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German Pages [728] Year 1981
Adorno und Heidegger Untersuchung einer philosophischen Kommunikationsverweigerung
Von Hermann Mörchen
Klett-Cotta
Cl 333
463%
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Mörchen, Hermann:
Adorno und Heidegger: Unters. e. philos. Kommunikationsverweigerung/ von Hermann Mörchen. — 1. Aufl. — Stuttgart: Klett-Cotta 1981. ISBN 3-12-915390-X RUKIS
UNIVKESITÄT
BERLIN SKIN FÜR A/LOEMEKINE UND VEHOLFICHENDE LITEBATURWINHENACHATT
IIo SEE /I27#
1. Auflage 1981 Alle Rechte vorbehalten
Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages Verlagsgemeinschaft Ernst Klett — J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart © Ernst Klett, Stuttgart 1981. Printed in Germany
Satz: Alwin Maisch, Gerlingen Druck: Verlagsdruck, Gerlingen
Wer hat schon Zeit für die lange
versäumten Dialoge; also gilt es, für sie Zeit zu gewinnen.
Inhalt
A. Einleitung Erster Teil: Philologische und biographische Grundlegung Adornos Heidegger-Zitate I. Zur Textgrundlage ......2 cc once een IL. Adornos Heidegger-Zitate
.. 222.222 cneeeen en
> x naıssupbu,Nn
a) Aus „Sein und Zeit“
10. 11. 12. 13. 14. 15.
Titelund Frage ..... on nennen nennen Fundamentalontologie „2.0 Phänomenologische Destruktion rer.
Jemeinigkeit Eigentlichkeit
2.2.2 cceeee een
In-der-Welt-sein, Faktizität, Zuhandenheit Mitsein, Man, Selbstsein ec ccm Geworfenheit und Entwurf er rerrene
Aussage, Gerede
....0ncneneeee ee rnnnenn
Neugier „unenoeneeeeeee nenne nnen nennen Angst .o2.neneeeneeeen ernennen nneneeneennne Ganzsein ...nueeeneene nennen Sein zum Tode ..... cc cc een Entschlossenheit, Situation er ernrrene Geschichtlichkeit 6er
b) Aus den späteren Schriften . „Was ist Meraphysik?® sSupuhbn
B.
0000 oem
„Vom Wesen des Grundes“
2. con
„Kant und das Problem der Metaphysik“ „Warum bleiben wir in der Provinz?“ „Einführung in die Metaphysik“
„Der Ursprung des Kunstwerkes“
error
renee
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
„Hölderlin und das Wesen der Dichtung“ „Heimkunft“;
„Andenken“
....nnooeeneseeerenenen
„Hegels Begriff der Erfahrung“ „Über den ‚Humanismus‘ “ oo n none „Aus der Erfahrung des Denkens“
„Der Feldweg“ .......2 222 cneeneneneneesneenennnnn Nachwort zu „Was ist Metaphysik?“ ..ooneeeeeunen. „Bauen Wohnen Denken“; „Was heißt Denken?“ „Identität und Differenz“
III. Ergebnis
.....22@22ceeeneneeeeeeeneeneer een nennen
C. Heideggers Präsenz in Adornos Schriften
rt
eere
I. Vorbemerkung
........22222sseeneeeeereeenennennnnnn
II. Fünf Perioden
:.........2-ssurseseereeene rer ernten
a) Adornos Schriften vor 1933 1. „Rierkegaard® 2
......erreeneeereeeneenenn
.....2ueeeeeeeeenenneenne nn een
. „Die Aktualität der Philosophie“
.......-----.rr00...
3. „Die Idee der Naturgeschichte“ .......--sreccrernnenn 4 . „Thesen über die Sprache des Philosophen“ ...........
b) Schriften der Emigrationsjahre
.....-ssereeeereeennnenn
noauRuv»v
„m
c) Schriften der 50er Jahre vu... 22er eeeeereeneennne nennen . „Auferstehung der Kultur in Deutschland?“ ........... . Allgemeines .....222222cssreneeenene nenn ernennen . „Individuum und Organisation“ ...22eeeseeereennennn . „Zur Metakritik der Erkenntnistheorie* .............. . „Der Essay als Form“
........ercceersesenenerennnn
„Erpreßte Versöhnung“
.....esesereeeneereenne nenn
. „Wörter aus der Fremde“
........2erer cn enreen ann
an
ho
n
d) Schriften der Jahre 1961 bis 1966 ....eeeenecerenenenenn nennen 1. Allgemeines ....2e@esseeeereeneseeneeenen
. „Versuch, das Endspiel zu verstehen“ ........2..220.. . „Wozu noch Philosophie* ...........-s2seneneneennn . „Engagement“ .....cseereeeenersnerenernen tern . „Philosophische Terminologie* .......r.srsssrenennnn . „Drei Studien zu Hegel* ..........222cseeneenenennn
7. „Parataxis“ ..o2oeeeeeeeeeeeneeenneeneeeeeeeerenn 8. „Jargon der Eigentlichkeit“ ........ccceeeeeenn 9. „Negative Dialektik“ 0.0.2 occeee nen.
173 176 187
e) Schriften der letzten Jahre .... 2... ccenseeeeeeeeneeen
199
III. Strategien der Verdrängung und Polemik
..............
D. Motive einer Kommunikationsverweigerung I. Fragestellung und Aufriß II. Das Konkurrenzmotiv
III. Das Abgrenzungsmotiv
201
.......
207
2222 cneeunneneeeneeneenennn
207
cc cc cos nn
209
.22eseseneseneneeenenenenenennn
212
1. Der „Unterschied ums Ganze“ (Adorno) .............. 2. „Unterscheidung der Standpunkte“ und „Verwindung der Metaphysik“ (Heidegger) ........22222ceeeeeeeenen
212
IV. Zur Kommunikationsproblematik
219
.........2.22ccer.0.>
230
1. Adornos Generalverdacht gegen Kommunikation ...... 2. Dialektik seiner ästhetischen KommunikationsverweiZEITUNG zen erueeneeeeneenenenenneenersenennn nenne
230
Kommunikation und Kommunikationsabbruch bei Jaspers 4. Heidegger: Kommunikationswege und Holzwege ......
236 240
..............
245
Zum Antisemitismus-Verdacht . oc Das „beschädigte Leben“ ...... 2.200 Der „Titanensturz“ der deutschen Philosophie ......... Aus der Bergperspektive „2... 20 con Marx-Ferne ...ocon ensure nenenene Heideggers Istgang ... 2.2.2000 onen rennen nenn Philosophie nach Auschwitz .........2cccceeeen
245 249 253 257 261 267 272
V. Gesellschaftliche und ideologische Aspekte 1. 2. 3. A. 5. 6. 7.
VI. Grundmotive
„22222 eeeeee nennen
ernnnreeeeen
1. Verdrängte Bindung .....c2oneeeeeeee en 2. Der „Verblendungszusammenhang“ ..... cc: 3. Macht vor Wahrheit ..... 2.22 cc coeeeeennneneenn
232
277 277 280 284
Zweiter Teil: Anbahnung eines postumen Dialogs E.
