. § 2 BDSG. Das BDSG gilt auch für den Datenschutz im Bereich nicht öffentlicher Stellen (dazu Irene Wind, Die Kontrolle des Datenschutzes im nicht-öffentlichen Bereich, eine Untersuchung über die Tätigkeit der Datenschutz-Aufsichtsbehörden, Baden-Baden 1994). Hier werden neben Privaten auch öffentlich-rechtliche Stellen, wenn sie als Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen (vgl. § 27 I BDSG), sowie Verwaltungsträger in Privatrechtsform erfaßt.
§ 1 Die deutsche Verwaltung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit
d) Begriff der geschützten personenbezogenen Daten Schutzgegenstand und Zentralbegriff der Datenschutzgesetzgebung sind die personenbezogenen Daten 258 . Der Begriff wird in § 3 BDSG gesetzlich nach vier Elementen definiert. Danach sind personenbezogene Daten als Einzelangaben (1) über persönliche oder sachliche Verhältnisse (2) einer bestimmten oder bestimmbaren (3) natürlichen (4) Person gekennzeichnet259. Unter Daten werden sowohl Dateien als auch Akten gefaßt. Dateien sind personenbezogene Daten, die durch ein automatisiertes Verfahren oder durch gleichartig bestimmte Merkmale aufgebaut, geordnet und ausgewertet werden können 260 . Akten sind alle Unterlagen, einschließlich Bild- und Tonträgern, die amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienen und nicht als Dateien bezeichnet werden können 261 . Nicht dazu gehören jedoch isolierte Vorentwürfe und Notizen, die nicht Teil eines Vorgangs werden können 262 .
258
Dazu statt vieler Lupberger, Auskunfts- und Prüfungsverfahren, S. 41 ff. Dazu eingehend Auernhammer, BDSG, § 3, Rdn. 4 ff. Einzelangaben bedeuten Daten, die sich unmittelbar auf eine Person beziehen. Persönliche und sachliche Verhältnisse können alle mögliche Fakten, Werturteile oder Informationen in bezug auf eine Person sein. Personenbezogen können nur Daten sein, in denen der Betroffene bestimmt oder leicht bestimmbar ist. Dies wird im Zusammenhang mit dem Vorliegen von Einzelangaben verständlich. Sammel-, aggregierte oder anonymisierte Daten können keine personenbezogenen Daten sein. Als betroffene Person kommt nur die natürliche Person in Betracht. Dies steht mit der Ableitung des Datenschutzes aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht völlig in Einklang. Nascituri und Gestorbene haben keine Rechte auf Persönlichkeit. Dies gilt ebenfalls für juristische Personen (vgl. statt vieler Düng, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2, Rdn. 68; Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, S. 91; Jürgen Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Baden-Baden 1988, S. 56 ff). Es ist eine andere Frage, ob im konkreten Fall andere Grundrechte in Betracht kommen können (z.B. Art. 1 I für die Nascituri und die Gestorbenen, Art. 14 für die Betriebsgeheimnisse eine Aktiengesellschaft). Contra Lupberger, Auskunfts- und Prüfungsverfahren, S. 49 ff, 100 ff. 259
260
Dazu ausführlich Auernhammer, BDSG, § 3, Rdn. 8 ff mwN; Lutz Bergmann/Roland Möhrle/Armin Herb, Handkommentar zum Datenschutzgesetz und zu den Datenschutzgesetzen der Länder, Stuttgart, München, Hannover (Losebl. 1991 ff), § 3 BDSG, Rdn. 31 ff; Simitis, in: Spiros Simitis/Ulrich Dammann/Otto Mallmann/Hansjörg Geiger/Otto Mallmann/Hans-Joachim Reh, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 4. Aufl., Baden-Baden (Losebl. 1992 ff), § 3, Rdn. 68 ff; Hans-Joachim Ordemann/Rudolf Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 5. Aufl., München 1992, § 3, Anm. 4. 261 Dazu Auernhammer, BDSG, § 3, Rdn. 18 ff; Simitis, in: Simitis/Dammann/ Mallmann/Geiger/Mallmann/Reh, BDSG, § 3, Rdn. 86 ff; Bergmann!Möhrle!Herb, BDSG, § 3, Rdn. 48 ff. 262 Dazu Auernhammer, BDSG, § 3, Rdn. 22 f, der jedoch eine Anwendung unter den Voraussetzungen der Grundgedanken des Datenschutzes auch bei solchen Akten
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
e) Strukturierung der Datenschutzregelungen Auswirkungen im Verwaltungsverfahren Eine Analyse der Datenschutzgesetzgebung ergibt vier systematische Normkomplexe 263 . Zunächst gibt es die wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erforderlichen Ermächtigungen zur Datenerhebung. Als Eingriffsermächtigungen unterliegen sie der Kontrolle durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und müssen klar sein. Dabei ergibt sich unter Umständen die Setzung bereichsspezifischer Datenschutzvorschriften als zwingend 264 . Ferner enthalten die Datenschutzgesetze eine Reihe von Ermächtigungen zur Verwendung und Übermittlung der erhobenen Daten. Diese sind jedoch mit der Zweckbindung dieses Vorhabens an eine bestimmte, gesetzlich beschriebene Aufgabe gekoppelt. Auch hier können unter Umständen bereichspezifische Regelungen erforderlich sein. Einen dritten Normkomplex bilden die organisatorischen, verfahrensrechtlichen und dienstlichen Regelungen, die der Sicherung und Geheimhaltung der Daten dienen. Hier ist besonders die inneramtliche Trennung der Aufgaben in bezug auf den Datenschutz und die Verpflichtung der Beschäftigten zur Geheimhaltung und Einhaltung von Verfahrensregeln zur Vermeidung des Mißbrauchs der Informationen zu nennen. Ein vierter Normkomplex sieht schließlich die Funktionen der Datenschutzbeauftragten als Kontrollinstanzen vor. Die Datenschutzgesetze haben eine besondere Bedeutung und bestimmen die Art des Vorgehens der Verwaltung im binnen- und zwischenamtlichen Verkehr 2 6 5 . Sie gestalten Verfahren der Kommunikation und Beteiligung sowie der internen Machtverteilung 266 . Im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechtes bejaht. Vgl. auch Simitis, in: Simitis/Dammann/Mallmann/Geiger/Mallmann/Reh, BDSG, § 3, Rdn. 102 f. 263 Vgl. auch Dirk Ehlers, in: Hans-Uwe Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., Berlin, New York, 1992, § 4 II 2 (in 10. Aufl. nicht mehr übernommen). 2 Vgl. Ordemann/Schomerus/Gola, BDSG, § 19, Anm. 12.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
4. Auskunftsrechte
in spezifischen Datenschutzgesetzen
Neben den allgemeinen Datenschutzgesetzen von Bund und Ländern gibt es eine Fülle von spezifischen Gesetzen, die Datenschutzvorschriften enthalten und in denen auch Auskunftsrechte der Betroffenen zu finden sind 251 . Die Auskunftsrechte gegenüber den Nachrichtendiensten sind heute in § 15 BVerfSchG geregelt 252 . Danach ist die Auskunft grundsätzlich gestattet. Es bestehen aber Ausnahmen, die denen im Datenschutzgesetz ähneln, nämlich die Gefahrdung der Aufgabe, der Quellen und des Erkenntnisstandes der Sicherheitsbehörde sowie die Ausforschung ihrer Arbeitsweise 253 , die Gefährdung des Wohles des Bundes oder eines Landes, insbesondere die Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sowie das Vorliegen einer entgegenstehenden Vorschrift 254 . Aus dem Sicherheitsbereich ist auch die neue Auskunftsregelung in den Polizeigesetzen zu erwähnen 255 . Die Auskunftsklauseln räumen dem Bürger grundsätzlich einen Anspruch auf Auskunft durch den Polizeivollzugsdienst
251 Vorschriften über das Auskunftsrecht der Betroffenen über die zu ihrer Person gespeicherten Daten sind bzw. waren z.B. in § 17 BStatG (Dazu Poppenhäger, Die Übermittlung und Veröffentlichung statistischer Daten, S. 192 ff), §§ 28, 57 BundeszentralregisterG, § 17 DatenerfassungsO, § 12 DatenübermittlungsO, § 6 HandwO, § 61 PersonenstandsG, § 104 AngestelltenversicherungsG und § 108h ReichsknappschaftsG (Auskunftspflicht der Versicherten), § 1325 RVO, § 67 SGB VIII, § 35 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, § 23 f LAbfG SchlH enthalten. S. auch § 5 Kirchengesetz über den Datenschutz, § 13 Anordnung über den kirchlichen Datenschutz in den Diözesen. 252 Darauf verweisen auch § 7 BNDG und § 9 MADG. S. Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien der Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane, S. 153 ff, 176 ff; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 46 f; Alexander Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, Berlin 1996, S. 108 ff; Klaus Geiger, Datenschutz bei den Verfassungsschutzbehörden, Vorschläge einer Neukonzeption, DVB1. 1990, S. 748 ff. Vgl. dazu bereits Roewer, Bürgerauskunft durch die Verfassungsschutzbehörden?, S. 11 ff; Helmut Bäumler, Der Auskunftsanspruch des Bürgers gegenüber den Nachrichtendiensten, NVwZ 1988, S. 199 ff. 253 Zur Problematik der Geheimhaltung der Akten der Verfassungsschutzbehörden Hans-Ulrich Evers, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, ZRP 1980, S. 110 ff. 254 Zur Ermessenskontolle der Verwaltung in diesem Bereich s. BVerwG, DöV 1990, 847 = NJW 1990, 2765; OVG Berlin, NJW 1986, 2004. 2 « § 45 PolG BW, Art. 48 BayPAG, § 49 PAG-DDR (Bbg.), § 34 BremPolG, § 29 HessSOG, § 48 SOG MV, § 25f POG Rh.-Pf., § 40 SaarPolG, § 34 SOG LSA, § 51 SächsPolG, § 47 ThürPAG. § 5a IV FVG sieht ausdrücklich die Anwendung des BDSG. Keine Regelung enthalten das BGSG und das BKAG. § 37 BGSG verweist jedoch (iargumentum a contrario) an § 19 BDSG (vgl. Reinhard Riegel, Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz, Köln, Berlin, Bonn, München 1996, § 37, Rdn. 3).
§2 Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte .
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über die ihn betreffenden gespeicherten personenbezogenen Daten ein 2 5 6 . Diesbezüglich besteht kein Ermessen der Polizei 2 5 7 . Die Auskunft umfaßt nicht die Herkunft der Daten. Dies ist durch den Schutz der Polizeiinformanten gerechtfertigt 258 . Es ist aber problematisch, ob auch andere Dienstwege geschützt sind 2 5 9 . Die Regelung verweist grundsätzlich auf die Auskunftsklauseln der Datenschutzgesetze260. Die Auskunft ist entgeltlich und umfaßt die Daten, die gespeichert sind, sowie den Zweck der Speicherung. Die Gründe für die Verweigerung der Auskunft sind die der Landesdatenschutzgesetze261. Auch wenn ein Verweigerungsgrund vorliegt, muß die Polizei die jeweils entgegenstehenden Interessen abwägen. Unter den zu berücksichtigenden Interessen spielen die Gewinnung polizeilicher Erkenntnisse und das Vertrauen der Bürger in die polizeilichen Ermittlungen ein vorrangige Rolle. Die Entscheidung der Polizeibehörden, die Auskunft zu verweigern, ist anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu kontrollieren 262 . Die Verweigerung ist gerichtlich voll überprüfbar 263 . Der Auskunftsanspruch entfällt, wenn die Daten schon gelöscht sind 2 6 4 . Auskunftsrechte der Betroffenen finden sich im Melderecht 265 und im Personenstandsrecht. Nach § 8 MRRG hat der Betroffene das Recht, gebührenfrei
256 Vgl dazu Mayer-Metzner y Auskunft aus Dateien der Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane, S. 150 ff, 175 f; WürtenbergerfHeckmann/ Rig gert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdn. 427; Wölfl Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 45; Lodde y Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 47 f. Zur früheren Rechtslage s. BVerwG, DVB1. 1990, 770. 257 VGH Mannheim, DVB1. 1992, 1309 (1310); BVerwG, DVB1. 1992, S. 298. 258 BVerwG, RDV 1991, 257; BVerwG, RDV 1992, 451 = DVB1. 1992, 298 mit zust. Anm. Helmut Roewer (S. 633 ff) = JZ 1992, 360 mit krit. Bespr. Franz Ludwig Knemeyer, Auskunftsanspruch und behördliche Auskunftsverweigerung, JZ 1992, S. 348 ff. 259 Zurückhaltend Würtenberger/Heckmann/Riggerty Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdn. 427, im Hinblick auf die Transparenz staatlicher Informationstätigkeit. 260 z.B. § 17 LDSG BW. 261 Eingehend dazu Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien der Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane, S. 194 ff. 262 Wenn z.B. die Auskunft durch Anonymisierung einiger Daten ohne Schaden erfolgen kann, ist die Verweigerung unverhältnismäßig. 263 VGH Mannheim, DVB1. 1992, 1309. 264 Es ist fraglich, ob aus den Vorschriften über eine etwaige Datenübermittlung zu Auskunftszwecken eine Pflicht zur Aufbewahrung der Daten abgeleitet werden kann. So VGH Mannheim, DVB1. 1992, 1309 (1311). Dagegen Würtenberger!Heckmann/ Riggerty Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdn. 427. Es besteht aber kein Zweifel darüber, daß die Löschung zur Erschwerung der Auskunft oder der Kontrolle eine Umgehung der Datenschutzvorschriften ist. 265 Zum MRRG 1980 s. Peter Gola/Klaus Hümmerich, Datenschutzrecht, Teil 4, München 1981, S. 6 ff.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu erhalten 266 . Die Auskunft ist zum Schutz des Betroffenen in einigen Fällen ausgeschlossen267. Ähnlich ist die Regelung in § 61 PStG über das Einsichtsrecht der Betroffenen sowie deren Ehegatten, Vorfahren und Abkömmlinge in die Personenstandsbücher 268 . Auch hier wird das Auskunftsrecht zum Schutz bestimmter Interessen eingeschränkt.
5. Auskunftsrechte Dritter (öffentliche und nicht-öffentliche im Datenschutzrecht
Stellen)
Neben den Informationsansprüchen der Betroffenen enthalten die Datenschutzgesetze eine Reihe von Ermächtigungen an die speichernde Stelle, Dritte über den Inhalt der Daten der Verwaltung zu informieren. Diese Information stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar und erfordert eine gesetzliche Grundlage 269 . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert dabei das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses, das den Eingriff rechtfertigt 270 . Dritte können Behörden im Rahmen der Amtshilfe sein (Art. 35 GG) 2 7 1 . Die Übermittlung kann aber auch an Stellen außerhalb des staatlichen Bereichs erfolgen 272 . 266 Ähnliches ist in den Personalausweisgesetzen der Länder vorgesehen. S. z.B. § 12 PAusWG NRW (Gebührenfreie Auskunft des Betroffenen über das Personalausweisregister). 267 Die Auskunft ist in den Fällen des § 61 II, III PStG (Beschränkung der Auskunft für angenommene, nichteheliche oder für ehelich erklärte Kinder) und des § 1758 II BGB (Adoption) nicht zu erteilen. Dazu BVerfG, FamRZ 1989, 255 (257); Karl Ernst Dickescheid, in: RGKK zum BGB, 55. Lieferung, Berlin, New York 1986, § 1758; Gerhard Fieseier, Alternativkommentar zum BGB, Bd. 5, § 1758, S. 842 f; Alexander Lüderitz, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 8, 3. Aufl., München 1992, § 1758. 268 Dazu Reinhardt Herting/Berthold Gaaz, Personenstandsrecht, Frankfurt a.M. (Loseblatt, Stand 21. Lieferung 1991), § 61. 269 Vgl. zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Auskunft über das Melderegister OVG Münster, NJW 1979, 2221 = BB 1979, 863. 270 Vgl. VG Köln, DVB1 1980, 385. Zur Frage der Formen des Rechtsschutzes vgl. auch OVG Berlin, DVB1 1978, 756 = EuGRZ 1978, 282. 271 Vgl. Volker Simon, Datenschutz und Akteneinsicht im Widerstreit - Unbeschränktes Akteneinsichtsrecht von Behörden und anderen Stellen in den Bundeszentralregister- bzw Erziehungsregisterauszug und Jugendgerichtshilfebericht?, ZfJ 1989, S. 112 ff; exemplarisch Lupberger, Auskunfts- und Prüfungsverfahren, S. 83 ff, 222 ff. 272 Dazu gehören alle natürlichen Personen sowie alle nicht-öffentlichen Stellen, also alle juristischen Personen, Gesellschaften und Vereine des Privatrechts, die als
§2 Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte ..
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Die Übermittlungsvorschriften gehen den Vorschriften über die Akteneinsicht gemäß § 29 VwVfG vor, weil sie unabhängig von der Beteiligung an einem Verwaltungsverfahren Informationspflicht vorsehen. Andererseits geben diese Vorschriften kein Recht auf vollständige Akteneinsicht 273 , weil sie die Übermittlung auf personenbezogene Daten 274 und auf das für die Erfüllung des jeweiligen öffentlichen Interesses erforderliche Maß beschränken. Die Verwaltung ist nicht verpflichtet, die Übermittlung der Daten durchzuführen. Die speichernden Stellen können die Übermittlung nach pflichtgemäßem Ermessen genehmigen. Datenübermittlungsvorschriften sind sowohl in den allgemeinen Datenschutzgesetzen als auch in spezifischen Regelungen zu finden 275. Voraussetzung der Datenübermittlung nach dem Datenschutzgesetz ist 2 7 6 , daß die Übermittlung in einer speziellen gesetzlichen Vorschrift 277 oder im Datenschutzgesetz vorgesehen ist.
Dritte anzusehen sind (s. § 3 IX BDSG) sowie die öffentlich-rechtlichen Unternehmen, die am Wettbewerb teilnehmen. Auch öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften (vgl. z.B. § 19 MRRG) oder Parteien bzw. Wählergruppen (vgl. z.B. § 22 MRRG) können in bestimmten Fällen Empfänger personenbezogener Daten sein. 273 A.A. Peter Schoenemann, Akteneinsichtsrecht und Persönlichkeitsrecht, DVB1. 1988, S. 520 ff (520), der in den Datenübermittlungsvorschriften ein unter Umständen mögliches Akteneinsichtsrecht sieht. Diese sprechen aber nur von der Übermittlung von personenbezogenen Daten und nicht von einem entsprechenden Anspruch. Dazu Wollenteit, Informationsrechte des Forschers, S. 34 f. 274 Die Datenübermittlung erfaßt damit nicht die nicht-personenbezogenen Daten bzw. Akten der Verwaltung (sog. Sachakten). Vgl. dazu Christoph Sasse/Ralf Abel, Der Umfang des Auskunftsanspruchs nach dem Bundesdatenschutzgesetz, NJW 1979, S. 352 ff. 27 5 S. z.B. § 16 BDSG, § 13 BerlDSG, § 16 HmbDSG, § 11 HDSG, § 16 DSG NW; Schulmitwirkungsgesetz NRW (Auskunfts- und Informationsrecht der Klassenpflegerschaft), § 25 AbfAlG MV, § 118 ff LWassG NRW. Dazu Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 75 f. Die in besonderen Vorschriften begründeten Geheimhaltungspflichten, Berufsgeheimnisse oder Übermittlungsverbote (Melderecht) gehen der Regelung im Datenschutzgesetz vor. Die engere Normierung der Datenübermittlung an nicht-öffentliche Stellen findet sich in § 13 BerlDSG, der die Übermittlung personenbezogener Daten an private Personen und Stellen sowie an landesunmittelbare Anstalten des öffentlichen Rechts, die am Wettbewerb teilnehmen, verbietet, wenn nicht eine Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Betroffene eingewilligt hat. 276 vgl. § 4 ι BDSG. 277
So z.B. in § 61 PStG, § 21 MRRG (und die entsprechenden Vorschriften in den LMG), § 12 GBO, § 9 HGB, § 915 ZPO, §§ 74, 75 SGB X. Vgl. dazu Dieter Lorenz, Das Melderegister als Informationsquelle, DöV 1975, S. 151 ff; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 77 ff.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Datenschutzgesetze erlauben die Datenübermittlung erst, wenn dies zur Erfüllung der Aufgabe der übermittelnden Stelle erforderlich ist 2 7 8 . Voraussetzungen sind dabei, daß diese Aufgabe durch Verwaltungsregelung in die Zuständigkeit der übermittelnden Stelle fallt 2 7 9 und daß die Übermittlung zweckgebunden ist, d.h., daß die Voraussetzungen für eine Nutzung der Daten vorlie„280 gen . Zusätzlich ist nach den Datenschutzgesetzen die Übermittlung personenbezogener Daten zulässig, wenn der Empfanger ein berechtigtes Interesse 281 bzw. ein rechtliches Interesse 282 an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten glaubhaft darlegt und kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen entgegensteht. Das berechtige bzw. rechtliche Interesse des Empfängers ist ein - gerichtlich voll nachprüfbarer - unbestimmter Rechtsbegriff. Die Datenübermittlung erfolgt nach einer Abwägung zwischen den Interessen des Empfängers 283 und den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen. Die Verwaltung ist verpflichtet, den Betroffenen über die Datenübermittlung zu informieren. Dies ist nicht erforderlich, wenn der Betroffene auf andere Weise Kenntnis davon erlangt oder wenn sonst die öffentliche Sicherheit gefährdet würde oder dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile entstehen würden 284 . Allgemeine Voraussetzung der Datenübermittlung ist die Zweckbindung der übermittelten Daten. Der Empfänger darf die Daten nur für die Zwecke, die die Übermittlung gerechtfer278 Vgl. z.B. § 16 I Nr. 1 BDSG, § 13 I Nr. 1 BremDSG, § 16 I Nr. 1 HmbDSG, § 16 I a DSG NW (in Hessen besteht keine entsprechende Regelung). Die Datenübermittlung muß nicht nur geeignet und zweckmäßig sein, sondern auch erforderlich, d.h. daß die Aufgabe ohne sie nicht erfüllbar oder nicht vollständig erfüllbar ist. Vgl. Auernhammer, BDSG, § 13, Rdn. 6. 279 Wenn die Zuständigkeit durch Rechtsvorschrift geregelt ist, ist die Übermittlung nicht gemäß § 13 BDSG sondern nach § 4 BDSG zulässig (entsprechend nach den Landesdatenschutzgesetzen). 280 Vgl. § 14 BDSG. Der Verweis auf diese Vorschrift gibt den speichernden Stelle jedoch eine weitgehende Befugnis zur Datenübermittlung, weil viele der besonderen Befugnisnormen in § 14 II BDSG unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. öffentliche Sicherheit und Ordnung, Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl) enthalten. Dieselbe Vorschrift ermächtigt auch zur Datenübermittlung mit Einwilligung des Betroffenen. 281 S. § 16 I Nr. 2 BDSG, § 161 HessDSG, § 16 I SaarDSG, § 12 I Nr. 2 DSG LSA, § 15 I Nr. 2 SächsDSG. Der Begriff findet sich auch z.B. in §§ 37, 42 VwVfG, §§ 43, 113 VwGO, § 193 StGB, §§ 343, 824 BGB, § 12 GBO, § 34 FGG, § 14 UWG. Vgl. dazu Auernhammer, BDSG, § 16, Rdn. 13. 282 s. § 17 I Nr. 3 BremDSG, § 16 I Nr. 3 HmbDSG, § 16 I c DSG NRW. Der Begriff findet sich z.B. in §§ 13, 29 VwVfG, § 61 PStG, § 256 ZPO, § 60 FGO, § 810 BGB. Vgl. dazu Auernhammer, BDSG, § 16, Rdn. 13. 283 z.B. Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche. 284 Vgl. § 16 III BDSG. Dazu Auernhammer, BDSG, § 16, Rdn. 22 f, der zutreffend bemerkt, daß in diesem Fall die öffentliche Ordnung nicht als Grund für die Unterlassung der Benachrichtigung genannt wird.
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tigt haben, nutzen. Eine nachträgliche Änderung der Nutzung dieser Daten ist nur erlaubt, wenn die Übermittlung auch für diese neuen Zwecke zulässig wäre und die Verwaltung zustimmt 285 . Die speziellen Vorschriften über die Datenübermittlung bezwecken im Vergleich zu den Regelungen in den allgemeinen Datenschutzgesetzen die interessengerechte Ausgestaltung der Befugnisnormen je nach dem jeweiligen Sachverhalt 286. Die Koppelung der Datenübermittlung mit der Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben der Verwaltung wird in den entsprechenden Vorschriften der neuen Polizeigesetze deutlich 287 . Diese enthalten Ermessenstatbestände, die die Übermittlung von personenbezogenen Daten außerhalb des öffentlichen Bereichs erlauben. Die Übermittlung kann erfolgen, wenn dies für die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben oder zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl oder zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen oder Rechte einer Person erforderlich ist. Die Polizeibehörde kann zusätzlich die Datenübermittlung auf Antrag genehmigen, wenn der Auskunftbegehrende ein rechtliches Interesse an der Übermittlung der Daten glaubhaft macht und keine entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen vorliegen sowie wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse geltend macht und offensichtlich ist, daß die Datenübermittlung im Interesse des Betroffenen liegt und er seine Einwilligung hierzu erteilen würde. Solche Interessen des Betroffenen bestehen bei der Beeinträchtigung von Grundrechten sowie bei der Verletzung anderer subjektiver Rechte 288 . Voraussetzung ist aber, daß das Geheimhaltungsinteresse eines anderen Betroffenen nicht überwiegend ist. Die Behörde soll in ihrer Entscheidung die kollidierenden Interessen unter Beachtung des Übermaßverbotes und der Zweckbindung der Datenübermittlung abwägen. Die Behörde kann die Daten auch übermitteln, soweit die Übermittlung der Geltendmachung, Durchsetzung oder Sicherung von Rechtsansprüchen des Betroffenen dient 289 . Die Interessen sollen glaubhaft sein. Einen Grund für die Verweigerung der Auskunft zugunsten der Behörde enthalten die Polizeige-
285 Vgl. § 16IV BDSG. 286 Vgl. exemplarisch Lupberger, Auskunfts- und Prüfungsverfahren, S. 232 ff. 287 Vgl. Art. 41 BayPAG, § 44 PolG BW, § 21 I Hamb, § 23 I HessSOG, § § 44 I NdsSOG, § 28 I SOG LSA, § 41 III ThürPAG, § 29 PolG NRW. Vgl. auch § 33 II BremPolG, § 25c I POG Rh.-Pf., § 41 I SOG MV, § 34 I SaarPolG, § 175e I LVwG SchlH. Dazu Kay/Böcking, Polizeirecht Nordrhein-Westfalen, S. 133 ff; WoIßStephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 44. 288 Wie z.B. die absoluten Rechtsgüter nach § 823 I BGB oder die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen. 289 Dies bedeutet, daß ein solches Recht für Familienangehörige sowie für einen bevollmächtigten Rechtsanwalt anzuerkennen ist.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
setze nicht. Es kommt jedoch die Ausnahme des § 29 LVwVfG zur Wahrung der Interessen des Gemeinwohls in Betracht 290 . Andere spezifische Regelungen betonen den Schutz der Interessen der Betroffenen. Hier ist besonders die Einsicht der Ehegatten, der Vorfahren und der Abkömmlinge des Betroffenen sowie Dritter, die ein rechtliches Interesse glaubhaft machen, in die Personenstandsbücher zu nennen 291 . Wegen der höchstpersönlichen Art der Informationen ist die Auskunft absolut verboten, wenn es um angenommene, nichteheliche oder für ehelich erklärte Kinder 2 9 2 sowie um Transsexuelle 293 geht. Dabei gestaltet der Gesetzgeber eine Reihe von Abstufungen der Auskunftsberechtigten nach den in Frage kommenden Interessen des Persönlichkeitsschutzes.
V. Die Akteneinsicht als Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz Die deutsche Wiedervereinigung erfordert eine rechtsstaatliche Aufarbeitung der Geschehnisse unter dem totalitären Regime in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Kein anderes Instrument dieser Herrschaft war mehr gefürchtet und stärker ideologisch belastet als der Staatssicherheitsdienst, die sog. Stasi. Die Stasi-Akten waren der Ausdruck ihrer Tätigkeiten und sind jetzt die Beweisstücke für die Ausübung totalitärer Herrschaft über einen Teil des deutschen Volkes. Der Umgang mit den Stasi-Akten gewinnt somit eine besondere Bedeutung bei der Aufarbeitung der Vergangenheit.
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So ist die Datenübermittlung zu verweigern, wenn die Gefahr besteht, daß der Geschäftsgang oder die Aufgabe der Behörde erheblich belastet oder gar zum Erliegen gebracht werden könnte, wenn die vorzeitige Offenbarung des Sachverhalts die polizeiliche Datenerhebung vereiteln könnte und sie aus diesem Grunde geheim bleiben muß, wenn das Staatswohl gefährdet werden könnte (insbesondere wenn durch die Bekanntgabe die innere oder äußere Sicherheit oder die guten Beziehungen zu anderen Staaten oder zu internationalen Institutionen erheblich gestört oder beeinträchtigt werden könnten), sowie wenn spezielle gesetzliche Geheimhaltungspflichten entgegenstehen. Dazu Kay/Böcking, Polizeirecht NRW, S. 135. 29 » S. § 61 PStG. 292 § 61 II, III PStG. 293 § 61 IV PStG, §§ 5, 10 des Gesetzes vom 10. 9. 1980.
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L Die Grundentscheidung: Die Öffnung der Stasi-Akten Die Grundentscheidung für die Öffnung der Stasi-Akten wurde kurz vor Abschluß des Einigungsvertrags durch die Volkskammer der DDR getroffen 294 . Die Einräumung eines allgemeinen Zugangsrechts für die Bürger zu den StasiAkten wurde dann in den Einigungsvertrag übernommen 295 . Der Einigungsvertrag wurde mit der nach Art. 79 I I GG erforderlichen Mehrheit ratifiziert. Obwohl er kein Teil der formellen Verfassung ist, enthält er doch Prinzipien und Regelungen, die der Gesetzgeber bei der Ausübung seiner Aufgaben berücksichtigen muß. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber zur grundsätzlichen Öffnung der Stasi-Akten durch Ausgestaltung eines allgemeinen Akteneinsichtsrechts für die betroffenen Bürger verpflichtet ist. Die Gewährung eines allgemeinen Zugangsrechts zu den Stasi-Unterlagen kann auch mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründet werden. Die Stasi-Unterlagen enthalten detaillierte Informationen über die Biographie und die intime Privatheit von Millionen von Bürgern. Die betroffenen Bürger müssen erfahren, wie weit ihr Leben ohne ihr Wissen von staatlicher Tätigkeit be-
294 Zur Sicherung der Stasi-Akten wurde das Gesetz vom 24. 8. 1990 DDR-GB1. I, S. 1419 verabschiedet. Dazu zurecht kritisch Klaus Stoltenberg, Zur Regelung des Umgangs mit den Stasi-Akten, ZRP 1990, S. 460 ff; Klaus-Martin Groth, Das Stasi-Unterlagen-Gesetz, Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der Gesetzgebung nach dem Einigungsvertrag, KJ 1991, S. 168 ff; Christian Starck, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, in: VVDStRL 51 (1992), S. 7 ff (40). S. auch Weberling y StUG, Einf. Rdn. 9 ff; Albert Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen auf der Grundlage des StUG, Berlin 1995, S. 30 ff. Vgl. auch in allgemeinen Helmut Schulze-Fielitz, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit, DVB1. 1991, S. 893 ff. 295 Einigungsvertrag vom 31.8. 1990, Anlage I Kapitel II Sachgebiet Β Abschnitt II Nr. 2 b, Vorspruch. Zu den Problemen der Regelung des EV s. Erwin Dörr, Überlegungen zur abschließenden Regelung über den Umgang mit den Unterlagen des ehemaligen MfS/AfNS (Stasi-Akten-Gesetz), ZG 1991, S. 170 ff; vgl. auch Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 33 ff. Die Regelung betrifft nur die personenbezogenen Informationen. Vgl. auch Art. 1 der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag vom 18. 9. 1990. Die übrigen Unterlagen der staatlichen Stellen der DDR wurden nach Anlage I Kapitel II Sachgebiet Β Abschnitt II Nr. 2 a des Einigungsvertrages dem Bundesarchiv übertragen. Durch diese Vorschrift des Einigungsvertrages wurde Art. 2 VIII BArchG neu gefaßt. Das Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes vom 13. 3. 1992 hat dem Bundesarchiv diese Aufgabe in dem neuen § 2 IX BArchG zugewiesen. Der neue § 2a BArchG ermächtigt daneben zur Errichtung einer unselbständigen Stiftung des öffentlichen Rechts im Bundesarchiv zur Wahrnehmung dieser Aufgabe. Die "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" wurde durch Erlaß des Bundesministers des Innern vom 6. 4. 1992 (GMB1. 1992, S. 310) geschaffen. Die Schutzfrist von 30 Jahren nach § 5 BArchG gilt bei all diesen Dokumenten nicht (§ 2a IV BArchG).
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
einflußt war, und müssen die Möglichkeit haben, die in den Akten befindlichen Informationen, wenn sie sich als falsch erweisen, zu berichtigen 296 . Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann nur in bezug auf die Gewährung der Einsicht für Betroffene eine Rolle spielen. Die Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit erfolgt nicht nur durch das individuelle Akteneinsichtsrecht. Der Zugang zu den Stasi-Unterlagen dient auch den Interessen der Forschung und der politischen Bewertung des Geschehens297. Andererseits begrenzen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und der Schutz der Persönlichkeit die Nutzung der Stasi-Unterlagen 298. Sie erfordern eine gerechte Typisierung und den Ausgleich der kollidierenden Interessen bei der Regelung des Zugangsrechts 299. Die Einsicht muß einerseits den Opfern sowie ihren Verwandten Zugang zu den sie betreffenden Akten gewähren. Andererseits dürfen diese Akten nicht noch einmal als Instrument des Mißbrauchs gegenüber den Opfern oder als Verfolgungsgrundlage für die Täter fungieren. Die Stasi-Unterlagen sind nach dem Einigungsvertrag Akten der Verwaltung, die ihren vorherigen Status verloren haben und Gegenstand einer bestimmten Staatsaufgabe, der Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit, geworden sind 300 .
2. Das Akteneinsichtsrecht
nach dem StUG
Den schwierigen Interessenausgleich beim Umgang mit den Stasi-Akten versucht das StUG 3 0 1 . Das StUG ist ein lex specialis gegenüber den Vorschriften des BDSG 3 0 2 .
296 Vgl. Hans-Heinrich Trute, Die Regelung des Umgangs mit den Stasi-Unterlagen im Spannungsfeld von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und legitimem Verwendungszweck, JZ 1992, S. 1043 ff (1045). 297 S. Trute, Die Regelungen, S. 1050 f. 298 Zu besondere Rolle des Persönlichkeitsrechts s. Trute, Die Regelungen, S. 1044 f. 299 Vgl. Trute, Die Regelungen, S. 1047. 300 Vgl. Trute, Die Regelungen, S. 1046. 301 Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) vom 20. 12. 1991. Zur Gesetzgebungsgeschichte s. BT-Drucks. 12/692, 12/723, 12/1093, 12/1540, 12/1563; BR-Drucks. 365/91. Vgl. auch dazu Johannes Weberling, Anmerkungen zum Entwurf des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, DöV 1992, S. 161 ff; derselbe, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Einf. Rdn. 18 ff; Groth, Das Stasi-Unterlagen-Gesetz, S. 168 ff; Dietmar Schmidt, Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - Stasi-Unterlagen-Gesetz, RDV 1991, S. 174 ff. Für eine erste Kommentie-
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Eine Unterscheidung von Tätern und Opfern enthält das StUG expressis verbis nicht. Stattdessen unterscheidet das Gesetz vier Kategorien von Personen 303 : Betroffene und Dritte einerseits und Mitarbeiter und Begünstigte andererseits. Betroffene sind die Opfer ieS. Sie sind diejenigen Personen, über die die Stasi aufgrund zielgerichteter Erhebung oder Ausspähung Informationen gesammelt hat (§ 6 I I I StUG) 3 0 4 . Dritte sind sonstige Personen, über die die Stasi Informationen gesammelt hat (§ 6 V I I StUG) 3 0 5 . Dritte waren weder Opfer ieS noch Täter. Sie waren jedoch potentielle Opfer. Betroffene und Dritte stehen damit nach dem Gesetz auf der Seite der Opfer. Auf der anderen Seite stehen als Täter die Mitarbeiter (§ 6 I V StUG), d.h. die Amtsträger und die inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi, und die Begünstigten, d.h. die Personen, die
rung des StUG s. Tinnefeld!Ehmann, Einführung in das Datenschutzrecht, S. 20 ff; Burkhard Hirsch, Das Stasi-Gesetz, Ein Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit?, Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, Bielefeld 1992, S. 517 ff; Hansgeorg Kind, Umgang mit den Stasi-Akten, in: Klaus Stem (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. II Zur Wiederherstellung der inneren Einheit, Teil 2, Köln, Berlin, Bonn, München 1992, S. 63 ff (und die dort abgedruckte Diskussion des Arbeitskreises Staatsund Verfassungsrecht); Klaus Stoltenberg, Die historische Entscheidung für die Öffnung der Stasi-Akten - Anmerkungen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, DtZ 1992, S. 65 ff; Thilo Weichert, Von der rechtlichen und tatsächlichen Unmöglichkeit des Stasi-Unterlagengesetzes, ZRP 1992, S. 241 ff; Trute, Die Regelungen, S. 1043 ff; Richard Mötsch, Betrachtungen zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, in: Für Recht und Staat - Festschrift für Herbert Heimlich, München 1994, S. 95 ff; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der StasiUnterlagen, insbesondere S. 90 ff, 192 ff. Aus der Kommentarliteratur Klaus Stoltenberg, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Baden-Baden 1992; Johannes Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Köln, Berlin, Bonn, München 1992; Hansjörg Geiger/Heinz Klinghardt, Stasi-Unterlagen-Gesetz, Dresden, Erfurt, Hannover, Kiel, Köln, Magdeburg, Mainz, München, Potsdam, Schwerin, Stuttgart 1993; Dietmar Schmidt/Erwin Dörr, Stasi-Unterlagengesetz, Köln 1993. S. auch Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § Rdn. 71 ff. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes wurden die Akten nach der vorläufigen Regelung in Anlage I Kapitel II Sachgebiet Β Abschnitt II Nr. 2 b § 1 ff verwaltet. Der zuständige Beauftragte, die sog. "Gauck-Behörde", hatte daneben eine Vorläufige Benutzungsordnung erlassen (abgedr. RDV 1991, S. 100). Dazu Klaus Stoltenberg, Die "vorläufige Benutzungsordnung" für die Stasi-Unterlagen, DtZ 1991, S. 205 ff; Weberling, StUG, Rdn. 15; Schlachter, Mehr Öffentlichkeit wagen, S. 44 ff. Vgl. auch VG Berlin, LKV 1992, 139 ff; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 35 ff. 302 vgl. § 43 stUG. § 6 IX StUG bestimmt jedoch, daß die Verwendung der StasiUnterlagen auf der Grundlage des BDSG erfolgen muß. S. Weberling, StUG, § 6 Rdn. 17. 303
Zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen vgl. Trute, Die Regelungen, S. 1047 f. 304 Dazu Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 192 ff. 305 S. Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 218 ff.
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die Stasi wesentlich gefördert oder bei der Strafverfolgung verschont haben oder sonstige Straftaten der Stasi gefördert haben (§ 6 V I StUG) 306 . Diese Unterscheidung ist der Anknüpfungspunkt für die Regelung über die Akteneinsicht 307 sowie für die Verwendbarkeit von Unterlagen durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen 308 . Die Opfer sind naturgemäß besser gestellt und ihre Akten unterliegen erheblich stärkeren Verwendungsbeschränkungen 309. Die Kategorisierungen des Gesetzes erscheinen aber in der Praxis in vielen Fällen als problematisch. So sind inoffizielle Mitarbeiter der Stasi diejenigen Personen, die sich dazu bereit erklärt haben, den Staatssicherheitsdienst mit Informationen zu unterstützen (§ 6 I V StUG). Damit fallen aber Denunzianten, sonstige Zuträger sowie Personen, die als Amtsträger und Inhaber politischer Funktionen die Stasi unterstützt haben, in den meisten Fällen nicht unter diesen Tatbestand und genießen deswegen den Opferschutz. Ähnliche Kritik gilt auch für die gesetzliche Definition des Begünstigen, die auch Opfer des Regimes einschließen kann. Diese Probleme der Gesetzgebung weisen darauf hin, wie schwierig die Aufarbeitung der Hinterlassenschaft eines totalitären Staates ist 3 1 0 . Das Zugangsrecht der Betroffenen und Dritten besteht uneingeschränkt (§ 13 StUG) und umfaßt auch das Recht, den Namen der Mitarbeiter und der schriftlichen Denunzianten zu wissen. Die einzige Beschränkung ist das Beste306 Dazu Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 230 ff; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 54 ff. 307 Zur Abstufung der Kenntnismöglichkeiten nach dem StUG s. Trute, Die Regelungen, S. 1052. 308 Zum Begriff s. Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 98 ff. Andere Behörden haben ein Zugangsrecht zu den Stasi-Akten, soweit es im Gesetz vorgesehen ist (§ 19 ff StUG). Die personenbezogenen Informationen über die Opfer dürfen aber nicht zu ihrem Nachteil verwendet werden (§5 StUG). Die Verwendung zur Verfolgung bestimmter Straftaten ist allerdings gestattet (vgl. § 23, 24 StUG). S. Trute, Die Regelungen, S. 1049 f; Engel, S. 103 ff. 309 Der Zugang zu personenbezogenen Informationen ist abgestuft und bezieht sich auf bestimmte Zwecke (§ 19 ff StUG). Der Zugang zu Informationen über Betroffene oder Dritte ist stärker eingeschränkt als der Zugang zu sonstigen personenbezogenen Informationen. Ihre Verwendung für nachrichtendienstliche Zwecke ist ausdrücklich verboten (§ 20 StUG), für Zwecke der Strafverfolgung beschränkt sie sich auf bestimmte Straftaten (§ 23 I), und für Zwecke der Forschung, der politischen Bildung und der Medien ist die Verwendung nur mit schriftlicher Einwilligung des Betroffenen zulässig. Der Empfänger der Informationen unterliegt einer strikten Zweckbindung bezüglich der übermittelten Informationen (§ 29 StUG). Die Veröffentlichung von Originalunterlagen oder Duplikaten ohne Einwilligung des Betroffenen oder Dritten ist strafbar (§ 44 StUG). Dazu Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 200. 310 Zu den Problemen der Unterscheidung von Opfern und Tätern vgl. Starck, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, in: VVDStRL 51 (1992), S. 41 und der Diskussionsbeitrag von Rainer Pitschas, VVDStRL 51 (1992), S. 151; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 303 ff.
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hen eines überwiegenden schutzwürdigen Interesses anderer Personen (§ 3 I I I StUG). Das Recht steht den nahen Angehörigen von verstorbenen oder vermieten Opfern der Stasi ebenfalls zu (§ 15 StUG) 3 1 1 . Die Mitarbeiter und die Begünstigen haben nur ein Recht auf Einsicht in ihre Personalakte (§ 16, 17 StUG) 3 1 2 . Den Mitarbeitern ist die Einsicht in Akten von Opfern gestattet, wenn sie glaubhaft machen, daß sie dazu ein rechtliches Interesse haben (§ 16 I V StUG) 3 1 3 . Betroffene und Dritte haben zusätzlich einen Anspruch auf Anonymisierung ihrer personenbezogenen Informationen. Das Recht steht allerdings unter erheblichen Einschränkungen (§ 14 StUG). Die Information der Bürger erfolgt in einem zweistufigen Verwaltungsverfahren 314 . § 3 I S. 1 StUG gibt jedem einzelnen das Recht, Auskunft darüber zu verlangen, ob in den erschlossenen Unterlagen Informationen über seine Person enthalten sind (1. Phase). Wenn tatsächlich solche Unterlagen enthalten sind, besteht das Recht, nach § 3 I S. 2 StUG Auskunft und Einsicht in die Unterlagen zu verlangen (2. Phase). Das Verfahren wird durch einen schriftlichen Antrag eingeleitet. Es ist in § 12 StUG näher geregelt. Danach kann das Recht auch durch einen dazu bevollmächtigten Rechtsanwalt ausgeübt werden. Es wird Einsicht in Originalunterlagen oder in Duplikate gewährt. Wenn die Unterlagen zusätzlich personenbezogene Informationen über andere Dritte oder Betroffene enthalten, ist im Normalfall die Einsicht in Duplikate zu gewähren, in denen diese Informationen anonymisiert werden. In diesen Fällen sind Originalunterlagen nur zugänglich, wenn eine Einwilligung der Dritten oder der Betroffenen besteht oder die Trennung der Informationen nicht leicht ist und die Drittinteressen nicht überwiegen. Die Amtshandlungen nach dem StUG sind kostenpflichtig 315 . Betroffene und Dritte sind für die Einsicht in die Unterlagen von dieser Gebührenpflicht befreit 316 . Die nahen Angehörigen von Verstorbenen und Vermißten gehören jedoch nicht zu den Privilegierten. Dies erscheint in Anbetracht der Rechtsstellung dieser Personen paradox, da die Einsicht durch Medien und zu Zwecken der politischen Bildung und der Forschung völlig von der Gebührenpflicht befreit ist 3 1 7 .