Adornos Haupteinwände gegen Heidegger 1. Zielund Weg
.........
289
........22222eeeseeeeeeeeeneeenneee nenne
289
II. Einwände gegen Heideggers ontologischen Ansatz 1. Ontologisierung?
.......
...eenneeeeeneeerneen ern eeenn
2. Sekuritätsbedürfnis®
....ccecceeeee nee
291
297
3. Hypostasierung? ...oonneeeeeeenenseen rer n een nnen 4. Invariantenlehre? .......2cuceeneeeene ernennen 5. Pseudokonkretheit? ........2sseseeeeeeeeeneenennn
III. Einwände gegen Heideggers Denkform und Sprache
301 306 315
.....
323
1. Totalitätsanspruch? .....urceneereeerenen rennen a) Zur Motivation des Einwands ..........rr.0r0... b) Wege zur Problemlösung .........--..rcrerereun
323 324 330
2. Undialektisch?
.....2.222.2. 20.2220 neeerer en en en nenn
336
a) Unmittelbarkeitsanspruch® ....eeeereeeeseerenenn b) Heideggers Dialektik-Kritik und Adornos negative Dialektik ...........-.20 22...
337 345
c)
...........
357
3. Ursprungskult? ....220222222euneeeeenensenererenn a) Absoluter Beginn? .........22esneeeeeeeneeneenn b) Sinn der Ursprungsfrage © 22n2222seenesreeeeee nn
364 364 370
c) Boden und Grund ........222222seeeee seen d) Anfang als Zukunft ...ecaeeeeeeeeeeeeeenennnnn
380 385
Dialektik und Hermenentik des Daseins
4. Sprachmystik, Seinsmythologie? 5. Tautologisch?
6. Irrationalismus?
..........0rsscen.n.
391
......2cneaeeeeeeeeeesennenerne nenn
398
...2uoeeneeeeeeeneeeneeeene nenn
411
a) Zur Motivation des Einwands
......22sereereeren.
b) Wechselspiel des Rationalen und Irrationalen c) Preisgabe der Streitebene
411
.......
415
......2.eee@seeeeeeeeenn
422
IV. Einwände gegen politisch-soziologische Implikationen
10
291
...
431
1. Prä-faschistischd oo o 0 ocean eee nenn 2. Afkirmativd oo oeeeeeenennnnueeeeee ernennen
432 435
a) Adornos Nonkonformismus ......22222@ rss b) Unumgänglichkeit von Anerkennung ............+c) Zum Sinn von „Sinn“ vunneeneneeeeeeeneeenn en 3. Verinnerlichung? .......22eccesseeeeneeeeneeee nenn 4. Vereinzelung? ...2cceaeeeeeeeeeereneneneenene nee .....2ccccnseeeeeeeneneeeenennn 5. Gesellschaftsferne?
F.
Konvergenzen ım Denken Heideggers und Adornos I. Konvergierende Erfahrungen II. Bisherige Ergebnisse
....... 22222 cncceeeenenee
*83 483
........ 2222222 e see eeeenenen en
III. Beispiele konvergierenden Denkens
........2r22c2sce 00:
en nen 1. Wert Looneueeeeeeeeeeeeeneeeeneseenenennenn a) Herkunft des Wert-Begriffs ......222ceeeeeeeenen
b) Kritik am Wert-Denken
........eeesseeeesrenenn
. Wissenschaft „2.2.2 cenneeeeeenennenenneneeeenennn a) Philosophie und Wissenschaft ........22..eccen
b) Kritik des Szientismus . System
......222esseeeeeeennen nn
.nnuueeseeeneeesenennenenereeneeenensene
a) Kritik des System-Denkens
..........22..0sr en 0.
b) Die Antinomie im Begriff des Systems
............
c) Die Wahrheit des System-Gedankens und das Nicht-systematische . 2. 2eeeneeseeeneesenn nennen . Klarheit ...2..222.222cuneeeenneenennenneneenner en
a) Kritik des Klarheitsdesiderats .........2....re00.: b) Verständlichkeit der Philosophie ...............+:Bild ..ooneneeeeeeeneeseenneneeeennnnnnnn nenn a) Unter seinsgeschichtlicbem Aspekt .........cnsc..: b) Unterm Bilderverbot .......2222erneneeneenennn . Sprache .......2eceeeeeneneeeeerennennenn nn nn nn a) Sprachnot und Sprachkritik .........2u@cerencr ee: b) Sprecher und Sprache ......nuneeeeneeneeneeeen c) Sprachgeschehen ....nnueeeeeeeeennuneennnnnene
IV. Adornos Zeit-Erfahrung und Zeit-Deutung
.............
1. Tönung und Gespanntheit des Wortfeldes „Zeit“ ....... .....2222seeeeeeeeeneneeeennen nn nne 2. Zeit-Erfahrung
a) Vergängnis und Geschichtszeit ..ueeneeeeeerneeree b) Zukunft und Tod .......eeecneenseeneerenenesn
525 531 531 536 543 543 554 560 562 566 577
3. Abgrenzungen ...neneneneeeeeeeeenernenenennnnenn a) Gegen ein nur-chronologisches Zeitverständnis ...... b) Gegen die metaphysische Scheidung von Zeit und Ewigkeit ..unennunennnneeenneeennene nennen c) Gegen „Sein und Zeit“ ...ceeneeeenennennnen nenn 4. Zeit-Deutung .......2cucnenennennneen nennen a) Dialektik der Naturgeschichte cc eeeeanan. b) Die Fülle der Zeit .....c een een
c) Deutung des Todes
.....ncnnenenne een
5. Seinserfahrung und Seinsbegriff
11. Eine Klimax
611 613 614 614 617
621
„oe 202 onen...
625
......................
631
©2222. 22so@ssensenneennen seen teren
631
von
638
G. Fragen an die Heidegger-Schule I. Zur Adresse
610 610
Fragen
..2.222222er seen ere rennen,
1. Welche Grenzen des Heideggerschen Ansatzes werden von Adorno her sichtbar? ....222c2. sense eneeeenene nn 2. Nötigt Adornos Herausforderung die Schule Heideggers zur Verschärfung ihrer zentralen Frage?
..............
639 640
3. Impliziert das zeit-bestimmte Seinsverständnis einen Entwurf politischer Existenz? .....2ccesoneeeenseeeee nn 4. Befreit das zeit-bestimmte Seinsverständnis aus den Zwän-
642
gen gesellschaftlicher Herrschaftslogik? . . .............. 5. Wie ist die Blockierung des Dialogs mit der Linken behebbar? ........cceeeeeeeeeeeeeeenenese rennen nen 6. Was hat zur Verengung des Heideggerschen Denkansatzes geführt? .....oceeeeeneeeeeneneneeneneenenenenenn
646
II. Zur philosophischen
Kommunikation
.....22s2e
re.
1. Ein exemplarischer Fall? .......cceceeeseeeeeeeeenn 2. Zum kommunikativen Sinn philosophischer KommunikaÜONSVErWeigerung ... ne neeeeeneeneeneneneeneneenn
Verzeichnis der auf Heidegger bezugnehmenden Stellen in Adornos Schriften 22222 suneeeseeneeeneenneenenenseneensenennereennen Verzeichnis der abgekürzten Titel ..22222cucceeeeeeeeeeeeenenn Literatur oceceeeeeeeneeneenunsnsnsenneeneenneentensreennnn Personenregister .reeeneuneenneneuenenneenenenenenennnenenenn Stichwortregister .ueceeeueesenuneneensnnnenenenennenenenenenen 12
648 653 655
655 658
661 671 675 685 692
A. Einleitung
I Nachdem
Heidegger
am
24. Januar
1929
in Frankfurt
einen Vortrag
über
„Philosophische Anthropologie und Metaphysik des Daseins“ gehalten hatte, wurde ihm, im Hause des Universitätskurators Kurt Riezler, auch der 25jährige Theodor Wiesengrund (Adorno) vorgestellt; zu einem längeren Gespräch kam es nicht?. Die flüchtige Begegnung blieb lebenslang die einzige. Auch einen Briefaustausch hat es nie gegeben. Da Adorno keinen der Zeitgenossen, mit de-
nen er sich auseinandersetzte, unversöhnlicher bekämpft hat als Heidegger, ist man verblüfft zu erfahren, auf wie minimaler persönlicher Kenntnis diese Feindschaft fußte?.
Daß an der Entstehung des Gegensatzes nur (und erst) Heideggers Eintreten für den Nationalsozialismus 1933 schuld sei, ließ Adorno durchaus nicht gelten; er wollte den Dissensus als einen fundamentaleren verstanden wissen ®. Schon
im Kierkegaard-Buch (entstanden 1929/30) und in zwei Vorträgen 1931 und1932 ist die Distanzierung vollzogen *. Einige Zeit nach seiner Rückkehr aus der Emi-
gration (1949/50) soll Adorno, im Hause eines Freundes von Heidegger, vor Gästen erklärt haben: „In fünf Jahren habe ich den Heidegger kleingemacht“ °. Das Gerücht, das den Attackierten in dieser oder ähnlicher Form erreichte, dürfte
die Aufnahme persönlicher Beziehungen endgültig verhindert haben. Bis zum Erscheinen der Kampfschrift „Jargon der Eigentlichkeit“ (1964) verging dann doch mehr als ein Jahrzehnt. 1 Briefliche Mitteilung Heideggers, 3. 1. 1972. 2 Nach Adornos eigener Angabe (Gespräch am 8. 10. 1965) hat er zwar, vor 1933, erwogen, Heidegger in Freiburg einen Besuch abzustatten, den Wilhelm Szilasi vermitteln
wollte. Dieser habe ihm aber auf die Frage, ob man mit Heidegger diskutieren könne, geantwortet: kaum; er höre nur gern, was auf der Welt vorgehe. Daraufhin habe Adorno lieber auf den Besuch verzichtet.
3 Gespräch am 8. 10.1965. Vgl. u. 31. 4 Notiz in meinem Tagebuch vom 30.1.1929: der Vortrag Heideggers sei in Frankfurt, laut Zeitungsmeldungen, „völlig abgelehnt“ worden.
5 Brief Heideggers an mich, 1. 10. 1965. Ähnlich 1969 zu Richard Wisser (Erinnerung 283), mit dem Zusatz: „Da sehen Sie, was das für ein Mann ist.“ — Schon 1930 plante Benjamin (Briefe II 514), „den Heidegger zu zertrümmern“. Günther Anders (Merkur 1979, 890): „Dessen Projekt, mit Brecht zusammen ein Anti-Heidegger-Pamphlet zu verfassen, ist wohl daran gescheitert, daß Brecht — das kann ich mit Bestimmtheit sagen —
keine zwei Seiten von ‚Sein und Zeit‘ gelesen hat.“ 13
Auf Adornos Angriffe hat Heidegger öffentlich kein Wort erwidert. Kom-
munikation fand nicht statt. Auch nach Adornos Tode (6. August 1969) sind Indizien dafür, daß ein Bedürfnis aufgekommen wäre, den Dialog mit ihm nachzuholen, zunächst kaum sichtbar geworden ®. Heidegger starb am 26. Mai 1976, Die beiderseitigen Schulen philosophierten fast beziehungslos nebeneinander her. Für die eine von ihnen, die „Frankfurter Schule“ der „Kritischen Theorie“, schien es keinen Anlaß zu geben, diese Haltung zu revidieren. Verstrickt in äußere und interne Konflikte mit weit „aktuellerer“ Thematik, fand sie kaum Zeit, sich dem Exponenten einer aus der Mode gekommenen philosophischen Strömung vergangener Jahrzehnte erneut zuzuwenden. Sie kennt Heidegger nur in der Beleuchtung, in die Adorno und seine Freunde ihn zu rücken verstanden
haben; ob es die eines Zerrspiegels sein könnte, braucht nicht mehr geprüft zu
werden”. Heidegger hat sich ja durch sein Engagement für Hitler kompromittiert, und seine Unverständlichkeit ist notorisch. Man wird, wo diese Vormeinungen herrschen, kaum auf Aufmerksamkeit für ihn rechnen können ®, Auch
Adorno mag heute umstritten sein; aber hinsichtlich Heideggers gönnt man ihm, das letzte Wort gehabt zu haben. Zu Heidegger hin war, bis zu seinem Tode,
der Horizont der Adorno-Schule nicht geöffnet ®. Andersartig
ist die Horizontbegrenzung
der Heidegger-„Schule“.
Manche
sind noch so stark mit der Rezeption der Einsichten eines Denkers beschäftigt,
® Ausnahmen:
Georg
Pichts
Aufsatz
„Atonale
Philosophie“
(zuerst
Merkur,
Okt.
1969; Gedächtnis 124 ff.); Herbert Albrechts auf Heidegger bezugnehmende Kurzdarstellung Adornos („Deutsche Philosophie heute“, Bremen 1969, 127 ff.); Ute Guzzoni (in: Ebeling, 314 ff.); Fräntzki (283—35); Gadamer
(Aktualität
71, Anm.
19). Er hat
(Lehrjahre 175; vgl. Wahrheit 258 Anm.) sein Vorhaben, ausführlich zur „Negativen
Dialektik“ Stellung zu nehmen, nach Adornos Tode leider fallen lassen („Ich war zu spät
daran...“). Walter Biemel diskutierte 1973 in seinem Aachener „Ästhetische Theorie“. Hinzu kommt neuerdings Volpi (1980).
Seminar
Adornos
? Vordringlich ist die Sorge, nicht selber „in bedenkliche Nähe zur konservativen Kul-
turkritik gerückt“ zu werden (Hartmut Scheible; Arnold 5). ® Vgl. Hans A. Fischer-Barnicol; Erinnerung 87 f. Die Beiläufigkeit der wenigen Erwähnungen
Heideggers
in der sonst so gründlichen
Adorno-Studie
von
Grenz zeigt,
daß er Heidegger nur in der ihm durch Adorno zuteilgewordenen Vermittlung kennt; ebenso Düver. Auch Jay nimmt nur flüchtig auf Heidegger bezug und sicht ihn durch die Frankfurter Brille.