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Dazu Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 215 f. S. Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 252 ff. 313 § 4 III StUG gestaltet zusätzlich eine Benachrichtigungspflicht, wenn personenbezogene Informationen aufgrund eines Ersuchens nach den §§20 bis 25 StUG übermittelt worden sind. Es ist fraglich, warum dieses Recht nicht auch den Opfern zusteht. 314 Vgl. Trute, Die Regelungen, S. 1051 f, 1053 f. S. auch Bonk, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 75 ff. 315 § 42 StUG iVm Stasi-Unterlagen-Kostenordnung - StUKostV. 316 Die Befreiung gilt nicht für die Herausgabe von Duplikaten. 317 Dies gilt auch für die öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen mit Ausnahme der Handlungen nach §§ 20 f StUG. Zu diesen s. Trute, Die Regelungen, S. 1048 f. 312
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Neben den Personen, die einen Zusammenhang mit den Informationen in der Stasi-Akten aufweisen, ist die Einsicht in die Stasi-Unterlagen gemäß § 32 I StUG auch für die Forschung und zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit der Stasi zulässig 318 . Das Verfahren ist in § 33 StUG geregelt 319 . Der Begriff der Stasi-Akten ist gesetzlich in § 6 I StUG definiert 320 . Dem Gesetz unterliegen alle Akten, Dateien, Schriftstücke, Karten, Filme, Bild-, Ton-, und sonstigen Aufzeichnungen sowie deren Kopien, Abschriften und Duplikate, die der Staatssicherheit gehörten. Die Hilfsmittel, insbesondere die Datenverarbeitungsprogramme für die Materialauswertung, gehören auch dazu. Einige Ausnahmetatbestände enthält § 6 I I StUG. Problematisch aus datenschutzrechtlicher Sicht erscheint, daß das Gesetz die selbstgefertigten Kopien, Abschriften und Duplikate der Original Stasi-Unterlagen nicht erfaßt 321 . Die Justizakten der DDR unterliegen dem StUG nicht, ihre Einsicht ist nur über die Vorschriften der StPO möglich (§ 18, 24 StUG) 322 . Die Verwaltung der Stasi-Unterlagen ist durch einen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik institutionalisiert 323 . Der Bundesbeauftragte wird von den 318 Zu den Grundgedanken dieser Vorschrift s. Johannes Weberling, Zum Recht des Wissenschaftlers auf Zugang zu den Stasi-Akten, DVB1. 1991, S. 681 ff; Trute, Die Regelungen, S. 1053. Zweck kann nur die Stasi-Forschung sein. Krit. dazu Klaus Stoltenberg, StUG, S. 75. 319 § 34 StUG gibt den Medien zudem eine Veröffentlichungsbefugnis unter den Voraussetzungen des § 33 III und des Verfahrens des § 33 StUG. Dazu s. Reinhard Bork, Die Berichterstattung über inoffizielle "Stasi"-Mitarbeiter, ZIP 1992, S. 90 ff; Georgios Gounalakis/Marion Vollmann, Die pressespezifischen Vorschriften des StasiUnterlagen-Gesetzes im Lichte von Art. 5 GG, DtZ 1992, S. 77 f; dieselben, Stasi-Unterlagen-Gesetz - "Sprachrohr" oder "Maulkorb" für die Presse, AfP 1992, S. 36 ff; Michael Kloepfer, Das Stasi-Unterlagen-Gesetz und die Pressefreiheit, Berlin 1993 (krit. zur Regelung im Hinblick auf den Einigungsvertrag); Anm. Hans-Heinrich Trute, JZ 1995, S. 255 ff; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 257 ff. Zum Streit, ob §§ 7 III, 9, 34, 32, 45 StUG die Anforderung der Pressefreiheit entsprechen s. Schlachter, Mehr Öffentlichkeit wagen, S. 48. Es ist auch streitig, welche Regelung zur Veröffentlichung ermächtigt. Dazu Klaus Stoltenberg, Stasi-Unterlagen-Gesetz, BadenBaden 1992, S. 75 f. 320 Vgl. dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 74; Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 107 ff. 321 Stoltenberg, StUG, S. 73 spricht von einem Versehen des Gesetzgebers. 322 Die Gerichtsakten, die sich in den Stasi-Unterlagen befinden, sind jedoch nach dem StUG zugänglich. Vgl. Trute, Die Regelungen, S. 1046, 1047 Fn 41. Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, 110 ff. 323 §§ 2, 35 ff StUG. S. Trute, Die Regelungen, S. 1046 f, 1052; eingehend Engel, Die rechtliche Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen, S. 93 ff, 125 ff. Vgl. auch Spiros Simitis, Die "Gauck-Behörde": Drei Jahre danach, NJW 1994, S. 99 ff.
§2 Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte ...
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Landesbeauftragten 324 und einem Beirat 325 bei seinen Aufgaben unterstützt. Die Einsicht kann mit einer Anfechtungsklage iVm einer Verpflichtungsklage verlangt werden, nicht aber durch einstweilige Anordnung 326 . Der durch die Einsicht in seinen Interessen Betroffene kann gegen die Gewährung des Zugangs Anfechtungsklage erheben 327.
V I . Akteneinsichtsrechte aus Art. 1031 GG 1. Akteneinsicht als Erfordernis
des Rechts auf rechtliches Gehör
Die Einsicht in die Prozeßakten ist grundsätzlich ein Verfahrensinstitut im Vorfeld des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 I G G 3 2 8 . Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) beinhaltet ein Recht der Prozeßbeteiligten auf Einsicht in die Prozeßakten und die beigezogenen Akten wie die von der Behörde vorgelegten Akten 3 2 9 . Dies ist erforderlich für 324 § 38 StUG. 325 § 39 StUG. 326 KreisG Erfurt, DtZ 1991, 64. Vgl. auch Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 77. 327 Die Behörden, die ein Zugangsrecht nach dem StUG beanspruchen, haben auch die Klagebefugnis gegenüber den sie betreffenden ablehnenden Entscheidungen des Bundesbeauftragten (§ 31 StUG). 328 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 I, Rdn 74 mwN; Hanns Prutting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Bd. 1, München 1992, § 299, Rdn. 1 ff; Wolfram Waldner, Aktuelle Probleme des rechtlichen Gehörs im Zivilprozeß, Diss. Erlangen 1983, passim; derselbe, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, Köln, Berlin, Bonn, München 1989, Rdn. 56; Rudolf Wassermann, Zur Bedeutung, zum Inhalt und zum Umfang des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), DRiZ 1984, S. 425 ff (427). S. auch BVerfGE 18, 399 und 63, 45 (60). Vgl. auch Hansgeorg Prohn, Rechtliches Gehör undrichterliche Entscheidung, Berlin 1989, S. 28 ff. Dies gilt für alle Prozeßordnungen, auch wenn keine Streitigkeit vorliegt. Vgl. statt vieler Walther J. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl., München 1983, S. 137, 150 f; Johannes Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Nottarrecht, Berlin, Heidelberg, New York 1968, S. 127. 329 s. statt vieler Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103, Rdn. 75 mwN; Pie· roth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rdn. 10; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 11 f. Aus Art. 103 I GG ergibt sich jedoch kein Anspruch auf Erweiterung des gerichtlichen Aktenbestands. So muß beispielsweise der Staatsanwalt die außerhalb der Ermittlungen gegen den Beschuldigten entstandenen Spurenakten der Ermittlungsbehörden, in denen tatbezogene Untersuchungen gegen Dritte und deren Ergebnisse festgehalten sind, von Verfassungs wegen nur dann dem Gericht vorlegen und
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
eine wirksame Realisierung des Rechts auf rechtliches Gehör 330 . Die Einsicht Dritter wird dagegen von Art. 103 I GG nicht zwingend gefordert 331 . Art. 103 I GG gilt nicht unbegrenzt 332. Der Gesetzgeber hat dabei den Auftrag, die Vorschrift in den Prozeßrechtsordnungen unter Berücksichtigung der jeweils in Konflikt mit den Anhörungsrechten kommenden öffentlichen Interessen oder Interessen Dritter zu konkretisieren 333 . Der Gesetzgeber hat dabei die Möglichkeit, die für Prozeßzwecke erforderliche Art der Akteneinsicht zu bestimmen 334 .
2. Die Regelung im einfachen Recht Das Einsichtsrecht wurde in den einzelnen Prozeßordnungen durch spezielle Vorschriften ausgestaltet. Hier sind §§ 299, 760, 915 III, 996 II, 1001, 1016, 1022 II, 1023 ZPO, §§ 34, 78 FGG, § 46 I I ArbGG iVm § 299 ZPO, § 71 GWB, § 147 StPO, § 100 VwGO, § 78 FGO und § 120 SGG zu erwähnen 335 . sie damit der Einsicht des Verteidigers nach § 147 StPO zugänglich machen, wenn ihr Inhalt für die Feststellung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat und für etwaige gegen ihn zu verhängende Rechtsfolgen von irgendeiner Bedeutung sein kann. Diese Befugnis unterliegt der Kontrolle des Gerichts. S. BVerfGE 63, 45 (60 f) = EuGRZ 1983, 196 = NJW 1983, 1043 = NStZ 1983, 273 mit Anm. Karl Peters = MDR 1983, 548 = DRiZ 1983 = StrV 1983, 177 (mit Bespr. Martin Amelung, Ein gelöstes Problem schafft viele neue, StrV 1983, S. 181 ff). Vgl. auch BVerfGE 18, 399 (405 f). 330 Vgl Rolf Jörke, Akteneinsicht als Voraussetzung effektiver Verteidigung, Diss. Tübingen 1987. 331
So gewährleistet Art. 103 I GG keinen Anspruch des Verletzten darauf, daß der Staat ihn durch Überlassung von Informationen, die im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens beschafft wurden, bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche unterstützt. S. BVerfG, NStZ 1987, 286 = CR 1988, 761, das auch einen solchen Anspruch aus Art. 141 GG verneint. 332 Dazu Franz-Ludwig Knemeyer, Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, in: Joseph Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, VI, Heidelberg 1989, S. 1271 ff (1285 ff); Ferdinand O. Kopp, Das rechtliche Gehör in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 1981, S. 604 ff (628). 333 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103, Rdn. 74; Knemeyer, Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, S. 1280. Eine Skizze der Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs je nach Prozeßordnung gibt Knemeyer, S. 1287 ff. 334 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103, Rdn. 74 in bezug auf die Regelung im geltenden Strafprozeßrecht, das nur die Akteneinsicht des Verteidigers vorsieht und die unmittelbare Akteneinsicht des Beschuldigten ausschließt. 335 Dazu Eberhard Kurth, Das rechtliche Gehör im Verfahren nach der Zivilprozeßordnung, Diss. Bonn 1965; Arnim Nast, Die Aktenvorlage und Akteneinsicht nach der Verwaltungsgerichtsordnung, Diss. Frankfurt a. M. 1973; Kuhla/Hüttenbrink, Der Verwaltungsprozeß, S. 135 f, E Rdn. 118 ff; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 13 ff. Die Regelungen der Prozeßordnungen orientieren sich an der Ak-
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Diese Vorschriften konkretisieren die Regelung des Art. 103 I GG, was zur Folge hat, daß ein Verstoß gegen das Recht auf Einsicht in die Prozeßakten einen Verstoß gegen Art. 103 I darstellt 336 . Hat das Gericht den Antrag eines Beteiligten auf Gewährung der Akteneinsicht zurückgewiesen, stützt es aber sein Urteil auf den Inhalt der ihm vorgelegten Akten, ist das Urteil wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei der Revision des Betroffenen aufzuheben 337. Die Einsicht steht nur den Prozeßbeteiligten zu. Die Parteien dürfen persönlich oder durch einen Bevollmächtigten die Akten einsehen338. Eine Ausnahme besteht jedoch im Strafverfahren, wo nur der Verteidiger 339 und nicht der Beschuldtigte selbst 340 ein Recht auf Einsicht in die Prozeßakten hat 3 4 1 .
teneinsicht während des Hauptverfahrens. Eine Sonderregelung enthält jedoch § 82 AsylVfG (nach Art. 1 AyslVfNG 1992). Danach ist auch im Fall des vorläufigen Rechtsschutzes Akteneinsicht zu gewähren. Der Gesetzgeber hat aber zur Vermeidung von Verzögerungen dasrichterliche Ermessen nach § 100 II S. 3 VwGO eingeschränkt. Für Asylbewerber ohne anwaltlichen Beistand ist die Übersendung der Akten nicht möglich. Die Versendung der Akten an den bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. die Mitnahme der Akten in seine Kanzlei ist jedoch erlaubt, soweit dies das Verfahren nicht verzögert. Dazu Renner, in: Werner Kanein/Günther Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., München 1993, § 82 AsylVfG; Karl-Heinz Schenk, Asylrecht und Asyl verfahrensrecht, Baden-Baden 1993, Rdn. 186. 336 So Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, Rdn 56. 337 BVerwGE 13, 187 (190) = MDR 1962, 336 = ZMR 1963, 319 = VerwRspr. 14, 630; E 19, 179. Vgl. auch BVerwG, DöV 1988, 610 = NVwZ 1988, 531 = BayVBl. 1988, 251; BVerwG, VB1BW 1990, 100 = VR 1990, 144 = NJW 1990, 1313 = BayVBl. 1990, 317 = BWVPr 1990, 211 = HFR 1991, 54. Dazu statt vieler Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 10 mwN; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 7. Vgl. auch BVerwGE 49, 44 = JZ 1975, 632 = NJW 1975, 2156; VGH München, JZ 1975, 632 = NJW 1975, 2156 = DöV 1975, 750 = BayVBl. 1976, 405 = VerwRspr. 27, 388. Eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 103 I GG ist jedoch nur begründet, wenn die mangelnde Akteneinsicht das Urteil im konkreten Fall beeinflußt hat. Dazu ausführlich Eberhard Schmidt-Aßmann, Verfahrensfehler als Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG?, DVB1. 1987, S. 1029 ff. 338
Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 2; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 2; Ey ermann! F röhler, VwGO, § 100, Rdn. 1; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 7; Klaus Tipke/Heinrich Wilhelm Kruse, AO/FGO, Köln (Losebl., 14. Aufl., 1993), § 78 FGO, Rdn. 1; Meyer-Ladewig, SGG, § 120, Rdn. 2. 339 § 147 I StPO. Zur Akteneinsicht des Verteidigers s. Heinrich Lauthütte, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., München 1993, § 147; Stefan Stern, in: Alternativkommentar zur StPO, Bd. 2, Teilbd. 1, Neuwied, Kriftel, Berlin 1992, § 147; Hermann Müller, in: KMR Kommentar zur StPO (Losebl.), § 147; Theodor Kleinkneck/Karlheinz Meyer/Lutz Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., München 1995, § 147; Klaus Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Großkommentar, 24. Aufl., Bd. 2, Berlin, New York 1989, § 147; Elen Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1983, S. 118 ff; Karl Peters, Strafprozeß, 4. Aufl., Heidelberg 1985, S.
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230 ff; Hans-Heiner Kühne, Strafprozeßlehre, 4. Aufl., Heidelberg 1993, Rdn. 98 ff; Volker Krey, Strafverfahrensrecht, Bd. 1, Stuttgart, Berlin, Köln 1988, S. 233 ff; Otfried Ranft, Strafprozeßrecht, Stuttgart, München, Hannover, Berlin 1991, S. 80 f; Claus Roxin, Strafverfahrensrecht, 23. Aufl., München 1993, § 19 E IV, S. 126 ff, Rdn. 64 ff; Erich Lindgen, Die Akteneinsicht durch den Beamten und den Verteidiger im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und während der disziplinarrechtlichen Vorermittlungen, DöD 1980, S. 193 ff; Klaus Wasserburg, Das Einsichtsrecht des Anwalts in die kriminalpolizeilichen Spurenakten, NJW 1980, S. 2440 ff; Eberhard Wieczorek, Kriminalpolizeiliche Spurenakten, Einsichtsrecht des Verteidigers?, Kriminalistik 1984, S. 598 f; Helmut Schäfer, Die Grenzen des Rechts auf Akteneinsicht durch den Verteidiger, NStZ 1984, S. 203 ff; Ulrich Eisenberg, Aspekte der Rechtsstellung des Strafverteidigers, NJW 1991, S. 1257 ff; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 17 ff. Zur Stellung des Verteidigers im allgemeinen s. Matthias Weihrauch, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., Heidelberg 1985. Wegen seiner verteidigerähnlichen Stellung wird auch für den Steuerberater im Steuerstrafverfahren die Akteneinsicht zugelassen. Dazu Heinz Lohmeyer, Das Akteneinsichtsrecht des Steuerberaters im Besteuerungsverfahren und im Verfahren bei Steuerverfehlungen, StB 1983, S. 186; Raimund Weyand, Steuerberater im Steuerstrafverfahren, Information StW 1988, S. 487. Die Bevollmächtigung des Verteidigers zur Einsicht braucht im allgemeinen nicht in bestimmter Form nachgewiesen zu werden. Ein Nachweis kann jedoch verlangt werden, wenn im Einzelfall Zweifel an einer Bevollmächtigung bestehen. S. LG Hagen, StrV 1983, 145; LG Oldenburg, StrV 1990, 59. 340 Zu rechtspolitischen Fragen s. Jürgen Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, in: Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren - Festgabe für Karl Peters, 1984, S. 309 ff; Hans-Ekkerhard Plöger, Nochmals - Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in eigener Sache, NJW 1974, S. 634 f. Unter Umständen kann die Akteneinsicht so wichtig für die Verteidigung des Beschuldigten werden, daß die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich sein kann. Vgl. LG Essen, StrV 1986, 427; LG Bochum, StrV 1987, 383. Anders ist die Lage im Ordnungswidrigkeitsverfahren, wo die Verteidigung ebenfalls gemäß § 461 OWiG iVm § 147 StPO ein Akteneinsichtsrecht besitzt, das auch vom Betroffenen ausgeübt werden kann. Dies erklärt sich aus der Natur der Ordnungswidrigkeiten, die, obwohl sie sich von Straftatbeständen nur quantitativ und nicht qualitativ unterscheiden (s. Hans-Heinrich Jeschek, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 4. Aufl., Berlin 1988, S. 50 ff; Günther Jacobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Berlin, New York 1991, S. 53 ff; Claus Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, München 1992, S. 21 ff), im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens und nach dem Opportunitätsprinzip statt durch gerichtliches Verfahren und nach dem Legalitätsprinzip verfolgt werden. Die Akteneinsicht im Ordnungswidrigkeitsverfahren betrifft alle behördlichen Akten über das Bußgeldverfahren. Für das Verfahren und die Ausübung des Akteneinsichtsrechts gilt § 172 StPO. Dazu Rotberg, OWiG, Kommentar, 5. Aufl., bearbeitet von Herbert Kleinewefers/Karl Heinz Boujong/Walter Wilts , München 1975, § 60, Rdn 14; Erich Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 11. Aufl., München 1995, § 60, Rdn. 48 ff; Karl-Heinz Kutz> in: Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, München 1989, § 60, Rdn. 96 ff; Klaus Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 147, Rdn. 154; Günther Rosenkötter, Das Recht der Ordnungswidrigkeiten, 3. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin 1991, S. 177, Rdn. 256. Das Akteneinsichtsrecht besteht auch vor und nach der Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft für das Einspruchsverfahren (§ 69 III S. 2 OWiG).
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Die Einsicht umfaßt die gesamten Prozeßakten 342, also die dem Gericht in Zusammenhang mit dem Prozeßstreit bereits vorgelegten Akten 3 4 3 sowie die vom Gericht selbst geführten Akten 3 4 4 einschließlich aller behördlichen Unterlagen 345 , Beiakten, Urkunden, Zustellungsnachweise, Tonbänder, Filme 3 4 6 , Polizeispurenakten 347 sowie Daten, die zu ihrer Auswertung eingesetzten Program341 Auch die Einsicht des Verteidigers kann beschränkt werden. So sieht § 147 II StPO vor, daß bis zum Abschluß der Ermittlungen, wenn der Untersuchungszweck dadurch gefährden werden kann, auch die Einsicht durch den Verteidiger völlig oder teilweise verweigert werden kann. Vgl. dazu LG Koblenz, StrV 1989, 57; LG Köln, StrV 1987, 381. Die Verweigerung der Akteneinsicht im laufenden Ermittlungsverfahren ist ein Justizverwaltungsakt, der im Verfahren des § 23 III EGGVG angegriffen werden kann. S. OLG Hamburg, NJW 1972, 1586; OLG Hamm, NStZ 1984, 280; OLG Hamburg, StrV 1986, 422. Contra OLG Frankfurt, StrV 1989, 96, 194 mit Anm. Jürgen Welp (Verfahren nach der StPO). Vgl. dazu auch BVerfG, NStZ 1984, 228; BVerfG, NJW 1985, 1019 = NStZ 1985, 228 = MDR 1985, 378. § 147 III StPO gibt dem Verteidiger einen Anspruch auf ein Minimum an Akteneinsicht. Vgl. aber die teleologische Reduktion im Hinblick auf die Gefährdung des Untersuchungszwecks durch OLG Hamburg, StrV 1986, 422. Gegen die Versagung des besonderen Akteneinsichtsrechts nach § 147 III StPO ist auch im Vorverfahren der Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG eröffnet. Dazu OLG Celle, NStZ 1983, 379 = StrV 1983, 192. 342 Vgl. VGH Stuttgart, NJW 1959, 906. Zum Einsichtrecht der Gegenseite bei der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (vgl. § 118 I S. 1 ZPO) s. Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 78 ff; BGHZ 89, 65. Bejahend OLG Bremen, FamRZ 1982, 832; OLG Celle, MDR 1982, 761; OLG Frankfurt, JurBüro 1982, 1260; LAG Hamburg, MDR 1982, 527; OLG Karlsruhe, NJW 1982, 2507. Dazu krit. Adolf Pentz, Kein Akteneinsichtsrecht in Prozeßkostenhilfeverfahren, NJW 1983, S. 1037 (Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, Vorteile im Rahmen der Zwangsvollstreckung). Ablehnend OLG Köln, MDR 1984, 328 mit krit. Anm. Egon Schneider; BGHZ 89, 65 = MDR 1984, 307 mit krit. Anm. Egon Schneider = NJW 1984, 740 = ZIP 1984, 224 = JR 1984, 202 = DB 1984, 1192 = VB1BW 1984, 218 = VersR 1984, 143 = FamRZ 1984, 373. Vgl. aber auch BayVerfGHE 15, 8 = NJW 1962, 627 = JZ 1962, 673. 343 Vgl. BGHSt 30, 131; BVerfGE 63, 88; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 36, Rdn. 20, S. 601. 344 Mit Ausnahme der Entwürfe von Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen, der Arbeitsunterlagen zur Vorbereitung dieser gerichtlichen Entscheidungen sowie der Schriftstücke, die Abstimmungen betreffen. Vgl. OVG Koblenz, NVwZ 1984, 526; BGH, NJW 1981, 411 = MDR 1981, 155 = NStZ 1981, 71. Dazu Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 11. § 78 II FGO erwähnt femer Schriftstücke, die Ordnungsstrafen des Gerichts betreffen. Der Ausschluß der Einsicht bezweckt den Schutz des Beratungsgeheimnisses der Gerichte. S. OVG Münster, DöV 1963, 771. Die Ausnahme entfällt nicht, wenn solche Akten versehentlich zu einsehbaren Unterlagen gelangen. S. OLG Karlsruhe, NJW 1982, 2010 = NStZ 1982, 299. 34 5 Vgl. BFHE 90, 312. 34 * Vgl. OLG Koblenz, NJW 1981, 1570; OLG Kiel, StrV 1989, 95. 347 OLG Koblenz, NJW 1981, 1570.
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me und Computerausdrucke 348. Auch die beigezogenen Akten einer nicht am Rechtsstreit beteiligten Behörde können eingesehen werden 349 . Die Einsicht ist an den Prozeß gebunden. Daher besteht nach rechtskräftigem Abschluß des gerichtlichen Verfahrens kein Recht auf Einsicht in bereits zurückgegebene Behördenakten 350. Die Prozeßvorschriften enthalten keine Ausnahmen des Rechts auf Akteneinsicht 351 . Dies bedeutet aber nicht, daß auch höchstpersönliche Informationen eines Prozeßbeteiligten oder Informationen, die das öffentliche Wohl gefährden, zugänglich sind, weil Akten, die solche Informationen enthalten, grundsätzlich nicht vorgelegt werden müssen. Wenn zugunsten eines Dritten oder eines Prozeßbeteiligten eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Interesse auf Geheimhaltung besteht, kann das Gericht im konkreten Fall die Einsicht verweigern 352 . Eine Behörde, deren Akten dem Gericht vorliegen, kann 348 Dazu Helmut Schäfer, Der Computer im Strafverfahren, wistra 1989, S. 8 ff. 349 Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 3 mwN. Zur Frage der Einsichtnahme in die vom Verwaltungsgericht beigezogenen Akten anderer Gerichte s. VGH Mannheim, ESVGH 18, 126. Anders nach § 299 ZPO. § 299 I ZPO umfaßt ausdrücklich nur das Einsichtsrecht in die Prozeßakten, nicht aber in beigezogene Akten anderer Behörden oder Gerichte. S. Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, § 299, Rdn. 13; Prutting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 299, Rdn. 6; BGH, NJW 1952, 305; Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 73 f mwN. 350 OVG Bremen, NVwZ 1984, 527. Bis zum Abschluß des Verfahrens besteht das Akteneinsichtsrecht aber fort, auch wenn der Inhalt der Akten nach Ansicht des Gerichts nicht mehr rechtserheblich ist. Dazu BVerwGE 13, 187 = MDR 1962, 336 = ZMR 1963, 319 = VerwRspr. 14, 630; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 2; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 5. 351 S. aber § 120 II SGG. Danach kann der Vorsitzende aus besonderen Gründen die Einsicht verweigern oder beschränken. Der Prozeßbeteiligte kann sich wegen dieser Entscheidung an das Gericht wenden, das endgültig darüber entscheidet. Diese Vorschrift betrifft Fällen, in denen die Kenntnis der Akten gesundheitliche oder sonstige Schäden für einen der Beteiligten verursachen kann. Dazu Meyer-Ladewig, SGG, 120, Rdn. 7, 9; Schimanski, Aktenvorlage, Akteneinsicht und Datenschutz, S. 214 f; Schreier, Die Akteneinsicht im Sozialrecht, S. 196 f. S. auch § 71 II GWB. Dazu vgl. Heinz Müller/Peter Giessler, Kommentar zum GWB, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1974 (Loseblatt), § 71; Otto-Friedrich Frhr. v. Gamm, Kartellrecht, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1990, § 71 GWB; Hans Werner Hinz, in: GWB-Gemeinschaftskommentar, 4. Aufl., 4. Lieferung, Köln, Berlin, Bonn, München 1981, § 71; Hans-Rudolf Ebel/Heinz MayerWegelin, Kartellrecht, Neuwied, Kriftel, Berlin (Losebl), § 71; Rosemarie Werner, Der Konflikt zwischen Geheimnisschutz und Sachaufklärung im Kartell verfahren, in: Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht - Festschrift für Gert Pfeiffer, Köln, Berlin, Bonn, München 1988, S. 821 ff; Albrecht Krieger, Zum Geheimnisschutz im Kartellverfahren, in: Festschrift für Emst Steindorff, Berlin, New York 1990, S. 989 ff. 352 In der Praxis kommen als Rechtfertigung für eine Verweigerung der Akteneinsicht im Verwaltungsprozeß insbesondere von den gesetzlichen Geheimhaltungstatbe-
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jedoch das Akteneinsichtsrecht nicht beschränken 353. Wenn die Akteneinsicht ausgeschlossen ist, ist den Parteien jedoch der wesentliche Inhalt der Prozeßakten mitzuteilen, weil sonst das Recht auf rechtliches Gehör gefährdet wäre 354 . Das Gericht ist nicht verpflichtet, die Parteien auf die Möglichkeit der Akteneinsicht hinzuweisen 355 . Es muß sie jedoch über die Beiziehung von Akten bis zur mündlichen Verhandlung informieren 356 .
stände das Steuergeheimnis (§ 30 AO) sowie Geheimhaltungsinteressen, die Grundrechte oder andere Verfassungsprinzipien berühren, in Betracht. Dazu Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 3a, der eine analoge Anwendung des § 99 I S. 2 VwGO in diesem Fall befürwortet. Vgl. auch VGH München, BayVGHE n.F. 43, 51 = DöV 1990, 530 = NVwZ 1990, 778 = BayVBl 1990, 625 = RDV 1990, 261. Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, München 1994, § 36, Rdn. 20, S. 602 spricht hier von einer mittelbaren Einschränkung des Akteneinsichtsrechts. Das Geheimhaltungsinteresse kann auch aus einer Schutzpflicht des Staates abgeleitet werden. So ist die Akteneinsicht in psychiatrische Gutachten dem betroffenen Beteiligten zu verweigern, wenn dadurch Gefahren für seine Gesundheit drohen. So BVerwGE 82, 45; Kopp, Rdn. 3a. Vgl. auch Hartmann, Der Schutz privater Geheimnisse bei der Entscheidung über Anträge auf Übersendung sozialgerichtlicher Verfahrensakten, Sgb 1977, S. 181. Ähnliche Beschränkungen gibt es auch im Strafprozeß (s. z.B. OLG Hamburg, BRAK-Mitt. 1987, 163) sowie im Patentprozeß (BPatGE 22, 24 = GRUR 1979, 697 Betriebsgeheimni s). Vgl. aber BVerfGE 62, 338 = EuGRZ 1983, 25 = NStZ 1983, 131 = DVB1 1983, 173 = StrV 1983, 137 = NJW 1983, 1046 = MDR 1983, 373; OLG Frankfurt, NJW 1960, 1731 (§ 42 BZRG steht dem Recht auf Akteneinsicht des Betroffenen oder seines Verteidigers in Strafregisterauszüge nicht entgegen). Dem Verteidiger kann aber auch im Hauptverfahren die Akteneinsicht verweigert werden, wenn dies aufgrund wichtiger öffentlicher Interessen erforderlich erscheint. S. BGHSt 30, 131. Die Rechtsprechung wird insoweit eingeschränkt, als es danach dennoch im Einzelfall angezeigt sein kann, dem Verteidiger Einsicht in alle tatbezogenen Spurenakten zu gewähren. So BGH, NStZ 1983, 228 = StrV 1983, 186; BGH, StrV 1991, 1 = MDR 1991, 170 = RDV 1991,78. 353 OVG Münster, NJW 1963, 1797; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 1; SchunkJDe Clerk, VwGO, § 100, Anm. lb; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 4. Anders früher § 65 II VGG (dazu VG Bremen, NJW 1958, 1795), § 70 II VO 165, § 62 II VGG Rh.-Pf. und noch § 120 I HS 2 SGG. Dazu Meyer-Ladewig, SGG, § 120, Rdn. 8. Vgl. auch BGH, NJW 1952, 305. 354 Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 3a, der zurecht auf die Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in diesem Fall hinweist und eine Bestimmung des Beweismaßes und Verteilung der Beweislast entsprechend der Beschränkung der Akteneinsicht befürwortet. Vgl. auch BGHSt 18, 369 = JZ 1963, 607. An die Stelle der umfassenden Akteneinsicht tritt eine Palette von anderen Möglichkeiten, wie die Anonymisierung der Akten und die Aushändigung von Auszügen oder von Zusammenfassungen des Inhalts der Akten. Vgl. z.B. BFHE 84, 268. 355 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 3; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 4. Vgl. auch BFHE 131, 437 = DStR 1981, 85 = DStZ/E 1981, 31 = DB 1981, 776 = HFR 1981,75.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Einsichtnahme findet grundsätzlich bei der Geschäftsstelle des mit dem Streitfall befaßten Gerichts statt 357 . Es ist jedoch streitig 358 , ob die Akten am Sitz eines anderen Gerichts, möglicherweise auch einer anderen Gerichtsbarkeit, oder einer Behörde eingesehen werden können 359 oder an den bevollmächtigten Rechtsanwalt übersandt bzw. ausgehändigt werden können 360 . Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus Art. 103 I GG oder den prozeßrechtlichen Vorschriften 361 . Somit steht die Wahrnehmung dieser Möglichkeiten im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts 362 . Ein Verfahrensfehler liegt nur vor,
356 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 86, Rdn. 16 und § 100, Rdn. 3; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 4. Der Bundesfinanzhof ist jedoch der Meinung, daß die Finanzbehörden immer vorlegen müssen (§71 II FGO) und somit die Beteiligten immer mit der Beiziehung der Akten durch das Gericht rechnen müssen. S. BFHE 91, 338; BFH, JZ 1971, 101. Diese Auffassung wird jedoch dadurch relativiert, daß eine Hinweispflicht besteht, wenn die Akten von Behörden beigezogen werden, die nicht am Verfahren beteiligt sind, oder wenn die Finanzbehörde Akten in bezug auf die Streitigkeit aber betreffend eine andere Steuerart vorlegt. Dazu Tipke/Kruse, AO/FGO, § 78 FGO, Tz. 1 in fine; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 6; Fritz Gräber, Rechtliches Gehör und Akteneinsicht, DStR 1969, S. 486. 357 Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 6; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 4; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 9 (unter Bezugnahme auf BFHE 90, 312; E 133, 8); Fritz Gräber, Akteneinsicht durch Beteiligte und ihre Bevollmächtigten im finanzgerichtlichen Verfahren, DStZ 1980, S. 443 ff (443). 358 Eine Regelung gibt es expressis verbis nur in § 147 III StPO. 3 59 Zustimmend BFHE 90, 312; E 133, 8; BFH, JZ 1994, 752. Vgl. aber BGH, NJW 1961, 559. Dazu Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 11. 3 Dafür OVG Münster, OVGE 33, 110 = NJW 1978, 69 = MDR 1978, 258 = AnwBl. 1978, 179 = DöV 1978, 417. Zurückhaltender BFHE 90, 312; E 113, 94; E 114, 173; BFH, NJW 1982, 200. Dazu Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 11 mwN; Franz Oswald, Aktenaushändigung an die Kanzlei des Bevollmächtigten, AnwBl. 1983, S. 253 f; Cornelius Pawlita, Die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts im gerichtlichen und behördlichen Verfahren durch Überlassung der Akten an die Rechtsanwaltskanzlei, AnwBl. 1986, S. 1 ff. Zur Stellung des Rechtsanwalts im Verwaltungsprozeß s. Axel Pestke, Die Mitwirkung des Rechtsanwalts an öffentlich-rechtlichen Verfahren, Prozedurale und berufsrechtliche Aspekte, BRAK-Mitt. 1988, S. 241 ff; derselbe, Der Rechtsanwalt als Mitwirkender verwaltungsrechtlicher Verfahren einschließlich solcher des Sozial- und des Steuerrechts, Diss. Freie Universität Berlin 1986; Birger Kropshofer , Untersuchungsgrundsatz und anwaltliche Vertretung im Verwaltungsprozeß, Berlin 1981. 361 BVerfG, HFR 1982, 77. Vgl. auch BayVerfGHE 33, 140; Bay VGH, BayVBl. 1980, 94; OVG Münster, DöV 1965, 859 = JZ 1966, 77 = MDR 1966, 83 = DöD 1965, 234. 362 OVG Münster, OVGE 28, 175; VGH München, DöV 1982, 604 = BayVBl. 1982, 508; BFHE 133, 8; BFH, DStZ 1985, 543; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 7; ; OLG Köln, Rpfleger 1983, 325; LG Braunschweig, NdsRpfl. 1989, 180; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 4 f; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 10; Gräber, Akteneinsicht durch Beteiligte, S. 444; Klaus Niesei, Der Sozialprozeß, 2. Aufl., München 1991,
§2 Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte
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wenn die Einsichtnahme bei dem Gericht unzumutbar erscheint 363 und der Aufwand an Zeit und Kosten für das Gericht nicht erheblich ist 3 6 4 . Die Versendung bzw. Aushändigung der Akten unterbleibt jedoch, wenn die Akten zur Bearbeitung im Gericht benötigt werden 365 , wenn der Antrag des Beteiligten auf Akteneinsicht mißbräuchlich erscheint 366 oder wenn es keine Garantie dafür gibt, daß sie sicher aufbewahrt und nicht vernichtet, gefälscht oder beschädigt werden 367 . Unter Umständen kann dann nur die Versendung der Akten an das dortige Amtsgericht angemessen erscheinen 368. Anstatt selbst Abschriften anzufertigen, kann der Beteiligte auch die Aushändigung beglaubigter oder unbeglaubigter Abschriften oder Auszüge der Akten durch das Gericht beantragen 369. Der Beteiligte muß dafür kein Interesse nachweisen370. Die Aushändigung von Abschriften steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts 371 , sie kann aber notwendig werden, wenn die Aktenübersendung verweigert wird 3 7 2 . Die Kosten trägt der Antragsteller. Die Aushändigung von Abschriften kann abgelehnt werden, wenn der Beteiligte oder sein Bevollmächtigter die notwendigen Abschriften bzw. Auszüge selbst ohne Schwierigkeiten herstellen können 373 oder wenn der Antrag rechtsmißbräuchlich
S. 61 f, Rdn. 143 f; Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 75 ff. 363 Vgl. BSG, MDR 1977, 1051. Dazu Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 7 mwN. 364 Vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 4; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 7 mwN; LAG Rh.-Pf., LAGE § 299 ZPO Nr 1. 365 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 4. 366 Vgl. Eyermann/Fröhler, VwGO, § 100, Rdn. 6. 367 Vgl. OVG Münster, NJW 1978, 69; BFH, NJW 1994, 752; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 7. 368 Vgl. OLG Hamm, NJW 1990, 843; OLG Frankfurt, MDR 1989, 465; LG Mönchengladbach, NJW 1989, 3164 = DAVorm 1990, 86 = JurBüro 1989, 1608; LG Aachen, ZAP EN-Nr. 541/90. 369 s. § 100 II VwGO, § 120 II SGG, § 78 I S. 1 HS 2 FGO. Anders im Strafverfahren. S. dazu BVerfG, AnwBl. 1984, 261, mit Anm. Herbert Schmidt. 370 BVerwG, BayVBl. 1988, 252. 371 Vgl. OLG Hamburg, NJW 1963, 1024 = JR 1963, 150; BVerfG, AnwBl. 1984, 261 mit Anm. Herbert Schmidt. 372 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 5. 373 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 5; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 12.
374 Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 5.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht bei der Geschäftsstelle und über die Aushändigung von Abschriften trifft der Urkundsbeamte 375. Gegen die Verweigerung ist die Erinnerung möglich 376 . Die Entscheidung über die Versendung oder Aushändigung der Akten trifft der Vorsitzende 377 . Die Natur dieser Entscheidung des Vorsitzenden 378 ist umstritten. Nach verbreiteter Meinung handelt es sich um eine prozeßleitende Verfügung, so daß sie nicht durch Beschwerde angegriffen werden kann 379 . Nach anderer Auffassung ist die Entscheidung mit einer Beschwerde angreifbar 380 .
3. Akteneinsichtsrechte
Dritter
Aus der Garantie des rechtlichen Gehörs ergibt sich kein Recht Dritter, die Prozeßakten einzusehen381. Aus Art. 103 I GG und den prozeßrechtlichen Vor375 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 7; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 14; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 6; Gräber, Akteneinsicht durch Beteiligte, S. 445. Die Entscheidung ist formlos. Anstelle des Urkundsbeamten kann unter Umständen auch der Vorsitzende oder der Gerichtssenat entscheiden. 376 s. §§ 104, 107, 766 ZPO, § 151 VwGO, § 178 SGG, § 133 FGO. Dazu statt vieler Heinz Thomas/Hans Putzo, ZPO, 19. Aufl., München 1995, § 299, Rdn. 2; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 9; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 17; Gräber, Akteneinsicht durch Beteiligte, S. 445 (jeweils mwN). 377 Statt vieler Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 8. Seine Entscheidung ist nicht vom Einverständnis der Behörde, die die Akten vorgelegt hat, abhängig. Vgl. aber dazu Ey ermann! Fröhler, VwGO, § 100, Rdn. 5. Die Entscheidung kann anstatt von dem Vorsitzenden auch vom Gericht getroffenen werden (Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 15 mwN), nicht aber von dem Berichterstatter (s. BFHE 114, 173- vgl. auch BFHE 113, 94). 378 Sowie die Entscheidung des Vorsitzenden oder des Gerichts anstelle des Urkundsbeamten über die Verweigerung der Akteneinsicht bei der Geschäftsstelle, die Entscheidung des Gerichts über die Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten und die Entscheidung des Gerichts anstelle des Vorsitzenden über die Verweigerung der Ausfertigung, Aushändigung oder Übersendung der Akten. 379 Eyermann/Fröhler, VwGO, § 100, Rdn. 5; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 9 mwN; OVG Münster, OVGE 28, 176; BGHSt 27, 244 = NJW 1977, 2086 = MDR 1977, 942 = JZ 1977, 764. 380 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 7; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 18 mwN; Gräber, Akteneinsicht durch Beteiligte, S. 445; BFHE 133, 8. Beschwerdebefugt kann danach auch der Prozeßbevollmächtigte im eigenen Namen sein. S. Koch, Rdn. 20 mwN. 381 Von den Dritten sind die anderen Behörden oder Gerichte zu unterscheiden. S. BGH NJW 1969, 1303. Die Einsicht der Behörde erfolgt über die Amtshilfe (Art. 35 GG, §§ 156 ff GVG) innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen. Dazu Georg Holck, Zur Einsicht in Gerichtsakten durch Behörden und Gerichte, ZZP 87 (1974), S. 14 ff; Dörner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Übersendung von Arbeitsgerichtsakten an Arbeitsämter und Sozi algerichte, NZA 1989, S. 950 ff; Thomas/Putzo, ZPO, § 299,
§2 Spezielle Informations- und Akteneinsichtsrechte.