° Ein Jahr nach Heideggers Tode gab es ein Symptom dafür, daß eine Wendung sich anbahnt. A. Schmidt (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. 5. 1977, = Symposion 54 ff.) ließ nicht nur Heideggers Marx-Interpretation Gerechtigkeit widerfahren, sondern sah
auch diesbezügliche Konvergenzen zur Frankfurter Schule. Hans Michael Baumgartner, in seinem knappen Überblik „Philosophie in Deutschland 19451975“ (zusammen mit Hans-Martin Saß, Meisenheim 1978, 18) beobachtet schon eine Phase der „Horizonterweiterung“: „der kritische Austausch unter den ehemals sich befehdenden Lagern“ habe
„ein sachliches Klima der kritischen Kooperation erzeugt“ (vgl. ebd. 6, 17, 20). 14
neben dem sie in unserem Jahrhundert keinen ebenbürtigen wahrnehmen, daß sie noch wenig dazu kommen, deren Beziehungen zu sonstigen zeitgenössischen Phi-
losophien mit gebührender Genauigkeit zu berücksichtigen. Andere beschränken sich darauf, Anregungen Heideggers in diversen wissenschaftlichen Arbeitsberei-
chen fruchtbar zu machen. Das Mitgehen auf dem Wege, der mit seinen wirksamsten Schriften („Sein und Zeit“ und „Was ist Metaphysik?“) nur begonnen hat, fällt vielen schwer. Die Widerstände, denen das Denken Heideggers begeg-
net, sind so hartnäckig und auch undurchsichtig, daß ihre differenziertere Diskussion zunächst vermieden wird; wo sie in Gang kommt, erstreckt sie sich auf speziellere Probleme, die von relativ konzilianten Gesprächspartnern zur Sprache gebracht werden, aber kaum auf die mächtigen Vormeinungen und Pauschalbedenken, die, für eine breitere Leserschaft, ein Sicheinlassen auf Heideggers radikales Fragen blockieren. Das verstärkt den esotorischen Zug der Be-
mühungen um Heidegger '’. Wie die erklärten Gegner, vor allem Adorno, in dies Kraftfeld „einzuordnen“ sind, ist ungewiß. Die starke Wirkung der Adornoschen Polemik spielt sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der HeideggerSchule ab und hat mehr die Funktion, Leser von Heidegger fernzuhalten, als
die ihm schon gewonnenen zu kritischerem Studium zu reizen. Diesen erscheinen Adornos wütende Angriffe als Tiefschläge, deren Böswilligkeit keine sachliche Diskussion zulasse. Daß der Verzicht auf diese auch für die HeideggerSchule selber einen Verlust, nämlich eine verhängnisvolle Horizontverengung und die Verhinderung notwendiger Denkentscheidungen, bedeuten könnte,
scheint niemandem zum Bewußtsein zu kommen, weil die primitivsten Vorarbeiten fehlen, aufgrund deren solche Klärungen erst dringlich und möglich würden.
II Zum soeben roh skizzierten Zustand eines erstaunlichen Kommunikationsmangels gehört, daß ein Versuch, seine Ursachen zu ergründen, zunächst auf Vermu-
tungen angewiesen ist. Manche der erwähnten Fakten sind mehrdeutig; nicht einmal ihre Wichtigkeit ist ohne weiteres augenfällig. Doch liegt, auf seiten Adornos, in dessen Schriften eine Fülle unbearbeiteten Materials vor, aus dem
genauere Aufschlüsse über Motive und Tendenzen seiner Polemik zu gewinnen wären; es müßte nur in einer Form bereitgestellt werden, die den Zusammenhang überschaubar und kunstvolle Tarnungen durchsichtig machte. Bei der Dis10 Versuche (besonders Apel I 223 ff.), ihn zur neben ihm stärksten philosophischen Potenz, zu Wittgenstein, ausdrücklich in Bezug zu setzen, haben wohl nur einen kleinen Teilnehmerkreis erreicht. Irreführend ist der Titel des Buches von Kunz, sofern er eine vergleichbare Konfrontation mit Klages erwarten läßt; es handelt sich um eine bloße Zusammenstellung selbständiger Essays.
15
o ne jr kussion dieses Materials ergäben sich konkrete Aspekte zur Bean Frage, ob es sinnvoll und möglich ist, einen Dialog, der nicht stattg shung nich, entschiedenachzuholen. Heidegger freilich kam bis zuletzt einer solchen De ölıni“ a entgegen "!. Sein Schweigen zu Adornos Invektiven erschien als . ee stoßen ri » sein gen, erung; die Forschun verweig nere Kommunikations " Hi or Ins würden wollten, machen and Gegenst zum bar unmittel Adorno
Wenn er auch ein paar Auskünfte über Faktisches nicht verweigerte, n durch ach doch für Zeitverschwendung, sich auf eine Polemik einzulassen, Machendie heutige Lage hochgespült“ sei: „Man kommt überdies gegen solche schaften nicht an, deren Überheblichkeit nur noch gesteigert wird, wenn man sıe 11. Septemciner Auseinandersetzung würdigt“ ®, p Heidegger wurde am 26. September 1889 geboren, Adorno am 11. nd mag onsabsta Generati halben einem d fast von terschie Altersun Der 1903. ber insofern in Betracht kommen, als es, nach der gewöhnlichen Meinung, I re Linie Sache des Jüngeren gewesen wäre, den Kontakt zu suchen; er erk art al T nicht, daß Heidegger nicht einmal den „Jargon der Eigentlichkeit las ®. vier
mehr hat er sich schon früh, „nach den Erfahrungen in den ersten Jahren na ‚Sein und Zeit‘ “, abgewöhnt, Literatur über seine Schriften zu lesen “ . Die ArU Vergeblich versuchte Richard Wisser 1969, ihn zum Heraustreten aus seiner Roserve zu bewegen
(Erinnerung 268 f., 283 ff.). Seine Antwort
(ebd. 283 f.): „Ich habe nichts
von ihm gelesen. Der Hermann Mörchen hat einmal versucht, mich zu bereden, ich sollte doch Adorno lesen. Ich habe es nicht getan.“ Doch erkundigte er sich, bei wem Adorno studiert habe, und fragte nach seiner Sprache —, auch, was er „eigentlich“ unter „negativer Dialektik“ verstehe. 12 Brief an mich, 3.1. 1972.