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Schriften läßt sich nur für die Prozeßbeteiligten ein Anspruch auf Akteneinsicht ableiten. Zudem hätte die Anerkennung eines solchen Anspruchs für Dritte die Konsequenz, daß dadurch der Grundsatz der Geheimhaltung administrativer Dokumente umgangen würde, weil so behördliche Akten, die eigentlich geheim bleiben müßten, zugänglich wären. Was der Dritte nicht durch die Behörde erlangen darf, könnte er so bei Gericht einsehen. Diesem Ergebnis stehen nicht nur die Interessen der Verwaltung, sondern auch schutzwürdige Interessen der prozeßbeteiligten Bürger entgegen. Diese Interessen können sogar von verfassungsrechtlichem Rang sein, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung oder das Eigentum. Zusätzlich sind auch die Interessen der Gerichte zu berücksichtigen, weil die Einsicht durch Dritte die Gefahr mit sich bringt, daß wegen der Akteneinsichtsrechte Dritter die für den Prozeß erforderlichen Unterlagen für Prozeßbeteiligte und Behörden nicht verfügbar sind. Diese Erwägungen nehmen dem Gericht nicht die Möglichkeit, Dritten die Akteneinsicht zu gewähren, sondern sie geben lediglich dem Dritten keinen Anspruch auf Akteneinsicht aufgrund der Vorschriften in bezug auf das rechtliche Gehör. Ein solcher Anspruch kann sich jedoch unter Umständen aus anderen Vorschriften ergeben, wie beispielsweise für die Presse und die Forschung. Im übrigen liegt es im Ermessen des Gerichts, Dritten die Akteneinsicht zu gewähren. Die Ausübung dieses Ermessens setzt das Vorliegen eines rechtlichen Interesses des Dritten an der Akteneinsicht und eine Abwägung mit den entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen der Behörde, der Prozeßbeteiligten oder sonstiger Dritter voraus. In den Prozeßordnungen ist nur in § 299 ZPO 3 8 2 die Akteneinsicht durch Dritte ausdrücklich geregelt 383 . Danach haben Dritte ein Recht auf Einsicht auch Rdn. 3; Prutting,, in: Münchener Kommentar zur ZPO, § 299, Rdn. 19; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 2 in fine; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 7. Contra Dieter Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, Kommentar, 20. Aufl., Bd. 2, Teilbd. 1, Tübingen 1987 (11. Lieferung 1985), § 299, Rdn. 27; Dieter Deppe-Hilgenberf, in: Alternativkommentar zur ZPO, Neuwied, Darmstadt 1988, § 299, Rdn. 7 ff (10), der die Behörden als Dritte iS des § 299 ZPO sieht. Zur Einsicht in die Strafprozeßakten über RiStV Nr. 190 s. besonders Peter Herzig, Zur Frage der Einsicht der Behörden und Träger der Sozialversicherung in Strafakten, DOK 1968, S. 611 f. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse können aufgrund von Art. 44 GG Akteneinsicht verlangen. Vgl. OLG Köln, NStZ 1986, 90, mit Bespr. Chr. Koch, JA 1986, 562. § 49 OWiG gibt der zuständigen Verwaltungsbehörde (vgl. §§ 6 OWiG, Art. 45 III S. 1 BayWaldG) ein unbeschränktes Recht auf Einsicht in die Akten des Ordnungswidrigkeitsverfahrens, das von der Staatsanwaltschaft geleitet wird. Dazu Göhler, OWiG, § 49; Joachim Lampe, in: Karismher Kommentar zum OWiG, § 49. 382 Dazu Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 102 ff; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 59 ff. S. aber auch § 72 KO, § 120 VglO, § 42 ZVG, § 34 FGG. § 34 FGG findet auch Anwendung im Zulas-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
sungsverfahren vor dem Ehrengericht für Rechtsanwälte (§ 40 I BRAO). Dazu Wilhelm Feuerich, BRAO, 2. Aufl., München 1992, § 41, Rdn. 69; Kurt Jessnitzer/Hanno Blumberg, BRAO, 7. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1995, § 40, Rdn. 6. Eine Sonderregelung enthält auch die StPO (dazu Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 68 ff). Danach haben die Straftatopfer und ihre bevollmächtigten Anwälte, die in bezug auf das Strafverfahren Dritte sind, das Recht, Einsicht in die Prozeßakten zu verlangen (§ 406e StPO). Zweck der Regelung ist es, dem Opfer einer Straftat Informationsmöglichkeiten zur erleichterten Durchsetzung seiner Ansprüche im Zivilprozeß zu gewähren (zu anderen möglichen Interessen vgl. LG Kleve, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchersteuern 1989, 373). Der Verletzte muß dabei ein berechtiges Interesse an der Einsicht darlegen. Dieses Interesse fehlt, wenn er als Nebenkläger gemäß § 395 StPO im Strafprozeß auftritt (vgl. Werner Beulke, Die Neuregelung der Nebenklage, DAR 1988, S. 114 ff). Zur Frage des Akteneinsichtsrechts des Konkursverwalters s. OLG Koblenz, NStZ 1988, 89 mit (abh.). Bespr. von Helmut Schäfer, Die Einsicht in Strafakten durch den Verletzten - Der Konkursverwalter als Verletzter, wistra 1988, 216 ff und (abh.) Anm. Klaus Marxen, EWiR 1988, 1027 f. Zur besonderen Problematik der Einsicht in von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Handakten des Rechtsanwalts des Schuldners s. Wendt Nassall, Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte des Konkursverwalters gegenüber dem Rechtsanwalt des Gemeinschuldners?, KTS 1988, S. 633 ff und BGHZ 109, 260 = NJW 1990, 510 = ZIP 1990, 48 = BB 1990, 91 = DB 1990, 783 = VersR 1990, 214 = MDR 1990, 315 = KTS 1990, 280, mit Bespr. Volker Emmerich, JuS 1990, 412. Die Einsicht steht im Ermessen des Gerichts und kann versagt werden, wenn ein überwiegendes Interesse des Beschuldigten oder Dritter entgegensteht sowie wenn das Verfahren verzögert oder der Untersuchungszweck gefährdet werden kann. Die Entscheidung über die Einsicht trifft im vorbereitenden Verfahren und nach dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft. Gegen die Versagung durch die Staatsanwaltschaft kann eine gerichtliche Entscheidung verlangt werden. Wird die Einsicht gewährt, so kann diese Entscheidung durch den Beschuldigten oder Dritte gemäß § 23 EGGVG angegriffen werden. S. OLG Koblenz, StrV 1988, 332, mit Bespr. Reinhold Schlothauer; OLG Koblenz, AG 1988, 342 (2 Urteile) und OLG Frankfurt, AG 1988, 342, mit Bespr. Sigurd Littbarski, Zum Recht auf Akteneinsicht durch Dritte in von der Staatsanwaltschaft in Ermittlungsverfahren wegen Konkursstraftaten beschlagnahmten Akten, AG 1988, 348 f. In den übrigen Fällen entscheidet der Vorsitzende des Gerichts. Dazu Roxin, Strafverfahrensrecht, § 63 Β II, S. 441 f, Rdn. 12 f; Hanns Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 406e; Kleinknecht/Meyer, StPO, § 406e; Volker Krey, Strafverfahrensrecht, Bd. 2, Stuttgart, Berlin, Köln 1990, S. 46 ff; Harro Otto, Die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche als "berechtigtes Interesse" des Verletzten auf Akteneinsicht im Sinne des § 406e Abs. 1 StPO, GA 1989, S. 289; Eberhard Kempf Opferschutzgesetz und Strafverfahrensänderungsgesetz 1987, Gegenreform durch Teilgesetze, StrV 1987, S. 215 ff; Reinhold Schlothauer, Das Akteneinsichtsrecht des Verletzten nach dem Opferschutzgesetz vom 18. 12. 1986 und die Rechte des Beschuldigten, StrV 1987, S. 356 ff; Hans Hilger, Über Fragen der Selbstvertretung eines Rechtsanwaltes, der Verletzter einer Straftat ist, NStZ 1988, S. 441 ff. Vgl. auch Sven Thomas, Der Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rechte des Verletzten im Strafverfahren - ein Stück Teilreform?, StrV 1985, S. 431 ff; Bernd Schünemann, Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986, S. 193 ff; Thomas Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, Berlin 1989. Die Regelung des § 406e StPO gilt nur für das Strafverfahren. Eine entsprechende Anwendung im Ord-
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nungswidrigkeits- bzw. Bußgeldverfahren scheidet aus. S. OLG Bremen, BRAK-Mitt. 1989, 118. Eine Akteneinsicht des Verletzten ist damit nur über die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1.1. 1977 idF vom 1. 10. 1988 möglich. Personen, die nicht am Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren beteiligt sind und bei denen die Voraussetzungen des § 406e StPO nicht vorliegen, können die Einsicht gemäß den §§ 182 ff der RiStBV beantragen. Die Regelung gilt gemäß § 296 RiStBV auch für das Bußgeldverfahren (dazu Göhler, OWiG, § 60, Rdn. 57 ff). Es ist zweifelhaft, ob die Regelung der Akteneinsicht durch Dritte durch Verwaltungsverordnung nach dem Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1) eine ausreichende Rechtsgrundlage ist (vgl. AG Wolfratshausen, NJW 1994, 2774). Dazu Göhler, Rdn. 57; Lüders sen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 147, Rdn. 21 und Gerd Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., München 1993, vor RiStBV; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 19 E IV, S. 119 f, Rdn. 67. Nach den RiStBV steht die Akteneinsicht im Ermessen der Verwaltungs- bzw. Justizbehörde und kann gewährt werden, wenn ein berechtigtes Interesse (beispielsweise die Prüfung bürgerlich-rechtlicher Ansprüche oder die Vorbereitung eines Verwaltungsprozesses) besteht und keine sonstigen Bedenken entgegenstehen (§ 185 IV RiStBV). Nach § 185a RiStBV kann auch die Einsicht zu wissenschaftlichen Zwecken gewährt werden, soweit kein Mißbrauch zu befürchten ist. § 185a ermächtigt auch zur Gewährung der Einsicht unter Auflagen, wie z.B. der, daß die Akten nicht weitergegeben werden dürfen und daß die Anonymität der Beteiligten und der Tatsachen zu sichern ist. Aktenteile können jedoch aufgrund von öffentlichen Interessen oder zum Schutz eines Dritten unzugänglich bleiben (§ 187 RiStBV). Die Akteneinsicht zu wissenschaftlichen Zwecken ist grundsätzlich nicht zu gewähren, wenn die Akten sich auf vorbereitende oder sicherheitsrelevante Verfahren beziehen (§ 185a RiStBV). Die Entscheidungen der Justizbehörden stellen Justizverwaltungsakte dar und können gemäß §§ 23 ff EGGVG angegriffen werden. Vgl. dazu auch OLG Hamm, NStZ 1986, 236 = MDR 1986, 516, mit Bespr. M. Grandel, JA 1987, 158 (mit Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung); Hans Hilger, Zur Akteneinsicht Dritter in von Strafverfolgungsbehörden sichergestellte Unterlagen (Nr 185. IV RiStBV), NStZ 1984, S. 541 f. 383
Für den Verwaltungsprozeß bestehen keine ähnlichen Vorschriften. Eine entsprechende Anwendung des § 299 ZPO ist jedoch grundsätzlich zu bejahen (vgl. § 173 VwGO, § 202 SGG, § 155 FGO). S. dazu Carl Hermann Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl., München 1987, § 49 III 2; Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 2; SchunkJDe Clerk, VwGO, § 100, Anm. le. Contra Eyermann!Fröhler, VwGO, § 100, Rdn. 1. Vgl. auch Michael Behn, Zur Akteneinsicht des "früheren Beteiligten" nach Abschluß des sozialgerichtlichen Verfahrens, RV 1982, S. 125 ff. Danach ist die Akteneinsicht nur nach Zustimmung der Prozeßbeteiligten zu gewähren. S. OVG Lüneburg, OVGE 19, 371 = DöV 1963, 770. Ein Ausschluß der Akteneinsicht Dritter im Verwaltungsprozeß aufgrund von § 203 StGB ist zu verneinen. Die der Einsicht durch Dritte entgegenstehenden Interessen oder Vorschriften wie z.B. für denfinanzgerichtlichen Prozeß das Steuergeheimnis (§ 30 AO) schließen die entsprechende Anwendung des § 299 ZPO nicht aus. Sie werden jedoch bei der Ausübung des Ermessens des Gerichts mitberücksichtigt, was wegen der Relevanz dieser Interessen zu einer grundsätzlichen Verweigerung der Einsicht durch Dritte führen wird. Dazu Redekerhon Oertzen, VwGO, § 100, Rdn. 2; Koch, in: Gräber, FGO, § 78, Rdn. 7.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
ohne Einwilligung der Prozeßparteien 384, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen 385 . Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen 386 . Dabei ist eine Abwägung der kollidierenden Interessen erforderlich 387 . 384 Die Einwilligung kann aufgrund des materiellen Rechts unter Umständen entbehrlich sein. Dies gilt insbesondere im Bereich des Konkursrechts. So ist der Gemeinschuldner durch §§ 75, 100 KO uneingeschränkt zur Aussage verpflichtet und kann dazu durch die Anordnung von Beugemitteln angehalten werden. Daher ist seine Einwilligung in die Einsicht in die Konkursverfahrensakten durch einen Schuldner nicht erforderlich. Ähnlich § 120 VglO. Es ist jedoch umstritten, ob einem Drittgläubiger ein Recht auf unbeschränkte Einsicht in die Offenbarungsakte zusteht und ob die Versendung der Akten über die eidesstattliche Versicherung an ein anderes Gericht oder eine Anwaltskanzlei zulässig ist (In vollem Umfang dafür KG Berlin, NJW 1989, 534; OLG Celle, Rpfleger 1983, 160; OLG Frankfurt, JurBüro 1989, 867; LG Hof, Rpfleger 1990, 27; AG Itzehoe, Rpfleger 1990, 27; LG Osnabrück, JurBüro 1991, 267, mit zust. Anm Alfred Mümmler. Nur für einen Anspruch auf Überlassung von Abschriften des Vermögensverzeichnisses und des Protokolls oder auf Einsichtnahme in diese Urkunden LG Aachen, ZAP EN-Nr. 541/90. Contra LG Mönchengladbach, NJW 1989, 3164 = DAVorm 1990, 86 = JurBüro 1989, 1608, mit abl. Anm. Alfred Mümmler, LG Hamburg, Rpfleger 1990, 27 und LG Ravensburg, Rpfleger 1990, 28, mit zust. Anm. Klaus Meyer-Stolte, der den Drittgläubiger als Dritten iS von § 299 ZPO ansieht). Werden aber durch die Einsicht strafbare Handlungen offenbart, ist die Einsicht unter Umständen von seinem Einverständnis abhängig. Vgl. BVerfGE 56, 37 = NJW 1981, 1431 = JZ 1981, 303 = EuGRZ 1981, 311, mit Anm. Hans Heiner Kühne = ZIP 1981, 361 = BB 1981, 639 = DB 1981, 984 = MDR 1981, 818. Vgl. auch BGH, NJW 1981, 675; Joachim Herrmann, Zu den Grenzen des Akteneinsichtsrechts des Geschädigten im Strafverfahren und zu der Entbindung eines Rechtsanwalts von seiner Schweigepflicht durch den Konkursverwalter seines Mandanten, NStZ 1985, S. 565. Die besonderen Rechte des Gläubigers gelten nur während des Vollstreckungsverfahrens. Zur Geltendmachung eines Akteneinsichtsrechts des Vergleichsgläubigers nach Beendigung des Verfahrens s. OLG Köln, KTS 1990, 133 und Anm. Harro Mohrbutter, EWiR 1990, 615 f (Unzulässigkeit des Antrags auf Akteneinsicht). 385 Dies wird aufgrund von rechtsstaatlichen Erwägungen grundsätzlich bejaht, wenn die Akteneinsicht Voraussetzung der wirksamen Rechts Verfolgung ist. S. Kopp, VWGO, § 100, Rdn. 2. Zum Akteneinsichtsrecht des Ehemannes einer unter Gebrechlichkeitspflegschaft stehenden Ehefrau s. LG Berlin, FamRZ 1971,474 386 Ähnlich ist das Ermessen des Gerichts in § 34 FGG gestaltet. S. Ursula Bumiller/Karl Winkler, FGG, 6. Aufl., München 1995, § 34; Bassenge, in: Peter Bassenge/Gerhard Herbst, FGG/RPflG, 6. Aufl., Heidelberg 1992, § 34 FGG; Paul Jansen, FGG, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 1969, § 34; Bernhard Reichert, in: Theodor Keidel/Joachim Kuntze/Karl Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Teil A: FGG, 13. Aufl., München 1992, § 34 FGG. Anders die Regelung des § 78 FGG, der ein subjektives Recht auf Einsicht gibt, vgl. Jansen, FGG, 2. Aufl., Bd. 2, Berlin 1970, § 78; Karl Winkler, in: Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, § 78 FGG. Zum Verhältnis zwischen § 34 und § 78 FGG s. auch BayObLG, DNotZ 1955, 433; LG Lübeck, Rpfleger 1985, 151. 387 So hat der Gläubiger, der im Besitz eines Titels gegen den Schuldner ist, kein rechtliches Interesse auf Einsicht in Akten früherer den Schuldner betreffender Zwangs-
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Zuständig für die Gewährung der Akteneinsicht ist der Vorstand des Gerichts. Diese Entscheidung ist keine Prozeßhandlung, weil das Verfahren außerhalb des Prozesses stattfindet. Es handelt sich deshalb um eine Angelegenheit der Justizverwaltung 388 .
4. Bedeutung von Art. 1031 GG für das Verwaltungsverfahren Art. 103 I GG befaßt sich nicht mit dem rechtlichen Gehör im Verwaltungsverfahren 389 . Damit scheitert von vornherein der Versuch, Akteneinsichtsrechte aus Art. 1031 GG unmittelbar abzuleiten.
Versteigerungen. S. OLG Köln, KTS 1991, 204. Das Interesse des Gläubigers, durch Akteneinsicht irgendwelche Anhaltspunkte zu gewinnen, ist in diesem Fall gegenüber den Geheimhaltungsinteressen des Schuldners und anderer Gläubiger nachrangig. Vgl. auch BGH, MDR 1983,128 = DB 1982, 2393 = GRUR 1982, 723. Zu den datenschutzrechtlichen Aspekten s. Liebscher, Datenschutz bei der Datenübermittlung im Zivilverfahren, S. 103 ff; Karl-Dieter Pardey, Informationelles Selbstbestimmungsrecht und Akteneinsicht, Zum Erfordernis verfassungskonformer Eingrenzung der Akteneinsicht in FGG-Verfahren, NJW 1989, S. 1647 ff. 388 KG, OLGZ 1976, 158 = NJW 1976, 1326 = MDR 1976, 585; KG, NJW 1988, 1738. Dazu Prütting, Münchener Kommentar zur ZPO, § 299, Rdn. 18 ff; Bernhard Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Berlin, New York 1975, § 299, Anm. C; Dieter Stephan, in: Richard Zöller, ZPO, 17. Aufl., Köln 1991, § 299, Rdn 6; Hartmann, in: Adolf Baumbach/Wolfgang Lauterbach/Jan Albers/Peter Hartmann, ZPO, 53. Aufl., München 1995, § 299, Anm. 4; Leo Rosenberg/Karl Heinz Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., München 1986, S. 126. Als Justizverwaltungsakt ist die Entscheidung im Wege der §§23 EGGVG angreifbar. S. OLG Celle, NJW 1990,1802 = RDV 1990,147. 389 S. statt vieler Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103, Rdn. 75; Knemeyer, Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, S. 1297 f; Christoph Degenhart, in: Michael Sachs, Grundgesetz, München 1996, Art. 103, Rdn. 5 (jeweils mwN). Art. 103 I GG erfaßt die förmlichen Verwaltungsverfahren und das Widerspruchsverfahren ebenfalls nicht. Knemeyer differenziert jedoch in Abweichung von der herrschenden Lehre dahingehend, daß er Art. 103 I GG in Verwaltungsverfahren mit materieller Präklusionswirkung für anwendbar hält (so auch offenbar Kopp, VwVfG, § 28, Rdn. 2 in fine). Dies würde jedoch zu einer Umgehung der praktischen Bedeutung der Präklusion führen, weil alle, die unzufrieden mit dem Ergebnis des Verfahrens wären, einen Verstoß gegen Art. 103 I GG behaupten könnten, um einen Klagegrund nachzuweisen. Es ist eine andere Frage, ob in Fällen, in denen Behörden gerichtsähnliche Funktionen wahrnehmen, z.B. die Überwachungsstellen im Bereich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen (§§ 57b, 57c HGrG) oder wenn weisungsfreie Organe wie Rechnungshöfe tätig sind, Art. 103 I GG Anwendung findet. In diesen Fällen ist nach einer Analyse der Rechtsbestimmungen, die die Funktionen und Organisation dieser Behörden regeln und einer Strukturierung der Interessen der Bürger zu ermitteln, ob das höhere Niveau der Garantie des Art. 103 I GG gewährt werden soll. Eine generelle Anwendung von Art. 103 I GG auf Verwaltungsverfahren befürwortet Rudolf Wassermann, in: Alternativkommentar zum GG, 1989, II, Art. 103, Rdn. 23, 30 Trantas
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Vorschrift hat jedoch Bedeutung für die dogmatische Konstruktion von Akteneinsichtsrechten im Verwaltungsverfahren, da aus ihr e contrario abzuleiten ist, daß die Verfassung keine starre Anwendung des Prinzips des rechtlichen Gehörs in Verwaltungsverfahren vorsieht. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren nicht in der Verfassung verankert ist 3 9 0 . Die Verfassung läßt dem Gesetzgeber aber einen Freiraum bei der Ausgestaltung der behördlichen Verfahren. Während Art. 103 I GG dem Gesetzgeber ein starres Model von Anhörungsrechten für Gerichtsverfahren aufzwingt, ist er im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts frei, den angemessenen Umfang der Anhörungsrechte und folglich auch der Akteneinsichtsrechte je nach den betroffenen Interessen zu bestimmen.
5. Analoge Anwendung prozeßrechtlicher Rechte von Beteiligten und Dritten auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden? Vor der Einführung des Verwaltungsverfahrensgesetzes wurde in der Lehre vorgeschlagen, Akteneinsichtsrechte bei Verwaltungsbehörden kraft Analogie zu den prozeßrechtlichen Vorschriften zu begründen 391 . Nach Einführung des
der die Anhörung als sine qua non Element jedes Verfahrens ansieht. Dies ist im Ergebnis wünschenswert, aber nicht in allen Fällen des positiven Rechts realisierbar. Gegen seine Meinung spricht zudem die Stellung der Vorschrift in Abschnitt IX des Grundgesetzes über die Rechtsprechung. Eine mittelbare Ausdehnung von Art. 103 I GG vertritt Jörg Feuchthofen, Der Verfassungsgrundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Ausgestaltung im Verwaltungsverfahren, DVB1. 1984, S. 170 ff (173). 390 Vgl. dazu Häberle, Verfassungsprinzipien, S. 71 f. 391 Dazu Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, S. 60 ff mwN. Es gab zwei Argumentationsstränge. Nach Ule, in: Carl Hermann Ule/Franz Bekker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, Köln, Berlin 1964, S. 43; Kratzer, Nochmals: Zum Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, S. 16; Wimmer, Muß der Amtsarzt dem Untersuchten sein Gutachten bekanntgeben?, S. 274 ff; Franz Mayer, Verfahrensgrundsätze der Verwaltung, BayVBl. 1960, S. 332 ff (336) ist die Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden eine Vorwirkung der Akteneinsicht im Prozeß. Die Behörde hat keinen Grund, etwas zu verweigern, zu dessen Gewährung sie später im Prozeß verpflichtet ist. Nach Voigt, Das Recht auf Einsicht in die Akten der Verwaltungsbehörden, S. 74 ff; Krüger, Aktenvorlage und Aussagegenehmigung, S. 22; v. Köhler, Einsicht in Behördenakten, S. 1462 ist die Analogie zu § 34 FGG wegen der Affinität zwischen der Ausübung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Ausübung von Verwaltungstätigkeit ergiebiger. Beide Argumentationen erscheinen jedoch schon auf den
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Verwaltungsverfahrensgesetzes ist dieser Vorschlag nur noch für Verfahren, in denen § 29 VwVfG keine unmittelbare oder analoge Anwendung findet, sowie für die Begründung von Einsichtsrechten Dritter im Verwaltungsverfahren und die Einräumung von Akteneinsichtsrechten außerhalb des Verwaltungsverfahrens von Interesse. Einer Analogie kann aber nicht zugestimmt werden, weil die Akteneinsichtsrechte in den Prozeßordnungen nicht auf das Verwaltungsverfahren übertragbar sind. Zunächst sind Funktion und Adressat der Akteneinsichtsrechte im Verwaltungsprozeß andere als bei der Einsicht bei Verwaltungsbehörden. Das Akteneinsichtsrecht im Prozeß ist mit der Stellung der Parteien verbunden. Daher scheidet die analoge Anwendung der Vorschriften außerhalb von bestehenden Verfahren aus. Auch im Verwaltungsverfahren kommt eine analoge Anwendung der Vorschriften nicht in Betracht, weil die Akteneinsicht im Prozeß durch das Gericht und nicht unmittelbar durch die Behörden gewährt wird 3 9 2 und das Verwaltungsverfahren eine andere Funktion als der Gerichtsprozeß hat 393 . Eine Analogie könnte sonst zu einer erheblichen Justizialisierung der verwaltungsbehördlichen Entscheidungsprozesse führen. Für die analoge Anwendung von Vorschriften, die die Akteneinsicht Dritter ermöglichen, kann nichts anderes gelten, weil diese Vorschriften Ermessensnormen darstellen und damit nicht zu einer Verbesserung der bisherigen Rechtslage führen würden 394 .
ersten Blick nicht als überzeugend, weil die Tatsache, daß die Akteneinsicht im Prozeß durch das Gericht erzwungen werden kann, keine Gewährung der Akteneinsicht durch die Behörde im Verwaltungsverfahren erfordert, wie z.B. auch die Tatsache zeigt, daß die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage nicht dazu führt, daß die Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten im allgemeinen abgelehnt wird. Zur Affinität zur Freiwilligen Gerichtsbarkeit ist zu bemerken, daß daraus auch das Gegenteil gefolgert werden kann, nämlich, daß die Gewährung der Akteneinsicht in diesem Verfahren eine Konsequenz der Trennung seiner Rechtsmaterien von den übrigen Verwaltungsaufgaben darstellt. S. in diesem Sinne Merkel, S. 63. 392 Vgl. Jung, Akteneinsichts- und Informationsrechte des Bürgers, S. 184 ff. 393 Vgl. Kriegler, Beeinträchtigung des Rechtsschutzes durch staatliche Geheimhaltungsmaßnahmen, S. 72; Merkel, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 60 f. 394 Vgl. dazu Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 151 (in Hinblick auf § 43 FGG).
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
§ 3 Das Akteneinsichtsrecht i m Verwaltungsverfahren Der Kern des deutschen Systems der Öffentlichkeit des Verwaltungshandelns ist die Regelung des Akteneinsichtsrechts im Verwaltungsverfahren. Die Rechtsgrundlagen der Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren sind die in ihren Grundsätzen ähnlich ausgestalteten Vorschriften 1 der § § 2 9 VwVfG und 25 SGB X. Die Gewährung der Akteneinsicht ist ein verhältnismäßig neues Institut des deutschen Verwaltungsverfahrensrechts. Ihre Einführung durch das VwVfG war eine der viel diskutierten Fragen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung während der Kodifizierung 2 . Gegen die Gewährung der Akteneinsicht spricht nicht nur der Schutz öffentlicher Interessen, sondern auch der Schutz der Belange Dritter im Falle des Verwaltungshandelns mit Drittbetroffenheit. Der Ausgleich der entgegenstehenden Interessen erfordert sensible Abwägungen seitens des Gesetzgebers und der entscheidenden Behörden 3. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß die Entwicklung noch nicht endgültig beendet ist und im Steuerverwaltungsverfahren kein Akteneinsichtsrecht gewährt wird 4 . 1 Vgl. dazu Gitter, Sozialrecht, S. 295 f; Maximilian Wallerath, Verfahrensrecht, in: von Maydell/Ruland (Hrsg.), Sozialarechtshandbuch (SRH), § 12, S. 499 ff, Rdn. 118 ff; Meinhard Heinze, Sozialleistungen, in: SRH, § 8, S. 293 ff (311), Rdn. 62; Rainer Pitschas, Das Verwaltungsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch, JuS 1983, S. 113 ff; Friedrich Schnapp, Sozialrecht und Verwaltungsrecht, Sgb 1979, S. 200 ff. 2 Dazu statt vieler Scherer, Öffentlichkeit und Demokratie, S. 17 f; Borgs, in: Hans Meyer/Hermann Borgs-Maciejewsky, VwVfG, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1982, § 29, Rdn. 3. Zur legislativen Geschichte des § 25 SGB X s. Schneider-Danwitz, in: Anton Knopp/Norbert Schneider-Danwitz/Kurt Schroeter, Gesamtkommentar Sozialversicherung/SGB/RVO/SGG, Wiesbaden Losebl., Bd. 4, § 25 (Stand 1992), Anm. 3. 3 Zur Problematik des Drittschutzes bei der Gewährung der Akteneinsicht vgl. Joachim Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, München 1985, S. 66. Als Beispiel kann das Baunachbarrecht fungieren. Vgl. Klaus Finkelnburg/Karsten-Michael Ortloff,; Öffentliches Baurecht II, 3. Aufl., München 1994, S. 207 ff (210); Michael Schatta, Zum Anspruch Dritter auf Einsicht in Bauakten, Städte- und Gemeinderat 1981, S. 287 ff; vgl. Ulrich Battis , Allgemeines Verwaltungsrecht, Heidelberg 1985, S. 123, Rdn. 166. 4 Vgl. Franz Oswald, Akteneinsichtsrecht in Steuersachen, AnwBl. 1979, S. 405 ff (405 f)· Die AO enthält keine Regelung, nach der ein allgemeines Akteneinsichtsrecht besteht. Der Ausschluß eines Akteneinsichtsrechts wird wegen des Inhalts der Akten (eigene Erklärungen des Steuerpflichtigen, bekanntgegebener Bescheid, inteme Inhalte) und unter dem Gesichtspunkt des Schutzes Dritter und den Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden begründet. Aus dem Anhörungsrecht (§91 AO) ergibt sich kein Akteneinsichtsrecht. S. HessFG, EFG 1990, 503; contra Michael Streck/Klaus Olbing, Der beim Finanzamt angezeigte Steuerbürger: Auskunftsanspruch contra Steuergeheimnis, BB 1994, S. 1267 ff. Die Gewährung der Akteneinsicht steht damit in pflichtgemäßem Ermessen der Behörden. S. Klein!Orlopp, AO, § 91, Anm. 2; vgl. Dieter Schmalz/Ha-
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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I. Allgemeines 7. Funktion der Akteneinsicht Die Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren kann unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden. Zunächst ist die Akteneinsicht als Verlängerung der Auskunftspflichten der Behörde im Rahmen des Verwaltungsverfahrens (§ 25 VwVfG, § 89 AO, §§ 14-15 SGB I) anzusehen. Unter diesem Aspekt ist die Akteneinsicht ein Teil einer allgemeinen Auskunftspflicht der Behörden 5. Verbreitet ist auch die Meinung, daß die Akteneinsicht ein Anhang des Anhörungsrechts ist 6 , weil die wirksame und effektive Wahrnehmung des Anhörungsrald Hofmann , Allgemeines Verwaltungsrecht, Teil 1, 5. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1991, § 7.2.3. Der Steuerpflichtige hat lediglich einen Anspruch darauf, daß über seinen Antrag auf Akteneinsicht bzw. über seinen Antrag auf Auskunftserteilung im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung entschieden wird. Bei dieser Entscheidung ist regelmäßig davon auszugehen, daß die Beachtung des Steuergeheimnisses die Ablehnung des Antrags nicht fehlerhaft macht. S. BFHE 143, 503 = DB 1985, 1925 = DStZ/E 1985, 277 = BB 1985, 1716 = NJW 1985, 2440 = HFR 1985, 501 = DStR 1985, 775 = CR 1986, 712; Heinz Lohmeyer, Das Akteneinsichtsrecht im Besteuemngsverfahren, DVRdsch. 1978, S. 18; derselbe, Das Akteneinsichtsrecht im Besteuerungsverfahren, RWP 1987/1162 SG 2.1, 239; derselbe, Die Zerlegung von Steuermeßbeträgen, KStZ 1990, S. 86 f (für die Einsicht der Beteiligten in die Akten des SteuerzerlegungsVerfahrens zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften); Claudia Hendricks , Arbeitsbogen des Außenprüfers - Einsichtsrecht des Steuerpflichtigen und Vorlagepflicht beim Finanzgericht, StBP 1985, S. 67; Joachim Klos, Das Akteneinsichtsrecht im Steuerrecht, NWB Fach 2, 4683 (32/1986); derselbe, Akteneinsichtsrecht - eingeschränkt durch das Steuergeheimnis?, Information StW 1986, S. 415; T. Mönius, Akteneinsicht und Zusage - rechtspolitische Notwendigkeiten im Abgabenverfahrensrecht, Information StW 1987, S. 217. Wird die Einsichtnahme in eine vom Finanzamt geführte Akte abgelehnt, so ist für die hiergegen gerichtete Klage der Finanzrechtsweg gegeben. S. BFHE 104, 181; 120, 571 = BB 1977,436 = NJW 1978, 78. Im Steuerrecht gibt es ebenfalls keine allgemeine Regelung der Auskunft gegenüber dem Steuerpflichtigen. Es bestehen jedoch viele spezielle Vorschriften. S. z.B. §§ 204 ff AO (verbindliche Zusage aufgrund einer Außenprüfung), § 42e EStG (Anrufsauskunft über die Anwendung der Vorschriften über die Lohnsteuer), § 23 ff ZollG (Verbindliche Zollauskunft), § 14 VIII 5.VermBG (Auskünfte über die Art der Anlage von vermögenswirksamen Leistungen), § 9 BergmannsprämienDVO (Auskünfte über Bergmannsprämien). Dazu Klein/Orlopp, AO, § 204 ff mwN; Heinz Richter, Die neue Verwaltungsregelung zur verbindlichen Auskunft, 3. Aufl., Köln 1989; Alfred Monreal, Auskünfte und Zusagen von Finanzbehörden, Diss. Bonn 1964. S. auch BMF-Schreiben vom 24. 6. 1987, geändert durch BMF-Schreiben vom 21. 2. 1990 (abgedr. in Klein/Orlopp, S. 870) 5 S. Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, S. 139; Friedhelm Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., Baden-Baden 1991, Rdn. 235. 6 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 5; Wolf gang Clausen, in: Hans-Joachim Knack, VwVfG, 5. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1994, § 29, Anm. 3. S.
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rechts oft von der Kenntnis der Verfahrensakten abhängig ist 7 . Nebenbei ist die Akteneinsicht eine Folge des Grundsatzes der Waffengleichheit, der ein Ausdruck des Gleichheitssatzes ist 8 , und der Parteiöffentlichkeit, die ihrerseits eine rechtsstaatliche Prägung hat9. Nicht zuletzt ist die Akteneinsicht als eine Form öffentlicher Kontrolle des Verwaltungsentscheidungsprozesses anzusehen10, als eine Art präventives Rechtsmittel11. Diese Kontrolle wirkt sich in zwei Richtungen aus. Einerseits gewährt die Akteneinsicht die Möglichkeit, daß die Erkenntnisquellen der Behörde nachprüfbar, nachvollziehbar und transparent werden 12 . Andererseits wird durch die Kenntnis der Erkenntnisquellen die Kontrolle des ganzen Entscheidungsprozesses der Behörde ermöglicht. Bei den verschiedenen Denkweisen über die Funktion des Akteneinsichtsrechts stellt sich die methodologische Frage, was das entscheidende Moment für die Akteneinsicht als Verfahrensrecht ist. Sieht man die Anhängigkeit eines Verfahrens als entscheidend für die Bestimmung des Inhalts der Akteneinsicht, dann ist sie als Institut von den Bedürfnissen des konkreten Verfahrens abhänauch P.-M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 153; Bill Drews/Gerhard Wacke/Klaus Vogel/Wolfgang Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1986, S. 432; vgl. Hoffmann, Zum Recht auf Akteneinsicht im VwVfG, NJ 1991, S. 450 ff; Horst Bartels, Die Anhörung Beteiligter im Verwaltungs verfahren, dargestellt anhand von § 24 SGB X, Berlin 1985, S. 72; Pitschas, Verwaltinsverantwortung und Verwaltungs verfahren, München 1990, S. 503. Da die Anhörung als Form der Mitwirkung des Bürgers auf das Demokratieprinzip gestützt wird (dazu statt vieler Walther Fürst/Helmuth Günther, Grundgesetz, 3. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1982, S. 29), enthält die Akteneinsicht eine Verbindung mit dem Demokratieprinzip. 7 Dazu Franz Mayer/Ferdinand Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. Stuttgart, München, Hannover 1985, S. 368 f; Mayer, Verfahrensgrundsätze der Verwaltung, S. 336. 8 Vgl. F. Mayer, Verfahrensgrundsatz der Verwaltung, S. 336. 9 Vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., München 1995, § 19, Rdn. 21. S. femer Volkmar Götz, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., München 1985: "Der in § 28 I VwVfG formulierte Grundsatz ist zwingender Bestandteil rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts". 10 Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Grundgedanken des Verwaltungsverfahrens und das neue Verwaltungsverfahrensrecht, Jura 1979, S. 505 ff (519). Dieser Kontrollbegriff ist allerdings von der Funktion der staatlichen Kontrolle zu unterscheiden, die maßgeblich als ein Vergleich zwischen einem Soll- und einem Ist-Wert zu verstehen ist. Dazu Walter Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, Heidelberg 1984, S. 4 ff (17). 11 Vgl. Christoph Schwaighofen Recht auf Information - Zum neuen österreichischen Auskunftspflichtgesetz, in: Dirk Heckmann/Klaus Meßerschmidt (Hrsg.), Gegenwartsfragen des öffentlichen Rechts, Berlin 1988, S. 263 ff (289). 12 Heinz Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 2. Die Akteineisicht ist jedoch kein Transparenzmittel. S. Schröder, Staatsthoeretische Aspekte einer Aktenöffentlichkeit im Verwaltungsbereich, S. 316; Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 281.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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gig und ist folglich im Zusammenhang der Anhörung den Grundsätzen der Waffengleichheit und der Parteiöffentlichkeit anzunähern. Geht man von einem Verwaltungsrechtsverhältnis aus, ist die Akteneinsicht als Institut anzusehen, das der Verbesserung und der Effektivität subjektiver Rechte des Bürgers dient 13 und folglich im Rahmen eines allgemeinen Auskunfts- und Kontrollsystems zu betrachten ist. Diese Denkstrukturen sind keine absoluten systematischen Betrachtungen, deren eine die andere ausschließt, sondern sie stehen in einem komplementären Verhältnis. Eine Spannung ist jedoch nicht zu vermeiden und führt zu der Forderung einer Akteneinsicht über die Grenzen der Verfahrensbeteiligung hinaus bis hin zur Schaffung einer breiteren Verwaltungsöffentlichkeit 14, die jedoch nach der heutigen Rechtslage von der Rechtsprechung streng abgelehnt wird 1 5 . Die Akteneinsicht ist danach als ein eigenständiges Verfahrensinstitut in Form eines Verfahrensrechts der Beteiligten 16 anzusehen, das auf verschiedenen Ebenen der verwaltungsrechtlichen Systematik anknüpft. Es ist einerseits Teil des Instrumentariums, das das Verwaltungsrecht in der Hand des Bürgers zum Zweck seiner Mitwirkung bei staatlichem Handeln gewährleistet 17. Andererseits profitiert auch der Verwaltungsentscheidungsprozeß, weil durch die stärkere Partizipation des Bürgers sein Informationsbestand wesentlich wachsen kann und ein frühzeitiger Konsens erlangt werden kann.
2. Die Bedeutung der Akteneinsicht als Institut des Verwaltungsverfahrensrechts Die Bezeichnung des Akteneinsichtsrechts als ein Institut des Verwaltungsverfahrens hat dogmatische Konsequenzen. Das Verfahren bildet den konzeptionellen Rahmen, in dem die Akteneinsicht ihren Sinn und ihre Bedeutung erlangt. Wenn das Verfahren sich als eine im Dienste eines bestimmten Ziels planvoll und zweckmäßig geordnete Anzahl von Handlungen darstellt und die13
Vgl. Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, S. 139 Fn. 57. Vgl. Hans-Joachim Menget, Akteneinsicht im Verwaltungs verfahren, Die Verwaltung 1990, S. 377 ff (382 ff) mwN; s. auch Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 1992, S. 21 ff (41). »s BVerwGE 67, 300 (303 f) = NVwZ 1984, 445 = DVB1. 1984, 55 (56); BVerwG, DVB1. 1984, 53 (54 f) = VB1BW 1984, 70; VGH München, BayVBl. 1988, 404 (405); OVG Münster, NJW 1989, 544; VGH München, NJW 1989, 2643; OVG Koblenz, DVB1. 1991, 1367 = NVwZ 1992, 384; VG Braunschweig, NJW 1987,459. 16 Vgl. Schmidt-Aßmann, Die Grundgedanken des Verwaltungsverfahrens, S. 519. 17 Zu der Problematik der Stellung des einzelnen in verwaltungsrechtlichen System vgl. im allgemeinen Joachim Martens, Der Bürger als Verwaltungsuntertan, KriV 1986, S. 104 ff. 14
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ses Ziel die Gestaltung oder Feststellung von Rechten, Pflichten und Rechtslagen ist 18 , dann ist die Akteneinsicht als Verfahrensinstitut auch von der Entscheidungsfixierung dieses Verfahrensbegriffs mitgeprägt. Diese Entscheidungsfixierung entspricht jedoch einer hoheitlichen Distanz der Behörden gegenüber dem Bürger 19 . Genau aber diese mit der demokratischen Struktur des modernen Staates nicht zu vereinbarenden Nachteile wollte die Einführung des Akteneinsichtsrechts vermeiden. Es zeigt sich dadurch, daß die Akteneinsicht eine besondere dogmatische Position zwischen den Instituten des Verwaltungsverfahrensrechts besitzt. Die Akteneinsicht nimmt eine besondere Position ein bei der Rekonstruktion des herkömmlichen Verfahrensbegriffs im Hinblick auf einen schützenden Mechanismus subjektiver Rechte und die Voraussetzung eines Diskurs und die Förderung von Kooperationsstrukturen zwischen Bürger und Behörden 20 . Die Akteneinsicht ist ein Ausgleich zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Behörden oder Dritter und dem Informationsinteresse des Bürgers. Sie gewährleistet dem durch eine Verwaltungsentscheidung betroffenen Bürger die Informationen, die für einen Dialog mit der Behörde erforderlich sind.
3. Einsichtnahme statt Informations gewährung Die Akteneinsicht bezieht sich auf die Einsichtnahme in behördliche Akten. Die Akteneinsicht gewährt keinen Informationsanspruch. Die Behörden werden verpflichtet, nur die Einsichtnahme zu gewähren. Die Information des Einsichtsberechtigten erfolgt danach nur mittelbar, d.h. durch den Inhalt der einzusehenden Akten. Ob der Bürger tatsächlich an die Informationen kommt, die er braucht, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher. Seine Berechtigung endet jedoch hier. Wenn er die Informationen nicht findet, besteht keine Pflicht der Behörde, die fehlenden Informationen zu besorgen 21. Diese Regeln haben auch Konsequenzen für die Haftung der Verwaltung. Die Behörde haftet nur, wenn sie die Akten schuldhaft nicht zur Einsicht gestellt hat. Es besteht dagegen keine Haftung aufgrund von falschen Informatio18
Badura, Verwaltungs verfahren, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 33, Rdn. 7, S. 420. 19 Vgl. Thomas Simons, Verfahren und verfahrensäquivalente Rechtsformen im Sozialrecht, Baden-Baden 1985, S. 52 f. 20 Vgl. zur dieser Entwicklung des Verfahrensrechts im allgemeinen Simons, Verfahren und verfahrensäquivalente Rechtsformen, S. 54 ff. 21 Dies gilt natürlich nicht für den Fall, daß die Behörde fehlerhaft gehandelt hat und durch ihre Schuld die Akten, die die gesuchten Informationen enthalten, verloren oder zerstört worden sind sowie wenn sie schuldhaft einige Akten nicht zur Einsichtnahme gestellt hat.
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nen, die in den Akten enthalten sind, oder wegen mangelnder Informationen in den Akten.
4. Aktenführung durch die Behörde In engem Zusammenhang mit einem Recht auf Akteneinsicht steht die Pflicht der Verwaltung, Akten umfassend und ordnungsgemäß zu führen und anzulegen, weil sonst die Einsichtnahme wertlos wäre 22 . Im deutschen Recht besteht eine solche behördliche Pflicht expressis verbis nicht 23 . Eine solche Pflicht kann aber aus Art. 19 I V GG im Hinblick auf die Tatsache, daß die Akten für die gerichtliche Kontrolle unerheblich sind, sowie aus Rechtsstaatsprinzip abgeleitet werden 24 . Die Akten müssen vollständig geführt werden 25 . Dies erfordern nicht nur die Interessen der Beteiligten und der entscheidenden Behörde, sondern auch die Möglichkeit kontinuierlicher Wahrnehmung der Rechts-26 sowie der Fachaufsicht und der parlamentarischen Kontrolle des Verwaltungshandelns 27. Aus dem Akteneinsichtsrecht kann jedoch keine unmittelbare Pflicht zur Aktenführung abgeleitet werden 28 . Die Behörde muß grundsätzlich frei sein, selbst nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen, wie sie die Aktenführung durchführen möchte 29 . Es ist eine andere Frage, ob bei fehlerhafter Führung der Akten neben der möglichen Amtshaftung auch eine Ersetzung der Akteneinsicht durch Auskunft möglich ist. Für eine solche Lösung spricht die Tatsache, daß es 22 Vgl. Willi Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, St. Gallen 1980, S. 129; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 3; Detlef Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, Heidelberg 1989, S. 282. 23 Anders in Österreich. S. die §§ 14 ff AVG, die eine Pflicht der Verwaltung regeln, Niederschriften oder Aktenvermerke zu führen. 24 BVerfG, NJW 1983, 2135; BVerwG, NVwZ 1988, 621; VGH Kassel, ZBR 1990, 195. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 17. 25 Vgl. BVerfGE, NJW 1983, 2135. Kritisch aber aus datenschutzrechtlicher Sicht Reinhard Riegel, Entfernung und Vernichtung von Vermerken aus der Ausländerakte, NJW 1984, S. 2194 f. 26 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV, Rdn. 255; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19, Rdn. 38. 27 S. BVerwG, NVwZ 1988, 621, das zurecht darauf hinweist, daß die Pflicht zur Aktenführung auch präventiv die Motivation zu allseits rechtmäßigem Verwaltungshandeln stärkt und rechtswidrige Handlungen der Behörden erschwert. 28 Vgl. W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 132. 29 Zu den Kriterien der Aufnahme von Vorgängen in die Akten s. ausführlich Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 18. Zu den gesetzlichen Vorschriften über den Inhalt von Akten s. Bonk, Rdn. 19. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 4.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
nicht richtig ist, den Bürger für Fehler der Behörden büßen zu lassen, sowie, daß es sonst für die Behörde möglich wäre, durch unterlassene oder durch mangelnde Aktenführung die Akteneinsicht zu vereiteln.
I I . Struktur des Akteneinsichtsrechts 7. Anspruch auf Akteneinsicht § 29 VwVfG und § 25 SGB X räumen einen Rechtsanspruch ein. Nach § 29 I S. 1 VwVfG und § 25 I S. 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten30. Die Einsichtnahme bezieht sich auf alle Verfahrensakten 31. Die Akteneinsicht wird in den Verwaltungsverfahrensgesetzen als subjektives Recht ausgestaltet32. Sie stellt mit dem Anhörungsrecht und mit der sie ergänzenden Garantie der Geheimhaltung einen Teil der sog. "Rechtstrilogie" 33 dar, die die Rechtspositionen der Verfahrensbeteiligten gewährleistet 34. Allerdings ist sie als ein selbständiger Anspruch anzusehen35.
30 Anders jedoch § 88 I LVwG SchlH, der einen Anspruch gewährleistet, nur soweit die Rechtsvorschriften es für den Beteiligten anerkennen. Dazu Klaus von der Groeben/Hans Joachim Knack, Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land SchleswigHolstein, Köln, Berlin, Bonn, München 1968, § 88 Rdn. 1 ff. S. auch Albert Jaekel, Akteneinsicht bei Verwaltungsbehörden, IFLA 1980, S. 73 ff (bezüglich der Praxis der Lastenausgleichsverwaltung); Anke Borsdorff/Siegfried Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, DöD 1989, S. 164 ff. 31 SG Stuttgart, RDV 1990, 269. Vgl. auch VGH München, BayVBl 1988, 209 = RDV 1988, 269. 32 Vgl. auch Klaus Obermayer, Grundzüge des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozeßrechts, 3. Aufl., Stuttgart, München, Hannover 1988, S. 44 ('formelles subjektives Recht"); Ingo Becker-Kavan, Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahren, Heidelberg, Hamburg 1980, S. 155. Der Ausdruck des Gesetzgebers, der auf einer objektiv-rechtlichen Pflicht der Behörde aufbaut, ändert nichts, weil der Behörde kein Ermessen eingeräumt worden ist. Vgl. Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Scheffers Grundriß, Heidelberg 1988, S. 152. 33 Häberle, Verfassungsprinzipien, S. 73. Vgl. auch Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §29, Rdn. 1.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Die Ausgestaltung der Akteneinsicht als subjektives Verfahrensrecht bedeutet eine Stärkung der Rechtsposition des Bürgers und die Garantie seiner effektiven Mitwirkung im Verwaltungsverfahren 36. Andererseits ist bei dieser Betonung der Position des Beteiligten nicht immer klar, welche praktischen Konsequenzen sich im Fall einer Pathologie des Verfahrensrechtsverhältnisses entwickeln können. Die Frage bezieht sich auf die Möglichkeit des Verfahrensbeteiligten, seinen Anspruch auf Akteneinsicht gerichtlich geltend zu machen37, sowie die Konsequenzen, die eine Verletzung der Vorschriften über die Akteneinsicht für die Gültigkeit des Verfahrensergebnisses haben kann. Unter diesen Aspekten erscheint die Wirksamkeit des Anspruchs auf Akteneinsicht nicht besonders stark 38 .
2. Der Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit § 29 VwVfG und § 25 SGB X regeln die Akteneinsicht nach dem Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit 39 . Gemeint ist hier die Tatsache, daß die Akteneinsicht nicht unbeschränkt ist, sondern an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gebunden ist. Die Beschränkung des Umfangs der Akteneinsicht vollzieht sich danach auf zwei Ebenen, einer bezüglich der Breite des Aktenbestands der Behörden, für
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Vgl. Schmidt-Aßmann, Die Grundgedanken des Verwaltungs Verfahrens, S. 519. S. auch v. Wuffeln, in: Günther Schroeder-Printzen/Klaus Engelmann/Ursula Schmalz/Siegrid Wiesner/Matthias v. Wuffeln, SGB X, 3. Aufl., München 1996, § 25, Rdn. 3; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 3; Wolf gang Schütz, Das Verwaltungsverfahren, VR 1980, S. 363 ff. 35 So wird durch die Gewährung der Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren die Anhörungspflicht des Verfahrensbeteiligten nicht eingeschränkt. Vgl. BSG, DRV 1985, 714. Akteneinsicht und Anhörung sind selbständige Verfahrensinstitute. Nicht eindeutig Günther Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 9. Aufl., München 1993, Rdn. 74, der die zwei Begriffe Anhörung und Akteneinsicht als Tautologie unter der Stichwort Anhörung Beteiligter zu betrachten scheint. 36 Vgl. statt vieler Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 223. 37 Vgl. dazu v. Wuffeln, in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/v. Wuffeln, SGB X, § 25, Rdn. 2. 3 8 Vgl. § 44a VwGO sowie die §§ 46 VwVfG und 42 SGB X. 39 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 2.3 und Schmalz/ Hofmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4.6 unter Bezug auf die amtliche Begründung.
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
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den die Akteneinsicht wirkt, und einer bezüglich der subjektiven Berechtigung zur Akteneinsicht: - Die Akteneinsicht bezieht sich nach den Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze nicht auf die ganze Breite der behördlichen Akten, sondern nur auf die Verfahrensakten des konkreten Verwaltungsverfahrens 40. Nicht alle Verfahrensakten stehen aber zur Einsicht. Der Anspruch auf Akteneinsicht betrifft nur die Akten, die für die Verteidigung der Interessen der Verfahrensbeteiligten erforderlich sind 41 . Dazu kommen auch einige zusätzliche Beschränkungen in Form einer Ausklammerung bestimmter Akten, die mit der Vorbereitung der Verwaltungsentscheidung im Zusammenhang stehen oder unter bestimmte vorgesehene Ausnahmen fallen 42 . - Die Akteneinsicht steht nur den Verfahrensbeteiligten zu 43 . Zusätzlich ist der Anspruch an das Vorliegen eines Interesses 44, das durch die Einsicht befriedigt werden soll, gebunden. Die subjektive Berechtigung ist auch zeitlich begrenzt und wird nur im Rahmen eines laufenden Verwaltungsverfahrens gewährleistet 45. Ein allgemeines Akteneinsichtrecht, daß jedermann ein Recht auf Einsichtnahme in alle Akten der Verwaltung hat, kann nicht aus den §§29 VwVfG und 40
Vgl. Weides, Verwaltungsverfahren und Widerpruchsverfahren, S. 135 mwN; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 9; Werner Thieme, in: Georg Wagganat, SGB X, Köln, Berlin, Bonn, München (Losebl., 17. Lieferung 1993), § 25, Rdn. 4. Zum Verfahrensbegriff s. Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 16 ff mwN. Die Vorschrift des § 29 VwVfG regelt nur das Recht der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens auf Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten; sie gilt daher nicht für Verwaltungsverfahren, in denen ausschließlich darüber zu entscheiden ist, ob die beantragte Auskunft erteilt werden muß. S. dazu BVerwG, MDR 1983, 344 = NJW 1983, 2954. 41 Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 5, der auch auf OVG Hamburg, FEVS 35, 138 hinweist. 42 Vgl. Elgin Wildhof er-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, VR 1980, S. 285 ff (287). 43 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 2; Badura, Verwaltungsverfahren, § 37, Rdn. 18, S. 459; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 3; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 236; Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 25. 44 Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 4; vgl. LSG Celle, Sgb. 1987, 65. 45 Vgl. Stelkens, Verwaltungs verfahren, Rdn. 273, 288. S. auch BVerwG, NVwZ 1984, 445; BVerwG, DVB1. 1984, 53. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn die Akteneinsicht beantragt, das Verfahren aber vor ihrer Gewährung abgeschlossen war. In diesem Fall besteht eine berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht fort. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 70.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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25 SGB X begründet werden 46 . Allerdings stellt das Recht auf Akteneinsicht eine Mindestgarantie im Verwaltungsverfahren dar 47 . Die Verwaltung kann weit über die Anforderungen des § 29 VwVfG nach Ermessen handeln.