1% In Heideggers Nachlaß scheint sich keine der Schriften Adornos gefunden zu haben (Mitteilung von Fr. W. v. Herrmann, 16. 10.1976). Nach Angabe von Henri Birault (Symposion 51 f.) hat er aber auch von Sartre nichts als den popularisierenden Aufsatz „L’Existentialisme est un Humanisme“ (1946) gelesen. In . 1 Brief an mich, 26.2.1935. Vgl. Pöggeler, „Heidegger“ 23. — Vielleicht hängt die unterschiedliche Aufgeschlossenheit gegenüber den Zeitgenossen und den Toten damit zusammen, daß diese davon abgelassen haben, uns in unserer Produktivität zu lähmen. Das scheint Jaspers (Autobiographie 110) zu meinen. Es spräche für die Möglichkeit postumer Revisionen, dürfte aber Versäumnisse bei Lebzeiten nicht entschuldigen. Vgl. ebd. 111. Daß Wittgenstein Heidegger „gar nicht gekannt“ habe, glaubte Jean Amery
zu wissen (Merkur 1976, 994); er irrte sich, wie man jetzt weiß (vgl. Hochkeppel, ebd.
1980, 1055). Und Jaspers: vgl. Notizen 115, 142, 163, 169 f., 226, 239. — Psychiatrisches Denken wäre vielleicht geneigt, in alledem ein schizoides Verhalten zu erblicken; über einen vergleichbaren Fall berichtet H. Tellenbach (Neue Anthropologie VI 161).
Damit ginge man aber der Auseinandersetzung mit dem Anspruch eines solchen Verhaltens und mit dem Problem der Kommunikationsverweigerung aus dem ‚Wege (vgl. u. 658 f.). „Sogar sich selbst gegenüber muß der Philosoph aufhören, sein eigener Zeitgenosse zu sein“ (Ntz. I 269). „Und nur das Hörenkönnen
in die Ferne zeitigt das
Erwachen der Antwort jener Menschen, die ihm nahe sein sollen“ (Anf. 285). 16
beitsökonomie gebot ihm äuße rste Beschränkung
tischer ist, daß er, von kleinen sachlichen Rich und Konzentaton a tigstellungen abgese en, 25 olidie gege sen PT zu vert gege die Vorw sich öffe able n eidigen, ntlich hnte, n ürfe tisches Hervortreten während des (verkürzten) Rektoratsjah rs 193373 er Wurden 3, . Sofern also einseitig von Texten Adornos auszugehen ist, scheint den
-
Rn
Spektive maßgebend zu werden; deme ntsprechend lautet die Reihento “ die amen im Titel „Adorno und Heid egger“ '*. Doch könnte — und das N hen ganzen Versuch stimulierende Hoffnu ng — das Verhältnis sich auch bei “ n ren und die Frage Vorrang gewinnen, welc he Funktion in der Weitere ne ct von Heidegger gestellten Aufgabe die Einwände Adornos haben. ine Sn endung ist schon im Ansatz der Untersuchung angelegt, obwohl diese zunf ; auf eine lange Strecke, zwangsläufig (wenn auch widerwillig) apologetis ver fahren und die Adornoschen Verzerru ngen der Gedanken Heideggers korrigieren muß. Indem, durch Adornos Zita te und Anspielungen herbeigezoge n, ve und Sätze Heidegge ins Spiel kom rs
men,
nötigen sie dazu, deren Kontext zu ve
fücksichtigen und zwischen diesem und Adorno den lange vermiedenen Dialog ernstlich zu versuchen. Sollte er in Gang kommen, dann nur unter der Voraus: setzung, daß beide Partner einander wichtige Fragen zu stellen hätten. Man dürfte geneigt sein, bewußte Besc der Gesprächsbereitschaft als] hränkung
ein durchaus unphilosophisches Verhalte n abzuqualifizieren. Ist trotzdem von »Philosophischer Kommunikatio die Rede, wir der Verm
d
nsverweigerung“
u-
tung Raum gegeben, es handle sich um eine dem Wesen des Philosophierens nn manente Problematik. Daß leidensc
haftlicher Einsatz für die Wahrheit oft per sönliche Trennungen nach sich ziehe, die man auf sich zu nehmen habe, ch dem alten Spruch ausgedrückt: „Amicus Plato, magi amica veritas“. Freili liegt darin gerade auch ein Wissen um Spannungen,s die ausgehalten werden
'® Das diesbezügliche Gespräch mit Rudolf Augstein (September 1966) fand unter der Bedingung statt, daß es erst nach seinem Tode veröffentlicht würde. Vgl. u. 253 f.
'% Nur bedingt vergleichbar ist die von Lucien Goldmann
1970 begonnene Unter-
suchung „Lukäcs und Heidegger“ (postum ergänzt und herausgegeben 1973/75). Den erstens beschränkt sie sich (Goldmann 7 £., 87, 90) auf die Frühschriften von Lukäcs un „Sein
und
Zeit“, interessiert
sich also nicht für
die spätere Polemik
von
Lukäcs
gegen
Heidegger („Die Zerstörung der Vernunft“); dementsprechend geht es zweitens weniger
um die Problematik philosophischer Kommunikation als um einen Prioritätsstreit (ebd. 36 ff., 72 £., 113 ff., 139: Heideggers vermeintliche Anlehnung an den Begriff der ne dinglichung“). Immerhin ist beabsichtigt, außer Unterschieden der Positionen (ebd. 55 fi 93, 118 f., 126) auch die Verwandtschaft der beiden Denker (ebd. 7, 20, 85, 102, 104, 116 £., 125, 127) und die Schwierigkeit herauszuarbeiten, ihre Terminologien ineinander zu „übersetzen“ (ebd. 96; vgl. 95, 116). Lukäcs und Adorno: ebd. 55, 157, 185 Mn Lukäcs selber (Geschichte und Klassenbewußtsein 23; vgl. 21, 25, 40) erklärte sich uninteressiert am Prioritätsstreit.
für
17
n. Die . bloßer und endgültiger Abbruch der Beziehungen wäre Versage wollen; ’
ß im gemeinsamen Ringen um sie erkannt und vertieft werden.
nicht Spannungen nicht ertragen und Kommunikationsabbrüche De oder Kräfte ichen werden, es nur auf die Begrenztheit der menschl 2 Ausbeiden moralisches Versagen zurückzuführen? Mit einer dieser überptl
Kafıe
meist ab. Doch sind oder einer Kombination aus ihnen, findet man sich Schulrichtun-
Denker und ihrer die Trennungen und Verfeindungen der großen der Philosophiegeschichte, gen ein so durchgängiges und bestürzendes Phänomen
Gerade nicht der Streit, daß man sich darüber nicht so schnell beruhigen dürfte. Verurtei-
durch abschließende sondern die Beendigung der Auseinandersetzung
nder-vorbeilungen der Gegenseite, mindestens aber Resignation und Aneina typische Verdas daß tung, Beobach philosophieren ist das Charakteristische. Die
olt, bleibt ohne Konsagen der Kommunikation sich in allen Epochen wiederh
sequenzen für die Gegenwart us
zu Es handelt sich aber nicht um einen gedankenlosen Appell an den Willen n kommuigkeite Schwier die in Einsicht um „mehr Kommunikation“, sondern
änkung, nikativen Philosophierens und in die Notwendigkeiten seiner Einschr sogar in die Berechtigung seiner Verweigerung.