3. Die Einsichtsberechtigten Anspruch auf Akteneineinsicht nach § 29 I S. 1 VwVfG und § 25 I S. 1 SGB X haben nur die Beteiligten im Verwaltungsverfahren. Die Bestimmung der Verfahrensbeteiligten erfolgt nach dem formellen Beteiligtenbegriff der §§ 13 VwVfG und 12 SGB X 4 8 . Einsichtsberechtigt sind danach der Antragsteller, der Antragsgegner, die möglichen Adressaten eines Verwaltungsakts und die Vertragspartner eines öffentlich-rechtlichen Vertrags 49 . Dies schließt die inneroder zwischenbehördlichen Akteneinsichtsbegehren, z.B. Akteneinsicht des Gemeinderats in Akten der Gemeindeverwaltung oder der Personalratsmitglieder in Akten des Personalrats 50, die Akteneinsichtsbegehren dritter Behörden 51 * Vgl. BVerwGE 61, 15; OVG Berlin, NVwZ 1986, 2004; OVG Berlin, NVwZ 1987, 817. 47 Günter Püttner, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Düsseldorf 1983, S. 152. 48 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 23; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4. S. auch BVerwGE 61, 15 (24); E 67, 300 (303 f); BVerwG, DVB1. 1990, 707; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 5 f; Klaus Braun/Konrad Freiherr v. Rotberg, VwVfG für Baden Württemberg, Stuttgart 1977, § 4; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 4; Wolfram Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozialverwaltung und Justiz, in: Mörsberger (Hrsg.), Datenschutz im sozialen Bereich, S. 246 ff (248 ff); Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 8; v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 13; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 225; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 137 f; Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 20. Zu den Möglichkeiten der Erweiterung des Beteiligtenbegriffs des § 13 VwVfG s. Häberle, Verfassungsprinzipien, S. 67 ff. 49 Zur Anwendung des § 29 VwVfG im öffentlichen Vertragsrecht s. Eberhard Schmidt-Aßmann/Walter Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, 2. Aufl., Berlin, Dresden, Erfurt, Hannover, Kiel, Köln, Magdeburg, Mainz, München, Schwerin, Stuttgart 1992, S. 155. so Vgl. z.B. VGH München, PersV 1972, 338. Ähnliches gilt für Schöffen in Gerichtsverhandlungen sowie für die Beistände in behördlichen Gremien. Die Aktenkenntnis von Laienrichtern oder -beiständen ist mit der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung vereinbar, und ihre Verweigerung bedeutet eine unzulässige Beschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten von Schöffen und Beistände bei der Urteilsfindung. Zum Akteneinsichtsrecht von Schöffen und Beiständen s. Vincke Benz, Zur Rolle der Laienrichter im Strafprozeß, Eine Untersuchung über das Schöffenamt auf verfahrenspsychologischer und gerichtsorganisatorischer Grundlage mit einem rechtsge-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
oder Dritter und nicht zum Verfahren hinzugezogener Privater 52 von der Anwendung der §§29 VwVfG und 25 SGB X aus. Keine Beteiligten und danach keine Einsichtsberechtigten im eigenen Namen sind die verschiedenen Verfahrensvertreter 53. Dagegen sind als Beteiligte und folglich Akteneinsichtsberechtigte diejenigen zu betrachten, deren rechtliche Interessen durch das Verfahren berührt werden und die von Amts wegen oder auf ihren Antrag auf Hinzuziehung zum Verwaltungsverfahren als nicht notwendige Beigeladene am Verfahren teilnehmen 54 . Einsichtsberechtigt sind auch die gemäß den §§ 16, 18 VwVfG bestellten Vertreter 55 . Umstritten ist, ob dem im Hinblick auf eine eventuelle Beteiligung im Verfahren gestellten Akteneinsichtsbegehren von Dritten stattzugeben ist. Für eine analoge Anwendung der §§29 VwVfG und 25 SGB X 5 6 sprechen rechtsstaatliche Gründe, nämlich die Möglichkeit des Dritten, seine Rechte geltend zu machen 57 . Eine solche Ausdehnung des Begriffs der Einsichtsberechtigten auf
schichtlichen und rechtsvergleichenden Überblick, Lübeck 1982, sowie Frank Kemmer, Befangenheit von Schöffen durch Aktenkenntnis?, Frankfurt a.M. u.a 1989. 51 Dabei gibt es besondere Vorschriften. Vgl. z.B. Art. 10 BayPlanG (Dazu VGH München, BayVGHE 22, 91 = BayVBl 1969, 322). 52 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 25; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 11 mwN. S. auch OVG Münster, DAVorm 1990, 247 mit Anm. Thomas Lauterbach (Akteneinsichtsrecht der Pflegeeltern mangels Beteiligtenstellung versagt). 53 BVerwG, NJW 1981, 2270 = DVB1. 1981, 683 = BayVBl. 1981, 284 = DöV 1981, 590 = MDR 1981, 874; BVerwG, DVB1. 1984, 1078; VGH München, NuR 1987, 270 (Rechtsanwälte); BVerwG, NJW 1985, 1234 (Vereine, die die Vertretung und Beratung ihrer Mitglieder wahrnehmen); Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 25; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4; Klaus Obermayer, VwVfG, 2. Aufl., Neuwied, Frankfurt a. M. 1990, § 29, Rdn. 6; Siegfried Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, Pfaffenweiler 1989, S. 22; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 288; Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1995, § 25, Rdn. 1, S. 243. 54 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 23; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 10. Ein zusätzliches Argument für die Gewährung der Akteneinsicht an nicht notwendige Beigeladene ergibt sich auch aus der Tatsache, daß Voraussetzung des Anspruchs die Geltendmachung oder Verteidigung eines rechtlichen Interesses und nicht eines subjektiven Rechts ist. 55 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 14; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 22; Matthias Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, VB1BW 1982, S. 1 ff (2). 56 So ohne weitere Begründung Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 10 und Franz-Joseph Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1995, Rdn. 199. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 236 sieht hier ein Ausdruck der Grundsätzen der Verfahrensökonomie. 57 Vgl. Hufen, Fehler im Verwaltungs verfahren, Rdn. 236. S. auch VGH München, NJW 1989, 2643.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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mögliche Beteiligte ist nicht gerechtfertigt 58. Der Dritte kann mit einem Antrag seine Hinzuziehung im Verfahren beantragen und, wenn er im Verfahren beigeladen wird, ein Akteneinsichtsrecht begründen. Es ist auch zu fragen, welche Lage besteht, wenn die Akteneinsicht gewährt wird und der Dritte letzlich doch in seinem Interesse nicht berührt war oder nicht seine Hinzuziehung beantragt. Die in diesem Fall erfolgte Akteneinsicht wäre ein schwerer Bruch des Grundsatzes der beschränkten Öffentlichkeit und stört den Interessenausgleich, der diesen Grundsatz beherrschte. Die Berechtigung entsteht während des Verfahrens 59. Sie entsteht, sobald das Verfahren beginnt, und endet mit dem Abschluß des Verfahrens 60. Beginn des Verfahrens ist erst die Einleitung des Verfahrens und nicht auch die davor liegenden Vorbereitungsarbeiten 61. Bei nicht notwendigen Beigeladenen besteht ein Anspruch auf Akteneinsicht erst nach der Hinzuziehung im Verfahren 62. Ende des Verfahrens ist die Zurückziehung des Antrags, ein Vergleich, der Erlaß eines Verwaltungsakts, der Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags oder die Verweigerung des Erlasses eines Verwaltungsakts oder des Abschlusses eines Vertrags 63. Im Falle, daß kein Verwaltungsakt erlassen oder kein öffentlich-rechtlicher Vertrag abgeschlossen wird und keine Verweigerung vorliegt, ist zu prüfen, ob das Verfahren abgeschlossen ist oder nicht, weil, wenn kein erkennbarer Beendigungsakt vorliegt, das Akteneinsichtsrecht immer noch geltend gemacht werden kann 64 . 58
Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 286. Vgl. Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. IIa. 60 BonK in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 24. Vgl. BVerwGE 69, 278; BVerwG, DVB1. 1984, 53; BVerwG, DVB1. 1984, 55; BVerwG, Buchholz 316 zu § 29 VwVfG; VGH München, NJW 1988, 1615 = BayVBl. 1988, 209; VGH München, BayVBl. 1988, 1988,404; OVG Münster, NJW 1989, 544; OVG Koblenz, DVB1. 1991, 1367 = NVwZ 1992, 384; VG Düsseldorf, Zfl 1987, 592; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 288; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerpruchsverfahren, S. 134; v. Wujfeln, in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/v. Wuffeln, SGB X, § 25, Rdn. 6; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 11. Contra Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 19, der ein Akteneinsichtsrecht nach Abschluß des Verfahrens annimmt. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 18, nimmt als Ende des Verfahrens die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts an. Ihm folgt Molitor y Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozial Verwaltung und Justiz, S. 250. 61 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 24; v. Mutius y in: GKSGB XI, § 25, Rdn. 16. 62 Dazu Schwaby Das Recht auf Akteneinsicht, S. 22; Wildhofer-Mohnen y Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 286; Preussnery Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 2. « Vgl. v. Mutiusy in: GK-SGB XI, §25, Rdn. 17. 59
w Vgl. Bonky in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 24.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Beteiligten sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Akteneinsicht wahrzunehmen 65.
4. Die Einsichtsverpflichteten Verpflichtet, die Akteneinsicht zu gewähren, sind die Behörden, die das Verfahren durchführen. Behörden sind gemäß § 1 I V VwVfG und gemäß § 1 I I SGB X die Stellen, die Verwaltungstätigkeiten wahrnehmen 66.
5. Inhalt des Anspruchs Inhalt des Akteneinsichtsrechts ist die Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen des Beteiligten erforderlich ist (§ 29 I S. 1 VwVfG, § 25 I S. 1 SGB X). a) Einsichtnahme Die Einsichtnahme betrifft die Gelegenheit des Beteiligten oder seines Bevollmächtigen, auf Wunsch die Verfahrensakten zu studieren 67. Durch die Einsichtnahme erlangt der Beteiligte Kenntnis vom Inhalt der Akten. Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder einen anderen Bevollmächtigten ist zulässig. Der Beteiligte oder sein Vertreter kann während der Einsichtnahme selbst Notizen und Auszüge aus den Akten anfertigen 68. Die Pflicht der Behörde, die Einsichtnahme zu gewähren, erschöpft sich in der faktischen Bereitstellung der Akten. Aus dem Akteneinsichtsrecht ergibt sich kein Anspruch darauf, daß die Behörde Erläuterungen oder Auskünfte über den Inhalt der Akten gibt 69 . Die Behörde kann jedoch aufgrund des § 25 65
S. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 8. Vgl. dazu Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 7. 67 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 20; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 5; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 12; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 8; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 223. 68 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 20; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 5; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 277; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 8; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 8, S. 247. 69 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 20; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 223; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 22, der im Fall von Unklarheit oder Unvollständigkeit der Akten auf die Möglichkeit hinweist, die Beteiligten um eine Ergänzung oder Wiederholung der behördlichen Prüfung zu 66
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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VwVfG und des § 14 SGB I verpflichtet werden, den Beteiligten über sein Akteneinsichtsrecht und die Bereitstellung der Akten zur Einsichtnahme zu belehren. § 25 I I S. 1 SGB X trifft eine besondere Regelung bezüglich der Akten, die Informationen über die gesundheitlichen Verhältnisse eines Verfahrensbeteiligten enthalten. Danach kann die Behörde, statt die Einsichtnahme zu gewähren, dem Beteiligten den Akteninhalt durch einen Arzt vermitteln 70 . Dieses Ermessen wird nach § 25 I I S. 2 SGB X auf Null reduziert, soweit durch die Akteneinsicht ein unverhältnismäßiger Nachteil für den Beteiligten zu befürchten ist 71 . Ein solcher Nachteil liegt insbesondere vor, wenn gesundheitliche Schäden anzunehmen sind 72 . § 25 I I S. 3 SGB X erweitert die Regelung des § 25 I I S. 12 SGB X auch auf Fälle, in denen nicht die Gesundheit, sondern die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit durch die Akteneinsicht beeinträchtigt werden kann. In diesen Fällen kann die Vermittlung des Akteninhalts nicht nur von einem Arzt, sondern auch über einen Bediensteten der Behörde, der die erforderliche Bildung und Erfahrung für diese Aufgabe hat, erfolgen 73 . Die Behörde ist im Fall der Anwendung des § 25 I I S. 1-3 SGB X nicht ermächtigt, die Akteneinsicht zu verweigern, auch wenn sie schwerwiegende Angaben über den gesundheitlichen Zustand des Beteiligten enthalten, sondern sie ist verpflichtet, stattdessen eine Ermittlung durch einen Arzt bzw. einen spezialisierten und erfahrenen Bediensteten zu organisieren 74. Einer analogen Anwendung des § 25 I I SGB X im allgemeinen Verwaltungsverfahren ist zuzustimmen75.
bemühen und Beweisanträge zu stellen. Differenzierend etwa im Hinblick auf das Vorliegen von unverständlichen internen Vermerken Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 242, der hier einen Beihilfeanspruch aus dem Akteneinsichtsrecht ableitet. Vgl. auch W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 115. 70 Ausführlich Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 7 f. 71 Dazu Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozialverwaltung und Justiz, S. 255; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 16; v. Wuffeln, in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/v. Wuffeln, SGB X, § 25, Rdn. 8; HauckJHaines, SGB X 1,2, § 25, Rdn. 9 ff; v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 25; Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 9; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 226; Schmalz/ Hofmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7.1.5. 72 Dazu Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 17. 73 Dazu HauckJHaines, SGB X 1,2, § 25, Rdn. 13; v. Mutius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 26; Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 10. Es handelt es sich hier insbesondere um Angaben, die Behinderte betreffen. 74 Vgl. Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozialverwaltung und Justiz, S. 256; Almut Maeck y Das Akteneinsichtsrecht des Versicherten nach § 25 SGB X, DRV 1989, S. 240 ff; derselbe, Das Akteneinsichtsrecht des Versicherten nach § 25 SGB X, 31 Trantas
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
b) Akten Der Begriff der Akten ist umfassend zu verstehen. Unter Akten werden nicht nur Unterlagen aus beschriebenem oder bedrucktem Papier, sondern auch Zeichnungen, Skizzen, Pläne, Karten, Fotos, Filme, Tonbänder und alle anderen sonstigen Mittel verstanden, in denen Informationen über den Inhalt oder den Ablauf eines Verwaltungsverfahrens aufgezeichnet werden können 76 . Wenn die Akten in Form von Mikrofiches, Mikrofilmen oder ähnlichen modernen Mitteln geführt werden oder die Originalakten vernichtet sind und durch diese Datenträger aufbewahrt werden, besteht eine Akteneinsichtsanspruch auch für sie. Der Begriff der Akten gemäß § 29 VwVfG und § 25 SGB X erfaßt auch die EDV-gestützten Dateien 77 . Nach einer Meinung ist dies bezüglich der personenbezogenen Daten zu verneinen, weil sich hier die Einsicht in solche Dateien ausschließlich nach den spezialgesetzlichen Vorschriften, vorrangig den Datenschutzgesetzen, richtet. Dies kann auf eine extensive Interpretation des § 1 V BDSG gestützt werden. Diese Lösung kann jedoch zu einer weitgehenden Einschränkung des Anwendungsbereichs der §§29 VwVfG und 25 SGB X führen, weil sich die neueren Datenschutzgesetze auch auf personenbezogene Daten in Akten erstrecken 78. § 1 V BDSG ist danach eng auszulegen und betrifft nur die Datenverarbeitung im Zusammenhang mit der Sachermittlung, d.h. vorrangig die Datenübermittlung im Rahmen der Amtshilfe. Die Datenschutzvorschriften und die Akteneinsichtsrechte im Verwaltungsverfahrensrecht dürfen folglich kumulativ angewendet werden 79 . So ist das Akteneinsichtsbegehren gemäß § 29 VwVfG und § 25 SGB X im Hinblick auf die Datenschutzvorschriften anzuwenden. Wenn das Akteneinsichtsbegehren des Beteiligten auf Daten in bezug auf seine Person gerichtet ist, stehen die §§29 VwVfG und 25 SGB X in Konkurrenz mit den Datenauskunftsvorschriften bezüglich der Auskunft des BetrofSozVers 1989, S. 312 ff; v. Wujfeln, in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/v. Wuffeln, SGB X, § 25, Rdn. 8. 75 Vgl. Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 284; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 289. Contra BVerwG, NJW 1989, 2960 = JuS 1990,405, mit Anm. Sachs, allerdings für den Fall, in dem die Einsichtnahme durch den Vertreter beantragt wurde. Vgl. aber auch BVerwG, VB1BW 1989, 411 mit Anm. Markus v. Lutterotti; BGH, JZ 1989, 440, mit Anm. Dieter Giesen. 76 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 577; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.2; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 9; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 10; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 24; v. Mutius, in: GKSGB X I , § 25, Rdn. 20; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 224; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 144; W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 69. 77 Nicht deutlich genug Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 7. 78 S. z.B. die §§ 3 I, II S. 1 Nr. 2 u. S. 2 und III BDSG. 79 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 7.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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fenen über seine Personalakten 80. Der Beteiligte kann sich danach auf beide Vorschriften berufen, weil sie zum gleichen Ergebnis kommen und grundsätzlich die gleichen Ausnahmetatbestände enthalten. Wenn sich das Akteneinsichtsbegehren auf personenbezogene Daten Dritter richtet, ist dagegen die Akteneinsicht wie die Datenübermittlung an nichtöffentliche Stellen zu behandeln, und die entsprechenden Datenschutzvorschriften 81 ergänzen die Regelung der §§ 29 VwVfG und 25 SGB X. c) Verfahrensakten Gegenstand der Akteneinsicht sind nicht nur die unmittelbar für ein Verfahren angelegten und dazu beigezogenen Akten (Verfahrensakten im engeren Sinne), sondern alle Akten, die im inneren Zusammenhang mit dem Gegenstand des Verfahrens stehen können (Verfahrensakten im weiteren Sinne) 82 . Bei der Bestimmung der Akten, die zur Einsicht stehen, sind materielle Kriterien entscheidend. Die interne behördliche Charakterisierung spielt dabei keine Rolle. So spielt es z.B. keine Rolle, ob die Akten in Haupt- und Nebenakten unterteilt sind 83 oder ob sich einige Unterlagen in anderen Akten befinden 84. Zur Akteneinsicht stehen die Verfahrensakten im materiellen und nicht im formellen Sinne 85 . Die Akteneinsicht erfaßt alle Akten, unabhängig davon, ob sie von den Verfahrensbehörden stammen oder im Rahmen der Amtshilfe von anderen Behörden beigezogen werden 86 . Nicht zu den Verfahrensakten zählen Rechts- oder so S. § 19 BDSG. s· S. § 16 BDSG. 82 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 9; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 6; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 238. Vgl. Stelkens, Verwaltungs verfahren, Rdn. 275; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 287; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 10; Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 14; Rudolf Schweickhardt, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1991, Rdn. 813. Kopp, Rdn. 6 fügt allerdings auch die Bedeutung der Akten für die Endentscheidung als zusätzliches Moment bei der Bestimmung der zur Einsicht stehenden Verfahrensakten ein. Diese Aussage soll jedoch so verstanden werden, daß die Behörde nur die Verfahrensakten, die bei der Entscheidungsfindung verwenden werden können, zur Einsicht stellt. Sonst hätte die Behörde die Möglichkeit, den Umfang des Akteneinsichtsrechts selbst zu bestimmen. 83 Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 238, 242; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 23. 84 Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 224. 85 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 9; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.2. 86 Dazu ausführlich Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 10. S. auch Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 5; U le! Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 1, S. 243; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.2; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfah-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Verwaltungsvorschriften 87. Allerdings ist dlie Einsicht in Verwaltungsvorschriften zu bejahen, wenn diese nicht veröffentlicht sind, konkrete Anweisungen über die Behandlung und Würdigung bestimmter Sachverhalte oder Beschreibungen über das Vorgehen der Behörden in ähnlichen Fällen enthalten und sie faktisch durch die Verfahrensbehörde befolgt werden. Für eine solche Erweiterung der einzusehenden Akten spricht die praktische Bedeutung der Verwaltungsvorschriften für das administrative Leben, was bedeutet, daß ohne ihre Kenntnis die Verteidigungsmöglichkeiten des Beteiligten von vornherein verkürzt werden können. Das Akteneinsichtsrecht der Beteiligten betrifft nur die Akten im Zusammenhang mit und in bezug auf das Verfahren 88 . Im Fall von mehreren Beteiligten an Verfahren, bezieht sich die Akteneinsicht nur auf die Aktenteile, die den einzelnen Beteiligten betreffen 89. Nicht zur Einsicht stehen danach Akten, die nur gleiche oder ähnliche Fälle betreffen 90. Der Ausschluß der Einsichtnahme in Akten von Muster- oder Parallelfällen kann unter Umständen verfahrensfehlerhaft sein, weil dort die Behörde die rechtliche und tatsächliche Prüfung der Fallsituation durchgeführt hat und im anderen Verfahren auf die dortigen Feststellungen hinweist 91 . Die Einsichtnahme wäre hier erforderlich, weil sonst der
ren, Rdn. 241; Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 29, Rdn. 5; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 275; Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozial Verwaltung und Justiz, S. 250; W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 71; Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 15. Die Behörde, die ihre Akten zur Verfügung der Verfahrensbehörde stellt, erklärt dadurch gleichzeitig ihre Zustimmung zu einer möglichen Akteneinsicht. Die Akteneinsicht in die beigezogenen Akten war strittig während der Entstehung des VwVfG. Gefragt wurde, ob der Behörde die Entscheidung über die Akteneinsicht in die beigezogenen Akten, die sie zur Verfügung gestellt hat, zusteht. Differenziert etwa Clausen, Anm. 4.2, der obwohl er die Entscheidungsbefugnis der Verfahrensbehörde zugibt, auch die Möglichkeit der übermittelnden Behörde sieht, Gründen, die gegen die Akteneinsicht sprechen, mitzuteilen und damit die ersuchende Behörde zu veranlassen, die Einsicht aufgrund eines der Ausnahmetatbestände der §§ 29 II VwVfG und § 25 III SGB X zu verweigern. Da sich aber hier keine rechtliche Verbindlichkeit für der Verfahrensbehörde ergibt, kommen dieser Lösung keine praktischen rechtlichen Konsequenzen zu. 87
Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 11; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 23; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 286; ν. M ut ius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 20. 88 Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 9. 89 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 26. 90 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 5; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 9b; v. Mut ius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 20. 9 · Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 27. S. auch Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 46.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Beteiligte nicht die Besonderheiten seines Falles betonen und damit keine effektive Verteidigung vorbereiten kann. Die Entscheidung, welche Akten im einzelnen Verwaltungsverfahren benötigt werden, steht allein der Behörde zu 92 . Die Behörde entscheidet nach Berücksichtigung der jeweiligen Sach- und Rechtslage93. Die Akteneinsicht bezieht sich auf die Akten, die sich im Zeitpunkt ihrer Durchführung im Besitz der Behörde befinden 94 . Es besteht jedoch eine Pflicht der Behörde, in den Akten alle relevanten Unterlagen oder sonstigen Beweismittel zu konzentrieren 95. Wenn Verfahrensakten Hinweise auf das Verhältnis eines Dritten mit der Behörde enthalten und sie nicht unter die Ausnahmetatbestände der §§ 29 I I und 30 VwVfG bzw. des § 25 I I I SGB X fallen, kann die Behörde die Einsicht verwehren. Da es sich hier um Beschränkungen eines subjektiven Rechts handelt, ist die Behörde zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet. Danach hat die Behörde zu prüfen, ob eine teilweise Akteneinsicht zulässig wäre 96 . Maßnahmen wie die Anonymisierung, Aussonderung oder Schwärzung von einigen Aktenteilen stellen sich als mögliche Alternative dar. Aus dem Akteneinsichtsrecht ergibt sich kein Anspruch auf Kenntnis der Informanten der Behörden 97 .
92 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 27, der zutreffend bemerkt, daß es sonst für den Beteiligten möglich wäre, Akten ohne Bedeutung für das Verfahren zu verlangen. Durch Mißbrauch dieser Möglichkeit könnte sogar das ganzen Verfahren zum Stillstand kommen. Eine Anspruch auf Beiziehung der Akten anderer Behörden ergibt sich aus § 29 VwVfG und § 25 SGB X nicht. S. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 6; v. Mutius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 20. Der Beteiligte kann die Einsicht in bestimmte Akten verlangen und wenn dies verweigert wird, kann er später eine Verletzung der §§ 24, 26 VwVfG und der §§ 20-21 SGB X behaupten. S. Bonk, Rdn. 27; Kopp, Rdn. 6; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 275. 93 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 28. 9 * Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 6. 95 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 9. Borgs sieht zusätzlich eine Auskunftspflicht der Behörde bezüglich des Vorliegens von Akten von anderen Stellen. Eine solche Auskunft hat einen Sinn nur, wenn sich die Akten bei einer anderen Behörde befinden, die in demselben oder einem Parallelverfahren beteiligt ist. Sind die Akten bei der anderen Behörde, weil nach Ansicht der Behörden für das Verfahren kein Interesse besteht, ist zu fragen, ob der Beteiligte ein Interesse an der Akteneinsicht nachweisen kann. 9 * Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 27. 97 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 29. Die Behörde kann jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen und Abwängung der in Frage kommenden entgegenstehenden Interessen die Informanten nennen, wenn der Verfahrensbeteiligte eine rechtliches Interesse darlegt. S. dazu VGH München, NVwZ 1990, 778; Christoph Bierwirth,
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Befugnisse der Behörden bei der Bestimmung des Inhalts der Verfahrensakten dürfen nicht zum Zweck der Umgehung der Akteneinsicht benutzt werden 98 . Die Behörde darf nicht durch ihre Entscheidungen bei der Verfahrensführung die wahrheitsgetreue und objektive Dokumentation der Vorgänge beeinträchtigen 99. Ebenso nicht zulässig ist die Dissoziation der Information durch ihre Verteilung in verschiedene elektronische Dateien oder Netze 100 . Im Falle, daß eine solche Verteilung aus verwaltungstechnischen Gründen besteht, ergibt sich die Pflicht der Behörden, die Akten zu konzentrieren. Wenn dies nicht ohne größeren Aufwand möglich ist, ist die Behörde dem Verfahrensbeteiligten zur Auskunft über die Stellen verpflichtet, bei denen die Informationen gesammelt werden, sowie Zugang zu diesen Stellen zu gewährleisten. Eine andere Lösung wäre die Einsicht über den Bildschirm durch Ermöglichung des Zugangs zu administrativen elektronischen Netzwerken. d) Insbesondere: Zur Einsicht stehende Kategorien von Verfahrensakten Die Akteneinsicht erfaßt alle möglichen Verfahrensakten. Darüber stehen einige Kategorien von Akten, die wiederholt in der Verwaltungspraxis als Gegenstand der Einsichtnahme fungieren. Sie stellen den Kern der einzusehenden Akten dar. Hierzu gehören zunächst die Gutachen und Expertisen 101 , d.h. die allgemeinen Stellungnahmen von Personen, die besondere Fachkenntnisse besitzen 102 . Von der Akteneinsicht werden sowohl die Stellungnahmen über die richtige Feststellung des Sachverhalts, die seine Subsumtion unter den gesetzlichen Tatbestand ermöglichen (Sachgutachten), wie auch Stellungnahmen zur rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts (Rechtsgutachten) erfaßt 103 . Von besonderem InAuskünfte an und über den Anzeigeerstatter im Verwaltungs verfahren, BayVBl. 1989, S. 587 ff. 98 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 29. 99 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 29. Bonk nennt als solche Beispiele die unbegründete Entfernung von Akten oder die Berichterstattung von Vorgängen sowie die vorzeitige Zurücksendung beigezogener Akten. 100 Dazu Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 243. »o» S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 37; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 17; Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 29, Rdn. 5; Alexander Dubasch, Das Recht auf Akteneinsicht, Zürich 1990, S. 20 ff; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 287. 102 W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 88. 103 S. W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 88. Vgl. zum Rechtsgutachten Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 25.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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teresse sind vorrangig die Sachgutachten, insbesondere die Sachverständigengutachten. Rechtsgutachten können für den Beteiligten von Interesse sein, soweit dadurch die Linie des Vorgehens der Behörde erklärbar wird. Die Herkunft der Gutachten spielt für die Einsicht keine Rolle. Wichtig ist, ob sie Einfluß auf das Verfahren haben und somit als Teil der Verfahrensakten zu betrachten sind. Einzusehen sind somit nicht nur Stellungnahmen von verwaltungsexternen Experten 104 , sondern auch verwaltungsinterne Stellungnahmen unabhängig davon, ob sie aus den Verfahrensbehörden stammen, Produkt der Kooperation der Verfahrensbehörde mit einer anderen Behörde (Mitberichte) oder Amts- bzw. Informationsberichte anderer Behörden sind 105 . Allerdings kann bei verwaltungsinternen Gutachten deren Einsicht durch die §§ 29 I S. 2 VwVfG und 25 I S. 1 SGB X ausgeschlossen werden. Bezüglich verwaltungsexterner Gutachten, stellt sich die Frage, ob für ihre Erstellung Geheimhaltungsbeschränkungen mit dem Gutachter vereinbart wurden. Hier geht es vorrangig um Fragen des urheberrechtlichen Schutzes. Diese Beschränkungen stehen der Akteneinsicht des Betroffenen nicht entgegen106. Der Akteneinsicht unterliegen auch Verwaltungsprotokolle oder Niederschriften 107 . Dies entspricht der Bedeutung, die die Protokolle in der Verwaltungspraxis genießen. Für das Verwaltungsverfahren von Interesse ist die Protokollführung bezüglich Zeugenvernehmungen, Anträgen, Anbringen oder Aussagen der Beteiligten und Protokollen über Augenschein 108 sowie Niederschriften mündlicher Verhandlungen 109 . Öffentliche oder private Urkunden, d.h. die schriftlichen oder sonstigen Darstellungen, die bestimmt oder geeignet sind, Tatsachen von rechtlicher Bedeutung zu beweisen, sowie Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge mit Bezug auf das Verfahren sind auch zugäng-
104 Gutachten von Beamten oder sonstigen Amtspersonen, die aufgrund ihrer persönlichen Fachkenntnisse und nicht aufgrund ihrer Qualität als Amtsträger erstattet werden, sind als verwaltungsexterne Gutachten zu behandeln. Contra offensichtlich W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 89. 105 Vgl. ψ\ Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 89. 106 Die Behörde hat aber dabei im Rahmen des §§ 29 II VwVfG die Interessen des Gutachters bei der Einsichtnahme zu berücksichtigen. Der Einführung von Nebenbestimmungen zu diesem Zweck steht der Akteneinsichtsanspruch nicht entgegen, soweit dadurch nicht die Erfüllung der Zwecke der Akteneinsicht vereitelt werden. 107 vgl. w. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 97 f. los Dazu Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 98 f.
κ» Vgl. Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 25.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
lieh 1 1 0 . Hierher gehören vorrangig notarielle Akten sowie feststellende oder gestaltende Verwaltungsakte 111 sowie Allgemeinverfügungen. Zu nennen sind auch die schriftlichen Auskünfte, Mitteilungen oder Anzeigen, die die Behörde von Dritten, privaten oder öffentlichen Stellen, angefordert oder erhalten hat 1 1 2 . Die Einsicht erfaßt auch die j Vorakten 113 . Vorakten sind Akten, die aus einem früheren, abgeschlossenen Verfahren bezüglich derselben Angelegenheit stammen und zum laufenden Verfahren wegen des materiellen Zusammenhangs zwischen den beiden Verfahren hinzugezogenen werden. Eingesehen werden können ferner Stellungnahmen der Verfahrensbehörden oder anderer Behörden zu den Angaben des Bürgers 114 . Als Vernehmung der Behörden stehen damit auch die Stellungnahmen von Körperschaften und sonstigen Selbstverwaltungsträgern zur Einsicht 115 . Unter Umständen ist auch die Einsicht in inner- oder zwischenbehördliche Mitteilungen oder sonstige Informationsakten sowie in Weisungen oder Anordnungen zu bejahen, soweit sie den Verfahrensakten angehören 116. Dies ist der Fall, wenn dadurch Anweisungen über die Würdigung bestimmter Sachverhalte durch die Behörden gegeben werden und diesen tatsächlich gefolgt wird 1 1 7 . Ähnliches kann unter Umständen auch für die Aktennotizen sowie die formlosen Dienstvermerke gelten 118 . Wegen ihrer Formlosigkeit oder ihres persönlichen Charakters sind sie grundsätzlich nicht als Teil der Akten anzusehen und unterliegen nicht der Akteneinsicht. Andererseits kann ihre Einsicht erfor1,0
S. W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 101. Solche Akten können jedoch sehr oft unter die Ausnahmen der §§29 II, 30 VwVfG, 25 III SGB X fallen. 112 Dazu W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 102. S. auch Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 37; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 17. Allerdings kann die Einsicht grundsätzlich eingeschränkt, wenn die Behörde aus berechtigten Gründen Vertraulichkeit zugesagt hat (vgl. § 29 II VwVfG). Zu den Auskünften und Stellungsnahmen der Behörden Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 25. 113 Dazu Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 6; W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 102. 114 S. W Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 95 f; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 17. 115 Vgl. W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 97. 116 Vgl. dazu W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 104. 117 Vgl. W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 104. 118 Dazu W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 100. Als formlose Dienstvermerke werden sonstige Aufzeichnungen von Beamten bezeichnet. Erfaßt werden damit z.B. persönliche Notizen, Memoranda, Randbemerkungen, Notizen über Telefongespräche oder sonstige Beratungen. 111
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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derlich sein 119 , wenn z.B. die Originalakten verloren gegangen sind oder sie Informationen erhalten, die nicht sonst in den Akten zu finden sind 120 . Die §§ 29 I S. 2 und 25 I S. 2 sind allerdings zu beachten121. Entwürfe zu Entscheidungen, Referate, Verhandlungs- und Beratungsprotokolle können auch in die zugänglichen Akten eingegliedert werden 122 . Allerdings ist auch hier zu prüfen, ob sie unter die Einschränkungen der §§ 29 I S. 2 VwVfG und 25 I S. 2 SGB X fallen. Zu fragen ist, ob die Akteneinsicht auch die vom Einsichtsberechtigten eingelegten Akten erfaßt. Solche Akten können zusammen mit einem Antrag, nach Aufforderung durch die Behörden oder während der Beweisführung des laufenden oder eines früheren oder parallelen Verwaltungsverfahrens bei den Behörden vorgelegt werden. Solche Angaben können neben sonstigen Anträgen auch in Urkunden, Gutachten oder Zeugenvernehmungen erfaßt werden 123 . Da die Akteneinsicht letztlich den Zugang des Beteiligten zu Informationen, die ihm nicht bekannt sind, bezweckt, spricht dafür, den Zugang wegen Rechtsmißbrauch oder mangelnden Interesses an diesen Akten auszuschließen124. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß der Beteiligte ein Interesse daran hat, diese Akten einzusehen. Dies liegt z.B. im Fall der Nachfolgerschaft im Verfahrensrechtsverhältnis sowie auch in den Fällen vor, in denen die Kopien dieser Akten bzw. die Originale verloren gegangen sind. Interesse besteht auch, die Vermerke des zuständigen Beamten einzusehen. Da § 29 VwVfG keinen Unterschied macht, ist die Einsicht auch in solche Akten zu bejahen. Der Einsicht kann auch der Schriftwechsel einer beamtlichen Demonstration bezüglich der Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung unterliegen, weil dadurch die Verantwortung für das Verfahren auf die höheren Stellen übergeht 125 und folglich einen verfahrensrelevanten Vorgang dokumentiert.
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Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. S. W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 100. 121 Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. Für die Einsicht in die Aktennotizen und formlosen Dienstvermerke spricht die Vermeidung der Gefahr, daß die Behörde oder einzelne Beamte Vorteile, die die Akteneinsicht dem Beteiligten gewährt, durch die Führung von "geheimen Parallelakten" vereiteln könnten. Es ist jedoch problematisch, ob sie als Teil der Verfahrensakten iS des § 29 VwVfG zu betrachten sind. Auch wenn dies der Fall wäre, können sie erst während eines Widerspruchsverfahrens angesehen werden. 122 Argumentum e contrario aus § 29 I S. 2 VwVfG und § 25 I S. 2 SGB X. 123 Vgl. dazu W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 86. 124 Vgl. aber W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 87. 125 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 36. 120
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
e) Rechtliches Interesse Nach § 29 I S. 1 VwVfG und § 25 I S. 1 SGB X besteht der Akteneinsichtsanspruch nur, soweit die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen des Beteiligten erforderlich ist. Die Erforderlichkeit der Rechtswahrung ist ein völlig nachprüfbarer Rechtsbegriff 126 , der wegen der Verfassungsrelevanz des Verwaltungsverfahrens weit auszulegen ist 1 2 7 . Unter Verteidigung und Geltendmachung wird nicht nur die Verbesserung der Lage des Beteiligten verstanden, sondern auch jeder Vorteil, der durch die bessere Kenntnis des Rechts- und Sachverhalts sowie des Verfahrensstandes gewonnen werden kann 128 . Der Begriff des rechtlichen Interesses ist enger als der Begriff der berechtigten Interessen 129. Unter berechtigte Interessen fallen alle rechtlichen, wirtschaftlichen, finanziellen, ideellen oder sozialen Interessen, die sich auf das Verfahren beziehen und durch eine Rechtsnorm oder faktisch im individuellen Interesse eingeräumt sind 130 . Die rechtlichen Interessen sind dagegen diejenigen Interessen, die durch eine Rechtsnorm des öffentlichen oder des Privatrechts eingeräumt werden 131 . Rechtsgrundlage eines rechtlichen Interesses können die Verfassung, insbesondere die Grundrechte, das Gesetz, die Rechtsverordnung, die Satzung sowie auch normkonkretisierende oder normvertretende Verwaltungsvorschriften sein 132 . Bloße faktische Interessen oder faktische Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren können nicht als rechtliche Interessen fungieren 133 . Die rechtlichen Interessen müssen die eigenen Interessen des Beteiligten sein. Die Wahrnehmung von rechtlichen Interessen Dritter, eines Verbands oder 126
Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 13. Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 287. 128 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 31. S. auch Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 15 f; Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozialverwaltung und Justiz, S. 251. 129 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 32; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.4; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 13; WildhoferMohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 287. 130 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 13, Rdn. 25; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.4. Vgl. zim Begriff der faktischen Beeinträchtigungen Hans-Ullrich Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, Berlin 1970, S. 167. ι 3 ' S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 13, Rdn. 25. 132 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 13, Rdn. 25. 133 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 13, Rdn. 25 mwN. Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 13. 127
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der Allgemeinheit rechtfertigen die Akteneinsicht gemäß den §§29 VwVfG und 25 SGB X nicht 134 . Die Interessen müssen zusätzlich im Zusammenhang mit dem anhängigen Verwaltungsverfahren stehen 135 . Ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht besteht, wenn dadurch die Klärung einer tatsächlichen Unsicherheit bezüglich eines Rechtsverhältnisses oder die Regelung eines rechtlich relevanten Verfahrens oder die Erhaltung einer gesicherten Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs bezweckt wird 1 3 6 . Der Beteiligte muß sein Interesse darlegen, um der Behörde eine Wertung der Interessen zu ermöglichen 137 . Die Behörde ist allerdings nicht befugt, die Schutzwürdigkeit oder die Erfolgsaussichten der beabsichtigen Rechtsverfolgung oder -Verteidigung zu prüfen 138 , sondern nur, daß das Akteneinsichtsbegehren nicht offensichtlich mißbräuchlich ist 1 3 9 und durch das Unterlassen der Einsichtnahme eine Beeinträchtigung der rechtlichen Interessen als möglich erscheint 140 . Die Akteneinsicht muß erforderlich sein 141 . Dies bedeutet kein Prüfungsrecht der Behörde, ob es tatsächlich als wahrscheinlich erscheint, daß es auf Anträge oder Ausführungen des Beteiligten zur Akteneinsicht kommt 142 . Es genügt, daß die Akten oder Aktenteile für seine Zwecke im Rahmen des Verfahrens von Bedeutung sein können 143 . Damit wird als nicht erforderlich die Ein-
134 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 13, Rdn. 26. 135 Zurecht Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 34. 136 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 32; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.4; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 280 (alle unter Bezug auf die amtliche Begründung); v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 23; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungs Verfahrens, S. 225; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 144 f. S. auch VGH München, NJW 1989, 2643. »7 VGH München, NJW 1988, 1615; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 33; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 7; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.4. 138 Vgl. aber die Ausnahme, die § 88 III Nr. 2 LVwG SchlH enthält und die die Akteneinsicht verweigert, soweit der ergangene Verwaltungsakt nicht in die Rechte der Beteiligten eingreift oder den Antrag in vollem Umfang erfüllt. 139 Zur Mißbrauch von Verfahrensformen s. Christian Pestalozza, "Formenmißbrauch" des Staates, München 1973, S. 158 ff. S. auch Hans-Ullrich Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, Berlin 1967, S. 37 ff. ι4« Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 33 mwN. Vgl. auch VGH Mannheim, NJW 1984, 1914. 141 Dazu Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 17 f. 142 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.4; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 8. ι 4 3 Dazu Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.4; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 8.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
sichtnahme in Akten angesehen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für die Entscheidung von Bedeutung sein können 144 . Die Forderung des Vorliegens eines rechtlichen Interesses stellt einen Ausgleich im Rahmen des Verfahrens zwischen dem Akteneinsichtsbegehren der Beteiligten und der Leistungsfähigkeit des administrativen Systems dar. Es geht hier um eine Beschränkung der Reichweite des Anspruchs auf Akteneinsicht zu dem Zweck, die Behörden vor der unangemessenen Nachfrage durch beteiligte Bürger zu schützen. Als Beschränkung aber ist diese Voraussetzung jedoch eng zu interpretieren. Die Behörde trägt dabei die objektive Beweislast, daß diese Voraussetzung im konkreten Fall nicht vorliegt. Zweifel gehen dabei zu Lasten der Behörde, die die Einsichtnahme gewähren muß 145 .
I I I . Einschränkungen des Akteneinsichtsrechts § 29 I S. 2-3 VwVfG sowie § 25 I S. 2 SGB X sehen Einschränkungen bei der Anwendung der §§ 29 I S. 1 VwVfG und 25 I S. 1 SGB X vor. Diese Einschränkungen stellen einen Ausgleich zwischen den Interessen des Beteiligten an der Gewährung der Akteneinsicht und der Wahrung der Funktionsfähigkeit der Behörde her und führen nicht zur Vereitelung der Einsichtnahme. Als Ausnahmen vom Akteneinsichtsanspruch sind sie restriktiv zu interpretieren 146 .
7. Einschränkungen 'ratione temporisé Die Einsicht in Entwürfe und Vorbereitungsarbeiten Nach § 29 I S. 2 VwVfG und § 25 I S. 2 SGB X findet der Akteneinsichtsanspruch für Entwürfe zu Entscheidungen und für Arbeiten von ihrer unmittelbaren Vorbereitung bis zum Abschluß des Verfahrens keine Anwendung. Dies bedeutet nicht, daß die Akteneinsicht ausgeschlossen ist, sondern daß sie im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht 147 . Die Vorschriften bezwecken, die innerbehördliche Willensbildung 148 , die Unbefangenheit der Aktenführung 144
Dazu Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 9, der allerdings diese Aussage zurecht im Hinblick auf die Einsichtnahme in Akten von parallelen oder Musterverfahren relativiert. 145 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 31, 35. 14 * Vgl. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 14. 147 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 36. Die Gewährung der Akteneinsicht erfolgt nach Abwägung der verschiedenen Belange. 148 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. Zur Bedeutung des "Beratungsgeheimnisses" s. Düwel, Amtsgeheimnis, S. 175 ff.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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und die inhaltliche Vollständigkeit der Akten zu bewahren 149 sowie Streitigkeiten durch die Einsicht in solche Akten, die später nicht die Billigung des Behördenleiters finden, zu vermeiden 150 . Damit werden diese Vorschriften an das hierarchische Prinzip gebunden. Die Vorschriften dienen auch der Funktionsfähigkeit der Behörde, indem dadurch die Entfernung der für die Entscheidungsfindung wichtigen Akten während der Einsichtnahme ausgeschlossen wird. Bei der Ermittlung der Akten, die unter diese Ausnahmen fallen, muß daran erinnert werden, daß die Vorschriften der Regelung des Prozeßrechts bezüglich der Akteneinsicht in Entwürfe und Vorbereitungsarbeiten entsprechen 151. Es geht darum, die sog. "internen" Akten der Verwaltung zu schützen. Als solche sind die Akten der Verwaltung zu verstehen, die einen vorbereitenden Charakter haben 152 und keinen Willen der Behörde enthalten 153 . Bezüglich der Bestimmung dieser Akten werden dabei zwei Ansichten vertreten 154 . Nach einer Konstellation sind die Akten nicht zugänglich, die ihrer Natur nach internen Charakter haben. Dies führt jedoch zu einer a priori Bestimmung einiger Akten als interne Akten und folglich als nicht zugänglich. Damit scheint die Unterscheidung aufgrund von materiellen Kriterien angebrachter. Zur Einsicht stehen die Akten, die bei der Entscheidungsbegründung verwendet werden können. Kein Akteneinsichtsanspruch besteht dagegen für Akten, die bei dem Entscheidungsprozeß dem internen Gebrauch der Behörden dienen 155 . Es geht hier um den engeren Kreis von innerbehördlichen Akten, die im Zusammenhang mit der Abfassung der - in der meisten Fällen schriflichen - Entscheidung stehen156. Diese Abgren-
149
Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 36 und Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.3 unter Bezug auf die amtliche Begründung. S. auch Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungs verfahren, S. 3; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 29; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 225. •so Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 36; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 16. 151 S. sie §§ 100 III VwGO, 120 IV SGG, 78 III FGO. Vgl. auch § 3 III S. 2 BDSG. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 36; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, §29, Rdn. 11. 152 So offensichtlich Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 37. 153 Das Willensmoment betont offensichtlich Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 23, wenn er als Kriterium für das Vorliegen "keine endgültige - vom unterzeichnungsberechtigten Amtsträger unterschriebene - Festlegung" bringt. 154 Dazu W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 76 ff. 155 Vgl. dazu W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 85. 156 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
zung der Verfahrensakten ist jedoch schwierig 157 . Zweifel müssen zugunsten der Einsichtsgewährung gehen. Beweiserhebungen oder -ergebnisse, Gutachten, Auskünfte, Aktenvermerke, Berichte, Stellungnahmen, Niederschriften mündlicher Verhandlungen, Äußerungen von Beteiligten bei der Anhörung fallen grundsätzlich nicht unter die §§ 29 I S. 2 VwVfG und 25 I S. 2 SGB X, weil sie der Ermittlung des Sachverhalts dienen und keine Entscheidungsvorschläge enthalten 158 . Ähnliches gilt auch grundsätzlich für Randanmerkungen oder Schlußbeurteilungen zu Prüfungsarbeiten 159 sowie, soweit sie nicht Entscheidungsvorschläge enthalten 160 , für die Beratungsprotokolle 161 . Dagegen fallen unter die Ausnahme vom Auskunftsanspruch die Entscheidungsentwürfe der Sachbearbeiter, Weisungen, Stellungnahmen und Auskünfte von Aufsichts- oder Rechnungsprüfungsbehörden bezüglich der zu treffenden Entscheidungen, Beschlußvorschläge an Entscheidungsgremien, Stellungnahmen mitzeichnungsberechtigter oder ressortmäßig betroffener Amtsträger und Beratungsprotokolle der Entscheidungsgremien 162. Die Einschränkung der §§ 29 I S. 2 VwVfG und 25 I S. 2 SGB X sind nicht als echte Ausnahmen vom Akteneinsichtsanspruch anzusehen, weil es sich hier nur um eine zeitliche Begrenzung der Gewährung der Einsichtnahme handelt. Nach Abschluß des Verfahrens entsteht wieder ein Anspruch auf Akteneinsicht in diese Akten 1 6 3 . Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschriften, die einen Ausschluß des Akteneinsichtsanspruchs nur bis zum Abschluß des Verfahrens vorsehen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hier die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts oder der Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrags oder der Erlaß eines
157
Vgl. Dubasch, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 18 f. 158 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 37; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 17; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 25; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.3; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 29; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 245. Für die Gutachten Wolfi/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 156 IVe2. 159 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 37; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 17. Contra Wolfi/Bachof Verwaltungsrecht III, § 156 IVe2 unter Bezug auf BVerwG, DöV 1964, 638. 160 S. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 17. 161 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 37. Contra Wolfi/Bachof Verwaltungsrecht III, § 156 IVe2. 162 S. Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 24; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.3. Krit. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 245. 163 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 38; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 26; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.3; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 18; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11 Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 45; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 4. Contra Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. S. auch BVerwGE, 67, 304 = NVwZ 1984, 445.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Erledigungsbescheids 164. Da aber mit dem Abschluß des Verfahrens kein Anspruch mehr auf Akteneinsicht besteht 165 , da kein Verfahren mehr läuft, ist die Verwirklichung der Akteneinsicht in diese Akten nicht mehr vorzustellen 166 . Praktische Bedeutung hat danach die zeitliche Beschränkung nur im Hinblick auf die Erhebung eines Rechtsbehelfs. Alle Akten der Vorinstanz stehen danach während des Widerspruchsverfahrens zur Einsicht 167 . Für diese Lösung spricht insoweit die Tatsache, daß dadurch nach dem Wortlaut der Vorschriften eine zeitliche Begrenzung des Akteneinsichtsanspruchs nicht zu seiner permanenten Verweigerung führt. Die entgegenstehenden Argumente, die die Kontinuität zwischen dem Verwaltungsverfahren und dem Rechtsbehelfsverfahren betonen 168 , sind nicht tragbar, weil nach Abschluß des Verfahrens die Belange, die den Ausschluß eines Anspruchs auf Akteneinsicht rechtfertigten, nicht mehr vorliegen 169 .