Diese ist stets ein persönlicher
Akt; auch wenn wir „sachlich“ über sie reflektieren und unausgetragene Streitigkeiten „von den Sachen her“ bereinigen wollen, sind wir persönlich engagiert — und befangen. Deshalb sind aus Kommunikationsverweigerung entstanEindene Probleme nicht durch bloße „Versachlichung“ zu erledigen. Auf den onen“, „Emoti wand, ich hätte sie „unnötig personalisiert“, muß ich gefaßt sein. bei mir und beim Leser, nur zu unterdrücken würde verhindern, daß sie allmäh-
lich abgebaut werden. Nötig ist ein Exercitium philosophischer Kommunikation. Eine genaue Analyse der Gegnerschaft Adornos gegen Heidegger hat, in diesem Sinne, vielleicht exemplarische Bedeutung.
1? „Kant, Hamann und Hegel sahen einander nicht.“ So liest man bei Bruno Liebrucks („Sprache und Bewußtsein“ I, Frankfurt 1964, 317), einem anderen Zeitgenossen Hei-
desgers, der diesen mit ironischen Seitenblicken abzutun beliebt. Ob die Zusammenordnung der drei Namen die geeignetste ist, mag man, wegen des Generationsabstands der
beiden Königsberger zu Hegel, bezweifeln; doch zeigt der markante Satz, daß im historischen Rückblick bedauert wird, was in den unmittelbaren Bezügen des eigenen Verhaltens wahrzunehmen man nicht fähig zu sein scheint. 13
IU Doch ein postumer Dialog ist problematisch. Der ältere der beiden Kontrahenten
hat den jüngeren überlebt; auch er ist nun verstummt. Beide können sich gegen Einwände und Angriffe nicht mehr wehren ®. Ein fairer Austrag der Differenzen scheint unmöglich. Sollte man den Kampf also, schon im Entstehen, abblasen,
unter der pietätvollen Devise: „De mortuis nil nisi bene“?
Eben diese Devise ist es aber, unter der die Toten ihre Toten begraben. Die Ehre, die sie ihnen zu erweisen meinen, ist die zweifelhafte dessen, was unwieder-
bringlich dahin ist und respektiert werden kann, weil es niemandem mehr wehe tut. Die Lebenden,
wenn
sie sich in ihrer Angewiesenheit
auf die lebendigen
Stimmen ihrer Tradition, auf die unerledigten Fragen und Aufträge ihrer Lehrmeister recht verstchen, stehen anders zu den Toten. Gerade daß deren Tod unwiderruflich ist, stellt die Überlebenden in eine neue Verantwortung: nun ihrerseits Stimme der Verstummten zu werden. In deren Geschriebenem sind die Fra-
gen am Leben, die von kritisch Lesenden weiter-gefragt sein wollen. Solange wir
den Streit mit den Verstorbenen nicht begraben, leben sie unter uns. „Vielfach gibt das Abgetane, aber theoretisch nicht Absorbierte später seinen Wahrheits-
gehalt erst frei“ (N.D. 145) '*. Wir ehren Adorno über seinen Tod hinaus, wenn wir seinen Ernst ernstnch-
men und seine leidenschaftlichen Irrtümer nicht beschönigen. Im Streit mit ihm werden auch wir uns in Irrtum verstricken. Nicht nur, weil wir uns nicht mehr
bei ihm selber erkundigen können, wie er dies und jenes und wie er überhaupt seinen Kampf gegen Heidegger „gemeint“ habe. Immerhin liegen seine "Texte uns vor und können unseren voreiligen Deutungen und Mißverständnissen zur Korrektur dienen. Verhängnisvoller als das Stummbleiben der Toten ist das Rechtbehaltenwollen der Lebenden. Apologetik und Parteilichkeit verblenden uns und sind doch unvermeidlich. Weil der postume Dialog so schwierig ist, ist
er nötig. Wir müssen uns in ihn einüben ®*, '# Heidegger schrieb mir am 6. 11.1969: „Mein Denken ist ein ständiger Dialog mit den Denkern, die, im Seinsgeschick stehend, ihm je auf ihre Weise zu entsprechen versuchen. Man könnte meinen, dieser Dialog sei gekünstelt, weil er erst von sich aus die Part-
ner zum Sprechen bringen muß und dies offensichtlich nur in der Weise leistet, daß er die Partner
in seinem
Sinn
sprechen
läßt; denn
diese Partner
können
ja selber nicht
mehr
reden im Unterschied zu Dialogen unter Lebenden. In solchen Vorstellungen sind große
Täuschungen im Spiel. Was die Hermeneutik bis heute erörtert hat, reicht nicht aus, um das Eigentümliche des Gesprächs im Bereich des Seinsgeschickes und dessen Erfahrbarkeit zu erreichen. Solange dies nicht geschehen ist, hängen alle Gespräche im Bezirk des Aktuellen in der Luft; deren Wirklichkeit und Wirksamkeit ist ein Schein.“ 19 Erläuterung der Titelabkürzungen: siche u. 671 und 675, 2° Das Folgende, niedergeschrieben im August 1969, mag, sozusagen als Keim dieser ganzen Untersuchung, den Ausgangspunkt des dann durchschrittenen Weges kenntlich
machen — und mit entsprechender Nachsicht hingenommen werden. Vgl. u. 177 Anm. 105,
19
IV nterschiede der Partner im Wege. Einem herrschaftsfreien“ Dialog stehen Rangu »
Grabe
Adornos
hat sein engster Mitarbeiter
das Wort
gesprochen:
„Wenn
es in
dann war es mein Freund Adorno.“ 21 unserem Zeitalter einen Philosophen gegeben hat, hst, Ausdruck einer tiefen, neidlosen zunäc Satz, r Im Munde Max Horkheimers ist diese Aufklärung“ erkennt seinem jüngeren, Bescheidenheit. Der Mitautor der „Dialektik der allein den Titel eines „Philosophen“ nde Freu glanzvolleren, wahrscheinlich genialeren denkerische Zusammenarbeit Horkhejzu. Mindestens Außenstehenden erscheint die Eigen-
Am
eines Dioskurenpaars, das nach geistigen mers und Adornos als die vorbildliche aufgrund interner
n daran hie und da, tums- und Prioritätsrechten nicht fragt. Möge falls wollte Adorno, obwohl ihm seine jeden sein: men Bekanntschaft, Zweifel aufgekom Sprachkraft kaum verborgen eigene, mehr und mehr führende Rolle?? und radikalere gewissen Gewaltsamkeit, einer mit es sei geblieben sein kann, Horkheimer stets — und die hier aber höchst
sympathisch
anmutet
—
als seinen
gleichrangigen
am Grabe wissen. Die Einhelligkeit der Gesinnungen noch Horkheimers Absicht.