2. Einschränkungen 'ratione personae': Die Einsicht durch Vertreter in Massenverfahren § 29 I S. 3 VwVfG trifft eine Sonderregelung für Massenverfahren 170. Die Akteneinsicht im Massenverfahren bringt die Gefahr mit sich, zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Verwaltungsaufgaben zu führen, wenn eine Vielzahl von Beteiligten, vielleicht sogar Tausende, ihren Anspruch wahrnehmen möch-
164 Vgl. Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 26. 165 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 3. S. aber auch VG Berlin, NVwZ 1982, 576; OVG Münster, NJW 1989, 544; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 239. ι 6 6 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.3. Contra Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 146. 167 S. BVerwGE, 67, 304 = NVwZ 1984, 445 = DVB1. 1984, 53; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 38; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 18; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 11 ; W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 83 f; v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 22; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 280; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerpruchsverfahren, S. 134; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 4. Vgl. auch e contrario § 88 III Nr. 3 LVwG SchlH. 168 VielLaubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1986, § 25, S. 179 f; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.3. 169 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 38. Eine Anwendung der §§ 29 I S. 2 VwVfG und 25 I S. 2 SGB X kommt nur bezüglich der Entscheidungsentwürfe und Vorarbeiten im Rahmen des Widerspruchsverfahren in Betracht. 170 § 25 SGB X enthält keine ähnliche Vorschrift, weil Massenverfahren im Sozialrecht nicht erscheinen.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
ten 171 . Ein Ausgleich der Interessen findet durch die Regelung des § 29 I S. 3 VwVfG insoweit statt, als bei Vorliegen einer Vertretung nach den §§17 und 18 V w V f G 1 7 2 das Akteneinsichtsrecht der Beteiligten fortbesteht, der Anspruch aber nur über den bestellten Vertreter ausgeübt werden kann 173 . Die Vertretenen dürfen danach nicht mehr selbst ihren Anspruch auf Akteneinsicht ausüben. Es steht demnach im Ermessen der Behörde zu entscheiden, ob die Einsichtnahme auch an Vertretene zu gewähren ist 1 7 4 . Ist ein Verfahrensbeteiligter nicht vertreten oder aus der Vertretung ausgeschieden, dann kann er seine Akteneinsichtsrechte weiterverfolgen 175 .
I V . Ausnahmen 1. Funktion der Ausnahmetatbestände § 29 I I VwVfG und § 25 I I I SGB X enthalten eine Reihe von Ausnahmen vom Akteneinsichtsanspruch 176. Zugrunde liegt hier der Gedanke, daß es Bereiche oder Fallkonstellationen gibt, bei denen die Behörde einen größeren Freiraum bei der Gewährung der Akteneinsicht für die Erfüllung ihrer Aufgaben braucht 177 . Die Verfahrensgesetze stellen deshalb hier eine Reihe von Ausnahmetatbestände zur Verfügung 178 , die sich zum Teil auch überlappen 179 . Es handelt sich hier um Tatbestände, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten 180 . Die
171 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 39; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 4.1; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 28; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 139. 172 Dazu Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 29 f. 173 Nicht eindeutig in § 29 I S. 3 VwVfG ist, welcher der Rechtsträger der Akteneinsicht ist. Rechtsträger kann aber nur der Vertretene sein, weil er der Beteiligte und dies nicht der Vertreter ist. Die Vorschrift ändert nicht die Rechtsträgerschaft, sondern macht Einschränkungen bei der Ausübung des subjektiven Verfahrensrechts. 174 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 39; Obermayer, VwVfG, §29, Rdn. 31. 175 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 40; Clausen, in: Knack, VwVfG, §29, Anm. 4.1. 176 § 25 SGB X enthält nicht alle Ausnahmetatbestände des § 29 II VwVfG. Anders im Regierungsentwurf (BT-Drs. 8/2034, S. 10). S. zur Entstehungsgeschichte des § 25 SGB X Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 2; BT-Drs. 8/4022, S. 18, 81. 177 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 41. 178 Vgl. zum sog. "Ausnahmekatalog" Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5. 179 S. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 15. iso S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 41.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Berufung der Behörde auf diese Ausnahmen ist damit gerichtlich voll nachprüfbar 181 . Bei diesen Ausnahmen handelte es sich nicht um Akteneinsichtsverbote 182, sondern Verweigerungsgründe 183. Verneint wird nur der Anspruch auf Akteneinsicht. Die Behörde ist danach frei, die Einsichtnahme, soweit ihr keine Vorschrift entgegensteht, nach pflichtgemäßem Ermessen zu gewähren 184. Die Behörde ist dabei verpflichtet, eine Abwägung im Einzelfall zwischen den Interessen des Beteiligten an der Gewährung der Einsichtnahme und den gesetzlich geschützten Belangen durchzuführen 185. Die Behörde kann sich bei Ausschluß der Akteneinsicht auf einen oder mehrere Ausnahmengründe berufen 186 . Die Ausnahmen sind abschließend im Gesetz aufgezählt 187 . Dies bedeutet, daß die Verweigerung der Akteneinsicht aufgrund eines Interesses, das nicht unter den Ausnahmetatbeständen aufgeführt wird, unzulässig ist 1 8 8 . Aus dem Wortlaut der Vorschriften ergibt sich, daß die Akteneinsicht zu verweigern ist, soweit einer der Ausnahmegründe vorliegt. Dies bedeutet, daß die Akteneinsicht nur hinsichtlich der Akten, die unter eine der Ausnahmen fallen, ausgeschlossen werden kann. Wenn ein Teil der Akten nicht unter die Ausnahmen fallt, besteht der Akteneinsichtsanspruch fort 1 8 9 . Die Regelung kann
181 VGH München, BayVBl. 1978, 86; VGH München, NVwZ 1990, 778; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 41. 182 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 42. 183 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 287. 184 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 41; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 14. 185 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 14; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 42; VGH München, NVwZ 1990, 778. S. auch die von § 29 II BVwVfG abweichende Regelung des § 2a III BerlVwVfG. Danach ist die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet soweit eine Abwägung ergibt, daß die in § 29 I VwVfG gewährten Rechte der beteiligten hinter dem öffentlichen Interesse an der Geheimhaltung oder einem überwiegenden Geheimhaltungsinteresse Dritter aus zwingenden Gründen zurücktreten müssen. Die wesentlichen Gründe für die Verweigerung der Akteneinsicht sind den Beteiligten im einzelnen mitzuteilen. 186 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 41 unter Bezug auf BVerwGE 75, 1 (14). 187
Vgl. nur Stelkens, Verwaltungs verfahren, Rdn. 282. 188 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 42. »» S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 43; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5, 5.3; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 48 f. 32 Trantas
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
als Folge des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen werden 190 . Bei der Verweigerung der Akteneinsicht ist daher zu prüfen, ob durch Anonymisierung oder Aussonderung die Einsicht in die Akten doch gewährt werden kann 191 . Hieraus kann auch eine Auslegungsregel abgeleitet werden, nämlich, daß die Ausnahmen eng zu interpretieren sind 1 9 2 und im Zweifel die Behörde zugunsten der Gewährung der Einsichtnahme zu entscheiden hat 1 9 3 , wenn es kein Interesse Dritter entgegensteht. Zusätzlich ist daran zu erinnern, daß im Falle der Verweigerung der Akteneinsicht die Behörde verpflichtet ist, vor der Anhörung über die geheimgehaltenen Tatsachen Auskunft zu gewähren 194 .
2. Versagung aufgrund der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung Nach § 29 I I (1. Alternative) VwVfG ist die Behörde zur Akteneinsichtsgewährung nicht verpflichtet, soweit durch die Gewährung der Akteneinsicht die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt wird. Die Beeinträchtigung muß die Erfüllung der Aufgaben der Behörde im allgemeinen oder im konkreten Fall betreffen 195 . Zweck der Regelung ist der Schutz der Funktionsfähigkeit 196 der Behörden vor übermäßiger Belastung durch Akten190 Vgl. zutreffend Wildhof er-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 290. 191 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 43; Hufen, Fehler im Verwaltungs verfahren, Rdn. 252. 192 Vgl. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdn. 199; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 246. iw Vgl. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 14. 194 Dazu eingehend Kopp, VwVfG, § 28, Rdn. 23. S. auch W Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 140 ff. 195 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 19; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 4 f. S. aber auch Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 44, der die Ausnahme nur auf Beeinträchtigungen in bezug auf das laufende Verwaltungsverfahren beschränkt. Für eine weitere Auslegung, die auch allgemeinere Beeinträchtigungen erfaßt, spricht jedoch der Wortlaut des Gesetzes, das keine Unterscheidung macht, sowie teleologische Erwägungen. § 29 II S. 2 BbgVwVfG verpflichtet die brandenburgischen Behörde, eine solche Béeitrachtigung "durch hinreichend gewichtige, konkret angebbare Gründe dem Betroffenen mitzuteilen". 196 Zum Begriff s. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, S. 65 ff mwN; vgl. auch Martin Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlem am Beispiel von kommunalen Satzungen, Barlin 1988, S. 71 f. Zur Verfahrensrationalität im allgemeinen s. Eberhard Schmidt-Aßmann, Institute gestufter Verwaltungsverfahren: Vorbescheid und Teilgenehmigung, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, München 1978, S. 569 ff (569 f), der die funktionsgerechte Organisiert-
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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einsichtsbegehren 197 sowie die Vermeidung der Gefahrdung des Erfolgs des Verfahrens wegen der von den Beteiligten erlangten Kenntnis des Inhalts der Akten 1 9 8 . Als Fallkonstellationen kommen dabei das Vorliegen von zahlreichen Akteneinsichtsanträgen in Betracht, die den normalen Verwaltungsbetrieb stören, das Geheimhaltungserfordernis bei der Durchführung von polizeilichen oder ordnungsrechtlichen Verfahren sowie Fälle, in denen eine rasche Entscheidung geboten ist und die Gewährung der Akteneinsicht den Abschluß des Verfahrens verlängert hätte, und Fälle, in denen durch die Akteneinsicht die Arbeitsweise und die Erkenntnisquellen der Behörde bekannt werden können 199 . Dieser Ausnahmegrund eröffnet der Behörde viele Möglichkeiten, die Akteneinsicht zu verweigern. Er muß deshalb strengen Verhältnismäßigkeitskontrollen unterliegen und möglichst eng ausgelegt werden 200 . Eine überzeugende Darlegung der Gründe, die die Verweigerung der Akteneinsicht rechtfertigen, scheint deshalb hier geboten 201 . Eine bloße Gefährdung, auch wenn sie wahrscheinlich ist, genügt nicht 2 0 2 . Voraussetzung der Anwendung der Vorschrift ist das Vorliegen einer konkreten, aktuellen und unmittelbaren Beeinträchtigung der Erledigung der Verwaltungsaufgaben 203. Eine abstrakt denkbare, unwesentliche oder folgenlose Behinderung der Aufgaben der Behörden reicht nicht 2 0 4 . Die Behörde hat danach im Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit die Akteneinsicht den Zweck des Verfahrens oder seine fristgerechte Erledigung vereiheit, behördliche Handlungsfähigkeit, Wirksamheit und Überschaubarkeit des Verwaltungshandelns als Verfahrenspostulate des Rechtsstaaatsprinzips betrachtet. 197 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 5, S. 244; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 19 unter Bezug auf die amtlichen Begründung. S. auch Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 159 ff. 198 Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 5, S. 245; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 19; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerpruchsverfahren, S. 136; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 156 ff; VG Darmstadt, DVB1. 1979,443; VGH München, NVwZ 1990, 778. i " Vgl. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 19; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.1; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 45. 200 Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 16, der zutreffend auf die Tatsache hinweist, daß dieser Verweigerungsgrund keinen entsprechenden Tatbestand in den sonstigen Prozeßordnungen hat. 201
Dies wird heute nur in § 29 II S. 2 BbgVwVfG ausdrücklich vorgesehen. 202 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 20; vgl. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.1; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. 203 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 44. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 20, der zusätzlich die Plausibilität der Gefährdung als Bedingung der Beeinträchtigung iS des § 29 II VwVfG nennt. Vgl. auch in diesem Sinne BVerwGE 74, 116; E 84, 388 = NVwZ 1990, 1164. Contra VGH München, NVwZ 1990, 778. 204 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 44.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
teln oder verzögern kann 205 . Die Beeinträchtigung muß insbesondere unzumutbar sein 206 . Die außergewöhnliche und übermäßige Inanspruchnahme der Diensträume und des Personals, die auf lange Zeit fehlende Verfügbarkeit der Akten, die im Hinblick auf dringliche öffentliche oder private Interessen Dritter unvertretbare Verzögerung des Verfahrens sowie das Bekanntwerden der Identität eines Informanten stellen typischen Fälle einer solchen Beeinträchtigung dar 2 0 7 . Unwesentliche oder zeitlich begrenzte Verzögerungen sind nicht als unzumutbare Beeinträchtigungen anzusehen, weil die Gewährung der Akteneinsicht immer mit einer bestimmten zeitlichen Verzögerung verbunden ist 2 0 8 . In Frage kommt meistens bei der Anwendung des § 29 I I (1. Alternative) VwVfG die Beeinträchtigung des Behördenbetriebs durch die große Zahl der Einsichtnahmen. Er kann aber auch, wie der Fall der Offenlegung von polizeilichen Informationen oder der Identität des Informanten zeigt, durch einen einzelnen Antrag gefährdet werden 209 . Die Zahl der Einsichtsbegehren hat danach nur als Indikation eine mögliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Behörde. Ob sie tatsächlich vorliegt, erfordert eine nähere Untersuchung der verschiedenen organisatorischen Möglichkeiten 210 . So hat die Behörde zu prüfen, ob z.B. durch die Vervielfältigung vielgefragter Aktenteile, die zeitliche Begrenzung der Akteneinsicht, die Bereitstellung besonderer Räume oder die Bestimmung einer Reihenfolge bei der Akteneinsicht weniger Probleme für ihre
205 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 44. Vgl. auch Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 47. Bei der Abwägung sind die neu technischen Möglichkeiten (z.B. Speicherung in CD-ROMs) mitzuberücksichtigen. So zurecht Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 29. 206 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 19; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 19; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.1; VGH München, NVwZ 1990,778. 207 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 20. Kein Verweigerungsgrund ist dagegen die Tatsache, daß die Akten dem Behördenleiter oder dem Sachbearbeiter vorliegen; nur der Zeitpunkt der Akteneinsicht kann dadurch beeinflußt werden. S. Kopp, Rdn. 20; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 5, S. 245; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.1; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. Zur Bedeutung des Schutzes von Gewährsleuten s. Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 182 ff mwN. 208 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 44; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 21. 209 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 45. 210 Vgl. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 22; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 38; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Funktionsfahigkeit bereitet werden können 211 . Im allgemeinen ist die Gefahr nicht abstrakt, sondern nach der aktuellen Gefährdungslage zu beurteilen 212 .
3. Versagung aufgrund des Schutzes des Staatswohls Nach § 29 I I (2. Alternative) VwVfG ist die Behörde zur Einsichtsgewährung nicht verpflichtet, soweit das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde 213 . Die Regelung ist in vielen Vorschriften des materiellen Rechts und des Prozeßrechts enthalten 214 . Der unbestimmte Rechtsbegriff kann damit als genügend konkretisiert betrachtet werden 215 .
2Π Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 44; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 21; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288.
212 Dazu zurecht Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 47. Ähnlich Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 47. 213 Geschützt werden der Bund und die Länder als Staatspersonen und nicht die jeweiligen Regierungen. Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 22. 214 s. z.B. die §§ 99 I VwGO, 119 SGG, 86 II FGO, 54 III und 96 StPO, 376 IV ZPO, 5 II Nr. 2 VwVfG, 19 IV Nr. 2 BDSG, 62 I BBG, 39 III BRRG. 215 Dazu Peter Häberle, "Gemeinwohljudikatur" und Bundesverfassungsgericht, AöR 1970, S. 86 ff; derselbe, Die Gemeinwohlproblematik in rechtswissenschaftlicher Sicht, Rechtstheorie 14 (1983), S. 257 ff = derselbe, Europäische Rechtskultur, BadenBaden 1994, S. 323 ff. S. auch Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, S. 64; Hans Herbert v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Frankfurt a.M. 1977, S. 75 ff; Düwel, Amtsgeheimnis, S. 95 f; Helmut R. Külz, Das "Wohl der Allgemeinheit" im Wasserhaushaltgesetz, in: Festschrift für Paul Gieseke, Karlsruhe 1958, S. 187 ff (199, 219 ff); Kunig, in: Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, § 2, Rdn. 12 f mwN. Zur Begriffe 'Wohl" im positiven Recht s. Friedrich v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtbegriff, Diss. Marburg 1967, S. 13 ff, 131 ff und passim; Rupert Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, Berlin 1983, S. 202 ff; Hans-Heinrich Rupp y Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen - Bedeutung der Begriffe im Verwaltungsrecht, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, Vorträge und Diskussionsbeiträge der 36. Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 1968, Berlin 1968, S. 116 ff; Carl Hermann Ule, Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungsund Verwaltungsgerichte, ebenda, S. 125 ff; Hans Ryffel, Öffentliches Interesse und Gemeinwohl - Reflexionen über Inhalt und Funktion, ebenda, S. 13 ff (27). Vgl. auch BVerwGE 39, 291 (296); OVG Münster, OVGE 26, 176 (178). Zum benachbarten Begriff des Staatsgeheimnisses s. Adolf Arndt, Das Geheimnis im Recht, NJW 1960, S. 2040 ff; derselbe, Demokratische Rechtsauslegung am Beispiel des Begriffes "Staatsgeheimnis", NJW 1963, S. 24 ff; Hellmuth v. Weber, Zum Begriff des Staatsgeheimnisses, JZ 1964, S. 249 ff. S. auch Franz v. Liszt , Der Begriff des militärischen Geheimnisses, in: Festschrift für Heinrich Brunner, München, Leipzig 1914, S. 207 ff.
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
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Der Begriff des Staatswohls ist enger als derjenige des öffentlichen Interesses 216 Nachteile für das Staatswohl sind grundsätzlich Beeinträchtigungen oder Gefährdungen der äußeren oder inneren Sicherheit des Bundes oder eines Landes 217 , erhebliche Störungen der öffentlichen Ordnung, der freundlichen Verhältnisse zu anderen Staaten oder zu supranationalen und internationalen Organisationen218 oder der Funktionsfähigkeit von Verfassungsorganen oder wichtigen staatlichen Einrichtungen 219 . Fiskalische Interessen sind hier nicht erheblich, soweit nicht dadurch die Funktionsfähigkeit des Staates in Frage gestellt wird 2 2 0 . Die Beurteilung des Vorliegens trifft die aktenführende Behörde und nicht die oberste Dienst- oder Aufsichtsbehörde 221. Die Akteneinsicht wird verweigert, wenn durch ihre Gewährung eine Beeinträchtigung oder eine konkrete Gefährdung des Staatswohls vorliegt 222 . Dabei kommt auf eine abstrakte Betrachtung an 2 2 3 . Die bloße Möglichkeit eines Nachteils genügt nicht 2 2 4 . Allerdings kann bereits die Wahrscheinlichkeit eines Nachteils ein Nachteil für das Staatswohl sein 225 .
216
Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 23. S. auch W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 177 f. Zur Begrifflichkeit vgl. Hans Peter Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., Studienausg., Kronberg/Ts. 1977, S. 347 ff; Heinrich Triepel, Die Reichsaufsicht, Berlin 1917, S. 440 ff. 218 Welche Akten geschützt werden sollen, ist nicht immer eindeutig. Die Vertraulichkeit völkerrechtlicher Verhandlungen ist grundsätzlich zu schützen; aber nicht alle Akten des völkerrechtlichen Verkehrs stehen unter Geheimhaltung. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 48. 2 19 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 48; Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 27, § 29, Rdn. 23. Wichtige staatliche Einrichtungen, die dadurch geschützt werden, sind vorrangig die Verfassungsschutzbehörde und die Geheimdienste. 22 Bonk,, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 23; § 29, Rdn. 48; Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 27; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.2; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 283; Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 48. Nicht eindeutig bei Braun/v. Rotherg, VwVfG BW, § 29, Rdn. 6b. 22 1 Vgl. dazu Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 43. 222 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 23; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 5. 223 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 49, der die Affinität der Vorschrift mit § 99 I S. 2 VwGO betont. Vgl. dagegen § 96 StPO, der eine konkrete Betrachtung erfordert. 224 Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. Vgl. auch Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 247. 22 5 Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Bei der Verweigerung der Akteneinsicht aufgrund des Staatswohls stellt sich die Frage, ob es zulässig ist, die Interessen der Beteiligten an der wirksamen Verfolgung ihrer legitimen Ansprüche dem Staatswohl zu opfern. Dies ist grundsätzlich zu bejahen 226 , jedoch unter der Voraussetzung, daß die Behörde eine Abwägung zwischen den privaten und den öffentlichen Interessen vornimmt 2 2 7 . Allerdings kann die Verweigerung nicht als Mittel zur Hinderung der Verfolgung von Rechtsansprüchen des Beteiligten dienen 228 . Es ist deshalb erforderlich, der Behörde die Gründe der Verweigerung einleuchtend darzustellen 2 2 9 .
4. Versagung zum Schutz geheimzuhaltender Vorgänge Nach § 29 I I (3. Alternative) VwVfG ist die Behörde zur Gewährung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit die Vorgänge durch ein Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimzuhalten sind. Als Beispiel wird hier der Fall der Geheimhaltung wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen aufgeführt. Dieser Fall ist auch die einzige Ausnahme des Akteneinsichtsanspruchs in § 25 I I SGB X 2 3 0 . Der Schutz der Privatsphäre erfaßt vor allem die rechtlichen, persönlichen, familiären, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse sowie die Betriebsgeheimnisse der Beteiligten und Dritter 2 3 1 . Die Hervorhebung des Schutzes der Privatsphäre bedeutet allerdings im Fall des § 29 I I VwVfG nicht, daß nur diese
226 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 49; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 24; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.2. Vgl. auch VGH Mannheim, DVB1. 1974, 819. 227 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 49; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 24. 228 Dazu unter Bezug auf die amtlichen Begründung Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 18; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.2; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. 229 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 24 mwN. 230 Dazu v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 28 ff; v. Wuffeln, in: SchroederPrintzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/v. Wuffeln, SGB X, § 25, Rdn. 9; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 226 f. 231 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 51; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 5.3; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 21; Schoenemann, Akteneinsichtsrecht und Persönlichkeitsrecht, S. 523 f. S. auch Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 27 mwN aus der Rechtsprechung. Schutz genießen z.B. Akten über den Gesundheitszustand sowie die Einkommens- oder Vermögensverhältnisse.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Vorgänge geschützt werden, sondern dient nur der Klarstellung 232 . Geschützt werden ebenfalls Vorgänge aus dem staatlichen Bereich 233 . Soweit die Geheimhaltung in § 29 I I VwVfG dem Schutz individueller Rechte oder Interessen bestimmter Betroffener dient, ist die Verweigerung der Akteneinsicht nicht zulässig, wenn der Betroffene der Einsichtnahme zustimmt 234 . Die Zustimmung des Betroffenen hebt die Geheimhaltungsverpflichtung der aktenführenden Behörde auf. Voraussetzung ist allerdings, daß kein öffentliches Interesse, z.B. im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, besteht, jemanden vor seinen eigenen Akten zu schützen 235 . a) Vorgänge, die dem Wesen nach geheim sind Bei der Bestimmung der Vorgänge, die ihrem Wesen nach geheim bleiben müssen, orientiert man sich vorrangig an den Folgen ihres Bekanntwerdens sowie an der Bedeutung, die der der Geheimhaltung zur grundeliegende Zweck für die Rechtsordnung hat 2 3 6 . § 29 I I VwVfG räumt dabei keine besondere Position für private oder öffentliche Belange ein 2 3 7 . Allerdings ist aus § 30 VwVfG abzuleiten, daß bei der Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse und dem Interesse an der Akteneinsicht eine besondere Rolle dem Schutz privater Belange bezüglich der Intimsphäre eingeräumt ist 2 3 8 . In Frage kommt
Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 27; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. 233 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 27; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3. 234 Dazu Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 29; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 57. 235 Vgl. dazu OVG Münster, DVB1. 1974, 782 (Selbstmordgefahr). S. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 29; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 57; Clausen,, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 46; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 289. Contra Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 21; BVerwGE 82, 45 = DVB1. 1989, 880 = BayVBl. 1989, 536 = VB1BW 1989, 411 mit Anm. Lutteroti (in bezug auf Art. 2 I iVm Art. 1 I GG - krit. dazu Manferd Zuleeg, Fälle zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, 2. Aufl., München 1991, S. 168 f); BVerwG, NVwZ 1989, 1171; BVerwG, DVB1. 1989, 880 = BayVBl. 1989, 536; VGH München, NVwZ 1990, 777, die die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Betroffenen betonen. 236 Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 20; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 288. 237 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 53. Zurecht orientiert Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 249 auf eine Abwägung im Einzelfall. 238 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 53. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 28.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie der Schutz anderer Grundrechte 239 . Die dem Wesen der Vorgänge nach vorliegenden Geheimhaltungspflichten stehen den gesetzlichen Geheimhaltungspflichten gemäß § 29 I I VwVfG gleich 240 . Da sie aber eine Beschränkung subjektiven Rechts darstellen und sich auf keine gesetzliche Grundlage stützen, sind sie nach strengen Maßstäben zu ermitteln 241 und eng auszulegen242. Ob die Akten ihrem Wesen nach geheim sind, unterliegt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht völlig der gerichtlichen Kontrolle 243 . Zu den öffentlichen Vorgängen, die geheim gehalten werden müssen, gehören vorrangig nachrichtendienstliche und ähnliche Festellungen und Ermittlungsergebnisse, deren Inhalt Rückschlüsse auf die Organisation und Arbeitsweise des Verfassungsschutzes oder der Geheimdienste zuläßt sowie sonst ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigen oder gefährden kann 2 4 4 , weiterhin Sicherheitsakten 245 , vertrauliche Auskünfte 246 sowie Akten, die die Identität eines In-
239 Vgl. Bonk,, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 53; Kopp, VwVfG, §
29, Rdn. 26. 240 Vgl. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 26. Vgl. auch die krit. von Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 249. 241 Vgl. Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 23. 242 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 53; Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 53. 243 Vgl. Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 22 mwN. 244 BVerwGE 49, 89; E 50, 264; VGH München, BayVBl. 1975, 675 = MDR 1975, 873; VGH Kassel, NJW 1977, 1844; OVG Berlin, OVGE 12, 12, 3; Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 22; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 54; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 46; Ulei Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 7, S. 246. Nicht alle Akten des Verfassungsschutzes sind ihrem Wesen nach geheimzuhalten. S. Bonk, Rdn. 54 mwN; Ule!Laubinger, § 25, Rdn. 7, S. 246. Zur Behandlung der Ermittlungsakten der Kriminalpolizei und der Strafakten der Strafverfolgungsbehörden, wenn sie im Verwaltungsverfahren beigezogen werden, s. Bonk, Rdn. 54. Zum Begriff Staatssicherheit s. Wolf Bogumil Maertzel, Beweisverbote zwecks Geheimniswahrung, DVB1. 1966, S. 665 (667); Düwel, Amtsgeheimnis, S. 173 f; Jürgen Salzwedel, Möglichkeiten und Grenzen einer rechtsstaatlichen Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: Gedächtnisschrift für Hans Peters, Berlin, Heidelberg, New York 1967, S. 756 ff (772 ff, 792 ff); Hans-Peter Schneider, Rechtsschutz und Verfassungsschutz - Zur Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit durch Verwaltungsgerichte, NJW 1978, S. 1601 ff. 245 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 54 und Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3, unter Bezug auf BVerwGE 55, 186 = NJW 1978, 1643 = DöV 1978, 926 = ZBR 1979, 52 = DVB1. 1979, 846 ff mit krit. Anm. W. Wiese.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
formanten enthalten, dessen vertrauliche Auskünfte nicht offenbar falsch sind 247 . Von den privaten Vorgängen sind insbesondere Personalakten Beamter gegenüber Dritten geschützt, soweit dem nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse oder ein zwingendes Interesse Dritter gegenübersteht 248. Auch zu den öffentlich geheimzuhaltenden Vorgängen gehören, soweit sie nicht gesetzlich bereits geschützt werden, die familiäre Situation, Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie sonstige Vorgänge, die in die Persönlichkeits- und Intimsphäre fallen , Krankenakten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 251 . Nicht als ihrem Wesen nach geheim sind nach heute herrschender Meinung die Prüfungsakten anzusehen252.
246 Dazu Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 22 und Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3 unter Bezug auf OVG Koblenz, 1977, 266 (vertrauliche Auskunft der Handelskammer über einen Bewerber für eine öffentliche Bestellung als Sachverständiger) und die amtliche Begründung. ™ VG Ansbach, GewArch 1979, 20; VG Gießen, NVwZ 1992, 401; VGH München, BayVBl. 1987, 145; VGH München, BayVBl. 1988, 210; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 46; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 22; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 289; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungs verfahren, S. 6; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 161 ff. 248 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 30; § 29, Rdn. 55 und Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3 (jeweils mwN). S. auch Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 289; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 7, S. 246.
w Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 50; § 29, Rdn. 55 mwN. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 22; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 21. 250 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 55 mwN. 251 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 55; Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 22; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 21 (jeweils mwN); Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 7, S. 247. Vgl. auch KG, WuW/E OLG 3908 = AG 1987, 251 = ZIP 1986, 1614 = EWiR 1987, 261, mit Anm. Hans-Jürgen Ahrens. 252 Vgl. BVerwGE 91, 269 = NVwZ 1993, 677 = DVB1. 1993, 503 = DöV 1993, 481; E 92, 137, E 95, 237; E 95, 252 = NVwZ 1994, 1209; BVerwG, NVwZ 1993, 681 = DVB1. 1993, 844; BFH, NJW 1967, 2379; OVG Koblenz, NJW 1968, 1899; OVG Münster, NJW 1972, 2243 = JZ 1973, 242, mit zust. Anm. Hans-Uwe Erichsen; OVG Lüneburg, NJW 1973, 638; VGH Mannheim, DöV 1978, 336; VGH München, BayVBl. 1978, 309; VGH Mannheim, DöV 1986, 151; VG Berlin, NVwZ 1982, 578; VG Stade, Jagdrechtliche Entscheidungen V Nr. 153; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 30; § 29, Rdn. 56; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 26; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 23; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 289; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungs verfahren, S. 6 f; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 33; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 161. Contra BVerwGE 7, 153 = NJW 1958, 1837 = DöV 1958, 706; E 14, 31; E 19, 128; Ey ermann! F röhler, VwGO,
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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b) Geheimzuhaltende Vorgänge aufgrund eines Gesetzes Eine gesetzliche Geheimhaltungspflicht besteht, wenn durch eine Rechtsvorschrift 253 die Geheimhaltung zwingend vorgeschrieben wird 2 5 4 . Hierunter fallen insbesondere Datenschutzregelungen, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung konkretisieren 255 . Nicht gemeint sind jedoch die Vorschriften, die die Amtsverschwiegenheit des Verwaltungspersonals oder sonstiger Amtspersonen anordnen 256 . c) Einzelne Geheimhaltungsvorschriften In der Verwaltungspraxis ist die Geheimhaltungsvorschrift des § 30 VwVfG (Verwaltungsgeheimnis) von besonderer praktischer Bedeutung 257 . Von Bedeu§ 99, Rdn. 5; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 7, S. 246. Nicht eindeutig Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 29, Rdn. 6c. 253 Eine Verwaltungsvorschrift genügt nicht. S. Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 45. 254 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 52. 2 *5 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 52; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdn. 522. Hierunter sind das BDSG, die Datenschutzgesetze der Länder, die datenschutzrechtlichen Vorschriften der Polizeiund Verfassungsschutzgesetze der Länder, des BVerfSchG, des BNDG, des MADG, die §§ 67 ff SGB X zu zählen. Zurecht bemerkt aber Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3, daß in der Verwaltungspraxis sehr selten geschützte Daten als Verfahrensakten in Frage kommen. Es ist zusätzlich klarzustellen, daß die datenschutzrechtlichen Vorschriften einen relativen Grund für Akteneinsichtsverweigerung darstellen, da sie grundsätzlich die Daten gegenüber Dritten und nicht dem Betroffenen schützen. Andere Geheimhaltungsvorschriften befinden sich z.B. in den §§30 VwVfG, 30 u. 30a AO, Art. 10 GG iVm den §§ 5 ff PostG bzw. 10 FAG, in den §§ 11 BStatG, 3 u. 18 MRRG, 32 BBankG, 17 PachtkreditG, 35 SGB I. Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 5, Rdn. 27. 2 56 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 52; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 26; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 19. Zum Teil a.A. VGH Kassel, NVwZ 1994, 398 = DöV 1994, 1271; VGH Kassel, DVB1. 1994, 592; VGH Kassel, DVB1. 1994, 593. Contra Wolfi/Bachof, Verwaltungsrecht III, § 156 IVe 1. 257 Die Vorschrift ist in Baden-Wüttemberg und Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf den Datenschutz aufgehoben und durch § 3a LVwVfG BW, § 3a LVwVfG NRW ersetzt worden. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 5. Brandenburg hat keinen § 30 erlassen, sondern diesen Paragraphen freigelassen. S. § 3a BbgVwVfG. In Hamburg bestehen die Regelungen der §§ 3a und 30 HmbVwVfG nebeneinander. Vgl. auch § 2a I des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung (BerlVwVfG). Die Regelungen untersagen den Behörden Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer natürlichen Person sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unbefugt zu offenbaren und bestimmen (nicht die § 3a LVwVfG BW) über § 30 VwVfG hinaus, daß die Verarbeitung personenbezogener Daten den Vorschriften des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes unterliegt.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
tung sind auch die GeheimhaltungsVorschriften der § § 3 0 AO (Steuergeheimnis), § 35 SGB I (Sozialgeheimnis), § 139b I S. 3 GewO sowie die Vorschriften zum Schutz von Wirtschaftsgeheimnissen im Bereich des Umweltrechts 258 . Dadurch werden die wichtigsten Bereiche der Verwaltungstätigkeit durch spezifische Geheimhaltungstatbestände geschützt. Die Geheimhaltungstatbestände richten sich an Behörden und nicht an das Verwaltungspersonal 259. Eine Verletzung des § 30 VwVfG und der speziellen Geheimhaltungs Vorschriften während des Verfahrens wird nach den §§ 44 ff VwVfG bzw. den §§ 40 ff SGB X beurteilt, wobei sich die Frage stellt, inwieweit die Offenbarung des Geheimnisses das Ergebnis des Verfahrens beeinflußt 260 . Für Beteiligte im Sinne des § 13 VwVfG ist der gerichtliche Schutz bis zum Abschluß des Verfahrens aufgrund des § 44a VwGO ausgeschlossen261. Dem Beteiligten nach Abschluß des Verfahrens und dem Dritten stehen dagegen unmittelbar Widerrufs-, Unterlassungs-, Folgenbeseitigungs- und Schadenersatzansprüche zu 2 6 2 . aa) Das "Verwaltungsgeheimnis" (§ 30 VwVfG) Die §§ 29 I I und 30 VwVfG stehen miteinander in engem Zusammenhang. Die Vorschrift des § 30 VwVfG ist in das Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG hineinzulesen263. Die Beziehung ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 30 VwVfG, der erst nach Aufnahme des Akteneinsichtsan258
Vgl. auch Stelkens, Verwaltungs verfahren, Rdn. 290. Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 4; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 2.1; Franz-Ludwig Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984, S. 2241 ff (2242). 260 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 24. 259
261 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 24. Contra Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.5, der die Erteilung oder Verweigerung einer Auskunft als keine Verfahrenshandlung iS des § 44a VwGO betrachtet und dem Beteiligten die Möglichkeit gibt, unmittelbar eine vorbeugende Unterlassungs- oder Feststellungsklage zu erheben. So auch im Ergebnis Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 54, der die Offenbarung als Verfahrenshandlung betrachtet, ihr allerdings einen eigenständigen Charakter einräumt, der die Anwendung des § 44a VwGO ausschließt. 262 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 24; Otfried Seewald, in: Georg Wagganat, SGB I, Köln, Bonn, Berlin, München (Losebl., 5. Lieferung 1988), § 35, Rdn. 30 ff. Zu den Amtshaftungsansprüchen s. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.5; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 25; Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 30, Rdn 4; Hauck/Haines, SGB I, § 35, Rdn. 48, 50; BSGE 47, 118; vgl. BPatGE 21, 112 = GRUR 1979, 230 = BB 1979, 1421. Zur Folgenbeseitigungsklage s. BGH, NJW 1978, 1860; VGH Kassel, DöV 1988,468. 263 Hufen, Fehler im Verwaltungs verfahren, Rdn. 250; Peine, Verwaltungsrecht, Rdn. 199. Contra offensichtlich Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 164.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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spruchs in das VwVfG aufgenommen worden ist 2 6 4 . Zweck der Regelung ist es, ein Vertrauensverhältnis zwischen der Behörde und den Verfahrensbeteiligten aufzubauen 265. § 30 VwVfG ist als Korrektiv der durch § 29 I S. 1 VwVfG eingeführten Publizität des Verfahrens gedacht 266 . Dieser Zweck wird durch die Einräumung eines Anspruchs der Beteiligten auf Schutz ihrer Privatsphäre und ihrer Wirtschaftsgeheimnisse erreicht 267 . Nach dieser Ansicht besteht eine enge Verbindung zwischen § 30 VwVfG und dem Persönlichkeitsschutz, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Eigentumsgarantie 268. Diese Vorschrift hat daher Grundrechtsrelevanz 269. Mit § 30 VwVfG wird die traditionelle Befugnis der Behörden in Fällen, in denen keine gesetzliche Regelung vorliegt, insoweit beschränkt, als die Offenbarung nicht mehr im Ermessen der Behörde liegt 270 . § 30 VwVfG bewirkt aber kein allgemeines Verbot der Offenbarung von Geheimnissen. Dies hätte zur Konsequenz, daß die Wahrnehmung des Anspruchs des § 29 VwVfG vereitelt würde 271 . § 30 VwVfG gewährt dagegen einen Anspruch, der über § 29 I I VwVfG im Fall der Akteneinsicht eingreift und daneben das Verhalten der Beamten während des Ablaufs des Verfahrens bestimmt. § 30 VwVfG wirkt auch vor und nach Abschluß des Verfahrens und verpflichtet die Behörde, die Geheimhaltung einzuhalten 272 . Dies bedeutet, daß die Akteneinsicht der wichtigste Anwendungsbereich des § 30 VwVfG ist, nicht aber der einzige, weil sie alle Verfahrensstadien begleitet. Das Verhältnis des § 30 VwVfG zu den anderen 264
Zur legislativen Geschichte s. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 1; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 1. 265 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 2; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 2, 4; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 1; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 2 f. 266 Vgl Schmidt-Aßmann, Die Grundgedanken des Verwaltungsverfahrens, S. 519. 267
Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 2. Vgl. dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 2. S. auch Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 2; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 2. 269 S. auch dazu Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 1, der auf die Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip hinweist, sowie Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 283 f. 270 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 3. Vgl. auch Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 5. ™ Vgl. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 5.3. 272 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 4, 23; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 2. Zur Frage einer Anwendung des § 30 VwVfG kraft allgemeinen Rechtsgrundsatzes außerhalb des Bereichs des VwVfG s. Bonk, Rdn. 5. Eine analoge Anwendung des § 30 VwVfG auf Verwaltungsverfahren zum Erlaß von Rechtsverordnungen oder Satzungen sowie bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch privatrechtliche Handlungen sieht dabei Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 2. Zweifelnd jedoch Clausen, in: Knack, VwVfG, 30, Anm. 3.1. 268
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Geheimhaltungsvorschriften wird von der Subsidiaritätsklausel des § 1 I VwVfG reguliert. Demgemäß tritt § 30 VwVfG hinter inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bundes- oder Landesvorschriften zurück 273 . Anspruchberechtigter ist der Beteiligte sowie Dritte, deren Geheimnisse der Behörde in einem früheren oder im Rahmen des laufenden Verfahrens bekannt gemacht geworden sind 274 . Anspruchsverpflichteter ist die Behörde, die das Verfahren führt oder geführt hat, und nicht der einzelne Bedienstete 275 . Die Wahrnehmung des Anspruchs erfordert keinen Antrag und ist von der Behörde von Amts wegen zu beachten276. Gegenstand des Anspruchs gemäß § 30 VwVfG ist die befugte Offenbarung von Geheimnissen der Beteiligten durch die Behörde. Dabei ist eine Abwägung der kollidierenden Interessen erforderlich 277 . Die Vorschrift bestimmt nicht, welche Vorgänge dadurch geschützt werden. Wenn die Geheimhaltung nicht durch eine besondere Vorschrift angeordnet ist, ist der Geheimnisbegriff nach dem an den Kriterien eines vernünftigen Betrachters orientierten mutmaßlichen, verobjektivierten Interesse des Beteiligten an der Geheimhaltung zu beurteilen 278 . Wegen der Konsequenzen, die die Anerkennung eines Vorgangs als Geheimnis hat, genügt dem Gesetzgeber nicht nur der subjektive Geheimhaltungswille des Beteiligten wie in anderen Rechtsbereichen, sondern für die Gewährung des Schutzes des § 30 VwVfG ist notwendig, daß der Vorgang objektiv geheimhaltungswürdig ist 2 7 9 . Der Geheimnisbegriff 273 Solche Vorschriften sind z.B. die §§ 10 II u. III BImSchG, 7 IV AtG, 9 KWG, 11 BStatG, § 10 UVPG. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 3 mwN. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 2. Nur eine Teilinhaltsgleichheit weisen dagegen die Datenschutzvorschriften auf, mit dem Ergebnis, daß sie und § 30 VwVfG in einem Komplementärverhältnis stehen. S. Bonk, Rdn. 3. § 30 VwVfG ist als andere Vorschrift iS der §§ 15, 19, 20, 21 BDSG anzusehen. S. Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdn. 524. 274 Kopp, VwVfG, § 309, Rdn. 6; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.1; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 21; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 6 ff. Bonk stimmt auch unter Umständen einem Geheimhaltungsanspruch der Angehörigen oder Erben eines Geheimnisträgers zu, wenn sie ein eigenes oder derivatives Interesse an der Geheimhaltung behaupten. Nur auf den Beteiligten iS des § 13 VwVfG beschränken dagegen den Anspruch Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 30, Rdn. 2. 275 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 22; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 9 ff. Verpflichtet zur Geheimhaltung werden auch die Behörde, die Geheimnisse im Rahmen der Amtshilfe erfahren haben. 276 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 23. 277 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 7. 278 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 7. S. auch Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 5; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.2. 279 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 7; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.2; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefug-
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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anderer Rechtsbereiche ist somit für die Bestimmung des Gegenstands des § 30 VwVfG relevant, aber unter dem Vorbehalt, daß er mit dem Zweck der Regelung im Einklang steht 280 . Nach einhelliger Meinung umfaßt der Begriff des Geheimnisses "alle sich auf einen bestimmten Rechtsträger und dessen Lebensverhältnisse beziehende Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein Interesse hat" 2 8 1 . Der Begriff des Geheimnisses steht folglich in einer engen Verbindung zum Schutz der Privatsphäre 282. Geschützt werden dadurch insbesondere alle personenbezogenen Einzelangaben über persönliche, familiäre, wirtschaftliche oder sonstige sachliche Verhältnisse 283 , allerdings, anders als in § 30 A O 2 8 4 , nur, wenn sie eine Geheimhaltung erfordern, wie z.B. Angaben über gesundheitliche Verhältnisse 285 oder den psychischen Zustand 286 einer Person, sowie Betriebsund Geschäftsgeheimnisse 287.
nis im Verwaltungsverfahren, S. 2244. So auch im Ergebnis Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 7. 280 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 7. 281 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.2; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 16; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbeftignis, S. 2243. Vgl. auch Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 8. 282 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 8. 283 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 8 mwN; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 5; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 9; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.2. S. auch Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 17 ff. Zur Behandlung asylbezogener Angaben des Asylbewerbers, die dieser vor der Behörde im Rahmen seiner Anhörung macht s. VGH München, BayVBl 1988, 631 = RDV 1989, 82; Helmut Rittstieg, Die informationelle Selbstbestimmung des Asylbewerbers, InfAuslR 1984, S. 122 ff; OLG Hamburg, JR 1986, 167; Κ Meyer, Zur strafrechtlichen Verwertbarkeit einer im Asylverfahren erfolgten Selbstbezichtigung eines Asylbewerbers, JR 1986, 170 ff. 284 Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 7. 285 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 9; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 9. 286 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 9; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 18. 28 ? Dazu vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 10; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 5 mwN; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 7, 10; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.2; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 28; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 166 ff; ausführlich Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 218 ff. Vgl. auch Achim-Rüdiger Börner, Die Verfahren nach §§4, 11 EnWiG, insbesondere Auskunftsrecht und Geheimhaltung, RdE 1985, S. 182 ff.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
§ 30 VwVfG schützt vor unbefugtem Offenbaren. Dies bedeutet, daß die Geheimhaltung unter Offenbarungsvorbehalt steht 288 . Bei dem Offenbarungsvorbehalt geht es um die Feststellung durch eine - gerichtlich voll nachprüfbare - Abwägung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrunds, die die Offenbarungssperre beseitigt 289 . Eine Offenbarung kann sich durch alle Formen aktiven Handelns vollziehen, einschließlich private Gespräche, schlüssiges Verhalten und Unterlassen 290, sowie die Gewährung der Akteneinsicht unter Verstoß gegen § 29 I I VwVfG 2 9 1 . Es spielt keine Rolle, wie die Kenntnis der Behörde begründet wurde 292 , ob sich die Offenbarung vorsätzlich oder fahrlässig vollzieht 293 , zu welchem Zweck sie vollzogen wurde 294 oder ob sie gezielt ist oder nicht 2 9 5 . Einzige Voraussetzung der Offenbarung ist, daß einem Dritten eine Information bekannt wird, die ihm noch nicht oder nicht sicher bekannt war 2 9 6 . Dies bedeutet, daß die Bestätigung einer vermutlich bekannten Information eine Offenbarung im Sinne des § 30 VwVfG darstellt 297 . Als Offenbarung gilt auch die Verbreitung der Informationen innerhalb der Behörde, aber außerhalb des für die Erledigung der Verwaltungsaufgabe zuständigen Personals sowie die Informationsgewährung im Rah-
288 vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 11 unter Bezug auf BVerwGE 74, 115(119). S. auch Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 58 ff. 289 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 11. 290 Eingehend dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 12. S. auch Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.3; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 3; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 6; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 33 ff; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis, S. 2244 (jeweils mwN). Vgl. auch Friedrich E. Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil, Berlin, New York 1979, § 35, Rdn. 16. 291 Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.3; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 35. Contra Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 3. 292 Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 8; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 30. Vgl. auch Düwel, Das Amtsgeheimnis, S. 103. 293 Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 4. Vgl. auch Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 6; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 12; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.3. 294 Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 3. 29 5 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 12. 296 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 12; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.3. 297 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 12, 18; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 9 (jeweils mwN). Vgl. auch Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.4.4.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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men der Amtshilfe 298 . Beide Fälle werden als unzulässige Offenbarungen betrachtet 299 . § 30 VwVfG enthält keinen Nachweis bezüglich der Befugnis zur Offenbarung. Es ist jedoch mit Hilfe paralleler Vorschriften möglich, einige Fälle zu systematisieren. Die Offenbarungsbefugnis besteht zunächst im Fall der Zustimmung des Beteiligten, weil es sich hier um ein subjektives öffentliches Recht handelt und der Verzicht des Anspruchsberechtigten prinzipiell möglich ist 3 0 0 . Die Zustimmung ist grundsätzlich vor der Offenbarung zu erteilen, obwohl im Einzelfall auch eine rückwirkende Zustimmung zulässig ist 3 0 1 . Zulässig kann die Offenbarung auch aufgrund einer speziellen Rechtsvorschrift 302 sein. Gesetzestechnisch nehmen solche Offenbarungsvorschriften die Form einer Ermächtigung oder Verpflichtung zur Offenbarung an 3 0 3 . Eine nähere Prüfung im Einzelfall ist jedoch erforderlich, um zu bestimmen, ob eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis besteht 304 . Die Offenbarungsbefugnis besteht schließlich nach 298
Vgl. Bonk,, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 19 f. Differenzierend etwa Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 6. 299 Eingehend Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 19 f; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 15 ff. Umstritten ist noch die Frage der Amtshilfe. Die Unzulässigkeit der Offenbarung vertritt Bonk, Rdn. 20; Borgs, Rdn. 22; Kopp, VwVfG, § 5, Rdn. 18; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 38. Contra Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.4.2; Bullinger, Wettbewerbsgefährdung durch präventive Wirtschaftsaufsicht, S. 2126; U le/ Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 23, Rdn. 10, S. 232. Für die Subsumtion des § 30 VwVfG als Gesetz iS des § 5 II S. 2 VwVfG spricht besonders das systematische Argument, daß die Zulässigkeit der Amtshilfe nach dem Recht der - hier der Geheimhaltung verpflichteten - ersuchten Behörde zu beurteilen ist. S. dazu Bonk, Rdn. 20. Eine Offenbarung im Rahmen der Amtshilfe kann jedoch zulässig sein, wenn dies von der Amtshilfevorschriften vorgeschieben ist. S. Obermayer, Rdn. 43 ff. 300 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 14; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 11; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 3.4.1; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 46 ff. Die Zustimmung wird als Verzicht oder Einverständnis, auch formlos, erteilt. Es spielt keine Rolle, ob die Behörde die Information von den Betroffenen oder anders erhalten hat. S. Clausen, Anm. 3.4.1; Obermayer, Rdn. 48. Vgl. auch Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 18. 301 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 14. Die Zustimmung kann sich aus schlüssigem Handeln ergeben, nicht aber aus das Schweigen des Berechtigten allein abgeleitet werden. S. Bonk, Rdn. 14; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 14. 302 Verwaltungsvorschriften können nicht als Rechtsgrundlage fungieren. S. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 13. 3 3 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 15; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 7. Vgl. auch Ole/ Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 23, Rdn. 10, S. 232; Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 20. 304 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 15; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 42. Solche Vorschriften sind z.B. die sonstigen Mitteilungspflichten 33 Trantas
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wenn die Offenbarung zur Wahrung eindeutig höherrangiger Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des Einzelnen erforderlich ist 3 0 5 . Dabei ist eine Güterabwägung erforderlich, in der der Schutz der Privatsphäre eine bedeutende Rolle einnimmt 306 . Die Offenbarungsbefugnis muß den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und ist streng auszulegen307. Danach ist eine Offenbarungsbefugnis kraft Güterabwägung grundsätzlich nur dann als zulässig anzusehen, wenn die Offenbarung die faktisch einzige Möglichkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Verwaltungsaufgaben ist und sich auf das erforderliche Maß beschränkt 308 . Bezüglich des Verhältnisses des § 30 VwVfG zu § 29 I I VwVfG ist zu bemerken, daß über § 30 VwVfG eine Modifizierung des § 29 I I VwVfG entsteht, insoweit als § 30 VwVfG den Ermessenstatbestand des § 29 I I VwVfG verdrängt und eine Offenbarung der Akten nur unter den eigenen Voraussetzungen zuläßt 309 . bb) Das Sozialgeheimnis § 35 SGB I n.F. gestaltet 310 das Sozialgeheimnis als subjektives öffentliches Recht des Bürgers 311 und als besondere Bindung der Sozialverwaltung an die Geheimhaltung 312 und konkretisiert insoweit das Recht auf informationelle an Strafverfolgungsbehörden. S. auch § 116 BSHG, § 99 VwGO, § 153a GewO. S. Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.4.2. Keine Offenbarungspflichten enthalten die Auskunftspflichten gegenüber der Presse nach den presserechtlichen Vorschriften. S. Bonk, Rdn. 16; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 5; Clausen, Anm. 3.4.2; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 52. 305 Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 7; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 21, §30, Rdn. 23; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 23, Rdn. 10, S. 232; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.4.3; Obermayer, VwVfG, § 30, Rdn. 51, 51c. 306 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 17; Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 7. Vgl. auch Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 12. 307 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 17; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis, S. 2245. Vgl. auch Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 30, Rdn. 24; Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 30, Rdn. 3. 308 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 30, Rdn. 17. Dazu auch Clausen, in: Knack, VwVfG, § 30, Anm. 3.4.3 mwN aus der Rechtsprechung. 309 Dazu Kopp, VwVfG, § 30, Rdn. 8. 310
Zur legislativen Geschichte s. Bley, in: Helmar Bley/Wolfgang Gitter/Hans-Joachim Gurgel/Helmut Heinze/Anton Knopp/Paul Müller/Norbert Schneider-Danwitz/Kurt Schroeter/Günther Schwerdfeger, Gesamtkommentar SGB/Sozialversicherung, Wiesbaden, Losebl., Bd. 1, § 35 SGB I, Anm. la; Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 10 ff. S. auch § 6 AFG. 311 Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 21 f. 3 12 Dazu im allgemeinen s. Dieter Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Kommentar, 3. Aufl., München, Losebl., Stand 1991, § 35 SGB I; Kurt Röhr/Horst
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Selbstbestimmung313. Auf § 35 SGB I verweist § 25 I I I SGB X für die Konkretisierung der Akten, in die die Behörde nicht zur Einsichtnahmegewährung verpflichtet ist. Allerdings wird dadurch der Verweigerungsgrund des § 25 I I I SGB X durch eine Verpflichtung zur Verweigerung aufgrund des § 35 SGB I umgewandelt 314 . Die in § 25 I I I SGB X vorgesehene Abwägung ist somit nur für die Vorgänge vorzunehmen, die nicht unter das Sozialgeheimnis fallen 315 .
Sträßer, Bundesversorgungsrecht, 6. Aufl., Sankt Augustin, Losebl., Stand 1992, VfG Kommmentar IX, Anm. 4 ff; Norbert Henke, Mitwirkung des Leistungsberechtigten und Gemeinhaltung der Leistungsträger nach dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs, VSSR 1976, S. 41 ff; Walter Becker, Die Geheimhaltungspflicht nach dem SGB, Zeitschrift für Fürsorgenwesen 1977, S. 193; Lothar Florian, Die Geheimhaltungspflicht des Rentenversicherungsträgers über medizinische Daten des Leistungsberechtigten, DRV 1977, S. 141 ff; Ernst Böhm, Geheimhaltung nach § 35 SGB I, Versorgungsbeamte 1980, S. 14 ff; Herbert Rische, Die Neuregelung des Sozialgeheimnisses in § 35 SGB I und der Schutz der Sozialdaten im SGB X, DRV 1980, S. 379 ff; Friedrich E. Schnapp, Grenzen der Amtshilfe in der Sozialversicherung, in: Festschrift für Georg Wannagat, Köln, Berlin, Bonn, München 1981, S. 449 ff; derselbe, Öffentliche Interessen und private Belange im Verfahren der Sozialversicherungsträger, Sgb 1980, S. 177 ff; Feuke Steinbömer, Amtshilfe und Geheimhaltungspflicht, DVB1. 1981, S. 340 ff; Karl Heinz Casselmann/Rainer Gundlach, Sozialgeheimnis und rechtfertigender Notstand, Sgb 1981, S. 92 ff; Rüdiger Neumann-Duesberg, Geheimhaltung nach § 35 SGB I in der Praxis, BÄK 1977, S. 62 ff; derselbe, Sozialrechtliche Verwaltungsverfahren und Schutz der Sozialdaten neu geregelt, Die Betriebskrankenkasse 1981, S. 6 ff; Ernst Böhm, Geheimhaltung nach § 35 SGB I, VersorgB 1980, S. 14 ff; Otto Kästner, Zur Offenlegung von Handakten der Bewährungshilfe, Muß der Bewährungshelfer die Einsicht in seine Handakten dulden?, BewHi 1982, S. 320 ff; Wilfried Klässer, Erste Erfahrungen mit dem Sozialgeheimnis, DRV 1982, S. 160 ff; Kurt Maier, Die Sphinx des Sozialgeheimnisses bei besonders schutzwürdigen Daten, Sgb 1983, S. 89 ff; Peter Krause/Robert Steinbach, Steuer- und Sozialgeheimnis im Gewerberecht, DöV 1985, S. 549 ff (554 ff); Adalbert Podlech, Die Bedeutung des Sozialgeheimnisses für das sozialgerichtliche Verfahren, ZfSH/SGB 1985, S. 1 ff; F olker Bittmann, Das Sozialgeheimnis im Ermittlungsverfahren, NJW 1988, S. 3138 f. S. auch § 7 AFG, § 13 Ausbildungsförderungsgesetz. Vgl. bereits Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 1 ff (allerdings vor dem Volkszählungsurteil und unter der Geltung des § 35 a.F. SGB I). S. auch Kurt Friede/Peter Krause, Personenbezogene Informationen im Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung und das Persönlichkeitsrecht der Versicherten, Bonn 1988; Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 4 ff. 314 Vgl. Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozi al Verwaltung und Justiz, S. 252 f. 315 Vgl. Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozialverwaltung und Justiz, S. 253. S. auch Herbert Prochnow, Geheimhaltung und Einsichtsrecht bei der Akteneinsicht im Sozialverwaltungsverfahren, in: Beiträge zum Sozialrecht - Festgabe für Hans Grüner, 1982, S. 463 ff; Hauck/Haines, SGB X 1,2, § 25, Rdn. 14 ff; vgl. Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 11. Zurecht bemerkt v. Mutius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 33, die Tatsache, daß § 25 SGB X und § 35 n.F. SGB I Teil des selben Gesetzes 313
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Nach § 35 I S. 1 SGB I hat jede betroffene natürliche und juristische Person 3 1 6 eine Anspruch darauf, daß einzelne Angaben ihrer persönlichen und sachlichen Verhältnisse 317 vom jeweiligen Leistungsträger als Sozialgeheimnis gewahrt und nicht unbefugt offenbart werden 318 . Wie die Vorschrift klarstellt, handelt es sich hier nicht um den Schutz aller Vorgänge, die der Sozialverwaltung bekannt sind, sondern nur personenbezogener Daten im Sinne des BDSG. Zu den geschützten persogenenbezogenen Daten gehören auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (§ 35 IV SGB I ) 3 1 9 . Dabei ist unerheblich, auf welche Weise der Behörde die personenbezogenen Daten bekannt geworden sind 320 . Der Schutz der personenbezogenen Daten geht über diesen Anspruch hinaus, und aus § 35 I S. 2 SGB I ergibt sich eine zusätzliche Verpflichtung der Behörde zur Wahrung des Datenschutzes personenbezoger Daten 321 . Dabei ist die Behörde verpflichtet, alle erforderlichen organisatorischen und technischen Maßnahmen zu treffen 322 .
sind und nicht mit der Auslegungregel lex specialis-lex generalis ausgelegt werden können. 316 S. Harry Rohwer-Kahlmann/Heinz Ströer, Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil, München 1979, § 35, Rdn. 2; Bley, in: Gesamtkommentar, § 35 SGB I, Anm. 2. Der Kreis der Berechtigten ist somit weiter als im BDSG gefaßt. Vgl. aber auch HauckJHaines, SGB I, § 35, Rdn. 5; Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 18 mwN, die die Berechtigung der juristischen Personen in Hinblick des § 35 IV SGB I verneinen. 317 Vgl. dazu Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 9 ff; Wolfgang Schott, Die Geheimnispflicht der Sozialversicherungsträger nach dem Sozialgesetzbuch I und X, Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris 1991, S. 32 ff; HauckJHaines, SGB I, § 35, Rdn. 21 ff; ausführlich Bley, in: Gesamtkommentar, § 35 SGB I, Anm. ld, 4; Josef Medding, Das Sozialgeheimnis und seine Durchbrechungen, Sgb. 1986, S. 55 ff (56). 318 vgl. Wolfgang Gitter, Sozialrecht, 3. Aufl., München 1992, S. 298 f; Schott, Die Geheimnispflicht der Sozialversicherungsträger, S. 12 ff. 319 Vgl. dazu Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 15; HauckJHaines, SGB I, § 35, Rdn. 27 ff; Schott, Die Geheimnispflicht der Sozialversicherungsträger, S. 36 ff; Bley, in: Gesamtkommentar, § 35 SGB I, Anm. 11; Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 17. 320 Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 8. 321 Statt vieler Otto Mallmann/Stefan Walz, Datenschutz bei Sozial- und Jugendämtern nach der Neuregelung des Sozialgeheimnisses im SGB, in: Mörsberger (Hrsg.), Datenschutz im sozialen Bereich, S. 28 ff (30); HauckJHaines, SGB I, § 35, Rdn. 31 ff. 322 Eingehend Bley, in: Gesamtkommentar, § 35 SGB I, Anm. 6f, 7. Dazu gehören unter anderem die Schweigepflichten der Amtsträger der Sozialverwaltung. Vgl. bereits Otfried Götzen, Geheimhaltungspflicht bei Beratungen der Organe in der sozialen Selbstverwaltung, BB 1956, S. 819 f; Klaus Bungert, Über das Problem der Schweigepflicht der Organmitglieder, SozSich 1958, S. 373 f; Gerhard Wilke, Ärztliches Berufsgeheimnis und Versorgung nach dem BVG, KOV 1955, S. 49 ff; derselbe,
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Verpflichtete Behörden sind gemäß § 35 I S. 1 SGB I die Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I sowie die in § 35 I S. 4 SGB I und § 69 SGB X genannten Stellen, insbesondere die öffentlich-rechtlich organisierten Verbände, Arbeitsgemeinschaften und Vereinigungen der Leistungsträger 323. § 78 SGB X erweitert die Pflicht auf die übrigen Verwaltungsstellen, die Sozialdaten verwalte« 324 ten § 35 I S. 3 SGB I ist ein Beispiel verbotener Offenbarung. Danach sind personenbezogene Leistungs- und Versicherungsdaten der Beschäftigten oder ihrer Angehörigen nicht den Personen, die Personalentscheidung treffen oder dabei mitwirken können, zugänglich zu machen. Das Offenbarungsverbot bezweckt, den Versicherten gegenüber dem Arbeitgeber zu schützen, und dient unmittelbar der Begründung eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und der Sozialverwaltung. Im übrigen enthält § 35 SGB I keinen Hinweis darauf, welches die unbefugten Offenbarungen sind. Er verweist insoweit auf §§ 67 ff SGB X 3 2 5 . Gemäß § 67 SGB X ist die Offenbarung nur dann zulässig wenn der Betroffene im Einzelfall der Offenbarung schriftlich zustimmt oder wenn ein Offenbarungstatbestand der §§ 67a-71 SGB X vorliegt 326 . Im Zweifel ist zugunsten der Geheimhaltung zu entscheiden327. Dies hat zur Konsequenz,
Amtsverschwiegenheit der Bediensteten der Versorgungsverwaltung, KOV 1959, 111; Otto Damian, Geheimhaltungspflicht und Zeugnisverweigerungspflicht der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen - Versuch einer Bestandsaufnahme, NDV 1981, S. 202. 323 Vgl. Schnapp, in: Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 35, Rdn. 25; Schott, Die Geheimnispflicht der Sozialversichemngsträger, S. 35 ff; Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 20; Medding, Das Sozialgeheimnis und seine Durchbrechungen, S. 56; ausführlich Hauck/Haines, SGB I, § 35, Rdn. 6 ff und Bley, in: Gesamtkommentar, § 35 SGB I, Anm. 5. 324 Vgl. auch dazu s. Manfred Wienand, in: Anton Knopp/Otto Fichtner, BSHG, 7. Aufl., München 1992, § 116 Rdn. 20 f. § 35 SGB I verpflichtet nicht den einzelnen Bediensteten, sondern unmittelbar die Leistungsträger. S. Medding, Das Sozialgeheimnis und seine Durchbrechungen, S. 56. 325 Schott, Die Geheimnispflicht der Sozialversicherungsträger, S. 46 ff; Hauck/Haines, SGB I, § 35, Rdn. 41 ff; Seewald, in: Wagganat, SGB I, § 35, Rdn. 23 f; derselbe, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, München (Losebl.), Bd. 1, § 35 SGB I, Rdn. 13 ff; vgl. auch Wilfried Wolff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 1991, § 9.3, S. 336. 326 Schott, Die Geheimnispflicht der Sozial versichemngsträger, S. 77 ff, 86 ff; Bley, in: Gesamtkommentar, § 35 SGB I, Anm. 9e; Jürgen Kerl, Staatsanwalt und Sozialgeheimnis, NJW 1984, S. 2444 ff (2444); Walter, Zur Auskunftspflicht der Sozialbehörden, S. 868; Medding, Das Sozialgeheimnis und seine Durchbrechungen, S. 57 ff. Vgl. hier auch BVerwGE 82, 56 = MedR 1989, 254 = NJW 1989, 2961 = CR 1989, 1112 = BayVBl 1990, 217 = RDV 1990, 87 (Vorlage von Patientenakten an den Landesrechnungshof). 32 ? Rohwer-Kahlmann/Ströer, SGB I, § 35, Rdn. 4.
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daß ohne vorherige Einwilligung des Betroffenen 328 die Akteneinsicht in personenbezogene Daten nicht zulässig ist 3 2 9 . cc) Das Steuergeheimnis Das Steuergeheimnis (§ 30 AO) stellt einen der ältesten 330 und bekanntesten 331 Geheimhaltungstatbestände dar. Im Rahmen des SteuerverwaltungsVerfahrens ist es die Grundlage der geschlossenen Öffentlichkeit des Verfahrens und verpflichtet sogar die Finanzbehörde und ihre Amtsträger nach Verfahrensbeendigung 332 . Für das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht erlangt das Steuergeheimnis Bedeutung, wenn es als Verweigerungsgrund im Sinne des § 29 I I VwVfG fungiert. Das Steuergeheimnis erlangt Relevanz im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht, wenn im Verfahren Akten beigezogen werden, die unter das Steuergeheimnis fallen. 328
Vgl. dazu Lothar Florian, Die Einwilligung des Betroffenen nach § 3 BDSG und § 35 SGB I/§ 67 SGB X, Deutsche Rentenversicherung 1980, S. 281 ff; Schott, Die Geheimnispflicht der Sozialversicherungsträger, S. 68 ff; Andreas Wittern, Grundriß des Verwaltungsrechts, 18. Aufl., Stuttgart, Berlin, Mainz 1994, § 9, Rdn. 32; Medding, Das Sozialgeheimnis und seine Durchbrechungen, S. 57. 329 Die Offenbarungstatbestände der § 69 I Nr. 1 SGB X (Offenbarung zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach dem Sozialgesetzbuch) und 74 Nr. 2 SGB X (Offenbarung zur privaten Geltendmachung eines gesezlichen oder eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Versorgungsausgleichs) können hier keine Anwendung finden. Dazu Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozialverwaltung und Justiz, S. 253. Großzügiger etwa v. Mutius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 33. 330 Zur Vorgeschichte der Vorschrift eingehend Peter Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, 9. Aufl, Losebl., Köln, § 30, Rdn. 1 ff; Koch, in: Karl Koch/Rolf-Detlev Scholz, AO 1977,4. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1993, § 30, Rdn. 1; Carl Koch/Björn Wolter, Das Steuergeheimnis, Köln 1958, S. 3 ff mwN; Johannes Gülow, Das Steuergeheimnis nach dem Reichssteuerrecht, Diss. Greifswald 1927, S. 15 ff; Horst Leise, Das Steuergeheimnis, Neuwied, Berlin 1965; Horst-Dieter Höppner, Steuergeheimnis, Gesetzmäßigkeit der Besteurung und Legalitätsprinzip, StuW 1969, Sp. 193 ff; Heinrich Wilhelm Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, München 1991, S. 344 f. Vgl. auch §§ 57, 75 PrEStG. Vgl. auch Hans Ehlers, Das Steuergeheimnis nach der AO 1977, BB 1977, S. 1361 ff. 331 Das steuerrechtliche Schrifttum ist fast unüberschaubar. 332 Die Anwendung des § 30 AO ist auch auf anderen Gebiete vorgesehen, wie z.B. auf das Kommunalabgabenrecht. S. z.B. § 3 I Nr. 1 c) KAG BW. Zur Frage der Wirkung des Steuergeheimnisses im internationellen amtlichen Informationsverkehr s. OECD-Europaratskonvention über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, EG-Amtshilfe-Gesetz und den bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen, wie z.B. Art XII des deutsch-schwedischen Rechtshilfevertrages (dazu BFHE 127, 104 = BB 1979, 613 = RIW/AWD 1979, 351, mit Anm. B. Runge = DStZ/A 1979, 253 = DB 1979, 1115). Dazu Stephan Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, Köln 1987; derselbe, Der Streit um den internationalen Auskunftsverkehr in Steuersachen, CR 1988,901 ff.
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§ 30 AO ist sowohl auf den Schutz von Privatinteressen 333 sowie auf das öffentliche Interesse an der Förderung der Bereitschaft der Steuerpflichtigen zur wahrheitsgemäßen Auskunft gegenüber der Steuerbehörde 334 gerichtet 335 . Das Steuergeheimis ist eine wichtige Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung 336 . Es ist ein Ausgleich privater und öffentlicher Interessen 337. Das Steuergeheimnis als solches ist keine Konkretisierung eines Grundrechts, jedoch ist die Geheimhaltung bestimmter Angaben und Verhältnisse verfassungsrechtlich geboten 338 . 333
Hans-Wolfgang Arndt, Grundzüge des Steuerrechts, München 1988, S. 104 weist hier zurecht daraufhin, daß für den Schutz von allgemeinen Interessen allein die Amtsverschwiegenheitspflicht genügend wäre. Der besondere Tatbestand des Steuergeheimnisses ist insoweit als Erweiterung des Schutzes auf die Steuerpflichtigen gedacht. 334 Zur Verbindung des Steuergeheimnisses mit dem staatlichen fiskalischen Besteuerungsinteresse bei der "Erziehung zur wahrheitsgemäßen Steuererklärung" (RGSt 65,45) vgl. Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 345. 33 5 Tipke/Kruse, AO, 14. Aufl., § 30, Rdn. 54; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 2; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 5 ff; Karl Schäfer, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn. 2. Es besteht eine Kontroverse bezüglich der Rangordnung der beiden Schutzzwecke. S. Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 2; Samson, in Rudolphi et al., StGB, Systematischer Kommentar, § 355, Rdn 2; Tipke/Kruse, Rdn. 54. Richtig ist aber die Bemerkung, daß die zwei Rechtsgüter nicht nebeneinander stehen und beide in den behördlichen Entscheidungen mitberücksichtigen werden sollen. Vgl. BFH, JZ 1980, 184. Dazu Schäfer, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn 4. Bathe y Abgabenordnung, in: Hans Jürgen Bathe/Thomas Karch/Ralf Sikorski, Steuerrecht I, 2. Aufl., München 1991, S. 17, glaubt im Steuergeheimnis eine Gegenleistung der Mitwirkung des Bürgers bei der Ermittlung des Steueranpruchs zu sehen. 336 Koch/Woltery Das Steuergeheimnis, S. 7 ff. 337 So Werner Pfäjfley Die befugte Offenbarung im Sinne des § 22 AO zu besteuerungsrechtlichen Zwecken, Diss. Würzburg 1967, S. 1 ff, 23 ff. 338 Kochy in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 3; Hellwigy in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO, § 30, Rdn. 9 ff; Rolf Kühn/Ruth Hofmann AO, 17. Aufl., Stuttgart 1995, § 30, Anm. 1; Karl Heinrich Friauf Das Steuergeheimnis aus verfassungsrechtlicher Sicht, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1984/85, S. 95 ff; Krause/Steinbach, Steuer- und Sozialgeheimnis im Gewerberecht, S. 550 f. S. auch BVerfGE 67, 100 (139 f, 142 ff) - Rick-Ausschuß; Klaus Stern, Die Kompetenz der Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG im Verhältnis zur Exekutive unter besonderer Berücksichtigung des Steuergeheimnisses, AöR 1984, S. 199 ff; Rupert Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, AöR 1980, S. 564 ff. A.A. Krusey Lehrbuch des Steuerrechts, S. 344, der das Steuergeheimnis als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezeichnet. Es ist nicht selbstverständlich, daß steuerliche Angaben und Verhältnisse geheim bleiben sollen. Dazu Klaus Tipke/Joachim Lang y Steuerrecht, 13. Aufl., Köln 1991, S. 45 f mwN aus ausländischen Erfahrungen mit öffentlichen Steuerregistern und der deutschen rechtspolitischen Diskussion. Zu bemerken ist, daß Tipke/Lang, S. 43 das Steuergeheimnis nach den rechtsstaatlichen Postulaten des Steuerrechts gliedern.
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Verpflichtet werden nach § 30 AO die Amtsträger. Gemeint sind damit die Beamten und Richter, sonstige in öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnissen stehende Personen, wie Minister, Personen, z.B. Angestellte im Außenprüfungsdienst, die sonst dazu bestellt sind, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen (§ 7 A O ) 3 3 9 . Der Kreis der Verpflichteten wird durch § 30 I I I AO erweitert 340 . Obwohl das Steuergeheimnis als eine Sonderform der Amtsverschwiegenheit erscheint 341 , sind die wirklichen Adressaten des Steuergeheimnisses die Behörden. Für die Amtsträger genügt die inhaltlich mit § 30 AO gleiche Vorschrift des § 355 StGB 3 4 2 . Da das Steuergeheimnis als Bindung der Amtsträger ausgestaltet ist, besteht nur die Schwierigkeit, den genauen Kreis der verpflichteten Behörden zu bestimmen. Das Steuergeheimnis erfaßt somit nicht nur die Finanzbehörde, sondern alle Behörden, die an Informationen im Rahmen des Steuerverwaltungsverfahrens gelangt sind. Ein zusätzliches Argument für eine Bindung der Behörde ist aus dem benachbarten Bereich des Zollrechts abzuleiten. Weil die Verwaltung der Zölle nur von der Zollverwaltung wahrgenommen wird und folglich die Informationen nur zu ihr gelangen können, spricht die zu § 30 AO parallele Vorschrift des Art. 15 des EG-Zollkodex (VO 2913/92/EG des Rates) für eine Geheimhaltungspflicht der Behör339 Dazu Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 15 ff; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 4 f; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 2; Michael Daumke, Grundriß der Abgabenordnung, Frankfürt a.M. 1988, S. 64; Schwarz, in: Bernhard Schwarz, AO, Freiburg i.B. (Losebl., 39. Lieferung 1987), § 30, Rdn. 8 ff. 340 Dazu Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 2; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 18 ff; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 6 ff; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 2; Schäfer, StG, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn 19 ff. 341 Das Steuergeheimnis ist eine Geheimhaltungsverpflichtung, die unabhängig vom Amtsgeheimnis besteht. S. Pfäffle, Die befugte Offenbarung, S. 4 ff. Es ist aber kein besonderer Unterfall, sondern aufgrund der erheblichen Einschränkungen der Amtsverschwiegenheitspflicht durch die Amtshilfe Vorschriften verselbständigt. Die Verletzung des Steueregeheimnisses stellt eine Amtspflichtverletzung i S des § 839 BGB iVm Art. 34 GG. S. Tipke/Lang, Steuerrecht, S. 45; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 353; Klein!Orlopp, AO, § 30, Anm. 7; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 32; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 106; Kühn!Hofmann, AO, § 30, Anm. 6. Wenn der Beamte außerhalb seiner Dienststellung handelt, kann auch § 823 II BGB als Anspruchnorm in Betracht kommen. S. Arndt, Grundzüge des Steuerrechts, S. 109. 342 § 355 StGB gestaltet als echtes Sonderdelikt die Offenbarung von Verhältnissen eines anderen oder von Betriebs- oder Betriebsgeheimnissen von einem Amtsträger (§ 11 I Nr. 2 StGB, § 7 AO), die ihm wegen eines Steuerverwaltungs- oder Steuergerichtsverfahren bekannt geworden sind. Die Straftat besteht ebenso für die im Rahmen eines Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitsverfahren, sowie der Amtshilfe erworbenen Tatsachen. Dazu statt vieler Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn 3 ff; Heinz Lohmeyer, Strafrechtliche Folgen der Verletzung des Steuergeheimnisses, Information StW 1978, S. 415; derselbe, Die strafrechtlichen Folgen der Verletzung des Steuergeheimnisses, BlStSozArbR 1981, S. 126.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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den 343. Entscheidend ist schließlich die Feststellung, daß § 30 AO ein subjektives öffentliches Recht auf Beachtung des Steuergeheimnisses enthält 344 , weil sich subjektive Rechte nur gegen Behörden und nicht gegen Amtsträger richten können. Das Steuergeheimnis verbietet die unbefugte Offenbarung oder Verwertung von Vorgängen 345 , die im Rahmen des Steuerverwaltungsverfahrens oder in gerichtlichen Verfahren aus Anlaß des Steuerschuldverhältnisses 346 bekannt geworden sind 347 , für fremde Zwecke. Schutzgegenstand des Steuergeheimnisses sind nach § 30 I I AO die "Verhältnisse eines anderen", d.h. alle persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Umstände, einschließlich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die den Steuerpflichtigen oder einen Dritten 348 betreffen 349 . 343 Dazu Klaus Reiche, in: Peter Witte, Zollkodex, München 1994, Art. 15, Rdn. 12. 344
Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 345, der zurecht aus der Dispositionsbefugnis des § 30IV AO eine systematisches Argument ableitet. 345 Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 3g; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 31 ff, 44 ff; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 16; Kühn/Hofmann, AO, § 30, Anm. 3b; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 346 ff. Der der Offenbarung den unbefugte Datenabruf gleichstellt (§ 30 II Nr. 3 u. VI AO). Dazu Klein/Orlopp, Anm. 3h, 6. Eine tatsächliche Offenbarung ist nicht erforderlich. S. Tipke/Kruse, AO, § 30, Rdn. 33a. 346 Vgl dazu Gerhard Mattern, Steuergerichte und Steuergeheimnis, BB 1970, S. 589 ff. 347 Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 3c ff; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 12 ff; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 3a; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 11; Karl Schäfer, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn. 12. Verwaltungsverfahren in Steuersachen ist die behördliche Tätigkeit mit dem Gegenstand der Steuern und steuerlichen Nebenleistungen (§ 3 I u. III AO), sowie Steuervergünstigungen (§ 1 I AO). Solche Verfahren sind insbesondere das Besteuerungsverfahren (§§ 155 ff AO), das Erhebungsverfahren (§§ 218 ff AO) und das Vollstreckungsverfahren (§§ 249 ff AO). Hierzu gehören auch die außergerichtlichen Rechtsbehelfe ieS (§§ 347 ff AO) und iwS (z.B. der Einspruch gemäß § 348 AO, die Beschwerde gemäß § 349 AO, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO oder der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 361 II AO) sowie das in abstracto eingeleitete Verwaltungsverfahren in Steuersachen (z.B. die Ermittlungen zur Festsetzung von Durchschnittssätzen nach § 23 UStG sowie die Innenrevisionsprüfungen). 348 Der "andere" muß nicht unbedingt Steuerpflichtiger sein. So aber früher in § 22 II Nr. 1 RAO. Dazu Schäfer, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn. 8. Nach BFHE 143, 503 = HFR 1985, 501 = NJW 1985, 2440 = DStR 1985, 775 = CR 1986, 712 = DB 1985, 1925 = DStZ/E 1985, 277 = BB 1985, 1716 erfaßt das Steuergeheimnis auch die Identität des Informanten, obwohl er nicht Auskunftspflichtiger ist. Krit. insoweit Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 3b, 3f. S. auch Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 5. 349 Dazu Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 3a; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/ Spitäler, AO, § 30, Rdn. 41 ff; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 11 f; Kühn/
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
§ 30 IV-V AO befaßt sich mit den Fälle, in denen die Offenbarung als befugt zu betrachten ist 3 5 0 . Diese Vorschriften enthalten Offcnbarungsbefugnisse, verpflichten aber nicht zur Offenbarung geschützter Verhältnisse und Geschäfts· und Betriebsgeheimnisse. Eine Offenbarungsbefugnis besteht zunächst, wenn der Betroffene zustimmt (§ 30 IV Nr. 3 AO) 3 5 1 . Nach § 30 I V Nr. 1 AO ist die Offenbarung zur Durchführung eines anderen steuerlichen Verfahrens sowie eines Steuerstraf- und Bußgeldverfahrens zulässig 352 . Die Offenbarungsbefugnis bezieht sich nicht nur auf den Informationsverkehr zwischen verschiedenen Finanzbehörden, sondern erfaßt alle Verwaltungsbehörden. Für das Verwaltüngsverfahrensrecht kann die Offenbarungsbefugnis des § 30 I V Nr. 5 AO Bedeutung haben, der eine Offenbarung aufgrund zwingenden öffentlichen Interesses erlaubt. Die Feststellung eines zwingenden, die Offenbarung fordernden öffentlichen Interesses erfolgt nach Abwägung durch die Behörde. Von den hier im Gesetz ausgeführten Beipielen ist die Ausnahme des § 30 I V Nr. 5 c) AO nennenswert, die zur Offenbarung ermächtigt, wenn dies für die Richtigstellung in der Öffentlichkeit erforderlich ist, um das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verwaltung zu bewahren 353 . Gemäß § 30 IV Nr. 2 AO ist ferner die OfHofmann, AO, § 30, Anm. 3a; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 345 f; Schwarz, AO, § 30, Rdn. 16 ff; Daumke, Grundriß der Abgabenordnung, S. 64. Das Steuergeheimnis erstreckt sich auch auf subventionelle Steuervergünstigungen. S. BVerfGE 67, 100 (141). Es ist allerdings fraglich, ob ein "Subventionsgeheimnis" besteht. 350 Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 20 ff; Schäfer, in: StGB, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn. 28 ff; Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 348 ff; Schwarz, AO, § 30, Rdn. 28f, 32 ff; Daumke, Grundriß der Abgabenordnung, S. 65 ff; Arndt, Grundzüge des Steuerrechts, S. 106 ff; Eberhard Göll, Steuergeheimnis und abgabenrechtliche Offenbarungsbefugnis, NJW 1979, S. 90 ff. 351 Dazu Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 4c; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 66 ff; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 4c; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 21; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 22 f. 352 S. Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 4a; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 66 ff; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 4a; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 21; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn 20; Schäfer, StGB, Leipziger Kommentar, StGB, § 355, Rdn. 32 f; Norbert Meier, Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) im Rahmen des gewerberechtlichen Untersagungsverfahrens gem. § 35 GewO?, GewArch 1985, S. 319 ff; Hans-Wolfgang Arndt, Steuergeheimnis, steuerliche Unzuverlässigkeit und gewerberechtliches Untersagungsverfahren, GewArch 1988, S. 281. Vgl. auch OVG Lüneburg, GewArch 1983, 188; VGH Kassel, GewArch 1983, 189. Die Offenbarungsbefugnis ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben. Dies kann unter Umständen zu einer Anonymisierung der Akten führen. Das Verwaltungsverfahren soll funktionell ein Verwaltungsverfahren iS des § 301 Nr. 1 a) AO sein. 353 S. dazu Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 4g; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/ Spitäler, AO, § 30, Rdn. 89; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 4e; Koch, in: Koch/ Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 29 f; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 31 mwN.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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fenbarung erlaubt, wenn ein Gesetz dies ausdrücklich, d.h. eindeutig und unmißverständlich, zuläßt 354 . Neben § 30 IV Nr. 1 ermöglichen die Ausnahmetatbestände des § 30 IV Nr. 4, 5 a-b, u. V AO die Verfolgung von Straftaten 355. § 30 I V Nr. 4 a-b sieht Fälle der Offenbarung aufgrund der Durchführung eines Strafverfahrens vor. § 30 IV Nr. 5 a-b erlaubt die Offenbarung, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, und § 30 V enthält eine Offenbarungsbefugnis gegenüber den Strafverfolgungsbehörden bei vorsätzlich falschen Angaben der Betroffenen 356 . Aus der Analyse der Offenbarungsbefugnisse des § 30 AO ergibt sich, daß nur bei Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses ein Rechtferti354
Dazu s. eingehend und mit Hinweisen auf die in Fragen kommenden gesetzlichen Vorschriften Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 4b; Hellwig, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO, § 30, Rdn. 64 f; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 19 f; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 4b; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 21 mwN; Schäfer, StGB, Leipziger Kommentar, § 355, Rdn. 34 ff. Es bestehen eine ganze Reihe von Vorschriften, die eine Befugnis zum Offenbaren enthalten. S. z.B. § 21 IV SGB X, § 125a II FGG, § 17 II Gesetz über das gerichtlichen Verfahren in Landwirtschaftssachen, §§ 19 II, 26 VI KostenO, § 7 II des Gesetzes über die Preisstatistik, § 25 III PBefG, das Gesetz über die Steuerstatistiken, § 144 II AFG, § 117 BSHG, § 8 II KWG. Die allgemeinen Vorschriften über Rechts- und Amtshilfe sowie über sonstige Mitwirkungspflichten stellen keine gesetzliche Vorschrift iS des § 30 IV Nr. 2 AO. Vgl OVG Hamburg, MDR 1981, 698. Erforderlich ist eine gesetzliche Vorschrift, die Behörden, die nicht im steuerlichen Verfahren tätig sind, die Berücksichtigung von steuerlichen Verhältnissen zur Pflicht macht. Auch Vorschriften, die Voraussetzungen enthalten, die nur Steuerbehörden bekannt sind, sind als Offenbarungsbefugnis zu betrachten, weil sonst ihr Vollzug vereitelt wird. Dies wird aber zurecht von einem Teil der Lehre kritisiert, weil dadurch eine unerhebliche Beschränkung des Steuergeheimnisses erfolgt. Vgl. Tipke/Kruse, AO, § 30, Rdn. 46. Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle ist insoweit erforderlich. Es ist umstritten, ob Landesgesetze Gesetze iS des § 30 AO darstellen, wenn es nicht um die entsprechende Anwendung der AO im Landessachen geht. Ablehnend Klein/Orlopp, Anm 4b. Die Frage hat praktische Konsequenzen, wenn das Land innerhalb seiner Gesetzgebungskompetenz ein Vorschrift erläßt, die ausdrücklich die Durchbrechung des Steuergeheimnisses zuläßt. Insofern als der Bund bis jetzt keinen Gebrauch der Rahmenkompetenz gemäß Art. 75 Nr. 2 GG gemacht hat, stellt sich die Frage insbesondere bezüglich des § 4 der Landespressegesetze, die ein Auskunftsrecht der Presse einräumen, das in Kollision mit § 30 AO stehen. Dazu eingehend Felix, Kollision zwischen Presse-Informationsrecht und Steuergeheimnis, S. 2134 ff, der eine "ausdrückliche" Beschränkung des Steuergeheimnisses durch die Pressegesetze leugnet und zurecht für eine Lösung der Kollision zugunsten des § 30 AO plädiert. Auch ablehnend OLG Hamm, NJW 1981, 356 = ZIP 1980, 1033 = DStZ 1980, 475, mit Anm. Hugo von Wallis = AfP 1981, 285 = JA 1981,427 mit Anm. W. Bottke. 355 Dazu Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, § 355, Rdn. 25f, 28, 29 f, 33. 356 Dazu Klein/Orlopp, AO, § 30, Anm. 4d-f, 5; Hellwig, in: Hübschmann/Hepp/ Spitäler, AO, § 30, Rdn. 69 ff, 80 ff, 92; Koch, in: Koch/Scholz, AO 1977, § 30, Rdn. 22 f, 26 ff, 30; Kühn/Hofinann, AO, § 30, Anm. 4d-e-f.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
gungsgrund für die Durchbrechung des Steuergeheimnisses bei der Gewährung von Akteneinsicht in einem Verwaltungsverfahren zu finden ist. Ob eine solche Abwägung zugunsten der Akteneinsicht zu entscheiden ist, bleibt im Hinblick auf den traditionellen Vorrang des Steuergeheimnisses im behördlichen Verfahren 3 5 7 zweifelhaft. Keiner der anderen Offenbarungsgründe kann als Rechtsgrundlage für die Erteilung der Akteneinsicht gegenüber den Verfahrensbeteiligte fungieren, weil die Offenbarungspflichten am Informationsverkehr zwischen den Behörden orientiert sind. Es ist deshalb anzunehmen, daß grundsätzlich das Steuergeheimnis einen absoluten Geheimhaltungsgrund darstellt 358 . Beim Vorliegen eines Steuergeheimnisses ist das Ermessen der Behörde gemäß § 29 I I VwVfG auf Null zu reduzieren und folglich das Akteneinsichtsbegehren zu verweigern. Das Steuergeheimnis kann aber nicht als Versteck für Pflichtverletzungen der Behörde dienen. Die Akteneinsicht kann danach in bestimmten Fällen gemäß § 3 0 I V Nr. 5 AO zulässig sein. dd) Geheimhaltung im Bereich der Gewerbeaufsicht Eine besondere gesetzliche Geheimhaltungspflicht im Sinne des § 29 I I VwVfG enthält § 139b I S. 3 GewO 359 . Danach sind die Gewerbeaufsichtsbehörden zur Wahrung der amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse der Anlagen verpflichtet, die ihrer Besichtigung und Prüfung unterliegen. Ihre Offenbarung ist nur zur Verfolgung von Gesetzwidrigkeiten und zur Erfüllung gesetzlich geregelter Aufgaben zum Schutz des Umweltrechts und nur gegenüber den zuständigen Behörden erlaubt. Zur praktischen Durchführung und Erleichterung des Vollzugs der Vorschriften haben die Länder Verwaltungsvorschriften erlassen 360. Verpflichtete sind die besonderen von der Landesregierung für diese Aufgabe ernannten Beamten sowie die ordentlichen Polizeibehörden, wenn sie dazu ihre Zuständigkeit behalten haben. § 139b I S. 1 GewO gestaltet eine über die allgemeine Pflicht jedes Beamten zur Amtsverschwiegenheit hinausgehende be357
Es ist bemerkenswert, daß bis jetzt kaum ein Fall von Straf- und Disziplinarverfahren wegen Verletzung des Steuergeheimnisses bekannt ist. S. Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, I, S. 353. 358 Vgl. hinsichtlich der beamtlichen Zeugenaussage Gerhard Rössler, Das Steuergeheimnis und die Stellung des Finanzbeamten als Zeuge vor Gericht, MDR 1969, S. 356 ff. 359 Gerhard Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, Berlin 1982, S. 45; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten im Bereich der Gewerbeaufsicht, GewArch 1980, S. 281 ff (287). Zu den Konkurrenzproblemen mit § 30 VwVfG eingehend Knorr, Geheimhaltung, S. 30 ff, 35 ff; derselbe, Probleme, S. 286 f. 360 Dazu Georg Kahl, in: Robert v. Landmann/Gustav Rohmer, Gewerbeordnung, Losebl., § 139b, Rdn. 24.
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sondere Verpflichtung der Gewerbeüberwachungsbeamten "zur Geheimhaltung der amtlich zu ihrer Kenntnis gelangenden Geschäfts- und Betriebsverhältnisse" 361 . Diese Pflicht entsteht jedoch nicht nur für die Beamten, sondern auch für die Gewerbeaufsichtsbehörde 362. Geltungsbereich der Vorschrift ist der Bereich der Tätigkeit der Gewerbeaufsicht 363 sowie die Vorschriften, die auf § 139b GwO verweisen 364 . Gegenstand der Geheimhaltungspflicht sind die Geschäfts- und Betriebsverhältnisse, die die Behörde bei der Revision von Anlagen erfahren 365 . Der Begriff der Anlage ist weiter als derjenige der überwachungsbedürftigen Anlagen zu verstehen und erfaßt alle Räumlichkeiten, Plätze, technischen Einrichtungen und Baustellen, die den sachlichen Bezugsgegenstand der Ausübung der in § 139b I S. 1 GewO aufgeführten Vorschriften bilden 366 . Der Begriff Geschäftsund Betriebsverhältnisse ist ebenfalls weiter als der Begriff Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu verstehen 367. Sie erfassen grundsätzlich alle Vorgänge, die mit dem Geschäfts- und Betriebsablauf in Zusammenhang stehen, unabhängig davon, ob sie Geheimnisse oder einem größeren Kreis bekannt sind und ob sie in die Zuständigkeit der Gewerbeaufsicht fallen 368 . Inhalt der Pflicht ist das Verbot der Weitergabe der Geschäfts- und Betriebsverhältnisse an andere Stel-
361
S. Harald Sieg/Werner Leifermann, Gewerbeordnung, 4. Aufl., München 1978, § 139b, Anm. 2; Knorr, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 281. Vgl. auch OVG Hamburg, GewArch 1987, 22. 362 Stahlhacke, in: Eugen Stahlhacke/Franzjosef Bleistein, Kommentar zur Gewerbeordnung, Arbeitsrechtliche Teil, Losebl., Neuwied, § 139b, Anm. II 3. 363 Geltungsbereich der Vorschrift sind somit die in § 139b I S. 1 ind IV GewO genannten Vorschriften. Es handelt sich um die §§ 105a, 105b I, 105c-105h, die das Beschäftigungsverbot der Arbeitsnehmer an Sonn- und Feiertagen ausgestalten, die §§ 120a, 120b, 120d, die die Verpflichtung des Arbeitsgebers für die Betriebssicherheit, die Aufrechtserhaltung des Anstandes und für die guten Sitten in Arbeits-, Umkleide-, Wasch- und Toilettenräumen betreffen, § 120e, über die Maßnahmen der Gewerbeaufsichtsbehörde zum Schutz der Arbeitsnehmer gegen Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit, sowie die §§ 133g-134, 134i, 139aa, die über das Verbot der Lohnverwirkung und der Pflicht schriftlicher Lohnbelege in den Betrieben mit in der Regel mindestens 20 Beschäftigten bestimmen. Dazu Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 11 ; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 282. 364 Übersicht bei Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 11; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 282. 365 Dazu Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 139b, Rdn. 25; Simon, Das Betriebsgeheimnis, S. 163 ff. 366 Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 139b, Rdn. 25; Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 12 f; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 281. 367 Stahlhacke, in: Stahlhacke/Bleistein, GewO, § 139b, Anm. II 3. 368 Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 13; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 281 f.
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len 3 6 9 . Dieses Verbot bezweckt den Schutz des Unternehmers sowie die Verbesserung der Voraussetzungen für die Ausübung der Gewerbeaufsicht durch die Bildung eines Vertrauensverhältnisses 370. Geschützt wird somit durch § 139b GewO nicht der Arbeitnehmer, der Informationen an die Gewerbeaufsicht gegeben hat 371 . Der Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses ist jedoch nicht unbegrenzt. Wenn ein höheres öffentliches Interesse gefährdet wird, ist, allerdings nach Abwägung und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, eine Mitteilung von unternehmerischen Vorgängen zulässig 372 . Über die Geheimhaltung hinaus ergibt sich kein Rechtsanspruch des Unternehmers. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Akteneinsicht für den Unternehmer, den Namen des Informanten der Gewerbeaufsichtsbeamten zu erfah„„373
ren
Die Gewerbeaufsichtsbehörden haben eine Offenbarungsbefugnis, wenn durch die Offenbarung Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden können 374 . Ebenso zulässig sind Offenbarungen im Rahmen des Umweltschutzes gegenüber anderen Behören, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß diese Behörden ihre Tätigkeit aufgrund einer umweltschützenden Vorschrift wahrnehmen 375. Danach wird die Offenbarung vom Vorliegen besonderer Vorschriften, die Aufgaben im Rahmen des Umweltschutzes einräumen, abhängig gemacht. Wenn Aufgaben im Rahmen des Umweltschutzes aufgrund von allgemeinen Polizeibefugnissen wahrgenommen werden, besteht jedoch keine Offenbarungsbefugnis der Gewerbeaufsichtsbehörde, und die Offenbarung er369
S. Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 139b, Rdn. 26. Vgl. Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 139b, Rdn. 26; Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 10; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 370
281.
Bei § 139b GewO handelt es sich um eine Vorschrift, deren Entstehung in den Anfängen der Arbeitsschutzgesetzgebung, nämlich im Jahre 1878, zu finden ist. Dazu Eugen Stahlhacke, Das Arbeitsrecht in der Gewerbeordnung, Darmstadt 1966, S. 644; Knorr, Geheimhaltung, S. 9. 371 Vgl. Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 13 f; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 282 f. 372 Vgl. Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 139b, Rdn. 26 (im Hinblick auf den Arbeitsschutz). 373 Dazu Stahlhacke, in: Stahlhacke/Bleistein, GewO, § 139b, Anm. II 3. Vgl. VG Ansbach, GewArch 1979, 20. 374 Eingehend Kahl, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 139b, Rdn. 28. Die Offenbarungsbefugnis ist durch teleologische Reduktion nur auf Gesetzwidrigkeiten bezüglich der Aufgaben des Arbeitsschutzes zu beschränken. S. dazu eingehend Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 18 ff derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 284 f. 375 Vgl. bereits Steinberg, Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, S. 2; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 168.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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fordert eine Güterabwägung. Die Offenbarung ist schließlich möglich, wenn der betroffene Unternehmer dazu seine Zustimmung gibt 3 7 6 . ee) Geheimhaltungsvorschriften zum Schutz von Wirschaftsgeheimnissen im Umweltrecht, insbesondere im Chemikalienrecht Das Umweltrecht besitzt eine Reihe von Anmelde-, Anzeige-, Auskunftsund Sicherungspflichten 377, die die Behörde zur Herrin eines großen Informationsbestands machen. Dies führt zu Spannungen zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an Informationen bezüglich der Umwelt und dem Schutz von Wirtschaftsgeheimnissen, insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen 378 . Als Referenzgebiet für Abwägungsschwierigkeiten kann das Chemikalienrecht fungieren 379 . Nach § 22 I I ChemG sind Angaben, die ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis enthalten, auf begründeten Antrag des Mitteilungs- bzw. Anmeldepflichtigen als vertraulich zu kennzeichnen. Als Offenbarungsbefugnis besteht jedoch § 22 I I I ChemG. Die Vorschrift entspricht der Schutzpflicht des Staates im Bereich der Gesundheit und bestimmt die Daten, die in keinem Fall unter das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis fallen dürfen 380 . Hierunter fallen vorrangig die Auswertungen der toxikologischen und ökotoxikologischen Versuche und der Name der für diese Versuche zuständigen Stellen 381 . Die Behörde ist an die Geheimhaltungsvorschriften im Produktzulassungsverfahren im Verwaltungsverfahrensrecht gebunden. Eine Akteneinsicht in diesen Akten ist gemäß § 29 VwVfG somit ausgeschlossen.
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S. Knorr, Geheimhaltung und Gewerbeaufsicht, S. 17 f; derselbe, Probleme der Geheimhaltungspflichten, S. 283. 377 Z.B. §§ 22, 24 ArzneimittelG, § 16 ChemG. Dazu Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 78 ff. 378 Vgl. Breuer, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht, S. 177; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 176 f. 379 Dazu Michael Kloepfer, Umweltrecht, München 1989, § 13, Rdn. 65, S. 763; Josef Falke, Informationspolitische Maßnahmen in Chemikalienrecht, in: Gerd Winter (Hrsg.), Risikoanalyse und Risikoabwehr im Chemikalienrecht, Düsseldorf 1995, S. 65 ff (110 ff); Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 256 ff; vgl. Schröder, Der Geheimhaltungsschutz im Recht der Umweltchemikalien, S. 62 ff. Vgl. auch Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 133, 170 ff. 380 Vgl. Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 173 ff. 381 Eingehend Jan Viebrock, Öffentlichkeit im Verfahren der Chemikalienkontrolle am Beispiel "PCP", Düsseldorf 1995, S. 61 ff.
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
ff) Rückblick Die Struktur der Geheimhaltungsvorschriften weist Ähnlichkeiten auf, die zu einer systematischen Feststellung bezüglich ihrer Funktion im Verwaltungsverfahrensrecht führen können. Eine Geheimhaltungsvorschrift wirkt als Ausnahme vom Akteneinsichtsrecht im Sinne des § 29 VwVfG. Sie modifiziert insoweit § 29 I I VwVfG, als sie das behördliche Ermessen auf Null reduziert. Die Geheimhaltungsvorschriften enthalten aber Offenbarungsbefugnisse oder sind offen für die Offenbarung kraft Güterabwägung, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse dies fordert. Damit entsteht nochmals ein Ermessen der Behörde nach § 29 I I VwVfG. Dies führt zu einem Schema Ermessen-Verbot-Ermessen der Behörde bei der Bestimmung der im Rahmen des § 29 VwVfG einzusehenen Akten.
V. Modalitäten der Akteneinsicht 1. Ort der Akteneinsicht Nach § 29 I I I S. 1 VwVfG und § 25 I V S. 1 SGB X findet die Einsichtnahme bei der Behörde, die die Akten führt, statt 382 . Sind mehrere Behörden an einem Verfahren beteiligt 383 , dann ist die Akteneinsicht bei der Behörde zu beantragen, die die Endentscheidung trifft, und zwar für ihre Akte sowie für die Stellungnahmen anderer Behörden 384 . Die Einsichtnahme wird grundsätzlich in den Geschäftsräumen der Behörde durchgeführt 385. Eine Aufsicht durch Be382
Zum Begriff der aktenführenden Behörde s. Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 53 f. Eine Ausnahme enthält § 84a SGG bezüglich des sozialen Vorverfahrens. Danach ist § 25 IV SGB X nicht anzuwenden und die Akten an die Beteiligten zu übersenden. S. dazu Meyer-Ledewig, SGG, § 84a, Rdn. 2. 383 Vgl dazu Helmut Bäumler, Die Beteiligung mehrerer Behörden am Verwaltungsverfahren, BayVBl. 1978, S. 492 ff. 384
Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 59. Vgl. auch Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 37; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 147. 385 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 30; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 23; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 7. Die Beteiligten haben keinen Anspruch auf Versendung der Akten oder, daß ihnen die Akten zu beliebiger Zeit vorgelegt werden. Die Akteneinsicht kann nur während der festgesetzten Dienststunden stattfindet und nur wenn die Akten nicht zur Bearbeitung benötigt sind. Diese Einschränkungen faktischer Art dürfen allerdings nicht die Effektivität des subjektiven Rechts auf Akteneinsichts reduzieren. S. dazu Thieme, in: Wag-
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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dienstete ist dabei erforderlich, wenn Besorgnis darüber besteht, daß Akten völlig oder teilweise verfälscht oder vernichtet werden könnten 386 . Der Grundsatz entspricht der Regel der Verfahrensökonomie 387. Von diesem Grundsatz ist die Behörde ermächtigt, nach § 29 I I I S. 2 VwVfG und § 25 I V S. 2 SGB X nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall abzuweichen. Der Ermessenstatbestand dient hier dazu, unbillige Ergebnisse durch die Beschränkung der Einsichtnahme nur auf die Geschäftsräume der Behörde zu vermeiden 388 . In § 29 I I I S. 2 HS 1 VwVfG und § 25 I V S. 2 HS 1 SGB X wird die Behörde insbesondere ermächtigt, die Einsichtnahme auch bei anderen Behörden oder bei diplomatischen oder konsularischen Vertretungen im Ausland durch vorübergehende Übersendung der Akten zu gewähren. Die Beteiligten haben dabei keinen Anspruch auf Übersendung oder Bereitstellung der Akten 3 8 9 . Die Behörde entscheidet hier nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 390 . Zusätzlich kann die Behörde die Übersendung von Ablichtungen auf Kosten des Beteiligen vornehmen, soweit er die gewünschten Aktenteile genau bezeichnet und diese nicht umfangreich sind 391 . Als andere Behörden iS des § 29 I I I S. 2 HS 1 und des § 25 IV S. 2 HS 1 werden in der Praxis häufig die Behörden bezeichnet, bei denen die Akten aufgrund eines Amtshilfeersuchens oder zur Stellungnahme bereitliegen, oder alle Behörden - einschließlich der Justizbehörde, z.B. die Amtsgerichte -, an die die Akten übersandt worden sind und die in der Nähe des Wohnorts des Beteiligten oder seines Geschäftsitzes liegen und für die Durchführung der Einsichtnahme ganat, SGB X, § 25, Rdn. 12. Die Beteiligten müssen in der Lage sein, die Akten ohne größere Störungen sorgfältig zu lesen und Auszüge oder Abschriften vorzubereiten. Die Behörde ist dabei Vorsorge zu treffen, daß ein Tisch und ein Stuhl in dem bestimmten Raum vorhanden sein. 386 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 20. S. auch Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungs verfahren, S. 7; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 38; Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 12; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 7 (keine Anspruch auf Akteneinsicht ohne Beaufsichtigung). Vgl. auch Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 9. 387 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 59. 388 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 60. 389 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 60. 390 vgl. dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 60. Bei der Entscheidung ist z.B. in Erwägung zu ziehen, ob Risiken für den sicheren Transport der Akten bestehen und ob die Versendungskosten hoch sind. Andrererseits ist zu prüfen, ob den Beteiligten dadurch Anwalts- oder Reisekosten erspart werden. S. Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 13. VGL auch SG Stuttgart, AnwBl. 1980, 126. 39
1 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 60.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
geeignet sind 3 9 2 . Die Einsichtnahme bei diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretungen erfolgt nach Übersendung der Akten. Ein solcher Fall tritt normalerweise ein, wenn der Beteiligte sich im Ausland aufhält und es wegen der dabei eingetretenen Schwierigkeiten unbillig wäre, ihn auf eine Einsichtnahme bei der Behörde zu verweisen 393 . Die Einsichtnahme kann nicht in Honorarkonsulaten durchgeführt werden 394 . Der Grund ist auf die Organisationsschwierigkeiten einer solchen Einsichtnahme sowie auf die Natur des Amtsverhältnisses der Honorarkonsulen zurückzuführen. Die Vorschriften sprechen von diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland. Gemeint werden damit nur die Vertretungen im organisatorischen Sinne, nämlich die Botschaften, Missionen, Generalkonsulate und Konsulate sowie Vertretungen bei internationalen oder supranationalen Organisationen. Wenn die Vertretung der Bundesrepublik durch einen dritten Staat durchgeführt wird, ist die Einsichtnahme in den Diensträumen der Vertretung des Drittstaates nicht zulässig 395 . § 29 I I I S. 2 HS 2 VwVfG und § 25 IV S. 2 HS 2 SGB X räumen schließlich eine allgemeine Ermächtigung für die Behörde ein, nach pflichtgemäßem Ermessen 396 weitere Ausnahmen bei der Durchführung der Akteneinsicht einzuführen, die aber nicht die Gefahr des Verlustes der Akten mit sich bringen und keine Beeinträchtigung des Verfahrens darstellen 397 . In Betracht kommt hier insbesondere die Möglichkeit, Rechtsanwälten oder Bevollmächtigten die Mitnahme oder Übersendung der Akten in ihre Wohnung oder Geschäftsräume zu gestatten398. Nach dem Vorbild der prozeßrechtlichen Regelung besteht ein solcher Anspruch des Anwalts im Verwaltungsverfahren nicht 3 9 9 . Kein Anspruch 392 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 60. S. auch Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 58 f. 393 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 61. 394 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 9, S. 247. 395 Eine Ausnahme stellt die Verbindungstelle im Sozialversicherungsbereich gemäß Art. 86 der RL 1408/71/EG dar, in denen Anträge, d.h. auch Akteneinsichtsanträge angenommen werden. S. Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 23. 396 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 62; Monika Kropshofer, Verwaltungsverfahren und Vertretung, Diss. Mainz 1982, S. 122. 397 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 63. Vgl. auch Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 147 f. 398 Eine anderer häufiger Fall ist die Übersendung der Akten an eine Einrichtung, in der der Beteiligte untergebracht ist. S. Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 61. In Frage kommt auch die Einsichtnahme bei Gewerkschaften. S. v. Mutius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 38. 399 Vgl. dazu VGH München, BayVBl. 1980, 94. S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 62; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 12; Pawlita, Die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts im gerichtlichen und behördlichen Verfahren,
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
besteht weiter, wenn die Behörde doch der Herausgabe der Akten an einen Rechtsanwalt zustimmt, daß die Akten in die Kanzlei des Anwalts übersandt werden 400 . Die Behörde muß nach Abwägung zwischen dem Interesse des Verfahrensbevollmächtigten an einem umfassenden Aktenstudium und den Erfordernissen eines geordneten Verwaltungsgangs sowie dem Risiko des Verlustes der Akten darüber entscheiden401. Bei der Ausübung des behördlichen Ermessens ist jedoch anzunehmen, daß einem Anwalt die Akten auf Antrag zur Einsichtnahme zu überlassen sind, soweit kein Grund entgegensteht402. Die Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege, und bei ihnen bestehen die erforderli-
S. 4. S. auch Dubasch, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 159 ff; W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 120 ff; Siegfried Schwab, Akteneinsicht durch Übersendung der behördlichen Verfahrensakten?, VD 1988, S. 288 ff; Henning Jäde, Verwaltungsverfahren - Widerspruchsverfahren - Verwaltungsprozeß, 2. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin 1991, S. 22; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 8. Es besteht auch kein Gewohnheitsrecht, demzufolge einem Rechtsanwalt die Akten in seine Kanzlei auszuhändigen sei. S. BSG, AnwBl. 1980,498. Ein Anspruch auf Übersendung der Akten in die Kanzlei besteht auch nicht bei großer Entfernung der Kanzlei zu der das Verfahren führenden Behörde, weil in solchen Fällen die Möglichkeit besteht, die Akteneinsicht bei einer Behörde in der Nähe des Sitzes des Bevollmächtigten zu übersenden (VGH München, BayVBl. 1980,94). 400 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 62. 401 Vgl. Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 24; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 62; SG Düsseldorf, AnwBl. 1978, 102, mit Anm. Hermann Plagemann (Ermessensfehlerhaft ist die Entscheidung, die sich nur auf eine entsprechende Verwaltungsvorschrift beruft). Diese Entscheidung ist interessant, weil hier eine Verpflichtungsklage auf Herausgabe von Versorgungsakten in die Wohn- oder Geschäftsräume eines Anwalts für zulässig gehalten wurde. 402 Dieses Ergebnis unterstützt die legislative Geschichte des § 29 III VwVfG. Der Deutsche Anwaltsverein hat während des Gesetzgebungsverfahrens eine solche ausdrückliche Regelung beantragt. Dies wurde abgelehnt, mit der Begründung, daß obwohl dies nicht ausdrücklich vorgesehen war, das bezweckte Ergebnis auch über § 29 III S. 2 HS 2 VwVfG gewährleistet ist. S. Bericht des Innenausschusses zu § 29 VwVfG, BTDrucksache 7/ 4494, S. 7. Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 62; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 9, S. 247 f; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 6; Pawlita, Die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts im gerichtlichen und behördlichen Verfahren, S. 5; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 290. S. auch Kropshofer, Verwaltungsverfahren und Vertretung, S. 123, die hier auf die entsprechende Auslegung des § 100 II S. 2 VwGO hinweist. Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 30, geht noch weiter und befürwortet eine analoge Anwendung des § 100 II S. 2 VwGO. Art. 29 III S. 2 bayVwVfG sieht expressis verbis vor, daß Organen der Rechtspflege die Akten zur Einsicht vorübergehend in ihre Geschäftsräume gegeben werden. Vgl. dazu VGH München, BayVBl. 1980, 94. Ähnlich § 193 BundesentschädigungsG.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
chen Garantien für die Aktensicherheit 403 . Die Mitnahme in die Kanzlei entspricht dem Gebot der Rationalisierung. Nur dort können die Akten von dem Anwalt in Ruhe gelesen, sofort fotokopiert und diktiert werden. Bevollmächtigten, die nicht Rechtsanwälte sind, ist dagegen grundsätzlich der Antrag auf Aktenüberlassung abzulehnen, weil sie keine ähnlichen Garantien wie Rechtsanwälte zur Sicherheit der Akten aufweisen 404 . Wenn die Akten kurzfristig entbehrlich sind und der Rechtsanwalt zusichert, daß die Akten fristgemäß zurückgebracht werden, wird dem Antrag im allgemein stattgegeben. Das Ermessen der Behörde ist dabei aber nötigt, um eine Formalisierung des Verwaltungsverfahrens zu vermeiden und eine flexible Arbeitsweise zu gewährleisten 405. So kann die Aktenüberlassung an einen Anwalt nicht möglich sein, wenn die Akten laufend benötigt werden oder wenn viele ähnliche Anträge bereits gestellt sind und es wegen zeitlicher Begrenzungen nicht möglich ist, alle gleichermaßen positiv zu beantworten und kein gerechtfertigtes sachliches Differenzierungskriterium für die Behörde gegeben ist 4 0 6 . Bei der Aktenüberlassung hat die Behörde insbesondere den Schutz der Privatsphäre zu berücksichtigen 407. Die Aktenüberlassung ist auch grundsätzlich zu verweigern, wenn personenbezogene oder sonst sensible Akten gefährden werden 408 .
2. Kopien Über die Erteilung von Auszügen oder Ablichtungen enthält § 29 VwVfG keine Regelung. Auf ihre Erteilung besteht danach keine Anspruch 409 . Es steht
403 Vgl. §§ 15, 46 BRAO. Die Mitnahme der Akten in die Kanzlei beinhaltet nicht nur ein Recht, sondern auch eine besondere Verpflichtung der Anwaltschaft, durch rechtzeitige Rückgabe den Gang des Verfahrens nicht zu behindern. 404 S. Kropshofer, Verwaltungsverfahren und Vertretung, S. 124. Vgl. auch Pawlita, Die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts im gerichtlichen und behördlichen Verfahren, S. 5 f. 405 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 62 mwN; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 6; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, S. 290; VGH München, BayVBl. 1980, 94; OVG Münster, NJW 1980, 722; VGH München, NuR 1987, 270. 406 Vgl. Kropshofer, Verwaltungsverfahren und Vertretung, S. 124. 407 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 63. 408 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 63. 409 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 65; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 7; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 31. Vgl. auch Dubasch, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 164 ff; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 7; W. Huber, Das Recht des Bürgers auf Akteneinsicht, S. 124. Krit. im Hinblick auf das technische Zeitalter Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 17; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 38.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
daher im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, ob sie dem Beteiligten oder seinem Vertreter anläßlich oder statt der Akteneinsicht die Fertigung von Kopien der Gesamtakten oder einzelner Aktenteile auf eigene Kosten genehmigt 4 1 0 . Der Aktenträger spielt dabei keine Rolle 4 1 1 , obwohl natürlich zu fragen ist, ob im Fall von elektronischen oder auf Mikrofiche gespeicherten Informationen ein größeres Interesse an der Erstellung von Kopien besteht. Wenn die Behörde nur das Kopieren der Akten verweigert oder es nur bezüglich eines Teils der Akten erlaubt, besteht aus diesem Grund kein unheilbarer Verfahrensfehler wegen Verletzung des Grundsatzes der Anhörung 412 . Die Anfertigung der Kopien können sowohl der Beteiligte oder sein Vertreter selbst vornehmen, wie auch die Behörde, falls sie über eine solche Einrichtung verfügt 413 , wenn die Gefahr des Verlustes oder der Schädigung der Akten besteht oder viele ähnliche Anträge vorliegen 414 . Eine Pflicht der Behörde zur Bereitstellung von Aktenkopien kann unter Umständen aus dem Grundsatz des fairen und bürgerfreundlichen Verfahrens hergeleitet werden, wenn dadurch die Durchführung der Akteneinsicht erleichtert wird und kein Ablehnungsgrund entgegensteht415. Die Kosten der Anfertigung der Kopien werden nach der Kostenregelung des Bundes und der Länder bestimmt 416 . § 25 V SGB X enthält hier eine andere Regelung, die den Besonderheiten des Sozialverwaltungsverfahrensrechts entspricht und als ein Ausdruck kooperativer Verfahrensstrukturen 417 anzusehen ist. Danach hat der Beteiligte einen Anspruch darauf, Auszüge oder Abschriften selbst anzufertigen oder sich Ablichtungen der Akten auf eigene Kosten durch die Behörde erteilen zu lassen418.
Einen Anspruch der Beteiligten, auf ihre Kosten Auszüge und Abschriften anzufertigen, enthält § 88 V LVwG SchlH. S. auch § 133 FlurbG. 410 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 66; Stelkens, Verwaltungsverfahren, Rdn. 277; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 31. 4 » Vgl. Bonk,, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 66. 4 «2 Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 66. 413 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 8, S. 247. 414 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 66. 415 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 66. 4 «6 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 66. 417 Zur Problematik der Kooperationsverfahren im Sozialrecht s. Simons, Verfahren und verfahrensäquivalente Rechtsformen, S. 62 ff, 115 ff. 418 Dazu Molitor, Das Recht auf Akteneinsicht bei Sozi al Verwaltung und Justiz, S. 257 f; v. Wuffeln, in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/v. Wuffeln, SGB X, § 25, Rdn. 11; Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 26; HauckJHaines, SGB X 1,2, § 25, Rdn. 22; v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 4, 39; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 225. Die Regelung entspricht der Rechtslage vor Einführung des SGB X.
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Der Beteiligte hat jedoch keinen Anspruch darauf, die Ablichtungen selbst vorzunehmen419.
3. Zeit und Dauer Zeit und Dauer der Akteneinsicht wird nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde bestimmt. Die Behörde kann allerdings diese Befugnis nicht benutzen, um die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts zu erschweren 420.
V I . Verfahrensfehler Die entgegen § 29 VwVfG verweigerte Akteneinsicht kann ein Verfahrensfehler sein 421 . Dies gilt ebenso für die Ermessensentscheidungen der Verwaltung hinsichtlich der Gewährung der Einsichtnahme, dem Ort, der Zeit und dem Umfang der Akteneinsicht 422 . S. z.B. §§ 1567 II, 1591 RVO, 35 I KOVVerfG. Zu den Aufwendungskosten gemäß § 25 V S. 2 SGB X s. Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 16. 419 Thieme, in: Wagganat, SGB X, § 25, Rdn. 15. Die Entscheiung steht in Ermessen der Behörde. Die Entscheidung der Übersendung der Akten in die Kanzlei eines Rechtsanwalts schließt die Zustimmung zur Ablichtung der Akten ein. 4 20 S. dazu Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 9. Vgl. auch Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 30. 421 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 67. Liste der möglichen Fehler bei Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 255 (Ihm folgt Peine, Verwaltungsrecht, Rdn. 215): Danach "begeht die Behörde einen Verfahrensfehler, wenn sie die Akten eines Verwaltungsverfahrens nicht vollständig führt, wenn sie wesentliche Informationen in einer der Einsicht nicht geöffneten "Nebenakte" führt oder sich auf den Beteiligten nicht zugänglichen Datenträger stützt, wenn sie einem Beteiligten die Akteneinsicht grundlos nicht gewährt, ... wenn sie das Vorliegen eines Ausnahmegrundes annimt, der in Wahrheit entweder nicht vorliegt oder, gemessen an den für die Akteneinsicht sprechenden rechtöichen Gründen, nachrangig ist, wenn sie grundlos auf einer Art der Durchführung der Akteneinsicht beharrt, die diese unzumutbar erschwert, wenn sie verkennt, daß die für einen Teil der Akte bestehenden Ausnahmegründe (z.B. Geheimnisschutz für ein bestimmtes Schriftstück) nicht die gesamte Akte betrifft und daß die vorgehende Entfernung dieses Schriftstückes im Vergleich zur Verweigerung der gesamten AKte das mildere Mittel wäre, wenn sie die Akteneinsicht entgegen einem gesetzlichen Verbot oder verfassungsrechtlicher "Gegenpositionen" gewährt und dadurch die Rechte Dritte verletzt". Zur Rechtsfolgen bei Geheimhaltungsverstößen s. Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis, S. 2246 ff. 4 22 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 67; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 34.
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Die Verfahrensfehler sind nach den §§ 45-46 VwVfG bzw. nach den §§4142 SGB X zu beurteilen 423 . Die rechtswidrige Verweigerung der Akteneinsicht kann danach analog § 45 I VwVfG und § 41 SGB X 4 2 4 geheilt werden 425 , wenn eine unterlassene Anhörung nachzuholen ist und diese die Einsicht in die Akten voraussetzt 426. Eine Aufhebung wegen mangelnder Akteneinsicht ist gemäß § 46 VwVfG und § 42 SGB X nur dann ausgeschlossen, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können 427 . Allerdings ist es bei Ermessensentscheidung, abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null, immer möglich eine andere Entscheidung zu treffen mit dem Ergebnis, daß es nicht darauf ankommt, ob die rechtswidrige Versagung der Akteneinsicht entscheidungserheblich ist 4 2 8 . 423
Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 67. S. auch Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 67 ff. 424 Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 256. Hufen bemerkt zutreffend, daß "Verfahrensfehler in Zusammenhang mit § 29 VwVfG sich selten isoliert zeigen werden, sondern in aller Regel im Zusammenhang mit einer Verletzung anderer Verfahrensrechte, insbesondere des Anhörungsrechts oder des allgemeinen Beratungs- oder Informationsrechts (§ 25 VwVfG) gerügt werden". 425 Zur Heilung von Verfahrensfehlem vgl. Hans-Joachim Koch/Rüdiger Rubel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Neuwied, Kriftel, Berlin 1992, S. 68 ff; Walter Krebs, Kompensation von Verwaltungsverfahrensfehlern durch gerichtlichen Rechtsschutz?, DVB1. 1984, S. 109 ff; Friedhelm Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler?, NJW 1982, S. 2160 ff; derselbe, Zur Systematik der Folgen von Verfahrensfehlem - Eine Bestandsaufnahme nach 10 Jahren VwVfG, DVB1. 1988, S. 321 ff; Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlem, S. 147 ff; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 97 ff; Eberhard Schmidt-Aßmann/Hannes Krämer, Das Verwaltungsverfahren und seine Folgen, REDP/ERPL 1993, Numéro spécial/Spécial number (Spetses Conferences - 1992), S. 99 ff (113 ff). Zur Heilung einer unterlassenen Anhörung s. Friedrich Schoch, Übungen im öffentlichen Recht II, Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht, Berlin, New York 1992, S. 98 f mwN; derselbe, Heilung unterbliebener Anhörung im Verwaltungsverfahren durch Widerspruchsverfahren?, NVwZ 1983, S. 249 ff; Peter Weides, Die Anhörung der Beteiligten im Verwaltungsverfahren, JA 1984, S. 648 ff; Ernst Krasney, Zur Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1986, S. 337 ff; Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, S. 44 ff; Walter Krebs, Kompensation von Verwaltungs verfahrensfehlem durch gerichtlichen Rechtsschutz?, DVB1. 1984, S. 109 ff; Wolf Rüdiger Schenke, Der verfahrensfehlerhafte Verwaltungsakt gemäß § 46 VwVfG, DöV 1986, S. 305 ff; vgl. bereits Hans-Jürgen Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, Tübingen 1973, S. 14 f. 426
Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 74; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 9; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 34. Zweifelnd Schneider-Danwitz, in: Knoll/Schneider-Danwitz/Schroeter, Gesamtkommentar, § 25 SGB, Anm. 6d. 427 Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 75. Vgl. auch Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 121 ff. 428 Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 228. Da aber § 29 I VwVfG und § 25 I SGB X Ausdruck des personalen Bezugs des Grundrechtsschutzes im Verwaltungsverfahren sein können (vgl. Hufen, Heilung und Unbe-
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Die Erteilung oder Verweigerung der Akteneinsicht stellen Verwaltungsakte dar 4 2 9 . Verweigert die Behörde es rechtswidrig, die Akteneinsicht zu gewähren, haftet sie für die dafür entstandenen Kosten, z.B. Rechtsanwaltsgebühren 430, des Verfahrensbeteiligten.
V I I . Rechtsschutz Als Verfahrenshandlung kann die Verweigerung bzw. die Gewährung der Akteneinsicht nicht während des laufenden Verwaltungsverfahrens isoliert gerichtlich angegriffen werden 431 . Nach § 44a VwGO sind Verfahrensbestimmunachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler?, S. 2163) stellt sich die Frage der verfassungskonformen Auslegung der §§ 45-46 VwVfG und 41-42 SGB X dar. *29 Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 33, 35; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 67; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 8; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 25; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 33; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 10, S. 248; Schwab, Das Recht auf Akteneinsicht, S. 40; Pickel, Lehrbuch des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens, S. 227; Raimund Brühl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1984, S. 29; BVerwGE 12, 296 (297); 31, 307 = NJW 1969, 1131; VGH München, BayVBl. 1972, 364; VGH München, BayVBl. 1984, 758; VG Berlin, NVwZ 1982, 576; VG Frankfurt, NVwZ 1986, 865; NdsLSG, RV 1986, 160. Contra Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 66, der den Regelungscharakter dieser Entscheidung leugnet und hierin einen schlichten Informationsakt der Behörde sieht. Ihm folgen Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 253 f; derselbe, Verwaltungsprozeßrecht, § 14, Rdn. 26, S. 254 sowie BVerwG, NJW 1982, 120 und VGH München, NVwZ 1990, 775 = BayVBl. 1990, 622. Auch wenn es bei der behördliche Entscheidung um ein tatsächliches Handeln geht, setzt die Verweigerung oder Erteilung der Akteneinsicht eine Feststellung des Bestehens oder Nicht-bestehens einer Verpflichtung zur Gewährung der Akteneinsicht voraus. Da diese Feststellung verbindlich ist und der Beteiligte nicht sein Akteneinsichtsbegehren wiederholt stellen darf, handelt es sich hier um einen Verwaltungsakt. S. v. Mutius, in: GK-SGB XI, § 25, Rdn. 6 f, der allerdings Zweifel äußert, in Hinblick auf die Tatsache, daß der behördlichen Entscheidung eine Rechtsfolge fehlt, es sei denn, daß das Bestehen des Anspruchs festgestellt wird. Ein Verwaltungsakt ist auch die Verweigerung oder Erteilung der Genehmigung, Kopien der Akten anzufertigen. Vgl. HessFG, EFG 1981, 432 (Fotokopien aus Akten eines abgeschlossenen Verfahrens). 430 LG Aachen, NJW 1989, 531. 431 BVerwG, NJW 1979, 177 = BayVBl. 1978, 444 = HFR 1978, 459 = VerwRspr. 30, 250 = JuS 1979, 147, mit Anm. Carsten Brodersen; BVerwG, NJW 1981, 177; BVerwG, NJW 1982, 120, mit Anm. H. Geiger; VGH München, BayVBl. 1978, 763; OVG Lüneburg, OVGE 23, 389; OVG Münster, DöV 1980, 222; OVG Münster, NJW 1981, 70 = DVB1. 1980, 964 = VerwRspr. 32, 125; VGH München, NVwZ 1987, 614 = BayVBl. 1987, 117; VGH München, NVwZ 1988, 1054; VGH München, NVwZ 1989, 266; VGH München, NVwZ 1990, 775 = BayVBl. 1990, 622; VG Köln, NJW 1978,
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
gen nicht gesondert, sondern mit der Endentscheidung anzugreifen 432. Ziel dieser Regelung ist die Verfahrensherrschaft der Behörde bis zum Abschluß des Verfahrens 433 und die Vermeidung von Prozessen, die möglicherweise den Abschluß des Verfahrens verzögern könnten 434 . Damit erscheint § 44a VwGO als Ausdruck des Prinzips der Prozeßökonomie 435. § 44a VwGO stellt somit keinen Ausschluß des Rechtsschutzes, sondern einen zeitlichen Aufschub dar 436 . Dies wird durch die gesetzliche Ablehnung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis1397, mit (abl.) Bspr. Hermann Plagemann (Plagemann, Kein gesonderter Rechtsbehelf gegen Versagung der Akteneinsicht, NJW 1978, S. 2261 f); VG Berlin, NVwZ 1982, 576; VG Saarlouis, NVwZ 1987, 730; BezG Schwerin, DtZ 1992, 398; Badura, Verwaltungsverfahren, § 37, Rdn. 17, S. 459; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 10, S. 248; Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 67; Kopp, VwVfG, § 29, Rdn. 35; Obermayer, VwVfG, § 29, Rdn. 70 u. § 97, Rdn. 14; Borgs, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 29, Rdn. 25; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Anm. 8; v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 8; Wildhofer-Mohnen, Das Recht auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG, 290; Battis , Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 131, Rdn. 183; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 176; Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 196 ff. S. auch die Bespr. von Paul Stelkens, Verfahrenshandlungen iS des § 44a VwGO, NJW 1982, S. 1137). Kritisch dazu Walter Schmidt, Gerichtlicher Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, JuS 1982, S. 745 ff (747). Die Regelung gilt grundsätzlich auch für das Widerspruchsverfahren. Als Rechtsbehelfe sind nicht nur die Anfechtungsklage, sondern auch alle möglichen Klagearten denkbar. Statt vieler Kopp, VwGO, § 44a, Rdn. 4; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 22 (jeweils mwN). Contra Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 97, Rdn. 22, der die Vorschrift auf Anfechtungs- und allgemeine Leistungsklagen beschränkt. Vgl. auch Martin Pagenkopf, Verringerung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen?, NJW 1979, S. 2382 ff. 432 § 44a VwGO ist auf andere Prozeßordnungen, die keine solche Regelung enthalten, entsprechend anwendbar. S. FG München, EFG 1978, 558; BSG, NVwZ 1989, 901; v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 10. In diesem Sinne auch BVerfG, NJW 1991, 415, unter Vorbehalt des Ausschluß des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren (Frage offen gelassen). Vgl. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 23, Rdn. 20, S. 433; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 54; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 97, Anm. 4. 433 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 23, Rdn. 18, S. 431; derselbe, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 633. 434 Kopp, VwGO, § 44a, Rdn. 1; SchunckJDe Clerck, VwGO, §44 a, Anm. 1; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 146. 435 Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungs Verfahrens, S. 202; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 8; Reimund Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, Baden-Baden (Losebl., 1. Lieferung 1996), § 44a, Rdn. 23. 436 Die Vorschrift entspricht der vor Einführung des § 44a VwGO durch § 97 VwVfG geregelten Rechtslage. Dazu Kopp, VwGO, § 44a, Rdn. 1 mwN; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 44a, Rdn. 2; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 44. Anders Michael Eichberger, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, Berlin 1986, S. 39 ff; Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 14 ff.
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
ses vor Abschluß des Verwaltungsverfahrens ermöglicht 437 . Es ist jedoch möglich, Verfahrenshandlungen anzugreifen, wenn sie vollstreckt werden können oder sie gegen Nichtbeteiligte ergehen (§ 44a S. 2 VwGO) 4 3 8 . Die Kritik an § 44a VwGO ist eng mit Fällen der Verweigerung der Akteneinsicht verbunden, weil sie die meisten Probleme dieser Regelung aufweist 439 . § 44a VwGO bedeutet eine zeitliche Verspätung des Rechtsschutzes, die im Hinblick auf das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität (Art. 19 IV GG) als problematisch erscheint, weil das Akteneinsichtsrecht gemäß § 29 VwVfG ein subjektives Recht darstellt. Die Verweigerung der Akteneinsicht kann zur Vereitelung der Möglichkeit des Bürgers, im Verfahren beteiligt zu werden, führen. Dies bedeutet, daß er erst später und im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens Einsicht nehmen kann. Damit wird aber einerseits der prozeßökonomische Charakter des § 29 VwVfG verkannt 440 , und andererseits werden die An437 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 23, Rdn. 18, S. 431; Walter Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 13. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 1994, Rdn. 127; EyermannlFröhler, VwGO, § 44a, Rdn. 2; Klaus Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 6. Aufl., München 1987, S. 193; Eichherger, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, S. 106 ff. Teilweise a.A. Kopp, VwGO, § 44a, Rdn. 1, der hier eine eigenständige negative Zulässigkeitsvoraussetzung sieht; Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 62 ff. Contra BVerwG, NJW 1982, 120; SchuckJde Clerck, VwGO, § 44a, Anm. 3a, die die Klagbarkeit der Verfahrenshandlungen ablehnen, weil sie nicht gerichtlich angreifbare Verwaltungsakte darstellen, da sie keinen Regelungscharakter enthalten. Diese Position ist nicht tragbar, weil § 44a VwGO nicht nur die Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ausschließt, sondern ebenso die Feststellungs- und allgemeine Leistungsklage. S. statt vieler Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungs Verfahrens, S. 203 mwN. Die Rechtsnatur der Verfahrenshandlungen, d.h., ob sie selbst Verwaltungsakte sind oder nicht, spielt keine Rolle für die Anwendung des § 44a VwGO. Dazu Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 19 mwN; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 47; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdn. 636. 438 Diese Ausnahme ist Ausdruck des Art. 19 IV GG. S. Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdn. 127; SchunckJDe Clerck, VwGO, § 44a, Anm. 3; Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 179 ff. So kann z.B. die Verweigerung der Gewährung der Akteneinsicht gegenüber Dritten gleich vom Antragsteller angegriffen werden. 439 Walter Schmidt, Staats- und Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Neuwied, Kriftel, Berlin 1994, S. 139 f. Die Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Akteneinsicht nach Ablauf des Verfahrens (VG Berlin, NVwZ 1982, 576) oder aufgrund eines selbständigen materiellen Rechts auf Einsichtnahme (vgl. zum beamtenrechtlichen Akteneinsichtsrecht in die Personalakten OVG Münster, NJW 1980,722) beantragt wird. 440 Die Verweigerung der Akteneinsicht kann zu Klagen führen, um die Akteneinsicht im Rahmen des Prozesses zu erlangen. Zu dieser "Klage auf Verdacht" s. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 44 f mwN.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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hörungs- und Mitwirkungsrechte des Bürgers im Verwaltungsverfahren erheblich verkürzt 441 . Auch gibt es im Fall der Gewährung der Akteneinsicht für den dritten Beteiligen 442 keine Möglichkeit, sich gegen die Einsichtnahme des anderen Beteiligten zu verteidigen, weil, wenn er Klage erhebt, die Einsichtnahme bereits vollzogen worden ist. Ein zusätzliches Problem stellt auch die Kombination von § 44a VwGO mit § 46 VwVfG dar, die in einen circulus viciosus führen kann. So ist ein Verfahrensfehler gemäß § 44a VwGO nicht unmittelbar gerichtlich angreifbar, wenn aber nach Ablauf des Verfahrens eine Klage erhoben wird, kann es vorkommen, daß dieser Fehler aufgrund von § 46 VwVfG unbeachtlich bleibt. Damit wird es möglich, daß die fehlerhaften Verfahrenshandlungen überhaupt nicht gerichtlich überprüft werden 443 . Es wird deshalb hier vorgeschlagen, daß im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 44a V w G O 4 4 4 ein vorbeugender oder vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz in Form einer einstweiliger Anordnung (§ 123 VwGO) zur Vornahme von Verfahrensakten zuzulassen ist, weil es sonst für die Verfahrensbeteiligten keinen effektiven Rechtsschutz gäbe 445 . Diesem Vorschlag steht die Ansicht nahe, die eine teleologische Extension des § 44a S. 2 VwGO in bezug auf Fälle vertritt, in denen ohne Eingriff der rechtsprechenden Gewalt irreparable Zustände oder vollendete Tatsachen geschaffen werden können 446 . So ist z.B. der Rechtsschutz des Verfahrensbeteiligten erforderlich, wenn die Behörde seine materiellen Rechtspositionen durch Gewährung von Akteneinsicht gegenüber anderen Beteiligten unter Verstoß gegen § 30 VwVfG verletzt und 441
Vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 44a, Rdn. 3a. Dritte Nichtbeteiligte fallen dagegen unter die Ausnahme des § 44a S. 2 VwGO. 443 Zu diesem Problem Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 23, Rdn. 18, S. 432; Ingo Richter/Gunnar Folke Schuppert, Casebook Verwaltungsrecht, 2. Aufl., München 1995, S. 186; Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 204 ff. Vgl. auch Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 75 ff (79 f). 444 Dazu Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 238 ff. 445 Schenke, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, S. 325; vgl. auch Dieter Seilner, Kontrolle immissionsschutzrechtlicher Entscheidungen im Verwaltungsgerichtsprozeß, BauR 1980, S. 391 ff (396); Pietzcker, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, S. 227; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 48; Schmidt-Aßmann!Krämer, Das Verwaltungs verfahren und seine Folgen, S. 129. 446 Kopp, VwGO, § 44a, Rdn. 9; Klaus Finkelnburg/Klaus Peter Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., München 1986, Rdn. 135 mwN; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 31; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 146. Vgl. auch Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, S. 470; Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, S. 79. Dazu Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 49 f. 442
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
damit Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder seine Steuerlage bekannt werden 447 . Diese Lösung korrigiert damit die herrschenden Lehre, die in den Anwendungsbereich des § 44a VwGO auch die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz aufnimmt 448 . Da hier eine Befriedigungsverfügung beantragt wird, stellt sich jedoch die Frage, ob nicht dadurch eine grundsätzlich verbotene endgültige Vorwegnahme der Hauptsache angeordnet wird 4 4 9 . Geht man von dem Verständnis des Objekts des einstweiligen Rechtsschutzes aus, den prozessualen Status quo zu erhalten 450 . ist die Gewährung einer solchen Befriedigungsverfügung unzulässig. Wenn man aber die Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes in der Sicherung des materiellen Rechts sieht 451 , ist die Sicherung der materiellen Rechtspositionen auch mit Vorwegnahme der Hauptsache zulässig 452 . Da 447 Vgl. Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 23, Rdn. 11 (unter bezug auf BVerwGE 71, 183), die den Beteiligten zur Schutz vor unbefugter Offenbarung eines Geheimnisses durch die Behörde die vorbeugende Unrelassungsklage zusprechen. S. auch Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 233. 448 BVerwG, NJW 1979, 177; BVerwG, NJW 1982, 120; VGH München, BayVBl. 1978, 763; VGH Mannheim, Die Justiz 1980, 365; VGH München, BayVBl. 1980, 376; OVG Münster, NJW 1981, 70 = DVB1. 1980, 964 = VerwRspr. 32, 125; VGH Mannheim, Die Justiz 1982, 102; VGH Mannheim, BWVPr. 1986, 163; VGH München, BayVBl. 1988, 1179 = NVwZ 1988, 1054; OVG Bremen, NVwZ 1990, 41; VGH München, DAR 1992, 34; OVG Saarlouis, NVwZ-RR 1992, 382; VG Köln, NJW 1978, 1397; VG Hannover, NVwZ 1986, 960; VG Saarlouis, NVwZ 1987, 730; VG Oldenburg, DöV 1993, 439. S. auch Redeker/von Oertzen, VwGO, § 44a, Rdn. 2; Kopp, VwGO, § 44a, Rdn. 4; derselbe, VwVfG, § 29, Rdn. 35; Schuck!de Clerck, VwGO, § 44a, Anm. 2; Clausen, in: Knack, VwVfG, § 29, Rdn. 8; Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 20, 32; Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 177; Eichberger, Die Einschränkung des Rechtsschutzes gegen behördliche Verfahrenshandlungen, S. 192 ff; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 10, S. 248; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 48 mwN; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 106; Willi Vallendar, in: Gerhard Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Kommentar, 2. Aufl., Wiesbaden (Losebl.), § 10, Anm. 21; Schmidt-De Caluwe, in: Nomos Kommentar zur VwGO, § 44a, Rdn. 175. Contra Plagemann, Anm. NJW 1978, S. 2261; Preussner, Das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren, S. 9; Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 97, Rdn. 23; Dieter Seilner, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 2. Aufl., München 1988, § 10 BImSchG, Rdn. 143; VG Saarlouis, NVwZ 1987, 730; BVerfG, NJW 1991, 415. 449
Daß eine teilweise oder vorübergehende Vorwegnahme der Hauptsache bei einigen Arten von einstweiligen Verfügungen zulässig ist s. stellvertretend Othmar Jauernig, Der zulässige Inhalt einstweiliger Verfügungen, ZZP 79 (1966), S. 321 ff (323 ff). 450 Meinhard Heinze, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Bd. 3, München 1992, § 916, Rdn. 12, 14 und § 935, Rdn. 2 mwN. 451 Wolfram Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 174 (1974), S. 97 ff (106); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 189 ff. 452 Vgl Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, Rdn. 238, nach denen das strikte Vorwegnahmeverbot im Verwaltungsprozeß mit Art. 19 IV GG unvereinbar ist.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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aber das Vorwegnahmeverbot einen Ausgleich der Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners bezweckt, ist die Vorwegnahme an eine Interessenabwägung gebunden und muß verhältnismäßig sein 453 . So ist z.B. eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt des Einsichtnahmerechts für einen anderen Verfahrensbeteiligten zu verbieten oder nur dann zu gewähren, wenn das Geheimhaltungsinteresse des Antragstellers nicht überwiegt, oder umgekehrt ist z.B. die Akteneinsicht nur zu gewähren, wenn sie nicht unverhältnismäßig die Geheimhaltungsinteressen anderer Beteiligter beeinträchtigt. Weniger ergiebig ist der Versuch, § 44a VwGO durch teleologische Reduktion nur auf solche Verfahrenshandlungen zu beschränken, die keine unmittelbaren Rechte des Bürgers betreffen 454 . Aus den grundrechtlichen Verfahrensgarantien wird damit der Grundsatz abgeleitet, daß im Falle der Verletzung von subjektiven Verfahrensrechten, wie z.B. des Akteneinsichtsrechts, der effektive Schutz der Grundrechte die sofortige Anfechtung dieser Verfahrenshandlungen verlangt. Damit wird aber in der Praxis § 44a VwGO bedeutungslos455. Dieser Ansatz leidet aber an der Schwierigkeit, die Grundrechtsrelevanz der Verfahrensrechte näher zu identifizieren 456 . Die grundrechtlichen Verfahrensgarantien werden verletzt, wenn der Verfahrensfehler selbst einen zusätzlichen Eingriff in das Grundrecht bedeutet. Dieser liegt vor, wenn aufgrund des Verfahrensfehlers, die Wahrnehmung des Grundrechts nicht mehr möglich ist 4 5 7 , was nur in Grenzfällen für die Akteneinsicht nachzuweisen ist 4 5 8 .