Partner
geschen
zu bestätigen war sicherlich
Nachrufsatz angesagt blicb, Damit rühren wir freilich zugleich an das, was in jenem hen aber kaum überhört werden konnte. „Wenn es in unserem Zeitalter einen Philosop r sich Höre n der desse halb n, inner risse gegeben hat...“: damit ist ein Horizont aufge
gs. Die Stunde, umschaut. Soll er fragen, wer denn da noch in Betracht käme? Keineswe genswerte andere Naerwä net, geeig nicht ist e steht, en Grab offen einem an man in der erien zu ermitteln. men aufzuzählen, eine objektive Waage herbeizuschaffen und Rangkrit
isses geforIn einer solchen Stunde wird die Endgültigkeit eines schlichten Bekenntn der Ernst des ist en Falle letzt im auch en mag; hlt werd verfe cht oder errei die — dert,
war, am Bekennenden zu respektieren. Des Gesagten negativer, aber ungesagter Sinn end ausgecht komm Betra in nicht Als hten klar. ewei Eing Grabe Adornos, für jeden Adorno alles klammert wurde Heidegger, in dessen Werk, Sprache und Person sich für
Bekämpfenswerte zu konzentrieren scheint. Auch darin erklärte Horkheimer
seinem
Freunde solidarisch. Im Ungesagten
genug bekundet. Da Adornos Begräbnis, sicherlich religiöse Zeremoniell stattfand“ ?, Beweihräucherung aufzufassen und nur für die Sympathisanten, voll
seines Wortes
am
Grabe
hat
sich mit
er es hörbar
dem Wunsche des Toten entsprechend, „ohne jedes wäre es unwürdig, Horkheimers Diktum als bloße der kritischen Reflexion zu entziehen. War es, auch überzeugend? Nicht, daß wir über ein objektives
> Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 14. 8.1969, signiert H.R. (Helene Rahms?). — In denselben Tagen wiederholte Horkheimer (Gedächtnis 20) sein Nachrufwort in vorsichtig abgewandelter Form: „Wenn ein geistiger Mensch in unserer Zeit
des Übergangs den Namen des Genies tragen darf, dann gebührt er ihm“ (ähnlich ebd.
45).
22 Für die Frühepoche und die Exilzeit der Frankfurter Schule (bis 1950) trifft das
wohl noch nicht zu (vgl. Jay 40 ff., 90, 207, 226, 265, 298 f., 332, 336). 23 Nach dem Anm. 21 genannten Zeitungsbericht.
20
Kriterium dafür, wie „ein Philosoph in unserem Zeitalter“, oder gar der Philosoph der Epoche, geartet sein müßte, verfügten. Aber vielleicht ist es, gerade in Adornos Sinne, berechtigt, den Sprachgebrauch auf das hin, was sich sagen und was sich nicht sagen lasse, abzuhorchen. Es gibt Durchblike durch die Geschichte der Philosophie unter Titeln vom Typus „Von Anaximander (Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Descartes, Kant, Hegel) bis...“ Der Anfang läßt sich verschieden setzen; aber welche Namen unseres Jahrhunderts könnten mit Fug und Recht am Ende stehen? Ihre Zahl ist gering.
Daß in Deutschland und auf dem europäischen Kontinent am ehesten Heideggers®*, in
den angelsächsischen
Ländern
Wittgensteins
Name
sich anbieten dürfte,
mag, als auf
zeitgenössischer Voreingenommenheit und auf „Mode“ beruhend, Anlaß zu unmutigen
Glossen und auch zu kritischen Fragen geben. Wer den beiden Genannten eine epochale Bedeutung nicht zubilligen will, dem bleibt das unbenommen; er sei aber gefragt,
gegen welche anderen Namen sie sich, im Ernst und nicht bloß um des Widerspruchs
willen, austauschen ließen. Etwa Husserl? Klages? Jaspers? Bloch? Sartre? Russell? oder
auch Adorno 25? Lauter bedeutende Köpfe und weithin wirksam; aber kaum so exponierbar ®*. Man sieht nun wohl: auf diese Weise geht es nicht. Epochale Namen werden nicht kreiert, auch nicht in Grabreden; sie stehen im Raume, weil die Werke ihrer Träger da sind und Fragen stellen, die auf lange hinaus nicht zur Ruhe kommen, denn sie haben die Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten des Zeitalters anzutasten vermocht. Vielleicht gehört aber zu den Selbstverständlichkeiten, die es zu überprüfen gilt, auch die herkömmliche Meinung, daß Epochenüberblicke dieser Art („von Anaximander bis Heidegger“) sinnvoll und möglich seien? Man könnte argumentieren: eben daß Hei-
®! In der Heidegger-Bibliographie von Saß (1968) suche man z. B. die Nummern 115, 259,
405,
971,
1105,
1131,
1476,
1546,
1702,
1708,
1908,
1909,
1957,
1989,
(1)
2020,
2089, 2165 auf. — Als nach Heideggers Tode die Zeitung „Le Monde“ ihn „den größten
Philosophen unserer Zeit“ nannte, „faßte“ Jean Am£ry sich „an die Stirn in Fassungslosigkeit“; er wollte Sartre an diese Stelle placieren, vielleicht auch Russell, Wittgenstein,
Bloch oder Popper; doch gestand er in einer „abschließenden Respektbezeugung“, daß auch ihn Heideggers „Ernst beim Erforschen des Unausforschbaren“ nicht loslasse („Die
Zeit“, 4. 6.1976).
5 Für Jaspers (Autobiographie 34) wurde Max Weber „so wesentlich wie kein anderer
Denker“. Dennoch war (ebd. 92) „unter den Zeitgenossen Heidegger der einzige“, der
ihn „wesentlich anging“. Vgl. Notizen, z. B. 38, 46, 75, 86, 107, 111, 169, 238 f., doch auch 97, 125. — Rudolph Stephan (Gedächtnis 147): „Wie es einst, zur Zeit des höchsten Ansehens der Existenzphilosophie, Denker gegeben hat, die die deutsche Sprache erlernten, um Heidegger lesen zu können, so gab es später denkende Musiker, die Deutsch lernten, um die ‚Philosophie der neuen Musik‘ wirklich zu verstehen.“ — Nicht Heidegger, sondern Adorno ist für Beierwaltes (269-—314) das letzte Hauptbeispiel einer Wiederaufnahme des seit Platon nicht zur Ruhe kommenden Problems von „Identität und Differenz“ (vgl. aber cbd. 4).
°* Anders würde die Frage sich anhören, wenn wir sie weniger (oder nur verdeckt) personalisierten und die geistesgeschichtlichen Großmächte verglichen: Positivismus, Prag-
matismus, dialektischen Materialismus, Psychoanalyse... Von diesen langfristig wirksamen wären die bloßen Modewellen und „Tendenzwenden“ tunlichst zu unterscheiden.
21
?” und Adorno nicht 28, mache degger sich noch zum Titelhelden einer solchen Schau eigne unserer traditionsbredhenden ophen wahren Philos nicht jenen, sondern diesen ‚zum “ Epoche. Oder besser: diese scı keine der „großen Denker
mehr, und die Philosophen
ohne besonderen „Rang“ könnten getrost aufatmen. Ob es freilich ihrer Kommunika-
das Verlangen nach „Überblicken“ tion zugute käme? Nun: weder den Rangstreit noch t der Nekrologe, der feuillegenhei Angele eine sind Sie ; worten verant zu hat Heidegger n“; derer, die angesichts eines betonistischen und wissenschaftlichen „Einordnunge en
sie ihn in ihrem geistig unruhigenden Fragers ihre Ruhe wiederfinden wollen, indem 1973) gewiß nicht geben (gestor imer Horkhe hat chen Derglei ingen. Haushalt unterbr wollt.