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Vgl. Wolf-Dietrich Walker, Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozeß und im arbeitsgerichtlichen Verfahren, Tübingen 1993, S. 58 ff, Rdn. 70 ff mwN. 454 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 44a, Rdn. 3a; Redeker, Grundgesetzliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, S. 1597; Plagemann, Anm. NJW 1978, 2261; Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, § 97, Rdn. 16 f. Dazu Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 205 f; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 52 ff mwN. 455 Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 32. 456 So hat das OVG Münster, NJW 1981, 70 die Grundrechtsrelevanz des Akteneinsichtsrechts geleugnet. Dazu krit. Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, S. 79. 457 Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 32. 458 Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 97, Rdn. 32 unter bezug auf BVerfG, NJW 1991,415; VGH München, NVwZ 1990, 775 = BayVBl. 1990, 622.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
V I I I . Erweiterung und Grenzen des Anwendungsbereichs des § 29 VwVfG im Verwaltungsverfahrensrecht § 29 VwVfG gilt zunächst im Anwendungsbereich der §§ 1,9 VwVfG. Dies bedeutet, daß der Akteneinsichtsanspruch bei der Ausübung öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit besteht 459 . Sie bezieht sich auf Verfahren, die auf den Erlaß eines Verwaltungsakts oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet sind 460 . Keine Anwendung findet danach § 29 VwVfG auf Verfahren zum Erlaß von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften 461, beim Treffen von verwaltungsinternen Maßnahmen 462 , bei der Vornahme von Realakten oder bei Abgabe von Willensoder Wissenserklärungen 463. Nicht anzuwenden ist die Vorschrift ebenfalls, wenn es um Vorgänge des Verwaltungsprivatrechts geht oder bei fiskalischen Handlungen der Behörde 464 . Ob bei allen diesen Fällen § 29 VwVfG analog anzuwenden ist, ist noch umstritten 465 . Bei privatrechtlichen Verwaltungsvorgängen kommt auch eine Anwendung in Konkurrenz mit § 810 BGB in Betracht. Ob und wie § 29 VwVfG in § 810 BGB gelesen werden kann, kann es hier nicht weiter verfolgt werden. § 29 VwVfG ist ein Verfahrensrecht der Beteiligten. Behörden können sich deshalb nicht auf dieses Recht berufen. Sie sind auf die Amtshilfe verwiesen 466 .
A. Spezielle Verfahren 1. Widerspruchsverfahren Bei der Akteneinsicht im Widerspruchsverfahren findet § 29 VwVfG und darüber § 30 VwVfG des Bundes Anwendung 467 . Auf ihn verweist für das Widerspruchsverfahren § 79 V w V f G 4 6 8 . 4
59 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 10. 460 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 10. 461 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. 462 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. 463 Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 10. 464 S. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. 465 Für die analoge Anwendung Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 11. 466 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 12.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
2. Verfahren
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der Justizverwaltung
Von den Anwendungsbestimmungen des § 2 VwVfG ist die in § 2 I I I Nr. 1 VwVfG geregelte Ausnahme für die Justizverwaltung und die ihrer Aufsicht unterliegenden Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit ihre Handlungen nicht in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen, von besonderem Interesse. Nach dieser Vorschrift ist § 29 VwVfG nicht auf Verwaltungsvorhaben bezüglich der Strafvollstreckung sowie auf Verwaltungsverfahren der Rechtsanwalts-, Notar- und Patentanwaltskammer anwendbar. Anders als im gerichtlichen Beschwerdeverfahren 469 besteht kein Anspruch auf Akteneinsicht in die Akten der Strafanstalten und des Justizvollzugsdienstes im allgemeinen 470
™ Dazu Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 29, Rdn. 70, § 30, Rdn. 27; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Aufl., S. 180. Entsprechend findet § 25 SGB X und darüber § 35 SGB I bei der Akteneinsicht im Widerspruchsverfahren Anwendung. Ausführlich dazu v. Mutius, in: GK-SGB X I , § 25, Rdn. 18 mwN; s. auch LSG Celle, Sgb 1987, 65. Eine Ausnahme enthält § 84a SGG. Danach ist § 25 IV SGB X nicht anzuwenden und die Akten an die Beteiligten zu übersenden. Zu der besonderen Stellung des Widerspruchsverfahrens zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß im Hinblick auf die bundesstaatliche Problematik s. Michael Oerder, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung, Berlin 1989. Das Widerspruchsverfahren ist ein Verwaltungs verfahren, da das Handeln der Verwaltung vor der Klageerhebung als Einheit anzusehen ist. Andererseits steht das Widerspruchsverfahren im Zusammenhang mit dem Verwaltungsprozeß, der eine Regelung durch den Bundesgesetzgeber rechtfertigt. Dazu Albert von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, Berlin 1969; Oerder, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung, passim und S. 15 mwN; Edgar Bosche/Jörg Schmidt, Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, 4. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988, S. 115; Prévédourou, Les recours administratifs obligatoires, S. 344 ff; BVerwGE 62, 201 (205) = DöV 1985, 196 ff; BVerwG, NVwZ 1987, 224. 468 Dazu vgl. Wassilios Skouris, Bescheidungsformen bei Identität von Ausgangsund Widerspruchsbehörde, DöV 1982, S. 133 ff. Vor Einführung des VwVfGes war die Akteneinsicht im Widerspruchsverfahren aufgrund einer analogen Anwendung des § 99 VwGO zulässig. S. von Mutius, Das Widerspruchsverfahren, S. 219 f. 469 Über die Gefangenerpesonalakten besteht kein Zweifel, daß sie im Rahmen des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens zugänglich sind. S. Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 147, Rdn. 79 ff; OLG Celle, NStZ 1982, 304. Umstritten ist jedoch, welches die Begründung dieses Recht ist. Nach einer Meinung wird das Akteneinsichtsrecht über §§ 109, 120 StVollzG aus § 147 StGB abgeleitet. Nach einer anderen Meinung wird es aus dem Akteneinsichtrecht des § 100 VwGO abgeleitet {Rainer Keller, Das Akteneinsichtsrecht der Strafgefangenen, NStZ 1989, S. 17 ff [20]) Eine dritte Meinung stützt das Recht unmittelbar auf Art. 103 I GG (Volkhart Schmidt, in: Alternativkommentar zum StrVG, § 109, Rdn. 9; Manfred Schuler, in: Schwind/Böhm, StVollzG, § 120, Rdn. 3).
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
Ein Teil der Lehre vertritt jedoch die Meinung, daß § 29 VwVfG in Form eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch im Rahmen der Strafvollzugsverwaltung anzuwenden ist, und zwar in denjenigen Fällen, wo ein Verwaltungsverfahren zu belastenden Maßnahmen führen kann und die Akteneinsicht als Erfordernis der Anhörung erscheint 471 . Die herrschende Meinung gibt dagegen hier keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Danach haben die Gefängnisbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Akten zugänglich gemacht werden sollen 472 . Bei der Abwägung sollen die Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen sowie die Interessen Dritter mitberücksichtigt werden 473 . Es gibt auch Fälle, in denen das behördliche Ermessen auf Null reduziert wird 4 7 4 . Einen solchen Fall stellen beispielsweise die Gefangenkrankenakten dar 4 7 5 .
3. Berufungsverfahren
der Hochschulen
In einigen Länder werden Einschränkungen der Anwendung des § 29 VwVfG bezüglich des Berufungsverfahrens im Hochschulbereich gemacht. Diese Vorschrift dient der Bereitschaft zur unbefangenen gutachtlichen Stel470 Rolf-Peter Calliess/Heinz Müller-Dietz, StVollzG, 6. Aufl., München 1994, § 108, Rdn. 12 und § 115, Rdn. 5; Manfred Schuler, in: Schwind/Böhm, StVollzG, § 108, Rdn. 9, § 115, Rdn. 7, § 120, Rdn. 3. Contra Volkhart Schmidt, in: Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz, § 109, Rdn. 9 und § 115, Rdn. 11. Ein allgemeines Recht auf Akteneinsicht kann nicht aus Art. 103 I GG abgeleitet werden. S. BVerfG, NStZ 1982, 44. 471 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 108, Rdn. 4; Rolf-Peter Calliess, Strafvollzugsrecht, 2. Aufl., München 1981, S. 57; Keller, Das Akteneinsichtsrecht der Strafgefangenen, S. 19; Erich Joester, Akteneinsicht in Gefangenenpersonalakten in Strafvollzugssachen durch den Verteidiger oder Gefangenen, StrV 1981, S. 80 f. Über die analoge Anwendung des § 29 VwVfG beim Strafvollzug im allgemeinen s. auch Klaus Geppert, Zum Einsichtsrecht des Strafgefangenen in die anstaltsärtzlichen Krankenunterlagen, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Berlin, New York 1984, S. 149 ff. 472 OLG Celle, NStZ 1982, 45; OLG Celle, StrV 1983, 512; Erich Czaschke, Einsicht in die Gefangenenpersonalakten, NStZ 1983, S. 441 ff. Zum Akteneinsichtrecht früherer Gefangener vgl. Helmut Schäfer, Das Recht eines früheren Beschuldigten auf Akteneinsicht und das Geheimhaltungsinteresse des öffentlichen Dienstes, MDR 1984, S. 454 ff; OLG Hamm, MDR 1984, 73. Ähnliches gilt, wenn die Akten oder ihre Kopien im Rahmen der Amtshilfe in Besitz einer anderen Behörde und jetzt von ihr zur Einsicht verlangt werden. Die hier zuständigen Verwaltungsgerichte sprechen nach den allgemeinen Regeln der Behörde ein Ermessen zu, die Einsicht zu gewähren. S. VGH München, NVwZ 1987, 613 = BayVBl. 1987, 117 = NStZ 1987, 294. 473 Dazu Keller, Das Akteneinsichtsrecht der Strafgefangenen, S. 19. 474 Lüderssen, in: Löwe/Rosenberg, StPO, § 147, Rdn. 81. 475 OLG Celle, NStZ 1986, 284, mit zustimmende Anmerkung H. Müller-Dietz.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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lungnahme und stellt keinen zusätzlichen Geheimhaltungstatbestand dar 4 7 6 . Die allgemeinen Rechtsgrundsätze bleiben damit unberüht, was bedeutet, daß der Behörde ein Ermessen eingeräumt ist, die Akteneinsicht zu gewähren oder zu verweigern 477 . Rechtstechnisch wird dieser Zweck unterschiedlich durch die Landesverwaltungsverfahrensgesetze durchgesetzt. Nach § 2 I I I Nr. 3 HmbVwVfG und § 2 IV S. 2 VwVfG BW wird die Anwendung des § 29 LVwVfG im Hochschulberufungsverfahren ausgeschlossen. Nach § 336 V Nr. 2 LVwG SchlH wird die Anwendung des § 88 LVwG (Akteneinsichtsrecht) nicht bei den Vorschriften genannt, die im Berufungsverfahren Anwendung finden. In Hessen wird die Anwendung des ganzen LVwVfG gemäß § 2 I I Nr. 6 Hess VwVfG auf die Berufung von Hochschullehrern völlig ausgeschlossen. § 2 I I I Nr. 4 NdsVwVfG schließt dagegen die Anwendung von § 29 LVwVfG nur in bezug auf das Gutachten über die fachliche Eignung eines Bewerbers aus 478 . Fraglich ist, ob die Nichtanwendung des § 28 LVwVfG gemäß § 2 I I I Nr. 3 NRW und § 2 I I SächsVwVfG nicht wegen des funktionellen Zusammenhangs zwischen den Vorschriften auch die Anwendung des § 29 VwVfG ausschließt. Dies ist zu verneinen, weil § 29 VwVfG nicht nur die Anhörung, sondern auch die Kontrolle des Verfahrens durch die Beteiligten ermöglicht und den Weg eröffnet, ohne Klageerhebung die Verfahrensakten einzusehen. Der Gewährung der Akteneinsicht kommt damit eine zusätzliche Bedeutung zu, die für eine isolierte Anwendung des § 29 LVwVfG spricht.
4. Prüfungsrecht Eine Ausnahme von der Regel, daß § 29 VwVfG auch im Bereich des Prüfungswesens gilt (§ 2 I I I Nr. 2 VwVfG) 4 7 9 , enthält § 2 I I I Nr. 2 HS 2 NdsVwVfG. Danach können Abweichungen von der Anwendung des § 29 I u. 476 Dazu Hans Peter Bull, Grundlagen des Verwaltungshandelns, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Hans-Joachim Koch, Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt a.M. 1988, S. 154 ff (159); derselbe, Geheimhaltung für Gutachten in Berufungsverfahren, WissR 1987, S. 111 ff. Vgl. auch OVG Hamburg, WissR 1987, 180, das die Ausnahme der Akteneinsicht bezüglich des Berufungsverfahrens nicht als Verweigerungsgrund für die Vorlage der Akten iS des § 99 VwGO ansieht. 477 Vgl. Braun/v. Rotberg, VwVfG BW, § 2, Rdn. 9. Vgl. aber auch VG Frankfurt, NVwZ 1986, 684 und VG Saarlouis, NVwZ 1987, 730 (Akteneinsicht aufgrund des Grundsatzes des rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens zur Wahrung individueller Rechte). 478 s. auch § 2 II Nr. 4 VwVfG MV. 479 Dazu Norbert Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2 Prüfungsrecht, 3. Aufl., München 1994, Rdn. 112 ff. 35 Trantas
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
I I I NdsVwVfG im Prüfungsrecht durch andere Vorschriften vorgesehen werden. Solche Vorschriften sehen ein uneingeschränktes Recht des Prüflings auf Einsicht in die Prüfungsakten nach Abschluß der Prüfung vor. Solche Akteneinsichtsrechte waren vor Inkrafttreten des VwVfG weithin anerkannt, und der Gesetzgeber wollte diesen Rechtszustand beibehalten 480 .
B. Akteneinsicht im förmlichen Verwaltungsverfahren Besondere Regelungen gelten bei förmlichen Verwaltungsverfahren. Besonderheiten von den förmlichen Verwaltungsverfahren bezüglich des Akteneinsichtsrechts weisen die Genehmigungsverfahren von Großanlagen und die Planfeststellungsverfahren auf, weil sie wegen der großen Zahl von Beteiligten strukturelle Unterschiede zum klassischen Verwaltungsverfahren enthalten 481 . Da diese Verfahren zum großen Teil in Zusammenhang mit umweltrechtlichen Belangen stehen, ist auf die parallele Geltung der Vorschriften des UIG und der EG-RL 90/313 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt hin482
zuweisen 1. Abweichungen von der Regelung des § 29 VwVfG Nach den Grundlagen des förmlichen Verwaltungsverfahrens (§§ 63 ff VwVfG) sind die §§ 29-30 VwVfG auch in solchen Verfahren anwendbar 483. Da aber diese Vorschriften einer speziellen Anordnung für ihre Anwendung in einem Verwaltungsverfahren bedürfen (§ 63 I VwVfG) 4 8 4 , besteht eine Fülle 480 Dazu Götz Frank, Grundlagen des Verwaltungshandelns, in: Heiko Faber/HansPeter Schneider (Hrsg.), Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt a.M. 1985, S. 144 ff (149). 481 Vgl. Hasso Hoffmann , Der Einfluß der Großtechnik auf Verwaltungs- und Prozeßrecht, UPR 1984, S. 73 ff (75 f). Vgl. Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 51. 483
Jost-Dietrich Busch, in: Knack, VwVfG, § 63, Anm. 4.2.5; Michael Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 63, Rdn. 35; Ule!Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 25, Rdn. 3, S. 244. 484 So verweist § 10 II KDVG auf die Vorschriften der §§ 63 ff VwVfG und damit auch auf § 29 VwVfG. S. SchererlSteinlechner, WPflG, KDV S. 310, Rdn. 38; Brecht, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, § 10 KDVG, Rdn. 4; FritzJ Baumüllerl Brunn, KDVG, § 10, Rdn. 25 f. § 29 VwVfG gilt ebenfalls und ohne Verweis im Verfahren vor dem Bundesamt für den Zivilschutz. S. Brecht, § 4 KDVG, Rdn. 3. Ähnliches gilt auch im Musterungsverfahren parallel zum Auskunftsrecht des § 17 V WPflG {SchererlSteinlechner, § 17, Rdn. 47). S. auch BVerwG, NJW 1979, 177; Heribert Johlen, Wehrpflichtrecht in der Praxis, 3. Aufl., München 1989, S. 154, Rdn. 324. Das
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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von besonderen Vorschriften, die teilweise abweichende Regelungen enthal-
2. Akteneinsicht im immissionsschutz- und atomrechtlichen Genehmigungsverfahren § 29 I S. 1-2 VwVfG findet keine Anwendung im förmlichen immissionsschutzrechtlichen sowie im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren 486. Die Akteneinsicht ist nicht verboten, sie steht aber im pflichtgemäßen Ermessen der Behörden (§ 10a HS 1 9.BImSchV und § 6 I I I HS 1 A t V f V ) 4 8 7 . Gemäß § 10a
Akteneinsichtsrecht im Heranziehungsverfahren von Wehrpflichtigen, die noch nicht gedient haben, steht Dritten, auch den bevollmächtigten Eltern volljähriger Wehrpflichtigen nicht zu (Scherer/Steinlechner, WPflG, § 20, Rdn. 20, unter Verweis auf die Volkszahlungsurteil BVerfGE 65, 1). Ein Akteneinsichtsrecht des Wehrpflichtigen im Unabkömmlichstellungsverfahren ist dagegen nicht gestattet, da er dort kein Verfahrensbeteiligter ist (Scherer/Steinlechner, § 13, Rdn. 43). Das Recht auf Akteneinsicht des § 29 VwVfG gilt für Zurückstellungsanträge des Wehrpflichtigen, soweit es sich um ein noch nicht abgeschlossenes Verwaltungsverfahren handelt. Es besteht aber in bezug auf das abgeschlossene Musterungsverfahren und zur Prüfung weiter, ob ein Widerspruch sinnvoll ist (Scherer/Steinlechner, WPflG, § 20, Rdn. 20). 485 So gelten neben § 30 VwVfG bei Beratungen und Abstimmungen der Ausschüsse besondere Geheimhaltungspflichten (§ 10 I S. 2 KDVG). Das Verfahren wird als Folge der Weisungsfreiheit der Ausschüsse nicht öffentlich durchgeführt. Dazu Fritz, in: Fritz/Baumüller/Brunn, KDVG, § 10, Rdn. 9 f. Vgl. auch § 19 II WPflG. Zur Problematik der Nicht-Gewährung der Akteneinsicht bei Einberufung von Wehrpflichtigen s. VG Karlsruhe, NVwZ 1990, 1102; Bernhard Wolf Rechtsstaatliches Verwaltungshandeln im Einberufungsverfahren, NVwZ 1990, S. 1049 ff. 486 Vgl. ( j a z u Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 86 ff. Im vereinfachten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren gibt es keine Öffentlichkeitsbeteiligung iS des § 10 BImSchG und es besteht damit kein Grund, die Anwendung des § 29 VwVfG auszuschließen. Vgl. Jarass, BImSchG, § 19, Rdn. 10 mwN; Klaus Hansmann, in: Robert von Landmann/Gustav Rohmer, Umweltrecht, 2. Aufl., München (Losebl.), § 19 BImSchG, Rdn. 14. 487 Die Akteneinsicht dem Ermessen der Behörde zu überlassen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. S. OVG Münster, DöD 1980, 89; OVG Münster, DVB1. 1980, 964; VG Köln, DVB1. 1980, 385; Albert von Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, DVB1. 1978, S. 665 ff (670 f); Michael Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, Berlin 1983, S. 331; Udo Graffe , Die Beteiligung des Bürgers an umweltschutzrechtlich relevanten Verfahren unter besonderer Berücksichtigung des VwVfG, Diss. Mainz 1980, S. 68 ff; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 39. Vgl. auch VG Regensburg, RdE 1988, 264. Contra Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, S. 54; Carl-Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Empfehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungspro-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
HS 2 9.BImSchV und § 6 I I I HS 2 AtVfV sind § 29 I S. 3 sowie I I und I I I VwVfG jedoch auch bei immissionsschutz- und atomrechtlichen Genehmigungsverfahren entsprechend anzuwenden. a) Beteiligte und Einsichtsberechtigte Beteiligt am Genehmigungsverfahren sind der Antragsteller sowie alle Personen, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, unabhängig davon, ob eine Beeinträchtigung ihrer Rechte vorliegt 488 . Der engere, an der Betroffenheit orientierte Beteiligtenbegriff des § 13 VwVfG tritt dadurch hier zurück 489 . Umstritten ist, wie die Beteiligung am Verfahren den Kreis der Einsichtsberechtigten bestimmt. Nach dem Wortlaut von § 10a HS 1 9.BImSchV und § 6 I I I HS 1 AtVfV kann jedermann die Einsicht beantragen 490. Im Hinblick aber auf die Koppelung dieser Berechtigung mit einem Ermessenstatbestand der Behörde und der Tatsache der mangelnden Konkretisierungskriterien dieses Ermessens im Gesetz taucht dabei die Frage auf, ob eine Ausdifferenzierung nach den unterschiedlichen Rechtspositionen der Beteiligten erforderlich ist. Hier bestehen grundsätzlich vier Meinungen. Nach einer Ansicht steht die Gewährung der Akteneinsicht für alle Verfahrensbeteiligten gleichermaßen im Ermessen der Behörde. Da keine inhaltlichen Kriterien für die Bestimmung der Einsichtsberechtigten bestehen, ist die Behörde bei der Ermessensausübung nur an die bekannten Regeln der Ermessenszeßrecht?, Gutachten B, 52. DJT, München 1978, S. Β 38 f (bezüglich die unmittelbar Betroffenen). Zur Entstehungsgeschichte der § 6 III AtVfV s. Ronellenfitsch, S. 329 ff; v. Mutius, S. 669 f. 488 Vgl. BVerwG, DVB1. 1987, 1027 (1028). 489 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 332; Christian Heitsch, Genehmigung kemtechnischer Anlagen nach deutschem und US-amerikanischem Recht, Berlin 1993, S. 114; Engel, Akteneinsicht und Recht auf Information über umweltbezogene Daten, S. 33. Contra Ule!Lauhinger, Gutachten B, 52. DJT, München 1978, S. Β 36 ff, die den Einwender als Beteiligten iS von § 13 VwVfG ansehen. Ähnlich Lodde, Informationsrechte des Bürgers gegen den Staat, S. 27. Diese Position verkennt jedoch die Unterscheidung der Position zwischen dem Rechtsbetroffenen und dem Interessenbetroffenen. Vgl. auch Gurlit, Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht, S. 141 f. 490 André Turiaux, UIG, München 1995, Einl., Rdn. 71; Graffe , Die Beteiligung des Bürgers an umweltschutzrechtlich relevanten Verfahren, S. 52; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 41; Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 332; Schmel, Massenverfahren vor den Verwaltungsbehörden und den Verwaltungsgerichten, S. 173; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 673.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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ausübung gebunden, nämlich die Achtung des Gleichheitssatzes und der Verhältnismäßigkeit 491 . Die Verhältnismäßigkeit wird im Zusammenhang mit dem Zweck der Einschränkung der Akteneinsicht bestimmt 492 , d.h. mit der Sorge, die übermäßige Belastung der Behörden durch Akteneinsichtsbegehren seitens einer unübersichtlichen Zahl von Verfahrensbeteiligten zu vermeiden 493 . Dies führt zu dem Ergebnis, daß die Akteneinsicht grundsätzlich zu gewähren ist, soweit die Funktionsfähigkeit der Behörde nicht beeiträchtigt wird 4 9 4 . Diese Lösung will dem Wortlaut der Verfahrensvorschriften entsprechen, hat jedoch den Nachteil, daß sie nicht genügend zwischen dem Betroffenen und den sonstigen Interessierten unterscheidet 495. Es wird deshalb vorgeschlagen, daß das Ermessen der Behörden so zu interpretieren ist, daß zwischen dem Betroffenen und den sonstigen Einwendern zu unterscheiden sei 496 . Wenn dem Betroffenen die Einsichtnahme grundsätzlich zu gewähren ist, sind in der Regel die übrigen Verfahrensbeteiligten von der Akteneinsicht auszuschließen497. Diese Meinung hat den Vorteil, daß sie eine bessere Strukturierung der in Frage kommenden Einsichtsinteressen erlaubt. Die Unterscheidung zwischen Betroffenem und sonstigen Einwendern findet eine Stütze in den §§ 10a HS 2 9.BImSchV und 6 I I I HS 2 AtVfV, indem sie auf § 29 I S. 3 und damit auf § 18 VwVfG verweisen, die den Begriff des betroffenen Beteiligten des § 13 VwVfG voraussetzen. Eine Differenzierung zwischen den Beteiligten vertritt auch die dritte Meinung, die aus dem systematischen Argument der Stellung des § 10a 9.BImSchV und des § 6 I I I AtVfV im Abschnitt mit dem Titel "Beteiligung Dritter" in der 9.BImSchV bzw. der AtVfV eine besondere Verfahrensposition des Antragstel-
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v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 673. 492 Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 40. 493 Axel Schulz, Neue atomrechtliche Verfahrensordnung, DVB1. 1977, S. 326 ff. 494 OVG Lüneburg, DVB1. 1984, 229; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atomund immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 40. 495
Zurecht krit. Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 332, der in dieser Lösung eine Benachteilung der Betroffenen sieht. Es ist nicht hinnehmbar, daß aufgrund des Zufalls, daß zahlreiche andere Bürger Einwendungen erhoben haben, dem unmittelbar Betroffenen seine Rechte verkürzt werden. 496 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 332. 497 Wenn die Betroffenen zahlreich sind, wird der Zweck durch diese Lösung nicht die Funktionsfähigkeit der Behörden gefährden, weil dann die Bestellung von Vertretern kraft §§ 16-17 VwVfG möglich ist. Vgl. Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 333.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
lers ableitet 498 . Danach ist die Akteneinsicht des Antragstellers nicht gemäß § 10a 9.BImSchV bzw. § 6 I I I AtVfV, sondern nach § 29 I S. 1 VwVfG zu beurteilen. Das Ergebnis ist, daß dem Antragsteller ein Anspruch auf Akteneinsicht zusteht. Die Trennung des Antragstellers von den anderen Betroffenen, die Dritte bleiben und deren Akteneinsichtsrecht folglich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht, ist jedoch problematisch, weil sie die Waffengleichheit zwischen Antragsteller und Betroffenen verletzt 499 . Eine vierte Meinung unternimmt deshalb eine teleologische Reduktion der §§ 10a 9.BImSchV und 6 I I I AtVfV. Danach sind diese Vorschriften und § 29 VwVfG parallel anzuwenden. Dies bedeutet, daß der Antragsteller und der betroffene Einwender einen Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 29 I S. 1 haben. § 10a 9.BImSchV und § 6 I I I AtVfV behalten damit ihre Bedeutung nur für die nicht betroffenen Einwender 500 . Gemeinsamer Topos aller oben beschriebenen Ansätzen ist die Sorge darum, dem Antragsteller und den Betroffenen eine verbesserte Verfahrensposition einzuräumen und ihnen die Einsichtnahme in die Verfahrensakten zu gewähren, sei es durch eine Ermessensreduzierung auf Null, sei es in Form einer Anwendung des § 29 I S. 1 VwVfG. Eine solche Strukturierung der Akteneinsichtsrechte nach der Art der Betroffenheit ist im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften gerechtfertigt. Die praktische Erfahrung mit der Anwendung der Vorschriften spricht dafür, daß eine solche Erweiterung der Akteneinsichtsrechte nicht die Effektivität des Genehmigungsverfahrens beeinträchtigt 501 . 498
Vallendar, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, § 10 9.BImSchV, Anm. 10; Ernst Kutscheidt, in: Robert Landmann/Rohmer, § 10 BImSchG, Rdn. 10. 499 Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 52. 500 Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 52 mwN. 501 Vgl. Hetty Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 41; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 667 mwN. So ist in der Lehre als Beispiel gebracht worden, daß im Fall des Genehmigungsverfahrens des KKW Wyhl von den ca. 100000 Einwendern sich nur ca. 45 Personen für die Akteneinsicht interessierten. Diese praktische Erfahrung mit den Vorschriften veranlaßte Heitsch, Genehmigung kerntechnischer Anlagen, S. 115 zu dem Vorschlag, die Akteneinsicht allen denjenigen zu gewähren, die tatsächlich ein Interesse am Ablauf des Genehmigungsverfahrens (z.B. durch die Einstellung eines Anwalts oder die Ernennung eines Vertreters) gezeigt haben. Zu weit gehen aber Ule!Laubinger, Gutachten B, 52. DJT, München 1978, S. Β 38, wenn sie für die de lege ferenda Streichung der §§ 10a 9.BImSchV und 6 III AtVfV plädieren, weil sich dann jeder Einwender auf § 29 I S. 1 VwVfG berufen könnte und § 29 II VwVfG nicht als genügende Absicherung gegen Mißbrauch anzusehen ist. Zurecht dazu krit. v. Mutius, S. 675, der seinerseits für eine Koppelung eines Akteneinsichtsanspruchs mit einem strikten Vertretungszwang, allerdings unter Beachtung des Art. 3 I und des Art. 19 IV GG, argumentiert.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
b) Vertretung Da in der Praxis die atomrechtlichen sowie viele der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren durch eine hohe Zahl von Beteiligten (Massenverfahren) charakterisiert sind 502 , gewinnt die Vertretung der Einwender eine besondere Bedeutung bei der Wahrnehmung der Akteneinsicht. § 29 I S. 3 VwVfG ist nach 10a HS 2 9.BImSchV und § 6 I I I HS 2 AtVfV anwendbar, was bedeutet, daß im Fall einer Vertretung gemäß den §§ 17-18 VwVfG nur der bestellte Vertreter des Einwenders die Einsichtnahme wahrnehmen kann. Die Regelung entspricht der Tatsache, daß in den meisten der Fällen die Einwender kollektiv handeln 503 . Die Vertretung kann deshalb zur Rationalisierung des Verfahrens beitragen, auch wenn diese Vorschriften umgangen werden kön-
c) Exkurs: Das Verhältnis zwischen Akteneinsicht und der Auslegung von Antrag und Unterlagen Für die Bestimmung des Gegenstand und des Umfangs der Akteneinsicht im atom- bzw. im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist es von Nutzen, den Zusammenhang mit der Auslegung des Antrags und bestimmter Unterlagen während des Verfahrens mitzubehandeln. Die Akteneinsicht ist Teil der Öffentlichkeitsbeteiligung am Genehmigungsverfahren, das nach dem vollständigen Vorliegen der Antragsunterlagen über das Vorhaben bei der Behörde eröffnet wird. Die Eröffnung des Verfahrens wird öffentlich bekanntgemacht (§ 10 I I I S. 1 BImSchG, § 8 I 9.BImSchV, § 4 I S. 1 u. 2 A t V f V ) 5 0 5 . Die Bekanntmachung enthält Angaben über den Antragstel502
So sind ca. 881000 Einwendungen in Fall der 2.Teilgenehmigung der Wiederaufarbeitungslage in Wackersdorf erhoben worden. Davon waren 99,3% über Sammellisten gestellt. S. Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 17. 503 Vgl. dazu v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 667. 504 Dazu Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 42 f. So kann z.B. die Zahl der Unterzeichneten einer Anwendung vorsätzlich unter fünfzig Personen gehalten werden, um § 17 1 VwVfG zu umgehen. Bei § 18 VwVfG ist dagegen erforderlich, daß die Einwender Beteiligte iS des § 13 VwVfG sind. Vgl. dazu Schmel, Massenverfahren vor den Verwaltungsbehörden und den Verwaltungsgerichten, S. 99 ff mwN. Eine mögliche Lösung § 18 VwVfG hier effektiv anzuwenden ist es, alle Einwender wie Beteiligten zu behandeln. Vgl. Kopp, VwVfG, § 18, Rdn. 10; Victor Henle, Probleme der gemeinsamen Vertretung in Massenverfahren, DVB1. 1983, S. 780 ff (784 f); Ulei Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 40, Rdn. 36, S. 373 f. 505 Dazu eingehend Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 322 f; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Ge-
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
1er und sein Vorhaben, Angaben über die Frist und den Ort der Auslegung des Antrags und der beigefügten Unterlagen 506 , die Frist zur Vorbringen von Einwendungen mit dem Nachweis der Präklusionswirkung dieser Frist 5 0 7 sowie die Ankündigung des Erörterungstermins (§ 10 I I I S. 2 BImSchG, § 9 9.BImSchV, § 5 I AtVfV). Die Auslegung bezweckt damit, die Öffentlichkeit über das Vorhaben zu informieren und die Möglichkeit für Einwendungen seitens der betroffenen Bürger zu eröffnen. Dieser Zweck der Auslegung entspricht ihrer Beschränkung auf die Einsichtnahme in bestimmte Teile des Antrags und die beigefügten Unterlagen 508 . Der Mindestinhalt des Antrags wird in § 3 9.BImSchV und § 2 AtVfV beschrieben 509. Daneben hat der Antragsteller eine Reihe anderer Unterlagen beizufügen, die zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich sind (§ 101 S. 2 BImSchG iVm § 4 I 9.BImSchV, § 3 I AtVfV). Für die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren werden die notwendigen Unterlagen im einzelnen in den §§ 4a-4e 9.BImSchV und für das amtomrechtliche Genehmigungsverfahren in § 3 I AtVfV aufgeführt 510 . Erforderlich sind grundsätzlich ein Sicherheitsbericht 511, ergänzende Pläne, Zeichungen und Beschreibung der
nehmigungsverfahren, S. 25 ff; Heitsch, Genehmigung kerntechnischer Anlagen, S. 109; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 43 f. 506 Zwischen der Bekanntmachung des Vorhabens und dem Beginn der Auslegungsfrist soll eine Woche liegen (§ 9 II 9.BImSchV, § 7 II AtVfV). Zur Ort und Dauer der Auslegung s. Heitsch, Genehmigung kerntechni scher Anlagen, S. 110; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 29 f; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 45 f. 507 Vgl. § 10 III S. 3 BImSchG, § 7 I AtVfV. Dazu statt vieler Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 53 ff; Heitsch, Genehmigung kerntechni scher Anlagen, S. 110 ff; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 73 ff. 508 Der Bürger kann selbst Notizen oder Auszüge aus den ausgelegte Akten anfertigen. Im Ermessen der Behörden steht, ob auf Kosten des interessierten Bürgers Kopien der Akten erstellt und ihm aushändigt werden. Eine Ausnahme besteht für die Kopien der Kurzbeschreibung des Vorhabens gemäß den §§ 10 II 9.BImSchV und 6 II AtVfV, die kostenlos von der Behörde nach Anforderung zu überlassen sind. Dazu Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 50; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 38 f. S. auch OVG Lüneburg, GewArch 1976, 206. 509 Dazu Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 24; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 22. 510 Zu den beigefügte Unterlagen s. Heitsch, Genehmigung kerntechni scher Anlagen, S. 105 ff; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 24 f; Rudolf Steinberg, Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen im atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren, UPR 1988, S. 1 ff (1); Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 24 f. 511 Zum Sichreheitsbericht Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 34 f; Heitsch, Genehmigung kern-
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
Anlagen, sonstige Angaben über Schutzmaßnahmen, Aufstellung verschiedener Maßnahmen, Sicherheitsspezifikationen, eine allgemein verständliche Kurzbeschreibung der Anlage und ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf die Allgemeinheit und die Nachbarschaft 512 sowie ein Verzeichnis der dem Antrag beigefügten Unterlagen, in dem besonders gekennzeichnet ist, welche Geschäftsoder Betriebsgeheimnisse enthalten sind 513 . Von allen diesen Unterlagen stehen zur Auslegung im immissionsschutzrechtlichen Verfahren gemäß §§ 10 I S. 1-2 BImSchG der Antrag, Unterlagen bezüglich der Auswirkungen der Anlage, die Kurzbeschreibung, die Sicherheitsanalyse im Fall der Anwendung der 12.BImSchV (StörfallVO) sowie das Verzeichnis der Unterlagen zur Einsicht 514 . Zusätzlich sind auch die Unterlagen bezüglich der Umweltverträglichkeitsprüfung, wenn sie erforderlich ist, vorzulegen. Sachverständigengutachten, die der Antragsteller vorgelegt hat, anders als die von der Behörde eingeholten Gutachen und die Stellungnahmen anderer Behörden, sind grundsätzlich auszulegen515. Ausgenommen von der Auslegung werden im allgemeinen die Unterlagen, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nach Angaben des Antragstellers enthalten (§ 10 I I BImSchG, § 10 I I I S. 1 9.BImSchV) 516 . Die Auslegung muß danach auf eine Inhaltsdarstellung beschränkt werden. Die Genehmigungsbehörde hat dadurch im Immissionsgenehmigungsverfahren die Befugnis, aus sämtlichen Unterlagen die auszulegen, aus denen die Öffentlichkeit die vorgesehene Schutzmaßnahme und die potentiellen Gefahren der Anlage beurteilen kann 517 . Bezüglich der Unterlagen, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten, wird ein Mißbrauch des Antragstellers insofern verhindert, als die Genehmigungsbehörde an seine Kennzeichnung nicht gebunden ist (§ 10 I I I S. 2 9.BImSchV). Wenn der Antragsteller die Behörde nicht von der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Unterlagen überzeugen technischer Anlagen, S. 106 f; Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren^. 312 f. 512 Dazu Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 35; Heitsch, Genehmigung kerntechnischer Anlagen, S. 107 ff; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 30. 513 Dazu Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 36. Vgl. auch Taeger, Die Offenbarung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen, S. 244 ff, 255 ff. 514 Dazu Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 28; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 48 f. 515 Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 36 ff. 516 Dazu eingehend Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 245 f; Kloepfer, Umweltrecht, § 7, Rdn. 70, S. 422 f mwN. Vgl. auch Breuer, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Umweltrecht, S. 176 f. 517 Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 31.
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
kann, muß die Behörde diese Unterlagen auch gegen den Willen des Antragstellers auslegen518. Gemäß § 6 I AtVfV wird im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nur der Antrag, der Sicherheitsbericht und die Kurzbeschreibung ausgelegt519. Dazu kommen auch Unterlagen bezüglich der Umweltverträglichkeitsprüfung. Unter die Auslegung fallen damit keine geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen 520 . Der Beschränkung der ausgelegten Unterlagen entspricht die Tatsache, daß Atomgenehmigungsverfahren Massenverfahren sind. Ausgelegt werden Akten, die für die Beurteilung der Sicherheit und der Gefahren des Projekts durch die Öffentlichkeit angemessen sind 521 . Wenn diese Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, ist ihre Auslegung grundsätzlich zu bejahen, weil die Abwägung meistens zugunsten der Allgemeinheit ausfällt 522 . Die Akteneinsicht steht mit der Auslegung in einer Komplementärfunktion. Diejenigen Unterlagen, die nicht in der Auslegung eingesehen werden, sind mit den übrigen Verfahrensakten im Rahmen der Akteneinsicht einzusehen. Während aber mit der Auslegung zwingend einige Unterlagen zur Einsicht für jedermann stehen, steht die Akteneinsicht im Ermessen der Behörde und nur zugunsten der Verfahrensbeteiligten, d.h. derjenigen Bürger, die Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben haben. Es besteht damit eine Abstufung der angestrebten Informationsgewährung zwischen Auslegung und Akteneinsicht nach der Weite der zugänglichen Unterlagen und der Intensität des Interesses an dem Vorhaben. d) Gegenstand der Einsicht In den Vorschriften wird nicht erwähnt, welche Akten die Akteneinsicht betrifft. Es besteht aber kein Zweifel, daß sie spezielle Vorschriften in bezug auf § 29 VwVfG sind, und damit nichts anderes für sie gilt als für die anderen 518
Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 28; Vallendar, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, § 10 9.BImSchV, Anm. 7; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 33; Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 246 ff. Contra Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 10 BImSchG, Rdn. 43, nach dem die Behörde den Antrag als unzulässig zurückweisen muß, wenn der Antragsteller der Auslegung der Unterlagen nicht zustimmt. 519 Dazu Steinberg, Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, S. 1. 520 Vgi# Taeger, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 254 ff. 521 Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 32. 522 Dazu Steinberg, Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, S. 3 f mit weiteren Fallkonstellationen.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
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Vorschriften, die eine Einsichtnahme vorsehen 523. Zu einem solchen Ergebnis kommt man, wenn man den Zusammenhang zwischen der Akteneinsicht und der Erörterung der erhobenen Einwendungen betrachtet. Gegenstand der Akteneinsicht sind die Akten in bezug auf das Genehmigungsverfahren 524. Hierzu zählen auch behördliche Stellungnahmen und Sachverständigengutachten 525. Die Akten von parallel laufenden Verfahren sind nach den dieses Verfahren regelnden Vorschriften von der jeweils zuständigen Behörde zu erfragen. Dies gilt auch, wenn diese Behörden wegen einer Stellungnahme für das atom- bzw. immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren anfragen 526. Eine Besonderheit folgt aus der Teilung des atomrechtlichen Verfahrens in Stufen. Nach Abschluß eines Verfahrensabschnitts stehen die ihn betreffenden Akten nicht mehr zur Einsicht 527 . Dies ist eine konsequente Folge der Natur dieser Genehmigungsverfahren als gestuftes Verfahren. §§ 10a HS 2 9.BImSchV und 6 I I I HS 2 AtVfV erwähnen § 29 I S. 2 VwVfG nicht als anwendbar in dem Verfahren. Es taucht also die Frage auf, ob die Akteneinsicht auch Entwürfe und vorbereitende Akten zur Entscheidungen einschließt. Nach einer Meinung ist die fehlende Bezugnahme des § 29 I S. 2 VwVfG eine Folge der Tatsache, daß die §§ 10a 9.BImSchV und 6 I I I AtVfV die Gewährung der Akteneinsicht dem Ermessen der Behörde überlassen. Ein Verweis auf dem Ermessenstatbestand des § 29 I S. 2 VwVfG erscheint damit überflüssig. Auch Entwürfe und vorbereitende Akten zu Entscheidungen stehen
523
Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 333. v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 671 f; Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 333. Anders als bei der beamtenrechtlichen Akteneinsicht sind nicht die Akten im materiellen, sondern im formellen Sinne gemeint. Gemeint sind damit nur die Akten, die als Verfahrensakten bei der Behörden zugeordnet sind. Die Vorschrift findet keine Anwendung bei Akten, die beim Antragsteller liegen. Vgl. VGH München, VGH München, VGHE n.F. 41, 76 = BayVBl. 1988, 691 = NVwZ 1989, 266. 525 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 334; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 43 f; Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 52. 526 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 334. 527 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 334; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672. Es ist deshalb im Fall der Einsicht in ein Sachverständigengutachten genauer zu überprüfen, ob dieses Gutachten nicht in einen abgeschlossenen Verfahrensabschnitt gehört. 524
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Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
danach grundsätzlich zur Einsicht, wenn die Behörde dies so bestimmt 528 . Richtiger erscheint jedoch die Ansicht, die die Entwürfe und die vorbereitenden Akten zur Entscheidungen aus den einzusehenden Akten herausnimmt. Danach ist die Nichterwähnung des § 29 I S. 2 VwVfG aus gesetzgebungstechnischen Gründen gerechtfertigt, weil sie als Ausnahme von § 29 I S. 1 VwVfG im gesetzlichen Text ausgestaltet ist. Dies bedeutet aber nicht, daß die Entwürfe zur Einsicht stehen, weil § 29 I S. 2 VwVfG einen allgemeinen Rechtsgedanken beinhaltet 529 . e) Durchführung der Akteneinsicht §§ 10a HS 2 9.BImSchV und 6 I I I HS 2 AtVfV verweisen auf § 29 I I VwVfG. Die Akteneinsicht findet danach grundsätzlich bei der aktenführenden Behörde statt, d.h. meistens in ihren Diensträumen und unter Aufsicht eines Bediensteten530 . Da sehr oft die zuständige Genehmigungsbehörde nicht in der Nähe der Anlage ihren Sitz hat, ist es angebracht, wenn die gesetzliche Möglichkeit benutzt wird und die Akteneinsicht bei einer der örtlich nahegelegenen Behörden stattfindet 531 . Der Einsichtsberechtigte hat das Recht, wenn die Einsichtnahme gewährt wird, zusammen mit einem Sachverständigen die Akten einzusehen532. Diese Möglichkeit erlaubt die bessere Auswertung von Informationen, die grundsätzlich nur für die Behörde, den Antragsteller und den Gutachter verständlich sind und für einen Laien sehr oft wenig oder kaum aussagekräftig sind. Über die zeitliche Dimension der Akteneinsicht gibt es keine allgemeine Aussage. Danach hat hier die Verwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden533. Die Behörde kann grundsätzlich zeitliche Grenzen für die Ein-
528 Graffe , Die Beteiligung des Bürgers an umweltschutzrechtlich relevanten Verfahren, S. 53; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 671. 529 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 336. Ihm folgt Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 44, der auch die Nutzung einer Einsicht in vorbereitende Akten bezweifelt. 530 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 336; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 45. 531 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 336, der allerdings dies nur für die Rechtsbetroffenen befürwortet. * 32 Jarass, BImSchG, § 10, Rdn. 52. Vgl. § 14 VwVfG. 533 v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672.
§3 Das Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren
sichtnahme setzen, um sich selbst vor erheblichen Belästigungen zu schützen534. Diese Bestimmungen können sowohl die Zeit der Einsichtnahme als auch ihre Dauer regeln. Andererseits braucht der Bürger genügend Zeit, um die Akten zu studieren. Eine Regelung erfordert folglich eine Abwägung der kollidierenden Interessen durch die Behörde 535 . Gebrauch kann auch von der Möglichkeit des § 29 I I I S. 2 HS 2 VwVfG gemacht werden, indem die Akten zur Einsichtnahme in der Kanzlei des Einsichtsberechtigten überlassen werden 536 . Diese Entscheidung steht im Ermessen der Behörden, die abzuwägen hat, ob die Aktenüberlassung die Einsichtnahme durch andere Verfahrensbeteiligte erschweren kann 537 . Im pflichtgemäßen Ermessen der Genehmigungsbehörde steht auch die Entscheidung, dem Bürger Auszüge, Abschriften, Ablichtungen oder Kopien von den Verfahrensunterlagen zu überlassen sowie die entsprechenden Bedingungen und Kosten festzustellen 538. Wegen der Komplexität einiger Verfahren erscheint aber die Aushändigung von Kopien unter Umständen sogar als erforderlich. Das Ermessen der Verwaltung bei der Bestimmung der Bedingungen für die Durchführung der Akteneinsicht ist in keinem Fall so zu benutzen, daß faktisch die Akteneinsicht vereitelt wird 5 3 9 . f) Ausnahmen Die §§ 10a HS 2 9.BImSchV und 6 I I I HS 2 AtVfV enthalten selbst keinen Verweigerungsgrund, sondern verweisen auf § 29 I I I I VwVfG. Das Ermessen der Behörde wird durch die §§ 10a HS 1 9.BImSchV und 6 I I I HS 1 AtVfV
534
Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 336. v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672. 536 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 336 f; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 45; Vallendar, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, § 10 9.BImSchV, Anm. 10. 537 Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 46. 538 Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 337; v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672. Ein argumentum e contrario gegen die Überlassung von Kopien kann nicht aus den speziellen Regelungen der §§ 10 II 9.BImSchV und 6 II AtVfV (Abschrift oder Vervielfältigung der Kurzbeschreibung) abgeleitet werden. 539 Vgl. v. Mutius, Akteneinsicht im atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 672. 535
Teil II: Geheimhaltung und Akteneinsicht in Deutschland
konkretisiert 540 . Danach kann die Akteneinsicht aus bestimmten Gründe verweigert werden. Die Verweigerung bezieht sich nicht von vornherein auf die gesamten Verfahrensakten, sondern nur auf die Akten, bei denen einer der Verweigerungsgründe vorliegt 541 . Die Verweigerungsgründe müssen restriktiv int