Er wollte
(auf die Gefahr,
dabei
der
Horizontverengung
seiner
Schulrichtung
liche Kränzu verfallen) in der Stunde eines tragischen Zusammenbruchs, dem abscheu
en waren, sich und kungen Adornos von seiten seiner enttäuschten Schüler vorausgegang isch verpflichten. solidar muß, seine Zuhörer einem Lebenswerk, das fortgesetzt werden ln. bemäke zu nichts Daran gibt es
Heidegger wäre der letzte, der, wenn er für das seinsgeschichtliche Denken einen epochalen Rang beanspruchte, diesen seiner persönlichen Leistung zuerkannt wissen wollte. Sollte er, zur Zeit seines modischen Ruhms, zuweilen für . Wohl solche Versuchung anfällig gewesen sein, wäre es ihm gründlich vergangen aufihm nicht erst die Bitterkeit der Erfahrungen, die sein politischer Irrgang ie Philosoph erlegte, hat die totale Skepsis ausgelöst, mit der er die Chancen der Daihr ” in der heutigen Weltstunde beurteilte (daß sie im „Indianerreservat“ sein friste). Zur Überschätzung der Rolle des „Denkers in dürftiger Zeit“ hatte er wahrlich keinen Grund.’
27 Man
denke etwa an den vielbeachteten, auch von Heidegger gelobten Aufsatz von
(Philos.
Walter Schulz, „Über den philosophiegeschichtlichen Ort Martin Heideggers“
Rundschau 1953/54; jetzt „Heidegger“ 95 ff.); dort (98) die "These, in Heideggers Philosophie werde das Ende der abendländischen Metaphysik erreicht. — Auch Habermas
(Profile 67) nennt „Sein und Zeit“ „das bedeutendste philosophische Ereignis seit Hegels
‚Phänomenologie‘“ (vgl. 76). 28 Aber Habermas (Profile 14) zählt
neben Heidegger,
Jaspers, Gehlen
und
Bloch
auch Adorno noch zu den akademischen Lehrern, deren „rhetorischer Gestus“ für die Epoche vor der heutigen „Depersonalisierung der Philosophie“ charakteristisch sei. 29 Gesprächsweise, um 1960.
30 Im Augenblick des ersten Erfolges war es kaum wesentlich anders. Als 1928 in Marburg seine Berufung nach Freiburg auf den Lehrstuhl Husserls bekannt geworden war, quittierte er den Applaus der Studenten nur mit der kurzen, hintergründigen Bemerkung: „Mein Lehrer Husserl würde sagen: ‚Das ist das berühmte Heideggersche Glück‘,“
Im März 1929 war, bald nach jener einzigen Begegnung mit Adorno, dem noch nicht vierzigjährigen Heidegger die Star-Rolle äußerst peinlich, die man ihm zuschob, indem man ihn, im Rahmen der Davoser Hochschulkurse, als den kommenden Mann dem acht-
baren Neukantianer Ernst Cassirer konfrontierte. Verglichen mit einer einzigen Seite in der „Kritik der reinen Vernunft“, erklärte er damals, sei die Abhandlung
„Sein und
Zeit“ bloß „ein Zeitungsartikel“. Fragwürdig wird eine so überspitzte Formulierung da22
Rangvorstellungen sind, auch im geistigen Bereich, nicht völlig absurd; wir kommen ohne sie nicht aus, da wir, schon um der Kräfteökonomie willen, nicht wahllos auf alle an unser Ohr dringenden Stimmen achten können. Die meisten halten wir uns mit Hilfe mehr oder weniger zufälliger Prioritätsfestserzungen vom
Leibe; bequemer
hätten wir cs, fänden wir verläßliche Kriterien des Wich-
tigen und weniger Wichtigen. Im Dienste verantwortlichen Auswählens haben Überblicke, Einordnungen und Rangzuteilungen ihren begrenzten Sinn. Sofern
Rangstreitigkeiten aus dem Rechtbehaltenwollen der konkurrierenden Richtungen herrühren, vergiften und „Schafen“ gar führt Streit um die Wahrheit heitsfrage selbst freilich dermund kann Weisheit
sie den lebenswichtigen Dialog. Trennung von „Böcken“ dazu, daß Parteizugehörigkeit, nicht das Argument, im den Ausschlag gibt. Im konkreten Vollzug der Wahrverlieren Rangschätzungen überhaupt ihren Sinn; Kinkundtun und den Klügsten verstummen machen. Darum
fehlt jeder Maßstab, nach dem im Ernst philosophiegeschichtliche Ranglisten aufgestellt werden könnten. Da jedoch nicht ausgeschlossen
werden
kann,
daß
Konkurrenzmotive
und
Eifersucht der Schulen schon im Beginn des Gegensatzes zwischen Adorno und Heidegger eine Rolle gespielt haben, mußte dieser Aspekt hier, wo es um Einsicht in die Notwendigkeit der Themastellung gibt, erwähnt werden. Nicht mit jedem kleinen Kläffer, der Heidegger attackiert hat, lohnt es sich auseinander-
zusetzen. Auch im Falle Adornos können wir dem Ergebnis nicht vorgreifen. Wir gehen aber von der Vermutung aus, daß dieser hartnäckige Gegner zu den wichtigsten und stärksten gehört und im Ringen um die Richtung, in der die Frage Heideggers weiter-gefragt werden muß, eine exemplarische Funktion hat. Über seine Ebenbürtigkeit braucht nicht entschieden zu werden; aber er ist, so gut es nach Lage der Dinge gelingen kann, als gleichberechtigter Partner ernstzunehmen.
durch, daß sie, um einen zugemuteten Rang abzuwehren, das Rangordnungsdenken als
solches gerade bekräftigt. — Vom einzelnen Philosophen, der in den wirkungsgeschichtlichen Prozeß mit eingegangen ist, sollte kein falsches Aufsehen gemacht werden. Hei-
degger wollte (was freilich auch Probleme aufwirft), daß von seiner Biographie nicht viel geredet werde; wie er, im Kolleg, auch vom wollte, als daß er „geboren wurde, arbeitete Her. 5 f. — „Nun, eitel sind wir Gelehrten ja ganz besonders; auch die wirklichen machen reden von den Verzweiflungen, von denen sie
Leben des Aristoteles nichts weiter sagen und starb“ (zitiert bei Hühnerfeld 9). Vgl. alle mehr oder minder und die Philosophen oft diesen Anschein, weil sie gerade nicht gerade gejagt werden“ (Lo. 97).
23
V gibt natürlich respektable Gründe, Kommunikation auf den Bereich der eige-
: