'Adel' und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland: Habilitationsschrift 3515127151, 9783515127158

War die griechische Archaik ein Zeitalter des Adels? Jan Meister unterzieht diese zentrale Frage einer kritischen Neueva

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'Adel' und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland: Habilitationsschrift
 3515127151, 9783515127158

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?
1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides, oder: Der griechische ‚Adel‘ als Problem der Forschung
1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?
1.3 Ziele und Disposition der Arbeit
Teil I: Von Bauern zu Städtern – Materielle und lebensweltliche Grundlagen
2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert
2.1 Homer, Hesiod und die Gesellschaft der Epen – methodische Vorbemerkungen zu Quellenwert und Datierung
2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen
2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts
2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert
2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht
3. Polisbezug und Adelsbildung
3.1 Polisbildung als Urbanisierung
3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote
3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung
3.4 Theoretische Implikationen der Zentrum-Peripherie-Differenzierung
Teil II: ‚Adelskultur‘, Prestigekonkurrenz und Institutionalisierung – ‚Aristokratische‘ Handlungsfelder und ihre Transformation
4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen? Das deutsche Bildungsbürgertum und der griechische ‚Kulturadel‘
4.1 Grote, Whibley und Fustel: Das Fehlen eines nationalen ‚Kulturadels‘ im England und Frankreich des 19. Jahrhunderts
4.2 Der Neuhumanismus und die griechisch-deutsche Wahlverwandtschaft
4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels
4.4 Perspektiven jenseits klassizistischer Anachronismen
5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken
5.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides und ‚aristokratische‘ Devianz
5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz
5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume
6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung
6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis
6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone
6.3 Panhellenisches Prestige und Polis-Prestige
Teil III: Athen – Mehr als nur eine Fallstudie
7. Athen in archaischer Zeit: Mythen und Fragmente
7.1 Der Mythos der Eupatriden
7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte
8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘
8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos
8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems?
8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie
9. Zusammenfassung: Der griechische ‚Adel‘ in zweifach gebrochener Perspektive
Bibliographie
A. Quellensammlungen und Corpora
B. Forschungsliteratur
Register
Stellenregister
Ortsregister
Personen- und Sachregister

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Jan B. Meister

‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland

Historia

Alte Geschichte

Franz Steiner Verlag

Historia – Einzelschrift 263

historia

Zeitschrift für Alte Geschichte | Revue d’histoire ancienne |

Journal of Ancient History | Rivista di storia antica

einzelschriften

Herausgegeben von Kai Brodersen (federführend)

Christelle Fischer-Bovet | Mischa Meier | Sabine Panzram | Henriette van der Blom | Hans van Wees Band 263

‚Adel‘ und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland Jan B. Meister

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Jüngling mit zwei Pferden auf dem Fragment einer möglicherweise vom Maler von Vatikan 365 bemalten attisch-schwarzfigurigen Amphora (um 540–530 v. Chr.) The Metropolitan Museum of Art, New York, Inv. 20.259, https://www.metmuseum.org/art/ collection/search/251007 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12715-8 (Print) ISBN 978-3-515-12728-8 (E-Book)

für S. E. M. und A. M. M.

Vorwort Bei diesem Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die 2017/18 von der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Mein Dank gilt vorab meinem akademischen Mentor Aloys Winterling, der die Arbeit von Anfang an begleitet hat und dessen kritischer Blick in vielen Punkten zur Schärfung der Argumentation beigetragen hat. Nebst Aloys Winterling haben Claudia Tiersch und Winfried Schmitz als Gutachter für die Arbeit fungiert – für ihre hilfreichen und konstruktiven Anregungen sei hier herzlich gedankt, und ich hoffe, dass sie einiges davon auch in der Arbeit wiederfinden. Viele Personen haben im Verlauf der letzten Jahre direkt oder indirekt zum Gelingen dieses Buchprojekts beigetragen. Mit Gunnar Seelentag verbindet mich seit 2013 ein intensiver wissenschaftlicher Austausch rund um das archaische Griechenland, der in einer gemeinsamen Sektion am Historikertag 2014 in Göttingen mündete und anschließend zur Gründung eines wissenschaftlichen Netzwerks der DFG zu „Konkurrenz und Institutionalisierung in der griechischen Archaik“ führte. Den zahlreichen Gesprächen und regen Diskussionen, die innerhalb dieses Netzwerks geführt wurden, verdankt die vorliegende Monographie inhaltlich und konzeptionell sehr viel. Allen Netzwerkmitgliedern und externen Gästen sei daher herzlich gedankt. Besonderer Dank gebührt dabei nebst Gunnar Seelentag vor allem Elke Stein-Hölkeskamp und Karl-Joachim Hölkeskamp, von deren intensiver Beschäftigung mit antiken Eliten ich viel profitieren konnte, sowie Tanja Itgenshorst, Erich Kistler und Christoph Ulf, die jeweils auch die Mühe auf sich genommen haben, Teile der Arbeit zu lesen und mir hilfreiche Anregungen und Ermunterungen gaben. Nebst dem Austausch im Archaik-Netzwerk habe ich von verschiedenen Gastvorträgen u. a. an den Universitäten Bern, Bielefeld, Edinburgh, Hannover, Münster, Potsdam und Tübingen profitiert, wo ich jeweils Teilaspekte meiner Arbeit vorstellen konnte – für die Einladungen und die Diskussionen sei allen Beteiligten herzlich gedankt. Beate Wagner-Hasel hat zudem ein Teilkapitel der Arbeit gelesen und mir wertvolle Anregungen gegeben. Den Herausgebern der Historia Einzelschriften danke ich für die ehrenvolle Aufnahme in diese Reihe. Vor allem aber danke ich den beiden anonymen Gutachtern, deren konstruktive Kritik und Anregungen mir nochmals wichtige Impulse für die definitive Überarbeitung gaben.

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Vorwort

Die Humboldt-Universität zu Berlin hat mir über viele Jahre eine intellektuell stimulierende akademische Heimat geboten. Die zahlreichen Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen im wöchentlichen Forschungskolloquium, aber auch der rege Austausch mit den Studierenden, die ich über die Jahre immer wieder mit Lehrveranstaltungen zur Archaik ‚beglückte‘, haben viel zur Schärfung meiner Gedanken beigetragen. Besonderer Dank gebührt meinen Berliner Kollegen Robert Bellin, Christopher Degelmann und Moritz Hinsch sowie den studentischen Hilfskräften Marcel Kiefer und Patrick Pertsch, die jeweils große Teile der Arbeit oder gar das ganze Manuskript gelesen und kritisch kommentiert haben. Nach meinem Wechsel an die Universität Bern hat mich Michael Stadler intensiv bei der Endredaktion unterstützt und mein Vater hat – als kritischer Leser – die Endfassung des Textes nochmals gründlich korrekturgelesen. Sie alle haben dazu beigetragen, dass das vorliegende Buch ein besseres Buch geworden ist. Der größte Dank geht jedoch an meine Frau, ohne deren stete Unterstützung die Fertigstellung dieser Schrift nicht möglich gewesen wäre. Bern, im Januar 2020

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels? . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides, oder: Der griechische ‚Adel‘ als Problem der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Adel und Moderne als Problem für die Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 ‚Adel‘ als Idealtypus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ziele und Disposition der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 29 29 35 41

Teil I: Von Bauern zu Städtern – Materielle und lebensweltliche Grundlagen 2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Homer, Hesiod und die Gesellschaft der Epen – methodische Vorbemerkungen zu Quellenwert und Datierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 ‚Bauernadel‘ und Arbeitsethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der lebensweltliche Erwartungshorizont des Publikums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Das Pfluggespann als Grundlage für Oberschichtzugehörigkeit und Ehre . . . 2.3.2 Hohe soziale Mobilität und schwache Herrschaftsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Entkopplung von Ehre und materiellem Gewinn und die Entstehung von Ämtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Urbanisierung und die Desintegration der bäuerlichen Lebenswelt . . . . . . . . .

47 47 54 55 60 65 65 76 82 83 91

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Inhaltsverzeichnis

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Gekaufte Frauen und Ehefrauen in der Zeit der Epen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Die lebensweltliche Logik von Bastarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Transformation der bäuerlichen Lebenswelt und gesetzgeberische Reaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 3.1 3.2 3.3 3.4

Polisbezug und Adelsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polisbildung als Urbanisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote . . . . . . . . . . . Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung . . . . . . . . . . Theoretische Implikationen der Zentrum-Peripherie-Differenzierung . . . . . . .

93 97 105 110 115 115 120 134 150

Teil II: ‚Adelskultur‘, Prestigekonkurrenz und Institutionalisierung – ‚Aristokratische‘ Handlungsfelder und ihre Transformation 4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen? Das deutsche Bildungsbürgertum und der griechische ‚Kulturadel‘ . . . . . 4.1 Grote, Whibley und Fustel: Das Fehlen eines nationalen ‚Kulturadels‘ im England und Frankreich des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Neuhumanismus und die griechisch-deutsche Wahlverwandtschaft . . . . . 4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Perspektiven jenseits klassizistischer Anachronismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 164 169 173 185

5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides und ‚aristokratische‘ Devianz. . . . . . . . . 189 5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.2.1 Immer der Beste sein? Vielfältige Felder des Prestigeerwerbs bei Homer . . . . . 195 5.2.2 Die Scheinmodernität archaischer Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume. . . . . . 214 6. 6.1 6.2 6.3

Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone . . . . . . . . . . . . . . 241 Panhellenisches Prestige und Polis-Prestige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Inhaltsverzeichnis

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Teil III: Athen – Mehr als nur eine Fallstudie 7. Athen in archaischer Zeit: Mythen und Fragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Der Mythos der Eupatriden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . 7.2.1 ‚Dysnomia‘ unter Solon – Tyrannenfurcht und Menschenmangel . . . . . . . . . . 7.2.2 ‚Eunomia‘ unter Peisistratos – Die gewaltsame Bändigung zentrifugaler Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Kleisthenes und die Integration der Peripherie ins Zentrum . . . . . . . . . . . . . . .

275 275 295 295 311 323

8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 9. Zusammenfassung: Der griechische ‚Adel‘ in zweifach gebrochener Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 A. Quellensammlungen und Corpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 B. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides, oder: Der griechische ‚Adel‘ als Problem der Forschung Es ist eine märchenhaft anmutende Geschichte, die Herodot im sechsten Buch seiner Historien erzählt:1 Kleisthenes, der Tyrann von Sikyon, wollte seine Tochter Agariste dem Besten (τὸν ἄριστον) aller Griechen zur Frau geben. Nachdem er in Olympia mit seinem Gespann einen Sieg errungen hatte, ließ er von einem Herold ausrufen, wer sich für würdig erachte, des Kleisthenes Schwiegersohn zu werden, solle nach Sikyon kommen. In der Tat zogen angesehene junge Männer aus Italien, Aitolien, der Peloponnes, Athen, Eretria und Thessalien nach Sikyon. Kleisthenes bemühte sich, den Gästen einen würdigen Rahmen zu bieten, und ließ in Sikyon eigens für diesen Anlass eine Palästra und einen Dromos bauen. Nachdem er jeden Einzelnen über sein Geschlecht und seine Heimatstadt befragt hatte, bewirtete er die Freier während eines ganzen Jahres und nutzte diese Zeit, um ihre Tüchtigkeit, ihren Charakter und ihre Bildung zu erproben. Die jüngeren mussten sich auch im Gymnasion beweisen, doch alle zusammen wurden – und dies, so Herodot, sei das Wichtigste gewesen – beim gemeinsamen Mahl getestet. Am besten gefielen Kleisthenes die beiden Freier aus Athen, vor allem der mit dem korinthischen Herrschergeschlecht der Kypseliden verwandte Hippokleides. Doch kurz vor der geplanten Hochzeit leistete sich dieser hoffnungsvolle Kandidat einen fatalen Fauxpas: Nach dem gemeinsamen Essen wetteiferten die Freier mit Liedern und anderen Beiträgen und Hippokleides führte eine Reihe von Tänzen auf, die er selbst als schön, sein Schwiegervater in spe jedoch als äußerst deplatziert angesehen habe. Als schließlich der Athener mit dem Kopf auf einem Tisch stand und mit den Beinen im Takt schlenkerte, habe der Tyrann angewidert aus-

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Hdt. 6,128–130. Alle auf die Antike bezogenen Daten verstehen sich, wenn nicht anders vermerkt, als v. Chr.

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

gerufen: „Sohn des Teisandros, vertanzt hast du dir die Hochzeit!“ Doch Hippokleides unterbrach ihn und meinte: „Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ“ – „das kümmert Hippokleides nicht!“ Daher, so der Erzähler Herodot, stamme diese bekannte Redewendung. In der Folge wurde nicht Hippokleides, sondern der andere Athener, der Alkmeonide Megakles, quasi als der Zweitbeste,2 zum Schwiegersohn des Tyrannen erkoren. Die Geschichte schildert das ganze Panoptikum dessen, was man gemeinhin als Charakteristika des archaischen Adels ansieht: Die beteiligten Akteure bewegen sich in einem panhellenischen Kontext, treffen sich zu sportlichen Agonen in Olympia und streben – dies das Ziel der ganzen Geschichte – überregionale Heiraten und Gastfreundschaftsbeziehungen an. Ferner verfügen sie über ein ausgeprägtes Wettbewerbsdenken: Kleisthenes stellt die Freier auf die Probe und sucht nach dem ‚Besten‘, indem er Qualitäten wie Charakter, Bildung, sportliche Leistungsfähigkeit, aber auch edle Herkunft miteinander vergleicht. Einen Dromos und eine Palästra für sportliche Agone ließ er eigens für diesen Anlass in Sikyon errichten.3 Zentral erscheint jedoch vor allem das gemeinsame Mahl als Ort aristokratischer Geselligkeit, dessen Bedeutung Herodot explizit hervorhebt und wo Hippokleides seinen Fauxpas begeht: Die gemeinsam feiernden Adligen sind kein betrunkener Haufen, sondern verfügen über ungeschriebene Regeln feinen Benehmens. Wer diese bricht, diskreditiert sich in den Augen seiner Standesgenossen nachhaltig. Chester Starr deutete die Geschichte denn auch als ein Indiz dafür, dass sich in Griechenland ein Adel ausgebildet habe: Die Freier in der Odyssee, so Starr, seien noch „brutes“ gewesen, unkultivierte Gesellen, während Hippokleides sich in einer kultivierten Schicht bewegt und wegen seines mangelnden aristokratischen Taktgefühls gemaßregelt wird.4 Alain Duplouy hat die Geschichte gar als alkmeonidische ‚Propaganda‘ gedeutet: Der Alkmeonide Megakles, der letztlich den Sieg davon trug, werde als vorbildlicher Aristokrat gepriesen, der den adligen Agon gewinnt und eine überregionale Ehe eingehen kann, während sich sein Rivale Hippokleides durch sein unstandesgemäßes Verhalten selbst disqualifiziert.5 Einer solchen Deutung steht jedoch die demonstrative Gleichgültigkeit des Hippokleides entgegen. Denn das οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ passt nicht zu einem Verlierer – Hippokleides betrachtet seinen Tanz weder als Fauxpas, noch bereut er die Darbietung. Das Urteil des Kleisthenes kümmert ihn schlicht nicht. Dies darf keinesfalls

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Power 2006 etwa schreibt in Bezug auf Megakles von einem „second-banana bridegroom“. Zur Episode als Musterbeispiel all jener Elemente, die die Kultur des archaischen Adels ausmachen, s. Stein-Hölkeskamp (1989) 117–119 und Stein-Hölkeskamp (2015) 186 f.; Stahl (2003) 49–75; Papakonstantinou (2010). Dass Kleisthenes einen „court poet“ gehabt habe, der ein „local epic on the Wooing of Agariste“ verfasst habe, wie Jeffery (1976) 165 vermutet, ist reine Spekulation – der eindeutig mündliche Charakter der Geschichte (dazu u.) scheint mir klar gegen die Existenz eines solchen Epos zu sprechen. Zur Episode als typische Erscheinung des ‚agonalen‘ Verhaltens der archaischen Griechen s. Burckhardt (2002) 137 und Burckhardt (2012) 84 f. Starr (1992) 8; vgl. Starr (1977) 120. Duplouy (2006) 80–85.

1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides

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unbeachtet bleiben,6 denn die Geschichte weist zahlreiche Momente mündlicher Traditionsbildung auf: Weder die Chronologie noch die beteiligten Personen sind sonderlich vertrauenserweckend,7 und das Grundszenario, bei dem prominente Freier im freundschaftlichen Wettkampf um eine Prinzessin werben, erinnert stark an die Hochzeit der Helena im griechischen Mythos.8 Selbst der dramatische Höhepunkt der Geschichte, der unzüchtige Tanz des Hippokleides, scheint keine historische Erinnerung, sondern eine Wanderlegende zu sein: Bereits im 19. Jahrhundert haben Folklore-Forscher auf eine indische Tierfabel aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert aufmerksam gemacht, in der ein Pfau sich die Hochzeit mit der Tochter des Schwans vertanzt.9 Ähnlich wie Hippokleides, dessen Geschlechtsteile beim Kopfstand auf dem Tisch für alle sichtbar wurden, entblößt sich auch der indische Pfau beim Tanzen und genau wie Hippokleides wird er vom potentiellen Schwiegervater gemaßregelt, weil er weder innere Scham noch Furcht vor Sünde besitze. Offenbar handelt es sich um ein verbreitetes Erzählmotiv, das an unterschiedlichen Enden des indoeuropäischen Kulturraums in zwei völlig unabhängige Geschichten Eingang gefunden hat. Wenn man das ernst nimmt – und das sollte man10 –, dann fällt jedoch umso deutlicher ins

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Vgl. in diesem Sinne zu Recht Biebas-Richter (2016), die den Spruch dezidiert zum Ausgangspunkt ihrer Analyse macht – ihre Ausführungen kranken freilich an der methodisch unzureichenden Quellenkritik (s. u.). Da der erfolgreiche Bewerber Megakles auch bei Hdt. 1,61 begegnet und dort eine Tochter hat, die er mit Peisistratos verheiratet, wäre es plausibel, die Episode in die 570er Jahre zu datieren: Vgl. z. B. Moretti (1957) 70 (Nr. 96); den ausführlichsten Versuch, eine exakte Chronologie zu rekonstruieren, bietet McGregor (1941), der die Hochzeit auf 575 datiert. Dem steht freilich entgegen, dass die Geschichte Personal aus verschiedenen Epochen vereinigt: Megakles kam überhaupt erst in die Situation, ein würdiger Bewerber zu sein, weil sein Vater Alkmeon zuvor beim Lyderkönig Kroisos (also nicht vor 560) großen Reichtum erworben habe [Hdt. 6,125; dazu jetzt Stein-Hölkeskamp (2019) 427–429; 443–446], gleichzeitig begegnet in Sikyon aber auch ein Sohn des Pheidon von Argos, einer Figur mit klar mythologischen Zügen, die von späteren Chronologien in das 8. Jh. datiert wurde. Milon von Kroton, dessen Bruder sich ebenfalls unter den Freiern befindet, war in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. aktiv, also eine gute Generation nach dem mutmaßlichen Hochzeitsfest. Generell zur Problematik der Episode s. Scott (2005) 414–431, ferner Forsdyke (2011) zum legendenhaften Charakter des Kleisthenes als „culture-hero“, dort spez. 149 zu der vorliegenden Episode. Die Reminiszenz an die Verheiratung der Helena ist offenkundig; so mutmaßen Stein-Hölkeskamp (1989) 119 und Scott (2005) 424, dass Kleisthenes hier homerischen Adelsidealen nacheifert. Es könnte aber auch einfach sein, dass beide Geschichte nach dem gleichen Märchenmotiv geformt sind. Jātakam, Nr. 32 ( Jātakam. Das Buch der Erzählungen aus früheren Existenzen Buddhas. Übersetzt von Julius Dutoit. 7 Bde. Leipzig 1908–1921). Vgl. Hahn (1876) 69 f.; Tawney (1883) 121 und ausführlich Macan (1895) Bd. 2, 304–311. Zu argumentieren, dass man „bei unserer überschaubaren Quellenlage nicht allzu hastig eine Überlieferung als Erfindung verwerfen“ solle, wie dies jüngst Biebas-Richter (2016) 284. Anm. 22 tat, ist kein sonderlich schlüssiges Argument – ihre Ausführungen (ebd. 282–284) zur Glaubwürdigkeit der Episode vermögen denn auch nur bedingt zu überzeugen: Dass Herodot selbstverständlich nicht die indische Legende kannte, sondern dass es sich hierbei um ein mündliches Erzählmotiv handelt, das in dem großen Kommunikationsraum zwischen Griechenland und Indien

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

Auge, worin sich die beiden Ausformungen der Geschichte unterscheiden: Während der indische Pfau sich schämt und weggeht, also das Urteil des Schwans akzeptiert, erklärt Hippokleides selbstbewusst οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ und stellt damit klar, dass er weder das Urteil noch die damit verbundenen Verhaltensregeln als verbindlich akzeptiert. Das ist bemerkenswert. Es ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil dieser Spruch – im Gegensatz zur konkreten Ausgestaltung der Freier-Geschichte, inklusive des umstrittenen Tanzes – eindeutig einen aitiologischen Kern der Geschichte darstellt. Denn es besteht kein Grund, an Herodots Aussage zu zweifeln, dass es sich dabei um eine geläufige Redewendung handelt, die aufgrund der namentlichen Erwähnung des Hippokleides klar ins 6. Jahrhundert zu datieren ist.11

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zirkulierte und völlig unabhängig voneinander an zwei gänzlich unterschiedlichen Orten Eingang in die schriftliche Überlieferung fand, wird ebenso wenig gesehen, wie der Umstand, dass „Mitglieder prominenter athenischer Familien“ als „Hauptakteure“ (ebd. 283) von Geschichten diese keineswegs automatisch vor Verfälschung in mündlicher Tradition bewahren, wie Raaflaub (1988) anhand der sehr unterschiedlichen Berichte über die Alkmeoniden bei Herodot und Isokrates überzeugend nachgewiesen hat. Die Redewendung war in der Antike tatsächlich weit verbreitet und findet sich in diversen Sprichwortsammlungen: Phryn. eclogae 164; 342 (ed. Fischer, Berlin 1974); Diogenian. paroemine 7,21 (ed. Leutsch & Schneidewin, Göttingen 1839); Zenobios 5,31 (ed. Leutsch & Schneidewin, Göttingen 1839); ferner wird der Ausspruch des Hippokleides wörtlich zitiert bei Lukian. Herc. 8; philopatr. 29; apol. 15; Iul. or. 6,2 (ed. Wright, LCL = 9,2 ed. Lacomrade, Budé); Lib. epist. 1545,5 (ed. Foerster, Leipzig 1922) (= Pseudoepigraphae 1,5); ferner findet sich eine Erwähnung im byzantinischen Homerkommentar von Eustathios (Eust. ad Hom. Il. 1,598 = ed. van der Valk, Leiden 1971, 246); eine Variante findet sich bei Plutarch, der gegen Herodots ‚Lügen‘ polemisierend erklärt, so wie Hippokleides seine Hochzeit würde Herodot die Wahrheit vertanzen und dabei erklären: οὐ φροντὶς Ἡροδότῳ (Plut. Her. mal. 33 = mor. 867b). Dass diese späteren Nennungen nicht ausschließlich von Herodot abhängen, zeigt ein Fragment der Alten Komödie, das ungefähr zeitgleich mit Herodots Historien, wenn nicht sogar früher zu datieren ist und das den Ausspruch des Hippokleides ebenfalls zitiert: Hermippos F 16 PCG [= Hesych. s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (ο 1920 Latte)]; Paus. Attic. s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (ο 42 Erbse); Phot. lex. s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδηι (ο 363 Porson); Suda s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (ο 978 Adler). Die Popularität der Geschichte zu Herodots Lebzeiten zeigt möglicherweise auch ein Keramikfragment des Peleus-Malers (ARV2 1039 Nr. 6) aus dem dritten Viertel des 5. Jhs., das einen tanzenden Zwerg zeigt; der Unterkörper der Figur ist nicht erhalten, doch aus dem Größenverhältnis zu den Armen der neben ihm tanzenden Musikantinnen kann geschlossen werden, dass er leicht erhöht auf einem Podest oder aber einem Tisch tanzte, letzteres würde sehr gut zur Beischrift passen, die – wenn die Ergänzung stimmt – ihn als [Ιππο]κλειδης ausweist (AVI Nr. 3450): Die Ergänzung wurde von Lippold (1937) erstmals vorgeschlagen, der in der Szene eine Karikatur der bei Herodot überlieferten Geschichte sah; Beazley (1939) 11 akzeptierte die Ergänzung, sah aber im Zwergen keine Karikatur, sondern einen realexistierenden kleinwüchsigen Unterhalter, der sich einen Künstlernamen nach dem berühmten aristokratischen ‚Table-Dancer‘ zugelegt habe; vgl. dazu in neuerer Zeit Dasen (1993) 224, die zusätzlich auf ein Fragment einer Trinkschale aus den 420er Jahren verweist, auf der ein Zwerg abgebildet ist, der auf einem Tisch tanzt und dabei die Beine in die Luft hält (Museo Civico, Todi, Inv. 471; Abb. bei Dasen Taf. 53,2) – Dasen vermutet hier ebenfalls eine Anspielung auf Hippokleides. Für die Prominenz des (historischen) Hippokleides im 6. Jh. und damit für die Datierung der Episode spricht einerseits seine bei Herodot bezeugte verwandtschaftliche Verbindung zu den Kypseliden, vor allem aber seine Erwähnung beim spätantiken Autor Markellinos (Marcellin. vit.

1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides

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Die Geschichte hat also zwei historische Kerne, die beide im Athen Herodots noch Relevanz besitzen: Der eine ist die in Sikyon geschlossene Heirat des Megakles, die nicht nur den Ruhm der Alkmeoniden begründete, sondern im Stammbaum dieser Familie festgehalten ist, was sich unter anderem in der Verwendung des Namens „Agariste“ für weibliche Mitglieder dieser Familie zeigt.12 Der andere Kern jedoch ist der flapsige Spruch des Hippokleides, der als Mitglied der Philaiden der zweiten bedeutenden Familie angehört13 und mit diesem Spruch nicht nur seine eigene Niederlage klein redet, sondern vor allem den Erfolg seines athenischen Rivalen zu einer nichtigen Sache erklärt, die ihn genauso wenig kümmert wie das Urteil des Kleisthenes. Ganz erfolglos war er damit offenbar nicht: Einige Jahre später begegnet er als Archon,14 während umgekehrt der ‚Sieg‘ des Megakles in der von Herodot verschriftlichten mündlichen Tradition den fahlen Beigeschmack des ‚Zweitbesten‘ behält. Die Geschichte bei Herodot taugt also nur begrenzt als Beleg für einen sich ausbildenden Adel mit verbindlichen Umgangsformen, deren Einhaltung über die Zughörigkeit oder Nichtzugehörigkeit entscheidet. Denn der Kern der Geschichte schildert

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Thuk. 3), der sich aber (indirekt über Didymos) auf den im frühen 5. Jh. schreibenden Pherekydes (FGrH 3 F 2) und den etwas späteren Attidographen Hellanikos (FGrH 4 F 22) beruft und Hippokleides nicht nur den Philaiden zuordnet, sondern ihn vor allem auch als Archon kennt, unter dem die Panathenäen eingerichtet worden seien. Nebst der bei Herodot (6,131,2) explizit erwähnten Mutter des Perikles begegnet auch eine Agariste als Informantin im Zuge des Hermenfrevels (And. 1,16), die wohl ebenfalls zu den Alkmeoniden oder einer Seitenlinie gehört, vgl. Davies (1971) 382 f. Die Zuordnung basiert einzig auf Markellinos (vit. Thuk. 3; s. o. Anm. 11), dessen aus indirekten Zitaten basierender Text zwar diverse Probleme aufweist, in Bezug auf Hippokleides jedoch wenig Anlass zu Zweifeln gibt. Zur Genealogie der Philaiden s. Davies (1971) 293–312 und Thomas (1989) 161–173, die an diesem Beispiel eindrücklich zeigt, dass auch die Genealogie einer solch prominenten Familie im 5. Jh. keineswegs widerspruchsfrei erinnert wurde, sondern für das 6. Jh. verschiedene Varianten kursierten, die typische Züge mündlicher Traditionsbildung tragen; vgl. ähnlich auch Möller (1996). Doch auch wenn die genaue Einpassung in ein Stemma spekulativ bleiben muss, so steht doch die grundsätzliche Zuordnung des Hippokleides zu den Philaiden außer Zweifel. Marcellin. vit. Thuk. 3 = Pherekydes FGrH 3 F 2 = Hellanikos FGrH 4 F 22 (s. o. Anm. 11); basierend auf der sehr unsicheren Datierung über die Chronik des Eusebius (bzw. deren Übersetzung durch Hieronymus) wäre dieses Archontat für das dritte Jahr der 53. Olympiade, also 566/5, anzusetzen (Eus. Chron. Ol. 53,3). Unabhängige Evidenz aus der Archaik selbst stützt zwar die Plausibilität dieser Datierung in Hinblick auf eine relative Chronologie, doch die Akropolis-Inschrift IG I3 507 (= DAA 326), die die hieropoioi nennt, die zur erstmaligen Ausrichtung der Agone für die „Strahlenäugige“ einen Dromos errichteten, ist zwar ungefähr in die Mitte des 6. Jh. zu datieren, eine absolute Datierung ergibt sich aber nur über Eusebius, vgl. den Kommentar von Raubitschek in DAA 326 ad loc. – Analoges gilt für die panathenäischen Preisamphoren, die zwar ebenfalls ungefähr um diese Zeit einsetzen, doch auch dort hängt die absolute Chronologie an Eusebios, die grundlegenden Einwände gegen einen Fixpunkt 566 für die exakte Datierung der relativen Chronologie attisch schwarzfiguriger Keramik finden sich bei Corbett (1960) 57 f.; zu den Preisamphoren s. einführend Tiverios (2007) spez. 1 f. für die erste Hälfte des 6. Jh. Eine ausgewogene Darstellung zur Reorganisation der Panathenäen im zweiten Viertel des 6. Jh. bietet Parker (1996) 89–92; teils sehr spekulativ und der Überlieferung gegenüber unkritisch dagegen die Darstellung von Neils (2007).

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

eine demonstrative Devianz, mit der diese scheinbar verbindlichen Umgangsformen für nichtig erklärt werden, ohne dass dies den sozialen Tod des Akteurs zur Folge hat. Die Forschung hat denn auch eine Vielzahl an kontroversen Deutungen vorgeschlagen, die von der Schwierigkeit zeugen, die Episode in einen sozialgeschichtlichen Kontext zu stellen. Nebst der bei Starr fassbaren Deutung, Hippokleides hätte gegen aristokratisches Benehmen verstoßen,15 gibt es verschiedene Interpretationen, die von einer Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen ausgehen: Hippokleides und Kleisthenes hätten unterschiedliche Vorstellungen vom korrekten Verhalten beim Symposion, wobei der eine älteren, der andere jüngeren Konventionen anhängt, was mit regionalen oder sozialen Differenzen erklärt werden kann.16 Eng damit verknüpft ist die Frage, ob das Narrativ Herodots eine alkmeonidische ‚Familienpropaganda‘ sei, die Megakles als idealen Aristokraten darstelle, oder ob nicht vielmehr Hippokleides der ‚echte‘ Adlige sei und Megakles ein neureicher Aufsteiger.17 In diesem Sinne könnte man mit Uwe

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Nebst Starr s. v. a. Luria (1930) 16–22, der im Tanz ein plebejisches Verhalten sah, das die alkmeonidische ‚Propaganda‘ den Philaiden unterstellt habe, Fehr (1990) 191–193, der den Tanz als modische Neuerung sah, die gegen das aristokratische Herkommen verstieß (sich aber letztlich durchsetzte), und Scott (2005) 427 f., wo von unstandesgemäßem Verhalten die Rede ist. Historisch argumentierte Kinzl (1980) 180–184, der die Episode mit den Kultreformen des Kleisthenes in Verbindung brachte, bei der wilde, dionysische Tänze reformiert worden seien, weshalb die Tänze des Hippokleides hier fehl am Platz waren; ebd. 184: „An einem anderen Ort hätte er vielleicht noch großen Beifall ertanzen können – nicht jedoch vor Kleisthenes.“ Vom Ansatz her völlig anders, aber im Ergebnis ähnlich argumentiert Müller (2006) 225–276, der in der Episode einen eigentlichen „Paradigmenwechsel“ sieht, bei dem der ausgelassene Tanz des Hippokleides die alte Adelswelt verkörpert; ebd. 259: „Der Repräsentant der alten Adelswelt wird gestürzt und stattdessen kommt der Vertreter einer aufstrebenden, erst jüngst durch persönliche Geschicklichkeit und Lebenstüchtigkeit zu Reichtum und panhellenischem Ansehen gelangten Familie zum Erfolg.“ Die Episode zeige „fortwirkende Faszination der spielerischen Eleganz aristokratischer Lebensart“ (ebd. 260); dass es dabei um schichtspezifische adlige Normen gehe, lehnt Müller dagegen ab (ebd. 262; 272), vielmehr handle es sich um „universellen Arete-Vorstellung archaischer Prägung“ (ebd. 262). Papakonstantinou (2010) 77–80 sieht die Episode als Ausdruck des Konflikts zwischen zwei gleichzeitig existierenden Symposionkulturen, von denen die eine Selbstbeherrschung, die andere Exzess propagiert. Zur bereits älteren These der ‚Familienpropaganda‘ s. z. B. Luria (1930) 16–22 und in neuerer Zeit Duplouy (2006) 80–85; eine solche ‚Propaganda‘ kann jedoch ausgeschlossen werden, nicht nur wegen der Hippokleides-Episode, sondern auch wegen der zuvor (Hdt. 6,125) erzählten Geschichte, wie Alkmeon den Familienreichtum begründete, indem er (chronologisch unmöglich) von Kroisos mit so viel Gold beschenkt wurde, wie er tragen könne, woraufhin er nicht nur sein Gewand und seine Schuhe, sondern auch den Mund mit Gold füllte und selbst sein Haar mit Goldstaub bedeckte – damit wurde er zwar reich, aber sein königlicher Gastgeber (und wohl nicht nur er) fand die Episode primär komisch. Zudem steht Alkmeons Verhalten in einem deutlichen Kontrast zu Geschichten im Kontext der ‚sieben Weisen‘, von denen mehrere in einer ähnlichen Situation sich von Kroisos’ Gold unbeeindruckt zeigten: Nebst Solon (erstmals bei Hdt. 1,29–32) sind dies v. a. Pittakos (Diog. Laert. 1,75; 81), der, ebenso wie der Skythe Anachrises (Diog. Laert. 1,105), ein Goldgeschenk des Kroisos ablehnte. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Geschichte um den „Zweitbesten“ Megakles deutlich ambivalenter und komischer, als es einer Familienpropaganda zukommen würde. Strasburger (1955) 15 f. hat das Wesentliche dazu bereits gesagt; für eine detaillierte Analyse im Kontext volkstümlicher Erzähltraditionen s. Thomas (1989) 264–272. Den

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Walter die selbstbewusste Devianz als geradezu typischen „Ausdruck adliger Unabhängigkeit gegenüber nicht selbst gesetzten Normierungen“ werten18 – ein Nonkonformismus, welcher der Selbstsicherheit des arrivierten Adligen entspringt, jemand zu sein und damit sich selbst als Maßstab zu genügen. In eine ähnliche Richtung geht denn auch die jüngste Interpretation der Episode durch Janice Biebas-Richter.19 Sie geht davon aus, dass Hippokleides bewusst einen Affront beging, um sich nicht den Spielregeln des Tyrannen zu unterwerfen, und kommt zum Schluss, dass „Hippokleides mit seinem Verhalten klar machte, daß er nicht so ein ‚kriecherischer Höfling‘ war wie etwa Megakles.“20 Die unterschiedlichen Interpretationen sind symptomatisch für die Probleme der althistorischen Forschung mit dem griechischen Adel der archaischen Zeit. Die Berichte über herausragende Individuen, die weit verzweigte Gastfreundschaften pflegen und panhellenische Wettkämpfe in Olympia und anderen Zentren veranstalten, haben schon früh Assoziationen zu ‚Adel‘ und adligem Lebensstil geweckt. So hat Alfred Heuss in seinem grundlegenden, 1946 erschienen Aufsatz, der die archaische Zeit erstmals als historische Epoche zu fassen versuchte,21 den archaischen „Adel“ als den

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novellenhaften Charakter der Geschichte, die zahlreiche volkstümliche Erzählformen aufweist, betonten in neuer Zeit v. a. Müller (2006) 225–276 und Wesselmann (2011) 180–189, die darin eine typische ‚Trickster‘-Geschichte sieht. Walter (2008) 371 mit Anm. 12, wo explizit auf die Episode verwiesen wird. Dass Adel zur Grenzüberschreitung tendiert, begegnet in der Tat häufig, freilich argumentiert Joachimsthaler (2013), dass es sich dabei primär um eine bürgerliche Projektion und damit ein Produkt der Moderne handle (ebd. 338): „‚Adel‘ wurde in dem Maße, in dem er gesellschaftlich funktionslos wurde, zum ästhetischen Gut, das sich gut verkaufen ließ – als Traum von einer Grenzüberschreitung in ein ‚anderes‘ Leben hinein, dessen Imagination die Grenze schon allein deshalb bestätigt, weil man sich nur diesseits von ihr über sie hinausträumen kann in ihr Jenseits.“ Biebas-Richter (2016). Biebas-Richter (2016) 298. Heuss (1946); Heuss lehnte sich hierbei explizit an die Archäologie an (ebd. 26), wo die Archaik als kunsthistorische Epoche bereits als Einheit gesehen wurde, vgl. dazu forschungsgeschichtlich Most (1989) sowie zum nicht unproblematischen Epochencharakter der Archaik Walter (2013), zu der der Epoche inhärenten Frage nach den Anfängen und wie die Forschung damit umgeht, s. Walter (2019). Heuss selbst suchte eine genuin historische Definition der Archaik zu finden, die er darin sah, dass die Griechen in dieser Zeit „zu sich selbst“ fanden, d. h. sich als Volk mit einer gemeinsamen Identität überhaupt erst erfanden – dieser innovative Ansatz, der den rassisch geprägten Volksbegriff, wie ihn Heuss’ Lehrer Berve verwendet hatte, einer weitgehenden Dekonstruktion unterzieht, hat einiges vorweggenommen, was spätere Untersuchungen zu griechischen Identitätsbildungen seit den 1990er-Jahren herausgearbeitet haben: vgl. Hall (1997); Hall (2002); Hall (2009); Ulf (1996a). Zu Berves Beschäftigung mit rassisch geprägten Volksidentitäten im archaischen Griechenland s. seine Studien zu den Ioniern (1927) und Spartanern (1937), beide neu abgedruckt in Berve (1966) 42–57 bzw. 58–207, v. a. aber seine Griechische Geschichte [Berve (1931)], die mit den expliziten Bezügen zur Kunstgeschichte eindeutige Prallelen zu Heuss’ eigenem Vorgehen aufweist und m. W. erstmals überhaupt den Terminus „archaische Zeit“ im historischen Sinn verwendet (allerdings anders als Heuss nur für die Zeit zwischen dem 8. Jh. und den Perserkriegen und ohne klaren Epochencharakter), vgl. Berve (1931) 110–212; zu Heuss’ Rezeption dieser Ansätze s. knapp Heuss (1993) 181 f.; zu seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

„sozialen Unterbau“ der geistigen Entwicklung dieser Zeit bezeichnet, der mit seiner „ritterlichen Lebensform“ das eigentliche „Rückgrat der Gesellschaft“ bildete.22 Das Charakteristische dieser Adelskultur und damit der Archaik war, dass sie die Ausbildung einer gesamtgriechischen Identität ermöglichte. Jedoch war „die Zielstrebigkeit der Epoche“, so Heuss, „auf ihr schließliches Ergebnis hin besehen, ausgesprochen adelsfeindlich.“23 Gemeint ist die Entstehung der Polis, die als „Ergebnis“ die archaische Epoche des Adels beendete. Doch Heuss hätte die archaische Zeit auch anders charakterisieren können. Knapp zehn Jahre zuvor hatte Victor Ehrenberg just jene Zeit nicht als Epoche des Adels, sondern als die Hochzeit der Polis gesehen. Er argumentiert, dass die Polis, um 800 entstanden, im 6. Jahrhundert ihre Blütezeit gehabt habe, während das fünfte Jahrhundert bereits eine Zeit des Niedergangs gewesen sei.24 Letzteres ist sicherlich überspitzt, erklärt sich aber vor dem Hintergrund, dass Ehernbergs Artikel eine Reaktion auf Helmut Berve darstellte, der die Polis erst im 5. Jahrhundert entstehen ließ.25 Beides sind Extrempositionen, zeigen aber exemplarisch das Dilemma, in dem sich eine archaische Sozialgeschichte bewegt: Die entstehende Polis, mit ihren wechselnd bekleideten Ämtern und einer vergleichsweise breiten politischen Partizipation, passt schlecht zu der Vorstellung einer ritterlichen Adelsgesellschaft mit ständischen Sozialstrukturen, und beides zu vereinen oder in eine historische Abfolge zu bringen, verursacht unweigerlich Probleme. Der Berve-Schüler Heuss löste das Problem, indem er zwar von einer adligen Gesellschaft ausging, die politische Geschichte der Archaik jedoch als eine Geschichte der entstehenden Polis beschrieb.26 Dabei zeichnet er das Bild einer uneingeschränkten Adelsherrschaft in der Frühzeit, bei der gesellschaftliche Stellung und politische Macht weitgehend deckungsgleich waren. „Staat und Politik jener Zeit“, so Heuss, „sind nahezu ein reines Derivat der gesellschaftlichen Stellung des Adels.“27 Erst mit der Polis entwickelt sich ein „Staat“ im Sinne einer „versachlichten“ Herrschaft, die sich nicht mehr direkt aus der adligen Sozialstruktur – die aber durchaus weiterbe-

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biologistischen Zugriff der Rassen-Theorien s. Heuss (1948). Zu Heuss’ Archaik-Bild s. Lehmann (1998). Heuss (1946) 37. Heuss (1946) 39. Ehrenberg (1937) spez. 158: „The age of Pericles is so far from being the age of the perfected Polis that it is rather the first period of the great individuals no more bound to the Polis.“ Berve (1937) schließt seine Biographie über den Marathonsieger Miltiades mit dem Abgesang auf „Ideale der Adelszeit“ in einer Welt, in der „die Polis Athen Macht gewonnen hat über die fürstlichen Herren und sie in den Dienst des sich vollendenden Gemeinwesens zwingt“ (ebd. 101); vgl. auch den 1936 erschienenen Aufsatz „Fürstliche Herren der Zeit der Perserkriege“ [ND in Berve (1966) 232–267]; s. gegen diesen späten Ansatz der Polis die spitze Polemik bei Ehrenberg (1937) 147. Anm. 1. Heuss (1946) 38–53. Vgl. dazu auch die späteren Ausführungen zur ‚archaischen‘ Politik bei Heuss (1981). Zur Genese dieser Denkfigur s. den forschungsgeschichtlichen Abriss in Kap. 4. Ebd. 42.

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steht – ableiten lässt und von einer „staatsbürgerliche[n] Gesellschaft der Politen“ getragen wird.28 Das Modell beruht also zumindest teilweise auf einer Übertragung der dem modernen Denken vertrauten Dichotomie von ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ auf die Antike.29 Diese Dichotomie dient nicht nur dazu, das Verhältnis des Adels zur Polis zu erklären, sondern impliziert gleichzeitig eine evolutionäre Entwicklung, in deren Verlauf der Adel die Kontrolle über die sich ausbildenden Institutionen der Polis an eine neue bürgerliche Schicht verliert. Beide Vorstellungen – die Idee einer Opposition zwischen Adel und Polis und jene einer Ablösung einer frühen Adelsherrschaft durch eine von Bürgern getragene Polis – waren und sind in der Forschung zum griechischen Adel breit vertreten, doch beide sind problematisch. Das Modell einer frühen Adelsherrschaft, die von der Polis und bürgerlichen Schichten abgelöst wurde, findet sich im Kern bereits bei Aristoteles. Dieser sah die frühen politeiai unter den basileis von hippeis getragen, bei ihnen habe es sich folglich um Oligarchien oder Königtümer (βασιλικαὶ) gehandelt. Mit der Zunahme der aus den mesoi rekrutierten Hopliten hätten sich diese frühen Verfassungen dann zu Demokratien gewandelt.30 Unter dem Schlagwort ‚Hoplitenrevolution‘ erfreute sich die kausale Verknüpfung militärischer und soziopolitischer Entwicklungen auch in der modernen Forschung einiger Beliebtheit: Zahlreiche Großnarrative argumentierten mit der Prämisse, dass die Änderung der Kampftaktik – weg vom ‚adligen Einzelkämpfer‘ hin zur ‚bürgerlichen‘ Hoplitenphalanx – zu tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Verschiebungen geführt habe.31 Eine intensivere Beschäftigung mit archai-

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Ebd. 42–44; Zitat: 44. Zur Problematik dieser anachronistischen Kategorien s. Winterling (2014) zum Staat sowie Winterling (2012) zum Gesellschaftsbegriff. Ob ein reflektierter Staatsbegriff für die Vormoderne als analytische Kategorie daher gänzlich zu meiden sei, ist freilich eine andere Frage, s. dazu u. a. Walter (1998) und Lundgreen (2014). Aristot. Pol. 4,1297b 16–28: καὶ ἡ πρώτη δὲ πολιτεία ἐν τοῖς Ἕλλησιν ἐγένετο μετὰ τὰς βασιλείας ἐκ τῶν πολεμούντων, ἡ μὲν ἐξ ἀρχῆς ἐκ τῶν ἱππέων (τὴν γὰρ ἰσχὺν καὶ τὴν ὑπεροχὴν ἐν τοῖς ἱππεῦσιν ὁ πόλεμος εἶχεν· ἄνευ μὲν γὰρ συντάξεως ἄχρηστον τὸ ὁπλιτικόν, αἱ δὲ περὶ τῶν τοιούτων ἐμπειρίαι καὶ τάξεις ἐν τοῖς ἀρχαίοις οὐχ ὑπῆρχον, ὥστ’ ἐν τοῖς ἱππεῦσιν εἶναι τὴν ἰσχύν), αὐξανομένων δὲ τῶν πόλεων καὶ τῶν ἐν τοῖς ὅπλοις ἰσχυσάντων μᾶλλον πλείους μετεῖχον τῆς πολιτείας· διόπερ ἃς νῦν καλοῦμεν πολιτείας, οἱ πρότερον ἐκάλουν δημοκρατίας· ἦσαν δὲ αἱ ἀρχαῖαι πολιτεῖαι εὐλόγως ὀλιγαρχικαὶ καὶ βασιλικαί. δι’ ὀλιγανθρωπίαν γὰρ οὐκ εἶχον πολὺ τὸ μέσον, ὥστ’ ὀλίγοι τε ὄντες τὸ πλῆθος καὶ κατὰ τὴν σύνταξιν φαῦλοι ὑπέμενον τὸ ἄρχεσθαι. Zu dieser (empirisch nicht haltbaren) Stelle und den darauf aufbauenden (ebenfalls nicht haltbaren) modernen Interpretationen s. kritisch van Wees (2002a) 72–77. Als Beispiel einer nicht ganz zu Unrecht als „unimaginative and inadequate“ [Starr (1992) 78. Anm. 2] charakterisierten Behandlung des griechischen Adels entlang dieser Linien s. Arnheim (1977). Doch auch in den differenzierteren Darstellungen von Donlan (1999) spez. 35–75 oder Murray (1993) 124–136 ist der vermeintliche Wandel der Kampftaktik ein wichtiger Auslöser sozialer Veränderungen. Wie das genau funktionieren solle, bleibt jedoch meist vage; der fundiert archäologisch argumentierende Snodgrass (1965) ist denn auch skeptisch hinsichtlich (zu) unmittelbar durchschlagender Kausalitäten, hält aber dennoch an den grundsätzlichen Prämissen des Modells fest.

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

scher Kriegsführung und den damit verbundenen sozialen Auswirkungen hat diese vermeintlich einleuchtende Verbindung jedoch als weitgehend unhaltbar erwiesen.32 Eine alternative Erklärung geht vom ökonomisch bedingten Aufstieg neuer sozialer Schichten aus, der dazu führte, dass ein ursprünglich durch Geburt charakterisierter Adel durch eine über Reichtum definierte neue Oberschicht abgelöst wurde.33 Dass wirtschaftliche Dynamiken bedeutend waren, steht zwar außer Frage, doch dafür, dass es in einer nicht klar fassbaren Zeit davor einen stabilen, einzig über Geburt definierten ‚Adel‘ gegeben habe, fehlen belastbare Indizien.34 Die Frage, wie man sich die angebliche Herrschaft eines frühen Adels vorstellen müsse, ist in der älteren Forschung denn auch meist sehr pauschal vor dem Hintergrund eines nicht weiter hinterfragten Entwicklungsmodells beantwortet worden, das den ‚Adel‘ als einen über Geschlechterverbände organisierten ‚vorstaatlichen‘ Entwicklungsstand ansah. Heuss etwa ging von einer Elite aus, deren Mitglieder sich als „Eupatriden“ oder „Zeusgeborne“ verstanden und in „Phylen, Phratrien und Geschlechtsgenossenschaften“ aufgrund ihrer „durch das Herkommen geheiligte[n]“ Rechte bestimmend waren – Phylenreformen wie jene des Tyrannen von Sikyon oder Kleisthenes’ von Athen sind folglich Schritte hin zur Beseitigung der alten Adelsherrschaft.35 Das Argument ist nicht ganz ohne Probleme, hat doch Heuss selbst auf die Konstruktivität solch scheinbar althergebrachter ‚Stammes‘-Strukturen hingewiesen.36 Genau bei diesem Punkt setzten die beiden einflussreichen Studien von Denis Roussel und Felix Bourriot an. Ihre Untersuchungen zu Phylen und gene haben gezeigt, dass

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Seit Latacz (1977) gezeigt hat, dass Homer Massenaufgebote durchaus schon kannte, ist es schwer geworden, die Theorie eines frühen adligen Kriegsmonopols aufrechtzuerhalten. Zwar betont Snodgrass (1993) mit Recht, dass bei Homer noch keine voll ausgebildete Phalanx begegnet, doch monokausale Erklärungen, die von Waffenbesitz unmittelbar auf politische Strukturen schließen, sind empirisch kaum zu verifizieren; vgl. Raaflaub (1991) 225–230; Raaflaub (1997) mit grundsätzlicher Kritik am Modell einer Hoplitenrevolution; es sind jedoch in neuerer Zeit v. a. die Arbeiten Hans van Wees’ zur archaischen Kriegsführung – insbesondere van Wees (2004), nebst diversen Aufsätzen wie van Wees (1995), van Wees (2000a) oder van Wees (2002a) –, die der These einer Hoplitenrevolution die Grundlage entzogen: Die These basiert nicht nur auf ideologisch gefärbten, letztlich empirisch nicht haltbaren Prämissen, sondern auch auf einer simplifizierenden bzw. falschen Vorstellung archaischer Kriegsführung. Zur Debatte (und einigen Versuchen, die alte ‚Orthodoxie‘ wieder aufleben zu lassen) s. ferner: Kagan & Viggiano (2013). Das im frühen 20. Jh. populäre Modell einer aufsteigenden ‚industriellen Bourgeoisie‘ gilt wegen der offenkundigen Anachronismen zwar als überholt, vgl. etwa Starr (1977) spez. 169–193, doch dass wirtschaftliche Dynamiken eine ehemals festgefügte Aristokratie erschüttern, wird durchaus noch vertreten. So sieht etwa Ober (1989) 55–65, der Starr folgend die in den Quellen fassbaren kakoi als neureiche ‚Semi-Aristokraten‘ ansieht, diese Gruppe als wichtige Triebfeder für die solonischen Reformen, die angeblich Geburt durch Reichtum ersetzten. Dieses Modell stützt sich fast ausschließlich auf die athenischen ‚Eupatriden‘ und ihre angebliche Abschaffung durch Solon. Die Unhaltbarkeit dieser Prämisse wird in Kap. 7.1 diskutiert. Heuss (1946) 41 f. und 44 zu den Phylenreformen. Heuss (1946) 32–35; der Gedanke findet sich aber so bereits in Webers Agrarverhältnisse im Altertum [Weber (2006) 459–461], die Heuss intensiv rezipiert hatte.

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der Wortgebrauch klar dagegen spricht, hierin Relikte eines archaischen Geschlechter- oder Stammesstaats zu sehen, sondern dass es sich um vergleichsweise ‚moderne‘ Institutionen der entwickelten Polis handelt.37 Die frühe Adelsherrschaft war damit zu einem schemenhaften Phantom geworden, das sich zwar aus Plausibilitätsüberlegungen, nicht aber aus Quellen rechtfertigen lässt. Die Quellen selbst – insbesondere die in den Epen geschilderten Zustände – sprechen eher für eine andere Rekonstruktion: Mehrere neuere Arbeiten plädieren dafür, in der Frühzeit eine eher egalitäre Gesellschaft zu sehen, in der einzelne big men eine stets labile und jenseits der persönlichen Leistung kaum abgesicherte Führungsrolle wahrnahmen.38 Ein eigentlicher ‚Adel‘ wäre nach diesem Modell nicht etwas schon immer Dagewesenes, sondern ein Merkmal von Hochkulturen, das sich erst entwickeln muss.39 Dahinter steht die mit ethnologischen Vergleichsmodellen arbeitende Konzeption einer evolutionären Stufenleiter von ‚einfachen‘ zu ‚komplexen‘ Gesellschaften. Einfache Gesellschaften zeichnen sich demnach durch egalitäre, segmentäre Strukturen aus, wohingegen komplexer werdende Gesellschaften eine zunehmende Hierarchisierung aufweisen – ausgehend von einer big man-Gesellschaft zu einem chiefdom mit Rang-Abstufungen hin zu einer stratifizierten Gesellschaft mit einer klar abgegrenzten adligen Oberschicht.40 Dabei wird ein Konnex zwischen Stratifikation und Staatlichkeit hergestellt: Staaten, so die vereinfachte These, entstehen als Herrschaftsinstrument, um die labile Stratifikation der Gesellschaft auf Dauer abzusichern. Das Problem dieser an monarchischen Reichbildungen entwickelten Modelle ist, dass sie auf Griechenland nur bedingt anwendbar sind, da der Polis viele Elemente fehlen, die einen als hierarchisches Herrschaftsinstrument gedachten Early State auszeichnen.41 Die intensive Rezeption ethnologischer Modelle beschränkt sich daher vornehmlich auf die ‚homerische Ge-

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Bourriot (1976); Roussel (1976). Vgl. u. a. Donlan (1985); Donlan (1999); Funke (1993); Hall (2007) 119–144; Kistler & Ulf (2005); Rose (2012) 56–92; Ulf (1990a); Ulf (1996b); Ulf (2001); Ulf (2011c) sowie jetzt Ulf & Kistler (2020) 12–18 passim. Bereits Strasburger (1953) hat auf den bäuerlichen Charakter der homerischen Helden hingewiesen. Dass sich ein Adel erst entwickelt habe, betonen dezidiert auch Raaflaub (1991) 230–238 und Starr (1992). Für eine stärkere Abgrenzung des Adels bereits in homerischer Zeit plädieren dagegen Blum (2001) und Schmitz (2004) 105–126, vgl. auch Schmitz (2008). Eine leicht andere Sicht vertritt Ian Morris, der von einer Elitebildung um 1000 v. Chr. ausgeht, die dann aber im 8. Jh. von egalitären Tendenzen in Frage gestellt wurde und so den evolutionären Sprung zu einem Königtum nicht schaffte [vgl. aus den diversen Publikationen etwa Morris (2009)]. Die Problematik der Anwendbarkeit anthropologischer Modelle auf die Befunde der ‚Dark Ages‘ diskutiert im Einzelnen Hildebrandt (2007). In diesem Sinn programmatisch v. a. Ulf (2001) zur ‚Aristokratisierung‘ der big men ferner Ulf (2020); vgl. auch Hall (2007) 127–131. Bekannt sind v. a. die Arbeiten von Fried (1967), Service (1975) und in neuerer Zeit Johnson & Earle (2000). Dieses evolutionäre Model ist in adaptierter Form auch bei Luhmann (1997) spez. 634–706 zu finden, vgl. dazu Walz (2001); zur Kritik an diesen Modellen in Bezug auf das antike Griechenland s. Morris (1997) spez. 91–94. Vgl. dazu van der Vliet (2005); van der Vliet (2008); van der Vliet (2011).

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

sellschaft‘ und die Zeit der ‚Dark Ages‘, während sie für die entstehenden Polis-Institutionen nicht im gleichen Maße passend erscheinen. Das hat zur Folge, dass zwar viele Arbeiten nicht mehr von einem ‚Adel‘ als Urzustand ausgehen, den entstehenden ‚Adel‘ dann aber dennoch in einer Spannung zur ‚adelsfeindlichen‘ Polis sehen, die eben nicht dem Bild eines monarchischen Early State entspricht. Die meisten Studien, die die Entwicklung einer adligen Kultur beziehungsweise einer aristokratischen Ideologie untersuchen, setzen sich mit dieser vermeintlichen Spannung zur entstehenden Polis auseinander. Dabei lassen sich, stark vereinfacht, zwei Denkrichtungen ausmachen, die sich en detail freilich in vielen Punkten berühren: Die eine greift die bereits bei Heuss fassbare Dichotomie von Adelsgesellschaft und Polis auf und sieht den Adel und die adlige Kultur als ein im Kern apolitisches Phänomen, das sich primär außerhalb der Polis – im Kontext privater Gastmähler oder panhellenischer Agone – abspielte, aber durchaus auch in die Polis hineinwirken und mit ihren Institutionen in Konflikte geraten konnte. Insbesondere die in mehrerer Hinsicht grundlegende Arbeit von Elke Stein-Hölkeskamp ist diesem Ansatz verpflichtet.42 In einer neuen Monographie zum archaischen Griechenland betont sie denn auch explizit, dass „jene tiefe Polarität zwischen dem aristokratischen Individuum und der Polisgemeinschaft“ als eines „der strukturellen Grundmuster des gesellschaftlichen und politischen Lebens der archaischen griechischen Stadtstaaten angesehen werden muss.“43 ‚Adel‘ wäre demnach eine außerhalb der Polis stehende Kultur und ‚Adelskritik‘ ein auf die Polis bezogenes Denken, das bezeichnenderweise durchaus von Leuten vorgetragen werden kann, die aufgrund ihrer sozialen Stellung eigentlich ebenfalls als ‚adlig‘ anzusprechen wären. Der archaische ‚Adel‘ wird daher als ein grundsätzlich anderes Phänomen gesehen als die im Rahmen der Polis denkenden ‚Oligarchen‘ klassischer Zeit.44 Auf die Genese dieser einflussreichen, aber stark ideologisch geprägten Denkfigur wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch genauer einzugehen sein.45 42

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Stein-Hölkeskamp (1989); in eine ähnliche Richtung gehen Meier (2009) 157–170, Nebelin (2016) 27–36 sowie Schmitz (2004) spez. 105–126 und Schmitz (2008), der die panhellenischen Beziehungen des Adels in Kontrast zu den lokalen Nachbarschaftsbeziehungen der Vollbauern setzt und die Polisbildung auf den kooperativen Geist letzterer zurückführt, während der Adel nicht in der Lage war, seine soziale Überlegenheit in eine institutionalisierte Herrschaft zu überführen. Stein-Hölkeskamp (2015) 251. In diesem Sinne meint Chr. Meier in Conze & Meier (1972) 8: „Adelsideale und der adlige Stil stammten aus der Frühzeit und waren unter den Bedingungen tiefgreifender sozialer Wandlungen, der weithin herrschenden Demokratie und einer ‚Verwirtschaftlichung‘ des Lebens mehr oder weniger verbraucht worden.“ Oligarchien sieht er (mit Aristoteles bzw. M. Rostovtzeff) als ökonomisch begründet und meint: „An die Stelle des Adels trat eine Bourgeoisie, bestehend aus Leuten mit Geld, mit Muße, daher am ehesten mit Bildung, die weniger Anlaß hatten, Unrecht zu tun, also ‚bessere Leute‘ waren“. Stein-Hölkeskamp (1989) sieht dementsprechend im demokratischen Athen des (thukydideischen) Perikles – und nicht in oligarchischen Regimen – eine Verschmelzung von Polisgesellschaft und Adelsideal. S. u. Kap. 4.

1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides

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Die andere Richtung sieht den ‚Adel‘ nicht per se als ein von der Polis getrenntes Phänomen, sondern als eine auf Wenige beschränkte Herrschaft, die nicht radikal verschieden ist von späteren ‚Oligarchien‘.46 ‚Aristokratisches‘ und ‚antiaristokratisches‘ Denken47 drehen sich aus dieser Perspektive vor allem um die Frage, wie eng oder weit die politische Partizipation innerhalb der Polis gefasst sein soll, womit die Diskussion aber letztlich auf eine Gegenüberstellung von ‚Adel‘ beziehungsweise ‚Aristokratie‘ und ‚Demokratie‘ hinausläuft. Einflussreich war hier die Darstellung von Santo Mazzarino, in der dargelegt wurde, wie stark der luxuriöse Lebensstil archaischer Eliten durch den Kulturkontakt mit dem Nahen Osten geprägt worden war; die Forderungen nach Isonomie und Demokratie seien dann als Reaktion auf eine sich zunehmend über orientalischen Luxus abgrenzende Aristokratie zu sehen.48 Diese enge Assoziation von ‚Adel‘ mit östlichem Luxus wurde in den 1990er Jahren in einem einflussreichen Aufsatz von Leslie Kurke aufgegriffen49 und dann von Ian Morris zur prominent propagierten These eines Konflikts zwischen einer ‚elitist‘ und einer ‚middling ideology‘ ausgebaut. Der Gegensatz dieser beiden Richtungen, so die These, durchziehe die gesamte Archaik und ende mit dem ‚Sieg‘ der egalitären ‚middling ideology‘.50 Dieser relativ statischen Konzeption einer ab dem achten Jahrhundert weitgehend gleichbleibenden elitären Ideologie stehen Ansätze wie etwa jene von Walter Donlan oder Elke Stein-Hölkeskamp gegenüber, die gerade einige der markanteren Ausprägungen ‚adliger‘ Ideologie als Neuerungen deuten, die erst als eine Reaktion auf den sozialen und politischen Bedeutungsverlust des ‚Adels‘ entstanden seien.51 In extremis hat dies Alain Fouchard vertreten, der eine eigentliche ‚aristokratische Ideologie‘ erst als Reaktion auf die entwickelte Demokratie Athens entstehen sehen wollte – zuvor hätte es zwar

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Den Polisbezug von Aristokraten betonen u. a. Stahl (1987) spez. 83–105 und (hinsichtlich des „aristocratic ideals“) Donlan (1999) v–222, vgl. in einer ähnlichen Grundtendenz Starr (1992), der sich (ebd. 4) explizit auf die Studie zu Oligarchien von Whibley (1896) als direkten Vorläufer bezieht. Zur Adelskritik s. Donlan (1973a) und Stein-Hölkeskamp (1989) 123–133; bei beiden prägen sich wesentliche Elemente der ‚adligen‘ Kultur denn auch erst im Verlauf der Archaik als Reaktion auf solche Kritik bzw. einen vermeintlichen soziopolitischen Bedeutungsverlust des ‚Adels‘ aus (dazu u. Anm. 51). Mazzarino (1947). Die sehr einflussreiche Assoziation von ‚Adel‘ mit Luxus und vor allem aber die als Antithese dazu gebildete Idee, Demokratie sei luxusfeindlich, die im Kontext der ‚Sozialen Frage‘ des ausgehenden 19. Jhs. aufkam und durch Mazzarinos Arbeit besondere Prominenz erhielt, wäre eine eigene Untersuchung wert. Dass die simple (aber weitverbreitete) Dichotomie von ‚Luxus = Adel‘ und ‚Luxusfeindlichkeit = Demokratie‘ nicht haltbar ist, zeigt überzeugend Bernhardt (2003) 21–69. Kurke (1992). Dazu u. a. Morris (1996), Morris (2000) und Morris (2009); zur Kritik an diesem Ansatz s. Kistler (2004). Die Interpretation solcher Konflikte unter dem Aspekt eines marxistisch verstandenen Klassenkampfs versucht Rose (2012). Donlan (1999) 77–111; Donlan (1973b); Donlan (1973c); Stein-Hölkeskamp (1989) 134–138.

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

eine „aristocratie du fait“ gegeben, nicht aber eine rechtlich und ideologisch abgesicherte Herrschaft.52 Diese Ansätze haben zwei Probleme: Erstens erscheinen die Bezüge zwischen ‚Ideologie‘ und Praxis arbiträr. Während sich im einen Fall eine ‚aristoctarie du fait‘ gerade dadurch auszeichnet, dass sie keine aristokratische ‚Ideologie‘ besitzt, das Entstehen einer solchen Ideologie also als Gradmesser für den Bedeutungsverlust einer ‚realen‘ Aristokratie dienen kann, ist es im anderen Fall der ‚Sieg‘ einer ‚middling ideology‘, der mit dem Wechsel der Ideologie auch realiter das Ende einer elitären Herrschaft einläutet. Zweitens ist nicht immer klar, nach welchen Kriterien Praktiken und Äußerungen einem ‚aristokratischen‘ oder einem ‚antiaristokratischen‘ Denken zugeordnet werden – zumal die meisten Arbeiten davon ausgehen, dass die Akteure in der Regel allesamt ‚Aristokraten‘ sind. Dann wäre aber zu fragen, ob es sich nicht eher um ‚Normenkonkurrenz‘53 innerhalb einer Elite handelt, als um antithetische Kulturen, die mit unterschiedlichen Herrschaftsformen und ‚Ideologien‘ assoziiert sind. Dieser kurze, der Komplexität der einzelnen Forschungspositionen sicher nur bedingt gerecht werdende Überblick zeigt vor allem eines: Es herrscht eine große Uneinigkeit darüber, was unter den Begriffen ‚Adel‘, ‚Aristokratie‘ oder ‚Oligarchie‘ zu verstehen ist. Je nach Ansatz handelt es sich dabei um eine außerhalb der Polis stehende Kultur, eine auf (wie auch immer begründete) Exklusivität bedachte politische Ideologie oder aber schlicht um die de facto mächtigen (beziehungsweise reichen)54 Individuen einer Gesellschaft. Aus genau diesen Gründen hat Alain Duplouy in einer viel beachteten Studie die Begriffe Adel und Aristokratie als untauglich verworfen.55 Stattdessen plädierte er dafür, einzig die sozialen Praktiken in den Blick zu nehmen. Dies führte zum Bild einer stark individualisierten, hoch kompetitiven ‚Elite‘, die in dauerndem Wettbewerb darauf angewiesen war, durch verschiedenste Praktiken ihr soziales Prestige zu manifestieren. Robin Osborne hat diese Sicht in seinem 2009 in zweiter Auflage erschienen Handbuch „Greece in the Making“ zur Orthodoxie erhoben und meinte: „The idea that there was a set of people who thought that political power was their birthright and who associated only with each other, sharing a single ‚aristocratic ideology‘, is a modern fantasy.“56 Die „élite“, von der er in Anschluss an 52

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Fouchard (1997); in eine ähnliche Richtung geht die umfangreiche Studie von Bourriot (1995) zum Begriff der kalokagathia, die argumentiert, dass dieses vermeintlich alte Adelsideal erst in der zweiten Hälfte des 5. Jh. entstand [ähnlich auch schon Donlan (1973b), der die Entstehung aber noch an der Wende vom 6. zum 5. Jh. sah]. Zum Konzept der „Normenkonkurrenz“ in der Frühneuzeitforschung s. Karsten & Thiessen (2015). Der oft sehr unmittelbare Konnex von Reichtum und Obensein, der sich in den archaischen Quellen findet, bietet sich denn auch an für marxistische Analysen wie jene von Rose (2009) und Rose (2012) oder eine Analyse archaischer Eliten als „Eigentumseliten“, die sich durch demonstrativen Konsum auszeichnen, wie dies jüngst Filser (2017) mit Bezug auf Thorstein Veblen für die Eliten Athens anhand der Vasenbilder versucht hat. Duplouy (2006). Osborne (2009) 209. Zum aktuellen Stand der Debatte jetzt auch Stein-Hölkeskamp (2018).

1.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides

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Duplouy spricht, sei als Terminus sehr viel treffender, denn „the beauty of the term lies in the absence of association with any particular set of qualities (birth, wealth, athletic success) other than that of being recognised to be ‚on top‘.“57 Für ein solches Bild spricht zwar einiges, doch der Ansatz hat zwei Probleme: Erstens ist ein derart locker gefasster Elite-Begriff auf fast jede durch Ungleichheit strukturierte Gesellschaft anwendbar und damit viel zu grobmaschig, um historische Veränderungen in der Art des ‚Obenseins‘ zu erfassen. Zweitens läuft der einseitige Blick auf Praktiken und Performativität akut Gefahr, Status als voluntaristischen Akt erscheinen zu lassen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Handlungen überhaupt erst möglich und sinnvoll werden, zu unterschätzen. Denn nicht jede Praktik kann die ‚performative Magie‘ entfalten,58 das Dargestellte auch tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen – und so muss noch lange nicht jede als Manifestation von Prestige deutbare Praktik auch tatsächlichem Prestige entsprechen, genauso wie das Fehlen solcher Manifestationen nicht zwingend für eine ‚egalitäre‘ Gesellschaft spricht, sondern im Gegenteil ein Indiz dafür sein kann, dass der Status einzelner Mitglieder so gut abgesichert ist, dass er nicht dauernd inszeniert werden muss. Praktiken allein machen (zumindest wenn man sie isoliert betrachtet) noch nicht zwingend eine soziale Wirklichkeit, was Pierre Bourdieu als prominenter Theoretiker sozialer Praktiken klar erkannte und lapidar in dem Satz zusammenfasste: „Der Präsident der Republik ist jemand, der sich für den Präsidenten der Republik hält, aber im Unterschied zu dem Irren, der sich für Napoleon hält, als jemand anerkannt wird, der hierzu auch berechtigt ist.“59 Das Verhalten der beiden mag sich isoliert betrachtet ähneln, der zentrale Unterschied liegt in der Reaktion des Umfelds; es ist eben nicht allein die individuelle Performanz, sondern die Logik der sozialen Felder und das Vorhandensein oder Fehlen von Institutionen, die darüber entscheiden, welche Geltung performativen Akten in der Praxis tatsächlich zukommt. Ein zu einseitiger Blick auf Performanz allein läuft daher stets Gefahr, den „Irren“ für den „Präsidenten der Republik“ zu halten und umgekehrt. Die Interpretation der eingangs geschilderten Hochzeit der Agariste bewegt sich in genau diesem Dilemma. Denn wenn man die Episode nicht bloß hinsichtlich ihrer Aussagekraft für eine homogen gedachte ‚adlige‘ Kultur und Wertehorizont untersucht, sondern jenen Teil ernst nimmt, der einen zentralen, aber in der Regel von der Forschung vernachlässigten Kern der Geschichte bildet, nämlich jene demonstra57

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Ebd. 210. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen van Wees & Fisher (2015) in ihrer programmatischen Einleitung zu „Redefining Greek and Roman Elites“, einem Sammelband, der zwar die ganze Antike abdeckt, aber sicher nicht zufällig einen ausgeprägten Schwerpunkt in der Archaik hat – der ebenfalls in diesem Band erschienene Beitrag von Pierrot (2015), der für eine ständisch geschlossene Eupatridenherrschaft im vorsolonischen Athen argumentiert, zeigt allerdings, dass längst noch nicht alle den archaischen Adel als „modern fantasy“ verbannt haben (zu diesem Beitrag detailliert u. Kap. 7.1). Zur „performativen Magie des Sozialen“ s. Bourdieu (1993) 107 passim. Bourdieu (1998) 114.

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

tive Devianz des Hippokleides, so steht man vor einem Deutungsproblem. Entspricht Hippokleides nun eher dem „Präsidenten der Republik“, der aus einer anerkannten sozialen Stellung heraus Regeln für ungültig erklären kann, oder gleicht er eher dem „Irren, der sich für Napoleon hält“, dessen Handlungen keinerlei performative Wirkung entfalten können? Beim Pfau in der indischen Fabel stellt sich diese Frage nicht: Auch er tanzt zwar anstößig, doch anders als Hippokleides beansprucht er keinerlei Deutungshoheit über sein Handeln, akzeptiert den Tadel und schleicht beschämt davon, womit er die normative Ordnung, gegen die er verstoßen hat, und damit die Deutung seines Tanzes als Fauxpas bestätigt. Hippokleides dagegen beansprucht mit seiner demonstrativen Gleichgültigkeit die Deutungshoheit über seine Handlungen und stellt sich damit gegen die von Kleisthenes vertretenen Normen ‚adligen‘ Benehmens. Man kann in Hippokleides nun tatsächlich einen „Irren“ sehen, der in einer idiosynkratischen Welt lebt und sich weder an soziale Normen hält, noch im Stande ist, Normverletzungen als solche zu erkennen. Der Umstand, dass er sich ansonsten durchaus normkonform verhält und später in Athen das Archontat bekleidet, spricht freilich klar gegen eine solche Deutung. Wenn man Hippokleides jedoch nicht als „Irren“ betrachtet, so lässt seine selbstbewusste Devianz zwei Deutungen zu: Entweder sind Kleisthenes und Hippokleides Vertreter verschiedener sozialer Gruppen, deren Werthorizonte sich gegenseitig fremd sind, oder aber man propagiert eine Situation der Normenkonkurrenz, bei der Akteure mit verschiedenen konkurrierenden Normhorizonten konfrontiert sind, so dass Devianz eine gangbare Strategie wird. Ersteres führt zu den oben vorgestellten Deutungen von Ungleichzeitigkeiten, regionalen Unterschieden oder neureichen Aufsteigern und alten Adligen, deren unterschiedliche habituelle Prägung zu unterschiedlichen Vorstellungen davon führt, was das ‚richtige‘, dem eigenen Sein entsprechende Verhalten sei. Letzteres dagegen führt zum komplexen Bild einer Gesellschaft, deren Regeln (noch) keine umfassende Geltung besitzen und von einzelnen Akteuren herausgefordert und in Frage gestellt werden können. Genau dies, so soll im Folgenden gezeigt werden, ist ein typisches Merkmal der archaischen Zeit. Konkurrierende Geltungsansprüche dabei mal als ‚aristokratisch‘, mal als ‚antiaristokratisch‘ zu apostrophieren und ‚Adel‘ mit einer bestimmten ‚Ideologie‘ zu verknüpfen, erscheint jedoch wenig zielführend. Vielmehr ist danach zu fragen, wie sich solche konkurrierenden Geltungsansprüche konstituierten, wie sie sich veränderten und wie sich das wiederum auf die Handlungsmöglichkeiten der Akteure auswirkte. Dadurch soll nicht nur dem Bild einer (zu) voluntaristisch erscheinenden Performanz von Status entgegengewirkt werden, sondern auch der Blick auf den historischen Wandel in den Strategien und Bedingungen des ‚Obenbleibens‘ gelegt werden. Statt einfach alles unter dem Begriff Elite zu fassen, soll daher der Adelsbegriff als heuristische Kategorie beibehalten werden – nicht um zu zeigen, dass es einen solchen ‚Adel‘ in der Archaik gegeben habe, sondern um Fragen zu generieren, die helfen, sich wandelnde Strategien des ‚Obenbleibens‘ und sich verändernde Möglichkeiten gesellschaftlichen Differenzierung präziser zu erfassen.

1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?

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1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept? 1.2.1 Adel und Moderne als Problem für die Begriffsdefinition Was macht ‚Adel‘ aus? Die Frage stellt sich nicht nur vor dem Hintergrund der Erzählung um Hippokleides, sondern hat die Geschichtswissenschaft insbesondere in der neueren und neusten Geschichte seit den späten Neunzigerjahren intensiv beschäftigt. Denn obschon ‚Adel‘ eigentlich ein ‚common sense‘-Begriff ist und meist auch so verwendet wird, ist es alles andere als einfach zu erklären, was ‚Adel‘ eigentlich ist. Als einer der bekanntesten Soziologen des frühen 20. Jahrhunderts hat sich Georg Simmel an einer soziologischen Definition versucht. In seinem Hauptwerk Soziologie – Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung findet sich auch ein „Exkurs zum Adel“.60 Dabei bezeichnete Simmel den Adel als ein „Zwischengebilde“, das sich nach oben gegen den Herrscher und nach unten gegen die breite Masse abgrenzt. Gegen beide Seiten habe der Adel eine „unabhängige Position“, ist „als Keil zwischen den Herrscher und große Teile des Volkes geschoben.“61 Die Denkfigur ist als solche nicht neu. Den Adel als „intermediäre Gewalt“ oder als „Mittelstand“ zu sehen, der zwischen Herrscher und Volk stehend eine Despotie verhindert, war seit Montesquieu Gemeingut.62 Das Besondere des Adels lag für Simmel jedoch in der engen Verzahnung von Gruppe und Individuum. Ein Adel, so der Soziologe, „entsteht aus den Persönlichkeiten, die es, aus welchen Gründen immer, besser haben als die andern; ist er aber einmal entstanden, so haben es nun, gleichsam rückläufig, Persönlichkeiten schon rein deshalb besser, weil sie zu ihm gehören.“63 Damit würden Standeszugehörigkeit und Persönlichkeit zu Einem verschmelzen, wobei die Standeszugehörigkeit gerade in der Persönlichkeit des einzelnen Individuums ihre Vollendung finde.64 Dies wiederum habe zur Folge, dass der Adel in sich außerordentlich homogen sei und die verinnerlichte gesellschaftliche Existenz eine gemeinsame Basis schaffe, die sich nicht an regionale Zusammenhänge oder nationale Grenzen halten müsse. Simmel verweist auf den international agierenden europäischen Hochadel, die „Adelskette“, die als Adelsvereinigung der nationalen Einigung Deutschlands vorausging und, nicht zuletzt mit Blick auf seine eigene Zeit, auf die Habsburger Monarchie, die zwar über einen „Gesamtadel“, nicht aber über eine „Gesamtnation“ verfüge.65 Die archaischen Griechen erinnern nun tatsächlich in einigen Punkten an dieses von Simmel umrissene Konzept von ‚Adel‘. Die von Alfred Heuss betonte panhellenische

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Simmel (1908) 732–746. Simmel (1908) 732–734. Vgl. Conze & Meier (1972) 20 ff. Simmel (1908) 734. Simmel (1908) 745 f. Simmel (1908) 736–739.

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‚Nation‘, die vom ‚Adel‘ als panhellenische ‚Gesellschaft‘ getragen einer Vielzahl von Poleis gegenübersteht, weist entsprechende Ähnlichkeiten auf und just diese Ähnlichkeiten dürften das Übertragen des Adelsbegriffs auf die Archaik begünstigt haben.66 Mindestens so bedeutend ist jedoch die in den frühen Lyrikern begegnende Individualität, die das eigene Selbst zum Maßstab nimmt.67 Denn genau diese Selbstsicherheit und Unabhängigkeit, die der Einzelne aus der mit seiner Persönlichkeit verschmolzenen Standeszugehörigkeit ziehe, zeichne den Adel besonders aus: „In den vorzüglicheren Erscheinungen des Adels“, so Simmel, „begegnet deshalb grade ein selbstsicheres persönliches Dasein, ein Gefühl gleichmäßig starker Unabhängigkeit, aber auch Verantwortlichkeit des Individuums.“68 Hippokleides, der selbstbewusst erklärt, dass ihn das Urteil des Kleisthenes nicht kümmere, mag in der Tat solche Assoziationen wecken. Freilich nur dann, wenn man davon ausgeht, dass Hippokleides tatsächlich als ‚Adliger‘ aus einem adligen Standesbewusstsein heraus agiere und Kleisthenes dementsprechend kein echter Adliger sei oder zumindest ein anderes Standesethos verinnerlicht habe – die oben angeführten divergierenden Interpretationen sind die Folge eines solchen Ansatzes. Simmels Adelsdefinition ist jedoch wie jede Definition zeitgebunden. Einige seiner Prämissen, die den Adel als „Kunstwerk“ erscheinen lassen, bei dem gesellschaftliche Stellung und Individuum in Eins fallen, wirken stark idealisierend und lassen sich aus der Rückschau auch klar in einen historischen Kontext verorten: Es handelt sich um eine raffinierte Form der Selbstdarstellung, mit der es dem europäischen Adel gelang, sich trotz seines weitgehenden Funktionsverlusts in der Moderne als geschlossene Gruppe zu behaupten.69 Diese Behauptung ging freilich mit einer grundsätzlichen Transformation des Adels einher. So hat Otto Brunner 1949 in seiner vielzitierten Studie Adliges Landleben und europäischer Geist den Niedergang und Wandel des europäischen Adels beschrieben.70 Mit der Neuzeit, so Brunner, sei der Adel in eine Krise geraten: Einerseits wurde die herrschaftliche Funktion des Adels von den sich ausbildenden modernen Staaten monopolisiert, andererseits wandelten sich in der ökonomisch ausgerichteten bürgerlichen Gesellschaft die ehemaligen Grundherren zu

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Heuss (1946) 29; 37 zu dieser Denkfigur s. u. Kap. 4. So sieht Starr (1992) 13 f. im Lyriker Archilochos den ersten richtigen Aristokraten und zwar genau mit dem Argument, dass seine lyrische persona ausgesprochen individualistisch auftritt. Simmel (1908) 742. In besonders ausgeprägter Form zeigt sich dies im Dandytum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, das einen als Gesamtkunstwerk konzipierten Lebensstil zum eigentlichen Seinszweck erhebt und eng mit Vorstellungen von Aristokratismus verbunden ist; vgl. dazu Erbe (2013). Brunner (1949); die Studie geht aus vom niederösterreichischen Landadligen Wolf Helmhards von Hohberg, der als einer der prominentesten Vertreter der sogenannten Hausväterliteratur gilt. Brunner verortet dabei dieses Oeuvre im Kontext des 17. Jahrhunderts als einerseits der alten Adelswelt verhaftet, andererseits den politischen und wirtschaftlichen Wandel spiegelnd, gleichzeitig stellt er Hohberg aber exemplarisch in einen großen historischen Zusammenhang und entwirft ein Bild des europäischen Adels von der Antike bis an die Grenze zur Moderne und seinen sich mit der anbrechenden Neuzeit wandelnden Funktionen und Werten.

1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?

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Grundbesitzern. Zahlreiche geistige Strömungen hätten in der Folge versucht, diesen Funktionsverlust zu kompensieren, so die bei Simmel greifbare Vorstellung des Adels als „intermediäre Gewalt“ oder aber historisch begründeter Adelsstolz bis hin zu antimodernistischer Mittelalter-Romantik.71 Vieles, was in Simmels Adels-Definition aufgeführt ist, kann also als Kompensation gesehen werden, mit der ein in der Moderne funktionslos gewordener Adel sich als geschlossene Gruppe behaupten konnte. In den letzten Jahren ist dieses Phänomen vermehrt in den Blick der Forschung geraten. Zahlreiche Studien haben die Adaptionsfähigkeit des Adels in verschiedenen Ländern und Kontexten untersucht.72 Gleichzeitig setzte ein Bemühen ein, die verschiedenen Einzelstudien unter ein gemeinsames theoretisches Dach zusammenzuführen: „What makes nobility noble?“73 ist nicht nur der Titel eines neueren Sammelbands, sondern auch die pragmatische Leitfrage, mit der all diese Studien zu kämpfen haben. Betont wird dabei, dass der Adel keineswegs ein erstarrtes Relikt sei, sondern in vielen Punkten ein Produkt der Moderne: Jörn Leonhard und Christian Wieland sprechen in ihrer Einleitung zu besagtem Sammelband von einer „invented tradition“. Erst in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Eliten und in Abgrenzung gegen diese habe sich das Bild eines erstarrten und abgeschlossenen Standes (der wiederum eine eigene Faszination auf die Ausgeschlossenen ausübe) ausgebildet.74 In Anbe-

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Zum Niedergang des Adels spez. Brunner (1949) 313–339. Dass der europäische Adel auf seinen Funktionsverlust in der Frühen Neuzeit involutiv reagierte, betont auch Luhmann (1997) 734–738. Es ist nicht möglich, alle Studien der letzten Jahre hier zu nennen, zumal es in Anbetracht der Dynamik dieses Feldes als Nicht-Neuzeithistoriker auch kaum noch möglich ist, alle Publikationen zu überblicken. Verwiesen sei hier lediglich auf den ausgezeichneten Forschungsüberblick bei Tacke (2007) und den Forschungsbericht von Menning (2010). Das Thema Adel und Moderne ist inzwischen so populär, dass es dazu eigene Einführungsliteratur gibt; vgl. Wienfort (2006). Eine epochenübergreifende Perspektive bietet der Sammelband von Beck & Scholz & Walter (2008); speziell zum Adel in der Neuzeit sei auf Asch (2008) verwiesen; eine Synthese zum frühneuzeitlichen und modernen Adel zu ziehen, versucht der Sammelband von Leonhard & Wieland (2011). Die meisten Ansätze fokussieren auf die Binnenkommunikation des Adels, der so eine historisch hergeleitete exklusive Gruppenidentität begründet, die es dem Adel erlaubt, trotz „Entkonkretisierung“ in der funktional differenzierten Moderne eine gemeinsame Identität zu bewahren. Breit rezipiert ist die Untersuchung von Malinowski (2003) 34–117, der versucht „Adeligkeit“ als Wertehorizont (freilich durchaus in Verbindung mit einem konkreten Habitus) des deutschen Adels zu bestimmen; in eine ähnliche Richtung geht Reif (1999) 29–39. Einen anderen Ansatz verfolgt Matzerath (2006) [vgl. auch Marburg & Matzerath (2001)], der den sächsischen Adel als Erinnerungsgruppe beschreibt, bei der „Adeligkeit“ eine durch die Moderne weitgehend entkonkretisierte Form der Vergesellschaftung darstellt, die komplementär zu anderen Formen der Vergesellschaftung der jeweiligen adligen Individuen besteht – dieses Modell lässt dementsprechend deutlich mehr Raum für Heterogenität und Widersprüche als Malinowskis Konzept der „Adeligkeit“, fokussiert aber gleichfalls primär auf adlige Binnenkommunikation. Conze et al. (2013) haben jüngst mit dem Begriff „Aristokratismus“ ein neues Konzept (in der ebenfalls neuen Schriftreihe „Adelsstudien“) zu lancieren versucht, das nebst adliger Binnenkommunikation auch die Fremdzuschreibungen mitberücksichtigen möchte. Leonhard & Wieland (2011a). Leonhard & Wieland (2011b).

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

tracht der unterschiedlichen nationalen und regionalen Entwicklungen ist jedoch nur bedingt von einem einheitlichen Prozess auszugehen, wovon die eindrückliche Fülle neuerer Einzelstudien auch ein beredtes Zeugnis ablegt. Die Schwierigkeit, ‚Adel‘ zu definieren, hat Charlotte Tacke in einem grundlegenden Forschungsüberblick thematisiert75 und mit dem gesellschaftlichen Wandel von Vormoderne zu Moderne in Verbindung gebracht: Die Vorstellung eines (vormodernen) Adels, der von einem (modernen) Bürgertum abgelöst worden sei und lediglich als vormodernes Relikt weiterexistiere, entspricht zwar, so Tacke, der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung, doch handle es sich bei dieser Opposition von ‚Adeligkeit‘ und ‚Bürgerlichkeit‘ letztlich um asymmetrische Gegenbegriffe. Dabei rekurriert Tacke auf den Soziologen Niklas Luhmann und betont die grundsätzliche Differenz zwischen vormodernen, stratifizierten Gesellschaften, bei denen ‚Adel‘ eine multifunktionale Oberschicht bildet, und der mit dem Begriff ‚Bürgerlichkeit‘ umschriebenen modernen Gesellschaft, die funktional differenziert ist, das heißt, nicht eine einheitliche, als Schichtung zu verstehende Hierarchie aufweist, sondern aus verschiedenen autonomen Systemen wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft oder Kunst besteht, die jeweils über eigene Funktionseliten verfügen.76 Zwar ist auch der vormoderne Adel durch beachtliche Differenzen zwischen hohem und niederem Adel, altem Schwertadel und höfischem Amtsadel gekennzeichnet gewesen, von den regional höchst unterschiedlichen Adelskulturen ganz zu schweigen, doch das spezifische Problem der Moderne ist der Verlust einer eigentlichen Funktion des ‚Adels‘ als Schicht. Was seine Funktion betrifft, geht der Adel in der bürgerlichen, funktional differenzierten Gesellschaft auf:77 Einzelne Funktionseliten können zwar mit einem hohen Anteil von Adligen besetzt sein, doch weder ist ‚Adeligkeit‘ eine Voraussetzung zur Teilhabe an diesen Eliten, noch zieht die Teilhabe eine Nobilitierung nach sich. Dies erst macht ‚Adeligkeit‘ – von Tacke primär als Selbststilisierung verstanden78 – zur bindenden Klammer, die ‚Adel‘ losgelöst von einer gesellschaftlichen Funktion und einer sozialen 75 76 77 78

Tacke (2007). Tacke (2007) spez. 93 f. Zu Luhmanns Modell stratifizierter Adelsgesellschaften als Merkmal vormoderner Hochkulturen gegenüber der Moderne s. Luhmann (1997) 678–706. Der theoretische Zugriff von Matzerath (2006) spez. 13–25 auf den sächsischen Adel geht in eine ähnliche Richtung. Luhmann (1997) 743–776 zur funktionalen Differenzierung, auf der die moderne Gesellschaft beruht, und 707–743 zum Prozess der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen am Übergang zur Moderne. Dies ist der Ansatz der meisten bisherigen Studien, so auch von Malinowski (2003) – mit dem sich Tacke vor allem beschäftigt –, der sein Konzept von „Adeligkeit“ primär auf Basis adliger Autobiographien entwickelt hat. Das von Conze et al. (2013) lancierten Konzept von „Aristokratismus“ will dagegen die mit „Adel“ und „Aristokratie“ verbundenen kulturellen und v. a. auch ästhetischen Assoziationen und Deutungsmuster in den Blick nehmen, die nicht zwingend auf den historischen Adel als soziale Gruppe bezogen sind, sondern auch im Kontext von Neuadelsdiskursen, Kunst und Ästhetik eine Rolle spielen und in der modernen Gesellschaft eine Orientierungsfunktion ausüben können: Der Ansatz läuft zwar Gefahr, den Untersuchungsgegenstand weitgehend beliebig werden zu lassen, zeigt aber, wie vielfältig die Assoziationen sein können, mit

1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?

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Lage noch zu definieren vermag. Die konkrete Ausgestaltung dieser ‚Adeligkeit‘ als Modus der Differenzierung kann dabei je nach Zeit und Ort beachtlich variieren.79 Als zentrales Kernstück kann jedoch der Familien- und Vergangenheitsbezug gelten, dem eine nicht-beliebige Form von Exklusivität anhaftet, an die unterschiedlichsten Ausprägungen von ‚Adeligkeit‘ anschlussfähig sind.80 Die Unterscheidung zwischen vormodernem Adel als multifunktionale Elite und modernem Adel als ‚Erinnerungsgruppe‘, die sich über die eigene Geschichte selbst definiert und abgrenzt, macht ‚Adel‘ zu einem problematischen Begriff für historisches Arbeiten: So ist bei Luhmann ‚Adel‘ – auch als polemische Abgrenzung der Moderne gegenüber ‚Alteuropa‘ – schlicht ein Synonym für eine stratifizierte Gesellschaft,81 während Simmel keineswegs jede vormoderne Oberschicht als ‚Adel‘ bezeichnet, sondern den Familien- und Vergangenheitsbezug als eine zwingende Voraussetzung für ‚Adeligkeit‘ ansieht. Umgekehrt sprach der französische Soziologe Pierre Bourdieu in Bezug auf die Absolventen der französischen Grandes Écoles (nicht ohne eine

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denen ‚Adel‘ in der Moderne aufgeladen wird (und die dann ihrerseits – so steht zu vermuten – auf die zeitgenössischen Wahrnehmungen des historischen Adel als soziale Gruppe zurückwirken). Der umfassende Versuch von Malinowski (2003) 47–117, „Adeligkeit“ (im deutschen Reich) in Analogie zu „Bürgerlichkeit“ mit konkreten Inhalten zu füllen, wird von Tacke (2007) entsprechend kritisch beurteilt und in diversen Punkten relativiert. Die Autorin ist denn auch entsprechend skeptisch, ob es eine Geschichte des „europäischen“ Adels geben könne, stattdessen plädiert sie dafür (123): „zunächst einmal die konkreten Beziehungen und Verflechtungen, aber auch Abgrenzungen und Auseinandersetzungen innerhalb der verschiedenen sozialen und imaginären Räume des ‚Adels‘ (oder was auch immer das sein mag) ausfindig zu machen und empirisch zu untersuchen.“ So betont Malinowski (2003) 47–59 den Familienbezug des Adels und die spezifischen Erinnerungsmodi – es ist denn auch dieser Vergangenheitsbezug, aus dem sich viele der von ihm beschriebenen Elemente des adligen Habitus ableiten: so die Betonung von „Charakter versus Bildung“ (ebd. 73–89) aus dem Bewusstsein ‚etwas zu sein‘ und nicht erst durch Bildung ‚etwas‘ zu werden (ebd. 88 f.) oder der adlige Anspruch auf „Herrschaft und Führertum“ (ebd. 104–117), der von der „historischen Tiefe des ‚Obenbleibens‘“ herrührt, „die im Bürgertum kein Äquivalent hat“ (ebd. 109). Bei Matzerath (2006) ist der Adel dann primär eine Erinnerungsgruppe, die sich zunehmend entkonkretisiert. Luhmanns Ausführungen zu stratifizierten Gesellschaften orientieren sich denn auch erklärtermaßen am „spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Europa“, wo das „Primat von Stratifikation als Form gesellschaftlicher Systemdifferenzierung“ besonders deutlich sei; vgl. Luhmann (1997) 682. Seine kurzen Ausführungen zum demokratischen Athen, wo trotz nomineller Gleichberechtigung aller Bürger, „die Oberschicht deutlich bevorzugten Zugang und deutlich stärkeren Einfluß“ hatte (ebd. 679), ist zwar in der Sache richtig, gleicht aber als Argument genau den Punkten, die Elitetheoretiker wie Mills (1956) anführen, um zu zeigen, dass auch in modernen, funktional differenzierten Gesellschaften die milieubedingte Ungleichheit einer schmalen Elite deutlich bessere Zugangsmöglichkeiten eröffnet und auf Basis ihrer gemeinsamen sozialen Herkunft an der Spitze über die funktional differenzierten Teilbereiche hinaus eine „power elite“ bilden können – eine zu starke Homogenisierung der Vormoderne als zwingend stratifiziert birgt daher die Gefahr, Kategorien zu verflachen (und damit den Blick auf die trotz allem grundlegenden Differenzen zwischen dem klassischen Athen und dem von Mills untersuchten Amerika der 1950er Jahre zu verstellen [Differenzen, die Mills, der dezidiert kein universalhistorisches Modell zeichnen will, selbst durchaus sieht!]).

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

gewisse Freude an der Provokation, die der Begriff auf eine meritokratische Institution angewandt birgt) von einem ‚Staatsadel‘, bei dem nun nicht der Familien- oder Vergangenheitsbezug zentral ist, sondern die staatlich garantierten Bildungstitel, die als ‚symbolisches Kapital‘ die alten Adelstitel ersetzen.82 Sowohl bei Luhmann wie auch bei Bourdieu funktioniert ‚Adel‘ jeweils als Chiffre für Andersartigkeit, sei es, um bei Luhmann die grundsätzliche Differenz vormoderner Eliten zu unterstreichen, oder aber, um wie bei Bourdieu die Funktionslogik moderner Eliten durch vormoderne Begrifflichkeit zu verfremden. ‚Adel‘ verkommt daher leicht zu einem ‚Label‘ für romantisch angehauchte Alterität, das man fast beliebig an höchst unterschiedliche Eliten heften kann. Die schwammigen Definitionen, die unter ‚Adeligkeit‘ deutlich mehr fassen als den bloßen Familien- und Vergangenheitsbezug, führen dazu, dass sich fast immer Merkmale finden lassen, die als ‚adlig‘ qualifiziert werden können. Ein solches Merkmal ist die ausgeprägte Selbstsicherheit, das Bewusstsein, jemand zu sein, das – nicht nur bei Simmel – gerne als typisch ‚adlig‘ angesehen wird. So machte beispielsweise Malinowski die spezifische Elitefunktion des deutschen Adels nach 1918 gerade an dieser Selbstsicherheit und dem damit verbundenen quasi natürlichen „Führeranspruch“ fest und sprach in Anlehnung an Max Weber von einer „charismatischen Elite“.83 Eine ähnliche Selbstsicherheit beobachtete Bourdieu jedoch auch beim französischen Großbürgertum, das sich – anders als das Kleinbürgertum – nicht an anderen orientiert, sondern den ‚guten Geschmack‘ als quasi natürliche Disposition verkörpert.84 Man kann sich daher fragen, ob die Selbstsicherheit des Individuums tatsächlich ein Merkmal von ‚Adeligkeit‘ ist oder nicht vielmehr eine Disposition, die fast zwangsläufig mit der Erfahrung des ‚Obenseins‘ einhergeht und dazu führt, dass Eliten – ob funktional differenziert oder multifunktional – sich immer mit einer ganz anderen Selbstsicherheit bewegen als ambitionierte, nach ‚oben‘ hin orientierte Aufsteiger.85 Analoges lässt sich für jeden auf Distinktion bedachten Habitus sagen: Dass ein Habitus im Sinne Bourdieus immer durch ein soziales Feld geprägt ist und damit die Zugehörigkeit zu diesem Feld erkennbar werden lässt, ist ein Merkmal, das zwar eine sozial abgrenzbare Gruppe, aber noch nicht zwingend einen ‚Adel‘ bezeichnen muss. Diese Debatten um die Frage, was ‚Adel‘ ist, schwingen bei den Fragen nach der Existenz oder Nichtexistenz eines ‚Adels‘ in der griechischen Archaik meist mit: Denn gerade vor dem Hintergrund der Debatten um den Adel in der Moderne fällt auf, wie ‚modern‘ der griechische ‚Adel‘ in vielen Darstellungen anmutet. Es ist eben nicht ein

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Bourdieu (2004). Malinowski (2003) 43–46; 104–117; der verwendete Charisma-Begriff greift jedoch nur indirekt auf Weber selbst zurück, sondern rekurriert in erster Linie auf Ian Kershaws Hitler-Biographie. Bourdieu (1987) 405–499 mit dem verdichteten Porträt eines Großbürgers ebd. 428–436. So zieht denn auch Malinowski (2003) 45 einen Vergleich von der ‚charismatischen‘ Qualität des deutschen Adels zur Selbstsicherheit moderner Manager.

1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?

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‚Adel‘, der sich über eine Herrschaftsfunktion definiert oder als rechtlich abgegrenzter ‚Stand‘, sondern ähnelt dem ‚entkonkretisierten‘ Adel des 19. und 20. Jahrhunderts, der als ‚Gedankending‘ existiert oder sich gar erst dort besonders ausprägt, wo er seine eigentlichen Funktionen als multifunktionale Elite verliert (also aufhört, eine ‚aristocratie du fait‘ zu sein). Dass der Adelsbegriff dabei häufig auf die Archaik beschränkt wird und in der Klassik bestenfalls noch Relikte und Nachwirkungen gesehen werden, reproduziert dabei nicht nur das aus der Moderne geläufige Bild, sondern führt auch zu einer romantisierenden Sicht auf die Archaik, von der sich die ‚modern‘ anmutende, ‚bürgerlich‘-demokratische Klassik abhebt. Dies wird besonders deutlich, wenn spätere ‚Oligarchien‘ dezidiert nicht als ‚Adel‘ bezeichnet werden, obschon sie als multifunktionale Eliten, die sich über ihre mit sozialer Überlegenheit verbundene, institutionell abgesicherte Herrschaftsausübung definieren, möglicherweise viel eher dem ‚Normalfall‘ eines vormodernen Adels entsprächen. Dennoch hat der Adelsbegriff, sofern man sich seiner Probleme bewusst ist, auch Vorteile. Anders als der modische Terminus ‚Elite‘, den man auf nahezu alles anwenden kann, bezeichnet ‚Adel‘ eine spezifische Form des Obenseins. Beim europäischen Adel, von dem der Begriff ursprünglich kommt, ist es im Kern der Familien- und Vergangenheitsbezug, der ‚Adel‘ ausmacht, verbunden mit dem Bewusstsein, dass ein einmal erworbener Adelstitel die Zugehörigkeit zum Adel auf Dauer – auch über Generationen hinweg – garantiert. Davon ausgehend kann man ‚Adel‘, sofern man ihn von allen romantischen und antimodernistischen (und als solche spezifisch modernen) Assoziationen befreit, zu einem historisch brauchbaren Begriff machen. 1.2.2 ‚Adel‘ als Idealtypus Trotz all seiner Probleme kann der Adelsbegriff einen heuristischen Mehrwert darstellen. Dabei gilt es jedoch erstens die wenig trennscharfe Vorstellung, jede Form von Herrschaft und Ungleichheit stelle – sofern sie in der Vormoderne begegne – bereits einen ‚Adel‘ dar, zu verwerfen. Zweitens muss eine Definition gefunden werden, die es erlaubt, den Begriff ‚Adel‘ in der wissenschaftlichen Praxis als Terminus operabel zu machen. Ziel ist es, ‚Adel‘ als Idealtypus im Sinne Max Webers zu definieren, der es erlaubt, verschiedene historisch beobachtbare Formen sozialer Differenzierung genauer zu bestimmen. Eine solche idealtypische Definition hat sich zwar am europäischen Adelsbegriff zu orientieren, muss jedoch die dort beobachtbaren Phänomene abstrahieren und zuspitzen.86 Zentral scheinen dabei drei Elemente zu sein: Erstens muss die 86

Zum Idealtypus s. Weber (1988) 190–204; spez. die Definition auf S. 191: „Er [der Idealtypus] wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu

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Zugehörigkeit zur Gruppe des Adels auf einer funktionalen Ebene – primär als kommunikatives Netzwerk – das Obensein absichern und stabilisieren. Zweitens muss diese Gruppenzugehörigkeit relativ stabil sein, darf also nicht an dauernde Bewährung gekoppelt sein, sondern braucht eine institutionelle Absicherung. Dies hat, drittens, zur Folge, dass ‚Adeligkeit‘ ein Wert für sich darstellt, ein ‚symbolisches Kapital‘, das sich aus der Gruppenzugehörigkeit selbst ergibt. ‚Adel‘ soll also als eine Identitätsgruppe verstanden werden, deren Mitglieder ihr ‚Obensein‘ ganz wesentlich über die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe absichern. Im Zentrum steht dabei der funktionale Aspekt: Die Teilhabe an einem gruppenspezifischen Kommunikationssystem eröffnet einen privilegierten Zugang zu (Macht-)Ressourcen. Damit ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Formen des ‚Obenseins‘ gegeben, wie sie beispielsweise in segmentären Gesellschaften begegnen, wo einzelne Individuen zwar Verbänden vorstehen können, ohne aber untereinander als ‚Elite‘ ein Netzwerk zu bilden. Deutlich zeigt sich dies in Marshall Sahlins Beschreibung melanesischer big men. Diese bauen ihre Macht auf segmentären Strukturen auf, was aber keineswegs ausschließt, dass einzelne big men untereinander Kontakte pflegen. Doch anders als bei einem Adel, sind diese Kontakte kein Modus der Machtsicherung, sondern vielmehr ein Hort der Instabilität. Denn je mehr Ressourcen der einzelne big man in die Außenbeziehungen, das heißt primär die Gabentauschkonkurrenz mit anderen big men, investiert, desto stärker werden die reziproken Beziehungen zu seinen Gefolgsleuten strapaziert, die seine eigentliche Machtgrundlage darstellen; die Folge sind Abfallbewegungen oder gar eine „egalitarian rebellion“.87 Die erste Bedingung der idealtypischen Adelsdefinition besagt also, dass die Kommunikation zwischen denen, die ‚oben sind‘, deren ‚Obensein‘ gegenseitig stabilisieren muss. Mit Niklas Luhmann ließe sich das so formulieren, dass Stratifikation ein Primat vor anderen Formen gesellschaftlicher Differenzierung einnehmen muss – was bedeutet, dass ‚Stratifikation‘ eine relative Kategorie ist, da ein solches Primat mehr oder weniger ausgeprägt und alternative Formen der Differenzierung mehr oder weniger dominant sein können.88 Solche „anderen Formen“ gilt es daher zu identifizieren und in ihrer Bedeutung gegenüber den zu beobachtenden Formen von Stratifikation zu

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einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie, und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht […]“ [Hervorhebung im Original]. Sahlins (1963) spez. 289–293; Zitat: 293. So betont Luhmann (1997) 685 f., dass „ein Primat stratifikatorischer Differenzierung“ erst vorliege, wenn „andere Differenzierungsweisen […] sich an Stratifikation ausrichten“; diese Feinunterscheidungen werden von Luhmann selbst, dessen Fokus auf der Differenz zur Moderne liegt, nicht weiter ausgeführt: Luhmann tendiert vielmehr dazu, hochkulturelle Gesellschaften der Vormoderne pauschal dem Typus der stratifizierten Gesellschaft zuzuordnen, die er aber anhand der europäischen Neuzeit definiert, just weil dort das „Primat der Stratifikation“ besonders ausgeprägt sei (ebd. 682) – das heißt, das von Luhmann durchaus gesehene Spektrum an vormodernen Ge-

1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?

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evaluieren. Neben der bereits angesprochenen segmentären Differenzierung ist hier vor allem an die ebenfalls bei Luhmann als eigener Typus beschriebene Differenzierung in Zentrum und Peripherie89 beachtenswert. Da diese Unterscheidung der Siedlungsform der Stadt inhärent ist, kommt ihr in Bezug auf das archaische Griechenland eine besondere Bedeutung zu. Die in der Archaik beobachtbare Tendenz, Ältestenräte einzurichten, ließe ferner die Frage zu, inwieweit Altersklassen – über die segmentären Strukturen der Familienverbände hinaus – als eine weitere eigenständige Form der Differenzierung in Betracht gezogen werden müssen.90 Adel stellt also eine Oberschicht dar, die als Kommunikationssystem das ‚Obensein‘ ihrer Mitglieder funktional begünstigt. Das ist jedoch ein Merkmal, das jede Elite – zumindest wenn man den Begriff im Sinne der klassischen Elitetheorie verwendet91 – auszeichnet. Von einem Adel soll daher erst gesprochen werden, wenn, als zweites Kriterium, die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe als weitgehend essentialisiert angesehen wird, d. h. losgelöst von persönlicher Leistung und dauernder Bewährung. Der Eintritt in einen solchen Adel kann daher auch nicht oder nur ausnahmsweise durch Leistung erworben werden. In Anschluss an den Kulturanthropologen Ralph Linton kann man hier auch zwischen ‚ascribed status‘ und ‚achieved status‘ unterscheiden.92 Zentrale Bedingung hierfür ist eine weitgehende ‚soziale Schließung‘93 der Oberschicht, bei der die Zugehörigkeit monopolisiert und ein Aufstieg durch Leistung weitgehend ausgeschlossen wird. Das ideale Kriterium für eine solche Form des ‚zugeschriebenen‘, von

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sellschaften mit mehr oder weniger ausgeprägten Primaten der Stratifikation wird bewusst vereinheitlicht. Luhmann (1997) 663–678. Bei Luhmann spielt dies keine Rolle und ist an sich ein Merkmal segmentärer Gesellschaften. Für die homerische Gesellschaft betont v. a. Ulf (1990a) 51–83 die Bedeutung von Altersklassen; speziell zu den Ältestenräten bei Homer und in Sparta s. Schulz (2011) sowie jetzt allg. Schulz (2020); generell zu Altersgrenzen in Hinblick auf politische Partizipation in Griechenland und Rom Timmer (2008). Diese – in sich sehr unterschiedlichen – Ansätze basieren letztlich alle auf der Prämisse, dass eine kleine Elite dank ihrer besseren Organisation eine unorganisierte „Masse“ beherrschen kann. Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Hartmann (2008) 13–42. Linton (1936) 113–136, spez. 115 – die Unterscheidung von Linton ist jedoch sehr viel weiter gefasst, denn „social factors“, wozu ‚Adeligkeit‘ gehört, sind zwar in vielen, aber längst nicht allen Gesellschaften vorhanden. Die zentralen Kategorien zur Zuschreibung von Status und sozialen Rollen sind für Linton daher vor allem Geschlecht, Alter und Verwandtschaft, die in allen Gesellschaften auftreten. Die Dichotomie ist freilich bei Linton eher ein Kontinuum: ‚Ascribed status‘ schließt (Status-)Konkurrenz nicht zwingend aus, schränkt sie aber ein, indem nur bestimmte Personen als Konkurrenten zugelassen werden. Max Weber (1972) 23–25 unterschied zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaften, wobei letztere durch Monopolbildung Konkurrenz möglichst einzudämmen versuchen, was aber von Weber selbst mit Ausnahme der kurzen Abhandlung zu „offenen und „geschlossenen“ Wirtschaftsbeziehungen (ebd. 201–203) nicht weiter ausgeführt wird. Einige soziologische Arbeiten versuchten, mit dem Konzept weiterzuarbeiten und daraus eine Theorie Mittlerer Reichweite zu entwickeln, die verschiedene Formen von Exklusion und der Herstellung von Ungleichheit erfassen kann; vgl. dazu Mackert (2004).

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

Leistung möglichst losgelösten Status wäre die gute Geburt, was ja auch in der Tat die geläufige Assoziation ist, die man mit ‚Adel‘ verbindet. In der Praxis muss freilich jede Oberschicht – wenn sie nicht in eine als involutiv zu betrachtende Abschottung verfällt – ein gewisses Maß an Mobilität zulassen,94 doch ist das wahrgenommene Ausmaß dieser Mobilität entscheidend. Zentral für eine solche Wahrnehmung ist eine klare Vorstellung davon, was adlige Ehre und Satisfaktionsfähigkeit ausmacht, also klare und allgemein akzeptierte Kriterien, die über Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu einem Adel entscheiden. Wichtig ist ferner, dass eine einmal erworbene ‚Adeligkeit‘ nicht mehr ohne weiteres verlustig gehen kann. Die idealtypische Variante wäre ein Titel, den man, einmal erworben, definitiv besitzt und dessen Gültigkeit durch die Institution, die ihn verliehen hat, abgesichert wird.95 Etwas anders gelagert präsentiert sich die Situation im spätrepublikanischen Rom, wo die Bekleidung des Konsulats (und nur das) das allgemeingültige Kriterium war, um eine Person zu ‚nobilitieren‘, und diese einmal erworbene nobilitas blieb der Familie dann auch in den folgenden Generationen erhalten.96 Ein Aufsteiger kann dann zwar (und nur dann) als Parvenü oder als homo novus gelten, der sich erst einfügen muss, der aber die Gewissheit hat, angekommen zu sein, um zu bleiben. Das heißt, dass anders als in einer ‚Leistungselite‘, wo die fortdauernde Demonstration von Leistung für das ‚Obenbleiben‘ essentiell ist, ‚Adeligkeit‘ eine sehr viel stabilere Gruppenzugehörigkeit beschreibt. Klare, im Idealfall institutionell abgesicherte Zugehörigkeitskriterien, die nicht verhandelbar sind, bilden dafür eine zwingende Voraussetzung. ‚Adeligkeit‘, dies wäre also die zweite Bedingung der idealtypischen Adelsdefinition, muss auf klaren, allgemein akzeptierten Kriterien basieren; ein ‚Erwerb‘ adliger Ehre und damit einer Gruppenzugehörigkeit zum Adel ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, ist aber auf klar definierte, nicht verhandelbare Zugangskriterien beschränkt. Dafür ist eine einmal erworbene ‚Adeligkeit‘ weitgehend essentialisiert und von persönlicher Bewährung losgelöst. So verlieh etwa ein Olympiasieg einem griechischen Athleten lebenslanges Prestige, meist verbunden mit einer institutionell abgesicherten Ehrenstellung, die ihm auch erhalten blieb, wenn seine Fähigkeiten als Athlet längst geschwunden waren. Allerdings war diese Ehre nicht oder nur bedingt auf die nächste Generation übertragbar. Dies führt zum dritten Punkt der idealtypischen Adelsdefinition: ‚Adeligkeit‘ muss einen symbolischen Wert besitzen, der im Glauben gründet, dass wie auch immer geartete Exzellenz in der ‚Adeligkeit‘ selbst liege und nicht umgekehrt ‚Adeligkeit‘ eine Folge dieser Exzellenz darstelle. Dadurch wird es möglich, eine einmal erworbene ‚Adeligkeit‘ als ‚symbolisches Kapital‘, standesspezifische ‚Ehre‘ oder ‚Erbcharisma‘

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Diesen zentralen Punkt (der schon rein demographisch eine Notwendigkeit ist) betont nachdrücklich Luhmann (1997) 703–706. Es ist daher kein Zufall, dass Bourdieu (2004) moderne Bildungstitel als zentrales Moment für die Etablierung eines französischen ‚Staatsadels‘ ausmacht. Gelzer (1983).

1.2 ‚Adel‘ als historische Kategorie – ein gangbares Konzept?

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auf die nächste Generation zu übertragen. Je weniger ein Aufstieg durch persönliche Tüchtigkeit möglich ist, das heißt, je ausgeprägter die soziale Schließung, desto dominanter wird dieser Glaube, was seinerseits wieder dazu beiträgt, die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs noch unwahrscheinlicher erscheinen zu lassen (was dann freilich wiederum ein erhebliches Potential für gesellschaftliche Spannungen birgt). Der symbolische Wert von ‚Adeligkeit‘ und die soziale Schließung des Adels sind also zwei sich gegenseitig bedingende und gleichzeitig verstärkende Faktoren. Für den einzelnen Adligen bedeutet das, dass allein seine ‚Adeligkeit‘ bereits ein Kapital darstellt, das es ihm ermöglichen kann, Defizite hinsichtlich ökonomischen, sozialen oder kulturellen Kapitals zumindest teilweise auszugleichen. Die von Thorstein Veblen angestellte Beobachtung, dass demonstrativer Konsum für etablierte Oberschichten an Wert verliert,97 beschreibt genau das: Ein etablierter Adel kann von seinem symbolischen Kapital zehren, ohne ökonomisches Kapital andauernd demonstrativ zu verschwenden. Das gilt auch dann, wenn das ökonomische Kapital knapp werden sollte.98 Adelige steigen daher nicht ohne weiteres ab, sondern gleichsam zeitverzögert, da das Kapital, das ihre ‚Adeligkeit‘ darstellt, einen Abstieg zwar nicht verhindern, wohl aber verlangsamen kann. Der symbolische Wert, der einem Adel zukommt, stabilisiert jedoch nicht nur den Status des Einzelnen, sondern auch die Gruppe als Ganzes. Das zeigt sich vor allem in den Situationen, wo ein Adel seine Funktion als stratifizierte Oberschicht verliert. Zu denken ist dabei weniger an den Sonderfall der Moderne, wo ein Adel in einer funktional differenzierten Gesellschaft aufgeht, als vielmehr an Transformationen innerhalb stratifizierter Gesellschaften, bei denen die Zugehörigkeitskriterien zur Oberschicht, nicht aber das gesellschaftliche Organisationsprinzip als solches verändert wird. Die römischen Patrizier, die nicht zuletzt durch eine radikale Form der sozialen Schließung die Ständekämpfe provozierten, wären ein bezeichnendes Beispiel: Als Elite wurden sie weitgehend obsolet und gingen im sich neu formierenden Amtsadel auf, behielten aber ihre Identität als Patrizier und das damit verbundene historische Prestige. ‚Adel‘ soll also idealtypisch als eine Oberschicht verstanden werden, deren Mitglieder erstens primär durch die Kommunikation untereinander ihr ‚Obensein‘ absichern, die zweitens über klare, nicht verhandelbare Zugehörigkeitskriterien verfügt, wobei eine einmal erworbene Zugehörigkeit nicht mehr ohne weiteres Verlustig gehen kann, und bei der drittens die Zugehörigkeit selbst einen symbolischen Wert darstellt, der das ‚Obenbleiben‘ auch über Generationen hinweg absichern und erleichtern kann.

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Veblen (1986) 137 f. Der von Malinowski (2003) 90–103 beschriebene „Kult der Kargheit“, der vor allem im verarmten norddeutschen Kleinadel zu einem eigentlichen Merkmal von ‚Adeligkeit‘ stilisiert wurde und damit aus einer Position der (ökonomischen) Schwäche heraus dennoch eine selbstbewusste Abgrenzung gegenüber dem demonstrativen Konsum reicher Großbürger ermöglichte, illustriert genau dies.

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Damit wird auch klar, wer vor allem von einem besonders ausgeprägten und abgeschlossenen Konzept von ‚Adeligkeit‘ profitiert: Nicht jene, deren ‚Obensein‘ ungefährdet ist, sondern jene, die gerade noch dazugehören und ihren Status nur durch das symbolische Kapital, das ihrer ‚Adeligkeit‘ entspringt, wahren können. So betonte denn auch Simmel, dass ein Adel Individuen in einzigartiger Weise am Prestige gerade der Besten der Gruppe teilhaben lässt: „Jede Persönlichkeit einer Adelsgruppe […] hat in ihrem Werte teil an dem Glanze, den gerade die hervorragendsten Mitglieder dieser Gruppe erworben haben, sie tritt gleichsam die Standeserbschaft sub beneficio inventarii an, gerade die hier angehäuften positiven Werte an Verdiensten, Vorzügen, Ehren strahlen in einer unabgelenkteren Weise, als dies sonst in irgend welchen Gruppen statthat, auf den Einzelnen über.“99

Es lohnt sich daher, wo immer möglich, nicht primär jene Individuen in den Blick zu nehmen, deren ‚Obensein‘ unangefochten ist, sondern gerade jene, deren Zugehörigkeit zur Oberschicht prekär ist: Wie stark eine Oberschicht zum Idealtypus eines Adels tendiert, lässt sich an ihnen tendenziell deutlich besser erkennen. ‚Adel‘ soll also als Idealtypus verstanden werden, der innerhalb vormoderner Oberschichten einen Sonderfall darstellt. Eine Oberschicht, die sich durch ökonomischen Besitz und einen elitären Lebensstil auszeichnet, wäre daher noch kein ‚Adel‘ in dem hier definierten Sinne, auch wenn der Ehrvorrang der entsprechenden Schicht allgemein akzeptiert ist (sie also klare Merkmale von Stratifikation aufweist). Ein ‚Adel‘ wäre erst dann gegeben, wenn sich ein Konzept von ‚Adeligkeit‘ beziehungsweise einer standesspezifischen Ehre ausbildet, die nicht mehr ohne weiteres durch Leistung und ökonomischen Aufstieg zu erwerben sind und daher in der Praxis effektiv soziale Mobilität (nach oben wie nach unten) behindern, also zu einer weitgehenden Abschließung beitragen. Dass es einen solchen ‚Adel‘ im archaischen Griechenland je gegeben hat, ist, wie zu zeigen sein wird, unwahrscheinlich. Fassbar sind jedoch diverse Ansätze zu einer Adelsbildung im Sinn einer zunehmenden Stratifikation und Tendenzen zu sozialer Schließung verbunden mit verschiedenen Formen einer institutionell abgesicherten Objektivierung von Ehre. Diese Tendenzen gilt es im Einzelnen aufzuzeigen, vor allem aber ist zu fragen, weshalb einer stabilen Adelsbildung dennoch kein Erfolg beschieden war. Das Ziel ist es, dabei eine Entwicklung beobachten zu können, die zwar nicht zu einem idealtypischen Adel führt, innerhalb der Möglichkeiten gesellschaftlicher Differenzierung in klassischer Zeit diesem Typus jedoch wesentlich nähersteht als in der frühen Archaik. Der idealtypisch verstandene Adelsbegriff soll hierfür – quasi als Messinstrument der Differenz – den Blick schärfen.

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Simmel (1908) 739.

1.3 Ziele und Disposition der Arbeit

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1.3 Ziele und Disposition der Arbeit Dass eine Arbeit zu archaischen Oberschichten auf einer langen Forschungstradition aufbaut, bedarf keiner weiteren Begründung. Der hier vorgestellte Ansatz hat denn auch nicht den Anspruch, das Rad gänzlich neu zu erfinden, sondern will gezielt den Blick auf zwei Bereiche lenken, die bislang wenig Beachtung fanden. Dies sind einerseits die Rahmenbedingungen, unter denen soziales Handeln und damit gesellschaftliche Differenzierung möglich wird – also ein praxeologischer Ansatz, der mit einer strukturgeschichtlichen Betrachtung verbunden wird. Damit sollen nicht nur längerfristige Veränderungen deutlicher herausgearbeitet werden, sondern vor allem auch das ausgeprägte Konkurrenzverhalten der einzelnen Akteure, das als das ‚Agonale‘ der Griechen eine bemerkenswerte rezeptionsgeschichtliche Karriere aufweist, auf eine nüchternere sozialwissenschaftliche Grundlage gestellt werden. Das zweite Anliegen der Arbeit richtet sich auf die Rezeptionsgeschichte. Denn vieles, was die Archaik als ‚Zeitalter des Adels‘ erscheinen lässt, ist erst aus der Rezeption heraus erklärbar – wozu nicht zuletzt die Idealisierung eines gesellschaftlich funktionslos gewordenen ‚Adels‘ in der europäischen Moderne zählt. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Die Kapitel II und III widmen sich den materiellen und räumlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich gesellschaftliche Differenzierung vollzog. Kapitel II beginnt mit einer Analyse der agrarischen Grundlage der Gesellschaft, wie sie in den Epen Homers und Hesiods für das frühe siebte Jahrhundert fassbar ist. Kapitel III widmet sich der Urbanisierung und den dadurch ermöglichten neuen Formen der Differenzierung: Die Ausbildung einer städtischen Lebensweise und die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie. Es handelt sich dabei also um einen sozioökonomischen Zugriff auf gesellschaftliche Schichtung, der aber ergänzt wird durch den Blick auf räumliche Differenzierungsformen. In den Kapiteln IV bis VI wird die ‚Adelskultur‘ beleuchtet, die sich innerhalb der zuvor behandelten materiellen Rahmenbedingungen entfaltete. Kapitel IV widmet sich der historischen Genese der vor allem in der deutschsprachigen Forschung weitverbreiteten Denkfigur, die den griechischen ‚Kulturadel‘ als eine von den entstehenden Polis-‚Staaten‘ getrennt gedachte ‚Gesellschaft‘ verstand. Dabei soll es allerdings nicht nur darum gehen, dieses Modell zu dekonstruieren, sondern seinen heuristischen Mehrwert kritisch zu würdigen, um dann zu fragen, wie man Elemente dieses Modells, von seinem ideologischen Ballast befreit, für eine soziologisch informierte Neubeschreibung der archaischen Gesellschaft fruchtbar machen kann. Dies geschieht in den beiden folgenden Kapiteln, in denen der Fokus auf die Handlungsfelder der Akteure gelegt wird. Dabei wird dem schon oft konstatierten kompetitiven Verhalten archaischer Eliten nachgegangen, das im traditionellen Narrativ als Teil der ‚Adelskultur‘ fungiert, gleichzeitig aber auch als Erklärung dafür dient, weshalb dieser Adel nie einen geschlossenen ‚Stand‘ gebildet hat. Statt jedoch das ‚Agonale‘ als naturgegeben hinzustellen, soll just dieses Spezifikum historisch erklärt werden. Dabei

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1. Einleitung: Die griechische Archaik als Epoche des Adels?

wird ‚Konkurrenz‘ mit Georg Simmel als indirekter Kampf um die Gunst einer dritten Instanz verstanden und nach konkreten sozialen Feldern gefragt, in denen sich diese Konkurrenz abspielt, und vor allem, welche Umstände dazu beitrugen, dass Konkurrenz nicht durch eine Verständigung der Konkurrenten reduziert wurde (was Simmel in der Vormoderne als den Normalfall ansah). Dabei wird in Kapitel V zu zeigen sein, dass im archaischen Griechenland relativ viele Felder der Konkurrenz zu einer Vielzahl von ‚Partiell-Besten‘ führten und die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Geltung dieser partiellen Prestige-Erfolge ein wesentliches Merkmal der archaischen Zeit darstellt. Das wiederum begünstigte entsprechende Handlungsstrategien wie etwa die demonstrative Devianz des Hippokleides, die erst durch die Existenz alternativer beziehungsweise konkurrierender Felder der Konkurrenz eine praktische Logik erhalten. In Kapitel VI soll dies weiter vertieft und vor allem in eine zeitliche Entwicklung gestellt werden. Dabei wird zu zeigen sein, dass sich in zwei zentralen Feldern der Konkurrenz – der Polis und den panhellenischen Agonen – Institutionalisierungsprozesse fassen lassen, die dazu führen, dass Konkurrenz nach klaren Regeln abläuft beziehungsweise eingeschränkt und das errungene Prestige zu einer institutionell abgesicherten Ehre objektiviert wird. Dies wiederum eröffnet zumindest partiell die Möglichkeit, die Geltungskonkurrenz selbst zum Gegenstand von Institutionalisierung zu machen – etwa indem geregelt wird, wie athletisches Prestige in die Polis überführt werden kann. Dadurch wird deutlich, wie sich die Handlungsrahmen für die Akteure innerhalb der Archaik verengten und sich die Strategien für soziale Differenzierung entsprechend adaptierten. Die sich transformierende Oberschicht war noch immer weit von einem ‚Adel‘ entfernt, doch sie wies am Ende der Archaik mehr Ähnlichkeiten mit einem solchen auf als zu Beginn – und dies durchaus in der durch Handlungen und Normhorizonte konstituierten Praxis und nicht bloß als kontrafaktische ‚aristokratische Ideologie‘ einer untergehenden ‚aristocratie du fait‘. Den Abschluss bildet ein letzter Teil zur Polis Athen. Dieser Teil ist einerseits als Fallstudie gedacht, andererseits aber auch deutlich mehr, da im Athen des fünften Jahrhunderts unter den Bedingungen des Seereichs und der Demokratie zahlreiche Kategorien und Differenzierungsformen, die später auf die Archaik als Zeitalter einer stabilen Adelsherrschaft projiziert wurden, überhaupt erst entstanden. In gewisser Weise finden sich im fünften Jahrhundert deutlich mehr Versatzstücke eines idealtypischen Konzepts von ‚Adel‘ als in der Zeit davor – daraus ein stringentes Narrativ eines ständisch geschlossenen archaischen Adels zu basteln, ist, wie am Fallbeispiel der athenischen ‚Eupatriden‘ zu zeigen sein wird, eine Konstruktionsleistung, die so erst von der modernen Forschung vollzogen wurde. Der archaische ‚Adel‘ kann somit als Resultat einer doppelten gebrochenen Perspektive gesehen werden: Die Neuerungen des fünften Jahrhunderts zusammen mit dem von den Erfahrungen der europäischen Neuzeit geprägten Blick der modernen Forschung lassen erst gemeinsam das Bild eines archaischen ‚Adels‘ suggestiv und plausibel erscheinen.

1.3 Ziele und Disposition der Arbeit

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Das hier propagierte Modell bietet weder ein teleologisches Entwicklungsnarrativ, bei dem ein fester Adel abgeschafft wird, noch soll ein völliger Relativismus propagiert werden, bei dem Status stets nur performativ ist und strukturelle Veränderungen aus dem Blick geraten. Stattdessen sollen die sich veränderten materiellen und räumlichen Grundlagen gesellschaftlichen Handelns, aber auch die sich verändernden sozialen Felder untersucht werden, um einerseits die Instabilität und mangelnde ideologische Geschlossenheit archaischer Oberschichten zu erklären, gleichzeitig aber auch die längerfristig dann doch zu beobachtenden institutionellen Veränderungen nachzeichnen zu können.

Teil I Von Bauern zu Städtern – Materielle und lebensweltliche Grundlagen

2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert 2.1 Homer, Hesiod und die Gesellschaft der Epen – methodische Vorbemerkungen zu Quellenwert und Datierung Die homerischen Epen als Quellen zu benutzen, ist notorisch schwierig. „Die Ilias ist kein Geschichtsbuch“, schrieb Franz Hampl 1962 in einem oft zitierten Aufsatz.1 Hampl richtete sich darin gegen die Tendenz zahlreicher Forscher, die homerischen Epen als Quelle für die Zustände der mykenischen Palastzeit zu lesen und die dort enthaltenen Sagen, ganz im Geist antiker Historiker, zu einer rational erklärbaren Ereignisgeschichte umzuschreiben – ein Verfahren, das jeglichen methodischen Prämissen moderner Geschichtswissenschaft diametral entgegenläuft und sich eigentlich längst erledigt haben sollte.2 Der ‚Neue Streit um Troia‘, der um die Jahrtausendwende vor dem Hintergrund der Grabungen Manfred Korfmanns weit über die Altertumswissenschaften hinaus Beachtung gefunden hat, hat jedoch deutlich gemacht, dass Hampls Warnungen keineswegs an Aktualität verloren haben.3 Doch eigentlich war die Diskussion schon 1962 in eine ganz andere Richtung gegangen: Moses Finley hatte bereits 1954 mit Verve dafür plädiert, die homerischen Epen mit ihren typischen formelhaften Wiederholungen als ‚oral poetry‘ zu betrachten – Heldendichtung, die ursprünglich von Sängern im improvisierten mündlichen Vortrag aufgeführt und damit dauernd verändert und aktualisiert, dann aber mit dem Aufkommen des neuen Mediums Schrift als kunstvolle Komposition festgehalten wurde.4

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Hampl (1962). Hampl (1962) 37–42 betont explizit, dass es sich bei den von ihm kritisierten Ansätzen um einen Rückschritt handelt, der nur möglich sei, da die grundlegenden methodischen Errungenschaften, welche die Geschichtswissenschaft im 19. Jh. entwickelt habe, systematisch ignoriert würden. Zum ‚Neuen Streit um Troia‘ s. zusammenfassend Cobet & Gehrke (2002) und Ulf (2003). The World of Odysseus wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, mehrmals nachgedruckt und erlebte 1978 eine überarbeitete Neuauflage, hier wird die deutsche Übersetzung der zweiten Auflage verwendet: Finley (2005). Finley verteidigte seine Position von 1954 in Finley (1974) [ND in Finley (2005) 149–168] und breitete diverse Aspekte in Einzelpublikationen aus, s. Finley (1955), Finley (1957) und Finley (1964) generell zur Bedeutung von Finleys Zugriff auf die Epen s. Nippel

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Mündliche Erinnerung – dies der Kern von Finleys Argumentation – reicht jedoch nicht beliebig weit zurück: Er ging davon aus, dass die Epen nicht eine Erinnerung an die mykenische Zeit bewahren, sondern die Handlung der Sage in eine Zeit verlegen, die zum Zeitpunkt der Fixierung als altertümlich angesehen wurde – nach Finleys Ansicht die Zeit rund 150 Jahre vor der schriftlichen Fixierung der Epen, also die ‚Dark Ages‘ des zehnten oder neunten Jahrhunderts. Die dort fassbare Gesellschaft, so Finley, unterscheide sich denn auch radikal von der zentralisierten Palastkultur der mykenischen Zeit und erinnere an ethnologische Vergleichsbeispiele „einfacher“ Gesellschaften mit Gabentausch und dem einzelnen Haushalt als zentrales Organisationsprinzip ohne ausgeprägte, haushaltsübergreifende Formen von Staatlichkeit. Gerade die innere Kohärenz der bei Homer beschriebenen Gesellschaft und die anthropologische Plausibilität der dort fassbaren Praktiken veranlassten Finley, die Epen durchaus als eine Art ‚Geschichtsbuch‘ zu sehen, allerdings nicht für die mykenische Zeit, sondern für die ‚Dark Ages‘ und nicht für eine Ereignisgeschichte, sondern für die gesellschaftlichen Strukturen und Wertevorstellungen, die den Hintergrund der eigentlichen Handlung bilden.5 Im Kern kann Finleys Ansatz weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Zwar wurde von Anthony Snodgrass die von Finley behauptete Kohärenz der bei Homer beschriebenen Praktiken in Hinblick auf die Heiratsregeln in Zweifel gezogen, doch die vermeintlichen Inkonsistenzen lassen sich ethnologisch durchaus erklären.6 Was sich jedoch stark gewandelt hat, ist die Datierung der ‚homerischen Gesellschaft‘: Während Finley von einer historischen Gesellschaft im neunten oder gar zehnten Jahrhunderts ausging, gehen neuere Arbeiten mit Hinweis auf die ‚oral tradition‘-Forschung davon aus, dass historische Erinnerung in mündlichen Kulturen nicht über das lebendige ‚kommunikative Gedächtnis‘ dieser Kultur hinausreicht.7 Geschichten, die sich auf weiter zurückliegende Zeiten beziehen, sind daher nur bedingt historisch, sondern stark überformte Erzählungen, die nur erinnert und erzählt werden, weil sie Relevanz in der eigenen Gegenwart besitzen. Gerade bei mündlicher Heldendichtung muss daher mit einer steten Aktualisierung gerechnet werden, die darauf abzielt, die Welt der Heroen

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(2006) 65–67; anders Osborne (2016), der Finleys Bedeutung für die Homerforschung stark relativiert. Vor dem Hintergrund, dass zentrale Grundannahmen Finleys inzwischen als unhaltbar gelten (s. u.), hat Osborne hierbei nicht Unrecht, doch der methodische Paradigmenwechsel, den Finleys Studie herbeiführte, bleibt davon unberührt. Finley (2005) 23–49. Dass der Hintergrund der Epen durchaus als ‚Geschichtsbuch‘, wenn auch nicht für die Zeit der Handlung, sondern jene des Dichters gelesen werden kann, betont auch Hampl (1962) 50 f.; 56 f. Snodgrass (1974); sein Schüler Ian Morris hat jedoch in Morris (1986) eine direkte Replik verfasst und die vermeintlichen Inkonsistenzen (v. a. in Hinblick auf die Ehepraktiken) ausräumen können; vgl. zu den Heiratspraktiken auch grundlegend Wagner-Hasel (1988); moderat skeptisch freilich weiterhin: Osborne (2004) und Osborne (2009) 140–152. Grundlegend: Vansina (1985); vgl. Assmann (1992) 48–56 sowie Ungern-Sternberg & Reinau (1988).

2.1 Homer, Hesiod und die Gesellschaft der Epen

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und deren Handeln vor dem Hintergrund der eigenen Gegenwart plausibel erscheinen zu lassen. Die Gesellschaft der Epen ist daher kaum eine Erinnerung an eine tatsächliche Gesellschaft der ‚Dark Ages‘, aber auch keine gänzlich von realhistorischen Strukturen zu lösendes ‚Märchen‘, sondern spiegelt ganz wesentlich die Gesellschaft zur Zeit des Dichters selbst, freilich verfremdet durch gezielte Anachronismen und Fiktionen, die den Eindruck einer fernen, heroischen Vergangenheit heraufbeschwören sollen.8 Das hat drei Folgen für die Analyse der homerischen Gesellschaft: Erstens ist sie tendenziell weniger ‚primitiv‘, als Finley annahm, sondern gerade was die Ausbildung oikos-übergreifender Strukturen anbelangt, deutlich „moderner“. Während Finley, von seinen methodischen Grundannahmen geblendet, behaupten konnte, in den Epen gäbe es „nicht die Spur einer Polis im klassischen Sinn“,9 haben neuere Arbeiten etwa von Kurt Raaflaub oder Hans van Wees die Bedeutung von Polis- oder zumindest proto-Polisinstitutionen in den Epen herausgearbeitet, welche die Welt Homers deutlich näher an die Welt des siebten Jahrhunderts heranrücken lassen.10 Dafür ist jedoch, zweitens, die Welt des Dichters selbst tendenziell weniger ‚modern‘ als Finley annahm, da gerade die selbstverständlich und konsistent geschilderten ‚primitiven‘ Praktiken – wie etwa die Brautwerbung11 – keine Erinnerung an längst zurückliegende Zeiten darstellen, sondern in der Gegenwart des Dichters selbst Plausibilität besitzen müssen. Dies alles führt jedoch dazu, dass, drittens, die „homerische Gesellschaft“ nicht derart klar von der Welt des Dichters zu trennen ist, wie Finley annahm. Die klare Unterscheidung in ‚historische‘ Erinnerung aus den ‚Dark Ages‘ und in ‚modernen‘ Anachronismen aus der Lebenswelt des Dichters selbst, die Finley immer wieder bemühte, ist zu einfach gedacht – so eindeutig lassen sich Zeitebenen weder bestimmen noch auseinanderhalten. Vielmehr präsentiert sich die Gesellschaft der Epen als Amalgam aus Altem, Neuem und Fiktivem, das, wie Kurt Raaflaub treffend meinte, Historikern Kopfschmerzen bereitet.12 Allerdings passt das sehr wohl in das ausgehende achte oder frühe siebte Jahrhundert, wo der archäologische Befund auf grundlegende Umbrüche hindeutet und wo folglich, um Raaflaub erneut zu zitieren, die Erfahrung der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ Teil der Lebenswelt gewesen sein dürfte.13

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Vgl. u. a. Morris (1986); Raaflaub (1998); Raaflaub (2003); Raaflaub (2011); Ulf (1990a) 232–238; van Wees (1992) 5–23. Finley (2005) 31. Raaflaub (1991); Raaflaub (1997); Raaflaub (2005); van Wees (1992). Zur Polis in den Epen ferner Crielaard (1995) 239–247; eine andere Stoßrichtung verfolgt Scully (1990), der den besonderen Charakter homerischer Poleis als ‚heilig‘ hervorhebt, als ein Ort menschlicher Zivilisation, der unter göttlichem Schutz steht und durch Mauern vom Umland bzw. der Natur und Wildnis getrennt ist. Zur (proto-)Polis als politisches Feld aber auch zum archäologischen Befund des 8. Jh. s. ferner Hammer (2002) 29–43. Vgl. hierzu Meister (im Druck) und u. Kap. 2.5. Raaflaub (1998). Raaflaub (1998) 188.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Die Betonung des Gegenwartsbezugs der ‚homerischen Gesellschaft‘ führt automatisch zur Frage nach dem Verhältnis der homerischen Epen zu den Epen Hesiods und den frühen Lyrikern. Die ältere Forschung tendierte dazu, nicht nur die ‚homerische Gesellschaft‘ in die ‚Dark Ages‘ zu datieren, sondern auch Homer ein gutes halbes Jahrhundert vor Hesiod anzusiedeln, der als Dichter des frühen siebten Jahrhunderts bereits als Vertreter einer neuen Zeit gesehen wurde.14 Diese Datierung beruhte jedoch eher auf Konsens und Tradition denn auf harter Evidenz15 und ist von der Forschung der letzten Jahrzehnte zunehmend infrage gestellt worden. Inzwischen scheint die communis opinio eher eine Datierung Homers in die erste Hälfte des siebten Jahrhunderts zu bevorzugen, womit kein nennenswerter zeitlicher Unterschied mehr zwischen den Epen Hesiods und Homers propagiert werden kann.16 Für eine solche Spätdatierung – primär auf die gemeinhin als älter angesehene Ilias bezogen17 – lassen sich drei Gründe anführen: Erstens sprechen für eine Spätdatierung mögliche Anspielungen in den Epen auf Ereignisse, die über die benachbarten nahöstlichen Hochkulturen klar zu datieren sind. Bereits 1976 hatte Walter Burkert darauf hingewiesen, dass der Verweis auf den Reichtum des ägyptischen Theben in der Ilias (9,381–384) und in der Odyssee (4,125–127) nur in Hinblick auf die Blütezeit der Stadt unter der XXV. Dynastie (715–663) Sinn machen würde.18 Die Geschichte über den sagenhaften Reichtum des „hunderttorigen Theben“, so Burkert weiter, habe sich aber tendenziell erst mit der Zerstörung der Stadt durch die Assyrer 663 im Mittelmeerraum verbreitet, als deutlich wurde, welche Beute dort gemacht wurde – zumal griechische Söldner mit hoher Wahrscheinlichkeit an diesem Feldzug beteiligt waren. Damit konnte Burkert einen terminus post quem für die schriftliche Fixierung der Epen nach 663 zumindest als begründete Hypothese plausibel machen. Martin West hat 1995 diese Argumentation in einem vielbeachteten Artikel nochmals aufgegriffen und zwar den hypotheti-

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So sah etwa Walter Donlan in seiner erstmals 1980 erschienen Untersuchung zum „aristocratic ideal“ noch einen Abstand von mehreren Generationen zwischen der Welt Homers und jener Hesiods, was ihn zu weitreichenden Schlüssen über die inzwischen vollzogenen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen führte; vgl. Donlan (1999) 26–34. Zu dieser Tradition meint denn auch West (1995) 203: „I suspect that most of those who subscribe to an eighth-century dating do so because most other people do; they have always been led to believe that this was the approved opinion, and they are unaware of the grounds for revising it.“ Ähnlich die Polemik gegen Joachim Latacz, der als prominente Stimme weiterhin an einer Datierung im 8. Jh. festhält, in West (2012) 235: „[…] obsolete views go on exercising a pull even after being discredited, and put a brake on progress to a new position“. So folgt etwa das einflussreiche Handbuch von Osborne (2009) 151 f. der Datierung ins 7. Jh. durch West (1995), ebenso plädieren die einschlägigen Artikel im Homer-Handbuch von Kullmann (2011) 114–115, Rengakos (2011) 144–146, Rösler (2011) 203–208 und Ulf (2011a) 276 f. für eine Spätdatierung, genauso wie West (2011) in der Homer Encyclopedia. West (2012) datiert denn auch die Odyssee deutlich später in die zweite Hälfte des siebten Jahrhunderts, also tendenziell sogar später als Archilochos und in relativer zeitlicher Nähe zu Sappho und Alkaios. Burkert (1976).

2.1 Homer, Hesiod und die Gesellschaft der Epen

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schen Charakter von Burkerts Folgerung betont – schließlich könnten Geschichten vom Reichtum Thebens schon vor 663 zirkuliert haben –, die Datierung der Epen ins siebte Jahrhundert aber nochmals um wichtige Argumente ergänzt.19 Bedeutend ist vor allem sein Hinweis, dass der im 12. Gesang der Ilias geschilderte Ausblick auf die Zerstörung der Lagermauer der Griechen durch von Poseidon umgeleitete Flüsse (12,17–33) eine Geschichte ist, die eigentlich nur in einem Siedlungsgebiet ohne Holz und Stein, sondern mit Lehmmauern und mit entsprechend gewaltigen Flussläufen Sinn machen würde – konkret also eher in Mesopotamien als im eigentlichen griechischen Siedlungsraum. West geht daher von nahöstlichen Einflüssen aus und zwar basierend auf einem konkreten Ereignis, nämlich der Eroberung Babylons durch die Assyrer, die 689 mit genau dieser Technik die Lehmmauern der mesopotamischen Metropole zum Einsturz brachten.20 Eine zweite Argumentationsschiene versucht eine relative Datierung unter Zuhilfenahme der Archäologie und der in den Epen greifbaren Institutionen. Für eine Datierung ins frühe siebte Jahrhundert sprechen etwa einige in den Epen beschriebene Artefakte, die Existenz von Wagenrennen in Olympia, die Art, wie gekämpft wird, und nicht zuletzt die in neuerer Zeit deutlicher hervorgehobenen „proto-Polis“-Institutionen.21 19 20

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West (1995) mit 210 f. zu Burkerts These – weitere Argumente umfassen mögliche Abhängigkeiten der Ilias von Hesiod (208 f.) sowie Kampfweise und Ausrüstung, die ebenfalls eher ins frühe 7. Jh. passen würden (209 f.). West (1995) 211–218. Anders freilich Scodel (1982), die in dem in Il. 12,23 angesprochenen Untergang des ἡμιθέων γένος ein Reflex nahöstlicher Sintflutmythen sieht, in denen gleichfalls ein früheres Menschengeschlecht von den Göttern ausgelöscht wird; dass Poseidon die Mauer durch Flüsse zerstört, sei dem Motiv der Sintflut geschuldet – letzteres scheint mir jedoch eine arg forcierte Deutung. Problematischer für Wests These ist eher, dass in historisch hellerer Zeit durchaus auch im griechischen Mutterland Mauern mittels Flüssen gezielt zerstört werden konnten, wie Xenophons Schilderung vom Fall Mantineias zeigt (Xen. hell. 5,2,4 f.) – das Szenario muss also nicht per se auf Mesopotamien hindeuten; dennoch ist West sicher insofern recht zu geben, dass im griechischen Siedlungsraum des 8. und 7. Jh. die notwendigen logistischen Ressourcen für solch aufwendige Belagerungsmaßnahmen kaum anzunehmen sind. So führen Burkert (1976) 19 und West (1995) 210 den in Il. 11,36 f. beschriebene Gorgonen-Schild des Agamemnon an – eine Form der Verzierung, die archäologisch erst ab der Zeit um 680/70 nachzuweisen sei; einzelne Artefakte sind jedoch ein problematisches Datierungskriterium, da es sich um spätere Einschübe handeln könnte bzw. weil die Datierung solcher Artefakte oft ebenfalls mit Unsicherheiten verbunden ist. Eine vorsichtige Gesamtschau archäologischer Indizien für eine Datierung – von Schriftlichkeit über bildende Kunst, geographische Kenntnisse und Kolonisation bis hin zu Polisstrukturen und Kultpraktiken in den Epen – liefert Crielaard (1995), der auf dieser Basis einen terminus post quem im späten 8. Jh. sieht und eine Spätdatierung ins frühe 7. Jh. für sehr wohl möglich hält. Snodgrass (1998) liefert ferner eine ausgezeichnete Diskussion möglicher Anspielungen auf die Epen in der archaischen Kunst: auch hier finden sich vor dem Ende des 7. Jh. keine eindeutigen Darstellungen, welche die Existenz der Epen voraussetzen. Die Erwähnung panhellenischer Wettkämpfe mit Wagenrennen in Elis (Il. 11,698–702) führen u. a. Crielaard (1995) 257–259 und Kullmann (2011) 98; 114 ins Feld, wobei letzterer mit Paus. 5,8,7 das Jahr 680, als dieser Wettkampf angeblich eingeführt wurde, als fixen terminus post quem propagiert – das mag zwar mit Blick auf die Entwicklung der Agone als Indiz für eine Datierung nach ca. 700 gelten (s. u. Kap. 6.2), doch das von Pausanias gelieferte exakte Datum ist nicht belastbar. Weitere Indi-

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Drittens – und dies ist m. E. das gewichtigste Argument – würde eine Spätdatierung Homers die Epen in eine zeitliche Nähe zu den frühen Elegien und Iambendichtern rücken, die um die Mitte des siebten Jahrhunderts einsetzen. Mit einer Spätdatierung der homerischen Epen kann man plausibel argumentieren, dass in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts das bereits seit längerem bekannte Medium Schrift22 erstmals benutzt wurde, um Dichtung festzuhalten, und zwar nicht bloß die einer einzigen Gat-

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zien für eine Spätdatierung bieten die Kampfweise – dazu u. a. van Wees (1997) 689–693 – und die schon relativ ‚fortschrittlichen‘ Institutionen, welche die ‚homerische Gesellschaft‘ (ohne daraus direkt eine Datierung ableiten zu wollen) nicht völlig entrückt von der Polis der späteren Archaik erscheinen lassen – dazu u. a. van Wees (1992); Crielaard (1995) 239–247; Hölkeskamp (1997); Hölkeskamp (2003); Raaflaub (1997); Raaflaub (2005). Zur Übernahme und Adaption der Schrift s. (u. a.) Heubeck (1979) 73–126; Janko (2015); Marek (1993); Powell (2009) 227–244; Rösler (2011); Wachter (1996); Wirbelauer (2004). Die landläufige Datierung der Übernahme in die erste Hälfte des 8. Jh. stützt sich auf Keramikfunde mit Graffiti ab der Mitte des Jahrhunderts (die sprunghafte Zunahme an Schriftfunden ab der Jahrhundertmitte macht das argumentum e silentio für ein Fehlen von Schriftlichkeit in der Zeit davor relativ stark – die Neufunde in Methone aus dem Jahr 2012, die ebenfalls in die zweite Hälfte des 8. Jhs. datieren, bestätigen dieses Bild); sollte sich freilich die u. a. in mehren Publikationen von Nijboer propagierte Hochdatierung geometrischer Keramik bestätigen [so etwa Nijboer (2016)], müsste die Übernahme des Alphabets allerdings rund 50 Jahre früher angesetzt werden; s. in diesem Sinne Janko (2015). Die Datierung der Übernahme der Schrift ist für die Datierung der Epen jedoch nur dann direkt relevant, wenn man davon ausgeht, dass das neue Medium sehr schnell zum Festhalten langer Versepen genutzt wurde: Zwei berühmte Keramikfunde aus dem 8. Jh. – die Dipylon-Kanne und der Nestorbecher – sind mit Hexameterversen beschriftet und der Nestorbecher dürfte eindeutig auf den homerischen Helden und seinen in Il. 11,632–637 beschriebenen Kelch anspielen, doch daraus abzuleiten, dass die ursprünglich mündliche Dichtung zu diesem Zeitpunkt bereits verschriftlicht war, ist nicht zulässig; freilich hat aufgrund solcher frühen Vers-Graffiti (noch vor der Entdeckung des Nestorbechers) Wade-Gery (1952) 11–14 die These aufgestellt, die Schrift sei primär zum Festhalten von Dichtung übernommen worden. Diese These wurde in jüngerer Zeit von Morris (1986) 120–127 und dann v. a. von Powell (1991), Powell (2002) spez. 112–133 und Powell (2009) 240–242 erneut vertreten und würde eine Datierung der verschriftlichten Epen in die Mitte des 8. Jh. (oder wenn man die Keramik hochdatiert gar noch früher) zwingend erscheinen lassen; vgl. dazu auch Ernst & Kittler (2006). Diese Position fand jedoch wenig Anhänger, zumal auch linguistische Gründe dagegen sprechen: Das Protoalphabet weist noch diverse Unzulänglichkeiten in Hinblick auf das Festhalten von Dichtung auf, vgl. Wachter (2006) spez. 39 ff. Plausibler erscheint daher die weitverbreitete und letztlich naheliegendere These, wonach die Schrift zuerst für praktische ökonomische Zwecke insbesondere im Fernhandel und erst später zum Festhalten von Dichtung verwendet wurde; so etwa Heubeck (1979) spez. 150–152; den Fokus auf Schrift als Medium zur Überwindung räumlicher Distanzen (was nicht per se mit Handel identisch ist) legt Wirbelauer (2004). Die extreme Gegenposition zu Powells These einer frühen schriftlichen Fixierung vertritt Gregory Nagy, der in diversen Publikationen dafür eintrat, die homerischen Epen als fluide mündliche Tradition zu sehen, die frühestens unter Peisistratos eine kanonische Fixierung in schriftlicher Form erlebten – vgl. etwa Nagy (2004). Gegen diese Position sprechen jedoch m. E. zu viele Argumente, etwa die doch auffallend geringe Rolle Athens in den Epen, die gegen grundlegende inhaltliche Eingriffe durch eine ‚athenischen Revision‘ spricht [so bereits Finley (2005) 37], oder die Dolonie, die als ‚Fremdkörper‘ klar erkennbar ist, was für eine schriftliche Fixierung des restlichen Textes in der Zeit zuvor spricht; dazu Danek (2012). Nagy scheint daher – wenn auch eine gewichtige Stimme der Homerforschung – doch weitgehend isoliert.

2.1 Homer, Hesiod und die Gesellschaft der Epen

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tung oder gar nur eines einzigen Autors.23 Im frühen und mittleren siebten Jahrhundert gerieten demnach, wie Wolfgang Rösler es formulierte, „offenbar alle poetischen Gattungen, die zuvor bereits als mündliche Gattungen miteinander koexistiert haben, in den Sog der Schriftlichkeit: das Epos, die melische Dichtung, der Iambos und die Elegie.“24 Wer von einer Fixierung der homerischen Epen bereits in der Mitte des achten Jahrhunderts ausgeht, muss dagegen erklären, weshalb diese Innovation über mehrere Generationen auf einen einzigen ‚Autor‘ beschränkt blieb.25 Es sind letztlich nicht die einzelnen Argumente – die für sich allein genommen jeweils hypothetisch bleiben müssen – wohl aber ihre Bündelung, die dazu führt, dass eine Datierung der homerischen Epen in die erste Hälfte des siebten Jahrhunderts heute zunehmend als akzeptiert gilt.26 Sehr problematisch erscheint mir dagegen eine zeitliche Binnendifferenzierung, die eine Entwicklung von der Ilias zur Odyssee und schließlich zu Hesiod sehen möchte: Abgesehen von der Problematik, eine relative Chronologie zu erstellen,27 dürften die unterschiedlichen Themen der einzelnen Epen wesentlich mehr zu den inhaltlichen Unterschieden beitragen als ein möglicherweise vorhandener zeitlicher Abstand. Methodisch sauberer ist es daher, die frühen Epen als ungefähr zeitgleich zu betrachten. Die panhellenische Rezeption spricht ferner dafür, dass sich mögliche lokale Idiosynkrasien eher in Grenzen halten. Für die Frage, wie man die Epen als Quelle für eine Gesellschaftsgeschichte nutzen kann, ergeben sich daraus Folgerungen für die Ausgangshypothese (deren hypo23 24 25

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Dazu Rösler (2011) spez. 206–208. Für eine relative Chronologie der frühen Epik auch im Vergleich zur restlichen Dichtung s. ferner West (2012). Rösler (2011) 208. Die Neufunde aus Methone mit dem Akesander-Becher, der ein iambisches Versmaß zu haben scheint, macht es für die Anhänger einer Frühdatierung der Verschriftlichung Homers – pace Janko (2015) 23–27 – umso erklärungsbedürftiger, weshalb zwar auf der Keramik des 8. Jhs. verschiedene Versmaße festgehalten werden, auf anderen Materialien aber angeblich nur die Hexameterepen Homers. Einzelheiten und v. a. die relative Chronologie sind freilich weiterhin umstritten. So datiert etwa West (2012) die Odyssee in die zweite Hälfte des 7. Jh. und Hesiod zeitlich klar vor der Ilias ins erste Viertel des 7. Jhs.; Janko (2012) dagegen hält mit einer statistischen Auswertung linguistischer Eigenheiten nicht nur an der traditionellen Datierung Homers vor Hesiod fest, sondern propagiert auch eine stilistisch hohe Übereinstimmung von Ilias und Odyssee, die er daher ohne großen zeitlichen Abstand einem Autor zuschreiben möchte; Janko (2015) 23–27 versucht (mit m. E. wenig überzeugenden Argumenten) ‚Homer‘ nochmals deutlich ins 8. Jh. hinauf zu datieren ( Janko wie West nehmen dabei Bezug auf ihre diversen früheren Arbeiten zu dem Thema – s. die genannten Beiträge für die einschlägigen älteren Publikationen). Die Datierung Hesiods in die erste Hälfte des 7. Jhs. ist weitgehend akzeptiert, doch auch sie ist von vielen Unsicherheiten begleitet, denn der Bezug zum „lelantischen Krieg“, den man lange Zeit als Fixpunkt nahm, ist einerseits schwach und andererseits ist dieser Krieg selbst in jüngster Zeit in seiner Historizität grundsätzlich in Zweifel gezogen worden: vgl. Hall (2007) 1–16. Zur Debatte um die Datierung Hesiods – mit weitgehend agnostischem Ergebnis – s. Kõiv (2011); einen optimistischeren Versuch, eine Chronologie des frühgriechischen Epos herzustellen, bietet West (2012).

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

thetischer Charakter freilich unterstrichen werden muss). Denn wenn die Epen Homers und Hesiods ungefähr gleichzeitig in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts schriftlich fixiert wurden, dann kann man Hesiod nicht mehr als Spiegel einer bereits weiterentwickelten Gesellschaft lesen, sondern als Parallelquelle, die dabei helfen kann, die ‚heroische Distanzierung‘ der Heldenepik als solche zu erkennen. Insbesondere das Lehrgedicht Werke und Tage (Erga kai hemerai), das zwar formell ebenfalls ein Hexameterepos ist, aber inhaltlich ein ganz anderes Genre darstellt – das man wohl am ehesten anachronistisch als ‚Hausväterliteratur‘ bezeichnen darf –, bietet ein wertvolles Korrektiv, das es erlaubt, die heroischen Übertreibungen in der Ilias und der Odyssee als solche zu erkennen und in einen lebensweltlichen Kontext zu stellen. Dies ist denn auch der Ansatz, der im Folgenden gewählt werden soll. Dabei soll der dezidiert bäuerliche Hintergrund der Epen herausgearbeitet und für eine Sozialgeschichte der Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts fruchtbar gemacht werden. Dies geschieht nicht zuletzt auch in Anschluss an jene Arbeiten, die den Umbruchcharakter des achten und frühen siebten Jahrhunderts betonen, in dem es eben noch keinen stabilen ‚Adel‘ gab, sondern bestenfalls, wie Kurt Raaflaub es formulierte, „an aristocracy-in-formation“.28 2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen Die Welt der homerischen Epen ist stark bäuerlich geprägt. In einem wichtigen Aufsatz hat Herman Strasburger diesen grundlegenden Aspekt der homerischen ‚Sozialgeschichte‘ herausgearbeitet und mit dem Verweis auf die agrarische Grundlage homerischer oikoi, die Wertschätzung bäuerlicher Arbeit und nicht zuletzt die zahlreichen aus dem Bereich der Landwirtschaft stammenden Gleichnisse betont, dass die homerischen Helden keineswegs ritterliche Aristokraten, sondern im Kern bloß bessere Großbauern waren, deren ausgeprägtes Nützlichkeitsdenken jenem Hesiods nicht unähnlich ist.29 28 29

Raaflaub (1997) 648. Vgl. u. a. Stein-Hölkeskamp (1989) 15–56 und für eine Entwicklungsgeschichte im Kontext neoevolutionärer Modelle von Gesellschaftsentwicklung und ‚Staatsentstehung‘ Donlan (1989a) sowie v. a. Ulf (1990a) und Ulf (2001). Strasburger (1953). Anders als Finley analysiert Strasburger die Epen denn auch klar vor dem Hintergrund der Zeit des Dichters selbst und sieht – analog zu der hier gewählten Vorgehensweise – keine grundlegende gesellschaftliche Entwicklung zwischen Ilias, Odyssee und Hesiod. Die Idee, alte ritterliche Ideale, die in der Ilias noch sichtbar seien, würden von einem neuen bürgerlich-utilitaristischen Gedankengut verdrängt, das in der Odyssee und dann vor allem in Hesiods Erga zum Ausdruck komme, lehnt er ab und betont, eher sei die umgekehrte Entwicklung zu propagieren: Die Epen sind fest im „Rustikalen“ verankert, doch „[i]n der Herrenschicht geht der Zug der Zeit vom Altväterisch-bäurischen weg auf rittermäßige Ideale zu“ (ebd. 112) – ganz im Sinne von Raaflaubs „aristocracy-in-formation“ (s. o.). Zum bäuerlichen Hintergrund der Epen Homers und Hesiods jetzt auch Ulf & Kistler (2020) 74–76 und 187 f.

2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen

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2.2.1 ‚Bauernadel‘ und Arbeitsethos Dass die ökonomische Grundlage der einzelnen Helden in ihrem oikos liegt, ist unbestritten – ebenso der Umstand, dass diese Grundlage agrarischer Natur war. So erklärt etwa auch Will Richter in seiner Untersuchung zur Landwirtschaft im homerischen Zeitalter: „Auch der Adel war ein Bauernadel, ja Bauerntum war im umfassendsten Sinne die eigentliche adelige Lebensform.“30 Kennzeichnend für diesen ‚Bauernadel‘ erscheint vor allem sein Arbeitsethos:31 Die homerischen Helden sind keine ‚müßige Klasse‘, die auf körperliche Arbeit verzichten kann. Dies ist umso bemerkenswerter, weil ja eben gerade keine ‚reale‘ Gesellschaft geschildert wird, sondern eine mythologische Zeit ruhmvoller und reicher Helden. Hier zeigen sich die Grenzen des Vorstellbaren: Eine Welt ohne manuelle Arbeit ist für den Dichter nicht denkbar. Arbeit lauert in den Epen auch dort im Hintergrund, wo es in der vordergründigen Handlung um ganz andere Dinge geht. Als Telemachos in der Odyssee eine Volksversammlung einberuft, um sich über die Freier, die seine Mutter bedrängen, zu beklagen, ergreift Aigyptios als erster das Wort. Er ist der Vater eines der Freier und wird als ein vom Alter gezeichneter „Heros“ beschrieben, dem offenkundig die Autorität zukommt, als erster zu sprechen. Das Epos zeichnet ihn also klar als Mitglied der lokalen Oberschicht, doch sowohl die Brautwerbung des Sohnes als auch die Präsenz des Vaters in der Volksversammlung werden dadurch abgesichert, dass zwei weitere Söhne arbeiten, beziehungsweise, wie der Dichter meint, sich stets um die patroia erga kümmern.32 Mit erga dürften hier wie auch andernorts in den Epen die Felder gemeint sein, beziehungsweise generell die landwirtschaftliche Arbeit, das primäre ergon eines freien Mannes in Friedenszeiten.33 Auch die übrigen Teilnehmer an der Volksversammlung sind keine müßigen Aristokraten, sondern werden durch die Versammlung von ihren erga abgehalten, was deutlich wird, als Leokritos die Versammlung auflöst, indem er die laoi auffordert, nun zu den erga zurückzukehren.34 Hesiods Bemerkung in den Werken und Tagen, dass man der Agora fernbleiben solle, wenn man keine Rücklagen besitze,35 gewinnt hier an historischer Kontur: Eine müßige

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Richter (1968), 6. Zur bäuerlichen Lebensform als Grundlage der Organisation der homerischen Gesellschaft auch Ulf (1990a) 175 ff. Der Begriff als solcher ist (genau wie ‚Arbeit‘) für die Antike problematisch, s. Meier (2003) spez. 19–22; 25–30, soll hier aber dennoch, um den Kontrast zur adligen ‚Muße‘ hervorzuheben, verwendet werden. Hom. Od. 2,15–24; 22 zu den erga. Im Sinne von Feldarbeit oder Feld begegnet ergon in Hom. Il. 2,751; 5,92; 12,283; 16,329; 17,549; Od. 2,22; 2,127; 2,252; 4,318; 6,259; 14,222; 14,344; 15,505; 16,140; 16,144; 16,314; 18,288; 24,388. Zu dieser Bedeutung von ergon s. auch Richter (1968) 5 f. Hom. Od. 2,252. Hes. erg. 27–32.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Schicht, die ohne Weiteres abkömmlich war, gab es nicht.36 Für die Volksversammlung musste man entweder die Arbeit ruhen lassen oder aber man hatte wie Aigyptios Söhne, die einen entlasteten. Dies trifft selbst für jene Gruppe zu, die vor einiger Zeit von Peter Rose als Prototyp einer neuen müßigen Klasse gedeutet wurde,37 nämlich die Freier Penelopes. Auch wenn diese Herren primär dadurch auffallen, dass sie Odysseus’ Gut aufzehren, so ist doch völlig klar, dass es sich bei diesen dauernden Gelagen nicht um eine neue, der bäuerlichen Plackerei enthobene Lebensweise handelt, sondern um eine Ausnahmesituation. Wie Egon Flaig und Winfried Schmitz plausibel argumentiert haben, sollte dieses ‚Ausfressen‘ als Rügebrauch angesehen werden, mit dem Penelope und ihr Sohn gezwungen werden sollten, einer Heirat zuzustimmen – dies durchaus in Einklang mit den geltenden Normen.38 Dass die Freier danach wieder zu den erga zurückkehren werden, wird zweimal explizit gesagt.39 Die geschilderte Gesellschaft mag fiktiv sein, doch fressende Freier und debattierende Ithakeser waren für den Dichter offenbar nur in einer Welt vorstellbar, in der normalerweise gearbeitet wurde. Dies ist umso bemerkenswerter, weil die Verweise auf die wartende Arbeit für die eigentliche Handlung keine Rolle spielen – man kann daher mit der notwendigen Vorsicht klar postulieren, dass sich hier die lebensweltliche Erwartungshaltung von Dichter und Publikum manifestiert, für die eine müßige Klasse ganz ohne Arbeit selbst in einer Welt sagenhaft reicher Heroen nicht denkbar war. Arbeit begegnet auch sonst durchgängig. Dass sich Helden sowie ihre Frauen und Kinder eigenhändig um ihre Tiere kümmern, erscheint selbstverständlich40 – sogar die Götter versorgen ihre Pferde selbst!41 Homerische Helden sind zwar unermesslich reich und besitzen riesige Herden, doch als Hirten begegnen regelmäßig könig-

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Der Versuch von van Wees (2013b) 245. Anm. 1, den Begriff „leisured“ dahingehend zu relativieren, dass es sich dabei um Landbesitzer handle, die über abhängige Arbeitskräfte verfügen und damit im Prinzip ein müßiges Leben führen könnten, selbst wenn sie in der Regel durchaus arbeiten, verkennt das Grundprinzip der Muße als Distinktionsmerkmal im Sinne von Veblen (1986): Die Option allein reicht nicht, sondern es braucht die performative Umsetzung – Landbesitzer, die zwar über Arbeitskräfte verfügen, aber dennoch arbeiten und dies wie in den Epen gar mit einem ausgeprägten Arbeitsethos verbinden, sind keine ‚müßige Klasse‘. Rose (2012) spez. 159–165; Rose stützt sich dabei stark auf die Überlegungen von Edwards (1993), der eine ausgeprägte Dichotomie zwischen Stadt (als Ort der müßigen Elite) und Land ausmachen will – die Ausnahmesituation des „Ausfressens“ und die feste Erwartung, danach zu den erga zurückkehren zu müssen, zeigt aber, dass diese Dichotomie so nicht haltbar ist. Flaig (1995); Schmitz (2004) 320–329. Hom. Od. 2,127; 18,288. Hom. Il. 5,271 (Anchises füttert seine Pferde); 8,185–190 (Andromache pflegt und füttert Hektors Pferde); 24,247–280 (Söhne des Priamos spannen den Wagen an); Od. 3,475–478 (Söhne Nestors spannen den Wagen an); 7,4–6 (Brüder der Nausikaa spannen den Wagen ab und versorgen die Maultiere). Hom. Il. 5,369; 8,49 f.; 13,23; 13,34–38; vgl. Strasburger (1953) 105.

2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen

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liche Prinzen.42 Paris baut sein eigenes Haus,43 Priamos’ Sohn Lykaion fertigt seinen eigenen Wagen,44 Odysseus baut nicht nur eigenhändig sein Schlafgemach, sondern zimmert auch sein eigenes Bett45 und Laertes hat sich sein Landgut selbst geschaffen, also neues Land urbar gemacht, und bebaut es noch im Alter gemeinsam mit seinen Sklaven, von denen er äußerlich nicht zu unterscheiden ist.46 In einer seiner Lügengeschichten gibt Odysseus vor, einen kretischen Prinzen erschlagen zu haben – und zwar als dieser vom Feld nach Hause kam.47 Arbeit ist dementsprechend nicht verachtet, sondern geschätzt. Für Frauen ist es eine besondere Auszeichnung, wenn sie in erga – in diesem Fall typisch weibliche Arbeiten wie Textilverarbeitung – kundig sind, und zwar völlig gleichgültig, ob es sich um Freie oder Sklavinnen handelt.48 Selbst Göttinnen verarbeiten Textilien und zwar nicht nur ‚kleine‘ Gottheiten wie Kalypso oder Kirke:49 Auch Athene trägt einen Peplos, den sie selbst gefertigt hat.50 Dem als Bettler verkleideten Odysseus wird gleich mehrfach unterstellt, er verstehe sich nur auf kaka erga und scheue echte Arbeit.51 Bezeichnend ist nicht nur die Beleidigung, sondern Odysseus’ Reaktion. Während er dem Ziegenhirt Melantheus gegenüber seinen

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So ergriff Achill die Priamos-Söhne Isos und Antiphos beim Hüten der Schafe (Hom. Il. 11,104– 106) und Aeneas schlug er beim Hüten der Rinder auf dem Ida in die Flucht (Il. 20.188–190); Athene erscheint Odysseus in Gestalt eines Schafhirten, wie es eben Kinder von anaktes seien (Od. 13,222 f.). Bei Eumaios – ebenfalls einem Königssohn – fragt Odysseus, ob er als Kind beim Hüten der Herden geraubt worden sei: Od. 15,386 f. Hom. Il. 6,313–315 – freilich baute er nicht allein, sondern zusammen mit den aristoi unter den tektones andres. Hom. Il. 21,35–38. Hom. Od. 23,189–201. Hom. Od. 24,205–212 zum Gut und 24,226–257 zur Begegnung von Odysseus mit Laertes, der in Arbeitskleidung den Garten pflegt und von seinem Sohn zum Schein für einen Sklaven gehalten wird. Hom. Od. 13,267–270 – der Umstand, dass es Nacht war, zeigt ferner, dass bis Sonnenuntergang gearbeitet wurde, was dem Bild des Pflügers in Od. 13,31–35 entspricht (s. u.), der erst beim Schwinden des Tageslichts sein Tagwerk beendet. Hom. Il. 1,115 (Chryseis steht Klythaimnestra bzgl. erga in nichts nach); 9,128 = 9,270 (in erga kundige Frauen als Geschenk für Achill); 9,390 (Achill möchte keine Tochter Agamemnons, sei sie auch noch so kundig in erga); 13,432 (Hippodameia zeichnet sich durch erga aus); 18,420 (künstliche Frauen Hephaists haben von den Göttern erga gelernt); 23,263 und 23,705 (Sklavinnen, die Achill als Preis vergibt, sind in erga kundig); Od. 2,117 (Penelope versteht sich auf schöne erga); 7,108–111 (Phaiakinnen zeichnen sich durch ihre erga vor anderen Frauen aus); 13,289 (Athena erscheint in Gestalt einer in erga kundigen Frau); 15,218 (Sklavin von Eumaios’ Vater ist in erga kundig); 20,72 (Athene lehrt Frauen erga kluta); 24,278 f. (Odysseus erhält vier schöne und in erga kundige Frauen als Gastgeschenk). Dass alle Frauen unabhängig von ihrem Status erga zu erfüllen haben, zeigen ferner zahlreiche Passagen: Il. 3,422; 6,289; 6,324; 6,490–492; Od. 1,356–358; 4,683; 7,103–111; 19,514; 21,239; 21,350; 21,385; 22,421–423. Zur Bedeutung weiblicher erga und der geschlechtlichen Arbeitsteilung s. u. S. 102 f. Kalypso: Hom. Od. 5,61–74; Kirke: Od. 10,222–223. Hom. Il. 5,734 f. Hom. Od. 17,226–228; 18,362–364; 20,378 f.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Zorn hinunterschluckt, bietet er dem Freier Eurymachos an, sich mit ihm in einem „Arbeits-Wettstreit“ (ἔρις ἔργοιο) zu messen: Sowohl beim Grasmähen als auch beim Pflügen würde er sich bewähren.52 Diese erga sind offenbar einem freien Mann durchaus angemessene Tätigkeiten, daher erfolgt die Herausforderung auch an Eurymachos und nicht an den unfreien Ziegenhirten. Sie sind als Tätigkeiten zu Friedenszeiten auf einer Ebene mit den kriegerischen erga zu sehen. Denn nicht nur am Pflug, so fährt Odysseus fort, auch im Krieg verstünde er es, seinen Mann zu stehen.53 Dieses Nebeneinander von bäuerlicher und kriegerischer Arbeit, ohne dass letztere gegenüber der ersteren privilegiert würde, ist typisch für die homerischen Epen: Arbeit und Leistung als solche sind ein positiver Wert. So betont der Kreter in Odysseus’ Lügengeschichte, dass ihm Krieg mehr liege als die Landwirtschaft (ἔργα) – das ist aber kein besonders ‚aristokratisches‘ Verhalten, sondern nötigt dem Kreter eine fast schon entschuldigende Erklärung ab: Ein Gott habe ihm das wohl in den Sinn gegeben; ein anderer Mann erfreue sich an anderen Arbeiten (ἔργα).54 Wichtig ist jedoch, dass man arbeitet und ‚Werke‘ vollbringt. Fehlende Leistung ist dementsprechend ein Makel, wie etwa der Vorwurf an Agamemnon deutlich macht, er werde nur wegen seines Szepters von den Achaiern geehrt.55 Und Achill klagt über die verkehrte Welt, die durch das Verhalten ebendieses Agamemnon entstanden sei, in welcher der nicht arbeitende Mann (ἀεργὸς ἀνὴρ) die gleiche Ehre (τιμή) genieße wie der arbeitende.56 Hesiods Aufforderungen, sich der Arbeit zu widmen, und vor allem seine Verurteilung der Arbeitsscheuen57 sind daher nicht Postulate einer gänzlich anderen Schicht, sondern mit dem Wertehorizont homerischer Helden durchaus zu vergleichen. Es gibt freilich auch Arbeit, die sich für Bessergestellte nicht schickt: Feuermachen, das Zubereiten von Fleisch und das Bedienen bei Tisch übernehmen in den Epen fast ausschließlich Gefolgsleute (θεράποντες) oder „Herolde“ (κήρυκες).58 Der als Bettler verkleidete Odysseus bietet sich denn auch an, solche Arbeiten für die Freier zu über52 53 54 55 56 57

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Hom. Od. 18,366–375. Hom. Od. 18,376–380. Anders Edwards (1993) 70–77, der hierin einen Gegensatz zwischen aristokratischen und bäuerlich-ländlichen Tätigkeiten sieht – vor dem Hintergrund des sonst sichtbaren Arbeitsethos’ homerischer Helden ist eine solche Unterscheidung aber nicht haltbar. Hom. Od. 14,222–228. Hom. Il. 9,38. Hom. Il. 9,318–320. Hes. erg. 17–26; 298–316; 498–501. Anders Meier (2003) 34 f. der davon ausgeht, dass Hesiod hier eben gerade nicht etwas Selbstverständliches formuliert (da es sonst nicht formuliert werden müsste); diese Interpretation unterschätzt aber den Sprichwortcharakter der Zeilen, die eben gerade allgemeingültige Weisheiten formulieren, vgl. Schmitz (2004) 42–52. Außerdem muss dann mit einer zeitlichen Entwicklung zwischen Homer und Hesiod gerechnet werden, denn dass homerische Helden (noch) arbeiten, sieht Meier (2003) 30–32 durchaus. So bereitet der therapon Patroklos das Essen zu, wenn Achill Gäste hat: Hom. Il. 9,201–220; bei Menelaos sind es therapontes, die sich um die Aufnahme der Gäste kümmern: Od. 4,22–38. Zu den „Herolden“ als Diener im oikos s. Tietz (2011) spez. 60–62; oft werden kerykes und therapontes auch synonym verwendet: ebd. 59 f.

2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen

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nehmen, „wie es die geringeren Leute den Edlen als Dienste verrichten.“59 Allerdings stellt er auch fest, dass Hermes sämtlichen Arbeiten Anmut (χάρις) und Ehre (κύδος) verleihe.60 Zentral scheint jedoch weniger die Arbeit als solche zu sein – arbeiten tun schließlich alle –, sondern die Frage, inwieweit sie selbstbestimmt ist. Wenn sich Odysseus als Bettler bei den Freiern verdingt, so dient er zwar anderen, er tut es aber immerhin noch freiwillig. Explizit als schändlich bezeichnete Arbeit ist in den Epen denn auch primär gänzlich fremdbestimmtes Arbeiten. So klagt Andromache nach Hektors Tod, dass ihr Sohn Astyanax entweder bei der Erstürmung Troias getötet, oder aber verschleppt werden wird, um schändliche Arbeiten (ἔργα ἀεικέα) für einen unerbittlichen Herrn zu verrichten.61 Die Art der Tätigkeit scheint dabei nur bedingt eine Rolle zu spielen. So sieht auch Zeus die Taten seines Sohnes Herakles als schändliche Arbeit an, da er diese im Dienste des Eurystheus vollbringen musste.62 In der Odyssee ist die Perspektive, unter Zwang zu arbeiten, ein Synonym für Versklavung.63 Wenn der Zwang fehlt, so arbeiten Sklaven denn auch nicht richtig, wie Eumaios dem Odysseus erläutert: Wollen doch die Knechte, wenn ihnen die Herren nicht mehr befehlen, alsdann auch nicht mehr das Gebührliche arbeiten! Denn es nimmt der weitumblickende Zeus dem Manne die Hälfte seiner Qualität (areté), wenn ihn der Tag der Knechtschaft ergriffen hat.64

Das fehlende Arbeitsethos des Sklaven wird kausal über γάρ mit der Halbierung seiner ἀρετή verknüpft. Leistungsbereitschaft ist also gerade das, was den freien Mann gegenüber dem Sklaven auszeichnet und was ihm ἀρετή verleiht. Es ist dieses Arbeitsethos, das die homerischen Helden grundsätzlich von späteren Adelsgesellschaften unterscheidet: So sah Simmel in seiner Adelsdefinition die Ablehnung von Arbeit als ein zentrales Charakteristikum von ‚Adel‘,65 und auch Strasburger hob in seinem Aufsatz diesen zentralen Unterschied zum französischen oder deutschen Ritteradel des Mittelalters hervor, „der nicht arbeitet und das Bauerntum verachtet, der wirklich nur noblen Passionen lebt und sich von der Welt der Arbeit ideologisch abschließt.“66 In Hinblick auf die hier verwendete idealtypische Adelsdefinition ist es vor allem die mit diesem Arbeitsethos einhergehende Einforderung

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Hom. Od. 15,324 (Übers. W. Schadewaldt): οἷά τε τοῖς ἀγαθοῖσι παραδρώωσι χέρηες. Hom. Od. 15,319 f. Hom. Il. 24,732–734. Hom. Il. 19,133. Hom. Od. 14,272; 17,441. Hom. Od. 17,320–324 (Übers. nach W. Schadewaldt): δμῶες δ’, εὖτ’ ἂν μηκέτ’ ἐπικρατέωσιν ἄνακτες, / οὐκέτ’ ἔπειτ’ ἐθέλουσιν ἐναίσιμα ἐργάζεσθαι· / ἥμισυ γάρ τ’ ἀρετῆς ἀποαίνυται εὐρύοπα Ζεὺς / ἀνέρος, εὖτ’ ἄν μιν κατὰ δούλιον ἦμαρ ἕλῃσιν. Simmel (1908) 742 f. Strasburger (1953) 107.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

von Leistung, die der Vorstellung einer essentialisierten von persönlicher Bewährung losgelösten ‚Adleigkeit‘ im Wege steht (verbunden mit den tendenziell prekären Verhältnissen, welche einem die Gefahr eines ökonomisch bedingten Abstiegs bei ausbleibender Arbeitsleistung stets vor Augen halten). Es besteht daher auch eine nicht unerhebliche Differenz zum Idealbild des klassischen Polisbürgers, der in Muße leben und nur dank dieser Muße als Bürger am politischen Leben teilnehmen konnte,67 der also zumindest in dieser Hinsicht – entgegen dem gängigen Narrativ, das die Entwicklung von einem archaischen ‚Adel‘ zum ‚Bürgertum‘ der Klassik sieht – einem eigentlichen Adel sehr viel näher stand als die bäuerlich geprägten homerischen Helden. 2.2.2 Der lebensweltliche Erwartungshorizont des Publikums Ein bäuerlicher Hintergrund prägte nicht nur die Welt der Helden, sondern auch den Erwartungshorizont des Publikums. Die Idee, homerische Heldendichtung sei an ein ‚aristokratisches‘ Publikum gerichtet gewesen, das mit den Schriften des ‚Bauerndichters‘ Hesiod nichts anzufangen wusste, ist verfehlt und basiert auf anachronistischen Vorstellungen von Adel und Aristokratie. Die Blüten, die solche Grundannahmen getrieben haben, reichen von der Vorstellung, die Ilias könne nur im Austausch mit den Luwiern in Anatolien entstanden sein, da im eigentlichen griechischen Kernland ein für diese Art Dichtung notwendiger ‚Adel‘ fehlte,68 bis hin zur These, Hesiods Erga seien nur schriftlich im Privaten, quasi als eine Art subversive, bäuerliche Gegenkultur, verbreitet worden, da ein ‚öffentlicher‘ Vortrag solch adelskritischer Dichtung in einer adlig dominierten Gesellschaft nicht möglich gewesen wäre.69 Wenn man jedoch nicht a priori von zwei getrennten Welten ausgeht, so gibt es sehr viel, was die Epen Homers und Hesiods Erga verbindet und auf einen vergleichbaren lebensweltlichen Hintergrund des jeweiligen Publikums hindeutet – in Anbetracht der völlig unterschiedlichen Thematik der Werke sogar überraschend viel. Nebst dem Arbeitsethos homerischer Helden, der einen direkten Bezug zu Hesiod nahelegt, zeigt sich die bäuerliche Prägung des Publikums vor allem in den zahlreichen Gleichnissen.70 Gleichnisse sind nicht per se vom Stoff des Epos vorgegeben und spiegeln daher sehr viel unmittelbarer die Lebenswelt des Dichters und seines Publikums wider. Hier fällt nun die Vielzahl agrarischer Themen auf, die gerade in der thematisch völlig anders 67

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Zum Ideal der Muße s. Veyne (1988) 19–33. Dass dieses Idealbild und die damit verbundene Abwertung der „Banausen“ tendenziell erst in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts als aristokratische Reaktion auf die Demokratie entstanden ist, betont Meier (2003) 63–65; 73–76. Dazu auch u. Kap. 8.3, bes. S. 361 f. Högemann (2000). Tandy (1997) 194–201. Eine Besprechung der Gleichnisse bietet Fränkel (1921) spez. 41–47 zu Gleichnissen aus dem Feldbau.

2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen

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gelagerten Ilias herangezogen werden, um Ereignisse metaphorisch zu umschreiben: Das Heer der Troianer wird mit einer Herde blökender Schafe im Gut eines reichen Mannes verglichen.71 Die beiden Heere stehen einander gegenüber wie zwei Männer, die sich über den Verlauf der Feldgrenze streiten.72 Troianer und Achaier stürmen aufeinander zu wie Schnitter, die Weizen oder Gerste auf dem Feld eines wohlhabenden Mannes mähen.73 Der große und der kleine Aias kämpfen Seite an Seite wie zwei pflügende Stiere im Joch.74 Als der große Aias in der Schlacht zurückweicht, vergleicht ihn der Dichter mit einem störrischen Esel, der die Saat auf den Feldern fressen will und sich kaum von den Schlägen der Knaben beeindrucken lässt, die ihn vertreiben wollen.75 Als Achill vom Flussgott Skamander bedrängt wird, klagt er, dass er nun sterben müsse, wie ein Schweine hütender Knabe, der bei Winterregen von einem Wildbach weggerissen wird.76 Selbst wenn Helden mit Löwen verglichen werden, so geschieht dies häufig in einem agrarischen Kontext: Der Löwe ist ein Raubtier, das Hirten und ihre Herden bedrängt oder das als Schädling vom ganzen demos gejagt wird.77 Achills Pferde trampeln die Troianer nieder, wie Rinder unter dem Joch auf der Tenne mit ihren Hufen Gerste dreschen.78 Diese Gleichnisse setzen die heroische Handlung des Epos in Bezug zu Alltagsbildern, die Dichter und Publikum eher vertraut gewesen sein dürften: Bilder aus der Welt von Bauern und Hirten. Der Nebel im Gebirge, den Hirten fürchten, weil er Räuber unsichtbar werden lässt, war dem Publikum also tendenziell geläufiger als die gewaltige Staubwolke, die das troianische Heer aufwirbelt und die der Dichter durch den Vergleich mit dichtem Nebel zu veranschaulichen sucht.79 Wenn der Dichter schließlich erklärt, Dolon sei so weit gerannt, wie Maultiere im Joch pflügen, und dann noch erläutert, Maultiere seien nämlich die besseren Pflugtiere als Ochsen, so wird die Heldendichtung schon fast zum didaktischen Agrarhandbuch.80 In der Odyssee werden Gleichnisse spärlicher eingesetzt. Entsprechend finden sich auch weniger agrarische Vergleiche – wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Welt der Bauern und Hirten auch jene ist, in der ein wesentlicher Teil der Handlung spielt. Dennoch findet sich gerade in diesem Epos ein besonders markantes Bild, das die bäuerliche Lebenswelt, aus der die Dichtung stammt, deutlich werden lässt: Im 13. Gesang

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Hom. Il. 4,433–436. Hom. Il. 12,421–423. Hom. Il. 11,67–69. Hom. Il. 13,703–708. Hom. Il. 11,558–562. Hom. Il. 21,282 f. Hom. Il. 17,657–664; 18,161 f.; 20,164–174. Vgl. Fränkel (1921) 63 f.; 67 f. Hom. Il. 20,495–497. Hom. Il. 3,10–14. Hom. Il. 10,351–353. Pflügende Maultiere im Kontext von Längenangaben auch bei Od. 8,124.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

schildert der Dichter, wie Odysseus auf den Sonnenuntergang wartet und sich nach der Heimkehr sehnt: Und wie wenn ein Mann nach dem Nachtmahl begehrt, dem den ganzen Tag zwei weinfarbene Rinder den festen Pflug über das Brachland zogen, und willkommen ging ihm das Licht der Sonne unter, dass er zum Nachtmahl davongehe, und geschwächt sind ihm die Knie, während er dahingeht: so willkommen ging dem Odysseus das Licht der Sonne unter.81

Doch nicht nur die Gleichnisse geben Aufschluss über die Lebenswelt von Dichter und Publikum, sondern auch die Grenzen der Imaginationskraft, die dem Dichter zur Verfügung steht. Dass homerische Helden sagenhaft reich sind, darf nicht mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts verwechselt werden: Bemerkenswert ist vielmehr, wie beschränkt die Vorstellungen von Reichtum letztlich sind. Es wurde bereits erläutert, dass eine Welt adliger Muße außerhalb des Vorstellbaren lag.82 Doch auch der gewaltige Reichtum homerischer Helden ist sehr relativ und das allgegenwärtige Bewusstsein um die Begrenztheit von Ressourcen scheint an vielen Stellen durch. Bei Hesiod ist der Hunger als drohendes Übel allgegenwärtig und entsprechend groß ist die Sorge, unnütze Esser im Haus zu haben.83 Die homerischen Helden dagegen scheinen in einer Welt des Überflusses zu leben und fast andauernd zu tafeln.84 Doch das ist keine Schilderung realer Zustände, sondern entspricht der Vorstellung des Dichters und seines Publikums von einem sorgenfreien Leben in Reichtum: Reichtum manifestiert sich ganz wesentlich darin, dass man genug zu essen hat, was umgekehrt auf die prekären Verhältnisse schließen lässt, in der die Dichtung entstand. Demonstrativer Konsum, der auf eine Verfeinerung der Speisen abzielt, spielt dagegen kaum eine Rolle: Die Freier Penelopes erhalten von Eumaios jeweils die ausgewachsenen, besonders fetten und kalorienreichen Schweine, während die Frischlinge – also das besonders zarte, aber weniger nahrhafte Fleisch – die Speise der Sklaven ist.85 Wie James Davidson hervorgehoben hat, fehlen denn auch Fische, die in späterer Zeit die Luxusspeise par excellence darstellten, weitgehend, stattdessen finden Festmähler fast ausschließlich im Kontext von Opfern statt – was wiederum gerade den Ausnahme-

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Hom. Od. 13,31–35 (Übers. W. Schadewaldt): ὡς δ’ ὅτ’ ἀνὴρ δόρποιο λιλαίεται, ᾧ τε πανῆμαρ / νειὸν ἀν’ ἕλκητον βόε οἴνοπε πηκτὸν ἄροτρον· / ἀσπασίως δ’ ἄρα τῷ κατέδυ φάος ἠελίοιο / δόρπον ἐποίχεσθαι, βλάβεται δέ τε γούνατ’ ἰόντι· / ὣς Ὀδυσῆ’ ἀσπαστὸν ἔδυ φάος ἠελίοιο. Vgl. hierzu auch Strasburger (1953) 113. S. o. Kap. 2.2.1. Hes. erg. 298–302; 363; 368 f.; 393–400; 404; 498–501; 559 f.; 703 f. Vgl. Strasburger (1953) 103. Hom. Od. 14,80 f.

2.2 Der bäuerliche Hintergrund der Epen

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charakter der üppigen Gelage unterstreicht.86 Dass Menschen sich von den Göttern dadurch unterscheiden, dass sie „die Früchte des Feldes essen“,87 macht denn auch deutlich, dass die alltägliche Ernährung Getreide und nicht (Opfer-)Fleisch war.88 Immer genügend zu Essen und zu Trinken zu haben, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg, das denn auch ein wesentliches Merkmal der herausgehobenen Ehrenstellung eines basileus darstellt.89 Daraus erwachsen Verpflichtungen: Agamemnon hält die Führer der griechischen Kontingente zu Tapferkeit an, indem er sie an die Speisen und den Wein erinnert, die er ihnen hat zukommen lassen – die damit verbundene Ehre spielt natürlich eine Rolle, zentral erscheint aber vor allem die nicht limitierte Menge. So betont er etwa gegenüber Idomeneus: Denn wenn die anderen am Haupte langgehaarten Achaier Das Zugeteilte trinken, so steht dein Becher immer Angefüllt, so wie auch mir: zu trinken, wann immer der Mut befiehlt.90

Dass die anderen nur rationierte Portionen erhalten, zeigt, dass Nahrung im Überfluss eben gerade nicht vorhanden ist. Solche Speisungen, die als Ehrung vom demos für ihre Führer ausgerichtet werden, haben bereits den Charakter einer öffentlichen Institution, welche die so Verköstigten dann auch verpflichtet, für das Wohl des demos zu handeln.91 Doch auch bei ‚privaten‘ Unternehmungen spielt die Aussicht auf üppige Speisung eine zentrale Rolle, um Verpflichtungen herzustellen: Mit einem Festmahl wirbt der Kreter in Odysseus’ Lügengeschichte Gefährten an, und mit einem Festmahl will Telemachos seine Gefährten nach erfolgreicher Fahrt entlohnen.92 Die Großzügigkeit, mit der homerische Helden Gäste aufnehmen und diese zuerst verköstigen, bevor sie die ersten Fragen stellen, ist denn auch keine Selbstverständlichkeit, wie eine bemerkenswerte Passage in der Odyssee deutlich macht: Als Telemachos nach Sparta kommt, ist ihm die gastliche Aufnahme keineswegs sicher, denn Eteoneus, ein Gefolgsmann (θέραπον) des Menelaos, fragt bei seinem Herrn erst mal nach: Da sind irgendwelche Fremde, zeusgenährter Menelaos, zwei Männer, und haben das Aussehen wie vom Geschlecht des großen Zeus.

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Davidson (1997) 11–20. Zur Außeralltäglichkeit homerischer Schmausereien auch Strasburger (1953) 103. Hom. Il. 6,142; 13,322; die Zyklopen unterscheiden sich denn auch prominent dadurch von den Menschen, dass sie keinen Getreideanbau betreiben: Od. 9,122–124. Vgl. Richter (1968) 107–109. Locus classicus ist die Aufzählung königlicher Ehren durch Sarpedon in Hom. Il. 12,310–314: Ehrensitze, Fleisch, volle Becher und ein temenos; für Essen und Trinken als Ausdruck der Ehrenstellung des basileus vgl. auch Il. 8,61 f. Hom. Il. 4,261–263 (Übers. W. Schadewaldt): εἴ περ γάρ τ’ ἄλλοι γε κάρη κομόωντες Ἀχαιοὶ / δαιτρὸν πίνωσιν, σὸν δὲ πλεῖον δέπας αἰεὶ / ἕστηχ’, ὥς περ ἐμοί, πιέειν ὅτε θυμὸς ἀνώγοι. Vgl. Il. 4,343–346. Zum Wein der Geronten und Speisungen als Teil der Institutionen des demos s. Ulf (1990a) 166 f. Hom. Od. 14,249–251; 15,506 f.

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Doch sage, sollen wir ihnen die schnellen Pferde ausspannen oder sie geleiten, dass sie zu einem andern kommen, der sie freundlich aufnimmt?93

Auch wenn Menelaos sich über den Gedanken empört zeigt und die Gäste großzügig aufnimmt, zeigt die Episode doch, dass der Reichtum homerischer Helden sehr prekär ist: Das Bewirten von Gästen, gerade auch von angesehenen, die Gastgeschenke erwarten können, ist teuer und muss gut überlegt sein. Großzügigkeit unterliegt denn auch einem sehr engen Kalkül: Bei den Phaiaken fordert Alkinoos die Anwesenden auf, sich an den Gastgeschenken für Odysseus zu beteiligen – wobei er sie explizit daran erinnert, dass sie in seinem Megaron jeweils den Wein der Geronten tränken – fügt aber gleich an, dass sie sich beim demos schadlos halten würden, „denn hart wäre es, sollte der Einzelne ohne Entgelt die Gunst erweisen.“94 Der kretische Prinz, den Odysseus in einer seiner Lügengeschichten zu sein vorgibt, erzählt, wie er Odysseus in Kreta empfangen und mit Proviant versorgt habe – wobei auch hier die Verproviantierung des Fremden die Kapazität des ‚königlichen‘ oikos überstieg, das Mehl kam vom demos!95 Bezeichnend für die Relativität von Reichtum sind ferner die Preise, die Achill bei den Leichenspielen für Patroklos aussetzt. Nebst den zu erwartenden Kleinodien und Sklavinnen, gibt es auch Preise, die ganz eindeutig auf die eher kärgliche, auf Subsistenz bedachte Lebenswelt hinweisen, die auch in Hesiods Erga begegnet: Dass der erste Preis im Faustkampf ein Maultier ist, das auch explizit als „arbeitskräftig“ bezeichnet wird,96 mag in Anbetracht der nicht sonderlich prominenten Wettkämpfer in dieser Disziplin noch angehen. Einigermaßen überraschend ist jedoch, dass der zweite Preis im Wagenrennen, dem prominentesten Agon sowohl in Hinblick auf die beteiligten Helden als auch den Raum, den der Dichter diesem Wettkampf einräumt, eine ungezähmte, sechsjährige Stute ist, die mit einem Maultier trächtig ist.97 Der Wert des Preises liegt auch hier ganz klar in seinem praktischen Nutzen als Arbeitstier98 – und genau um diesen doch eher unheroischen Preis entflammt ein heftiger Streit zwischen

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Hom. Od. 4,26–29 (Übers. W. Schadewaldt): ξείνω δή τινε τώδε, διοτρεφὲς ὦ Μενέλαε, / ἄνδρε δύω, γενεῇ δὲ Διὸς μεγάλοιο ἔϊκτον. / ἀλλ’ εἴπ’, ἤ σφωϊν καταλύσομεν ὠκέας ἵππους, / ἦ ἄλλον πέμπωμεν ἱκανέμεν, ὅς κε φιλήσῃ. Hom. Od. 13,7–15. Zitat: 13,15 (Übers. W. Schadewaldt): ἀργαλέον γὰρ ἕνα προικὸς χαρίσασθαι. Die Troianer verfahren analog mit den „Gästen“, die sie im Kampf gegen die Achaier unterstützen. So klagt denn auch Hektor, dass die Speisungen und Gaben, mit denen er die Bundesgenossen bei Laune halte, für die laoi drückend seien (Il. 17,225 f.). Hom. Od. 19,197. Hom. Il. 23,654: ἡμίονος ταλαεργός. Hom. Il. 23,265 f. Stuten zur Maultierzucht begegnen auch bei Hom. Od. 4,634–637, wo Noëmon diese mit 12 Stuten relativ professionell auf dem Festland betreibt und die Maultiere dann per Schiff nach Ithaka importiert und sie als Arbeitstiere abrichtet.

2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts

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Menelaos und Antilochos.99 Besonders aufschlussreich ist jedoch der Preis im Diskuswurf. Der Preis ist der ‚Diskus‘ selbst, eine Eisenscheibe, die Achill erbeutet hatte und mit den Worten anpreist: Wenn einem auch sehr weit draußen liegen die fetten Äcker, Wird er an ihr sogar für fünf umlaufende Jahre haben, Was er gebraucht. Denn gewiss geht ihm nicht aus Mangel an Eisen Ein Hirt oder Pflüger in die Stadt, sondern sie wird es ihm geben.100

Auch um diesen Preis wetteifern Helden wie etwa Leonteus, ein Sohn des Ares, und der große Aias. Doch es gewinnt schließlich Polypoites. Seinen Siegeswurf beschreibt der Dichter dann erneut in jener Metaphorik, die so gut zu den bäuerlichen Verhältnissen passt, die man als gemeinsame Lebenswelt von Dichter und Publikum vermuten kann: Doch als nun die Scheibe ergriff der standhafte Polypoites – So weit ein Wurfholz schleudert ein Mann, ein Rinderhirte, Und das fliegt herumgewirbelt durch die Herdenrinder: So weit warf er hinaus über die ganze Versammlung, und die schrien.101

2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts 2.3.1 Das Pfluggespann als Grundlage für Oberschichtzugehörigkeit und Ehre Der bäuerliche Hintergrund der Epen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine Gesellschaft mit klaren Hierarchien und einer klar abgrenzbaren Oberschicht handelt. Denn bäuerlich geprägte Gesellschaften sind mitnichten ein Hort von Egalität. Winfried Schmitz hat in seiner grundlegenden Arbeit zu Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft im archaischen und klassischen Griechenland vor allem auf der Basis von Hesiod und Homer eine klare Schichtung der frühgriechischen Gesellschaft rekonstruiert mit einer unterbäuerlichen Schicht, einer Schicht von Vollbauern und

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Zuerst will Achill den Preis dem ausgeschiedenen Eumolos zuerkennen, wogegen der zweitplatzierte Antilochos heftig protestiert (Hom. Il. 23,534–565). Anschließend fordert der drittplatzierte Menelaos die Stute für sich, weil Antilochos sich unsportlich verhalten hat (Il. 23,566–613). 100 Hom. Il. 23,832–835 (Übers. W. Schadewaldt): εἴ οἱ καὶ μάλα πολλὸν ἀπόπροθι πίονες ἀγροί, / ἕξει μιν καὶ πέντε περιπλομένους ἐνιαυτοὺς / χρεώμενος· οὐ μὲν γάρ οἱ ἀτεμβόμενός γε σιδήρου / ποιμὴν οὐδ’ ἀροτὴρ εἶσ’ ἐς πόλιν, ἀλλὰ παρέξει. 101 Hom. Il. 23,844–847 (Übers. W. Schadewaldt): ἀλλ’ ὅτε δὴ σόλον εἷλε μενεπτόλεμος Πολυποίτης, / ὅσσόν τίς τ’ ἔρριψε καλαύροπα βουκόλος ἀνήρ, / ἣ δέ θ’ ἑλισσομένη πέτεται διὰ βοῦς ἀγελαίας, / τόσσον παντὸς ἀγῶνος ὑπέρβαλε· τοὶ δὲ βόησαν.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

einem ‚Adel‘.102 Dieses Modell basiert stark auf Vergleichen mit frühneuzeitlichen Gesellschaften, wo der Status der Vollbauern durch die ökonomische Unabhängigkeit ihres Hofes bestimmt wurde, was sich symbolisch im Besitz von Zugtieren manifestierte.103 Die zentrale Rolle, die Hesiod in seinen Erga dem Besitz von Pflugochsen zubilligt,104 spricht dafür, dass hier in der Tat eine – bei agrarischen Verhältnissen an sich auch zu erwartende – Parallele besteht. Deutlich wird dies insbesondere, wenn Hesiod vor dem Schicksal warnt, das dem „Mann ohne Ochsen“ (ἀνήρ ἀβούτης) droht: Leicht nämlich spricht sich das Wort: „Zwei Rinder gib und einen Wagen.“ Leicht aber ist es zu verweigern: „Es gibt genügend Arbeiten für die Rinder.“105

Das Pfluggespann sichert einem also Autonomie und grenzt den Vollbauern vom kleinbäuerlichen ἀνήρ ἀβούτης ab. Auf die Bedeutung von Zugtieren für die gesellschaftliche Schichtung deutet auch die athenische Zensusklasse der Zeugiten hin, zu der wohl ursprünglich die Haushalte gehörten, die über ein Joch-Gespann verfügten.106 Unter den Vollbauern steht in Schmitz’ Modell die unterbäuerliche Schicht: Kleinbauern und abhängige Lohnarbeiter, die sich als Theten verdingen müssen.107 Hesiod kennt freie Knechte und Mägde, die für Lohn für eine bestimmte Zeit in einem oikos dienen, und nennt sogar den genauen Zeitpunkt im Jahr, um solche Hilfen einzustellen.108 In den homerischen Epen finden sich ebenfalls verschiedene Hinweise auf freie

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Schmitz (2004) 26–147; vgl. Schmitz (2014a) 15–42 und speziell zum Adel Schmitz (2008). So etwa in den ländlichen Gemeinden des Baselbiets im ausgehenden 18. Jh., wo Vollbauern mit Zugtieren eine relativ schmale Oberschicht von durchschnittlich nicht einmal 10 % (der Haushalte) bildeten und die wichtigsten kommunalen Ämter bekleideten, während die restliche Bevölkerung sich aus einer „Mittelschicht“ von Kleinbesitzern und einer Unterschicht zusammensetzte, die sich ohne eigenen Besitz als Knechte und Mägde in fremden Häusern verdingen mussten; s. Simon (1981) 152–200. Analog war der Besitz eines Pferdegespanns in östlichen Westphalen um 1800 das zentrale Kriterium für den Vollbauernstatus, s. Mooser (1984) 40 f.; generell zu den Abhängigkeiten, die Kleinbauern erwuchs, weil sie von Gespannshilfen der Vollbauern abhängig waren: Trossbach (1993) 103 f. Hes. erg. 436–440; 448–454. Vgl. Schmitz (2004) 60–62. Hes. erg. 453 f. (eigene Übers.): ῥηίδιον γὰρ ἔπος εἰπεῖν· „βόε δὸς καὶ ἄμαξαν·“ / ῥηίδιον δ’ ἀπανήνασθαι· „πάρα [δ’] ἔργα βόεσσιν.“ Der Wagen gehört zusammen mit dem Pflug ebenfalls zu den essentiellen Bestandteilen des selbständigen vollbäuerlichen Hauses, vgl. erg. 420–436; 455–458. Vgl. [Aristot.] Ath. pol. 7,3–4; Aristot. Pol. 2,1274a 18–21; Plut. Sol. 18,1–2; vgl. Poll. 8,132. Zu den Zensusklassen gibt es eine ausufernde Forschungsdiskussion: Gegenüber der älteren Forschung, die hierin primär eine Militärordnung sah, haben neuere Arbeiten den agrarischen Aspekt hervorgehoben, s. van Wees (2006) 352–360; Valdés Guía & Gallego (2010) 258–271; Rosivach (2012); Duplouy (2014a) spez. 650 f. Zur älteren, m. E. wenig überzeugende Ansicht, wonach Zeugiten Hopliten seien, die wie im Joch in der Schlachtreihe nebeneinander stünden (so bei Plut. Pel. 23,4), s. v. a. Whitehead (1981a) sowie der postum erschiene Beitrag von Ste. Croix (2004) 5–72; spez. 14–28; 46–51; ihm folgt weitgehend Raaflaub (2006). Den Versuch, die Zensusklassen in eine fiskalische Ordnung des archaischen Athens einzuordnen, unternimmt van Wees (2013a). Schmitz (2004) 33–38. Hes. erg. 602 f.; in den gleichen Kontext gehört wohl auch die Aufforderung, dem befreundeten Mann den Lohn (μισθός) nicht zu verweigern, in erg. 700.

2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts

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Lohnarbeit, die neben unfreier Sklavenarbeit zum Einsatz kommt.109 Theten bildeten bekanntlich auch die unterste Zensusklasse in Athen, was genau diesem Schichtungsmodell entsprechen würde. Von den Vollbauern setzt Schmitz eine adlige Schicht ab, die in gänzlich anderen Verhältnissen lebe.110 Zwar habe auch der adlige oikos seine ökonomische Grundlage in der Landwirtschaft, sei aber deutlich reicher. Dieser Reichtum sichere dem Oikosherrn eine zumindest partielle Abkömmlichkeit,111 führe zu einem entspannteren Verhältnis zwischen den Geschlechtern, da die Abhängigkeit des Mannes von der Arbeitskraft der Frau weniger ausgeprägt sei,112 und der größere Reichtum erlaube es dem Adel auch, Sklaven zu beschäftigen und damit eine höhere Unabhängigkeit gegenüber dem jährlich wechselnden Gesinde und damit auch der Dorfgemeinschaft als Ganzes zu gewinnen.113 Letzteres begünstige auch die Tendenz zu exogamen Ehen, mit denen überregionale Freundschaften, aber eben nicht die lokale Nachbarschaft gepflegt würden.114 Schließlich seien adlige oikoi kinderreich, während Vollbauern darauf bedacht seien, möglichst wenig Kinder zu zeugen, um den Besitz nicht durch Realteilung zu zersplittern.115 Ganz grundsätzlich sieht Schmitz den Adel als weitgehend asozial an: Anders als die Vollbauern, die auf nachbarschaftliche Solidarität angewiesen seien, seien Aristokraten deutlich autonomer, stützen sich auf Gefährten (ἑταῖροι) und Gefolgsleute (θεράποντες) und müssten sich nicht an die Normen der bäuerlichen Welt halten, stünden also bis zu einem gewissen Grad außerhalb der Gemeinschaft.116 Die Institutionalisierung der Polis erfolge daher nicht durch den Adel, sondern letztlich gegen ihn, in einem Prozess, der von der Schicht der Vollbauern getragen werde und – dies der Clou von Schmitz’ ingeniöser Theorie – wesentliche Elemente der bäuerlichen Normen in Polisinstitutionen überführe.117

109 Hom. Il. 21,441–457 (Poseidon und Apollon müssen sich beim troianischen König Laomedon verdingen, der ihnen den versprochenen Lohn vorenthält); Od. 11,489–491 (Achill würde lieber als Landloser bei einem anderen Dienst als Thete leisten, als tot zu sein); Od. 18,357–361 (Eurymachos bietet Odysseus an, ihn als Thete zu beschäftigen). 110 Schmitz (2004) 105–126; 132–140; Schmitz (2008) spez. 37–43; Schmitz (2014a) 15–31. 111 Schmitz (2004) 29. 112 Schmitz (2004) 114 f. Das Verhältnis des Bauern zur Bäuerin ist demgegenüber höchst spannungsvoll, da die gegenseitige Abhängigkeit die Autorität des Mannes infrage zu stellen droht, was sich dann in der bei Hesiod und einigen Lyrikern fassbaren „Misogynie“ äußert, s. Schmitz (2004) 83–94 und jetzt v. a. Seelentag (2014). Vgl. auch schon Zoepffel (1989) 466–469, die von einem eigentlichen „Unterschichtenphänomen“ spricht. 113 Schmitz (2004) 117–119. 114 Schmitz (2004) 68 f.; 122. 115 Hes. erg. 375 f.; Schmitz (2004) 94–98 und 111–113 zu den größeren Familienverbänden und zahlreicheren Kindern in ‚adligen‘ oikoi. 116 Schmitz (2004) 119–126. 117 Vgl. Schmitz (2004) 127–147 und in zugespitzter Form Schmitz (2008); deutlich betont wird der anti-aristokratische Charakter der klassischen Polisinstitutionen (gerade im Kontrast zu den eher aristokratischen Institutionen Roms) erneut in Schmitz (2014a) 85–95.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

So fruchtbar dieser Ansatz auch ist – und die vorliegende Arbeit verdankt ihm sehr viel –, die sehr stark betonte Trennung von Vollbauern und Adel ist nicht ohne Probleme. Problematisch daran scheinen mir zwei Punkte, nämlich erstens der Umgang mit den Quellen und zweitens das dahinterstehende Gesellschaftsmodell. Zu den Quellen: Der Unterschied zwischen Bauern und Adel macht Schmitz vor allem an der Unterscheidung zwischen Hesiod und Homer fest. Dabei wird aber dem Gattungsunterschied m. E. zu wenig Rechnung getragen. Dass homerische Helden reich sind, liegt in der Natur der Heldendichtung: Helden sind reich und ohne materiellen Sorgen. Umso bemerkenswerter sind die oben skizzierten engen Grenzen, welche die Fantasie des Dichters hier aufweist. Umgekehrt fokussiert Hesiod in den Erga auf ein gänzlich anderes Thema und blendet just jene Aspekte aus, die bei Homer im Fokus stehen. Gelegentlich scheinen sie jedoch auf, etwa wenn Hesiod die behütete Tochter beschreibt, die gewaschen und gesalbt im Innern des Hauses weilt118 – ein Bild, das durchaus auch bei Homer stehen könnte. Viele Kontraste, die Schmitz zwischen Vollbauern und Adel ausmacht, scheinen mir daher eher der Gattung als tatsächlichen gesellschaftlichen Differenzen geschuldet. Fraglich wäre ferner, für wen Hesiod eigentlich geschrieben haben soll: Für den ‚Adel‘, der mit den bäuerlichen Normen nicht viel anfangen konnte? Oder für die vom ‚Adel‘ getrennten Vollbauern? Aber bei welchen Anlässen lassen sich Bauern Dichtung vortragen? Tendenziell zu wenig Beachtung finden ferner die zahlreichen Indizien, dass homerische Helden eben gerade nicht außerhalb der Gesellschaft stehen, sondern im Gegenteil ihr Handeln ganz massiv auf die Gemeinschaft hin ausrichten. Denn wenn Hesiod Angst vor Gerüchten hat,119 so gilt das umso mehr für homerische Helden: Hektor tadelt die Feigheit seines Bruders Paris nicht so sehr um ihrer Selbst willen, sondern in Hinblick auf das Gespött und Gerede, denen er sich und seine Familie dadurch aussetze.120 Er selbst erklärt seiner Frau gegenüber, dass er in den Kampf ziehen müsse, da er sich sonst vor den Troianern und auch den Frauen Troias schämen müsste.121 Phoenix wird aus Angst vor dem üblen Ruf im demos davon abgehalten, seinen Vater zu töten.122 In der Lügengeschichte des Odysseus zieht der Sohn des Kastor lediglich nach Troia, weil ihn sein Ruf beim demos (δήμου φῆμις) dazu zwang.123 Dass die Freier den als Bettler verkleideten Odysseus nicht am Wettkampf mit dem Bogen teilnehmen lassen wollen, begründet Eurymachos bezeichnenderweise mit dem Verweis auf die potentielle Rufschädigung innerhalb der Gemeinschaft:

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Hes. erg. 519–523. Hes. erg. 760–764. Vgl. Schmitz (2004) 100. Hom. Il. 3,39–51; 6,523–525. Hom. Il. 6,441–445. Hom. Il. 9,459–461. Hom. Od. 14,239.

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Allein, wir scheuen das Gerede von Männern und Frauen, daß nicht einst irgendein anderer, schlechterer der Achaier sage: ‚Freien wahrhaftig doch viel geringere Männer um des untadligen Mannes Gattin und spannen den wohlgeglätteten Bogen nicht! Aber da kam ein anderer, ein Bettelmann, herumstreichend, der spannte leicht den Bogen und schoß durch das Eisen!‘ So werden sie sprechen, uns aber wäre dieses eine Schande.124

Ganz ähnlich spricht Hektor in der tragischen Szene vor seinem fatalen Kampf mit Achill im 22. Gesang, wo er sich überlegt, ob er nicht doch besser hinter die Mauern fliehen sollte, diesen Gedanken aber verwirft: O mir, ich! Wenn ich in Tore und Mauern tauche, Wird Pulydamas mich als erster mit Schimpf beladen, Er, der mich mahnte, die Troer zur Stadt zu führen In dieser verderblichen Nacht, als sich erhob der göttliche Achilleus. Aber ich bin nicht gefolgt – freilich, es wäre viel besser gewesen! Jetzt aber, da ich das Volk verdarb durch meine Vermessenheit, Schäme ich mich vor den Troern und schleppgewandeten Troerfrauen, Dass nicht ein anderer einst sage, ein schlechterer als ich: ‚Hektor vertraute auf seine Gewalt und richtete das Volk zugrunde!‘ So werden sie sprechen. Doch dann wäre mir viel besser, Entweder Mann gegen Mann den Achilleus zu töten und wiederzukehren, Oder von ihm mit gutem Ruhm vor der Stadt bezwungen zu werden.125

Dem Bild eines Adels, der außerhalb der sozialen Kontrolle durch die Gemeinschaft steht, widersprechen solche Stellen diametral.126 Im Gegenteil: Gerade herausragende Individuen standen besonders unter Beobachtung und waren sich dessen auch sehr

124 Hom. Od. 21,323–329 (Übers. W. Schadewaldt): ἀλλ’ αἰσχυνόμενοι φάτιν ἀνδρῶν ἠδὲ γυναικῶν, / μή ποτέ τις εἴπῃσι κακώτερος ἄλλος Ἀχαιῶν· / ’ἦ πολὺ χείρονες ἄνδρες ἀμύμονος ἀνδρὸς ἄκοιτιν / μνῶνται, οὐδέ τι τόξον ἐΰξοον ἐντανύουσιν· / ἀλλ’ ἄλλος τις πτωχὸς ἀνὴρ ἀλαλήμενος ἐλθὼν / ῥηϊδίως ἐτάνυσσε βιόν, διὰ δ’ ἧκε σιδήρου.’ / ὣς ἐρέουσ’, ἡμῖν δ’ ἂν ἐλέγχεα ταῦτα γένοιτο. 125 Hom. Il. 22,99–110 (Übers. W. Schadewaldt): ὤ μοι ἐγών, εἰ μέν κε πύλας καὶ τείχεα δύω, / Πουλυδάμας μοι πρῶτος ἐλεγχείην ἀναθήσει, / ὅς μ’ ἐκέλευε Τρωσὶ ποτὶ πτόλιν ἡγήσασθαι / νύχθ’ ὕπο τήνδ’ ὀλοὴν ὅτε τ’ ὤρετο δῖος Ἀχιλλεύς. / ἀλλ’ ἐγὼ οὐ πιθόμην· ἦ τ’ ἂν πολὺ κέρδιον ἦεν. / νῦν δ’ ἐπεὶ ὤλεσα λαὸν ἀτασθαλίῃσιν ἐμῇσιν, / αἰδέομαι Τρῶας καὶ Τρῳάδας ἑλκεσιπέπλους, / μή ποτέ τις εἴπῃσι κακώτερος ἄλλος ἐμεῖο· / Ἕκτωρ ἧφι βίηφι πιθήσας ὤλεσε λαόν. / ὣς ἐρέουσιν· ἐμοὶ δὲ τότ’ ἂν πολὺ κέρδιον εἴη / ἄντην ἢ Ἀχιλῆα κατακτείναντα νέεσθαι, / ἠέ κεν αὐτῷ ὀλέσθαι ἐϋκλειῶς πρὸ πόληος. 126 Sehr stark wird die Bedeutung des demos für die Autorität der Elite vor allem von Hammer (2002) 144–169 betont, dem in vielen Punkten zuzustimmen ist, auch wenn ‚demos‘ und ‚Elite‘ m. E. keine eindeutigen, homogenen Gruppen darstellen und v. a. mit dem Fokus auf das ‚politische Feld‘ die Frauen, deren üble Nachrede die Helden ebenfalls fürchten, nicht in den Blick genommen werden können.

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bewusst. Der Tadel von ‚Schlechteren‘ und Frauen ist sogar besonders gefürchtet, weil dadurch der Gesichtsverlust über Geschlechter- und Statusgrenzen hinweg zum Ausdruck gebracht wird. Dies führt direkt zum zweiten problematischen Punkt: dem Gesellschaftsmodell. Schmitz betont, unter Berufung auf den in der Forschung weit verbreiteten Konsens, das fehlende Standesbewusstsein des ‚Adels‘: Die ‚Adligen‘ sähen sich, anders als die Vollbauern, eben gerade nicht als soziale Gruppe und würden sich dadurch auszeichnen, dass sie nicht in das bäuerliche Normensystem eingebunden seien.127 Dabei stellt sich aber zwangsläufig die Frage, wie sich denn ‚aristokratische‘ Ehre konstituiert. Alain Duplouy hat in seiner Studie zu griechischen Eliten das Konzept eines geschlossenen Adelsstandes ebenfalls verworfen und stattdessen hervorgehoben, dass elitärer Status auf eine dauernde Manifestation sozialen Prestiges angewiesen sei.128 Letzteres ist – das ist auch ein Kritikpunkt an Duplouys sonst sehr anregender Studie – eine reichlich unpräzise Formulierung, solange nicht klar untersucht wird, in welchen Kontexten sich dieses soziale Prestige manifestieren soll. Duplouy zeigt aber einen wesentlichen Punkt: Prestige muss performativ inszeniert werden. Wenn man diese Überlegung erweitert, so muss man hinzufügen: Prestige braucht auch ein Publikum, demgegenüber es inszeniert werden kann – und genau hier gerät ein Gesellschaftsmodell, das von einer von der Welt der Vollbauern losgelösten, adligen ‚Schicht‘ ausgeht, in Probleme. Die Notwendigkeit, offensiv Prestige zu inszenieren, würde hinfällig, wenn es ein Konzept einer Standesehre gäbe, bei dem allein die Zugehörigkeit zu einer exklusiven Gruppe und die Anerkennung durch die ‚satisfaktionsfähigen‘ Peers Prestige (beziehungsweise Ehre) vermittelt. Dies würde jedoch einen Adelsstand mit einem ausgeprägten Standesbewusstsein und klaren Kriterien der Zugehörigkeit bedingen, und gerade das ist – wie Schmitz in Übereinstimmung mit der restlichen Forschung betont – in Griechenland (zumindest in dieser frühen Zeit) nicht auszumachen.129 Homerische Helden brauchen denn auch zwingend ein Publikum, das sie in ihrer Ehren-

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Schmitz (2004) 133–137; spez. 134: „Da die bäuerliche Nachbarschaft wesentlich stärker einen Gruppencharakter ausgebildet hat, scheint es mir sinnvoll, eine Abgrenzung eher von der bäuerlichen Schicht vorzunehmen, statt wie bisher mit Blick vor allem auf den Adel.“ Vgl. auch Schmitz (2014a) 17–19 zum weitgehenden Fehlen eines adligen Standesbewusstseins und zur Instabilität dieser Oberschicht. Duplouy (2006) spez. 23–35. Das Symposion wird zwar als ‚adliger‘ Kommunikationsraum angeführt, s. Schmitz (2004) 120 f.; Schmitz (2008) 38 f. – Schmitz (2008) 39 betonte jedoch ausdrücklich, dass Symposia kaum taugten, „eine Konsensbildung innerhalb des Adels herzustellen, da sie immer einzelne Cliquen von Adligen umfassten und so eher zu einer Fragmentierung der Gesellschaft beitrugen.“ Die Idee, dass Symposia eine exklusive adlige Sphäre jenseits der Polis konstituieren, ist stark vom klassischen Athen geprägt, in den letzten Jahren jedoch grundsätzlich infrage gestellt worden, s. Rabinowitz (2009) und für eine Entwicklungsgeschichte des Symposions zusammen mit einer sich ausbildenden Aristokratie im Kontext der (und nicht gegen die) Polis jetzt auch Węcowski (2014). Grundlegend für die ältere Forschung: Murray (1990a); vgl. auch u. S. 147 f. und 230.

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stellung bestätigt und das nicht einfach ignoriert werden kann130 – in der Forschung wurden homerische basileis daher oft mit dem Typus des big man verglichen, die sich in egalitären Gesellschaften eine ganz an die eigene Person und die eigene Leistung gebundene Führungsstellung erkämpfen.131 Zentral dabei ist die Anerkennung dieser Führungsstellung durch die eigene Gemeinschaft, nicht aber durch andere big men von außerhalb. Im Falle der von Schmitz rekonstruierten bäuerlichen Gemeinschaft würde eine solche Führungsstellung jedoch nicht in einer ‚egalitären‘ Gesellschaft errungen, sondern in einer Gesellschaft mit klaren Hierarchien, deren relativ weit gefasste Oberschicht aus Vollbauern für die Anerkennung von Leistung und die Zuerkennung von Ehre an einen Einzelnen eine zentrale Rolle spielt. Herausragende Großbauern können also nicht als ‚Adel‘ außerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft stehen, wie Schmitz meint, sondern müssen Teil davon sein, da ihre Ehrenstellung auf der Anerkennung durch die anderen Vollbauern beruht. Ein ‚Adel‘ im Sinne der eingangs gelieferten idealtypischen Definition132 wäre das nicht: Die so erlangte Ehrenstellung ist fragil, da sie von ‚unten‘ kommt, ohne aber ‚vertikal‘ durch die Zugehörigkeit zu einem eigenen Stand und dem daraus resultierenden symbolischen Kapital und die Vorteile einer standesinternen Binnenkommunikation zusätzlich abgesichert zu werden – es wäre daher auch verfehlt, hier von einer eigenen Schicht zu sprechen. Vielmehr besteht die Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts aus den Vollbauern, die sich gegenüber Kleinbauern und Theten klar abgrenzen lassen. Der ökonomisch eigenständige oikos ist das ‚harte‘ Kriterium, das über Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit entscheidet. Es sind denn auch einzelne oikoi, die aus den restlichen Vollbauern herausragen und deren Vorsteher als leistungsfähige big men über besonderes Prestige verfügen, nicht aber eine eigene soziale Schicht. ‚Weiche‘ Kriterien der Abgrenzung sind in Ansätzen dennoch vorhanden. Zentral ist hier eine Passage in der Odyssee, in der der als Bettler verkleidete Odysseus vorgibt, sich bei den Freiern als Diener (ὑποδρηστήρ) verdingen zu wollen, woraufhin Eumaios ihm erklärt, dass die Bediensteten dort ganz anders aussähen: jung, schön gekleidet und gesalbt.133 Innerhalb der vollbäuerlichen oikoi, die Knechte aus der unterbäuerlichen Schicht beschäftigten, gab es also sehr wohl Unterschiede, genauso wie exogame Ehen unter besonders reichen Bauern häufiger gewesen sein dürften. Die oben herausgearbeitete starke bäuerliche Färbung der Epen wie auch der Umstand, dass Hesiod eben130 131

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Zur Bedeutung der ‚Öffentlichkeit‘ als Instanz der Bewertung und Zuteilung von Ehre in den Epen s. Ulf (1990a) 41–49. So v. a. Ulf (1990a) 223–231 sowie jetzt Ulf (2020) und Ulf & Kistler (2020) spez. 12–18; Donlan (1994); Hall (2007) 120–127; vgl. auch Rose (2012) 56–165, der von einer meritokratischen big man-Gesellschaft der Frühzeit ausgeht, die aber in den Epen nur noch als Erinnerung vor dem Hintergrund der sich neu ausbildenden Aristokratie vorhanden ist. Zum Modell des big man s. Sahlins (1963). Kritisch dazu: van Wees (1992) 31–36; 281–298. S. o. Kap. 1.2.2. Hom. Od. 15,313–333.

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falls die wohlgesalbte und gebadete Tochter im Inneren des oikos besingt,134 warnen aber davor, diese ‚weichen‘ Distinktionsstrategien überzubewerten. Auch hinsichtlich exogamer Ehen ist zu bedenken, dass die meisten Freier Penelopes aus Ithaka stammen – überlokale Ehen also auch unter den herausragenden oikoi wohl eher die spektakuläre (und daher im Epos besonders hervorgehobene) Ausnahme waren. Innerhalb der vollbäuerlichen Oberschicht gab es also sehr wohl erhebliche Unterschiede an Reichtum und Prestige, doch diese Unterschiede waren graduell und nicht an harten – dem Besitz eines Pfluggespanns vergleichbaren – Kriterien zu messen. Dafür sprechen erneut die athenischen Zensusklassen. Gemäß der Athenaion politeia waren unter Solon einzig die oberen drei Schatzungsklassen (mit internen Abstufungen) amtsfähig, während die Theten lediglich zu Volksversammlungen und Gerichten zugelassen waren.135 Das heißt, die Regimentsfähigkeit, die ein wesentliches Kriterium für die Definition einer Oberschicht bildet, zeichnete alle Klassen oberhalb der Theten aus und die gesamte Zensusordnung ist primär eine Einteilung innerhalb der Oberschicht, bei der unterschieden wird zwischen Vollbauern, Vollbauern, die Pferde halten können, und Vollbauern mit herausragend hohen Ernteerträgen. Aristoteles bezeichnet daher in der Politeia die drei oberen Zensusklassen kollektiv als gnorimoi und euporoi.136 Lin Foxhall hat die solonische Zensusordnung ebenfalls plakativ als „view from the top“ bezeichnet.137 Wenn man nämlich die Ernteerträge, welche die Athenaion politeia für alle Klassen nennt,138 auf das dazu benötigte Ackerland umrechnet, kommt man auf erstaunlich hohe Zahlen: Ein Zeugite hätte demnach 7 bis 11 ha aktiv bewirtschaftetes Land benötigt, um 200 Scheffel Gerste zu erwirtschaften, was, wenn man die Brache hinzunimmt, einen sehr stattlichen Landbesitz von mindestens 14 ha ergäbe.139 Es gibt zwar sehr gewichtige Argumente, nur die Namen der Zensusklassen, nicht aber die Berechnungsgrundlage in medimnoi als archaisch anzusehen,140 doch auch eine anti-

Hes. erg. 519–523. Auch in der Odyssee selbst wird die Passage zu den exquisiten Dienern sogleich bäuerlich konterkariert, denn ein weiteres Merkmal bei den Gastmählern der Freier sei das viele (nicht das erlesene) Essen (Hom. Od. 15,333 f.), was unterstreicht, dass Hunger der lebensweltliche Hintergrund ist und allein die Aussicht auf ausreichend Nahrung als (märchenhafter) Luxus angesehen wird. 135 [Aristot.] Ath. pol. 7,3 f. Vgl. Plut. Sol. 18,1–2; Aristot. Pol. 2,1274a 15–21. Ruschenbusch sah dies nicht als Teil von Solons nomoi an, bei Leão & Rhodes (2015) sind sie als F 74/1a–c aufgeführt. 136 Aristot. Pol. 2,1274a 18–21: […] τὰς δ’ ἀρχὰς ἐκ τῶν γνωρίμων καὶ τῶν εὐπόρων κατέστησε πάσας, ἐκ τῶν πεντακοσιομεδίμνων καὶ ζευγιτῶν καὶ τρίτου τέλους τῆς καλουμένης ἱππάδος. Vgl. Plut. Sol. 18,1. 137 Foxhall (1997). 138 [Aristot.] Ath. pol. 7,4. 139 Foxhall (1997) 129–132. Vgl. van Wees (2006) 360–367; van Wees (2013b) 229–232. 140 Unbestritten ist die Verbindung von 500 Scheffeln mit der Klasse der pentakosiomedimnoi, und dass diese keineswegs eine ‚moderne‘ Klasse sein müssen, hat jüngst Duplouy (2014a) 646–648 nochmals unterstrichen und unter anderem auf die Kornspeichermodelle in geometrischen Gräbern verwiesen [zum Grab der ‚rich lady‘ s. Smithson (1968) spez. 93–97, Coldstream (1995) und Papadopoulos & Smithson (2017) 851–858 sowie u. S. 281 f. mit Abb. 5], die bereits im 9. Jh. die Verbindung von Reichtum und Getreideertrag plausibel erscheinen lassen. Bei den restlichen Klassen 134

2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts

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quarische Erfindung des vierten Jahrhunderts muss Plausibilität genießen: Der Verfasser der Athenaion politeia dürfte gewusst haben, was ein Ernteertrag von 200 Scheffeln an Grundbesitz voraussetzte, und sah darin offenbar keinen Widerspruch, was umso bemerkenswerter ist, als die Zensusklassen zu seiner Zeit noch existierten, wenn sie auch de facto politisch bedeutungslos waren.141 Es ist aber keineswegs überraschend, wenn man davon ausgeht, dass die ganze Zensusordnung eben primär das war, als was sie die Quellen schildern: Eine Binnendifferenzierung der bäuerlichen Oberschicht, der eine völlig heterogene Masse an Theten gegenüberstand, zu der Kleinbauern und landlose Knechte ebenso gehörten wie Handwerker und Händler, die, wenn auch unter Umständen verhältnismäßig wohlhabend, ohne Landbesitz dennoch nicht der Oberschicht zugerechnet wurden.142 Wenn der Zeugiten-Status tatsächlich an einem Pfluggespann und nicht an einem fixen Ernteertrag hing, wofür m. E. sehr viel spricht, dann präsentiert sich das Bild

könnte es jedoch sehr wohl sein, dass man im 4. Jh. per Analogieschluss entsprechende Erträge auch für sie erfand, s. Ste. Croix (2004) 32–51; Raaflaub (2006) 404–423 hat dagegen argumentiert, dass die Berechnung in medimnoi durchaus historisch sei, aber auf eine Reform des 5. Jh. im Kontext der Reformen des Ephialtes zurückgehe. Valdés Guía & Gallego (2010) 271–277 sehen die agrarische Ordnung nach Pflugtieren als archaisch an und die Einteilung nach Ernteerträgen als eine Neuerung des Jahres 403, mit der die alten Zensusklassen an die neue Form der Steuererhebung durch die eisphora angepasst worden sei. Foxhall (1997) und van Wees (2006) sowie van Wees (2013a) 89–91 halten die Scheffelangaben für archaisch. Rosivach (2012) versucht das Dilemma zu lösen, indem er dafür plädiert, in den Zeugiten Besitzer eines Maultiergespanns zu sehen – denn diese Tiere waren als Pflugtiere durchaus verbreitet und zumindest im klassischen Athen erheblich teurer als Ochsen. Durchaus originell ist der Ansatz von Flament (2012), der die These vertritt, dass die Zensusklassen im Rahmen der Steuererhebungen von Peisistratos geschaffen worden seien; sein Argument basiert auf den einzig bei Poll. 8,129,6–130 überlieferten Angaben, wonach pentakosiomedimnoi ein Talent, hippeis ein halbes Talent und Zeugiten 10 Minen hätten entrichten müssen – entgegen dem Wortlaut bei Pollux plädiert Flament dafür, in diesen Zahlen nicht die Abgabe, sondern den eigentlichen Zensus zu sehen: Wenn daher 500 Schefel einem Zensus von einem Talent entsprächen, wäre ein halbes Talent gleichzusetzen mit dem Ertrag von 250 Schefel und 10 Minen mit rund 83 Schefel, was wiederum in etwa dem Ertrag aus ca. 5 ha Land entspricht, die als Grundbesitz für den Unterhalt eines Pfluggespanns von Nöten wären – damit wären viele Probleme in der Tat gelöst, doch die Argumentation bleibt hochgradig spekulativ und krankt auch daran, dass sie die Zensusklassen sehr einseitig-funktional in Hinblick auf Steuererhebungen in den Blick nimmt (eine Prämisse, die die Spätdatierung bereits vorwegnimmt). Da die Einteilung in die Zensusklassen auf Selbstdeklaration beruhte, wie [Aristot.] Ath. pol. 7,4 (s. u.) zeigt, ist allerdings durchaus anzunehmen, dass die Privilegien an entsprechende Pflichten gekoppelt waren, vgl. van Wees (2013a) 55 f. – Rekonstruktionen des archaischen ‚Fiskalregimes‘, wie sie van Wees (2013a) unternimmt, bleiben aber dennoch in vielen Punkten spekulativ und abhängig von nacharchaischer Überlieferung, 141 Die Existenz der Zensusklassen im 4. Jh. beweist [Aristot.] Ath. pol. 7,4: διὸ καὶ νῦν ἐπειδὰν ἔρηται τὸν μέλλοντα κληροῦσθαί τιν’ ἀρχήν, ποῖον τέλος τελεῖ, οὐδ’ ἂν εἷς εἴποι θητικόν. 142 Zur Schichtung in bäuerlichen Gesellschaften, die klar zwischen Vollbauern, Kleinbauern (mit diversen Abstufungen) und einer eigentlichen Unterschicht, die keinen eigenen Besitz hat, unterscheidet, s. etwa die Lokalstudien von Mooser (1979) sowie sehr ausführlich Mooser (1984) und Simon (1981) 173–183 – die solonische Zensusordnung spiegelt, so gesehen, tatsächlich nur eine „view from the top“.

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nochmals leicht anders. Damit wäre nämlich nicht nur etwas über die Größe des Landbesitzes, sondern auch über dessen Art ausgesagt: Die Zensusordnung hätte demnach jene Bauern bevorzugt, die größere Landflächen in den Fruchtebenen besaßen, wo sich der Einsatz eines eigenen Pfluggespanns rechnete, wohingegen periphere Hanglagen, die in Bezug auf Wein- und Olivenölanbau durchaus sehr profitabel sein konnten, keine Rolle spielten – nicht der Landbesitz als solcher, sondern die Art des Landes wäre damit zentral und kann mit erklären, weshalb die Zeugiten im vierten Jahrhundert selbstverständlich als gnorimoi und euporoi angesehen wurden.143 Dabei ist zentral, dass man sich vergegenwärtigt, dass solche Vollbauern nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung umfassten, also keineswegs ein breite Mittelschicht bildeten. Selbst wenn man die 200 Scheffel der athenischen Zensusklassen als Erfindung abtut und von einem Besitz von rund 5 ha ausgeht, die gemeinhin für das Überleben eines Vollbauern in vormodernen Gesellschaften veranschlagt werden müssen,144 so kommt man mit frühneuzeitlichen Vergleichszahlen doch immer noch auf eine sehr kleine Gruppe privilegierter Haushalte: Auf Basis einer Volkszählung aus dem Jahr 1774 errechnete Christian Simon in einer lokalen Fallstudie zu sechs Baselbieter Dörfern, dass lediglich 9 % aller Haushalte über mindestens 5 ha und Zugvieh verfügten – auf die Gesamtbevölkerung übertragen, zu der auch Knechte ohne eigenen Haushalt zählten, wären diese Zahlen noch tiefer!145 Gebiete mit Anerbrecht tendieren ferner dazu, eine kleinere unterbäuerliche Schicht zu haben, da einerseits die Familiengründung für diejenigen, die nichts erben, erschwert wird und andererseits die Option, aus dem Dorf wegzuziehen, attraktiver macht. Bei Realteilung, wie sie in Griechenland die Regel war, ist dagegen eine Familiengründung auch für Personen unterhalb des Vollbauern-Status möglich, wenn nicht gar erforderlich,146 und der Besitz selbst kleinster Ländereien macht den Wegzug aus dem Dorf weniger attraktiv;

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Zur Diversität der griechischen Landwirtschaft, die durch die heterogene Geographie bestimmt war, s. Osborne (1987) 27–52. Rose (2012) 37–41 sieht im Umstand, dass selbständigen Bauern gutes Ackerland vorenthalten werden kann, eine Form von „indirekter Ausbeutung“ (trotz der Selbständigkeit dieser Bauern), aus der er dann einen antiken Klassenkampf abzuleiten versucht. 144 Vgl. van Wees (2006) 382–385. 145 Simon (1981) 176–178. Dabei fallen allerdings große regionale Schwankungen zwischen 2,6 % Vollbauern in Diepflingen und 17,3 % in Zunzgen auf. Andernorts sind die Zahlen etwas höher, aber in der Tendenz ähnlich: Im östlichen Westphalen hat Mooser (1979) 231 f. für das Jahr 1800 Zahlen von 20,5 % für Mindern-Ravensburg und 15,6 % für das Paderborner Land ermittelt – erhebliche regionale Unterschiede und die Auswirkungen der Protoindustrialisierung, die der unterbäuerlichen Schicht alternative Erwerbsmöglichkeiten eröffnete, machen diese Zahlen nur bedingt übertragbar (generell wird auch mit einer höheren Zahl an Vollbauern in den Jahrhunderten zuvor gerechnet). Doch auch im archaischen Griechenland ist ein rapides Bevölkerungswachstum anzunehmen und die Herausbildung städtischer Zentren bot ebenfalls diverse neue Erwerbsmöglichkeiten jenseits der traditionellen agrarischen Ordnung. 146 Für das Führen eines eigenen Haushalts ist eine weibliche Arbeitskraft – und damit tendenziell verbunden eine Familiengründung – erforderlich, s. u. Kap. 2.5.1, spez. S. 102–105.

2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts

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Realteilung begünstigt daher das Anwachsen einer unterbäuerlichen Schicht.147 Dies alles sollte davor warnen, die Schicht der Vollbauern als breite ‚Mittelschicht‘ zu sehen: Es handelt sich um eine durch Besitz konstituierte agrarische Oberschicht, deren Reichtum freilich auf einem vergleichsweise bescheidenen Niveau verharrt. Das Gesellschaftsmodell Schmitz’ mit einem stark abgesonderten Adel, der außerhalb der Gemeinschaft steht, hat starke Anklänge an die frühneuzeitlichen Verhältnisse, wo es tatsächlich einen solchen Adelsstand oder ein städtisches Patriziat gegeben hat, das durch Herrschaftsrechte von außen auf die Dorfgemeinschaft eingewirkt hat. Im archaischen Griechenland dagegen fehlt ein solcher Stand, der sich jenseits und unabhängig von der lokalen Gemeinschaft beziehungsweise der Polis konstituierte. Die Zugehörigkeit einzelner besonders reicher und geehrter Individuen ist daher primär die Zugehörigkeit zu einer agrarisch geprägten, bäuerlichen Oberschicht und die Organisation der Gemeinden ist nicht durch eine Herrschaft von außen geprägt, sondern durch eine innere Selbstorganisation. Viele der Institutionen, welche die spätere Polis prägten – wie etwa Volksversammlung und Kollegialbehörden – weisen denn auch frappierende Parallelen zum frühneuzeitlichen ‚Kommunalismus‘ auf, also zur autonomen Selbstorganisation lokaler bäuerlicher (und städtischer) Gemeinden ohne direkten Bezug zu ständischen Herrschaftsstrukturen.148 Die Integration reicher und besonders angesehener Individuen in die Gemeinschaft und die Existenz einer relativ breiten als ‚ehrbar‘ angesehen Oberschicht, die man (auch wenn man selbst deutlich reicher war) als Peers betrachtete, war jedoch zwingend, weil eine solche Gruppe notwendig war, um Ehre zu generieren. Ein großer oikos allein konnte das nicht, wie in der Odyssee deutlich wird, wenn der Freier Antinoos sich nach der Mannschaft erkundigt, mit der Telemachos nach Pylos aufgebrochen ist: Sage mir untrüglich: wann ist er weggegangen und welche Jünglinge sind ihm gefolgt? Auserlesene Ithaker oder seine eigenen Theten und Knechte?149

Es gibt also ehrenvolles und weniger ehrenvolles Gefolge: Hauseigene Theten und Knechte gehören zum letzteren, die Söhne selbständiger Vollbauern zum ersteren. Doch die Verhältnisse dieser Oberschicht waren weit entfernt von denen einer müßigen Aristokratie. Denn die jungen Ithaker, die Telemachos begleiten, mögen zwar als „auserlesen“ gelten – rudern mussten sie trotzdem.

147 Zu den Differenzen bei Gebieten mit Anerbrecht und Realteilung in Spätmittelalter und früher Neuzeit s. Wunder (1975) sowie Bader (1953) 170–172. 148 Zum Kommunalismus s. Blickle (1991a), spez. Blickle (1991b) 8–11 zu den Institutionen. 149 Hom. Od. 4,642–644 (Übers. angelehnt an W. Schadewaldt): νημερτές μοι ἔνισπε· πότ’ ᾤχετο καὶ τίνες αὐτῷ / κοῦροι ἕποντ’; Ἰθάκης ἐξαίρετοι, ἦ ἑοὶ αὐτοῦ / θῆτές τε δμῶές τε;

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2.3.2 Hohe soziale Mobilität und schwache Herrschaftsstrukturen Zentral an dem skizzierten Gesellschaftsbild ist, dass es nicht statisch ist. Vielmehr ist mit einer hohen Dynamik und Instabilität zu rechnen. Die oben skizzierte weitgehende Gleichwertigkeit von agrarischer und kriegerischer ‚Arbeit‘, zu denen sich noch weitere Tätigkeiten wie etwa ‚sportliche‘ oder beratende ‚Arbeit‘ gesellen ließen,150 führte dazu, dass Prestige (und Reichtum) auf sehr vielen Feldern errungen werden konnte, dass es aber auch keine primäre ‚adelnde‘ Qualität gab, die einen Abstieg verzögern konnte. Einer stabilen Stratifikation war das nicht förderlich. Insbesondere die Möglichkeit, über Seefahrt und, eng damit verbunden, Piraterie und Krieg Prestige und vor allem Reichtum zu erwerben, unterscheidet die Gesellschaft des frühen siebten Jahrhunderts von frühneuzeitlichen Dorfgemeinschaften, in denen diese Möglichkeiten weitgehend fehlten. So ist denn auch Hesiod nicht auf Gedeih und Verderben der Landwirtschaft ausgeliefert, sondern Seefahrt und Handel stehen als Alternative im Raum.151 Sein Vater fuhr auch nicht nur zur See, weil ihn der Hunger trieb; Hesiod macht sehr deutlich, dass er ein βίος ἐσθλός, also nicht einfach nur βίος im Sinn von „Lebensgut“, sondern ein „edles Lebensgut“ oder vielleicht eher ein „edles Leben“ suchte.152 Schließlich blieb immer noch die Möglichkeit, gänzlich auszuwandern – die Option, die Hesiods Vater schließlich wählte, als er vor der „elenden Armut“ (κακά πενία) aus dem kleinasiatischen Kyme nach Askra übersiedelte.153 Auch wenn Hesiod über das Dorf klagt, dass es nie edel (ἐσθλός) sei, so besaß sein Vater hier doch ein kleros, das in der zweiten Generation ausreichte, um zwei Söhnen den Status von Vollbauern zu garantieren.154 Die Armut von Hesiods Vater ist daher eine relative und die Suche nach einem βίος ἐσθλός ein nicht zu unterschätzendes Motiv für Seefahrt und Mobilität.155 Das klassische Beispiel für soziale Mobilität in der Welt der Epen ist denn auch jener kretische „Sohn des Kastor“, den Odysseus in einer seiner Lügengeschichten zu sein vorgibt und der sich (nebst einer lukrativen Heirat) durch eigene Kraft, und zwar durch Krieg und Seefahrt, nicht durch Landwirtschaft, ‚hochgearbeitet‘ hat.156

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S. u. Kap. 5.2.1. Hes. erg. 618–694. Hes. erg. 633f: ὥς περ ἐμός τε πατὴρ καὶ σός, μέγα νήπιε Πέρση, / πλωίζεσκ’ ἐν νηυσί, βίου κεχρημένος ἐσθλοῦ. Die Relativität von ‚Armut‘ und ‚Hunger‘ bei Hesiod betont auch van Wees (2013b) 226– 229, auch wenn seine These, „Hesiod’s farmers are too well off to be seriously at risk“ (ebd. 228), dann doch zu weit geht. Hes. erg. 635–640. Teilung des kleros durch die beiden Brüder: Hes. erg. 37. Hunger als Antrieb, Seefahrt zu betreiben, findet sich dagegen explizit erwähnt in Hom. Od. 16,286–289, dort werden die Schiffe aber nicht bemannt, um demütig-friedlich Handel zu treiben oder auszuwandern, sondern explizit, um „Übelgesinnten Unheil zu bringen“ (290). Hom. Od. 14,199–234. Als Paradebeispiel für soziale Mobilität etwa bei Schmitz (2014a) 19. Anm. 17; Ulf (1990a) 49; 181 f.; 212 und van Wees (1992) 213 sowie 207–217 allgemein zum Freibeutertum.

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Mindestens so wichtig sind jedoch die zahlreichen Geschichten sozialer Absteiger – denn als der „Sohn des Kastor“ seine Geschichte erzählt, hat er bereits alles wieder verloren. Status war ephemer und es gab kein Konzept von ‚Adeligkeit‘, die einmal erworben, ihrem Besitzer erhalten blieb und als ‚symbolisches Kapital‘ einen Abstieg verzögern oder zumindest abfedern konnte: Eumaios ist ein Schweinehirt, auch wenn er Sohn eines Königs ist, und der Bettler, als den sich Odysseus ausgibt, kann plausibel behaupten, ein ehemals reicher und mächtiger Mann gewesen zu sein, was aber nichts daran ändert, dass er ein Bettler bleibt.157 Der Möglichkeit, auf verschiedenen Feldern durch eigene Leistung Prestige zu erringen, entspricht also umgekehrt der rasche Verlust eines einmal errungenen Status, wenn die Leistung nicht mehr erbracht wird und vor allem wenn die ökonomische Grundlage der eigenen Existenz wegbricht. Der Umstand, dass sowohl bei Hesiod als auch bei Homer Realteilung die Regel zu sein scheint,158 trägt weiter zur Instabilität der Besitzverhältnisse bei. Allerdings deuten frühneuzeitliche Parallelen auch darauf hin, dass Realteilung als ein möglicher Faktor die Ausbildung eines ‚Bauerpatriziats‘ begünstigt, da dadurch Möglichkeiten eröffnet werden, durch kluge Heirats- und Ankaufspolitik den eigenen Besitz über Generationen zu vermehren – auch wenn das ‚Obenbleiben‘ prekär bleibt. In Gebieten mit Anerbrecht dagegen bildet sich zwar eine stabile Schicht gleichberechtigter Erbbauern, doch bieten sich auch weniger Möglichkeiten, Besitz zu akkumulieren.159 Dass in Griechenland diese Stabilität fehlte, zeigt erneut Hesiod, wenn er Perses ermahnt, zu den Göttern zu beten: „Damit du das kleros eines anderen kaufst, nicht ein anderer deines!“160 Die Odyssee kennt denn auch sowohl den „Mann ohne kleros“ (ἀνήρ ἀκλήρος) als auch „Menschen mit vielen kleroi“ (πολυκλήροι ἀνθρώποι).161 Wie hoch die Rolle von Gewalt und die damit verbundene Unsicherheit des Besitzes für soziale Mobilität zu veranschlagen ist, ist schwer abzuschätzen. Sicherlich bestand die Gefahr von Überfällen durch Plünderer und Menschenräuber – viele der Absteiger in den Epen hat genau dieses Schicksal ereilt. Ob dagegen einzelne starke Männer mit mafia-ähnlichem Verhalten ihre de facto Untertanen erpressten, wie dies von Hans van Wees propagiert wird,162 erscheint fraglich oder sollte als Modell zumin157

Hom. Od. 15,403–484 (Versklavung des Eumaios); 19,71–79 (der als Bettler verkleidete Odysseus gibt vor, einst ein reicher Mann gewesen zu sein). Generell zur Gefahr des sozialen Abstiegs s. Ulf (1990a) 181. 158 Hes. erg. 37; Hom. Od. 14,208–210; auch die Brüder Zeus, Poseidon und Hades teilten sich durch Los ihr ‚Erbe‘: Il. 15,187–193. Allg. zur Hofübergabe inter vivos und der Aufteilung des Erbes unter den Söhnen s. Schmitz (2004) 94–98. 159 Bader (1953) 270–272; Wunder (1975) betont in seiner Studie zur bäuerlichen Oberschicht im alten Wirtemberg ebenfalls die deutlich erhöhte soziale Mobilität gegenüber Gebieten mit Anerbrecht. 160 Hes. erg. 341 (eigen Übers.): ὄφρ’ ἄλλων ὠνῇ κλῆρον, μὴ τὸν τεὸν ἄλλος. 161 Hom. Od. 11,489; 14,211; allg. zum Landbesitz bei Homer und Hesiod s. Hennig (1980). 162 Van Wees (1992) spez. 85 f. und für sein Modell eines de facto Geburtsadels, der sich primär über Gewalt legitimiert, ebd. 153–165.

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dest nicht verabsolutiert werden. Zwar bieten die Epen Hinweise auf die Möglichkeit, dass basileis ungerecht sein können, etwa wenn explizit betont wird, das Odysseus dies nicht war, obschon es „die Art der göttlichen basileis ist“ (ἐστὶ δίκη θείων βασιλήων).163 In einer Lügengeschichte des Odysseus gibt er vor, ein Flüchtiger zu sein, der den Sohn des kretischen basileus Idomeneus erschlagen habe, weil dieser ihm seine Beute aus Troia rauben wollte.164 Dazu würde auch passen, wie Priamos seine Söhne als Räuber von Schafen und Ziegen im eigenen demos beschimpft.165 Völlig willkürlich können einzelne big men jedoch nicht agieren. So sind die basileis bei Hesiod zwar „geschenkefressend“, es wird jedoch nirgends impliziert, dass die Geschenke aktiv eingefordert werden: Sie werden dann fällig, wenn man einen Richtspruch erhalten will, weshalb Hesiod lieber ohne sie den Streit mit seinem Bruder schlichten möchte.166 Auch Alkinoos, der den übrigen Führern der Phaiaken empfiehlt, sich beim demos für die Gastgeschenke, die sie Odysseus mitgeben, schadlos zu halten, handelt nicht ganz so willkürlich, wie es erscheinen mag: Es hatte zuvor eine Agora stattgefunden, in der sich kein Widerspruch gegen eine Rückführung des Odysseus geregt hatte – das Vorgehen wurde also zumindest passiv vom demos mitgetragen und Alkinoos hatte sich dessen im Vorfeld versichert.167 Genauso verfährt Agamemnon, wenn er Achill sein geras wegnimmt: Dies geschieht vor den versammelten Achaiern und deren Nichtreaktion sanktioniert das Vorgehen des basileus – und erklärt den Zorn des Achill, der sich durchaus gegen die Achaier als Ganzes richtet.168 Generell erscheint ‚Herrschaft‘ wenig institutionalisiert beziehungsweise Herrschaftsrollen nur in Ansätzen ausgeprägt. Mit den basileis gibt es zwar Figuren, die Führungsaufgaben in der Gemeinde übernehmen und über besonders reiche oikoi verfügen, doch ihre Rolle bleibt stark an die Zustimmung durch die Gemeinde beziehungsweise der dort maßgebenden Schicht der Vollbauern gebunden. Auch wenn die homerischen Agorai kein formelles Beschlussverfahren kennen, so sind sie doch nicht unbedeutend:169 Telemachos versucht im zweiten Gesang der Odyssee, sein explizit als „privat“ kategorisiertes Problem mit den Freiern zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen,170 doch findet er damit ebenso wenig Zustimmung wie mit seiner Bitte um ein Schiff und eine Mannschaft, um nach seinem Vater zu suchen. Dass diese Nichtre-

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Hom. Od, 4,687–693. Zitat: 691; vgl. 2,230–234; 5,8–12. Hom. Od. 13,259–268. Hom. Il. 24,262. Hes. erg. 30–41. Zu den fehlenden Indizien für eine direkte Herrschaft der basileis in Askra s. Edwards (2004) 30–79. 167 Hom. Od. 8,1–45 zur Agora und 13,7–15 zum Eintreiben der Geschenke. 168 Allan & Cairns (2011) 113–121; generell zur hohen Bedeutung, welche die Epen der öffentlichen Zustimmung und Konsensfindung einräumen, s. Elmer (2013). 169 Vgl. dazu jetzt Fraß (2020). 170 In Hom. Od. 2,42–46 stellt Telemachos klar, dass er nicht eine Sache des demos (οὔτε τι δήμιον), sondern die Übel, die seinen oikos befallen haben, vor das Volk bringen wolle.

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aktion des demos durchaus eine Bedeutung hat und als bindend angesehen wird, zeigen die folgenden Szenen, in denen Telemachos sowohl in Pylos als auch in Sparta auf entsprechende Nachfrage betont, dass er in einer „privaten“ (ἴδιος) Angelegenheit, nicht in einer „öffentlichen“ (δήμιος) unterwegs sei.171 Die Gemeinschaft war auch in der Lage, das Fehlverhalten Einzelner zu rügen, wie die Geschichte um den Vater des Antinoos, eines der Freier in der Odyssee, veranschaulicht. Dieser hatte sich vor dem demos, der ihn lynchen wollte, zu Odysseus geflüchtet: […] weil er, taphischen Seeräubern zugesellt, den Thesproten Schaden getan hatte, die aber waren mit uns verbündet. Vernichten wollten sie ihn und ihm sein Herz herausreißen und sein Lebensgut verzehren, das dem Mute zusagende, viele.172

Wenn die Gemeinschaft bereit war, als ungerecht erachtete Kaperfahrten gegen externe Freunde derart zu ahnden, so wird dies erst recht für als ungerechtfertigt empfundene Übergriffe innerhalb der eigenen Gemeinde gegolten haben. In diesem Kontext muss auch die vieldiskutierte Episode um Thersites, die als klassisches Beispiel für die Unterdrückung des ‚kleinen Mannes‘ durch die Mächtigen gilt, differenzierter beurteilt werden: Im zweiten Gesang der Ilias ergreift Thersites in einer tumultuarischen Volksversammlung außerhalb jeder Ordnung das Wort und schmäht Agamemnon als nichtsnutzigen Führer, der von seiner Stellung materiell profitiere, aber nichts leiste. Dafür wird er von Odysseus unter kollektivem Gelächter geprügelt und auch der Dichter macht aus seiner Abneigung gegen Thersites, den er u. a. als den hässlichsten Mann vor Troia verunglimpft, keinen Hehl.173 Doch als Beleg für eine systematische Unterdrückung und Gängelung des demos durch eine geschlossene Elite taugt die Stelle nur bedingt. Denn laut dem Dichter spricht Thersites regelmäßig gegen die basileis, Kritik ist also keine Ausnahmeerscheinung. Auch der Umstand, dass Odysseus den Kritiker nur mit Gewalt zum Schweigen bringt, spricht für eine eher labile Stellung der basileis; denn Gewalt ist nicht die subtilste Form, die eigene Autorität aufrechtzuerhalten. In einem gänzlich anderen Licht erscheint die Episode jedoch, wenn man sich das Kontextwissen von Dichter und Publikum vergegenwärtigt. In der aus der Spätantike stammenden Chrestomathia des Proklos findet sich eine Inhaltsangabe der

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Hom. Od. 3,82: πρῆξις δ’ ἥδ’ ἰδίη, οὐ δήμιος; in Sparta wird die entspr. Frage gestellt: Od. 4,314: δήμιον ἦ ἴδιον; Hom. Od. 16,426–429 (Übers. W. Schadewaldt): οὕνεκα ληϊστῆρσιν ἐπισπόμενος Ταφίοισιν / ἤκαχε Θεσπρωτούς· οἱ δ’ ἥμιν ἄρθμιοι ἦσαν. / τόν ῥ’ ἔθελον φθεῖσαι καὶ ἀπορραῖσαι φίλον ἦτορ / ἠδὲ κατὰ ζωὴν φαγέειν μενοεικέα πολλήν. Hom. Il. 2,211–277. Für eine Deutung der Episode als „proper beatings“, die Arisiokraten den kakoi zukommen lassen, s. exemplarisch van Wees (1992) 83–85; ebenfalls im Sinn eines Konflikts zwischen Elite und demos deutet Fraß (2012) die Episode. Dass diese Interpretation jedoch keineswegs zwingend ist, zeigte Marks (2005), der dezidiert gegen eine Deutung der Episode als Klassenkampf argumentiert und Thersites klar den basileis zurechnet (dazu u. S. 80. Anm. 176).

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Aithiopis, eines der verlorenen epischen Gedichte rund um den troianischen Krieg, die auf denselben mündlichen Sagenstoff zurückgriffen, den auch Homer seinen Epen zugrunde legte. So dürftig diese spröden Inhaltsangaben sind, geben sie doch wichtige Aufschlüsse über Motive und Figuren, die im troianischen Sagenzyklus jenseits der homerischen Epen eine eigene Bedeutung hatten und die dem ursprünglichen Publikum daher bereits aus anderen Kontexten geläufig waren. Thersites ist ein solcher Fall, denn ihm kam in der Aithiopis eine entscheidende Rolle zu: Da er Achill wegen einer angeblichen Liebesbeziehung zur Amazonenkönigin Penthesilea tadelte, erschlug ihn dieser, was zu einem Aufstand der Achaier führte und Achill zwang, nach Lesbos zu segeln und sich dort von Odysseus entsühnen zu lassen.174 Dass der Ilias-Dichter diese Episode kannte, ist eindeutig, denn die Erklärung, Thersites sei Achill und Odysseus am meisten verhasst gewesen, da er sie stets schmähte,175 macht nur vor dem Hintergrund der Aithiopis Sinn: In der Ilias schmäht Thersites Agamemnon wegen dessen Missachtung von Achill – tritt also geradezu als Parteigänger des Peliden auf!176 Wenn man sich daher vergegenwärtigt, dass Gewalt gegen Thersites im weiteren Verlauf des Krieges einen Aufstand der Achaier auslösen wird, so erscheint die Züchtigung durch

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Prokl. chr. 178–184. Der Mord an Thersites bei Quint. Smyrn. 1,722–781 dürfte zumindest teilweise auf der Aithiopis basieren. Allg. zu den epischen Zyklen und der Neoanalyse s. Kullmann (2011) spez. 86 und 91 zum Thersitesmotiv; zu Ilias und Aithiopis allg. auch West (2003). Zu Thersites und der Aithiopis s. ferner Kullmann (1955) 270–272 und Ebert (1969), der freilich reichlich spekulativ Thersites bereits als Anführer einer Meuterei in der Kypris sehen möchte (wovon allerdings keine antike Quelle etwas weiß). Wichtig für die Diskussion um die Thersites-Tradition ist ferner Pherekydes FGrH 3 F 123, der eine Genealogie des Thersites überliefert, wonach dieser mit Diomedes verwandt wäre (was sich mit der Schilderung in den posthomerica von Quint. Smyrn. 1,722–781 deckt); der Scholiast, der das Fragment überliefert (Schol. bT Hom. Il. 2,212), verwirft dies jedoch, mit dem der Logik einer gefestigten Adelsherrschaft – wohl aber nicht der Welt der Epen – entsprechenden Argument: εἰ δὲ συγγενὴς ἦν Διομήδους, οὐκ ἂν αὐτὸν ἔπληξεν Ὀδυσσεύς· τοὺς γὰρ ἰδιώτας μόνον ἔτυπτεν. Die Version bei Apollod. bibl. 1,8,5 f. (mit Verweis auf die Alkmaionis), die Thersites zwar als Verwandten des Diomedes kennt, beide jedoch tödlich verfeindet sieht, gehört nicht direkt zum troianischen Sagenkreis und ist mit den dortigen Figurenkonstellationen nicht zu harmonisieren; vgl. dazu Andersen (1982). Hom. Il. 2,220 f.: ἔχθιστος δ’ Ἀχιλῆϊ μάλιστ’ ἦν ἠδ’ Ὀδυσῆϊ· / τὼ γὰρ νεικείεσκε. Vgl. Kullmann (1955) 270. Grundsätzlich anders argumentierte Andersen (1982) 19–29, der eine Abhängigkeit der Thersites-Episode in der Aithiopis von jener der Ilias sehen möchte. Sein Versuch, Il. 2,220 wegzuerklären (ebd. 26), vermag freilich nicht zu überzeugen, ferner spricht das Missverhältnis zwischen dem eingeschoben wirkenden Charakter der Thersites-Episode in der Ilias und ihrer Prominenz in der Aithiopis grundsätzlich gegen eine solche These; Andersen unterschätzt diese Prominenz, da er sich primär auf die eigenständige Behandlung des Stoffes durch Quintus von Smyrna bezieht (wo die Episode weitestgehend auf einen Konflikt zwischen dem Thersites-Mörder Achill und dessen zur Rache verpflichteten Verwandten Diomedes reduziert wird), während die Inhaltsangabe der Aithiopis bei Proklos (wo Diomedes keine Rolle spielt) nicht das ihr zustehende Gewicht erhält. Ebenfalls anders argumentiert Marks (2005), der in Thersites ein Mitglied der „basileus-class“ sehen möchte, ihm aber die Rolle einer „blame persona“ zuschreibt (analog zu Dichtern wie Archilochos und Hipponax), die in der Aithiopis wie in der Ilias konstant ist – eine durchaus reizvolle Deutung, die aber m. E. doch zu stark gegen die eindeutig sozial abwertende Darstellung des Thersites in der Ilias argumentiert, um wirklich zu überzeugen.

2.3 Die vollbäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts

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Odysseus in einem anderen Licht und verdeutlicht die prekäre Autorität der basileis gegenüber dem demos. Die Achaier lachen denn auch Thersites aus und stützen dadurch Odysseus’ Autorität, doch den Grimm, der später aufkochen sollte, verschweigt der Dichter nicht: Die aber waren bekümmert, lachten aber trotzdem vergnügt über ihn.177

Den basileis waren also durchaus Grenzen gesetzt und willkürliche Enteignungen und Übergriffe nur insofern möglich, als sie bei der Gesamtgemeinde nicht auf Widerstand stießen. Das ist nicht zu verwechseln mit Rechtssicherheit: Achill verliert sein Ehrgeschenk, obschon er eigentlich ein Recht darauf hätte, schlicht weil Agamemnon sich in der Öffentlichkeit durchsetzen kann, und Odysseus kann Thersites vor den lachenden Achaiern züchtigen. Umgekehrt ist diese Durchsetzungsfähigkeit ein labiles Gut und kein stabiles aristokratisches Herrschaftsprärogativ: Wer seine Autorität in der Öffentlichkeit verliert, büßt damit auch seine Ehrenstellung und die damit verbundenen materiellen Vergünstigungen ein – und das ist eine durchaus reale Gefahr. Die Angst Achills, dass seinem alten Vater die Ehrenstellung (τιμή) genommen werden könne,178 wenn ihm der tatkräftige Schutz des Sohnes fehle, ist sicher nicht unbegründet, genauso, wie Odysseus’ Mutter ihm in der Unterwelt versichern muss, dass sein Ehrenanteil (γέρας) in Ithaka noch intakt sei und Telemachos die mit dieser Ehre verknüpften Ländereien (τεμένεα) weiterhin besitze.179 Bezeichnend an dieser Passage ist auch, dass es jeweils explizit nur um die Ehrenstellung (und die damit verbundenen materiellen Privilegien) geht, nicht aber um das sonstige (‚private‘) Eigentum des Odysseus: Die Rede ist nur von den temenea, deren Verlust befürchtet wird, nicht aber vom oikos oder von kleroi, dem Terminus, den der Odyssee-Dichter sonst für ‚normale‘ Landlose verwendet. Es lässt sich daraus also nicht eine grundsätzliche Unsicherheit von Eigentum ableiten, sondern primär, dass die Ehrenstellung des basileus als besonders herausgehobener Großbauer mit zusätzlichen materiellen Vergünstigungen innerhalb der Gemeinde durchaus prekär sein konnte. Diese Abhängigkeit der basileis von der Zustimmung – oder zumindest der stillen Duldung – des demos und die stete Gefahr, die eigene Ehrenstellung an durchsetzungsfähigere Konkurrenten zu verlieren, scheint mir zentral für die politischen Strukturen, bei denen es mehr um Prestige, Leistung und materielle Vergütung ging als um Herrschaft im eigentlichen Sinne. Die klassische Definition Max Webers („Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angehbaren Personen Gehorsam zu finden“)180 ist denn auch nicht anwendbar, respektive führt zu einem negativen Ergebnis: Homerische basileis befehlen nicht, sondern erteilen Rat – eine der 177 178 179 180

Hom. Il. 2,270 (eigene Übers.): οἳ δὲ καὶ ἀχνύμενοί περ ἐπ’ αὐτῷ ἡδὺ γέλασσαν. Hom. Od. 11,494–503; vgl. Il. 24,486–489. Hom. Od. 11,184–186. Weber (1972) 28; vgl. ebd. 122.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Schlüsselqualitäten homerischer Helden181 –, und wenn Agamemnon das Heer mustert,182 so gibt er keine Befehle, sondern lobt, tadelt und erinnert an die Mahlzeiten, die er den Helden hat zukommen lassen, die sie nun zu Dankbarkeit und Tapferkeit verpflichten. Es bleibt also das Bild einer relativ instabilen Gesellschaft, in der Landbesitz das primäre Kriterium für die soziale Schichtung ist und die aufgrund der vorherrschenden Realteilung und der Möglichkeit, durch Seefahrt und Kriegszüge zusätzliche Gewinne zu erwirtschaften ein hohes Maß an sozialer Mobilität aufweist. Ehrenstellungen sind labil und in starkem Maß von der Zustimmung der Gesamtgemeinde beziehungsweise der maßgebenden Schicht der Vollbauern abhängig – von einer stabilen Herrschaft zu sprechen, wäre daher ebenso verfehlt wie in den basileis eine abgeschlossene Adelsschicht mit eigener Lebenswelt zu sehen. Die Autoritätsstruktur gleicht eher der einer big man-Gesellschaft, doch die big men ragen nicht aus einer ansonsten egalitären, allein segmentär gegliederten Gesellschaft heraus, sondern bewegen sich in einer nach ökonomischen Kriterien geschichteten, agrarischen Gesellschaft, mit einer Oberschicht aus Vollbauern als ihre nominellen ‚Peers‘. 2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert An dieser Instabilität von Status ändert sich auch im weiteren Verlauf der Archaik vordergründig nicht viel. Die Geltungskonkurrenz unterschiedlicher Praktiken des Prestigeerwerbs setzt sich auch in den kommenden Jahrhunderten fort und wird weiter unten noch ein Thema sein.183 Zentral sind jedoch vor allem zwei Entwicklungsperspektiven, die über das frühe siebte Jahrhundert hinausweisen und auf größere Veränderungen auf die Art des ‚Obenseins‘ hindeuten: Einerseits eine zunehmende Entkopplung von Ehre und materiellem Gewinn und andererseits eine Desintegration der bäuerlich geprägten Oberschicht. Beides steht im Zusammenhang mit der Ausbildung der Polis und dem damit einhergehenden Prozess der Urbanisierung. Diese Entwicklungen sind jedoch nicht Entwicklungen, die an einem statisch konzipierten ‚Adel‘ vorbei- oder gar gegen ihn gehen und auf ein neues Zeitalter der ‚bürgerlichen‘ Polis zusteuern, sondern es sind Entwicklungen, die ganz wesentlich als eine Transformation der hier rekonstruierten Oberschicht aufgefasst werden müssen.

181 182 183

Vgl. Schofield (1986). Hom. Il. 4,220–421. Festmähler zur Werbung bzw. Belohnung von Gefolgsleuten finden sich ferner bei Hom. Od. 14,249–251; 15,506 f. S. u. Kap. 5.

2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert

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2.4.1 Entkopplung von Ehre und materiellem Gewinn und die Entstehung von Ämtern Der eine große Trend, der sich beobachten lässt, ist eine zumindest teilweise Entkopplung von Ehre und materiellem Gewinn. In den homerischen Epen ist eine Ehrenstellung in der Regel auch profitabel: Ein geras ist gleichzeitig ein Sachwert und ein Ehrengeschenk.184 Der praktische ökonomische Nutzen solcher Ehrgeschenke wird bei den bereits besprochenen Preisen bei den Leichenspielen für Patroklos überdeutlich.185 Eine Funktion für die Gemeinschaft auszuüben, geht daher sehr unmittelbar mit einer Entschädigung zusammen, so meint Telemachos gegenüber den Freiern: Basileus zu sein, ist gar nicht übel. Schnell wird das Haus ihm reich, und er selber ist höher geachtet.186

Die ‚geschenkefressenden‘ Könige bei Hesiod folgen ebenso dieser Logik wie die Alten in der Schildbeschreibung, die in der Agora einen Schiedsspruch geben sollen und wo jener, der den geradesten Spruch fällt, zwei Talent Gold erhalten soll.187 Bemerkenswert ist jedoch vor allem das temenos, das homerische basileis erhalten: Ein ‚abgetrenntes‘ Stück Land, das ihnen zur Nutznießung und als Zeichen ihrer Ehrenstellung überlassen wird.188

184 Zur materiellen Manifestation von Ehre in Geschenken und Kleinodien s. Finley (2005) 125–129 und 97–100 zum materiellen Profit, den die basileis aus ihrer Ehrenstellung ziehen. Zum basileus und der Äquivalenz von Leistung, Ehre und materiellem Gewinn s. Ulf (1990a) 191–212. Zum Zusammenhang von Macht und Ehre s. auch van Wees (1992) 101–108. 185 S. o. S. 64 f. 186 Hom. Od. 1,392 f. (Übers. nach W. Schadewaldt): οὐ μὲν γάρ τι κακὸν βασιλευέμεν· αἶψά τέ οἱ δῶ / ἀφνειὸν πέλεται καὶ τιμηέστερος αὐτός. 187 Hes. erg. 38 f.; Hom. Il. 18,503–508. 188 Das temenos als von der Gemeinschaft als Ehre vergebenes Land findet Erwähnung bei Hom. Il. 6,194 f. (Lykier geben Bellerophon ein temenos); 9,574–580 (Geronten Aitoliens versprechen Meleagros ein temenos); 20,184–186 (Achill verhöhnt Aias, er hoffe, die Troianer würden ihm ein temenos geben); als Teil der verpflichtenden Ehrenstellung des basileus erscheint das temenos bei Hom. Il. 12,313 f.; als Teil des unangetasteten geras von Odysseus gilt bei Hom. Od. 11,184–186, dass Telemachos weiterhin die temenea besitze; die Beschreibung eines explizit als temenos basileion bezeichneten Landes findet sich in der Schildbeschreibung (Il. 18,550–560); der auf troischer Seite kämpfende Iphition hat ein temenos patroion, was auf die Erblichkeit dieses Landes hindeutet, ferner werden ein temenos von Alkinoos (Od. 6,291–294) und von Odysseus (Od. 17,299) erwähnt. An dieses ‚Königsland‘ schließt eine größere Debatte an, da es dabei um die grundsätzliche Frage nach Besitzstrukturen geht. Finley (1957) 148–157 wendet sich gegen die Vorstellung, eines speziellen Königslandes, das als eine Art ager publicus von der Gemeinde vergeben werden kann – wenn jedoch alles Land Privatbesitz ist, so kann ein temenos nur ‚abgetrennt‘ werden, indem man anderen kleroi wegnimmt, bzw. die Gemeinde sie abkauft wie etwa bei Hdt. 9,94. Eine ähnliche Deutung bevorzugt Hennig (1980) 39–44. Die Epen geben auf eine solche ‚Enteignung‘ jedoch keinen Hinweis. Donlan (1989b) versucht das Problem zu lösen, indem er argumentiert, dass es sich beim temenos um nicht urbar gemachtes Land im Gemeindebesitz handelt, das der demos dem basileus zur Urbarmachung überlässt – die Deutung widerspricht jedoch (trotz ingeniöser Versu-

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Ob sich hinter den homerischen basileis ein tatsächlich zu rekonstruierendes politisches System verbirgt, wage ich zu bezweifeln. Eine ‚Monarchie‘ ist es nicht, schließlich gibt es, wie Telemachos selbst sagt, viele basileis auf Ithaka,189 bei der Heeresprobe im zweiten Gesang der Ilias sind offenbar nicht alle basileis in den Plan Agamemnons eingeweiht, das heißt nicht alle basileis sind Angehörige des Rats,190 umgekehrt sind basileis gelegentlich auch synonym verwendet mit gerontes191 und natürlich der locus classicus: Odysseus kann als basileus 20 Jahre abwesend sein, ohne dass daraus (außer für seinen ‚privaten‘ oikos) nennenswerte Probleme für die Gemeinde entstünden.192 Dennoch ist es irreführend, von einer „vorstaatlichen Gemeindeordnung“193 zu sprechen: Mit den Herolden verfügt die Gemeinde über Funktionsträger, die Versammlungen einberufen und für Ordnung sorgen;194 obschon basileis meist die Opfer vollche Donlans, dies wegzuerklären) den Quellen, die klar implizieren, dass es sich um besonders fruchtbares und kultiviertes Land handelt. Hahn (1977) und Link (1994) deuten in Anbetracht dieser Aporien die temenea als Relikt aus mykenischer Zeit, das analog zu den Streitwagen dem Epos heroisches Kolorit geben soll, ohne eine konsistente historische Praxis zu spiegeln – die übrigen Indizien einer materiellen Absicherung des basileus durch den demos (etwa durch den Ehrenwein der Geronten!) lassen die Zuteilung eines temenos m. E. jedoch durchaus konsistent erscheinen. Van Wees (1992) 294–298 argumentiert denn auch dezidiert für eine tatsächliche Praxis, die für eine starke Institutionalisierung der ‚öffentlichen‘ Funktion des basileus sprechen würde. Wichtig ist hierbei v. a. auch der Verweis auf temenea, die bei der Neuordnung Kyrenes Mitte des 6. Jhs. für den basileus Battos festgelegt werden (Hdt. 4,161,3), und die Aussage Xenophons, wonach die Könige Spartas von Lykurg spezielles Land bei den Periöken zugewiesen erhalten hätten (Xen. Lak. pol. 15,3): Beides verleiht der bei Homer fassbaren Praxis zusätzlich Plausibilität und spricht gegen die Annahme, dass es sich um ein ahistorisches Amalgam handelt. 189 Hom. Od. 1,394 f. 190 Das wird deutlich, wenn Odysseus versucht, die Fliehenden zurück in die Agora zu treiben (Hom. Il. 2,188–206): Die Stelle zeugt zwar von einer klaren Unterscheidung zwischen den basileis und den herausragenden Männern, die mit freundlichen Worten zurückgehalten, und denen aus dem demos, die mit Schlägen traktiert werden, doch institutionell spiegelt sich diese Differenz nur bedingt wider, denn erstere werden von Odysseus explizit belehrt, dass sie den Plan von Agamemnon nicht kennen und nicht in der boule waren (Il. 2,192; 194) – sie sind also genauso ahnungslos wie die Männer des demos. Schulz (2011) 13–18 versucht, zwischen einem ‚großen‘ und einem ‚kleinen Rat‘ zu unterscheiden, was wohl etwas zu formalistisch gedacht ist – der Umstand, dass Menelaos aus eigenem Antrieb zum Rat stoßen kann (Il. 2,408), deutet auf einen geringen Grad an formaler Institutionalisierung hin, vgl. aber Schulz (2011) 86. 191 Schulz (2011) 9–11. 192 So gibt Aigyptios in Hom. Od. 2,26 f. an, dass seit Odysseus’ Abreise keine Agora mehr einberufen worden sei – Finley (2005) 84 sah darin (ohne die Möglichkeit dichterischer Übertreibung in Rechnung zu stellen) einen Beleg für sehr geringe Ausprägung oikos-übergreifender Strukturen. 193 Der Begriff findet sich so bei Walter (1993) 36–44, der sich zwar mit Recht gegen eine zu weitgehende Rekonstruktion politischer Institutionen richtet, die vorhandenen Anzeichen auf Institutionalisierung jedoch auch weitgehend ausblendet. Als Gegenmodell kann van Wees (1992) 31–36; 281–298 gelten, der letzteres überbetont und das Bild einer sehr weitreichenden politischen Institutionalisierung zeichnet. 194 Herolde als angehbare Funktionäre zum Einberufen von Versammlungen begegnen u. a. in Hom. Il. 2,50f; 11,85f; Od. 2,6 f.; die Ordnungsfunktion der Herolde (und ihres Szepters, das dem jeweiligen Sprecher gegeben wird) in der Agora illustriert prägnant die Schildbeschreibung bei Hom. Il. 18,503 und 505. Generell zur „protoinstitutionellen“ Funktion der Herolde s. Tietz (2011) 74–85.

2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert

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ziehen, kennt das Epos auch spezielle Priesterämter;195 die Agora auf Ithaka verfügt über eine feste Bestuhlung,196 und die materiellen Ehrungen,197 die der demos Einzelnen zukommen lässt, deuten alle auf eine bereits recht weitgehende Institutionalisierung hin.198 Man kann versuchen, hier ältere und neuere Schichten zu unterscheiden: Die bewusst archaisierend gehaltenen basileis, die noch weitgehend in ‚alter‘ Manier die kultischen Aktivitäten monopolisieren und im eigenen Haus ihre Unter-basileis zum Mahl versammeln, während nebenher bereits ‚neuere‘ Polisinstitutionen wie die Agora, Herolde oder Priester begegnen.199 Ein solches Bild ist zwar nicht unplausibel und deckt sich auch teilweise mit dem archäologischen Befund, dennoch ist Vorsicht angebracht. Die starke und eigenmächtige Stellung der basileis muss keineswegs eine Erinnerung an frühere Zustände sein, sondern ist ganz wesentlich durch die Handlung bedingt. Schließlich sind alle Helden auch Könige und welcher epische Held hält sich schon an institutionelle Zwänge und Verfahren? Den Institutionen im Hintergrund – Agora, spezialisierte Priester, als demiourgen bezeichnete Herolde – sollten daher deutlich mehr Beachtung geschenkt werden, ebenso wie den eher unheroisch anmutenden materiellen Entschädigungen durch Land und Nahrung, die die basileis als wie auch immer geartete Funktionsträger erhalten. Ein konkretes Bild politischer Institutionen lässt sich daraus m. E. nur begrenzt ableiten, wohl aber zwei Grundstrukturen ihrer Funktionsweise: einerseits die oben angesprochene starke Abhängigkeit vom Konsens des demos und andererseits die hier zu behandelnde enge Verbindung von Ehre und Gewinn. Öffentliche Funktionen bringen materiellen Gewinn und Ehre (und zwar, wenn man Telemachos wörtlich nimmt, in dieser Reihenfolge). Die Logik, wonach Ehre und Gewinn zusammengehen, betrifft denn auch ganz grundlegend und unabhängig von öffentlichen Funktionen die Einstellung zu Gewinn und Reichtum als Prestigegut. So lobt Hesiod die Arbeit, denn:

195

Bedeutsam für die Handlung ist natürlich Chryses, der Priester Apollons und Vater von BryseÏs in Hom. Il. 1,11 ff.; weitere Priester (ἱερύς oder ἀρητήρ) werden jeweils beiläufig als Figuren mit einer herausgehobenen Ehrenstellung erwähnt: Il. 5,9 f. (Dares, Priester des Hephaistos); Il. 5,77 f. (Dolopion, Priester des Skamandros); Il. 16,604 f. (Onetor, Priester des Zeus Idaios); Od. 9,197 f. (Maron, Priester des Apollon) und nicht näher spezifiziert sind die „besten Priester der Aitoler“ in Il. 9,575. Mit Theano, der Gattin des Antenor, begegnet ferner eine Priesterin (ἱέρεια) der Athene (Il. 6,298–300). 196 Hom. Od. 2,14. 197 So werden Ehrgeschenke zumindest nominell von der Gemeinde vergeben – Achill etwa gibt an, sein geras, das Agamemnon ihm streitig macht, den Achaiern (und nicht etwa Agamemnon) zu verdanken (Hom. Il. 1,161 f.). Ebenso stellt die Gemeinde Mahlzeiten als Ehrbekundung, insbesondere den „Wein der Geronten“ (Il. 4,259; Od. 13,8; vgl. auch Il. 8,162; 12,311). Zum temenos als materielle Entschädigung seitens der Gemeinde s. o. S. 83 mit Anm. 188. 198 Gegen die ‚primitivistische‘ Sicht Finleys argumentieren etwa Ulf (1990a) spez. 164–171 und 223– 231, der die homerische Gesellschaft in einer Übergangsphase von einer segmentären hin zu einer stratifizierten Gesellschaft sieht, sowie van Wees (1992) 25–58, der diesen Übergang bereits vollzogen sieht und von weitgehend ausgebildeten staatlichen Institutionen ausgeht. 199 Eine solche Erklärung fährt etwa Tietz (2011) für die homerischen Herolde.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Wenn du arbeitest, wird schnell dir neiden der Arbeitsscheue den Reichtum; dem Reichtum aber folgt Tugend und Ehre.200

Gewinn ist denn auch in keiner Art und Weise ehrrührig, im Gegenteil: Homerische Helden kalkulieren den materiellen Nutzen ihres Handelns in der Regel sehr wohl mit ein.201 Die einzige Stelle, die eine frappierende Differenz zwischen Reichtum und Ehre zeigt, befindet sich in der Dolonie: Dolons Vater Eumedes ist zwar reich an Gold und Erzen, aber lediglich ein Herold und Dolon selbst wird – analog zum Achaier Thersites – als hässlich bezeichnet, und es ist schwer, in der Bezeichnung εἶδος κακός nicht einen Hinweis auf seine fehlende Ehre zu sehen.202 Dolon fordert für den riskanten Spähdienst von Hektor die Pferde Achills – will also ein Ehrgeschenk, das ihm zum Reichtum hinzu auch entsprechend Ehre verleihen würde.203 Bei allen Unstimmigkeiten, die es zwischen Analytikern und Unitariern gibt: dass die Dolonie ein späterer Einschub darstellt, der sich stilistisch und motivisch in vielen Punkten vom restlichen Epos unterscheidet, ist allgemein akzeptiert.204 Insofern ist es bezeichnend, dass gerade hier ein Kontrast von Ehre und Reichtum aufgemacht wird. Denn das ist ein Motiv, das der homerisch-hesiodeischen Welt eher fremd ist, im Verlauf der Archaik jedoch zunehmend an Bedeutung gewinnt. Alkaios überliefert Ende des siebten Jahrhunderts den Spruch, dass „Geld den Mann“ mache und ein Armer niemals edel und geehrt sei205 – anders als bei Hesiod scheint das jedoch weniger eine pragmatische Feststellung, sondern vielmehr eine Klage zu sein.206 Der nur wenig später schreibende Solon macht denn auch einen klaren Gegensatz zwischen Reichtum und Tugend auf:

200 Hes. erg. 312 f. (eigene Übers.): εἰ δέ κεν ἐργάζῃ, τάχα σε ζηλώσει ἀεργὸς / πλουτεῦντα· πλούτῳ δ’ ἀρετὴ καὶ κῦδος ὀπηδεῖ. 201 Zum „bäuerlichen Eigennutz“ s. u. a. Strasburger (1953) 107 ff.; zum Konnex von Ehre und materiellem Gewinn vgl. auch Finley (2005) spez. 126 f. Dass Handelsgewinne ehrrührig waren, wird zwar von Finley (2005) 69–71 behauptet, beruht aber auf einer isoliert-einseitigen Deutung von Od. 8,145–164 – der Befund ist jedoch keineswegs so eindeutig: van Wees (1992) 238–248 führt sehr gute Argumente an, Handel als ‚neutrale‘ Tätigkeit zu sehen, die Gewinn, aber kein Prestige bringt, wohingegen Raub Prestige und Gewinn vermitteln kann. 202 Hom. Il. 10,314–316. 203 Dass er nicht ohne weiteres damit rechnet, dass Hektor ihm das versprochene Geschenk auch gibt (was seinen geringen Status unterstreichen würde), zeigt sein Insistieren darauf, dass Hektor einen Eid ablege: Il. 10,319–327. Die Bemerkung des Dichters (Il. 10,332), Hektor habe falsch geschworen (ἐπίορκον ἐπώμοσε), dürfte jedoch eher auf das nicht erfüllbare Versprechen (er hätte zuerst Achill erschlagen müssen) als auf eine tatsächliche Täuschungsabsicht bezogen sein. 204 Vgl. etwa Danek (2012) mit weiterer Literatur. 205 Alkaios F 360,2 L-P (= 101 D = Schol. Pind. I. 2,17): χρήματ’ ἄνηρ, πένιχρος δ’ οὐδ’ εἲς πέλετ’ ἔσλος οὐδὲ τίμιος. Zu diesem Spruch und der enormen Bedeutung von Reichtum für den Statuserhalt s. jetzt Stein-Hölkeskamp (2019). 206 Pind. I. 2,17 f. ergänzt das Fragment Alkaios’ um den Hinweis, dass Antidemos, dem Alkaios den

2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert

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Viele Schlechte nämlich sind reich, aber Gute sind arm; aber wir werden mit diesen nicht tauschen die Tugend gegen Reichtum, denn dies immer sicher, Geld aber hat von den Menschen mal der eine mal der andere.207

Die Klage findet sich identisch auch für Theognis überliefert.208 Die genaue Autorschaft ist also unklar, war aber wohl auch gar nicht wichtig: Die Aufnahme der Verse im Corpus Theognideum ist vielmehr ein Indiz dafür, dass die Gegenüberstellung von Tugend und Reichtum zu einem Allgemeinplatz wurde, der nicht an einen bestimmten Autor gebunden war. In der Tat findet sich bei Theognis auch die Empfehlung, lieber mit wenig Geld (χρήματα) zu leben, statt mit unrecht erworbenem, Tugend liege nämlich in Gerechtigkeit und jeder gute Mann (ἀνὴρ ἀγαθός) sei ein gerechter Mann; Vermögen hingegen gebe ein Daimon auch einem schlechten Mann.209 Ganz anders als bei Hesiod führt Reichtum also nicht mehr automatisch zu Tugend, sondern im Gegenteil – zumindest bei denen, die nicht damit umgehen können – zu hybris.210 Herodot macht diesen Kontrast besonders deutlich, wenn er die griechische Überlegenheit den Persern gegenüber dadurch verdeutlicht, dass die Griechen bei den Olympischen Spielen – anders als noch bei den Leichenspielen für Patroklos – eben gerade nicht um materiellen Gewinn konkurrieren: Als er [der Perser Tritantaichmes] nämlich hörte, der Kampfpreis [um den die Griechen in Olympia wetteifern] sei ein Kranz, aber kein Geld, hielt er nicht länger an sich, sondern rief vor allen Leuten: „Weh, Mardonios! Gegen was für Leute führtest du uns in den Krieg, die nicht um Geld ihre Kampfspiele halten, sondern um den Preis der Tüchtigkeit!“211

Diese Bewertung entspringt freilich mehr einer kontrafaktischen Selbstbeschreibung als der Praxis: Olympioniken erhielten zwar ‚nur‘ einen Kranz, doch konnten sie mit Spruch in den Mund legte, selbst sein Vermögen und mit diesem seine Freunde verloren habe: Die persona ist also die des deklassierten Anklägers. 207 Solon F 15 W (= 6 G.-P. = 4,9–12 D = Plut. Sol. 3,2) (eigene Übers.): πολλοὶ γὰρ πλουτσι κακοί, ἀγαθοὶ δὲ πένονται· / ἀλλ’ ἡμεῖς τούτοις οὐ διαμειψόμεθα / τῆς ἀρετῆς τὸν πλοῦτον, ἐπεὶ τὸ μὲν ἔμπεδον αἰεί, / χρήματα δ’ ἀνθρώπων ἄλλοτε ἄλλος ἔχει. 208 Thgn. 1,315–318. 209 Thgn. 1,145–150. 210 Paradigmatisch bei Solon F 6,3 f. W (= 8 G.-P. = 5,7–10 D = [Aristot.] Ath. pol. 12,2) = Thgn. 1,153 f.: τίκτει γὰρ κόρος ὕβριν – versehen mit dem wichtigen Zusatz: ὅταν πολὺς ὄλβος ἕπηται / ἀνθρώποις ὁπ¢όσοις μὴ νόος ἄρτιος ἦι. Vgl. Thgn. 1,1174; Thgn. 1,835 bietet die Paarung: καὶ κέρδεα δειλὰ καὶ ὕβρις. Vgl. Solon F 4,5–8; 11 W (3 G.-P. = 3 D = Dem. 19,254–256); Thgn. 1,751. Wichtig ist aber – gerade im Vergleich zu späteren Autoren –, dass Reichtum und Überfluss zwar zu Hybris führen können (vor allem wenn die falschen Leute reich sind), dass aber Luxus per se nicht zwingend negativ gesehen wird, dazu grundlegend Kurke (1992) sowie u. Kap. 3.3. 211 Hdt. 8,26 (Übers. nach J. Feix): Πυνθανόμενος γὰρ τὸ ἄεθλον ἐὸν στέφανον ἀλλ’ οὐ χρήματα, οὔτε ἠνέσχετο σιγῶν εἶπέ τε ἐς πάντας τάδε· „Παπαί, Μαρδόνιε, κοίους ἐπ’ ἄνδρας ἤγαγες μαχησομένους ἡμέας, οἳ οὐ περὶ χρημάτων τὸν ἀγῶνα ποιεῦνται ἀλλὰ περὶ ἀρετῆς.“

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

erheblichen, – und durchaus materiellen – Ehrungen durch ihre Heimatpolis rechnen.212 Auch die Klagen bei Theognis, dass Reichtum allein niemanden ‚gut‘ mache, sind letztlich kontrafaktisch. Denn die Kategorien ‚gut‘ und ‚schlecht‘ sind keine absoluten Maßstäbe: Gute, so meint der Dichter, würden nun für schlecht und Schlechte für gut gehalten – dass Geld den Mann macht, mochte man zwar beklagen, daran ändern konnte man nichts.213 Doch auch wenn sich in dieser Hinsicht seit Hesiods Zeit nur bedingt etwas geändert hat, so funktionierte der Umkehrschluss, nämlich dass Ehre materiellen Gewinn einbringe (ja, sich geradezu kausal in einem solchen manifestieren müsse) in der Praxis nur noch bedingt: Von einem temenos, das politische Funktionäre von der Gemeinde erhalten, erfahren wir nach Homer nur noch im Fall von Kyrene und möglicherweise Sparta,214 und auch ‚geschenkefressende‘ basileis verschwinden. Die archaischen Polis-Beamten scheinen weitgehend ehrenamtlich agiert zu haben, also die durch das Amt vermittelte Ehre als alleinigen Lohn genommen zu haben – genauso wie Herodot es als ein besonderes Zeichen moralischer Überlegenheit sieht, wenn Olympioniken nicht um Geld, sondern allein um Tugend wetteifern. Dass diese immateriellen Ehren sich durchaus in ökonomisches und soziales Kapital (rück-)konvertieren ließen, versteht sich. Es geht jedoch weniger um die tatsächlichen Abläufe, sondern um die dahinterstehende Ideologie, und diese sieht Ehre und materiellen Gewinn klar getrennt. Die sehr materiell gedachte Ehre der Epen wird damit zu einem weitgehend immateriellen ‚symbolischen Kapital‘, das sich zwar in andere Kapitalformen konvertieren lässt, aber, wie der Soziologe Pierre Bourdieu es formulierte, „seinen ihm eigenen Effekt in dem Maße und nur in dem Maße hervor[bringt], wie es verschleiert, dass jene ‚materiellen‘ Arten des Kapitals auch ihm – und in letzter Instanz auch seinen Effekten – zugrunde liegt.“215 212

Vgl. Mann (2001) 28–30, der einerseits das ‚symbolische Kapital‘ hervorhebt, das es zu gewinnen gibt, und zweitens mit Recht hervorhebt, dass die weniger prominenten Agone sehr wohl weiterhin Sachpreise aussetzten. Ulf (1997) 54 mutmaßt, dass das Aussetzen materieller Preise zwangsläufig zu einer Vereinnahmung der Agone durch den jeweiligen Stifter geführt und damit den panhellenischen Charakter gefährdet hätte, was jedoch hypothetisch bleiben muss, genauso wie die Vermutung (die freilich gut zu der hier vorgestellten Entwicklung passen würde), dass die Kranzspiele ursprünglich Sachpreise aussetzten und erst im Verlauf der Archaik zu immateriellen Preisen übergingen (so explizit vermerkt für die Pythien bei Paus. 10,7,5; die Agone in Elis mit einem Dreifuß als Preis, die Hom. Il. 11,698–701 erwähnt, könnten auf Sachpreise bei den Olympischen Spielen des 7. Jhs. hinweisen); vgl. dazu Young (1984) 113. Die Herodot-Stelle hat aber auf jeden Fall erheblich dazu beigetragen, den Mythos des antiken Amateur-Sports (im Sinne der angelsächsischen Amateur-Bewegung des 19. Jhs.) zu beflügeln; dazu grundlegend Young (1984) sowie u. Kap. 6.2, spez. S. 255–259. 213 Vgl. hierzu v. a. van Wees (2000b) sowie u. S. 120 f. 214 In Kyrene werden temenea für König Battos festgelegt (Hdt. 4,161,3) und in Sparta verfügen die Könige zu Xenophons Zeiten über spezielles Land (freilich nicht als temenea bezeichnet) in den Städten der Periöken, das sie angeblich von Lykurg erhalten hätten (Xen. Lak. pol. 15,3); dazu. o. S. 83 mit Anm. 188. 215 Bourdieu (1979) 357, vgl. allg. zum symbolischen Kapital ebd. 335–357 und Bourdieu (1993) 205– 245.

2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert

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Mit der Ausbildung einer solchen deutlich abstrakteren Konzeption von Ehre wäre an sich die Voraussetzung für eine stabilere Adelsbildung gegeben, bei der Ehre zum entscheidenden Kriterium wird und zwar losgelöst vom materiellen Besitz. Im Sinne der idealtypischen Adelsdefinition wäre die abstrakte Ehre dann das symbolische Kapital, das die Zugehörigkeit zur exklusiven Gruppe der Ehrbaren bestimmt und auch noch wirksam bleibt, wenn die ökonomische Basis wegbricht. In Ansätzen ist das vorhanden – sonst wären die Klagen der Lyriker nicht nachvollziehbar. Umgekehrt führen aber gerade diese Klagen drastisch vor Augen, dass Ehre in der Praxis nicht als das entscheidende Distinktionsmerkmal angesehen wurde. Denn dass Geld den Mann macht und ein verarmter ‚Guter‘ nichts mehr zählt, zeigt letztlich nur, dass nach wie vor die ökonomische Leistungsfähigkeit sehr unmittelbar den gesellschaftlichen Auf- und Abstieg determinierte. Ob die soziale Mobilität im Verlauf des siebten und sechsten Jahrhunderts zunahm, lässt sich daraus nicht direkt erschließen, was sich aber auf jeden Fall konstatieren lässt, ist, dass sie zunehmend als problematisch empfunden wurde, als etwas, das man als beklagenswert ansah. Die Oberschicht bildete zwar nach wie vor keinen ‚Adel‘, in Bezug auf ihre Ehrkonzeption näherte sie sich einem solchen aber an. Die Frage ist, wie es zu dieser Entkopplung von Ehre und materiellem Gewinn kommen konnte. Telemachos’ Äußerungen zur basileia scheinen hier paradigmatisch: Basileus zu sein, ist eine gute Sache, in erster Linie, weil sich das Haus mit Geschenken füllt, und erst in zweiter Linie, weil man Ehre erlangt. Ohne die Aussicht auf direkten materiellen Gewinn scheinen öffentliche Funktionen nicht per se attraktiv gewesen zu sein – die Führungsrolle im Kampf gegen Troia erscheint dem Kreter in Odysseus’ Lügengeschichte primär als Last, der er sich unter dem Druck des zu befürchtenden schlechten Rufs beugt.216 Analog hat Max Weber für die Städte des europäischen Mittelalters konstatiert, dass „überall […] zunächst die Mitwirkung bei den Verwaltungsgeschäften der Stadt als eine Last empfunden [wurde], welche nur erfüllt wurde, soweit eine öffentliche Pflicht dazu bestand.“217 Man sollte daher möglicherweise auch für das frühe siebte Jahrhundert nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass öffentliche Funktionen durchwegs begehrt waren. Das änderte sich freilich im Verlauf der Archaik. Einerseits nahm der individuelle Reichtum einzelner Haushalte – im Vergleich zu den relativ bescheidenen Dimensionen von Wohlstand in den Epen – deutlich zu und die materielle Ungleichheit innerhalb der Schicht der Vollbauern verschärfte sich erheblich: Ein spätarchaischer ‚Aristokrat‘ wie Miltiades, der Pferde nach Olympia schickte, eine eigene Herrschaft auf der Chersones begründete und Gastfreund des lydischen Königs war, spielte in einer ganz anderen Liga als Telemachos, der sich für die Expedition nach Pylos erst ein Schiff leihen musste, nachdem sich die Volksver-

216 217

Hom. Od. 14,235–239. Weber (2000) 35 f.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

sammlung geweigert hat, ihm eines zu stellen.218 Andererseits erfuhr die Polis sowohl als machtpolitischer Faktor wie auch als primäres Feld elitärer Statuskonkurrenz und -manifestation eine Bedeutungssteigerung, die Ämter allein wegen der damit verbundenen Ehren und Herrschaftsfunktionen attraktiv werden ließ. Die Übernahme politischer Funktionen und der damit verbundene Zugewinn an Macht (im Sinne einer institutionell abgesicherten Herrschaftsrolle) und Ehre wurden damit tendenziell wichtiger als ökonomischer Profit – mehr noch: Um an die begehrten und umkämpften Posten zu gelangen, dürfte man auch bereit gewesen sein, ökonomisches Kapital zu investieren, es also – im Sinne Bourdieus – in symbolisches Kapital zu konvertieren.219 Die bei Homer noch fassbare direkte Korrelation von Ehre und materiellem Gewinn ging damit verloren oder verkehrte sich gar ins Gegenteil. Die Institutionalisierung kollegialer Behörden und jährlich wechselnder Ämter, die in vielen archaischen Poleis feststellbar ist, folgt genau dieser Logik und greift korrigierend ein. Durch Kollegialität und Annuität wurde nicht nur einer Monopolisierung begehrter Macht- und Ehrenstellungen durch einen Einzelnen vorgebeugt, sondern auch die Partizipation und damit die Teilhabe an von der Polis verliehenen Ehren ausgeweitet – nicht nur weil wechselnd bekleidete Ämter per se mehr Personen die Partizipation ermöglichten, sondern auch weil eine begrenzte Amtsdauer auch nur eine begrenzte Abkömmlichkeit erforderte. Da ein Beamter zwar immer noch Ehre erhielt, anders als Telemachos aber nicht mehr erwarten konnte, dass sich sein oikos dadurch in unmittelbarer Kausalität mit Reichtum füllte, war das ein nicht unerheblicher Faktor. Im Athen des fünften Jahrhunderts wurden dann unter ganz neuen Bedingungen Diäten für politische Partizipation eingeführt, mit der Idee, so wirklich jedem Bürger die Teilhabe zu ermöglichen, unabhängig vom jeweiligen ökonomischen Status.220 Für Aristoteles ist es denn auch ein wesentliches Merkmal einer Demokratie, […] dass es zwar am besten eine Entlohnung für alle gibt – Volksversammlung, Gerichte, Ämter – und, wenn nicht, so doch für die Ämter, die Gerichte, den Rat, die Volksversammlungen mit Entscheidungsgewalt oder die von den Ämtern, die miteinander zu speisen gezwungen sind.221

218

Zu Miltiades, dem Sohn des Kypselos, s. Hdt. 6,34–38; Davies (1971) 299 f.; Stahl (1987) 106–115. Dagegen klagt Telemachos, als er kein Schiff erhält, er werde wie ein ἔμπορος ohne eigenes Schiff nach Pylos reisen: Hom. Od. 2,318–320. 219 Dies zeigt sich etwa in den athenischen Zensusklassen, die offenbar weitgehend auf Selbstdeklaration beruhten, was nur dann Sinn ergibt, wenn mit den Privilegien entsprechende Pflichten (etwa Steuern) einhergehen, dazu van Wees (2013a) 84–91, spez. 85 f. 220 Dazu ausführlich: Podes (1995). 221 Aristot. Pol. 6,1317b 35–38 (eigene Übers.): ἔπειτα τὸ μισθοφορεῖν μάλιστα μὲν πάντας, ἐκκλησίαν δικαστήρια ἀρχάς, εἰ δὲ μή, τὰς ἀρχὰς καὶ τὰ δικαστήρια καὶ βουλὴν καὶ τὰς ἐκκλησίας τὰς κυρίας, ἢ τῶν ἀρχῶν ἃς ἀνάγκη συσσιτεῖν μετ’ ἀλλήλων.

2.4 Strukturelle Veränderungen im siebten Jahrhundert

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Eine solche Konzeption von Demokratie setzt jedoch die Trennung von ehrendem Amt und materiellem Gewinn voraus und ist damit weit entfernt von den ‚geschenkefressenden‘ basileis der Epen. Die Entwicklung spiegelt aber auch die Entfernung von der bäuerlichen Lebenswelt: Während homerische basileis ein temenos erhalten, das die landwirtschaftliche Produktion ihres oikos erhöht, erhalten attische Bürger einen misthos, einen in Geld ausbezahlten Lohn für ihre politische ‚Arbeit‘.222 2.4.2 Urbanisierung und die Desintegration der bäuerlichen Lebenswelt Der zweite große Trend ist die in vielen Regionen beobachtbare Urbanisierung, die noch genauer zu behandeln sein wird. Die Ausbildung und Verdichtung städtischer Zentren hat Auswirkung auf die gesellschaftliche Struktur. Einerseits steigt die Anonymität, da zumindest die etwas größeren Städte nicht mehr als face-to-face-Gesellschaften gelten können, in denen jeder jeden kennt223 – soziale Kontrolle funktioniert daher nicht mehr im gleichem Maße und verlangt nach einer stärkeren Institutionalisierung. Andererseits bilden die Städte – gerade in Kombination mit der Intensivierung von Handel und Gewerbe – eine zunehmend eigene Lebenswelt aus, die sich von bäuerlich geprägten Dorfstrukturen unterscheidet. Ansätze dazu sind bereits in den Epen Homers und Hesiods feststellbar,224 die archäologischen Siedlungsbefunde und die Fragmente der archaischen Lyriker deuten jedoch darauf hin, dass sich dieser Prozess im siebten und vor allem im sechsten Jahrhundert erheblich intensivierte. Damit verbunden ist eine Verschiebung distinguierender Praktiken: Importierte Luxusgüter gewinnen an Bedeutung, während umgekehrt die Verankerung in der bäuerlichen Lebenswelt schwindet.225 Ein Arbeitsethos, wie es in den homerischen Epen begegnet und

222 Das hat – zumindest bei Aristoteles – die grotesk anmutende Folge, dass die für ihre politische Tätigkeit bezahlte Menge nun abkömmlicher ist als die Reichen, die sich um ihre privaten Vermögensangelegenheiten kümmern müssen: Aristot. Pol. 4,1293a 1–7; vgl. Meier (2003) 68. 223 So betont Weber (2000) 1, dass als ein mögliches Kriterium für eine Stadt gelten kann, „dass die sonst dem Nachbarverband spezifische, persönliche gegenseitige Bekanntschaft der Einwohner miteinander fehlt.“ In neuerer Zeit macht v. a. Bintliff (1999) 526–537 die Bedeutung von Siedlungsgrößen für evolutionäre Entwicklungen sehr stark und betont, dass der face-to-face-Charakter einer Siedlung ab 150–200 Personen verloren gehe und zu formalisierteren und hierarchischeren Strukturen führe, ab ca. 500 Personen sei eine Siedlung dann selbst reproduktionsfähig, d. h. nicht mehr auf Exogamie angewiesen, was zu einer verstärkten Fokussierung der Gemeinde auf sich selbst führe. Vgl. Bintliff (2000); Bintliff (2010); Bintliff (2013). 224 Vgl. hierzu in extremis Edwards (1993), der einen grundlegenden Stadt-Land-Konflikt in der Odyssee angelegt sieht (der gleichzeitig ein Gegensatz zwischen Bauern und Aristokratie sei). Einen ähnlichen Konflikt zwischen einfachen Bauern und der sich ausbildenden Stadt(staatlichkeit) sucht Edwards (2004) bei Hesiod zu konstatieren. Das ist eine extreme und einseitige Überinterpretation, die so nicht haltbar ist, die aber dennoch zeigt, dass Ansätze eines Stadt-Land-Gegensatzes zu finden sind. 225 Dazu u. Kap. 3.3.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

bei Hesiod explizit eingefordert wird, fehlt in späteren Quellen, die sehr viel eher das Ideal einer müßigen Klasse widerspiegeln.226 Es wäre jedoch verkehrt, darin allein ein Indiz für die Entstehung eines stabilen ‚Adels‘ zu sehen: Die neuen Möglichkeiten, die Handel und Geldwirtschaft eröffnen, und die Heterogenität der in Städten auf relativ engem Raum versammelten Menschenmengen führen zu einer verschärften Konkurrenz gerade innerhalb der Oberschicht. Die Verhältnisse werden daher eher instabiler, vor allem weil die Einbindung in bäuerliche Werte und Normen zu schwinden beginnt. Einige archaische Gesetze können als Reaktion darauf verstanden werden. So hat Winfried Schmitz mehrere solonische Gesetze überzeugend als Institutionalisierung bäuerlicher Normen gedeutet.227 Es ist hier nicht der Ort, die komplexe Argumentation im Detail nachzuvollziehen, es seien daher nur summarisch die zentralen Punkte aufgelistet. So deutet Schmitz die Regelungen zu Grabaufwand, Trauer und Umgang mit Toten nicht als antiaristokratische Luxusgesetze, sondern als eine Verschriftlichung von Brauchtum, mit dem einigen als neu empfundene Formen des die bäuerliche Existenz gefährdenden Exzesses und der übertriebenen und künstlichen Trauer (etwa durch gekaufte Klagefrauen) ein Riegel geschoben werden sollte.228 Ebenfalls im Kontext bäuerlicher Normen verortet werden die verschiedenen Gesetze über die hausväterliche Gewalt und die daraus resultierenden Konflikte etwa bei der Hofübergabe, dem Erb- und Eherecht und der Pflicht der Kinder, die alten Eltern zu versorgen.229 Ferner wird die „Popularklage“ (graphe), die es jedem Bürger erlaubt, ein Fehlverhalten anzuklagen, auch wenn er selbst davon nicht betroffen ist, aus der Logik bäuerlicher Gemeinschaften erklärt – die Popularklage, so die These, folge einer ähnlichen Logik wie bäuerliche Rügebräuche, bei denen ebenfalls ein privates Fehlverhalten zur Sache der Gesamtgemeinde gemacht wird, sie stelle damit eine Verrechtlichung (und gleichzeitig eine Reglementierung) von Rügebräuchen dar.230 Besonders hervorzuheben ist der nomos argias, ein Gesetz gegen Untätigkeit, das harte Strafen gegen Bürger vorsah, die nicht arbeiteten.231 Schmitz sieht

226 Zentral hierfür ist der Begriff ἁβροσύνη, der in den Epen fehlt, bei den späteren Lyrikern als Indikator von Status und Prestige begegnet, s. dazu Kurke (1992) sowie die Ausführungen u. Kap. 3.3. 227 Schmitz (2004) 148–258. Ob die Gesetze tatsächlich von ‚Solon‘ stammen oder ob es sich lediglich um alte Gesetze handelt, die im Zuge der Neuaufzeichnung nach dem Umsturz 411 als ‚solonisch‘ angesehen wurden (dazu u. Kap. 7.2.1), spielt für meine Argumentation keine Rolle. 228 Schmitz (2004) 166–189. 229 Schmitz (2004) 202–233; zu einzelnen Aspekten dieser Gesetze s. auch u. Kap. 2.5.2 und 2.5.3. 230 Schmitz (2004) 233–248. 231 Ruschenbusch hat das Gesetz unter falsa eingeordnet. Zu den Belegstellen s. F 148a–e (Ruschenbusch) (= Plut. Sol. 31,5; Diog Laert. 1,55; Lexicon Rhetoricum Cantabrigiense 72,3–6 [Kurt Latte & Hartmut Erbse (ed.), Lexica Graeca Minora, Hildesheim 1965]; Poll. 8,42; Plut. Sol. 22,3). Wichtig für Schmitz’ Plädoyer für die Echtheit ist nebst der Herleitung der Regelung aus einer bäuerlichen Logik der Verweis auf ein bislang ignoriertes Fragment des Komödiendichters Diphilios (F 31 PCG = Athen. 4,227e–228b), das Schmitz (2004) 194–197 mit dem Gesetz in Verbindung bringt. In der Neuedition von Leão & Rhodes (2015), die Schmitz nicht rezipieren, sind die Gesetze als F 66/1d–g aufgeführt und in Zusammenhang mit F 78a–c (Ruschenbusch) (= Hdt. 2,177,2; Diod.

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht

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hier, m. E. völlig überzeugend, eine rechtliche Fixierung des bei Hesiod fassbaren bäuerlichen Arbeitsethos.232 Christoph Lundgreen hat im Falle der römischen Republik plausibel machen können, dass eine solche Institutionalisierung ungeschriebener Normen just dann notwendig wird, wenn ihre bislang als selbstverständlich vorausgesetzte Geltung schwindet – eine intensivierte Gesetzestätigkeit kann daher als Ausdruck einer Destabilisierung der bislang gültigen Ordnung gesehen werden.233 Gesetze wie der von Schmitz besprochene nomos argias oder die unten zu behandelnden Gesetze zu Ehe und Bastarden zeugen m. E. von einer solchen Destabilisierung der bäuerlichen Lebenswelt und ihren Normen. Sie sind denn auch weniger gegen einen sich ausbildenden ‚Adel‘ gerichtet, sondern versuchen vielmehr, mit Rezepten aus der Vergangenheit neuen Praktiken entgegenzuwirken, die zwar für den Einzelnen Sinn ergeben, für die Gesellschaft als Ganzes jedoch dysfunktional sind. Einen solchen Fall bilden die gleich noch zu besprechenden ‚gekauften Frauen‘. 2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht Wenn man die bäuerliche Welt Hesiods und die Welt der homerischen Helden nicht als zwei getrennte soziale Schichten ansieht, sondern als dieselbe bäuerliche Oberschicht, die lediglich aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in unterschiedlichen Genres gespiegelt wird, so ergeben sich neue Perspektiven auf scheinbar schwer verständliche Passagen.234 Eine solche Passage findet sich in Hesiods Erga, wo der Dichter die Grundausstattung des oikos mit den Versen schildert: Ein Haus als erstes, eine Frau und ein Rind zum Pflügen, gekauft sei , nicht gefreit, damit sie den Rindern folgen kann.235

1,77,5; Plut. Sol. 22,3) gestellt, die sich auf die Befragung der Bürger nach den Lebensumständen durch den Areopag beziehen. 232 Schmitz (2004) 190–202. 233 Lundgreen (2011) spez. 286–301 – die Zunahme von „Regelkonflikten“ und die darauffolgende „Normverhärtung“ durch das Festlegen klarer Regeln in der Zeit zwischen 200 und 180 v. Chr. erklärt Lundgreen mit dem hohen Blutzoll der römischen Oberschicht im Zweiten Punischen Krieg und der daraus resultierenden Diskontinuität in der Sozialisation und Normtradierung. Zur Unterscheidung zwischen „normes sociales“ und „normes institutionnalisées“ s. auch Lundgreen (2017). 234 Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch Meister (im Druck). 235 Hes. erg. 405 f. (eigene Übers.): Οἶκον μὲν πρώτιστα γυναῖκά τε βοῦν τ’ ἀροτῆρα, / [κτητήν, οὐ γαμετήν, ἥτις καὶ βουσὶν ἕποιτο]. Die Übersetzung „kaufen“ für κτάομαι ist bewusst zugespitzt, bringt aber das hier Gemeinte deutlicher zum Ausdruck als der ambivalente Terminus „erwerben“. Denn die persona, die der Dichter von sich entwirft, schließt einen Erwerb von Frauen durch Raub ebenso aus wie die Einbindung in ein Patronagesystem, über das man als Gefolgsmann eine Frau als

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Der zweite Vers, jener über die gekaufte Frau, wird von einigen Editoren als spätere Ergänzung und somit als unecht angesehen.236 Ein zentraler und oft angeführter Grund ist schlicht ein diffuses inhaltliches Unbehagen: So ist nicht unmittelbar einsichtig, weshalb Hesiod einer Sklavin den Vorrang vor einer Ehefrau gibt, und was diese Frau dann mit den Rindern soll, ist ebenfalls fraglich. Die Wendung „den Rindern folgen“ taucht einige Verse später im Sinne von „pflügen“ erneut auf und ist dort ganz eindeutig ‚Männersache‘.237 Wichtiger als dieses diffuse inhaltliche Unbehagen moderner Editoren ist jedoch der Umstand, dass auch ein gewichtiger antiker Autor Hesiod so gedeutet hat, dass Vers 406 keinen Sinn ergeben kann. So bezieht sich Aristoteles sowohl in der Politik als auch in dem unter seinem Namen überlieferten oikonomikos auf Hesiod, zitiert aber nur den ersten Vers.238 Dass er dabei die anzuschaffende Frau als legitime Ehefrau und nicht als Sklavin verstand, steht außer Zweifel: Im oikonomikos führt er aus, dass das Haus die Grundlage für den Lebensunterhalt darstelle, die Frau aber die Grundlage für legitime Kinder,239 und in der Politeia erklärt er, der Ochse stehe für Sklaven, denn ein Ochse sei der Sklave des armen Mannes.240 Aristoteles sieht in Hesiod also einen ärmlichen Subsistenzbauern, der eine Ehefrau für legitime Kinder und einen Ochsen als Arbeitskraft braucht – für eine gekaufte Frau ist in dieser Welt kein Platz. Spätere Autoren kennen den zweiten Vers freilich durchaus. Aristoteles wird gar explizit vorgeworfen, dass er Hesiod unvollständig zitiere und entsprechend falsch interpretiere.241 Paul Mazon hat daher bereits 1914 angemerkt, dass, wenn wir Aristoteles nicht hätten, wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, die Echtheit des Verses anzuzweifeln.242 Denn in allen textrelevanten Handschriften ist er vorhanden und auch

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Geschenk von einem lokalen Häuptling hätte erwerben können (so wie Hom. Il. 9,666–668 erwähnt, dass Achill seinem therapon Patroklos eine Frau schenkte). Damit bleibt nur der „Erwerb“ einer Frau durch eine Transaktion von Gütern, die am ehesten als „Kauf “ bezeichnet werden kann. Wilamowitz-Moellendorff (1928) 90 f. befürwortet eine Tilgung, West (1978) 260 ist skeptisch, tendiert aber ebenfalls zu einer Tilgung. Mazon (1914) 99–101 führte gute Gründe für die Echtheit des Verses an; für echt halten ihn auch Hoeksta (1950) 91–98 und Maehler (1967,) 69 f. Hes. erg. 441–447. Aristot. Pol. 1,1252a; [Aristot.] oikon. 1,1343a. [Aristot.] oikon. 1,1343a 20–23: Ὥστε καθ’ Ἡσίοδον δέοι ἂν ὑπάρχειν „οἶκον μὲν πρώτιστα γυναῖκά τε βοῦν τ’ ἀροτῆρα“. Τὸ μὲν γὰρ τῆς τροφῆς πρῶτον, τὸ δὲ τῶν ἐλευθέρων . Aristot. Pol. 1,1252b 9–12: […] καὶ ὀρθῶς Ἡσίοδος εἶπε ποιήσας „οἶκον μὲν πρώτιστα γυναῖκά τε βοῦν τ’ ἀροτῆρα“· ὁ γὰρ βοῦς ἀντ’ οἰκέτου τοῖς πένησίν ἐστιν. Vgl. Philodem. IX, 8,35–40 = P. Herc. 1424 VIII 35–40 (ed. Jensen, Leipzig 1906): καὶ π[ῶς] δέχε-|τα[ι γ]αμετὴν ὑφ’ Ἠσιόδου λέ-|γε[σ]θαι τὴν γυναῖκα, πολλῶν |καὶ φασ[κ]όντων αὐτὸν γε-|γραφένα[ι] „κτητήν, οὐ γαμε-|τήν“ […]. Philodemos zitiert eine längere Passage, aus der eindeutig hervorgeht, dass er den pseudo-aristotelischen Text meint, obschon er von „Theophrast“ spricht. Vgl. ferner Timaios FGrH 566 F 157 (= Schol. Hes. erg. 405–406): […] μάτην οὖν λέγουσιν οἱ περὶ Τίμαιον ῾Ησιόδωι τὸν ᾽Αριστοτέλην πειθόμενον μετὰ τὴν τῆς γυναικὸς τελευτὴν ῾Ερπυλλίδι συνεῖναι τῆι θεραπαίνηι, ἐξ ἧς αὐτὸν σχεῖν υἱόν. Mazon (1914) 100: „Mais qui nous prouve que ce n’était pas uniquement à cause de la méprise d’Aristote qu’il avait été suspecté?“

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht

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die Scholien sehen ihn als völlig unproblematisch an.243 Die Vermutung ist daher naheliegend, dass Aristoteles aus dem Gedächtnis zitierend Vers 406 schlicht vergaß, weil er nicht in sein Bild von Hesiod als ärmlichem Subsistenzbauern passte. Dass der Vers auch in einem Berliner Papyrus aus dem zweiten Jahrhundert fehlt, zeigt, dass diese Sicht auf Hesiod und das Unbehagen mit Vers 406 nicht auf Aristoteles beschränkt war, doch die dominante Texttradition blieb davon unberührt.244 Aber weshalb bestand überhaupt Anlass, an dem ominösen Vers 406 zu zweifeln? Zentral ist sicher der bereits angeführte inhaltliche Grund: Eine gekaufte Frau passt nicht zum Bild eines Subsistenzbauern, das man sich in späterer Zeit von Hesiod machte. Es gibt aber durchaus auch sprachliche Gründe, die zwar nicht die Echtheit von Vers 406, wohl aber seinen Zusammenhang mit Vers 405 problematisch erscheinen lassen. Dies betrifft zum einen das Hyperbaton, bei dem sich das „Rind zum Pflügen“ zwischen γυναῖκά und κτητήν schiebt, wofür es freilich bei Hesiod Parallelen gibt (so erg. 559 f.). Zum anderen fällt auf, dass in 405 von einem Rind im Singular, in 406 aber von Rindern im Plural die Rede ist. Das legt den Verdacht nahe, dass es sich um zwei unterschiedliche Textbausteine handelt, die mehr schlecht als recht zusammenhängen. Nun spricht aber Hesiod in den restlichen Erga immer von Rindern im Plural – schließlich benötigt man zwei zum Pflügen. So gesehen ist der eigentliche Fremdkörper nicht Vers 406, sondern der unumstrittene Vers 405. Wenn man sich diesen Standpunkt zu eigen macht, so ergibt sich eine neue Perspektive. Genau das hat Arie Hoekstra in einem 1950 erschienen Artikel getan. Er hat verschiedene ähnlich ‚fremd‘ wirkende Verse in den Erga analysiert und als alte Spruchweisheiten gedeutet, die Hesiod in sein Lehrgedicht integriert habe. Auch Vers 405 kann als eine solche Spruchweisheit angesehen werden.245 Die nächste Parallele wäre der im 14. Buch der Odyssee formulierte Wunsch des Eumaios nach einem Haus, einem Stück Land und einer vielumworbenen Frau – in diesem Fall eindeutig als Ehefrau zu verstehen.246 Der Homervers könnte, so Hoekstra, auf dieselbe Spruchweisheit zurückgehen, die den Grundbedarf des bäuerlichen Lebens beschreibt: Haus, Kleros, (Ehe-)Frau und ein Rind im Singular.247 Hesiod ließ dies in sein Lehrgedicht einfließen, hat aber diese alte Weisheit durch Vers 406 ergänzt. Dass antike wie moderne Leser über die Passage gestolpert sind, lässt sich damit plausibel erklären. Zu fragen wäre nun freilich, weshalb Hesiod es für nötig erachtete, die Ehefrau in der Spruchweisheit durch seinen Ergänzungsvers in eine Sklavin zu transformieren. Hoekstra selbst führt als Grund dieser Umdeutung lediglich an, dass für Hesiod eine Sklavin

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Vgl. die Ausführungen bei Maehler (1967) 69 f. P. Berol. 21107. Dazu Maehler (1967) 69 f. Hoekstra (1950) 91–98. Hom. Od. 14,64: οἶκόν τε κλῆρόν τε πολυμνήστην τε γυναῖκα. Hoekstra (1950) 96 vermutet, die Maxime könnte ursprünglich in etwa so gelautet haben: οἶκόν έχοις κλῆρόν τε γυναῖκά τε βοῦν τ’ ἀροτῆρα.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

offenbar zum Grundbedarf gehörte.248 Das Verhältnis des Dichters zum sozialen Milieu beziehungsweise der Zeit, aus der die ursprüngliche Spruchweisheit stammt, bleibt ungeklärt. Eine solche Erklärung hat jedoch Winfried Schmitz vorgenommen und den Spruch in die von ihm rekonstruierte bäuerliche Gesellschaft einzupassen versucht: Auch er geht davon aus, dass Vers 405 eine alte Spruchweisheit darstellt und sich auf die Ehefrau bezieht, in der Ergänzung durch Hesiod sieht er jedoch keinen ernstgemeinten Rat, sondern einen misogynen Witz.249 Vers 406 sei damit primär ein Beispiel für die bäuerliche Misogynie, die Schmitz mit der Abhängigkeit des Bauern von der Arbeit der Bäuerin erklärt: Misogynie sei als Versuch zu sehen, die männliche Autorität trotz oder gerade wegen dieser latenten Abhängigkeit zu behaupteten.250 Etwas als Witz abzutun, was auf den ersten Blick keinen Sinn ergibt, ist jedoch eine problematische Argumentation, da man damit einer vergangenen Wirklichkeit a priori einen Sinn unterstellt, in welcher der Witz sinnlos und daher komisch ist.251 Doch ergibt die gekaufte Frau wirklich nur als Witz einen Sinn? Schmitz scheint hier der Logik des Aristoteles zu folgen, der die Ehefrau als einzige Möglichkeit sieht, legitime Kinder zu zeugen und ferner davon ausgeht, dass Hesiod als armer Mann nur Ochsen, nicht aber Sklaven besitzt. Vor dem Hintergrund frühneuzeitlicher Dorfgemeinschaften, die Schmitz mit großem Gewinn als lebensweltliche Parallele fruchtbar zu machen versteht, mag dies einleuchten: Die Institution der legitimen Ehefrau ist dort ebenso gefestigt wie die Praxis, Knechte und nicht Sklaven zu beschäftigen. Letzteres postuliert Schmitz auch für Hesiod und erklärt autoritativ: „Belege für unfreie Bedienstete sind aus den Werken und Tagen Hesiods nicht zu gewinnen.“252 Dafür muss er freilich argumentieren, dass die freien, zu saisonaler Lohnarbeit verpflichteten Theten durchwegs mit den bei Hesiod häufig erwähnten dmoes identisch seien.253 Nimmt man den Vers 248 249 250 251 252 253

Hoekstra (1950) 98. Schmitz (2004) 61 f.; 86. Schmitz (2004) 83–94. Vgl. Seelentag (2014). Zur Problematik von Humor in historischer Perspektive s. Meister (2014). Schmitz (2004) 37. Schmitz (2004) 35. Dass dmoes nicht zwingend Unfreie, sondern sowohl freie wie unfreie Arbeiter sind, die als ‚Hausgenossen‘ zum oikos gehören, argumentiert auch Wickert-Micknat (1983) 154–159. Die Gleichsetzung von θής mit δμώς ist jedoch nicht unproblematisch, denn auch wenn Hesiod abgesehen von erg. 602 keine Theten mehr erwähnt (gelegentlich spricht er aber auch einfach von Männern und nicht von dmoes), scheint die Sprache des Epos doch zu differenzieren; das legt Od. 4,643 f. nahe, wo gefragt wird, ob dem Telemachos herausragende Ithakeser gefolgt seien oder bloß ἑοὶ αὐτοῦ / θῆτές τε δμῶές τε – die Personen, über die Telemachos verfügen kann, sind also ‚seine‘ (und nicht irgendwelche) Theten und Sklaven; neuere Arbeiten wie Harris (2012) und Lewis (2018) 107–120 sehen in den dmoes denn auch eindeutig (in Anbetracht des disparaten Materials vielleicht etwas zu eindeutig) nur Sklaven. Mazon (1914) 131 f. und West (1978) 309 f. deuteten die bei Hes. erg. 602 erwähnte Anheuerung eines Theten denn auch ganz anders als Schmitz: Beim anzuheuernden θής gehe es weniger darum, Arbeitskräfte einzustellen, sondern einen Freien für eine Vertrauensposition innerhalb des oikos zu gewinnen, der (analog zum Wachhund, dessen Anschaffung Hesiod im gleichen Kontext empfiehlt) helfen soll, den Hausstand zu wahren und zu schützen; in klassischer Zeit scheint es

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über die gekaufte Frau jedoch ernst und geht folglich davon aus, dass der Besitz von Sklaven für Hesiod – analog zu den homerischen Helden – eine Option war, so ergibt sich ein anderes Bild. Einerseits wird dann nochmals deutlich, dass es keine ‚adligen‘ oikoi gab, die sich strukturell eindeutig von Vollbauern hätten abgrenzen lassen, sondern dass mit fließenden Übergängen und graduellen Unterschieden an Reichtum zu rechnen ist. Andererseits kann gerade die gekaufte Frau die Differenz der bäuerlichen Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts zu vergleichbaren bäuerlichen Gesellschaften im frühneuzeitlichen Europa, wo die Option des Sklavenkaufs fehlte, unterstreichen und die anders gearteten Entwicklungen verdeutlichen. 2.5.1 Gekaufte Frauen und Ehefrauen in der Zeit der Epen Unfreie Frauen begegnen in den homerischen Epen regelmäßig. Als dienende Frauen versehen sie Arbeiten im Haushalt oder fungieren als Ehrgeschenke.254 Wenn man keine Frauen erbeutet oder geschenkt bekommen hat, konnte man sie auch kaufen, wie Laertes die damals noch junge Eurykleia, die er für den Gegenwert von 20 Rindern erworben hat.255 Der Gegenwert von 20 Rindern erscheint sehr stattlich und es üblich gewesen zu sein, in reichen Haushalten eine solche Position mit einem Freien zu besetzen, wie Xen. mem. 2,8,3 zeigt, und dass Hes. erg. 370 erklärt, einem befreundeten Mann (ἀνήρ φίλος) solle der vereinbarte Lohn (μισθός) sicher sein, scheint dafür zu sprechen, dass der angeheuerte θής als „befreundeter Mann“ tatsächlich eine besondere Stellung einnahm [West (1978) 310 verweist auf Hesiods unmittelbar anschließende Ausführungen zur Seefahrt – der θής könnte den oikos verwalten, während der Hausherr auf See ist]. Dafür könnte ferner sprechen, dass Hesiod zwar von dmoes im Plural spricht, jedoch einen θής und eine ἔριθος anheuern will, d. h. für beide geschlechterspezifischen Arbeitsbereiche je eine freie Vertrauensperson. Doch auch solche Argumentationen strapazieren letztlich die Quellen über Gebühr. 254 Zu Unfreiheit bei Homer s. Wickert-Micknat (1983), die betont, dass die aus späterer Zeit bekannte scharfe Dichotomie zwischen ‚frei‘ und ‚unfrei‘ so noch nicht anzutreffen ist (d. h. ein großer Teil der dienenden Menschen ist nicht zwingend unfrei). Dezidiert für ein der Klassik vergleichbares System der Sklaverei plädieren dagegen Harris (2012) und Lewis (2018) 107–120, denen sicher insofern zuzustimmen ist, als damit gegen eine überzogene ‚Primitivierung‘ des 8. und 7. Jhs. argumentiert wird, doch tendieren beide Arbeiten dann doch dazu, die Fluidität des unfreien Status im Vergleich zu später zu unterschätzen (man denke nur an den nominell freien Bettler Iros, dem Antinoos mit Wegtransport und Verstümmelung drohen kann, was zeigt wie unscharf die Grenze zwischen statusniederen Freien und Unfreien sein kann: Hom. Od. 18,84–87); aus der Existenz von Sklaven ferner zu schließen, dass es eine Elite reicher, in Muße lebender Sklavenhalter gegeben habe (und dafür mit den homerischen Zahlenangaben zu operieren, wie Harris dies suggestiv versucht), ist vor dem Hintergrund der oben (Kap. 2.2) dargelegten ökonomischen Prekarität m. E. nicht haltbar: Sklaverei und relativ prekäre agrarische Verhältnisse schließen sich nicht aus. 255 Hom. Od. 1,430–434. Der Preis ist auch im Kontext des Epos außerordentlich hoch: Die als Kampfpreis offerierte, in vielen erga erfahrene Sklavin in Il. 23,705 ist bloß vier Rinder wert. Weitere gekaufte Frauen finden Erwähnung bei Od. 14,202; 15,428 f. Zentral ist, dass Menschen jeweils in die Fremde verkauft werden; der homerische Terminus für den Gegenwert, den man für geraubte Menschen nach dem Transport in die Fremde erhält, ist ὦνος, s. dazu grundlegend Wagner-Hasel (2000) 242–246.

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ist daher naheliegend zu vermuten, dass sich ein einfacher Bauer keine gekaufte Frau leisten konnte. Doch sollte man nicht den Fehler machen, in Hesiod, der immerhin in sehr ‚aristokratischer‘ Manier an einem überregionalen Agon teilnimmt, den gewonnen Dreifuß in ein Heiligtum stiftet und Wein aus Byblos trinkt, einen allzu ärmlichen Subsistenzbauern zu sehen.256 Noch sollte man davon ausgehen, dass eine Ehefrau zwingend ‚billiger‘ sei. Denn aus einer rein ökonomischen Perspektive ist auch die gefreite Frau ‚gekauft‘. In den homerischen Epen ist immer wieder von hedna, von Brautgeld die Rede, meist in Form von Rindern, das dem Brautvater gezahlt wird.257 „Barbarisch“ seien die früheren Griechen gewesen, meinte denn auch Aristoteles, denn sie seien in Waffen einhergegangen und hätten die Frauen voneinander gekauft.258 Die ältere Forschung ist dem teilweise gefolgt und sprach von einer „Kaufehe“, die später durch eine „Mitgiftehe“ abgelöst worden sei.259 Überzeugender ist jedoch die These Moses Finleys, der diese Ehepraktiken als Teil eines Gabenaustauschsystems deutete, wie es für einfache Gesellschaften durchaus typisch ist und bei dem Gaben und Gegengaben in beide Richtungen fließen – je nach Prestige und Möglichkeiten der Beteiligten.260 Beate Wagner-Hasel hat diese Argumentation noch weiter präzisieren können, indem sie darauf hinwies, dass mit geschlechterspezifischen Gaben zu rechnen sei: Die Ehefrau gäbe und erhalte Schmuck und vor allem Textilien, während der Brautvater mit Rindern für den Verlust der Tochter entschädigt werde; der Wortgebrauch Homers, der 256 Dreifuß: Hes. erg. 656–659; Wein aus Byblos: erg. 589. Zu Hesiod als „semi-aristocrat“ s. Starr (1977) 126 f. und Starr (1992) 13. Als „gentleman farmer“ charakterisiert ihn van Wees (2013b). 257 Die ἕδνα werden an den Brautvater bezahlt und bestehen, wenn immer sie spezifiziert werden, aus Vieh; so bei Iphidamas (obschon offenbar matrilokal verheiratet), dessen Brautgeschenke – 100 Rinder und das Versprechen von 1000 Schafen und Ziegen – die Ilias (11,243–245) akribisch aufzählt; „rindereinbringende“ (ἀλφεσίβοιαι) Mädchen begegnen bei Il. 18,593; Neleus verspricht seine Tochter demjenigen, der ihm seine geraubten Rinder wiederbeschaffe (Od. 11,289 f.); ansonsten begegnen ἕδνα eher formelhaft (Il. 16,178; 190; 22,472; Od. 2,196; 11,282). Bei einem Fehlverhalten der Ehefrau, das zur Annullierung der Ehe führt, konnten die ἕδνα offenbar vom Brautvater zurückgefordert werden: Od. 8,318. Dass Othryoneus Kassandra ohne Brautgeld, dafür aber für Unterstützung im Krieg versprochen bekommen hat (Il. 13,365–369), scheint dagegen außergewöhnlich, wie die Verse zeigen, mit denen Idomeus den Brauthandel des Toten verspottet (ebd. 377–382). Das Angebot Agamemnons an Achill (9,146; 288), eine Tochter ἀνάεδνος zu erhalten, fällt in die gleiche Kategorie. Zu Eheformen und Brautgeld s. Finley (1955); Vernant (1974); Mossé (1981) 149–151; Wickert-Micknat (1982) 89–94; Wagner-Hasel (1988); Perysinakis (1991); Patterson (1998) 56–62. 258 Aristot. Pol. 2,1268b 39–41: τοὺς γὰρ ἀρχαίους νόμους λίαν ἁπλοῦς εἶναι καὶ βαρβαρικούς. ἐσιδηροφοροῦντό τε γὰρ οἱ Ἕλληνες, καὶ τὰς γυναῖκας ἐωνοῦντο παρ› ἀλλήλων. Dazu passt ein Fragment aus der Verfassung der Thraker, in dem erklärt wird, dass die (barbarischen) Thraker nach wie vor Frauen gegen Brautgeld kaufen: Herakleides FHG II F 28 p. 220 (= Aristot. F 611,58 Rose). 259 Vgl. Westrup (1927) spez. 109–119; Erdmann (1934) 10 f.; Wolff (1952) 15. Dass ἕδνα nicht einen Kaufakt im juristischen Sinn begründen, hat erstmals Köstler (1950) 29–64 betont, an den sich Finley (1955), wenn auch mit gewissen Vorbehalten (ebd. 167. Anm. 2), explizit anschließt. 260 Finley (1955). Der Aufsatz steht im größeren Kontext der ein Jahr zuvor erstmals erschienen Studie „The World of Odysseus“ mit analogen Ansätzen; vgl. Finley (2005) spez. 101–103.

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht

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hedna ausschließlich für die an den Brautgeber zu zahlenden Tiere verwendet, spricht klar für diese These.261 Wie schon mehrfach angesprochen, ist es notorisch schwierig, die homerischen Epen für solche Praktiken als Quellen heranzuziehen, weil sie häufig ein Amalgam aus älteren und neueren Schichten oder aber gezielten Anachronismen darstellen.262 In diesem Kontext sind jedoch die Konsistenz, mit der das Wort hedna benutzt wird, und die in sich stimmige Logik des beschriebenen Tauschsystems bemerkenswert und legen zumindest den begründeten Verdacht nahe, dass es sich hierbei nicht um ein Amalgam, sondern um eine zur Entstehungszeit der Epen gelebte Praxis handelt. Mit absoluter Sicherheit beweisen lässt sich das nicht, denn abgesehen von einem – in seiner Echtheit umstrittenen – Fragment des Hipponax263 gibt es in der Archaik keine Erwähnungen von hedna außerhalb mythologischer Kontexte. Das ist jedoch kein Argument gegen die Existenz einer solchen Praxis. Denn Hesiod erwähnt in den Erga zwar keine hedna, aber auch keine Mitgift und auch keine Kosten, die für ein allfälliges Hochzeitsfest anfallen würden – die materiellen Aufwendungen, die mit einer Hochzeit verbunden sind, interessieren ihn in diesem Kontext schlicht nicht. Anders sieht es freilich aus, wenn Hesiod den Mythos behandelt: Im fragmentiert erhaltenen Frauenkatalog finden hedna durchaus Erwähnung, wobei sich Hesiods Wortgebrauch mit jenem Homers deckt.264 Dass das nicht selbstverständlich ist, zeigen spätere Verwendungen desselben Terminus: Bei Pindar – und möglicherweise auch bei Euripides – hat sich die Wortbedeutung verschoben, und hedna bezeichnen nun die Mitgift, beziehungsweise in einem Fall bemerkenswerter Inkonsistenz die Hochzeitsgeschenke der Gäste an das Brautpaar.265 Beide Dichter beziehen sich auf den Mythos und orientieren sich dementsprechend an den frühen Epen. Dass ihre Darstellung der hedna von den großen Vorbildern abweicht, ist also erklärungsbedürftig und legt

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Wagner-Hasel (1988); vgl. auch Wagner-Hasel (2009), Wagner-Hasel (2012) und Wagner-Hasel (2013). Speziell für die ἕδνα auch Perysinakis (1991) und allgemein zur neueren Forschung Schmitz (2007) 78–82. Einen interessanten, stark literaturwissenschaftlichen Zugriff bietet Lyons (2012), die Frauen als Gaben und die Bedeutung weiblicher Gaben untersucht; dabei betont sie den Umstand, dass Frauen einerseits selbst Gaben sein können, andererseits aber eine eigene Agency haben und daher selbst am Gabentausch partizipieren können – in extremis zum Schaden des (Ehe-) Mannes, was in diversen Mythen um gefährliche weibliche Gaben, aber auch in der bei Hesiod und anderen Dichtern greifbaren ‚Misogynie‘ sichtbar wird. Dazu Raaflaub (1998). Hipponax F 182 W. Hes. F 23,37 Most (= 26 MW = 17 H); F 69,21 Most (= 43a MW = 37 H). Pind. O. 9,10 sieht ἕδνον (im ungebräuchlichen Singular) als etwas, das der Bräutigam erwirbt (Pelops gewinnt Hippodameia als schönstes ἕδνον), also tendenziell als „Mitgift“, die vom Haus der Braut in das des Bräutigams wechselt. Pind. P. 3,94 dagegen sieht ἕδνα als Geschenke der geladenen Gäste an das Brautpaar. Die Erwähnungen von ἕδνα bei Eur. Andr. 2; 153; 873 werden oft im Sinne von „Mitgift“ übersetzt, doch die Passagen sind uneindeutig und könnten theoretisch auch dem homerischen Sprachgebrauch entsprechen, vgl. dazu Wagner-Hasel (2009) 165 f.

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den Schluss nahe, dass die gelebte Praxis sich in der Zwischenzeit geändert hatte.266 Dass sich dieser Wandel in der dichterischen Darstellung des Mythos spiegelt und zu genau jenem Amalgam führt, das in vielen anderen Aspekten auch die homerischen Epen auszeichnet, braucht nicht zu überraschen. Es macht aber umso deutlicher, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass Homer und Hesiod hinsichtlich der hedna kein solches Amalgam präsentieren. Der naheliegende Grund dürfte sein, dass sie eine Praxis beschreiben, die zu ihrer eigenen Zeit noch gelebt wurde oder zumindest noch in unmittelbarer lebendiger Erinnerung war. Dafür, dass die hedna jene bäuerliche Lebenswelt widerspiegeln, in der ein ‚Hesiod‘, aber auch ein ‚Homer‘ ihre Epen verfassten, spricht jedoch nicht nur die innere Stringenz des geschilderten Tauschsystems, sondern auch der Umstand, dass dieses System – so stimmig es in sich selber ist – in der imaginierten Welt reicher homerischer Helden seltsam fehl am Platz wirkt. Denn homerische Helden heiraten gerne überregional – was in der agrarisch geprägten Welt des Dichters wohl die klare Ausnahme darstellte, wurde in der poetischen Fiktion für die mythologischen Helden zum Regelfall gemacht.267 Denn für überregionale Heiraten sind homerische hedna, die, wo sie spezifiziert werden, immer aus Vieh bestehen, schon rein transporttechnisch eher ungeeignet.268 Dass mit Vieh und nicht etwa wie bei Gastfreundschaften mit prestigeträchtigen, aber ‚nutzlosen‘ Kleinodien269 getauscht wird, spricht denn auch klar dafür, dass es sich um eine im bäuerlichen Milieu verwurzelte Praxis handelt, bei der es zwar auch um Prestige, aber ganz wesentlich um die Mehrung und Erhaltung des Hausstandes geht. Wenn man ferner in Betracht zieht, dass selbst homerische Helden nicht nur Rinder als Brautgeld geben, sondern gelegentlich auch Kleinvieh wie Schafe und Ziegen,270 so erscheint das alles als eine durchaus realistische und einer bäuerlichen Lebenswelt angemessene Praxis. Damit ist mit einer relativ hohen Plausibilität davon auszugehen, dass ein nicht ganz mittelloser Bauer wie Hesiod, wenn er davon sprach, eine Frau zu freien, davon aus266 Eine differenzierte Betrachtung der Begrifflichkeiten insbesondere des Terminus φερνή, der im 5. Jh. begegnet und nicht zwingend dasselbe meinen muss wie die als προίξ bezeichnete Mitgift, die vorab in den Gerichtsreden des 4. Jhs. Erwähnung findet, bietet Wagner-Hasel (2009); vgl. auch Wagner-Hasel (2012) und Wagner-Hasel (2013). 267 Anhand von Gräbern lassen sich überregionale Heiraten als Praxis einzelner herausragender Individuen oder big men der ‚Dark Ages‘ archäologisch plausibilisieren; s. Kistler & Ulf (2005). 268 Wagner-Hasel (2000) 264–282 geht zwar von Transhumanz aus und betont die relativ weiten Wegstrecken, die Herden theoretisch zurücklegen können, dennoch ist eine Transaktion mit Lebendvieh um ein Vielfaches aufwendiger als mit Kleinodien, die sonst in den Epen als Gastgeschenke über weite Distanzen verschenkt werden. Die einzige Szene, in der konkret eine überregionale Heirat geschildert wird – die vorgesehene Entsendung der spartanischen Prinzessin Hermione zu Neoptolemos –, spricht denn auch gerade nicht von Rinderherden: Hermione soll auf einem Wagen mit Pferden zu ihrem Ehemann geschickt werden (Hom. Od. 4,8 f.); davon, dass dieser Rinder nach Sparta getrieben habe, erfährt man nichts. 269 Dazu Finley (2005) 61 f. 270 Hom. Il. 11.244 f.

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ging, dass man hierfür in eine Gabentauschbeziehung einsteigen und dem Brautgeber hedna in Form von Vieh zuführen musste. Selbstverständlich bekam man auch Werte zurück, doch das Schließen einer Ehe verlangte erst einmal eine Grundinvestition. Das führt nun zurück zur gekauften Frau. ‚Gratis‘, das gilt es festzuhalten, war auch eine gefreite Frau nicht zu haben. Wenn man die Zahlen der Epen ernst nimmt, dann ist eine gekaufte Frau sogar erheblich ‚billiger‘ zu haben als eine Ehefrau – doch darauf möchte ich kein Argument bauen.271 Wesentlich bedeutsamer ist, dass die gekaufte Frau durch einen Tauschhandel erworben wurde, der nicht an dieselben Zwänge gekoppelt war wie der Gabentausch bei einer Heirat. Menschenhandel erscheint in den Epen primär als ein Geschäft, bei dem der Gewinn und nicht das Knüpfen sozialer Beziehungen im Vordergrund steht; so werden Menschen stets in die Fremde verkauft und die Odyssee nennt zweimal die Phönizier als zwielichte und betrügerische Zwischenhändler.272 Auch wenn die Dichotomie von sozial eigebettetem Gabentausch und rein ökonomischen Markt problematisch ist,273 so ist doch klar, dass Menschenhandel und Heirat sich an zwei entgegengesetzten Enden eines fluiden Spektrums befinden. Eine gekaufte Frau zu erwerben, war daher mit weniger sozialen Restriktionen verbunden, als eine Ehefrau zu freien. Konkret brachte die gekaufte Frau zwei Vorteile: Erstens konnte man bei einem Kauf flexibler sein, was die Zahlungsmittel betraf. Denn während die ἕδνα in den Epen immer aus Vieh – also aus einer für den bäuerlichen oikos lebensnotwendigen Grundlage – bestehen, können reine Kaufakte auch mit anderen Mitteln erfolgen. So kaufte Laertes Eurykleia für den Gegenwert von 20 Rindern, aber eben, wie Finley mit Recht betonte, nicht für 20 Rinder.274 Das mag den Handlungsspielraum der Akteure erweitert haben, zumal Vieh ein Kapital ist, das dazu tendiert, sich natürlich zu vermehren: Die eigenen Herden erst einmal wachsen zu lassen, bevor man eine Frau freite, und sich in der Zwischenzeit mit eher entbehrlichen Kleinodien eine Frau zu kaufen, konnte durchaus sinnvoll sein. Entscheidender ist jedoch der zweite Punkt. Denn eine rein wirtschaftliche Transaktion brachte keine weiteren Verpflichtungen mehr mit sich, während eine gefreite Frau als Gabe aus einem anderen oikos zwangsläufig in ein Beziehungssystem eingebettet blieb. Damit konnte eine gefreite Frau ganz andere Ansprüche stellen. Denn eine Tochter war ein durchaus gehüteter und gepflegter Schatz. So beschreibt Hesiod, wie die freigeborene Tochter gebadet und gesalbt im Innern des Hauses weilt, wo der kalte Nordwind ihr nichts anhaben kann.275 Wer eine solche Tochter aus gutem Hause heiratete, musste ihr zwangsläufig eine Ehrenstellung 271 Zur Problematik der Preisangaben s. Wickert-Micknat (1983) 141 f. 272 Hom. Od. 14,288–297 und 15,415–483; bei den in Od. 13,272 erwähnten Φοίνικαι ἀγαυοί wird denn auch extra betont, dass sie nicht beabsichtigten, ihren Fahrgast zu täuschen, d. h. ihn als Sklaven zu verkaufen (Od. 13,278). 273 Vgl. Wagner-Hasel (2000) 27–52 zur Debatte um den Gabentausch und spez. 41–52 zur letztlich stark antimodernistisch geprägten Gegenüberstellung von Gabentausch zum modernen Markt. 274 Finley (1955) 174; der Dichter verwendet das Adjektiv ἐεικοσάβοια (Hom. Od. 1,430). 275 Hes. erg. 519–523.

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einräumen, die eine gekaufte Frau nicht beanspruchen konnte. Das schränkte den Spielraum des Hausherrn entsprechend ein. In diesem Kontext ist Hesiods Aussage über die gekaufte Frau, die hinter den Rindern hergehen kann, zu verstehen. Dabei geht es nicht um die Arbeitskraft der Frau als solche. Selbstverständlich hatte auch die Ehefrau zu arbeiten: Das Verrichten des Haushaltes und insbesondere das Weben von Textilien oblag ihr und allfälligen weiblichen Bediensteten.276 Wenn Hesiod erklärt, der Vorteil einer gekauften Frau sei, dass sie hinter den Rindern hergehen könne, so ist damit also nicht gemeint, dass eine gefreite Frau nicht arbeitet. Worauf Hesiod anspielt, ist die geschlechterspezifische Arbeitsteilung. Denn traditionellerweise gilt in der Antike, wie in vielen vergleichbaren Kulturen, Feldarbeit als männliche Tätigkeit, während Frauen spezifisch weiblichen Arbeiten nachgehen.277 Walter Scheidel hat jedoch zeigen können, dass dieses normative Ideal in der Praxis oft nicht durchgehalten wurde – die Mithilfe von Frauen bei der Feldarbeit war in der Antike durchaus üblich.278 Je prekärer die Umstände, desto schwieriger war es, die normativ geforderte Arbeitsteilung zu wahren.279 Damit ist geschlechterspezifische Arbeitsteilung aber nicht einfach ein universelles Phänomen, sondern mit Status verbunden: Es war ein Privileg und damit ein Distinktionsmerkmal bessergestellter Frauen, dass sie der normativ geforderten Rollenteilung in der Praxis gerecht werden konnten.280 Genau vor diesem Hintergrund ist Hesiods Einlassung zu lesen: Aufgrund ihres höheren Status’ war eine Ehefrau eher an die Geschlechtsrollen gebunden und ihre Verwandten dürften dafür gesorgt haben, dass der notwendige soziale Druck dem Ehemann gegenüber bestand, die Tochter auch tatsächlich nur für normativ anerkannte und damit ihrer Ehrenstellung nicht abträgliche Arbeiten einzusetzen.281 Die Arbeitskraft der 276 Zu weiblichen erga s. Wickert-Micknat (1982) 38–80 mit einer systematischen Sammlung der Belegstellen; für eine Interpretation weiblicher Arbeiten als χάρις s. Wagner-Hasel (2000) 141–152. 277 Allg. zu männlichen und weiblichen Arbeiten und Rollen in der Archaik s. Zoepffel (1989) 448– 469 sowie den Forschungsüberblick bei Scheer (2011) 93–101. 278 Scheidel (1990) und Scheidel (1995–1996). Vgl. auch Segalen (1989) 920–923 für das bäuerliche Milieu in Frankreich und dem Mittelmeerraum im 19. und 20. Jh. 279 Zur Degradierung weiblicher Feldarbeit zu einem „Randphänomen“ s. Scheidel (1990) 424 ff.; auch Segalen (1989) 924 betont, dass im bäuerlichen Milieu des nördlichen Frankreichs besonders bei ärmeren Frauen die normative Arbeitsteilung der Geschlechter eher durchbrochen wird als bei Frauen von höherem Status, was auch (ebd. 932) für die ‚Ehre und Schande‘-Kulturen des Mittelmeers gilt. 280 So hat Sebillotte Cuchet (2012) in einem programmatischen Aufsatz dafür plädiert, Geschlecht als ein „régime“ zu betrachten, das in verschiedene Kontexte eingebettet in unterschiedlichen Formen Differenzen konstituieren kann. 281 Den Punkt des statusabhängigen Arbeitens sieht auch Schmitz (2004) 86, zieht daraus aber m. E. nicht die notwendigen Konsequenzen; auch Zoepffel (1989) 459 f. erklärt hinsichtlich des Haushalts von Kalypso, wo es nur Dienerinnen gibt (Od. 10, 348 ff.), und bei Eumaios, wo es nur einen Sklaven gibt (Od. 14,449), die jeweils männliche und weibliche Arbeiten verrichten: „Hier ist offenbar die Schicklichkeit wichtiger als eine klare geschlechterspezifische Arbeitsteilung, zumindest bei dienenden Menschen, für die, da sie sowieso abhängig sind, die klare Einhaltung der Geschlechterrolle nicht so wesentlich ist.“

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gekauften Frau dagegen unterlag keinen solchen Restriktionen, sie konnte auch, das scheint der Kern von Hesiods Logik zu sein, in eigentlich typisch männlichen Domänen arbeiten und – metaphorisch gesprochen – hinter den Rindern hergehen.282 Die Regel – das macht der griechische Optativ deutlich – wird das nicht gewesen sein, auch die gekaufte Frau wird normalerweise typisch weibliche Arbeiten verrichtet haben, aber zur Not konnte man ihr auch Arbeiten zumuten, für welche die legitime Gattin nicht in Frage gekommen wäre. Für einen Bauern, der sich seinen Hof erst aufbaut, ist Hesiods Rat, sich eine gekaufte Frau anzuschaffen, also durchaus sinnvoll: Gratis wäre auch eine Ehefrau nicht zu haben, das heißt, eine Sklavin ist nicht unbedingt teurer, dafür ist ihre Arbeitskraft vielfältiger einsetzbar und weniger starr an Geschlechterrollen gekoppelt. In den potentiell prekären Verhältnissen eines noch nicht voll ausgestatteten oikos ist das also keineswegs abwegig.283 Heiraten kann man auch später noch – Hesiod empfiehlt die Zeit um das dreißigste Lebensjahr. Mit einer Heirat kann man Beziehungen zu anderen oikoi knüpfen und damit Allianzen schmieden oder seinen Status manifestieren,284 doch für die ersten Jahre als eigenständiger Bauer kann eine gekaufte Frau eine sehr passable Zwischenlösung sein. Diese ‚Zwischenlösung‘ betrifft nicht nur die Arbeitskraft der Frau, sondern auch deren sexuelle Verfügbarkeit. Dass unfreie Frauen für ihre Herren sexuell verfügbar waren, ist eindeutig: Homerische Helden schlafen selten allein. So legt sich Achill im neunten Gesang völlig selbstverständlich zu der von ihm erbeuteten Diomede und neben ihm schläft sein therapon Patroklos mit der ebenfalls erbeuteten Iphis, die Achill ihm gegeben hat.285 Agamemnon betont denn auch Achill gegenüber, dass er Briseïs nicht berührt habe.286 Von Laertes wird explizit vermerkt, dass er mit der von ihm gekauften Eurykleia das Lager nicht teilte – ein Verhalten, dass offenbar keineswegs selbstverständlich war. Interessant ist in diesem Fall jedoch die Begründung. Denn er habe Eurykleia wie eine Ehefrau geehrt, aber nicht mit ihr geschlafen, um die Gattin nicht zu erzürnen.287 Damit ist ein interessanter Punkt angesprochen, nämlich die Frage, wo genau die Grenze zwischen einer gekauften Frau, die man wie eine Gattin behandelt, und einer

282 Dazu dürften Feldarbeiten gehören, wie das Säen hinter dem pflügenden Knecht (Hes. erg. 469– 471); vgl. Hoekstra (1950) 94 f.; Scheidel (1990) 415 f. geht davon aus, dass die gekaufte Frau tatsächlich pflügen soll, glaubt aber, dass die Verse nicht von Hesiod stammen. Alternativ kann man vermuten, dass Hesiod an das Weiden von Rindern dachte; so Burford (1993) 149 – die Parallele zu erg. 441–447 schließt dies m. E. jedoch aus. 283 In diesem Sinne deutet den Vers auch Nussbaum (1960) 215, der die gekaufte Frau (und nicht die Ehefrau) als Teil der ‚Grundausstattung‘ des oikos sieht. 284 Heiraten als Praktik der Statusmanifestation werden behandelt bei Duplouy (2006) 79–117. 285 Hom. Il. 9,664–668. 286 Hom. Il. 9,132–134; 275–276. 287 Hom. Od. 1,432 f.

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tatsächlichen gefreiten Frau eigentlich verläuft. Auf den ersten Blick scheint die Sache eindeutig, denn die Terminologie der Epen ist klar: Während gyne pauschal die Frau bezeichnet, scheint der Terminus alochos der rechtmäßigen Ehefrau vorbehalten zu sein, bloße Konkubinen werden als pallakis bezeichnet.288 Die scheinbare Klarheit der Terminologie sollte jedoch nicht zu anachronistischen Schlüssen verleiten, denn die Stellung der Gattin, wie auch die der anderen Frauen im oikos, war weniger eine Rechts- als vielmehr eine Ehrenstellung.289 So unterscheidet sich Eurykleias Ehrenstellung von der einer legitimen Ehefrau primär dadurch, dass Laertes nicht mit ihr schläft, während umgekehrt in der Ilias die Mutter des Phoenix sich von ihrem Mann entehrt fühlt, weil dieser mit einer Sklavin verkehrt.290 Damit ist aber der Status unfreier Frauen durchaus fluide, vor allem wenn ihr Besitzer selbst noch keine legitime Gattin hat, auf deren Ehrenstellung er Rücksicht nehmen muss. So kann Achill im neunten Buch der Ilias von Briseïs als seiner alochos sprechen: Obschon sie speererworben sei, liebe (φιλἐειν) er sie nicht weniger als die Atriden ihre Gattinnen.291 Dass Briseïs als alochos bezeichnet wird, kann hier der rhetorischen Situation geschuldet sein, denn damit wird Agamemnons Raub der Briseïs zu einem identischen Vergehen wie Paris’ Raub der Helena.292 Doch dahinter steht mehr als nur Rhetorik. Denn im 19. Buch trauert Briseïs um Patroklos und erinnert daran, wie dieser ihr einst versprochen hatte, sie Achill als alochos zuzuführen, und ihr, quasi anstelle des toten Vaters, zurück in Griechenland unter den Myrmidonen die Hochzeit auszurichten.293 Gisela Wickert-Micknat hat dies als Versprechen auf eine Statusaufwertung gedeutet,294 und es ist in der Tat schwer, sich dieser Schlussfolgerung zu entziehen. Völlig arbiträr konnte eine solche Statusaufwertung nicht erfolgen, immerhin hätte für Briseïs ein Hochzeitsfest ausgerichtet werden müssen, das ihren neuen Status unter den Myrmidonen, also über den oikos hinaus, demonstriert.295 Auch Hesiod geht davon aus, dass eine Heirat zwingend

288 Zu den versch. Bezeichnungen – γυνή, ἄλοχος, παλλακίς – s. Wickert-Micknat (1982) 80–84. 289 Zum juristisch unscharfen Status der Ehe in der homerischen Gesellschaft s. Finley (1955) 187–193; Vernant (1974) dort spez. 68: „Le statut des femmes comme celui des fils, légitimes ou bâtards, dépend donc une large mesure de la timé, de l’honneur qui leur est reconnu par le chef de famille“. 290 Hom. Od. 1,432; Il. 9,449–452. 291 Hom. Il. 9,336–343. 292 Dass Achill hofft, sein Vater werde ihm eine Gattin freien (Il. 9,393–400), steht dazu nicht im Widerspruch: Denn die Ablehnung einer Versöhnung mit Agamemnon schließt auch aus, dass er seine ἄλοχος Briseïs wiederbekommt. Agamemnon selbst hat ähnlich argumentiert, als es um die Rückgabe von Chryseïs ging: Dort erklärte er, dass er diese seiner ἄλοχος Klytaimnestra vorziehen würde, denn weder hinsichtlich Aussehen noch Geist noch in Bezug auf die erga sei sie Klytaimnestra unterlegen (Il. 1,113–115). 293 Hom. Il. 19,297–299. 294 Wickert-Micknat (1982) 84. Anders Finley (1955) 170 f., der Briseïs unter der Kategorie Raubheirat (also analog zu Helenas Raub durch Paris) betrachtet – freilich ist sie, anders als Helena, primär ein geras und eben noch nicht richtig verheiratet. 295 Diesen Aspekt betont v. a. Patterson (1998) 56–62, die im Gegensatz zu Finley (1955) darauf hinweist, dass es eine rechtliche Definition der Ehe – über eine solche öffentliche Demonstration

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zu erfolgen habe.296 Eine gekaufte Frau konnte also nicht ohne weiteres eine gefreite ersetzen, aber der Unterschied zwischen beiden war nicht unüberbrückbar. Wenn man das ernst nimmt, dann präsentiert sich Hesiods Rat, eine Frau zu kaufen, nochmals in einem etwas anderen Licht: Nicht nur hatte man damit eine flexibel einsetzbare Arbeitskraft, man hatte auch eine Frau, die zumindest das Potential besaß, ähnlich wie Briseïs, zu einer eigentlichen Gattin aufgewertet zu werden, sofern ihr Besitzer auf die sozialen Vorteile, die ihm eine Ehe zu einer Freigeborenen einbrachte, verzichten wollte (oder musste). Die Regel war das sicher nicht. Doch auch wenn man dies nicht tat, hatte eine gekaufte Frau Vorteile, denn nicht nur ihr eigener Status war fluide, sondern vor allem auch derjenige potentieller Kinder, die einer allfälligen Liaison mit dem Hausherrn entspringen konnten. 2.5.2 Die lebensweltliche Logik von Bastarden In den homerischen Epen begegnet eine nicht unbeachtliche Zahl an Bastarden.297 Auf Seiten der Achaier kämpfen mit Medon und Teukros gleich zwei Helden, die explizit als Bastarde bezeichnet werden.298 Medon führt gar – an Stelle des zurückgelassenen Philoktetes – ein eigenes Kontingent.299 Auch unter den Troianern finden sich mehrere Bastarde. So wird im vierten Gesang der Ilias ein gewisser Demokoon, ein Bastard des Priamos, getötet, im fünften Gesang stirbt Megas, ein Bastard Antenors, und im elften Gesang fallen mit Isos und Doryklos gleich zwei Bastardsöhne des Priamos.300 Auch Hektors Wagenlenker Kebriones, den Patroklos erschlägt, ist ein Bastardsohn des Priamos und damit ein Halbbruder Hektors.301 Diese Individuen werden alle mit dem Terminus nothos bezeichnet.302 Die zurückgesetzte Stellung gegenüber den legitimen Söhnen ist damit schon rein terminologisch festgemacht. Besonders deutlich wird dies im Falle des Isos, der zusammen mit seinem Halbbruder Antiphos auf demselben Wagen fährt, wobei der Dichter explizit vermerkt, beide seien Söhne, doch der eine sei ein nothos, der andere ein gnesios. Beide sind zwar zusammen auf einem Streitwagen, doch genau wie bei Hektor und seinem Bastardbruder führt auch hier der nothos die Zügel,

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hinaus – auch in klassischer Zeit nicht gab. Potentiell ist dieser öffentliche Akt notwendig, damit die Ehefrau an gemeinschaftlichen Kulten mitwirken kann – in klassischer Zeit zeichnet dies die athenische Bürgerin als Bürgerin aus, wie Blok (2004) gezeigt hat, und Hom. Il. 6,286–311 belegt, dass Frauen auch im 7. Jh. Kulte für die Gesamtgemeinde versahen, wobei unklar bleibt, wie weit dieser Kreis gefasst war und wie man Zugang dazu erhielt. Hes. theog. 603–612; erg. 695–706. Vgl. Odgen (1996) spez. 21–26. Medon: Hom. Il. 2,727; 13,694–697; 15,333–336; Teukros: Il. 8,284. Hom. Il. 2,716–728. Hom. Il. 4,499; 5,69 f.; 11,102 f.; 11,489 f. Hom. Il. 16,737 f. Zur Terminologie s. Odgen (1996) 14–21.

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ist also in der minder prestigeträchtigen Position.303 Dass er den Namen Isos – also „Gleicher“ – trägt, ist ein nettes Detail, das einiges über die Hoffnungen verrät, die, wer immer ihn benannt hat, in seinen künftigen Status setzte.304 Denn eine Selbstverständlichkeit war es nicht, dass nothoi auch nur annähernd als gleich (ἴσος) betrachtet wurden. So wird Teukros zur Tapferkeit angestachelt, indem ihm vorgehalten wird, dass er seinem Vater Ruhm bringen soll, der ihn, den Bastard, in sein Haus aufgenommen habe.305 Beim Bastard des Antenor dagegen ist es die legitime Ehefrau des Vaters, die ihn gleich (ἴσος) den eigenen Kindern aufgezogen hat.306 Diese expliziten Verweise machen deutlich, dass eine solche Anerkennung keineswegs automatisch zu erwarten war, aber – und das ist entscheidend – sie war möglich. In der Odyssee fehlt der Terminus nothos, doch bietet dieses Epos zwei zentrale Stellen, die den Befund aus der Ilias ergänzen. Die eine Passage betrifft die berühmte Lügengeschichte des Odysseus im 14. Gesang, wo Odysseus sich als Sohn des Kreters Kastor ausgibt.307 Sein Vater habe viele Söhne aufgezogen, die er mit seiner alochos gezeugt habe, er selbst, so Odysseus weiter, sei jedoch von einer gekauften Mutter (ώνητή μήτηρ), einer pallakis, geboren worden. Kastor habe ihn jedoch gleich (ἴσος) geehrt wie die legitimen Söhne.308 Hier wird erstmals explizit auf den Status der Mutter eingegangen und es wird deutlich, dass Bastarde keineswegs nur Kinder waren, die mit (freien) Frauen außerhalb des oikos gezeugt und dann, wie etwa Teukros in den oikos des Vaters aufgenommen wurden, sondern dass man auch mit Sklavinnen im eigenen oikos Kinder zeugen konnte und diese Bastarde dann den legitimen Kindern an Ehre gleichstellen konnte. Völlig gleich war die Stellung freilich nicht, wie sich bei der Erbteilung zeigte. Dort klagt Odysseus noch immer in der Rolle des kretischen Bastards, dass er von seinen Halbbrüdern zwar nicht gänzlich übergangen worden sei, aber doch nur einen Bruchteil des Erbes und ein Haus erhalten habe.309 Trotz dieser Benachteiligung sei es ihm aber gelungen, aufgrund seiner Tüchtigkeit eine Frau von Menschen mit reichem Landlos zu heiraten310 – die nichtlegitime Herkunft war also kein Stigma, das Eheschließungen innerhalb der lokalen Oberschicht verunmöglichte.

303 Hom. Il. 11,101–103: αὐτὰρ ὃ βῆ Ἶσόν τε καὶ Ἄντιφον ἐξεναρίξων / υἷε δύω Πριάμοιο νόθον καὶ γνήσιον ἄμφω / εἰν ἑνὶ δίφρῳ ἐόντας· ὃ μὲν νόθος ἡνιόχευεν. Brüderpaare zusammen auf dem Wagen begegnen jedoch auch in Fällen, in denen beides legitime Söhne sind: vgl. Il. 11,127. 304 Odgen (1996) 24. 305 Hom. Il. 8,283f: πατρί τε σῷ Τελαμῶνι, ὅ σ’ ἔτρεφε τυτθὸν ἐόντα, / καί σε νόθον περ ἐόντα κομίσσατο ᾧ ἐνὶ οἴκῳ. 306 Hom. Il. 5,69–71: Πήδαιον δ’ ἄρ’ ἔπεφνε Μέγης Ἀντήνορος υἱὸν / ὅς ῥα νόθος μὲν ἔην, πύκα δ’ ἔτρεφε δῖα Θεανὼ / ἶσα φίλοισι τέκεσσι χαριζομένη πόσεϊ ᾧ. 307 Hom. Od. 14,199 ff.; s. o. S. 76 f. 308 Hom. Od. 14,200–203: πολλοὶ δὲ καὶ ἄλλοι / υἷες ἐνὶ μεγάρῳ ἠμὲν τράφον ἠδ’ ἐγένοντο / γνήσιοι ἐξ ἀλόχου· ἐμὲ δ’ ὠνητὴ τέκε μήτηρ / παλλακίς, ἀλλά με ἶσον ἰθαιγενέεσσιν ἐτίμα […]. 309 Hom. Od. 14,208–210. 310 Hom. Od. 14,211.

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Wie bemerkenswert das ist, zeigt die zweite einschlägige Stelle der Odyssee: Im vierten Gesang kommt Telemachos nach Sparta, wo Menelaos gerade eine Art Doppel-Hochzeit ausrichtet. Seine Tochter Hermione wird zu den Myrmidonen geschickt, um dort den Sohn des Achill zu heiraten, gleichzeitig wird aber sein Sohn Megapenthes mit einer Spartanerin verheiratet. Dieser Megapenthes sei, führt der Dichter aus, von einer Sklavin geboren worden: der Helena hatten die Götter keinen Sproß mehr ans Licht geführt, nachdem sie einmal die liebliche Tochter geboren hatte.311

Hier wird der Bastard also nicht nur an Ehre den legitimen Kindern gleichgestellt, sondern tritt vollwertig an die Stelle eines legitimen Sohnes, da absehbar ist, dass die eigentliche Gattin keine Kinder mehr haben wird. Dass Megapenthes als Nachfolger des Menelaos vorgesehen war, wird dadurch ersichtlich, dass Hermione patrilokal nach außen an Neoptolemos verheiratet wird. Die sonst – beispielsweise bei den Phaiaken312 – greifbare und in vielen Kulturen übliche Option, die legitime Tochter mit einem nahen Verwandten in matrilokaler Ehe zu verheiraten, um so den fehlenden Sohn durch einen Schwiegersohn zu ersetzen, wurde hier nicht gewählt.313 Bastarde konnten in der griechischen Frühzeit offenbar als erbberechtigte Kinder in den oikos aufgenommen werden und waren sowohl erb- wie heiratsfähig. Es war also keineswegs so, wie Aristoteles vor dem Hintergrund des vierten Jahrhunderts meinte, dass man eine gefreite Frau brauchte, um freie Kinder zu zeugen – das ging auch mit einer gekauften. Bastarde ließen dem Vater aber einen höheren Ermessenspielraum: Er konnte sie wie legitime Kinder ehren, musste aber nicht. Bastarde konnten daher als Rückversicherung dienen, wenn legitime Erben fehlten. Denn, wie bereits erwähnt, empfiehlt Hesiod in den Erga, lediglich einen Sohn zu zeugen, was Winfried Schmitz überzeugend als Strategie des Besitzerhalts in einer bäuerlichen Gesellschaft mit Realteilung erklärt hat.314 Doch Hesiod ist keineswegs so eindeutig. Denn mehrere Söhne, so schiebt er nach, brächten zwar mehr Sorgen, aber auch größeren Zuwachs.315 Es 311

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Hom. Od. 4,12–13 (Übers. nach W. Schadewaldt): ἐκ δούλης· Ἑλένῃ δὲ θεοὶ γόνον οὐκέτ’ ἔφαινον, / ἐπεὶ δὴ τὸ πρῶτον ἐγείνατο παῖδ’ ἐρατεινήν. Interessant wäre hier zu wissen, ob Megapenthes älter oder jünger war als Hermione, ob also Menelaos sich eine Sklavin als Konkubine nahm, als bereits klar war, dass ein Erbe ausblieb, oder ob es sich um einen älteren Bastard handelt, der in Anbetracht der allmählich deutlich werdenden Erbsituation „legalisiert“ wurde. Der Umstand, dass beide gleichzeitig verheiratet werden, könnte in Anbetracht des generell höheren Heiratsalters der Männer für letzteres sprechen; dagegen spricht auch nur bedingt, dass Megapenthes als „spätgeboren“ (τηλύγετος) bezeichnet wird, denn dasselbe Adjektiv wird in der Ilias (3,175) auch für Hermione verwendet. Hom. Od. 7,63–68: Alkinoos heiratete seine Nichte, Arete, da der ältere Bruder keinen Sohn hatte. Als Neoptolemos von Orestes erschlagen wurde und Orestes seine Cousine Hermione heiratete (die ‚klassische‘ innerfamiliäre Heirat bei fehlenden männlichen Erben), wurde Megapenthes freilich bei der Thronfolge übergangen und durch Orestes ersetzt, wie aus späteren Traditionen ersichtlich wird: vgl. Paus. 2,18,6. Hes. erg. 376 f.; Schmitz (2004) 94–98; s. o. S. 67. Hes. erg. 380: πλείων μὲν πλεόνων μελέτη, μείζων δ’ ἐπιθήκη. Vgl. dazu auch Schmitz (2004) 95.

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wurde schon mehrfach argumentiert, dass in der Entstehungszeit der Epen wohl nicht mit einer Landknappheit zu rechnen war:316 Hesiods Vater konnte als Fremder Land in Askra erwerben und Laertes scheint sich sein Gut auf Ithaka durch Landausbau selbst geschaffen zu haben.317 Mehr Arbeitskräfte in einem oikos können in einer solchen Situation durchaus in einem Ausmaß zu mehr Ertrag führen, wie dies in frühneuzeitlichen Gesellschaften, wo das zu bewirtschaftende Land weitgehend gleich blieb, nicht gegeben war. Ferner waren Söhne auch eine Altersvorsorge, und bei nur einem Sohn war das Risiko eines vorzeitigen Todes eine stete Gefahr. Hesiods Rat ist also alles andere als eindeutig: Zwar ist ein Sohn zu empfehlen, da damit eine Erbteilung vermieden wird, andererseits bringen mehrere Söhne mehr Gewinn und Sicherheit im Alter. Bastarde sind in dieser Situation eine optimale Lösung: Sie haben alle Vorteile, die legitime Söhne mit sich bringen, müssen aber nicht in der Erbteilung berücksichtigt werden, wenn legitime Kinder vorhanden sind. Odysseus in seiner Lügengeschichte, der behauptet, bei der Erbteilung von den legitimen Halbgeschwistern zwar nicht übergangen, aber doch massiv benachteiligt worden zu sein, wäre ein typisches Beispiel. In der späteren Überlieferung begegnen auch auffallend häufig Bastarde als Koloniegründer318 – bei aller Vorsicht, die sekundären Quellen gegenüber angebracht ist, ist es doch ein Befund, der sehr gut in das eben skizzierte Bild passen würde: Auswandern war eine Option, die nothoi ohne Aussicht auf ausreichendes Erbe in der Heimat attraktiv erscheinen musste.319 Bastarde im Haus zu haben, hatte jedoch noch einen weiteren Vorteil. Hesiod verweist an zwei Stellen auf die prekäre Situation alter Eltern, die Gefahr laufen, von ihren Kindern nicht mehr geachtet zu werden.320 Jochen Martin hat in einem inzwischen klassischen Aufsatz diese prekäre Situation des alten Vaters in Griechenland mit der dominanten Stellung der Väter in Rom verglichen.321 Winfried Schmitz hat dies aufgegriffen und auf die Praxis der Hofübergabe verwiesen, die den griechischen Vater in eine für römische Verhältnisse undenkbare Abhängigkeit brachte.322 Klare Regeln 316

Link (1991) hat darauf hingewiesen, dass nebst den verteilten Landlosen mit großen Gebieten an unkultiviertem Land zu rechnen ist und die Landkonflikte der archaischen Zeit sich vor allem um die Nutzung dieses ‚öffentlichen‘ Landes drehten. Für Athen spricht der archäologische Befund denn auch klar dafür, dass die Chora im 6. Jh. noch nicht durchgehend landwirtschaftlich genutzt war, also noch Landreserven bestanden: Lohmann (1993) Bd. 1, 121–123; die Chora Milets zeigt einen ähnlichen Befund s. Lohmann (2004); Lohmann (2007). Die Option, unkultiviertes Land urbar zu machen, erwähnt auch Schmitz (2004) 95. 317 Hes. erg. 634–640; Hom. Od. 24,206 f. 318 McGlow (1993) 162–168; aufgegriffen bei Rose (2012) 140 f. 319 Interessant (wenn auch im Einzelnen nicht unproblematisch) ist in diesem Kontext die Töpfersignatur „Aristonothos“ auf einem in Cerveteri gefundenen (vermutlich aus Euböa stammenden) Krater aus der Mitte des 7. Jh. (Museo Capitolini, Sammlung Castellani 172). Diesen Hinweis verdanke ich Adam Rabinowitz. 320 Hes. erg. 185–188; 331 f. 321 Martin (1984) spez. 85–90 zum frühen Griechenland. 322 Schmitz (2004) 94–98.

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht

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oder gar einen rituellen Akt, mit dem die Hausgewalt transferiert wurde, können wir in den Quellen jedoch nicht fassen.323 Es muss daher offen bleiben, ob die Übergabe der Hausgewalt der Grund oder nicht vielmehr die Folge der prekären Stellung alter Väter in Griechenland war. Interessant ist in diesem Kontext ein neuerer Beitrag Jochen Martins, der auf einen weiteren Unterschied aufmerksam macht, nämlich die Testierfreiheit des römischen pater. In Rom war es dadurch möglich, Söhne von der Erbfolge auszuschließen und dementsprechend mit dieser Drohung zu disziplinieren.324 In Griechenland scheint eine solche Testierfreiheit – zumindest in der Frühzeit – weitgehend gefehlt zu haben. So kann in der Ilias der Vater des Phoenix diesen, als er mit der Konkubine des Vaters schläft, zwar verfluchen, aber offenbar nicht enterben.325 Der Besitz ging in aller Regel immer an die Söhne und wenn keine Söhne vorhanden waren, teilten sich entfernte Verwandte das Erbe auf.326 Testamentarische Verfügungen scheint es – zumindest in der Frühzeit – nicht gegeben zu haben. Hier kommen nun erneut die Bastarde ins Spiel. Denn der fluide familiäre Status von Bastarden bot einem Vater Handlungsoptionen, die er gegenüber legitimen Söhnen nicht hatte. Denn anders als rechtmäßige Söhne haben Bastarde keinen automatischen Anspruch auf einen Erbanteil, der Vater kann sie aber durch eine ehrenvolle Behandlung zu Lebzeiten in eine Ausgangsposition bringen, die es ihnen erlaubt, Ansprüche geltend zu machen. Dies wiederum kann zur Disziplinierung der legitimen und damit zwingend erbberechtigten Söhne beitragen, denn eine Statusaufwertung allfälliger nothoi würde ihre Aussicht auf ein ungeteiltes väterliches Erbe schmälern.

323

Auch im klassischen Athen, wo zwar der Rückzug alter Väter gut fassbar ist, gibt es nur wenig Hinweise auf eine eigentliche Übergabe der Hausgewalt oder gar auf einen entsprechenden Ritus: Hartmann (2007) 44 und Strauss (1993) 66–71, der die Bandbreite der Variation betont. Anthropologische Vergleiche legen dies denn auch nahe: Der Übergang in das ‚ohnmächtige‘ Greisenalter ist kaum je von einem Übergangsritus begleitet, sondern meist ein schleichender Prozess, vgl. Linton (1942) 599; 602 f. 324 Martin (2009) 315–318. 325 Hom. Il. 9,447–484. Die Geschichte zeigt gleich mehrere Momente, welche die Autorität des Vaters untergraben: Erstens die Ehefrau, die sich durch die παλλακίς entehrt fühlt und den Sohn anfleht, diese zu beschlafen, damit sie den Alten verachte (450–452, s. o.), zweitens der Umstand, dass der verfluchte Phoenix seinen Vater zuerst töten möchte und lediglich von der Angst um seinen Ruf davon abgehalten wird, also offenbar keine konkreten Strafsanktionen zu fürchten hatte (459–461), und drittens die Reaktion der Verwandtschaft, die Phoenix daran hindern möchte, den oikos des Vaters zu verlassen, und dabei neun Tage lang Feste ausrichtet und sich dabei an den Herden und am Wein des Alten gütlich tut, d. h. den oikos des Vaters ausfrisst (464–470). Eine ἀποκήρυξις genannte Enterbung begegnet vereinzelt (und eher schemenhaft) in klassischer Zeit und wird von Dionysios von Halikarnass frühen Gesetzgebern, u. a. Solon zugeschrieben (Dion. Hal. ant. 2,26,3), eindeutige Indizien dafür fehlen aber; Ogden (1996) 126 vermutet, dass die ἀποκήρυξις zu einer ‚Bastardisierung‘ der legitimen Söhne führte, was wiederum bedingt, dass die rechtliche Diskriminierung von νόθοι bereits vollzogen war. 326 So z. B. Hom. Il. 5,152–158, wo der Troianer Phainops seine Söhne verliert und sein Erbe nun unter den χηρωσταί aufgeteilt wird; vgl. auch Hes. theog. 606 f.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

Der fluide Status von Bastardsöhnen gibt einem Vater daher Spielraum, den er sonst so nicht hätte und der es ihm erlaubt, die prekäre Autorität gegenüber den Söhnen zumindest teilweise zu behaupten. Sich möglichst vor der Heirat, wo eine pallakis den Status der Ehefrau noch nicht schmälern kann, eine Frau zu kaufen, die multifunktional einsetzbar ist und gleichzeitig potentiell legitimierbare nothoi gebären kann, war also in mehrerer Hinsicht eine rationale Strategie, die in einer bäuerlichen Welt mit einer prekären, aber keineswegs auf reiner Subsistenz basierenden Wirtschaft sehr wohl Sinn machte. 2.5.3 Transformation der bäuerlichen Lebenswelt und gesetzgeberische Reaktionen Die rekonstruierten Zusammenhänge unterstreichen noch einmal deutlich, dass vollbäuerliche Haushalte und die oikoi homerischer Helden nicht in gänzlich getrennten Sphären zu sehen sind, sondern letztlich ähnlich strukturiert waren.327 Erst durch die sich ergänzende Lektüre der beiden ‚Welten‘ kann man die Logik des Handelns erkennen, dem die Akteure folgen und das zutiefst in einer bäuerlichen Lebenswelt verwurzelt ist. Doch Hesiods Ergänzung der alten Spruchweisheit ist gleichzeitig ein Indiz für die Transformation dieser Welt. Denn die Empfehlung, eine Frau zu kaufen, machte nicht zu allen Zeiten gleich viel Sinn. Der fluide Status der gekauften Frau und möglicher Bastarde eröffnete dem Hausherrn, wie gezeigt, Handlungsoptionen, die er sich einer gefreiten Gattin und deren Kindern gegenüber nicht erlauben konnte. Das liegt daran, dass die gefreite Frau über ein Gabentauschsystem in ein Beziehungsnetz eingebunden ist, das über den oikos hinausreicht. Die Ehrenstellung einer durch hedna erworbenen Gattin oder ihrer Kinder nicht zu achten, konnte man sich nur erlauben, wenn man bereit war, die daraus resultierenden Störungen seiner Außenbeziehungen in Kauf zu nehmen. In einer Welt mit geringem Wohlstand und ohne einen Markt für Kaufsklaven dürfte es schwierig gewesen sein, Frauen zu erhalten, ohne in ein Beziehungsnetz eingebunden zu sein, wollte man sich nicht auf die risikoreiche Praxis des Frauenraubs einlassen.328 Für die Zeit vor der „Eighth-Century Revolution“ mit ihrem deutlichen Anstieg an

327 Die sehr starke Differenz zwischen bäuerlichen und ‚adligen‘ Haushalten, die Schmitz (2004) 105–126 und Schmitz (2008) hervorheben, ist zu relativieren – gerade auch in Hinblick auf den Besitz von Sklaven. Wenn man einen Unterschied festmachen möchte, dann am ehesten den, dass die wirklich herausragenden Helden bei Homer nicht mehr Sklavinnen, sondern mehr Ehefrauen haben: So hat Priamos neben Hekabe noch mindestens zwei weitere gefreite Frauen (Il. 8,304 f.; 22,48), deren Söhne keine νόθοι sind. Ein gängiges oder gar ‚schichtspezifisches‘ Verhalten war das nicht, aber es kam vor: Auch Peisistratos scheint im 6. Jh. mehrere Ehefrauen gehabt zu haben, was seinem Prestige und seinem Beziehungsnetz entsprach; vgl. dazu grundlegend Gernet (1982). 328 Auch bei erbeuteten Frauen sind es in den Epen jeweils die Anführer, die im Namen der Gruppe die Frauen als geras verteilen.

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht

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materiellem Wohlstand,329 würde ich für weite Teile des griechischen Kulturraums von einer so gearteten Welt ausgehen. Die auf diese ‚alten Welt‘ gemünzte Spruchweisheit „Ein Haus zuerst, eine Frau und ein Rind zum Pflügen“ dürfte sich daher ursprünglich tatsächlich auf die Ehefrau bezogen haben, denn wie sollte man sonst eine für das Führen des Hofes notwendige Frau erhalten? Doch Hesiod lebte in einer Zeit des Übergangs. Die Epen kennen Menschenhändler, die erbeutete und geraubte Menschen aus der Fremde über weite Distanzen transportieren und gegen einen Preis (ὦνος)330 verkaufen, das heißt, es entstand so etwas wie ein ‚Markt‘ für Kaufsklaven.331 Wie dieser ‚Markt‘ genau funktionierte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, doch Vers 406 bei Hesiod zeigt, dass man auch in dem „elenden Dorf “ (ὀϊζυρῆ κώμη) Askra Zugang zu Sklaven hatte und zwar so selbstverständlich, dass der Modus des Erwerbs, genauso wie der Kauf von Zugvieh, nicht weiter erläutert werden musste. Damit änderte sich jedoch die Ausgangslage: Für weibliche Arbeiten war man nicht mehr zwingend auf die Arbeitskraft einer Ehefrau angewiesen – das konnte auch eine Sklavin übernehmen. Die Ehefrau war damit nicht mehr ein ökonomisches Grundbedürfnis des wohlhabenden Bauern, sondern ein Prestigegut: Das Einzige, was einem eine gekaufte Frau nicht geben konnte, waren Statusgewinn und Beziehungen über den oikos hinaus. Für den einzelnen Hausherrn mochte es daher Sinn machen, zuerst eine Frau zu kaufen und mit dem Freien zuzuwarten, bis man sich eine Prestigefrau leisten konnte. Dass man heiraten musste, steht für Hesiod außer Frage, doch Bestandteil der ökonomischen ‚Grundversorgung‘ war eine Ehefrau für den wohlhabenderen Bauern nicht mehr. Die bei Hesiod und anderen Dichtern greifbare ‚Misogynie‘, die auf faule und kostspielige Ehefrauen – und nicht etwa auf Frauen im Allgemeinen – abzielt, dürfte genau das widerspiegeln.332 Für die Gemeinschaft als Ganzes war es jedoch wenig erfreulich, die eigenen Töchter in ihrer Ehrenstellung von gekauften Frauen bedroht und die legitimen Kinder durch Bastarde bedrängt zu sehen. Die neue Möglichkeit, Frauen zu kaufen, dadurch eine weibliche Arbeitskraft zu gewinnen, die nicht mit derselben Rücksicht bedacht werden musste wie eine Ehe-

329 Morris (2009). 330 Zur Problematik des Terminus, der in Verbindung zu transportierten Personen und Sachen steht und damit mit „Preis“ nur inadäquat übersetzt ist, s. Wagner-Hasel (2000) 242–246. Für eine Kontextualisierung der bei Homer und Hesiod greifbaren Sklaverei in den Zusammenhang ostmediterraner Sklavensysteme s. Lewis (2018) spez. 107–124. 331 Zu Kaufsklaven als Neuheit s. Wickert-Micknat (1983) 144–149. Dass im 8. Jh. ein genereller Anstieg von Wohlstand zu verzeichnen ist (was die Grundvoraussetzung für das Entstehen eines „Markts“ für Kaufsklaven bedingt), kann trotz der im Einzelnen schwierigen Datenlage in der Grundtendenz als gesichert gelten, s. Morris (2009). 332 In dem als Apotheose der archaischen Misogynie verschrienen „Weiberiambos“ des Semonides widerspiegelt die „Pferde-Frau“ (F 7 W 57–70), die ihren Körper luxuriös verwöhnt, aber nicht arbeitet, genau dieses Problem. Der Blick auf die Tochter ist dagegen ein ganz anderer: Hesiods Beschreibung der Tochter des Hauses (erg. 519–523 s. o.), die ähnlich gepflegt und gesalbt ist, entbehrt denn auch jeglicher ‚Misogynie‘. Zum Weiberiambos allg. s. Seelentag (2014).

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frau, und dazu noch die Möglichkeit zu haben, potentiell legitimierbare Bastarde in die Welt zu setzen, macht als Handlungsoption Einzelner in einer bäuerlichen Lebenswelt durchaus Sinn, birgt aber ein nicht zu unterschätzendes Desintegrationspotential für die Gesellschaft als Ganzes. Dass dieses Desintegrationspotential nicht reine Theorie ist, zeigen die entsprechenden Reaktionen: In den solonischen Gesetzen begegnen verschiedene Maßnahmen, die Bastarde rechtlich diskriminieren, von Erbschaften ausschließen und legitime Kinder schützen.333 Auch ein (freilich unsicher überliefertes) Gesetz gegen Ehelosigkeit, der nomos agamiou, passt gut in diesen Kontext:334 Die Möglichkeit, sich eine ‚gekaufte Frau‘ zu halten und auf eine rechtmäßige Gattin zu verzichten – für Hesiod klar keine bevorzugte Option, aber eine potentiell angelegte Möglichkeit –, würde damit ebenfalls durch eine allgemeinverbindliche Regelung unterbunden. Den neuen Möglichkeiten, die sich aus dem Kauf von Frauen ergeben hatten, wurde so ein Riegel geschoben. Die ‚gekaufte Frau‘ ist somit ein besonders greifbares Beispiel, das zeigt, wie archaische Gesetze, zumindest teilweise, aus der Logik einer bäuerlichen Lebenswelt heraus auf neue Entwicklungen reagierten und durch die Institutionalisierung von Regeln Desintegrationserscheinungen begegnen wollten. Unabhängig von der Gesetzgebung vollzog sich jedoch auch ein Wandel der Praxis. Denn der Brauch, dem Brautvater hedna zu geben, verschwindet im Verlauf der Archaik und dafür gewinnt die Mitgift an Bedeutung. Dass es dabei nicht um eine radikale Ablösung von einer auf Brautpreis basierenden Heiratspraxis zu einer auf Mitgift basierenden kam, hat Beate Wagner-Hasel in neueren Aufsätzen deutlich hervorge-

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F 50 a–b (Ruschenbusch) = F 50 a–b (Leão & Rhodes) = Aristoph. Av. 1660–1663; Lex ap. Demosth. or. 43,51 schließt Bastarde von Erbschaften aus und F 57 (Ruschenbusch) = F 57/a (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 22,4 bestimmt folgerichtig, dass Kinder aus einer nicht legitimen Ehe den Vater auch nicht ernähren müssen; die rechtliche Absicherung der Engye-Ehe und der als gnesioi anerkannten Kinder garantieren F 48 a–b (Ruschenbusch) = F 48 (Leão & Rhodes) = Poll. 3,33; Lex ap. Demosth. or. 46,18; zu den Fragmenten s. Ruschenbusch (2010) ad loc. sowie Leão & Rhodes (2015) ad loc. Vgl. auch Patterson (1998) 89 f. und Ogden (1996) 37–44; ausführlich zum Status von νόθοι in Athen s. Patterson (1990); Ogden (1996) 32–212; Kamen (2013) 62–70. In Gortyn [Ogden (1996) 263–271] fehlen Hinweise auf Bastarde in den Gesetzen (die freilich den Gegenbegriff gnesioi kennen) und auch in Sparta (ebd. 217–262) scheint die rechtliche Diskriminierung nicht so ausgeprägt gewesen zu sein wie in Athen, in beiden Fällen mag dies jedoch damit erklärt werden, dass dort – anders als in Athen – die Erbfähigkeit der Frauen eine größere Rolle spielte, der Status freier Frauen also über ihre Rolle als Erbinnen und Erblasserinnen gesichert wurde. Dmitriev (2018) spez. 15–91 versuchte jüngst, die rechtliche Unterscheidung zwischen gnesioi und nothoi in den solonischen Gesetzen im Kontext einer breiten Entwicklung zu deuten, in deren Verlauf sich die athenischen astoi als Abstammungsgemeinschaft definierten. 334 Plut. am. prol. 2 (= mor. 493e) und Poll. 8,40 erwähnen entspr. Gesetze für Athen und Sparta; ein Indiz für Solons Sorge um die Ehe könnte ev. die Anekdote bei Plut. Sol. 6 bieten, die aber ein entsprechendes Gesetz nicht erwähnt. Die ältere Forschung lehnte das athenische Gesetz mehrheitlich als unecht ab, vgl. aber Schmitz (2004) 210–213, der den nomos agamiou überzeugend in der bäuerlichen Lebenswelt des archaischen Griechenlands verortet (dort auch eine Diskussion der älteren Forschung).

2.5 Die gekaufte Frau: Eine Fallstudie zur Desintegration der bäuerlichen Oberschicht

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hoben: Gaben wurden weiterhin in beide Richtungen ausgetauscht.335 Dass der Terminus hedna in klassischer Zeit weitgehend verschwindet, wohingegen für die weiblichen Gegengaben, die in den Epen noch pauschal als „Geschenke“ (δῶρα) bezeichnet wurden, nun präzise Begriffe wie pherne und proix auftauchen,336 legt jedoch eindeutig nahe, dass sich der Fokus von den männlichen auf die weiblichen Gaben verschoben hatte. Die Frage ist, wie dies zu deuten ist. Die in der Forschung gelegentlich vertretene Hypothese, das Bezahlen von hedna sei eine aristokratische Praxis, die sich mit dem ‚Niedergang‘ des Adels im Verlauf der Archaik erübrige,337 entbehrt jeglicher Grundlage. Wenn man denn eine große Entwicklung sehen möchte, wäre ein anderes Modell plausibler. Denn anthropologische Studien legen nahe, dass im Gegenteil Brautgeld ein Merkmal gering stratifizierter Gesellschaften ist, wohingegen die Mitgift ein Indiz für eine zunehmende Stratifizierung darstellt.338 „Dowry differentiates,“ meinte denn auch Jack Goody, „just as bridewealth tends to homogenize.“339 Das Verschwinden der hedna ist daher mitnichten ein Indiz für ein Verschwinden eines ‚Adels‘, sondern im Gegenteil deutet die Existenz von hedna in den Epen auf die prekären, bäuerlichen Verhältnisse der dortigen Oberschicht hin. Das Verschwinden der hedna dagegen ist ein Indiz für den Bedeutungsverlust der Ehefrau als existenzsichernde Arbeitskraft innerhalb der reicher werdenden Oberschicht. Der Brautgeber muss nun nicht mehr – um es überspitzt zu formulieren – für die Arbeitskraft der Tochter ‚entschädigt‘ werden, sondern zentral sind Ehre, Familienverbindungen und Statuserhalt der Tochter durch die Mitgift. Entgegen der gängigen Ansicht ist das Verschwinden der hedna also kein Indiz für den Niedergang eines archaischen Adels, sondern im Gegenteil: Noch deutlicher als bei der Entkoppelung von Ehre und Gewinn beim Bekleiden öffentli-

335 Wagner-Hasel (2009); vgl. Wagner-Hasel (2012) und Wagner-Hasel (2013). 336 Zu den Begriffen s. Wagner-Hasel (2009); Wagner-Hasel (2012); Wagner-Hasel (2013), die dazu tendiert, die angeblich schon bei Solon erwähnte, aber primär im 5. Jh. belegte φερνή als weibliche Gegengabe für die männlichen Brautgüter zu sehen und diese von der vor allem im 4. Jh. prominent werdenden Mitgift (προίξ) zu unterscheiden. 337 Ormand (2014) 52–84; Morris (1986) 112–115 argumentiert komplexer und mit ethnologischen Parallelen, die er aber so zurechtbiegt, dass sie seinem Schema entsprechen: Sein Paradebeispiel einer aristokratischen Heirat, jene die Kleisthenes, der Tyrann von Sikyon, für seine Tochter ausrichtet (s. o. Kap. 1.1 und u. Kap. 5.1), bestätigt seine These denn auch gerade nicht: Nicht nur, dass die Freier der Agariste keine Viehherden nach Sikyon treiben, sie erhalten, selbst die erfolglosen, alle Geldgeschenke vom Brautvater! 338 Goody (1973); Goody (1983) 240–261; Huges (1978). Problematisch ist der auf Angebot und Nachfrage fokussierte Vergleich zwischen „Brautkauf “ bei Homer und im damaligen Albanien durch Hasluck (1933) – bedenkenswert ist jedoch (nebst der Verwurzelung des Brauchs in einer „peasant-society“) die Bemerkung, dass im Albanien der 1930er vor allem arme Väter vom Brautgeld, das sie erhalten, profitieren, während reichere Väter ihren Töchtern tendenziell mehr in die Ehe mitgeben, als sie vom Brautnehmer erhalten (192): Dies ist ein weiteres Indiz, dass hedna eben gerade keine genuin aristokratische Praxis darstellen. 339 Goody (1973) 47.

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2. Bäuerliche Lebenswelt im frühen siebten Jahrhundert

cher Funktionen zeigt sich hier eine Tendenz zur Adelsbildung mit einer Höherbewertung von Ehre gegenüber ökonomischen Kriterien. Die Entwicklung im europäischen Spätmittelalter und der Renaissance, wo die Mitgiftehe ebenfalls eine bemerkenswerte Bedeutungssteigerung erfuhr, liefert eine mögliche Parallele – Statuskonkurrenz bei gleichzeitig hoher sozialer Mobilität und städtischer Verdichtung sind durchaus vergleichbar.340 Doch in der bäuerlichen Welt Hesiods war diese Entwicklung noch nicht eingetreten. Für den Dichter war es daher sinnvoll, die überkommene, auf ältere Zeiten gemünzte Spruchweisheit „Ein Haus zuerst, eine Frau und einen Pflugstier“ entsprechend zu ergänzen und den ‚modernen‘ Gegebenheiten seiner eigenen Zeit anzupassen. Für Aristoteles, in dessen eigener Gegenwart eine gekaufte Frau unmöglich legitime Kinder gebären konnte, war dagegen der ursprüngliche Spruch, wenn auch unter ganz anderen Verhältnissen, wieder verständlich geworden – den Hesiod’schen Zusatz, der eine Zeit des Übergangs von einer einfacheren zu einer komplexeren Gesellschaft spiegelt, konnte er dagegen ohne Weiteres vergessen.

340 Huges (1978) 288–290, spez. 288: „It was its use as a mechanism for alliance and mobility in a status-conscious yet mobile world that may have encouraged the dowry to rise dramatically in value in the late Middle Ages and in the Renaissance.“

3. Polisbezug und Adelsbildung 3.1 Polisbildung als Urbanisierung Die Archaik ist die Zeit der entstehenden Polis. Bedeutsam ist dies nicht nur in Bezug auf die politischen Strukturen,1 sondern auch in Hinsicht auf die Polis als Siedlungsform.2 Während in den ‚Dark Ages‘ Streusiedlungen vorherrschen, die auf eine segmentäre Siedlungsorganisation nach Familien- oder Abstammungsgemeinschaften hindeuten,3 beginnt sich dies im Verlauf des achten Jahrhunderts zu ändern. Ab dem ausgehenden achten Jahrhundert tauchen Stadtmauern auf, Siedlungen werden verdichtet, Platzanlagen architektonisch gefasst und monumentale Tempel errichtet4 – dieser Prozess der ‚Urbanisierung‘ beginnt bescheiden, beschleunigt sich aber im sechsten und vor allem im fünften Jahrhundert rasant. Verschiedene archäologische Indizien sprechen dabei für eine bewusste Gestaltung und Abgrenzung des städtischen Raums: Zentral sind dabei nicht nur Stadtmauern, die eine klare Grenze zwischen ‚Innen‘ und ‚Außen‘ markieren,5 sondern auch der Umstand, dass Nekropolen seit dem frühen siebten Jahrhundert vermehrt außerhalb der eigentlichen Siedlung angelegt wurden, also der Raum der Lebenden von jenem der Toten geschieden wur-

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Hierzu klassisch: Ehrenberg (1937). Dazu allg. Hansen (1997) und mit einem Fokus auf die öffentlichen Räume Hölscher (1998); vgl. auch überblicksartig Crielaard (2009) spez. 361–368 und Stein-Hölkeskamp (2015) 125–134; detailliert zum archäologischen Befund im Mutterland Lang (1996). Ulf & Kistler (2020) 66–69, die v. a. die Bedeutung der sich ausbildenden Agorai ab der Wende vom 8. zum 7. Jh. als Indiz für den Übergang zu einem „familien- zu weiler-übergreifenden Siedlungsverband“ deuten. Zu den Stadtmauern vgl. Lang (1996) 21–54, die noch skeptisch ist, was die Häufigkeit angeht, Frederiksen (2011) argumentiert jedoch auf breiter Materialbasis und neuerer Befunde plausibel dafür, Stadtmauern als durchaus typisches Moment der archaischen Polis ab dem 7. Jh. anzusehen. Allg. zu Siedlungsstruktur, Platzanlagen und Kultbauten s. Lang (1996) 55–77 und Hölscher (1998) sowie jetzt Kistler & Ulf (2020) 170–17; eine Spezialstudie zum aufwendigen Aufbau der Wasserversorgung im 6. Jh. bietet Möller (2015); vgl. auch Lang (1996) 118–137. Den wichtigen Aspekt von Stadtmauern und -toren als Grenze zwischen Drinnen und Draußen betont Hölscher (1998) 67–73

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3. Polisbezug und Adelsbildung

de.6 Als signifikantes Indiz für die Gestaltung des urbanen Raums finden sich ab dem späten siebten Jahrhundert in Megara Hyblaia und bald auch in weiteren großgriechischen Kolonien orthogonale Straßenraster, die vereinzelt auch in neuangelegten oder ausgebauten Poleis des Mutterlands nachzuweisen sind.7 In der kretischen Stadt Azoria haben aktuelle Grabungen diesen generellen Trend anhand eines besonders gut erhaltenen archaischen Siedlungsbefunds bestätigen können: Zwar war in Azoria aufgrund der Hanglage ein orthogonales Straßennetz nicht realisierbar, doch Terrassierungen und die Anlage gemeinschaftlicher Gebäude sprechen eindeutig für eine kommunale Planung. Dazu wurde eine Vorgängersiedlung planiert und überbaut, ohne dass man einen Anschluss an die alten Siedlungsstrukturen gesucht hätte – offenbar wollte man bewusst eine neue urbane Topographie schaffen.8 Dass sich mit dem Wandel segmentärer Streusiedlungen zu einem größeren Siedlungsverband auch die gesellschaftliche Struktur änderte, steht außer Frage: Ein Zusammenleben in familienübergreifenden Verbänden erfordert andere Formen der Organisation und Differenzierung als eine nach Abstammungsgemeinschaften gegliederte Gesellschaft. Doch wie sich die Siedlungsform der Stadt und der sich bis in die Klassik hinziehende Prozess der Urbanisierung auf die sich nun ausbildende Gesellschaft auswirkte, ist wenig untersucht. Das hängt damit zusammen, dass sich die althistorische Forschung traditionell mehr für den ‚Staat‘ als für die ‚Stadt‘ interessierte. Die (vergleichsweise wenigen) Beiträge, welche die Polis als ‚Stadt‘ in den Blick nehmen, kämpfen derweil mit der Frage, wie eine Stadt zu definieren sei und ob in der Archaik überhaupt von ‚Städten‘ und ‚Urbanisierung‘ gesprochen werden könne.9 Robin Os-

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S. Lang (1996) 70–72 und Hölscher (1998) 63–66 zu den Nekropolen. Zu den Westgriechischen Kolonien s. Mertens (2006) und speziell zur ‚urbanen Schule‘ hinsichtlich der Straßenraster Wasowicz (1992); zum Mutterland s. Lang (1996) 60–62. Vgl. auch Hansen (1997) 41 f. mit dem Hinweis, dass von den Kolonien nicht nur politische Konzepte, wie man eine Polis einrichten kann, sondern auch die damit verbundenen urbanen Konzeptionen auf das Mutterland zurückwirkten. S. Fitzsimons (2014), Haggis (2014) und speziell in Hinblick auf gemeinschaftliche Räume für kommensale Praktiken Seelentag (2015) 410–416 – jeweils mit weiterer Literatur. Insbesondere Haggis (2014) hebt dabei hervor, im Ausbau eines urbanen Zentrums ein „deliberate act of constructing and redefining the social community“ mit weitreichenden Folgen („an entirely new way of thinking, living, and interacting“) zu sehen (ebd. 36). So sprach Morris (1991) der archaischen Polis den urbanen Charakter weitestgehend ab, da mit in Anbetracht der mehrheitlich agrarischen Existenzgrundlage der Bewohner ein urbaner, an einem städtischen Markt ausgerichteter Lebensstil nicht gegeben sei, und kam folglich zum Schluss, dass die Polis als ‚Staat‘ der Polis als ‚Stadt‘ zeitlich vorausgegangen sei (ebd. 34–40). Dem hat Hansen (1997) spez. 32–54 vehement widersprochen und für den Stadtcharakter der Polis bereits in der Archaik plädiert, wobei er sich gegen die zu enge, primär ökonomische, Definition von ‚urban‘ bei Morris wandte und mit Max Weber eine breitere Definition starkzumachen suchte, die Faktoren wie eine geschlossene Siedlungsstruktur, eine relative Größe jenseits dörflicher face-to-face-Strukturen, einen Markt und politische Institutionen beinhaltet und die folglich auch auf die Archaik zuträfen, vor allem aber hob er Max Webers Konzept der antiken ‚Ackerbürgerstadt‘ hervor, bei der agrarische Lebensgrundlage und ‚Stadt‘ sich eben gerade nicht ausschließe – dass es v. a. der

3.1 Polisbildung als Urbanisierung

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borne hat vor dem Hintergrund dieser Probleme in einem 2005 erschienen Sammelband dafür plädiert, mit einer absoluten Minimaldefinition von Stadt als eine durch relative Größe und Dichte ausgezeichnete Siedlung zu arbeiten und darüber hinaus vor allem nach Funktionen zu fragen.10 Eine zentrale Funktion der Stadt – so soll im Folgenden argumentiert werden – ist, dass sie seit dem späteren siebten Jahrhundert zunehmend die Kategorien bestimmte, über die gesellschaftliche Differenzierung erfolgte.11 Dies zeigt sich einerseits nach außen, wo sich die Städter im Zentrum gegenüber den als Peripherie verstandenen Nichtstädtern abgrenzen, andererseits prägt die Siedlungsform Stadt aber auch die Art, wie Differenzierung unter den Städtern selbst erfolgt.12 Denn das Zusammenleben von relativ vielen Personen auf engem Raum verlangt nach anderen Formen der Visualisierung von Statusunterschieden als dies in den relativ übersichtlichen face-to-face-Strukturen dörflicher Gemeinschaften der Fall ist. Der archäologische Befund der wachsenden und sich verdichtenden Siedlungen ist dabei ein wichtiger ‚realhistorischer‘ Faktor, die hier interessierenden Formen gesellschaftlicher Differenzierung auf der Basis einer Stadt-Land-Unterscheidung sind jedoch Denkkategorien und Sinnkonstruktionen, die nicht direkt aus dem archäologischen Befund ableitbar sind, sondern sich in den Praktiken und Selbstzeugnissen der historischen Akteure finden. Aus diesem Grund wird der Fokus im Folgenden nur punktuell auf den archäologischen Befunden liegen, sondern vor allem auf der literarischen Überlieferung, über die deutlich gemacht werden kann, wie die Kategorie ‚Stadt‘ als Modus der Differenzierung gedacht werden konnte.13

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wirtschaftliche Aspekt sei, der viele dazu verleite, antiken ‚Ackerbürgerstädten‘ den ‚urbanen‘ Charakter abzusprechen, betont zusammenfassen auch Hansen (2006) 85–97. Osborne (2005). In diesem Sinn auch Crielaard (2009) spez. 357–359. Einschlägig in diesem Zusammenhang sind die Arbeiten Alain Duplouys zum performativen Charakter von Bürgerstatus, dazu programmatisch Duplouy (2018) sowie Duplouy (2013), Duplouy (2014a), Duplouy (2014b), vgl. u. S. 139 f. sowie allg. Kap. 3.3. Wie weit Text und Archäologie überhaupt in Übereinklang zu bringen sind, ist denn auch keineswegs unumstritten. Man muss nicht so weit gehen wie Crielaard (2009) 369, der meinte, dass die in den Texten greifbare „urban mentality“ bereits existiert habe, „long before the typical Greek city had been conceptualized in a spatial sense“ – der den Texten also ein von jeglicher Materialität entkoppeltes Eigenleben zubilligte. Die Tendenz zur Verdichtung und Monumentalisierung urbaner Zentren ab dem 7. und v. a. im 6. Jh. deutet m. E. jedoch klar auf eine Koevolution von Siedlungsstruktur und ‚Urbanität‘ als Distinktionsmerkmal hin, doch Crielaard ist insofern sicher Recht zu geben, als jenseits dieser sehr allgemeinen Feststellung direkte Bezüge zwischen archäologischen Befunden und Texten kaum herzustellen sind, was nicht nur an den regionalen Unterschieden und der doch immer noch sehr bescheidenen ‚Urbanität‘ archaischer Städte liegt, sondern auch am Umstand, dass die Dichter sich an Idealen orientieren, die teils explizit im Osten – vornehmlich in Lydien – verortet werden und damit zwar für das Selbstverständnis und die daraus abgeleiteten Distinktionsstrategien prägend sein konnten, aber nicht zwingend 1:1 einem ‚realhistorischen‘ Befund der Siedlungsarchäologie entsprechen müssen.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Um das Potential einer Stadt-Land-Unterscheidung für die Konzeption gesellschaftlicher Differenzierung zu erfassen, ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Stadt keineswegs die einzig mögliche Lebensform antiker Menschen war. Zwar implizieren die antiken Quellen, dass Urbanisierung als bewusster Gründungsakt erfolgte: Als Synoikismos, bei dem verschiedene Dörfer sich zu einer größeren Siedlung zusammenschlossen – womit gleichzeitig auch ein evolutionäres Modell impliziert wird, bei dem das Dorf eine Vorstufe zur Polis darstellt.14 Archäologische Surveys haben dieses Bild jedoch erheblich relativiert. So nimmt in verschiedenen Regionen wie Attika, der Argolis, Boiotien, dem Umland von Milet, aber auch auf der Insel Keos die Besiedlung der Chora laufend zu und erreicht in der Klassik ihren Höhepunkt – eine einseitige Konzentration der Bevölkerung in einen Zentralort und eine damit verbundene Entvölkerung der Chora lässt sich also in vielen Fällen nicht nachweisen. Unter den Bedingungen einer auf persönlicher Anwesenheit basierenden Kommunikation darf die damit einhergehende Differenzierung zwischen der im politischen und wirtschaftlichen Zentrum wohnenden Bevölkerung und jener im peripheren Umland nicht unterschätzt werden. Das zeigt sich bereits in der Figur des Laertes in der Odyssee, der außerhalb der Polis auf seinem Gut lebt und folglich keine politische Rolle mehr spielt, beziehungsweise weil er keine politische Rolle mehr spielt, außerhalb der Polis lebt.15 Die Abgrenzung der Stadt gegenüber dem Umland ist jedoch etwas, was in der bisherigen Forschung wenig Beachtung fand, beziehungsweise als Phänomen weitgehend negiert wurde.16 Das hängt vor allem damit zusammen, dass die meisten antiken ‚Städter‘ agrarisch tätig waren und daher jenseits der Großpolis Athen, welche die Quellenlage in klassischer Zeit einseitig verzerrt, nur die wenigsten Poleis eine spezifisch städtische Wirtschafts- und Lebensform aufwiesen.17 So haben die Unter-

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Bei Aristoteles (Pol. 1,1252b 10–35) ist das Dorf die nächst höhere Einheit nach dem Haus, doch das Telos erreicht man erst durch den Zusammenschluss mehrere Dörfer zur Polis. Dementsprechend ist das Siedeln in (autonomen) Dörfern ein Zustand der Frühzeit. So schildert Strabo (8,3,2) die Gründung von Elis in klassischer Zeit (durch Diod. 11,54,1 auf 471 zu datieren) als Synoikismos und erklärt dies zum Muster für die Gründung verschiedenster peloponnesischer Poleis seit homerischer Zeit – gerade im Falle von Elis ist freilich nur schwer zu erkennen, was sich durch den Synoikismos tatsächlich veränderte: s. Roy (1997). Auch für Athen sieht Thukydides (2,15) einen Synoikismos unter Theseus als Gründungsakt, der hier freilich nicht mit einem tatsächlichen Zusammensiedeln, sondern bloß mit einem Zusammenlegen der politischen Strukturen verbunden war – Plutarch (vielleicht gestützt auf den verlorenen Anfang der Athenaion politeia) sah diesen Synoikismos freilich durchaus als wörtliches Zusammensiedeln ehemaliger Dörfer und ihrer jeweiligen Eliten (vgl. Plut. Thes. 25; 32,1). Hom. Od. 1,189–193. Hall (2007) 190 f. hebt als eine der ganz wenigen Stimmen diesen Gegensatz (explizit gegen die communis opinio) hervor, widmet ihm aber auch nur eine knappe Seite; ebenso argumentiert Crielaard (2009) spez. 357–359. Eine Opposition von städtischer und ländlicher Bevölkerung, freilich ohne zeitlich klar zu differenzieren, betont auch Burford (1993) 223–230. Bintliff (2006) sowie o. S. 116. Anm. 9.

3.1 Polisbildung als Urbanisierung

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suchungen des Copenhagen Polis Centers gerade in Hinblick auf die ‚normale Polis‘ betont, dass Max Webers Konzept des antiken Ackerbürgers ein wohl doch sehr häufiges Phänomen war.18 Damit ist die antike ‚Stadt‘ naturgemäß stärker mit dem Umland verzahnt, als dies in diversen mittelalterlichen Städten der Fall war, in denen zünftig organisiertes Handwerk dominierte und damit einen Gegensatz zur agrarischen Wirtschaftsform des Umlands bildete. Das oft sehr kleine Umland vieler Poleis lässt es denn auch durchaus nicht abwegig erscheinen, dass das Gros der Bevölkerung tatsächlich im Zentralort lebte und tagsüber jeweils ins Umland auf seine Äcker ging. Hansen schätzte daher, dass für viele kleinere Poleis der klassischen Zeit die Landbevölkerung in einem Verhältnis 1:2 zur Stadtbevölkerung stand, dass also rund 70 % der Population stadtsässig war.19 Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Begrifflichkeit wider, denn ‚Polis‘ kann sowohl die ‚Stadt‘ als auch die Einheit von Zentralort und Umland bezeichnen, besitzt also – anders als die deutsche Übersetzung ‚Stadt‘ – das Potential, den Stadt-Land-Gegensatz semantisch aufzulösen.20 Die Urbanisierung des Zentrums führte denn auch nicht in allen Bereichen zu einer klaren Abgrenzung vom Umland. So fehlten in Griechenland eindeutige sakrale Grenzen wie etwa das römische pomerium, und die Erschließung der Chora durch extraurbane Heiligtümer deutet ebenfalls darauf hin, dass in sakraler Hinsicht Stadt und Umland als Einheit oder zumindest als Kontinuum ohne eindeutige Grenzen gesehen wurde.21 Das sind berechtigte und bedenkenswerte Relativierungen, die aber nicht dazu verleiten sollten, Polis und Chora als Einheit zu sehen. Sinnvoller erscheint es hier, mit Tonio Hölscher von einem städtischen Zentrum auszugehen, das von zwei konzentrischen Zonen umgeben ist: Dem bewirtschafteten Fruchtland in Stadtnähe und der wilden und unkultivierten eschatia weiter draußen.22 Dieses Bild entspricht einer Unterscheidung von Zentrum und Peripherie und eröffnet den Blick auf eine gesellschaftliche Differenzierung anhand dieser räumlichen Kategorie. Tatsächlich ist in den Quellen ein Kontrast zwischen Stadt und Land durchaus fassbar. Das wurde zwar gesehen, doch der Fokus lag bislang vor allem auf der Relativierung dieser Differenz. So betonte etwa Ian Morris: „The significant thing is not that these prejudices appear in Archaic and Classical literature, but that no stronger urban/rural opposition evolved.“23 Dennoch sollte dies als Strukturelement nicht unterschätzt werden und zwar

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Hansen (1997) 44–47; vgl. auch Hansen (2004) und Bintliff (2006). Hansen (2004) 11–16; vgl. Bintliff (2006) 20–23. Vgl. Hansen (1997) 17–20. Vgl. Polinskaya (2006); zu sakralen Erschließung der Chora s. grundlegend Polignac (1984). Zur (auch kultischen) Bedeutung von Stadttoren als Grenze s. aber Hölscher (1998) 67–73, der jedoch ebenfalls unterstreicht, dass diese Grenze längst nicht so ausgeprägt war, wie die römische Unterscheidung in domi und militiae. Hölscher (1998) 17. Morris (1991) 37. Andere gehen noch weiter. So kritisiert etwa Polignac (2005) sämtliche Versuche – wie etwa von Hansen (1997) – ‚Urbanität‘ à priori zu definieren und betont stattdessen die

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3. Polisbezug und Adelsbildung

aus zwei Gründen. Erstens hat sie das Potential, gesellschaftliche Anhängigkeiten und Herrschaftsverhältnisse zu etablieren: Wir erfahren sowohl von abhängigen Landbevölkerungen als auch von abhängigen Orten, die sich beide im Umland eines Zentralorts befinden.24 Zweitens hat ein Stadtbezug der Oberschicht Auswirkungen auf die Adelsbildung, da eine Differenzierung entlang der Unterscheidung in Zentrum und Peripherie nicht zwingend einhergehen muss mit einer Differenzierung nach Schichten, ja diesen unter Umständen gar entgegenlaufen kann (aber nicht muss). 3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote Theognis von Megara wird gemeinhin als typischer Vertreter des archaischen Adels angesehen.25 In seiner Lyrik finden sich Klagen über verfallende Werte: Gute, die als schlecht gelten, und Schlechte, die als gut gelten, Reichtum, der wahre Tugend zu ersetzen droht, und ein Lamento, dass gute Geburt nichts mehr zähle. Elke Stein-Hölkeskamp und andere haben in diesen Elegien ein Krisensymptom gesehen: ein Vertreter des alten Adels, dessen Stellung durch neureiche kakoi bedroht wird und der deshalb an die Gruppensolidarität der agathoi appelliert.26 Dabei ist jedoch strittig, ob Theognis auf eine Vergangenheit rekurriert, in der es tatsächlich eine gefestigte Herrschaft der agathoi gegeben habe, oder ob er nicht vielmehr ein Bild beschwöre, das in

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Durchlässigkeit von Zentrum und Peripherie und die Notwendigkeit, solche vermeintlichen Dichotomien zu überwinden und zu hinterfragen. So berechtigt dieser Ansatz in einzelnen Punkten auch sein mag, er läuft doch Gefahr, sich in postmoderner Beliebigkeit, die nur noch ‚komplex‘ und ‚heterogen‘ ist, zu verlieren. Erwähnt seien hier lediglich die Monographien von Lotze (1959) und Gschnitzer (1958); für eine detaillierte Besprechung abhängiger Orte und Landbevölkerungen s. u. S. 126 ff. Von der Lahr (1992) bietet eine solche Deutung in monographischer Form; zur Nachwirkung der theognideischen Verse im klassischen Athen, wo sie sich in oligarchischen Kreisen als „Alternative“ zur Demokratie einer gewissen Beliebtheit erfreuten, s. Lane Fox (2000). Das Corpus Theognideum ist freilich kein geschlossenes Werk, sondern ein Konvolut verschiedener Dichtungen, von denen nur ein Teil von dem im berühmten sphregis-Gedicht (Thgn. 1,19–30) genannten Theognis von Megara stammt; als authentisch werden i. d. R. (vgl. jedoch die nicht unberechtigte Skepsis von Selle [2008] 313 f.) jene Passagen angesehen, die an Kyrnos adressiert sind bzw. der gesamte thematisch relativ homogene Block 19–254 (für eine feingliederige Sichtung s. Selle [2008] mit den zusammengefassten Ergebnissen auf S. 377. Anm. 23) – die an Kyrnos adressierten Verse 1103 f., die die Zerstörung von Magnesia, Kolophon und Smyrna erwähnen, legen eine (vorsichtige!) Datierung in die erste Hälfte des 6. Jh. nahe (die Verse 891–894, die den lelantischen Krieg und die Kypseliden erwähnen, stammen wohl nicht von Theognis); eine knappe Diskussion zu den einzelnen Teilen des Werkes sowie möglicher Datierungen bieten Lane Fox (2000) 35–40; ausführlichst diskutiert wird das Corpus bei Selle (2008). Stein-Hölkeskamp (1989) 86–93; 134–138 und mit deutlicher Hervorhebung, dass es sich um innerelitäre Konflikte und nicht einen Gegensatz zwischen „Adel“ und „Volk“ handelt: Stein-Hölkeskamp (1997); ähnlich auch Donlan (1999) 77–95. Ebenfalls eine Krise des Adels sieht von der Lahr (1992), der aber tendenziell eher dazu tendiert, Theognis normative Ideologie als Rekurs auf eine tatsächlich existente Adelsherrschaft der noch nicht fernen Vergangenheit zu lesen.

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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der Form nie der Realität entsprochen habe. So betonte etwa Stein-Hölkeskamp den reaktionären Charakter dieser Dichtung, die der Instabilität der eigenen Gegenwart ein weitgehend kontrafaktisches Ideal vermeintlich stabiler Standesschranken entgegenhält. Deutlich weiter (wenn auch in der Sache in dieselbe Richtung) ging Hans van Wees, der in einem vielbeachteten Aufsatz die Äußerungen von Theognis mit den Selbstzeugnissen moderner Mafiosi verglich, die in ganz ähnlicher Weise moralisch verwerfliche Aufsteiger mit den angeblich moralisch besseren Verhältnissen einer noch nicht so fernen Vergangenheit kontrastieren.27 Vor diesem Hintergrund verwarf van Wees die Idee einer einmaligen Krise ‚des Adels‘: Das Einzige, was man aus Theognis erschließen könne, sei eine hohe soziale Mobilität, bei der Besitz, aber auch Gewalt eine große Rolle spiele. Das sei keine neue Entwicklung und auch kein grundsätzlicher struktureller Wandel der Oberschicht, sondern decke sich weitgehend mit dem, was sich auch bei anderen Lyrikern der archaischen Zeit finden lasse. Bei aller Sympathie für diesen Ansatz, dem ich in der Grundtendenz auch völlig zustimme, besteht doch die Gefahr, die Verhältnisse im archaischen Griechenland durch den Mafiosi-Vergleich zu sehr zu verflachen und das historisch Spezifische aus dem Blick zu verlieren. Denn auch wenn die Zuschreibungen ‚gut‘ und ‚schlecht‘ subjektiv und austauschbar wirken, so gibt es doch eine zentrale Passage im Corpus Theognideum, die deutlich macht, dass mit diesen moralischen Termini auch ‚harte‘ Kategorien der gesellschaftlichen Differenzierung verbunden waren. So adressiert der Dichter seinen jugendlichen Freund Kyrnos und erklärt: Kyrnos, die Stadt ist zwar noch diese Stadt, doch das Volk ist ein anderes; die die zuvor kein Recht und kein Gesetz kannten, die an ihren Hüften raue Ziegenfelle scheuern ließen und draußen vor der Stadt wie Hirsche ihr Leben fristeten. Und jetzt sind sie die Guten, Polypaide, und die früher Edle waren, sind jetzt die Erniedrigten. […]28

Die Klage ist, wie so oft im Corpus Theognideum, keine Beschreibung eines tatsächlichen Zustandes, denn die verachteten Leute, die einst vor der Stadt gelebt hätten, seien jetzt die ‚Guten‘. Aber unabhängig davon, ob der Dichter auf tatsächliche Ereignisse Bezug nimmt oder nur seine Gegner als ehemalige ‚Nicht-Städter‘ diffamieren will, ist doch klar festzuhalten, dass die zentrale Unterscheidung an dieser Stelle nicht entlang sozialer Schichten wie adlig-nichtadlig oder arm-reich erfolgt, sondern die Leitdifferenz die Unterscheidung zwischen städtisch und nicht-städtisch ist. Sozial inferiore

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Van Wees (2000b); vgl. van Wees (1998). Dieser Deutung folgte in seiner revisionistischen Gesamtdeutung griechischer Eliten auch Duplouy (2006) 43–48. Thgn. 1,53–56 (Übers. nach D. U. Hansen): Κύρνε, πόλις μὲν ἔθ’ ἥδε πόλις, λαοὶ δὲ δὴ ἄλλοι, / οἳ πρόσθ’ οὔτε δίκας ἤιδεσαν οὔτε νόμους, / ἀλλ’ ἀμφὶ πλευραῖσι δορὰς αἰγῶν κατέτριβον, / ἔξω δ’ ὥστ’ ἔλαφοι τῆσδ’ ἐνέμοντο πόλεος. / καὶ νῦν εἰσ’ ἀγαθοί, Πολυπαΐδη· οἱ δὲ πρὶν ἐσθλοί / νῦν δειλοί. […].

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Personen werden durch drei Merkmale charakterisiert: Sie besitzen kein Gesetz, gehören also einem anderen (oder keinem) Rechtsraum an, sie sind durch ihre Feldkleidung rein äußerlich klar von den Städtern zu unterscheiden und sie leben räumlich getrennt vor der Stadt – wobei der Vergleich mit wilden Tieren sicher nicht zufällig gewählt ist. Folglich wird sozialer Aufstieg sehr konkret räumlich als Wechsel von der ländlichen Peripherie ins urbane Zentrum konzipiert. Diese Unterscheidung von städtischem Zentrum und umliegender Peripherie scheint sehr viel geläufiger gewesen zu sein als gemeinhin angenommen. Die Struktur vieler klassischer Poleis, insbesondere Athens, wo die Chora und ihre Bewohner gleichberechtigt in die Polis integriert waren, impliziert eine harmonische Einheit von Polis und Umland, die den Blick auf das Differenzierungspotential des Stadt-Land Gegensatzes verstellt. Es lohnt sich daher, auf einige Quellen näher einzugehen, die diesem harmonischen Bild diametral widersprechen – und zwar explizit in Bezug auf die archaische Zeit. Es handelt sich dabei um Legenden, die in den seltensten Fällen weiter als das vierte Jahrhundert zurückverfolgt werden können, die aber unterstreichen, dass das bei Theognis fassbare Denken in Stadt-Land Gegensätzen auch in klassischer Zeit noch weit verbreitet war. So sind für einige Poleis Stadtverbote überliefert, die darauf abzielen, bestimmte Teile der Bevölkerung aus der Stadt und damit von politischer Betätigung fernzuhalten. Konkret erwähnt werden solche Stadtverbote für Periander von Korinth, wobei Diogenes Laertios, der dies überliefert, sich auf Ephoros und Aristoteles beruft.29 In den unter dem Namen Herakleides überlieferten Exzerpten der aristotelischen Verfassungen findet sich dieselbe Information ergänzt durch den Hinweis, dass Periander gleichzeitig den Besitz von Sklaven verboten habe.30 In derselben Exzerptsammlung wird auch ein als „Sohn des Promnesos“ bezeichneter Tyrann von Kephallenia erwähnt, der es Bauern verboten haben soll, länger als zehn Tage pro Monat in der Stadt zu sein.31 Athenaios berichtet unter Berufung auf den wohl im vierten Jahrhundert schreibenden Lokalhistoriker Hippias von Erythrai über einen oligarchischen Umsturz in Erythrai, der dazu geführt habe, dass der demos aus der Stadt ferngehalten worden sei. Auch für Rechtsverfahren habe man die Ausgeschlossenen fortan nicht mehr

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Diog. Laer. 1,98 (= Ephoros FGrH 70 F 179 = Aristot. F 516 Rose): οὗτος [d. h. Periander, J. M.] πρῶτος δορυφόρους ἔσχε καὶ τὴν ἀρχὴν εἰς τυραννίδα μετέστησε· καὶ οὐκ εἴα ἐν ἄστει ζῆν τοὺς βουλομένους, καθά φησιν ῎Εφορος καὶ ᾽Αριστοτέλης. Vgl. auch Nikolaos von Damaskus FGrH 90 F 58 (= Exc. De Virtut. I p. 342,22). Herakleides FHG II F 5 p. 213 (= Aristot. F 611,20 Rose). Zu dieser Exzerptsammlung und deren Urheber, dem hellenistischen Autor Herakleides Lembos s. Bloch (1940). Das Sklavenverbot findet sich auch bei Nikolaos von Damaskus FGrH 90 F 58 (s. o.). Herakleides FHG II F 32 p. 222 (= Aristot. F 611,64 Rose); zur Tyrannis auf Kephallenia lässt sich jedoch nicht viel sagen: die Geschichte ist sonst nicht überliefert und auch zu Promnesos, der einzig namentlich genannten Person, findet sich sonst nichts. De Libero (1996) 223 verwirft die ganze Episode als reinen Tyrannentopos.

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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in die Stadt gelassen, sondern die neuen Herren hätten vor den Mauern Recht gesprochen, wobei sie lange purpurfarbene Chitone sowie langes Haar und Goldschmuck getragen hätten.32 Ähnliches findet sich auch für den athenischen Tyrannen Peisistratos überliefert: In der Athenaion politeia wird erklärt, die Förderung der Landwirtschaft und die Einführung von Demenrichtern hätte vor allem dazu gedient, zu verhindern, dass sich die Landbevölkerung in der Stadt aufhielt und sich dem Gemeinwesen widme – eine Deutung, die auch von einigen späteren Autoren aufgegriffen wird.33 Gerade die Berichte über Athen müssen skeptisch stimmen, handelt es sich doch eindeutig um spätere Umdeutungen von an sich positiven Maßnahmen wie Landwirtschaftsförderung oder dezentrale Rechtsprechung, denen ex post ein zynisches, machtpolitisches Kalkül des Tyrannen unterstellt wird. Diese Skepsis wird ferner genährt durch den Umstand, dass keiner der erwähnten Berichte über Stadtverbote weiter als ins vierte Jahrhundert zurückreicht – und gerade im vierten Jahrhundert scheint dies zu einem Topos geworden zu sein. So sieht Aristoteles es als ein geradezu typisches Kennzeichen von Tyrannenherrschaften und Oligarchien an, dass sie die Menge (ὁ ὄχλος) aus der Stadt vertreiben und getrennt wohnen lassen.34 Loretana de Libero verwarf daher sämtliche Geschichten über archaische Stadtverbote als ahistorisch.35 Doch auch wenn vieles topisch ist und man solche Geschichten sicher nicht für eine Ereignisgeschichte einzelner Poleis heranziehen darf: Die dahinterliegende Struktur, die von einer grundsätzlichen Differenz von Stadt und Umland ausgeht, ist sehr wohl historisch. Winfried Schmitz hat in Hinblick auf das klassische Athen argumentiert, dass im ausgehenden fünften und vor allem im vierten Jahrhundert die traditionelle bäuerliche Ordnung in der Stadt – anders als in den Demen – zunehmend an Bedeutung verliere,36 und meint abschließend: „Stadt und städtisches Leben bilden eine neue, eine eigene Kategorie, die sich von bäuerlichen Lebensformen entfernt und sich auch in der Vergesellung von bäuerlichen Traditionen unterscheidet.“37 Die Karikierung von Bauern in der Komödie des fünften und der reichhaltige Fundus an Gerichtsreden aus dem vierten Jahrhundert sind hierfür die Hauptquellen. Diese Differenz zwischen Stadt und Land bildet den historischen Hintergrund, vor dem Geschichten über archaische Stadtverbote plausibel erscheinen konnten. Doch der von Schmitz konstatierte Wandel hängt eng mit den in dieser Zeit neu verfügbaren Quellengattungen zusammen – die Äußerung bei Theognis dagegen legt nahe, dass die Differen32 33 34 35 36 37

Athen. 6,258f–259f (= Hippias von Erythrai FGrH 421 F 1). [Aristot.] Ath. pol. 16,3–5; vgl. Dion Chrys. 7,107; 25,3; Ael. VH 9,25. Aristot. Pol. 5,1311a 13–15: […] καὶ τὸ κακοῦν τὸν ὄχλον καὶ τὸ ἐκ τοῦ ἄστεως ἀπελαύνειν καὶ διοικίζειν ἀμφοτέρων κοινόν, καὶ τῆς ὀλιγαρχίας καὶ τῆς τυραννίδος. Dass früher der demos auf den Feldern und nicht in der Stadt gewohnt habe, erklärt auch Aristot. Pol. 5,1305a 18–21. De Libero (1996) 402 f. Vgl. auch ihre skeptische Position zu den einzelnen Berichten: 81 zu Athen, 158 zu Korinth, 223 zu Kephallenia und 375 zu Erythrai. Schmitz (2004) 411–466. Vgl. auch Burford (1993) 223–230. Ebd. 466.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

zierung zwischen Stadt und Land auch der Archaik keineswegs fremd war. Auch die Erwähnung bei Herakleides und Nikolaos von Damaskus, dass Periander sein Stadtverbot mit einem Verbot von Sklavenbesitz kombinierte,38 legt eine Logik nahe, welche die Tyrannentopik transzendiert: Die im bäuerlichen Gesindedienst beschäftigten Personen sollen auf dem Land gehalten werden, werden aber gleichzeitig geschützt, indem durch Verbote dafür gesorgt wird, dass ihre Arbeitskraft nicht durch Kaufsklaven ersetzt werden kann.39 Die Maßnahme würde also darauf abzielen, den status quo vor dem Hintergrund neuer ökonomischer Möglichkeiten zu stabilisieren, dabei wird nicht nur der Zuzug felltragender Bauern in die Stadt unterbunden, sondern auch die Stadt-Land Unterscheidung als zentrales Merkmal der Differenz aufrechterhalten. Für Naxos ist eine (dubiose) Geschichte überliefert, in der die Stadt-Land-Differenz gar zum Ausgangspunkt einer Stasis wird. Athenaios schildert unter Berufung auf die aristotelische Naxion politeia, wie der Tyrann Lygdamis in Naxos zur Macht gekommen sei.40 Zeitlich wäre die Episode damit in die Mitte des sechsten Jahrhunderts zu datieren, da Herodot Lygdamis als Verbündeten des Peisistratos kennt.41 Damals hätte in Naxos die große Menge der Wohlhabenden in der Stadt gewohnt, die restlichen über das Land verstreut in Dörfern. Einer dieser reichen Landbewohner sei ein gewisser Telestagoras gewesen, der vom Demos mit täglichen Geschenken geehrt worden sei. Es sei daher in dem entsprechenden Dorf üblich gewesen, Käufern aus der Stadt, wenn sie einen zu niedrigen Preis für Waren boten, zu erklären, in dem Falle wolle man es lieber Telestagoras schenken. Als einst zwei junge Männer einen Fisch kaufen wollten und gleich mehrfach mit diesem Spruch konfrontiert worden seien, seien sie in angetrunkenem Zustand zu jenem Telestagoras gezogen und hätten ihn sowie seine beiden Töchter im heiratsfähigen Alter misshandelt. Daraus, so endet die Geschichte, sei eine Stasis resultiert, die es Lygdamis ermöglicht habe, sich zum Tyrannen aufzuschwingen. Die Geschichte dürfte kaum historisch sein. Sie lenkt aber das Augenmerk auf einen interessanten Aspekt der Konzeption der Stadt-Land-Differenzierung: Die entscheidende Differenz verläuft nicht entlang der sonst im vierten Jahrhundert gängigen Kategorien ‚arm‘-‚reich‘, sondern transzendiert diese schematische Dichotomie. So ist im Falle von Naxos der Konflikt zwischen Stadt und Land nicht gleichzusetzen mit

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Herakleides FHG II F 5 p. 213 (= Aristot. F 611,20 Rose), Nikolaos von Damaskus FGrH 90 F 58 (= Exc. De Virtut. I p. 342,22), s. o. S. 122 mit Anm. 30. Dass eine solche Logik der Antike nicht fremd war, zeigt Timaios FGrH 566 F 11a (= Athen. 6.264c–d), der zu berichten weiß, dass die Lokrer und Phokier „bis vor kurzem“ keine Sklaven gehabt hätten und ein Mann namens Mnason, ein Freund des Aristoteles, in Verruf geraten sei, als er tausend Sklaven kaufte, weil er damit viele Mitbürger um den Verdienst gebracht habe. Grundlegend zur Interpretation der Gesetze Perianders in dem hier vorgestellten Sinne s. Schmitz (2010) 37–41. Athen. 8,348a–b (= Aristot. F 558 Rose). Hdt. 1,61; 64; vgl. [Aristot.] Ath. pol. 15,2 f.

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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einem Kampf zwischen ‚Klassen‘ im ökonomischen Sinne, denn die Wohlhabenden wohnen sowohl in der Stadt als auch auf dem Land und Telestagoras, der wie homerische basileis Geschenke vom demos bezieht, scheint in seinem Dorf so etwas wie ein lokaler big man zu sein. Doch auch die jungen Städter, die ihn überfallen, sind durchaus der Oberschicht zuzurechnen: Sie wollen einen (großen) Fisch, also ein luxuriöses Nahrungsmittel,42 kaufen. Auch der Umstand, dass sie Telestagoras in angetrunkenem Zustand heimsuchten, ist bedeutsam. Für das klassische Athen hat Winfried Schmitz ähnliche Verhaltensmuster junger ‚Aristokraten‘ untersucht und als eine Form von Rügebrauch gedeutet: Der auf das Symposion folgende Komos kann Anlass bieten, um gegen vermeintliche Normverstöße von Individuen vorzugehen, wobei die Verletzung der häuslichen Sphäre eine besonders drastische Strafmaßnahme darstellt.43 Die Geschichte um Telestagoras wird von Schmitz daher ebenfalls als ein Rügeritual im Kontext eines Komos interpretiert und die jungen Männer folglich der Oberschicht zugeordnet,44 und es ist davon auszugehen, dass die Naxion politeia das genauso sah. Der Differenz zwischen Städtern und Landbewohnern lässt sich also nicht ohne weiteres auf ökonomische Schichten reduzieren, sondern kann sehr wohl als Differenz zwischen einer stadtsässigen Oberschicht und ländlich domizilierten Oikosherren mit lokalem Anhang gedacht werden. Die Historizität der Episode auf Naxos mag sehr zweifelhaft sein, doch die darin greifbare Differenzierung hat gerade für die Archaik eine hohe Plausibilität: Die Herausbildung, Urbanisierung und nicht zuletzt auch Befestigung von Zentralorten in vielen Regionen dürfte entsprechende Unterscheidungen beflügelt haben. Die bisher angeführten Beispiele sind – abgesehen von Theognis – alles hochgradig dubiose Überlieferungen, die allesamt nicht mit Gewissheit über das vierte Jahrhundert hinaus zurückverfolgt werden können. Für eine (Ereignis-)Geschichte der Archaik können solche Anekdoten nicht mit gutem Gewissen herangezogen werden. Sie zeigen aber eine Logik des Denkens in Stadt-Land-Differenzen, die bemerkenswert ist, weil sie die simplen Dichotomien von arm-reich transzendiert und damit eine ganz andere Form, gesellschaftliche Differenz zu konzeptualisieren, offenbart als sonst im vierten Jahrhundert üblich. Diese Form der Differenzierung ist bislang in der Diskussion unterbelichtet geblieben, obschon sie gerade für die Archaik eine hohe Plausibilität besitzt. Denn wenn man dies als Prämisse nimmt, findet man durchaus bessere Quellen, die darauf hindeuten, dass die Stadt-Land-Differenz in der Archaik in hohem Masse strukturbestimmend war.

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Während homerische Helden vornehmlich Fleisch essen, sind Fische (und zwar vor allem große Fische) in klassischer Zeit ein begehrtes Luxusgut, vgl. Davidson (1997) 3–35 – den zeitgenössischen Lesern der aristotelischen Naxion politeia dürfte dieser Bezug also klar gewesen sein. Schmitz (2004) 277–312. Ebd. 300.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Für eine solche Sicht spricht der Umstand, dass die Unterscheidung zwischen Zentralort und Umland in zahlreichen Gebieten als historisch gewachsene, institutionalisierte Form der Ungleichheit geläufig war. Während im klassischen Athen freie Bewohner ohne Bürgerrecht als Metöken, also als ‚Mitwohner‘, bezeichnet wurden, kannten viele Gemeinwesen den räumlich differenzierenden Begriff der Periöken, der ‚Umwohner‘. In Kyrene wurden gemäß Herodot bei einer Phylenreform um die Mitte des sechsten Jahrhunderts nicht näher spezifizierte Periöken in eine der neuen Phylen integriert.45 In vielen Gegenden wurden die ‚Umwohner‘ jedoch nicht integriert sondern exkludiert, was zu verschiedenen Graden der Abhängigkeit führte, die dann in historisch hellerer Zeit greifbar sind, sich aber in der Archaik ausgebildet haben müssen: In Sparta und Elis wurden in klassischer Zeit die Bewohner freier, aber politisch abhängiger Gemeinden des Umlands ‚Periöken‘ genannt, und für Kreta bezeichnete Aristoteles mit dem Begriff ‚Periöken‘ eine Form von Leibeigenschaft, die er mit den spartanischen Heloten verglich.46 Nebst den Periöken kennen die Quellen noch verschiedene weitere Begriffe, die eine außerhalb der Stadt lebende unfreie oder zumindest abhängige Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Anders als bei den Legenden um archaische Stadtverbote ist hier die Überlieferungslage deutlich besser, da sie sich in vielen Fällen auf spätarchaische Verhältnisse beziehen und einige der Termini bei Herodot überliefert sind, die schriftliche Fixierung also teilweise bereits im fünften Jahrhundert erfolgte. Die Zustände, über die berichtet wird, liegen also nicht weiter als drei Generationen in der Vergangenheit und bewegen sich damit noch in jenem Bereich der Erinnerung, den Jan Assmann als „kommunikatives Gedächtnis“ bezeichnet hat, also jene noch lebendig

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Hdt. 4,161,3; für eine Deutung der kyrenischen Phylenreform in Analogie zur kleisthenischen Reform einige Jahrzehnte später in Athen, die ebenfalls die Einbindung der Peripherie ins Zentrum zum Ziel hatte, s. Hölkeskamp (1993) sowie Stein-Hölkeskamp (2015) 261–267. Anders: Grote (2016a) 13–46. Zu den spartanischen Periöken s. immer noch grundlegend Hampl (1937), ihm folgt weitgehend Gschnitzer (1958) 61–67; vgl. in neuerer Zeit u. a. Lotze (1994) [ND: Lotze (2000) 171–183] zum Status der Periöken; Shipley (1997) und Shipley (2006) mit einer Bestandsaufnahme der bekannten Periökenstädte und dem archäologischen Befund; Hall (2000) zur gemeinsamen Identität von Spartiaten und Periöken als Lakedaimonier; zur Problematik, die Lakedaimonier als Verbund von Zentralort und abhängigen Orten mit (letztlich modern gedachten) staatsrechtlichen Kategorien zu erfassen, s. die unterschiedlichen Positionen bei Eremin (2002), Mertens (2002) und Ducat (2010). Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Periöken s. Thommen (2014) 34–38. Zu Elis s. Gschnitzer (1958) 7–17 und Roy (1997). Zu den kretischen Periöken bzw. der Assoziation dieses Begriffs mit den dort fassbaren Formen unfreier Landbevölkerung s. Lotze (1959) 8 f.; die Belege für den Terminus ‚Periöken‘ stammen jedoch ausschließlich aus literarischen Quellen und decken sich nicht mit dem epigraphischen Befund, der (etwa in Gortyn) diverse andere Termini für Unfreie verwendet; vgl. Gagarin (2010) konkret zur Unterscheidung von doloi und woikeis im Gesetz von Gortyn, die er als unterschiedlich abgestufte Formen der Unfreiheit deutet, sowie Seelentag (2015) 278 f. der allgemein hinter den verschiedenen Begriffen unterschiedliche Abstufungen von Unfreiheit in Kreta vermutet; generell zur kretischen Sklaverei s. Lewis (2018) 147–165.

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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erlebte Geschichte, die noch nicht durch ‚oral tradition‘ überformt ist.47 So wird für einige Kolonien in spätarchaischer Zeit überliefert, dass dort die unterworfene indigene Bevölkerung die Felder der stadtsässigen Griechen bearbeitet habe. In Syrakus gab es eine unter dem Namen kyllyroi bekannte abhängige Landbevölkerung,48 auch Byzanz soll über eine hörige, indigene Landbevölkerung verfügt haben,49 und in Herakleia am Pontos wird von den mariandynoi berichtet, einem indigenen Stamm, der das Land der Kolonisten bebaute.50 Aristoteles spricht in Bezug auf Herakleia von Periöken und Landarbeitern (georgountes), womit der Charakter dieser abhängigen Landbevölkerung als nichtstädtische ‚Umwohner‘ nochmals deutlich wird.51 In Bezug auf die abhängige Landbevölkerung Kretas ist ein Fragment des Historikers Ephoros von Interesse. Dieser habe, so berichtet Athenaios, von einem Fest in der kretischen Stadt Kydonia geschrieben, bei dem die klarotai genannten Sklaven für die Dauer des Festes als Herren agierten und es allen Freien verboten war, die Stadt zu betreten.52 Hier findet sich der Gedanke des Stadtverbots in der Variante einer karnevalartigen Inversion wieder. Gut greifbar ist der Fall des spätarchaischen Argos. Hier lässt sich mit Herodot relativ zuverlässig ein Konflikt zwischen rechtlich diskriminierten Periöken aus dem Umland und den Bewohnern des Zentralorts rekonstruieren. So erfahren wir bei Herodot, dass die Argivier zu Beginn des fünften Jahrhunderts nach der schweren Niederlage gegen Kleomenes von Sparta gezwungen waren, ‚Sklaven‘ in ihre Bürgerschaft aufzunehmen.53 Wer diese Sklaven genau waren, ist freilich alles andere als eindeutig: Der in hellenistischer Zeit schreibende argivische Lokalhistoriker Sokrates jedenfalls tadelte Herodot und erklärte, das seien keine ‚Sklaven‘ gewesen, sondern die Besten unter den umwohnenden Periöken;54 auch Aristoteles spricht von Periöken, die in die

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Vansina (1992) 50–52; vgl. generell zu mündlicher Erinnerung und ‚oral tradition‘ ferner Vansina (1985) und Ungern-Sternberg & Reinau (1988). Hdt. 7,155; die herodoteischen kyllyroi dürften mit den kallikyrioi identisch sein, die Aristoteles F 586 (Rose) (= Phot. lex. s. v. καλλικύριοι [κ 127 Porson]) mit den lakedaimonischen Heloten, den thessalischen Penesten und den kretischen klarotai vergleicht. Vgl. Timaios FGrH 566 F 8 (=Phot. lex. s. v. καλλικύριοι [κ 127 Porson]). Phylarchos FGrH 81 F 8 (= Athen. 6,271b–c). Plat. leg. 4,776c–d; Strab. 12,3,4; Poseidonios FGrH 87 F 8 (= Athen. 6,263c–d). Athen. 6,263d–e kennt auch den Terminus „Geschenkebringer“ (δωροφόροι), den der Dichter Euphronios und der Historiker Kallistratos (FGrH 348 F 4) für die mariandynoi verwenden, letzterer mit einem expliziten Verweis auf den ähnlichen Status der lakedaimonischen Heloten, der thessalischen Penesten und der kretischen klarotai. Aristot. Pol. 7,1327b 11–14. Ephoros FGrH 70 F 29 (= Athen. 6,263f). Hdt. 6,83. Von Sklaven im expliziten Gegensatz zu Freien spricht auch Diod. 10,26 in einem Fragment, das Argos zwar nicht namentlich nennt, aber wahrscheinlich auf dieselbe Episode zu beziehen ist, doch dabei scheint es sich m. E. lediglich um eine Ausschmückung der knappen Notiz bei Herodot zu handeln. Sokrates von Argos FGrH 310 F 6 (= Plut. de mul. virt. 4 = mor. 245d–f).

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Bürgerschaft aufgenommen wurden,55 und Pausanias geht in eine ähnliche Richtung, wenn er von der Eingliederung von Nachbarorten durch Argos berichtet.56 Die Erklärung bei Sokrates von Argos, dass die Argivier nicht etwa Sklaven, sondern die aristoi der Periöken in die Bürgerschaft aufgenommen hätten, passt zu dem in der Naxion Politeia entworfenen Bild, dass es innerhalb der Landbewohner durchaus Unterscheidungen geben konnte. Auch in Sparta waren die Periöken in historisch hellerer Zeit keine homogene Masse an ‚Umwohnern‘, sondern verfügten über eine eigene Oberschicht, die Xenophon gar als kaloikagathoi bezeichnet.57 Dass Herodot dagegen von Sklaven sprach, entspricht einer auch sonst zu beobachtenden pauschalen Gleichsetzung von minderprivilegierten ‚Umwohnern‘ mit mehr oder minder diffusen Konzepten von Unfreiheit.58 Das zeigt sich nicht nur bei Aristoteles, der Unfreie in Kreta mit dem in kretischen Inschriften selbst nicht nachzuweisenden Begriff ‚Periöken‘ verbindet, sondern auch beim kaiserzeitlichen Lexikographen Iulius Pollux. Dieser schreibt: Zwischen Freien und Sklaven befinden sich die Heloten der Lakedaimonier, die Penestai der Thessalier, die Klerotai und Mnoitai der Kreter, die Dorophoroi der Mariandyner, die Gymnetes der Argivier und die Korynephoroi der Sikyonier.59

Es handelt sich offenbar um Begriffe, die Pollux als erklärungsbedürftig erachtete und die nicht in ein Schema der Stratifikation nach arm-reich oder adlig-nichtadlig passten,

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Aristot. Pol. 5,1303a 6–8. Grote (2016a) 162–173 hat jüngst auf die wahrscheinliche Konstituierung einer vierten argivischen Phyle im frühen 5. Jh. hingewiesen, was er überzeugend mit der bei Aristoteles überlieferten Aufnahme der Periöken in Verbindung zu bringen sucht, allerdings sieht er im herodoteischen Bericht über die „Sklaven“ (die er wörtlich nimmt) m. E. zu Unrecht ein davon getrenntes Ereignis. Paus. 8,27,1 (der zwar die Bedrohung durch die Lakedaimonier als Grund für die Eingliederung verschiedener Nachbarorte hervorhebt, aber keinen konkreten Anlass oder gar ein Datum nennt). Xen. hell. 5,3,9. Die Schwierigkeit, die bei diesen sich überschneidenden Formen gesellschaftlicher Differenzierung entstehen, zeigt sich etwa in der Darstellung zur griechischen Gesellschaft von Schmitz (2014a), der Lakonien zwar nach der Unterscheidung in Spartiaten und Periöken bespricht (also eine Differenzierung in Zentrum und Peripherie), aber gleichzeitig festhält, dass bei den Periöken Unterschiede zwischen Arm und Reich offensichtlich stärker ausgeprägt wären (also eine stärkere Stratifikation bestehe) als im (seiner Ansicht nach) eher egalitären Zentralort (ebd. 213). Möglicherweise ist hier auch eine ältere Wortbedeutung von δούλος im Sinne von ‚politisch abhängig‘ gemeint, so van Compernolle (1975) 358–360; vgl. auch Wickert Micknat (1986) 137. Pollux 3,83 (eigene Übers.): μεταξὺ δ’ ἐλευθέρων καὶ δούλων οἱ Λακεδαιμονίων εἵλωτες, καὶ Θετταλῶν πενέσται, καὶ Κρητῶν κλαρῶται καὶ μνωῖται καὶ Μαριανδυνῶν δωροφόροι, καὶ Ἀργείων γυμνῆτες, καὶ Σικυωνίων κορυνηφόροι. Zu der hier fassbaren abhängigen Landbevölkerung s. Lotze (1959) sowie die entsprechenden Aufsätze in Lotze (2000); dass es sich hierbei nicht um eine Urbevölkerung handelt, die von einwandernden Doriern unterworfen wurde, sondern um eine Form von Abhängigkeit und rechtlich fixierter Ungleichheit, die sich erst allmählich entwickelte, ist heute weitgehend akzeptiert, doch über das ‚Wie‘ herrscht Uneinigkeit: Während van Wees (2003) von Herrschaftsbildungen ausgeht, die sich im Verlauf des 7. und frühen 6. Jahrhunderts vollzogen und in deren Zuge größere Bevölkerungsschichten in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen wurden, geht Welwei (2008) von einem längerfristigen Prozess im Rahmen der Polisbzw. Ethnogenese aus, der regional stark variieren kann.

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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auf die aber auch die rechtliche Unterscheidung zwischen frei und unfrei nicht richtig anwendbar war, weshalb Pollux sie irgendwo dazwischen verortete. Die Vermutung ist naheliegend, dass es sich in allen Fällen um minderprivilegierte, eventuell auch zu Abgaben verpflichtete60 ‚Umwohner‘ handelte, die gerade deshalb nicht in Pollux’ Kategorien passten, weil eben primär die räumliche Logik der Stadt-Land-Differenz und weniger der rechtliche Status maßgeblich war. Für den Fall von Argos bedeutet das, was von der Forschung auch schon mehrfach propagiert wurde,61 dass Herodot ähnlich pauschal die dortigen Periöken mit Unfreiheit in Verbindung brachte und daher als ‚Sklaven‘ bezeichnete. Möglicherweise hat sich bei Pollux gar ein authentischer Begriff erhalten und argivische Periöken waren tatsächlich auch unter dem Begriff gymnetes bekannt. Diese Bezeichnung als ‚Nackte‘ könnte im übertragenen Sinne ‚Leichtbewaffnete‘ bedeuten und damit sowohl auf eine Pflicht zur Heeresfolge als auch auf eine erkennbare Differenzierung durch Kleidung (beziehungsweise deren weitgehendes Fehlen) hinweisen. Die korynephoroi (wörtlich: ‚Keulenträger‘) in Sikyon sind wohl ein ähnlicher Fall, sei es, dass es sich tatsächlich um Keulenträger handelt, sei es, dass Pollux hier eine Verwechslung mit dem sehr viel besser überlieferten Terminus katonakophoroi unterlaufen ist, was auf die katonake, eine grobe Arbeitsbekleidung hindeuten würde.62 Die beschriebene Situation, nämlich die Aufnahme der einst diskriminierten Bewohner des Umlands in die städtische Bürgerschaft, ähnelt hinsichtlich der thematisierten Differenzen der Klage bei Theognis: Auch in Megara drangen einst verachtete ‚Ziegenfellträger‘ aus der Peripherie in das städtische Zentrum. Und ähnlich wie Theognis waren auch in Argos nicht alle bereit, die ehemaligen Nicht-Städter als neue ‚Gute‘ zu akzeptieren. Herodot weiß denn auch von entsprechend harschen Reaktionen zu berichten: Als die unmittelbare Notsituation behoben war, kam es in Argos zu einer langwierigen Stasis zwischen den Nachkommen der alten Stadtbewohner und den neu in die Bürgerschaft aufgenommenen ‚Sklaven‘, wobei letztere wieder aus Argos vertrieben wurden und dafür das benachbarte Tiryns eroberten.63 Der Konflikt mit den argivischen Periöken ist eine Episode am unteren Ende der Archaik, die aber gewachsene Strukturen voraussetzt, die deutlich weiter zurückreichen müssen. Ein Indiz dafür, dass der Wohnsitz in der Stadt im Verlauf der Archaik zu 60 61

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In diesem Sinne Wagner-Hasel (2018b) 300–304, die diese Gruppen als analoge Erscheinung zu den athenischen hektemoroi sehen möchte (dazu auch u. Kap. 7.2.1). Vgl. in diesem Sinn, aber mit unterschiedlicher Nuancierung Willets (1959); Lotze (1971) [ND: Lotze (2000) 69–86]; van Wees (2003) 41–45. Eine andere Deutung vertritt Gschnitzer (1958) 68–81, spez. 74–77, der in dem von Pausanias überlieferten Synoikismos und der Sklavenbefreiung bei Herodot zwei verschiedene Vorgänge sah; skeptisch auch Welwei (2008) 21 f. Für eine militärische Deutung der gymnetes und korynephoroi s. Welwei (2008) 21 f. Die sikyonischen ‚Keulenträger‘ sind freilich nur bei Pollux überliefert – eine Verwechslung mit den bei Theopompos von Chios FGrH 115 F 176 (= Athen. 6,271d) und dem Lokalhistoriker Menaichmos von Sikyon FGrH 131 F 1 (ebd.) verbürgten katonakophoroi vermutet van Wees (2003) 38, vgl. ausführlich Whitehead (1981b). Zu diesen katonakophoroi s. u. S. 135–138. Hdt. 6,83.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

einem zunehmend wichtigen Kriterium für gesellschaftliche Differenzierung wurde, ist die markante Zunahme der Bezeichnung ‚Städter‘ in der archaischen Dichtung. Bei Homer ist der gängige Terminus für ‚Volk‘, auch im Sinne einer politischen Körperschaft, laos64 oder die Bezeichnung ‚Achaier‘. In der Folge gewinnen jedoch die Termini polites und vor allem astos an Bedeutung. Beide Begriffe beziehen sich auf die Stadt und bezeichnen Stadtbewohner beziehungsweise Bürger. Das Verhältnis zwischen den beiden Termini ist nicht ganz klar; die verbreitete Annahme, dass astos eher den Städter im siedlungsgeographischen Sinne bezeichne, während polites stärker politisch konnotiert sei, wurde vor allem von Mogens Herman Hansen in neuerer Zeit stark relativiert: Beide Begriffe scheinen weitgehend synonym verwendet zu werden und können beide auch die Bürgerschaft im politischen Sinne bezeichnen.65 Für die Archaik erscheint es freilich problematisch, von einem klaren Bürgerrecht auszugehen. So hat Alain Duplouy in mehreren Aufsätzen argumentiert, dass Bürgersein sehr viel stärker performativ aufgefasst werden sollte: Der Status des Bürgers sei weniger eine Rechtsstellung als eine performative Manifestation dieses Status durch entsprechende Kleidung oder einen entsprechenden Lebensstil.66 Dass der räumlich unspezifische Begriff laos zurücktritt und stattdessen die eng mit der Stadt verbundenen Termini polites und vor allem astos an Bedeutung gewinnen, ist vor diesem Hintergrund durchaus signifikant: Offensichtlich wird der Bezug zur Stadt für das Bürgersein zunehmend wichtig, was sich in einer entsprechenden Terminologie widerspiegelt. Bei Hesiod fehlen die Begriffe astos oder polites gänzlich, was sich freilich zumindest teilweise mit der thematischen Ausrichtung dieser Dichtung erklären lässt. Bei Homer dagegen sind die Begriffe für Stadt – Polis und astu – durchaus geläufig,67 die dazuge-

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Vgl. Haubold (2000) mit einer eingehenden Analyse der Begrifflichkeit: Zentral bei den homerischen laoi ist ihre Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit, die von den basileis als „Hirten der laoi“ zu garantieren ist – Haubold betont dabei den vorinstitutionellen Charakter der laoi bei Homer, die vor der Polis und ihren Institutionen stehen bzw. außerhalb der homerischen Epen dann v. a. als „founding people“ in Erscheinung treten, die den Übergang zur Poliswelt einleiten (ebd. spez. 163–173). Hansen (1997) 10–12; der einzige Unterschied sei, dass „astos tends to denote a man of citizen birth, whereas polites is used when the emphasis is on a citizen’s exercise of his political rights“ (ebd. 11). Vgl. auch Hansen & Nielsen (2004) 47 f. und Osborne (2011) 92 f. Für eine sehr klare Unterscheidung plädierte Levy (1985), der in den astoi (54–61) eine eher auf Abstammung basierende exklusive Bürgerschaft aristokratischer Prägung sah, wohingegen polites (61–66) dazu tendiere, eine breitere Masse zu bezeichnen, und erst in klassischer Zeit zum dominierenden Bürgerbegriff der Demokratie werde; nochmals zugespitzt wird dies bei Dmitriev (2018) in seinem Versuch, das athenische ‚Bürgerrecht‘ durch die Differenzierung von astoi und polites grundsätzlich neu zu konzipieren; die spärlichen Erwähnungen von polites in der Archaik lassen jedoch m. E. eine derart deutliche Unterscheidung nicht zu (s. u.). Duplouy (2013) 164–166; Duplouy (2014a); Duplouy (2014b) Duplouy (2018); vgl. auch Duplouy & Brock (2018). Vgl. Lévy (1983).

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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hörigen ‚Städter‘ dagegen sehr selten: Astos begegnet in den Epen lediglich zweimal68 und polites viermal.69 ‚Polites‘ taucht freilich auch als Eigenname auf: Ein Sohn des Priamos und ein Gefährte des Odysseus tragen diesen Namen. Beide sind unbedeutende Nebenfiguren, finden zusammen aber dennoch häufiger Erwähnung als die politai im Sinne von ‚Städtern‘.70 Während der Begriff polites auch in der Folge eher eine Randerscheinung bleibt,71 gewinnen die astoi als Bezugspunkt für die archaischen Dichter wie auch als Akteure an Bedeutung. Tyrtaios und Xenophanes erwähnen astoi je einmal, bei Solon und Anakreon begegnet der Begriff zweimal, bei Archilochos finden sich vier Erwähnungen und Theognis kommt insgesamt zehnmal auf astoi zu sprechen, bei Pindar schließlich sind es gar 19 Stellen.72 Bei Pindar finden sich an zwei Stellen eine Gegenüberstellung von ‚Städtern‘ und basileis – die astoi scheinen hier die Rolle der homerischen laoi zu übernehmen.73 Besonders interessant ist dabei die dritte Pythische Ode, in welcher Hieron von Syrakus als basileus den astoi, den agathoi und den xenoi jeweils unterschiedlich begegnet.74 Während die Unterscheidung von astoi und agathoi in der archaischen Dichtung sonst

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Hom. Il. 11,242 (der Troianer Iphidamias stirbt für die astoi kämpfend); Od. 13,192 (Odysseus soll von der Ehefrau, den astoi und den Freunden auf Ithaka nicht zu früh erkannt werden). Hom. Il. 15,558 (Achaier würden die politai morden, wenn sie die Burg Troias erobern); Il. 22,429 (politai trauern mit Priamos um Hektor); Od. 7,131; 17,206 (Beschreibung des Brunnens, bei dem die politai Wasser holen, einmal in Scheria, einmal in Ithaka, beide Male mit dem identischen Halbvers). Sohn des Priamos: Hom. Il. 2,791; 13,533; 15,339; 24,250; Gefährte des Odysseus: Od. 10,224. Von den wenigen Erwähnungen sehen die meisten – analog zu den astoi (s. u.) – in den politai das Publikum, das die eigenen Handlungen jeweils beurteilt; auffallend ist freilich, dass dies sehr häufig mit einer kritischen Distanzierung einhergeht: Alkaios F 130b,7 L-P (= P.Oxy. 2165 fr. 1 col. II 9–32 & fr. 2 col. II 1) spricht von den ἀλλαλοκάκοι πολίται, Mimnermos F 7 W (= 7 D = Anth. Pal. 9,50) empfiehlt, nicht auf das Gerede der δυσληγεῖς πολίται zu hören (identisch bei Thgn. 1,749) und Pind. P. 11,28 schreibt von den κακόλογοι πολίται. Dreimal begegnen politai als Personenkreis, der einen feiern oder bewundern kann: Thgn. 1,455; Pind. O. 5,16; N. 2,24. Phokylides F 5 G-P (= 5 D = Phrynich. ecl. 335) sieht es als zwingende Notwendigkeit, dass hetairoi sich gemeinsam darum kümmern, was die politai murren. Bei Archilochos F 109,1 W (= Schol. Aristoph. Pax 603 f.) sind politai die Adressaten des Dichters. Die restlichen Erwähnungen bei Sappho F 5,14 L-P (= 25 D = P.Oxy. 7 & 2289,6) und Pind. P. 4,117 sind zu unspezifisch beziehungsweise fragmentiert, um eine Kontextualisierung zu erlauben. Tyrtaios F 12,39 W (= 9 D = Stob. 4,10,6); Xenophanes F 2,6 W (= 2 G.-P. = 2 D = Athen. 10,413c– 414c); Solon F 4,6 W (= 3 G-P = 3 D = Dem. 19,254–256); F 10,1 W (= 14 G-P = 9 D = Diog. Laert. 1,49); Anakreon F 371,2 PMG (= 19 D = Chrysippos SVF 2,57); F 106,4 D (= Anth. Pal. 6,143); Archilochos F 13,1 W (= 7 D = Stob. 4,56,30); F 133,1 W (= 64 D = Stob. 4,58,4); F 170,1 W (= 109 D = Hephaest. Ench. 15,2); F 172,4 W (= 88 D = Schol. Hermog., Rhet. Gr. 7,820,17 Walz); Thgn. 1,24; 1,41; 1,61; 1,191; 1,283; 1,367; 1,739; 1,937 (= Tyrtaios F 12,39 W); 1,1082a (= Thgn. 1,41); 1,1184a (= Thgn. 1,367); Pind. O. 5,14; 6,7; 7,90; 13,2; P. 1,68; 1,84; 2,82; 3,71; 4,78; 4,297; 7,10; 9,93; N. 8,14; 8,38; 11,17; I. 2,37; 3&4,3; 3&4,79; 7,29. [In der folgenden Detailbesprechung werden die Fragmente nur in jeweils einer Zählung angegeben]. Pind. P. 1,68; P. 3,70 f. Pind. P. 3,70 f.: ὃς Συρακόσσαισι νέμει βασιλεύς, / πραῢς ἀστοῖς, οὐ φθονέων ἀγαθοῖς, ξείνοις δὲ θαυμαστὸς πατήρ.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

völlig singulär bleibt (an anderer Stelle bei Pindar sind die agathoi denn auch Teil der astoi),75 ist die Gegenüberstellung von astoi und Fremden sehr viel repräsentativer: Bei Pindar begegnet diese Dichotomie gleich viermal und findet sich in ganz ähnlicher Form auch bei Anakreon.76 Die darin angelegte Bedeutung der astoi als Bezeichnung für die Gesamtheit der (Heimat-)Gemeinde findet sich auch an diversen anderen Stellen.77 Die astoi können dabei durchaus im Sinne einer politisch aktiven Bürgerschaft aufgefasst werden: So klagt Solon, die astoi würden in ihrem Gewinnstreben die Polis zugrunde richten und die hegemones des demos seien von ungerechtem Sinn.78 Ob die astoi dabei schlicht ein Synonym für den demos sind, erscheint fraglich – es ist durchaus denkbar, in ihnen eine mit Prestige versehene, regimentsfähige Bevölkerungsschicht zu sehen, die nicht im gleichen Ausmaß Konnotationen eines sozial und ökonomisch minderwertigen ‚Pöbels‘ transportiert, wie dies beim Terminus demos der Fall sein kann,79 aus der aber einzelne Figuren als hegemones besonders herausragen. So kontrastiert Theognis in einer dem Solon-Fragment ganz ähnlichen Stelle die besonnenen astoi mit den schlechten hegemones.80 Gerade bei Theognis erscheinen die astoi als die Bezugsgruppe, mit der man vornehmlich Umgang pflegt. So warnt Theognis davor, nachdem nun die Menschen, die zuvor wie Hirsche vor der Stadt gelebt haben, als Gute gelten, mit irgendeinem astos ernsthaft Freundschaft zu schließen, sondern nur den Schein zu erwecken, mit allen befreundet zu sein, generell sei, wie er an anderer Stelle betont, den astoi nicht zu trauen und auf Eide und Freundschaftsbekundungen dürfe man sich nicht verlassen81 – das heißt aber umgekehrt, dass die astoi jenen Personenkreis darstellen, in dem der Dichter und seine Adressaten üblicherweise Freundschaften schließen, Eide schwören und Vertrauensverhältnisse pflegen. Dazu passt auch Theognis’ Klage, das genos der astoi verdunkle sich, weil sich Edles mit Schlechtem vermische.82 Die astoi, hier gar als genos bezeichnet, sind eindeutig die Bezugsgruppe, der die Sorge des Dichters gilt und deren eugeneia bedroht ist. An anderer Stelle wird freilich hervorgehoben, dass Söhne von schlechten Vätern nicht büßen

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Pind. N. 11,17. Anakreon F 106 D; Pind. O. 7,90; 13,2 f.; P. 3,70 f.; 4,78. Pind. O. 5,14 spricht vom damos der astoi; P. 7,10 nennt die Athener die astoi des Erechteus; P. 9,93 spricht von Freunden und Feinden der astoi; I. 7,29 spricht von der Ehre (kleos) der astoi, die gemehrt würde; auch Archilochos F 170 W scheint astoi als pars pro toto für die Bürgerschaft zu nehmen, in diesem Sinne ist ev. auch Anakreon F 371 PMG zu verstehen. Im Sinne eines politisch aktiven „Bürgers“ erscheint astos ferner bei Pind. P. 2,82. Solon F 4,5–8 W. Zum Begriff ‚demos‘ in der Archaik s. Donlan (1970) [ND in Donlan (1999) 225–236]. Thgn. 1.41 f. (= 1,1082a–b). Zur Gruppe der astoi bei Theognis s. auch Stein-Hölkeskamp (1997) 24–26, die ebenfalls dafür plädiert, die damit bezeichnete Personengruppe vom oft pejorativ verwendeten demos zu unterscheiden. Thgn. 1,61–68; 1,283–286. Thgn. 1,191 f.: οὕτω μὴ θαύμαζε γένος, Πολυπαΐδη, ἀστῶν / μαυροῦσθαι· σὺν γὰρ μίσγεται ἐσθλὰ κακοῖς.

3.2 Stadt-Land-Differenz und die Legenden archaischer Stadtverbote

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sollten, wenn sie von Anfang an Gerechtigkeit im Umgang mit den astoi lieben83 – der korrekte Umgang mit den ‚Peers‘ kann also gar (zumindest an dieser Stelle des durchaus heterogenen Corpus Theognideum) den Makel schlechter Geburt reinwaschen. Diese Rolle der astoi als ‚Peergroupe‘ der Dichter erscheint zentral: Die mit Abstand meisten Erwähnungen von ‚Städtern‘ sehen in den astoi den Personenkreis, von dem die Dichter oder ihre Adressaten Ehrungen erwarten oder Tadel fürchten, also das ‚Publikum‘, auf das prestigeträchtige Handlungen zielen.84 Auch der deutlich seltenere Terminus politai wird in der Regel in diesem Sinne verwendet.85 Die Geschichten über archaische Stadtverbote mögen spätere Legenden sein, doch die ihnen zugrundeliegende Konzeption der Stadt-Land -Differenz erhält vor diesem Hintergrund für die tatsächliche Praxis in der Archaik zusätzliche Plausibilität. Denn genauso, wie die von Theognis verachteten Personen sozial aufsteigen, indem sie nicht mehr wie Hirsche vor der Stadt, sondern nun als astoi in der Stadt leben, ist auch das Umgekehrte denkbar: Der Ausschluss aus der Stadt als eine de facto Entrechtung und soziale Degradierung. So beklagt Alkaios sein Los als Verbannter unter Pittakos dem Tyrannen von Lesbos: […] Ich Elender! Ich lebe das Los eines Landbewohners fristend, mich sehnend zu hören, wie die agora zusammengerufen wird, oh Agesileidas, und der Rat. Das Land, das der Vater und des Vaters Vater bis ins Alter besaßen, unter den gegenseitig übelwollenden Bürgern, von dem bin ich vertrieben worden, geflohen in die eschatia […]86

Die Verbannung, die Alkaios beklagt, ist eine Verbannung in die eschatia, das äußerste Umland. Er ist also nach wie vor auf Lesbos und zwar im weiteren Umland der Stadt;

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Thgn. 1,739. Archilochos F 13 W (= Thgn. 1,937); F 133 W; F 172 W; Tyrtaios F 12 W; Xenophanes F 2; Pind. O. 6,7; N. 8,38; 11,17; I. 2,37; 3&4,3; 3&4,79. In eine ähnliche Richtung gehen Solons Aussage, die astoi würden rasch erkennen, dass er nicht von Sinnen sei (F 10 W), Theognis’ Klagen, er könne es den astoi nicht recht machen (Thgn. 1,24; 1,367 = 1,1184a) und Pindars Bemerkung, die astoi würden fremde Erfolge neiden (P. 1,84); keinen Schaden von den astoi zu erhalten (und selbst keinen zuzufügen) ist dagegen das Bild, das bei Pind. P. 4,297 imaginiert wird. Dass die führenden Figuren in der Regel Teil der astoi seien und sich folglich nicht in Abgrenzung zu, sondern innerhalb dieser Gruppe zu distinguieren versuchen, betont auch Levy (1985) 54–61, spez. 59. S. o. S. 131. Anm. 71. Alkaios F 130b,1–9 L-P (= P. Oxy. 2165 fr. 1 col. II 9–32 & fr. 2 col. II 1) (eigene Übers.): […] ὀ τάλαις ἔγω / ζώω μοῖραν ἔχων ἀγροϊωτίκαν / ἰμέρρων ἀγόρας ἄκουσαι / καρυ[ζο]μένας ὦ (Ἀ)γεσιλαΐδα / καὶ β[ό]λλας· τὰ πάτηρ καὶ πάτερος πάτηρ / καγ[ε]γἠρας ἔχοντες πεδὰ τωνδέων / τὼν [ἀ]λλαλοκάκων πολίταν / ἔγ[ω. ἀ]πὺ τούτων ἀπελήλαμαι / φεύγων ἐσχατίαισ’ […].

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3. Polisbezug und Adelsbildung

insofern ist es auch folgerichtig, dass er nun das Los eines Landbewohners fristet. Die Klage zeigt aber auch, welche Statusminderung mit diesem Los und dem Ausschluss von den in der Stadt lokalisierten politischen Aktivitäten einhergeht. Die ‚Verbannung‘ ist also, anders als im klassischen Athen, wo das Territorium der Polis verlassen werden musste, primär ein Stadtverbot – also genau das, was spätere Quellen archaischen Tyrannen gerne unterstellen.87 Ob es Stadtverbote, wie sie das vierte Jahrhundert imaginierte, in der Archaik tatsächlich gab, ist fraglich, doch dass die Differenz zwischen stadtsässigen astoi und den mit despektierlichen Begriffen bedachten Bewohnern des Umlands als fundamental empfunden wurde, ist in Anbetracht der Quellen kaum zu bestreiten. 3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung Die Abgrenzung der ‚Städter‘ gegenüber der Landbevölkerung zeigt sich nicht nur in angeblichen Stadtverboten, sondern sehr konkret im äußeren Erscheinungsbild: Theognis hebt die Fellkleidung hervor, die jene Leute vor der Stadt trugen. Dass Kleidung ein sehr sichtbarer Marker von Status ist und sich damit geradezu aufdrängt, um sozialen Auf- und Abstieg zu symbolisieren, liegt auf der Hand. Ein Schmähgedicht Anakreons gegen einen gewissen Artemon scheint genau dieser Logik zu folgen: Früher trug er ein schäbiges Untergewand, eine wespenartige Kappe und in den Ohren hölzerne Gebilde sowie die abgewetzte Haut von einem Rind um seine Rippen, die ungewaschene Decke eines abgegriffenen Schildes, und gab sich mit Brotverkäuferinnen ab wie Hurenmädchen, dieser üble Kerl Artemon, und erfand ein Leben mit Betrug; oft legte er den Nacken an den Pfahl und oft ans Rad, oft wurde ihm der Rücken mit Lederriemen ausgepeitscht, das Haar gezupft wie auch der Bart. Doch jetzt, jetzt steigt er nur auf Wagen und trägt goldenes Ohrgeschmiede, der Kyke Sohn, und einen Sonnenschirm gar aus Elfenbein, so wie die Frauen …88 87

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Wenn man tyrannische Stadtverbote nicht wie die Quellen des 4. Jhs. als Verschließung der Stadt vor Bewohnern aus dem Umland, sondern als Ausschluss von astoi aus der Stadt ansieht, so ist die Indizienlage deutlich besser, denn dass Verbannungen ein gängiges Muster tyrannischer Herrschaften waren, belegt Herodot an mehreren Stellen: Hdt. 1,64,3 (die Gegner des Peisistratos fliehen mit den Alkmeoniden ἐκ τῆς οἰκηίης); folgerichtig wächst Athen, sobald die Tyrannenherrschaft endet: Hdt. 5,66,1; auch für Kypselos und Periander sind systematische Verbannungen überliefert: Hdt. 5,92,ε2; η1. Anakreon F 388 PMG (= Athen. 12.533f–534a) (Übers. adaptiert nach Claus Friedrich): πρὶν μὲν ἔχων βερβέριον, καλύμματ’ ἐσφηκωμένα, / καὶ ξυλίνους ἀστραγάλους ἐν ὠσὶ καὶ ψιλὸν περὶ / πλευ-

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

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Artemon ist ein Betrüger, der schon Schandstrafen wie öffentliches Auspeitschen oder das Auszupfen der Haare über sich hatte ergehen lassen müssen, doch nun ist er sozial aufgestiegen, was sich an seiner Kleidung zeigt: Statt Ochsenhaut und hölzernem Ohrschmuck trägt er goldenen Schmuck und einen Schirm wie Frauen – Attribute, die auf eine luxuriöse, lydisierende Tracht hindeuten, wie sie auch auf ungefähr zeitgleichen attischen Vasenbildern begegnet (Abb. 1).89 Bei Theognis ist dieser soziale Aufstieg jedoch gleichzeitig mit dem Wechsel vom Land in die Stadt verbunden. Es ist daher nicht ganz uninteressant, dass statusmindernde Kleidung auch in Verbindung mit Tyrannen und den topisch anmutenden Berichten über angebliche archaische Stadtverbote begegnet. Erstmals fassbar wird dieser Konnex bei Aristophanes. In der Komödie Lysistrate aus dem Jahr 411 wird an die Hilfe der Spartaner bei der Befreiung Athens von der Tyrannis erinnert, was es den Athenern dann erlaubt habe, die katonake abzulegen.90 In den Ekklesiazusen wird diese katonake ebenfalls erwähnt und scheint dort eine typische Sklaventracht zu sein, was denn auch die Deutung ist, die in den entsprechenden

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ρῆισι βοός, / νήπλυτον εἴλυμα κακῆς ἀσπίδος, ἀρτοπώλισιν / κἀθελοπόρνοισιν ὁμιλέων ὁ πονηρὸς Ἀρτέμων, / κίβδηλον εὑρίσκων βίον, / πολλὰ μὲν ἐν δουρὶ τιθεὶς αὐχένα, πολλὰ δ’ ἐν τροχῶι, / πολλὰ δὲ νῶτον σκυτίνηι μάστιγι θωμιχθείς, κόμην / πώγωνά τ’ ἐκτετιλμένος· / νῦν δ’ ἐπιβαίνει σατινέων χρύσεα φορέων καθέρματα / †παῖς Κύκης† καὶ σκιαδίσκην ἐλεφαντίνην φορεῖ / γυναιξὶν αὔτως . Zum Fragment s. Brown (1983) und Bruce (2011) – beide betonen, dass die beschriebene Kleidung nicht so sehr auf Effeminiertheit zielt [so aber Slater (1978)], sondern die luxuriöse östlich-lydische Tracht von Komasten beschreibt, wie sie auch auf attischen Vasen dieser Zeit erscheint (zur Wahrnehmung dieser Tracht als effeminiert s. Hdt. 1,155); vgl. zu den ‚anakreontischen‘ Vasen Kurtz & Boardman (1986) mit Abbildungen, Katalog und einer Diskussion der älteren Forschung; speziell zu den Sonnenschirmen als orientalisches Statussymbol s. Miller (1992) und Miller (1997) 193–198; eine andere Deutung lieferte Price (1990), welche die Darstellung auf eine Frühform der Alten Komödie beziehen möchte – auch wenn man die Darstellungen nicht für ein Abbild der Wirklichkeit nehmen sollte und den Bildern auch eine Eigenlogik zugesteht (etwa in Hinblick auf die übertrieben wuchernden Bärte, die schlecht zur effeminiert-luxuriösen Kleidung passen, aber ikonographisch m. E. ganz klar die Bärte von Satyrn aufgreifen, d. h. den Exzess symbolisieren, den diese dionysischen Mischwesen verkörpern), so erscheint mir der monokausale Konnex zur Alten Komödie doch arg spekulativ und mit Anakreon nur schwer zu harmonisieren. Für eine konzise Deutung der ‚anakreontischen‘ Vasen im Kontext einer Kultur der ἁβροσύνη, s. Kurke (1992) 97–99; für diese Bilder im Kontext eines exzessiv-luxuriösen Lebensstils, bzw. als Kritik daran s. Kistler (2006); Kistler (2012a); Kistler (2012b) sowie generell zum östlichen Symposion-Luxus auf attischer Keramik Filser (2017) 173–187 und 209–187, der vor allem auch auf das ‚Bodengelage‘ verweist, d. h. die Manier nach (vermeintlich) orientalischer Sitte auf Matratzen und Kissen auf dem Boden zu zechen, statt auf Klinen. Interessant sind v. a. auch Filsers Beobachtungen, dass dieses östliche Bodengelage auch auf ländlich-bukolische Motive rekurrierte und so „mit einer idealisierten ländlichen Gegenwelt in einer Zeit spielte, als die Elite immer enger dem Asty verbunden war“ (ebd. 187). Aristoph. Lys. 1150–1156: Οὐκ ἴσθ’ ὅθ’ ὑμᾶς οἱ Λάκωνες αὖθις αὖ / κατωνάκας φοροῦντας ἐλθόντες δορὶ / πολλοὺς μὲν ἄνδρας Θετταλῶν ἀπώλεσαν, / πολλοὺς δ’ ἑταίρους Ἱππίου καὶ ξυμμάχους, / καὶ ξυμμαχοῦντες τῇ τόθ’ ἡμέρᾳ μόνοι / ἠλευθέρωσαν κἀντὶ τῆς κατωνάκης / τὸν δῆμον ὑμῶν χλαῖναν ἠμπέσχον πάλιν;

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Abb. 1 Komasten mit ‚lydisierender‘ Tracht und Sonnenschirm auf einem attischrotfigurigen Kolonettenkrater des Schweine-Malers, um 470–460 (The Cleveland Museum of Art, The A. W. Ellenberger, Sr., Endowment Fund 1926.549, Foto: https://www.clevelandart.org/art/1926.549)

Scholien angegeben wird.91 Diese Scholien erläutern ferner, dass es sich dabei um ein Kleidungsstück handle, dem ein Fellstreifen aufgenäht wurde. Das legt an sich den Schluss nahe, dass die katonake in der Lysistrate symbolisch für die ‚Knechtschaft‘ steht, welche die Athener mit der Vertreibung der Tyrannen abgelegt hätten.92 Die Scholien zur Lysistrate sahen darin allerdings keine Metapher, sondern eine sehr wörtlich zu nehmende Kleidervorschrift: Hippias habe die Athener gezwungen, die katonake zu

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Aristoph. Eccl. 724; vgl. Schol. Aristoph. Eccl. 724 (ed. Dübner). So van Wees (2003) 38, der die athenische katonakophoroi unter den Tyrannen folglich für unhistorisch hält; zwingend sind diese Schlussfolgerungen jedoch nicht, denn die beiden Erwähnungen der katonake bei Aristophanes sind die einzigen in der gesamten Literatur des klassischen Athens.

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

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tragen, damit sie nicht die Hände gegen ihn erheben können.93 Diese wörtliche Deutung findet sich auch beim (wahrscheinlich) spätantiken Lexikographen Hesychios, der dies mit einem Stadtverbot in Verbindung bringt: Peisistratos habe die wertlosen Politen gezwungen, die katonake zu tragen, damit sie nicht in die Stadt kämen.94 Diese Verbindung von katonake und Stadtverbot findet sich in sehr allgemeiner Form bereits im beim Grammatiker Aelius Moeris überlieferten Fragment Theopomps: Sie [die Exilierten] wurden von den Tyrannen gezwungen, damit sie nicht in die Stadt zurückkehrten, eine katonake zu tragen.95

Laut Athenaios berichtete Theopomp aber auch, dass in Sikyon eine bestimmte Art von Sklaven katonakophoroi genannt worden seien – dies, so Athenaios weiter, schreibe auch der sikyonische Lokalhistoriker Menaichmos.96 Bei Julius Pollux findet sich dann alles entsprechend kombiniert, wenn er in seinem Lexikon erklärt: Die katonake aus Wolle war ein dickes Kleidungsstück, diesem wurde ein Stück Fell aufgenäht, in Sikyon unter den Tyrannen und in Athen unter Peisistratos, so dass sie sich schämen würden, wenn sie in die Stadt kämen.97

Allzu weitreichende Schlüsse können aus dieser Überlieferungslage nicht gezogen werden. Die Idee, dass das Tragen der katonake mit Kleidervorschriften archaischer Tyrannen in Verbindung stehe, könnte sehr wohl auf eine wörtliche Auslegung der möglicherweise bloß metaphorisch gemeinten Passage bei Aristophanes zurückgehen. Die Verbindung mit Stadtverboten legt jedoch zwingend den Schluss nahe, dass es sich um eine ländliche Arbeitskleidung handelt, die in der Stadt auffiel. Die in den Quellen bezeugte Assoziation zu Sklavenkleidung liegt dabei auf der Hand, doch der Aspekt des nicht-städtischen ist m. E. zwingend, um die gedankliche Assoziation mit Stadtverboten plausibel zu machen. Zumindest der im vierten Jahrhundert offenbar erklärungsbedürftige Begriff katonakophoroi könnte dabei durchaus auf archaische Verhältnisse zurückgehen und eine despektierliche Bezeichnung für die Bewohner

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Schol. Aristoph. Lys. 619 (ed. Dübner). Hesych. s. v. κατωνάκη (κ 1887 Latte). Analog wird der Begriff in der Suda (s. v. κατωνάκη [κ 1114 Adler]) erklärt, dort findet sich jedoch auch ein Eintrag unter κατωνάκης, der die Bedeutung als Sklaventracht angibt – beide Einträge beziehen sich offensichtlich auf die beiden Erwähnungen bei Aristophanes und zeigen, dass die byzantischen Lexikographen wohl keine weiteren Texte kannten, in denen das seltsame Kleidungsstück Erwähnung fand. Theopompos von Chios FrGH 115 F 311 (= Aelius Moeris, s. v. κατωνάκη [I. Bekker (ed.), Harpocration et Moeris, Berlin 1833, 201]) (eigene Übers.): ἠναγκάσθησαν δὲ ὑπὸ τῶν τυράννων, ἵνα μὴ κατίωσιν εἰς ἄστυ, κατωνάκην φορεῖν. Theopompos von Chios FrGH 115 F 176 (= Athen. 6,271d) = Menaichmos von Sikyon FGrH 131 F 1. Pollux 7,68 (eigene Übers.): ἡ δὲ κατωνάκη ἐξ ἐρίου μὲν ἦν ἐσθὴς παχεῖα, νάκος δ’αὐτῆ κατὰ τὴν πέζαν προσέρραπτο ἔν τε Σικυῶνι ἐπὶ τῶν τυράννων καὶ Ἀθήνησιν ἐπὶ τῶν Πεισισρατιδῶν, ὅπως αἰσχύνοιντο εἰς ἄστυ κατιέναι.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

des sikyonischen Umlands sein, möglicherweise in Verbindung mit einer institutionalisierten Form ländlicher Abhängigkeit.98 In eine ähnliche Richtung geht eine ziemlich obskure Notiz bei Plutarch über die ‚Staubfüßler‘ (konipodes) von Epidauros: Aber die meisten aus dem demos fristeten ihr Leben auf dem Land; sie wurden „Staubfüßler“ genannt, weil (wie zu vermuten ist) sie anhand ihrer staubbedeckten Füße erkannt wurden, wenn sie in die Stadt kamen.99

Plutarch basiert hier möglicherweise auf der verlorenen Epidauron politeia des Aristoteles und die geschilderten Zustände scheinen sich auf die Archaik zu beziehen.100 Da Plutarch auch berichtet, die Bürgerschaft von Epidauros habe damals aus einer engen Oligarchie von lediglich 180 Mann bestanden, liegt der Verdacht nahe, dass hier erneut der Topos oligarchischer Stadtverbote bedient wird. Der Begriff ‚Staubfüßler‘ könnte jedoch sehr wohl archaisch sein: Plutarch erzählt die Geschichte nur, weil er diesen seltsamen Begriff erklären will, und seine Wortwahl legt nahe, dass er beziehungsweise seine Quelle mehr auf eigene Kombination und Vermutungen setzen denn auf tatsächlich gesichertes Wissen. Ob es sich bei diesen ‚Staubfüßlern‘ um eine abhängige Landbevölkerung handelt, wie etwa Hans van Wees vermutete, muss offen bleiben.101 Der griechische Text ist keineswegs eindeutig, denn ἐν ἀγρῷ διέτριβεν könnte auch schlicht „auf dem Feld arbeiten“ bedeuten, womit es sich bei den ‚Staubfüßlern‘ um Ackerbürger handeln würde, die sehr wohl in der Stadt wohnten, aber dort abschätzig betrachtet wurden, weil sie – anders als die müßige Minderheit – den ganzen Tag auf ihren Feldern verbringen mussten.102 Die Symbolik der sozialen Differenz wäre damit jedoch keineswegs geringer: Würde doch der Unterschied zwischen den verdreckten und verschwitzen ‚Staubfüßlern‘ und den müßigen Landbesitzern auf täglicher Basis performativ in Szene gesetzt, wenn die letzteren abends in die Stadt zurückkehrten. Die Stratifikation innerhalb der Stadtbevölkerung käme also gerade dadurch zum Ausdruck, dass die unteren Schichten die meiste Zeit nicht im Zentrum anwesend sind und wenn sie anwesend sind, durch ihre staubigen Füße an die vorangegangene Abwesenheit erinnern. Ohne diese Spekulationen weiter zu treiben, ist aber festzuhalten, dass die konipodes neben dem Begriff der katonakophoroi ein weiteres Indiz dafür sind,

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Zur abhängigen Landbevölkerung in Sikyon s. Lotze (1985) [ND: Lotze (2000) 57–68) und van Wees (2003) 38–41. Dass abhängige Bevölkerung durch Fellbekleidung als solche erkennbar war, ist auch für die spartanischen Heloten überliefert, vgl. Myron von Priene FGrH 106 F 2 (= Athen. 14,657c–d). 99 Plut. qu. Gr. 1 (= mor. 291e) (eigene Übers.): τοῦ δὲ δήμου τὸ πλεῖστον ἐν ἀγρῷ διέτριβεν· ἐκαλοῦντο δέ ‚κονίποδες‘, ὡς συμβαλεῖν ἔστιν ἀπὸ τῶν ποδῶν γνωριζόμενοι κεκονιμένων, ὁπότε κατέλθοιεν εἰς τὴν πόλιν. 100 Vgl. Piérart (2004) 607. 101 Van Wees (2003) 64. 102 Für eine Deutung als „Ackerbürger“ s. Hansen (2004) 17 mit Anm. 29.

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

139

dass in einigen archaischen Poleis despektierliche Begriffe für die Bewohner oder Bearbeiter des Umlands existierten, die quasi das Pendant zu den astoi bildeten und die jeweils auf klar erkennbare äußere Merkmale Bezug nahmen. Dem steht umgekehrt die besondere Kleidung jener gegenüber, die sich als ‚Städter‘ definieren und inszenieren. In einem bekannten Fragment tadelt Xenophanes die Bewohner von Kolophon: Nachdem sie nutzlosen Luxus von den Lydern gelernt hatten, solange sie frei waren von der verhassten Tyrannis, gingen in die Agora ganz in Purpur gefärbte Mäntel tragend, nicht weniger als Tausend alles in allem angeberisch, mit schönem Haar sich schmückend (?), benetzt mit Ölen, die mit Parfüm angereichert sind.103

Gemeinhin wird dieses Fragment als ‚antiaristokratische‘ Luxuskritik gedeutet.104 Alain Duplouy hat jedoch 2013 eine neue Deutung vorgeschlagen: Es handle sich hierbei um eine Form, wie die Kolophonier ihren Status als Bürger inszenieren.105 Entscheidend sind dabei vor allem zwei Argumente: Erstens ist die Formulierung „nicht weniger als Tausend“ eine erstaunlich hohe Zahl. Es ist aber eine Zahl, die in etwa dem entspricht, was man aufgrund der Tributzahlungen der Kolophonier an den attischen Seebund als Vollbürger in klassischer Zeit veranschlagen kann, und ziemlich genau den Zahlen, die in hellenistischen Dekreten für die Menge der in der Volksversammlung Abstimmenden genannt werden, ferner findet sich eine Inschrift aus dem vierten Jahrhundert, die 850 Bürger nennt, die zum Neubau der Stadtmauer beigetragen haben.106 Trotz aller Probleme (nicht zuletzt der Umsiedlung der Bevölkerung an die Küste) meint Du103

Xenophanes F 3 W (= 3 G-P = 3 D = Athen. 12,526a) (eigene Übers.): ἁβροσύνας δὲ μαθόντες ἀνωφελέας παρὰ Λυδῶν, / ὄφρα τυραννίης ἦσαν ἄνευ στυγερῆς, / ἤιεσαν εἰς ἀγορὴν παναλουργέα φάρε’ ἔχοντες, / οὐ μείους ὥσπερ χείλιοι ὡς ἐπίπαν, / αὐχαλέοι, χαίτηισιν †ἀγαλλομεν εὐπρεπέεσσιν, / ἀσκητοῖς ὀδμὴν χρίμασι δευόμενοι. Vgl. Theopompos von Chios FGrH 115 F 117 (= Athen. 12,526c); Cic. rep. 6,2. 104 Bowra (1941); Donlan (1973a) 148 [= Donlan (1999) 239]; Stein-Hölkeskamp (1989) 125. Vgl. auch Bernhardt (2003) 27–29. 105 Duplouy (2013); vgl. auch Duplouy (2014b) 73 f. und Duplouy (2018) 260–269. Zur ἁβροσύνη als typisch archaischer Habitus von Eliten s. Kurke (1992), die argumentiert, dass der Begriff bei Homer noch fehle und in der Klassik meist negativ gewertet wird, während es in der Archaik durchaus Indizien auf eine positive Einstellung zur ἁβροσύνη gibt (Kronzeugin ist Sappho F 58,25 L-P [= 65a D = P.Oxy. 1767 fr. 1.4–25 & fr. 2.1]: ἔγω δὲ φίλημμ’ ἀβροσύναν). Die (spärlichen) Hinweise auf Luxuskritik, die als Modus der Selbstdisziplinierung der „Adelsoligarchie“ gedeutet wird, behandelt Bernhardt (2003) 21–69. Zu einer differenzierten Betrachtung unterschiedlicher „Lebensstile“ in der Archaik, zu denen auch der raffinierte Umgang mit Luxus zählt, s. auch Ulf (2014); zum „lydischen“ Luxus im Spannungsverhältnis zur „griechischen „Identität, s. auch die vorsichtige Betrachtung von Mitchell (2007) 58–60. 106 Duplouy (2013) 157–164 mit Verweis auf SEG 19.698 (Dekret zum Mauerbau aus dem späten 4. Jh.) und insgesamt 8 hellenistische Dekrete mit Stimmzahlen (ebd. 159 f. mit Abdruck der relevanten Passagen).

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3. Polisbezug und Adelsbildung

plouy: „[…] les chiffres sont d’une étonnante stabilité, qui justifie à elle seule la mise en série“, und vermutet, dass es sich um eine Art Quorum handle, das als notwendig erachtet wurde, um die „‚totalité symbolique‘ du corps civique“ zu verkörpern.107 Dafür spricht, zweitens, der Umstand, dass Xenophanes von den Kolophoniern als Ganzes spricht und vor allem seine Kritik nicht auf das Symposion oder ähnliche Praktiken bezieht, sondern auf eine genuin politische Tätigkeit, nämlich den Gang zur Agora, womit hier wohl kaum der Marktplatz, sondern die Bürgerversammlung gemeint ist108 – es handle sich also, so Duplouy, um ein „comportement civique“.109 Hinter dieser Interpretation steht ein Konzept von „Bürgerschaft“, das nicht so sehr auf einer Rechtsstellung basiert, sondern auf einer bestimmten Form der Lebensweise und der Performanz – in diesem Fall die Möglichkeit, sich lydische Luxuskleidung leisten zu können. Ob diese Bürgerschaft nicht doch eine Form von Adelsbildung ist, was Duplouy radikal ablehnt, hängt von der Definition ab. Es ist auf jeden Fall eine exklusive Gruppe. Denn auch wenn es sich bei der Kleidung nicht um echten Purpur, sondern lediglich um purpurähnliche Färbung handelt, so ist es doch eine Form von Kleiderluxus, die nicht jedem offensteht. Zentral ist jedoch – und da hat Duplouy einen wichtigen Punkt getroffen –, dass dieser Luxus in engem Zusammenhang mit Polis-Aktivitäten steht, nämlich dem Gang zur Agora, also genau jener Aktivität, von der Alkaios ausgeschlossen ist, als er in der eschatia das „Los eines Landbewohners“ fristen muss.110 Die luxuriöse Lebensweise, die man potentiell als ‚adlig‘ ansprechen könnte, hat also einen ausgeprägten Polisbezug und steht damit nicht in Opposition zu einem anti-aristokratischen ‚Bürgertum‘, sondern zur Landbevölkerung, deren Angehörige eben keine astoi sind und in Fellbekleidung einhergehen. Es ist vor diesem Hintergrund auch nicht uninteressant, dass in der bereits erwähnten Geschichte aus Erythrai die neuen Machthaber nicht nur die demotoi mit einem Stadtverbot belegten, sondern gleichzeitig selbst, wenn sie im Gerichtshof vor den Mauern für die Landbevölkerung Recht sprachen, dies in purpurfarbenen Umwürfen (ἀλουργά περιβόλαια) und chitona mit Purpurborten taten.111 Auch hier inszenieren sich also die astoi gegenüber Landbevölkerung durch entsprechende Kleidung.

107 Ebd. 163 f.; Zitat: 163. 108 Dies entspräche durchaus dem in der Archaik üblichen Wortgebrauch, vgl. Duplouy (2013) 164; in diesem Sinne bereits Fränkel (1925) 179 f.; anders Bowra (1941) 121 f., der freilich nicht wegen, sondern trotz sprachlicher Überlegungen aus rein inhaltlichen Gründen für die Bedeutung „Marktplatz“ plädiert. 109 Duplouy (2013) 164–166. 110 Alkaios F 130b L-P (s. o. S. 133). Zur Agora als Begriff für die Versammlung in archaischen Quellen s. Hansen (1997) 60. 111 Hippias von Erythrai FGrH 421 F 1 (= Athen. 6,258f–259f): […] ἐντὸς τείχους οὐδένα δεχόμενοι τῶν δημοτῶν, ἔξω δὲ πρὸ τῶν πυλῶν δικαστήριον κατασκευάσαντες τὰς κρίσεις ἐποιοῦντο, ἀλουργὰ μὲν ἀμπεχόμενοι περιβόλαια καὶ χιτῶνας ἐνδεδυκότες περιπορφύρους.

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

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Abb. 2 Kore des Cheramyes, Teil eines Weihgeschenks aus dem 2. Viertel des 6. Jhs. (Vathy, Archäologisches Museum Samos; Foto: Robin Rehm, D-DAI-ATH-1985–0466)

Dies galt nicht nur für Männer. In Lesbos, wo Alkaios sein Schicksal als Landmann beklagt, das er als Verbannter fristete, spottete seine Zeitgenossin, die Dichterin Sappho, über ein Bauermädchen, wobei im Zentrum des Spotts die Kleidung steht: Welche Bäuerin verzaubert deinen Sinn … In bäurischer Lederkleidung gekleidet … Die nicht kundig ist, das Kleid über den Knöchel zu heben.112

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Sappho F. 57 L-P (= 61 D = Athen. 1,21b–c; Philem. 162 & Maximus Tyrius 18,9f [ed. Hobein, Leipzig 1910]) (eigene Übers., Text nach der LCL-Edition von David A. Campbell): †τίς δ’ ἀγροΐωτις

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Sapphos Bäuerin ist das Kontrastbild zu dem, was Sappho sich unter einer attraktiven Frau vorstellt, die dementsprechend eben nicht ‚bäurisch‘, sondern ‚städtisch‘ gekleidet wäre und „kundig ist, das Kleid über den Knöchel zu heben“. Just jene Geste findet sich bei zahlreichen Koren des sechsten Jahrhunderts, wie etwa den bekannten Koren des Cheramyes, die als Weihgeschenk im Heraion von Samos aufgestellt gewesen waren (Abb. 2). Das Raffen des Gewands dürfte eine Tanzbewegung andeuten und verweist damit auf den ‚Sitz im Leben‘ von Sapphos Lyrik: In die religiösen Feste waren die Frauen prominent eingebunden und konstituierten sich in diesen öffentlichen Räumen mit ihrem Tanz und ihrer Kleidung als ‚Städterinnen‘113 – genauso wie das die Männer von Kolophon mit ihrem Gang zur Agora taten. Kleidung ist denn auch der symbolische Marker, an dem Sappho sehr wahrscheinlich ihr eigenes Exil und den Ausschluss aus der Stadt festmacht. In einigen fragmentiert erhaltenen Versen benennt sie purpurnen Haarschmuck als Distinktionsmerkmal, das ihre eigene Mutter einst als das Höchste angesehen habe,114 und klagt dann darüber, dass sie Kleis (die nach späteren Testimonien als Sapphos Tochter anzusehen ist) keine geschmückte Mitra besorgen könne115 – einige sehr fragmentierte Zeilen später wird die Flucht der Kleanaktiden

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θέλγει νόον … / ἀγροΐωτιν ἐπεμμένα στόλαν … † / οὐκ ἐπισταμένα τὰ βράκε’ ἔλκην ἐπὶ τὼν σφύρων; Der zweite Vers ist nur bei Maximus von Tyrus überliefert und bei den beiden ersten Versen bereitet das Metrum Probleme; der Bezug zur Bäuerin, wie auch die unproblematische dritte Zeile, die für die Interpretation entscheidend sind, können jedoch als sicher gelten. Der Aufführungskontext Sapphos ist nicht unumstritten, ich folge hier der Ansicht von Lardinois (1996), der dezidiert für einen ‚öffentlichen‘ Kontext von Sapphos Lyrik plädiert und die Idee eines ‚privaten‘ Mädchenkreises sicher zu Recht als einen an die Salons des 18. Jhs. angelehnten Anachronismus verwirft; in eine ähnliche Richtung argumentiert (unter Einbezug der 2014 neuentdeckten Fragmente) u. a. auch Bierl (2016) spez. 302–308, der unterstreicht, dass auch scheinbar Persönliches sehr wohl einen Gemeinschaftsbezug aufweisen kann. Die Deutung, die Renate Schlesier u. a. in Schlesier (2013) vorgetragen hat, in Teilen von Sapphos Lyrik Symposionliteratur und in Sappho folglich eine Hetäre zu sehen, basiert auf einer anachronistischen Verallgemeinerung ‚des‘ Symposions (d. h. privater Trinkgelage klassischer Zeit, wie sie aus Platon und Xenophon bekannt sind): Archäologisch fehlen jedoch Hinweise auf entsprechende Räumlichkeiten in Privathäusern vor dem 5. Jh. (s. u. S. 147 f.), so dass auch anzunehmen ist, dass Trinkgelage und Kommensalität in der Archaik sehr viel stärker in gemeinschaftlich-politische und kultische Kontexte eingebunden waren, wo auch Frauen u. U. sehr wohl einen Platz hätten haben können. Zur Rolle von Frauen als Bürgerinnen im Kult des klassischen Athen s. den grundlegenden Aufsatz von Blok (2004); das Bild einer auf das ‚Private‘ reduzierten Frauenrolle ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar und nur durch die einseitige Fokussierung auf den politischen Aspekt der Polis als ‚Staat‘ zu erklären, s. dazu dezidiert Wagner-Hasel (2018a) spez. 419 f. Sappho F 98a,1–4 L-P (= P. Haun. 301):]. θος· ἀ γάρ με γέννα[τ / σ]φας ἐπ’ ἀλικίας μεγ[αν / κ]όσμον, αἴ τις ἔχη φόβας[/ π¢ορφύρωι ¢ κατελιξαμέ[να πλόκωι. (Text nach der LCL-Edition von David A. Campbell). Sappho F 98b,1–3 L-P (= P. Mediol. ed. A. Vogliano, Philologus 93, 1938, 277–285): σοὶ δ’ ἔγω Κλέι ποικίλαν / οὐκ ἔχω πόθεν ἔσσεται / μιτράν· […] (Text nach der LCL-Edition von David A. Campbell). Zu Kleis als Tochter Sapphos s. P. Oxy. 1800 fr. 1 (= T 1 Campbell), vgl. auch Sappho F 132 L-P (= 152 D = Heph. Ench. 15,18).

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

143

erwähnt,116 was den Schluss nahelegt, dass Sapphos Unvermögen, an den begehrten distinguierenden Haarschmuck für ihre Tochter zu gelangen, mit politischen Umstürzen in Mytilene und einem damit verbundenen Exil zusammenhängen könnte.117 Das Hervorheben luxuriöser Kleidung als Zeichen der Zugehörigkeit zur Stadt und als Abgrenzung gegenüber den Nichtstädtern ist Teil einer Entwicklung, die sich im Verlauf der Archaik vollzieht. Hans van Wees hat gezeigt, dass Kleidung in den homerischen Epen zwar ein wichtiges Statussymbol ist, jedoch primär für Frauen und als Teil eines Gabentauschsystems.118 Im Verlauf der Archaik werden jedoch gefärbte, gemusterte und lange Gewänder sowie Schmuck zunehmend auch zu einem Statussymbol für Männer. Gleichzeitig gewinnen importierte Textilien gegenüber heimgefertigten an Bedeutung.119 So finden sich um das späte siebte beziehungsweise frühe sechste Jahrhundert bei Sappho und Alkman lydische Mitren als luxuriöser weiblicher Kopfschmuck,120 ein weiteres Sappho-Fragment spricht von lydischen Schuhen und Alkaios erwähnt skythische Schuhe.121 Letzteres passt zu einem Hinweis auf skytische Färbemittel für Kleidung, der sich bei Sappho findet.122 Generell scheint Lydien zu einem Bezugspunkt feiner Lebensart zu werden. Ein Fragment Alkmans stellt den ‚bäurischen Mann‘ zusammen mit dem Ungeschickten und Unwissenden, dem Thessalier und dem erysichaischen Hirten dem Mann aus der lydischen Hauptstadt Sardis gegenüber, womit deutlich wird, dass Sardis hier all jene positiven Eigenschaften symbolisiert, die Bauern, Ungeschickten und Unwissenden, Thessaliern und Hirten abgehen: Er war kein bäurischer Mann, weder linkisch noch †unwissend†, weder von thessalischer Abstammung noch ein Hirte aus Erysiche, sondern vom hohen Sardis war er.123

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Sappho F 98b,8–9 L-P: ταῦτα τὰς Κλεανακτιδα¢[ν / φύγασ¢ † […] (Text nach der LCL-Edition von David A. Campbell). 117 Für eine ausführliche Besprechung und Spekulationen rund um die historische Kontextualisierung und eines möglichen Exils Sapphos s. Ferrari (2010) 1–29. 118 Van Wees (2005a) 44–48. Ausführlich bei van Wees (2005b). 119 Van Wees (2005a) 48–50. Bei Homer scheint der Import lediglich Rohmaterial zu betreffen wie Leinen und ev. Farbe, vgl. Wagner-Hasel (2000) 249–253. 120 Alkman F 1,67 f. PMG (= P. Lond. E 3320); Sappho F 98a L-P; Sappho F 98b L-P. 121 Sappho F 39 L-P (= 17 D = Schol. Aristoph. Pax 1174); Alkaios F 318 L-P (= 21 D = Harp. s. v. Σκυθικαί). 122 Sappho F 210 L-P (= Phot. lex. s. v. Θάψος [θ 81 Porson]). Zum Import von Purpur s. Wagner-Hasel (2000) 250–254. 123 Alkman F 16 PMG (= Steph. Byz. s. v. Ἐρυσίχη) (eigene Übers.): οὐκ ἦς ἀνὴρ ἀγρεῖος οὐ- / δὲ σκαιὸς οὐδὲ †παρὰ σοφοῖ- / σιν† οὐδὲ Θεσσαλὸς γένος, / Ἐρυσιχαῖος οὐδὲ ποιμήν, / ἀλλὰ Σαρδίων ἀπ’ ἀκρᾶν

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Abb. 3 Kouros vom Kap Phoneas auf Samos, Mitte des 6. Jhs. (Vathy, Archäologisches Museum Samos; Foto: Gösta Hellner / Eleutherios Feiler, D-DAI-ATH-1970–1079)

Bei Anakreon findet sich gegen Ende des sechsten Jahrhunderts dann der Ausdruck λυδοπαθής, der wohl jenen luxuriösen Lebenswandel beschreibt.124 Erich Kistler sprach daher von einer Mode „à la lydienne“, die sich auch in bildlichen und rundplastischen Darstellungen des sechsten Jahrhunderts nachweisen lässt.125 Die Archäologie bietet hier eine wichtige Ergänzung zu den Texten, denn in der zweiten Hälfte des sechsten

124 Anakreon F 481 PMG (= Schol. M Aischyl. Pers. 42). 125 Kistler (2012a).

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

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Jahrhunderts (gegenüber den Lyrikern etwas zeitverzögert) hält die ‚lydische Mode‘ auch in der Bildwelt der Vasenmalerei Einzug.126 In der Plastik treten bereits um die Jahrhundertmitte neben das längst etablierte Schema des athletisch gebauten, nackten Kouros deutlich fülligere, (luxuriös) bekleidete männliche Figuren.127 Besonders gut erkennbar ist dieser neue Bildnis-Typ beim Kouros vom Kap Phoneas (Abb. 3), der nicht nur durch seine üppig-fleischige Körperfülle beeindruckt, sondern gleichzeitig auch sein luxuriöses Gewand betont, das er (analog zu den weiblichen Koren) elegant mit der rechten Hand rafft. Bei diesen ‚Mantelkouroi‘ handelt es sich um eine Gruppe von rund 37 Statuen und Fragmenten, die alle in die Zeit zwischen der Jahrhundertmitte und dem Ende des sechsten Jahrhunderts datieren; der Typus ist klar auf Ionien konzentriert, doch einzelne spätere Exemplare finden sich auch im Ägäisraum und im Perserschutt auf der Athener Akropolis sowie ein Exemplar in Syrakus128 Das erste Mal begegnet ein solcher bekleideter Kouros wohl in der um 560 zu datierenden Geneleos-Gruppe im Heraion von Samos (Abb. 4):129 Die Gruppe bestand aus einer sitzenden Frau, einem nur in Fragmenten erhaltenen Mantelkouros, drei Koren und einem gelagerten Zecher. Letzterer zeichnet sich durch eine sehr füllige Körperlichkeit und reiche Kleidung aus (was die ältere Forschung veranlasste, in ihm eine Frau zu sehen).130 Dabei dürfte es sich um den Stifter der Gruppe handeln, der beim Kultmahl gezeigt wird. Eine stark verwitterte, fragmentarische Inschrift weist ihn als –αρχης aus. Die Gruppe wird als Familienmonument gedeutet, mit dem Vater beim Kultmahl, der thronenden Mutter als Herapriesterin und den vier Kindern beim Reigen – alle in ihrer spezifischen mit dem Kult verbundenen Rolle.131 Die Gruppe ist besonders spektakulär und weist nebst den das Gewand raffenden Koren und dem Mantelkouros (so die Fragmente denn einen solchen darstellten) mit dem gelagerten Zecher ein weiteres Schema auf, das auf Luxus und Üppigkeit verweist und eine ganz andere Körperlichkeit zelebriert, als man es von den athletisch-nackten Kouroi kennt. Die Geneleos-Gruppe ist in dieser Form singulär, doch die Figur des beleibten Zechers findet sich in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts im ionischen Raum

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Kistler (2012a) spez. 62 f.; zu den ‚anakreontischen‘ Vasen s. Kurtz & Boardmann (1986) sowie o. S. 135. Anm. 89. Kistler (2012a). Einen Katalog der bekannten Figuren und Fragmente bietet Barletta (1987); zu den ionischen Mantelkouroi vgl. auch Özgan (1978) 42–69, dessen relative Chronologie (die den Typus im kleinasiatischen Raum um 530 enden lässt) von Barletta (1987) 236 aber aufgrund der breiteren Vergleichsbasis als zu eng verworfen wird. Zur Geneleos-Gruppe s. in neuerer Zeit Baughan (2011) spez. 20–22; Kienast (1992); Steuben (1989); Walter-Karydi (1985). Den generellen Bezug zu den Mantelkouroi betont auch Barletta (1987) 235. Buschor (1934) 28; zur Identifizierung als Mann s. Himmelmann (1964). So die Deutung von Steuben (1989), zustimmend Kienast (1992) 29; die Deutung von Walter-Karydi (1985) 98–101 die Gruppe als eine einzige Szene (beim Gelage) zu deuten, erscheint dagegen – allein schon wegen der Durchmischung der Geschlechter – problematisch.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Abb. 4 Skizze der Geneleos-Gruppe im Heraion angelehnt an die Rekonstruktion von Elena Walter-Karydi.

im Kontext von Heiligtümern durchaus häufiger.132 Die ebenfalls luxuriös gekleideten, leicht fülligen, männlichen Sitzstatuen der sogenannten ‚Branchiden‘ aus der Jahrhundertmitte, die entlang der Heiligen Straße von Milet nach Didyma aufgestellt waren, scheinen in einer ähnlichen Bildtradition zu stehen.133 Die Leibesfülle dieser ‚lydisierenden‘ Figuren, die sich deutlich von dem sonst in der archaischen Kunst üblichen Körperideal unterscheidet, könnte die bei Herodot auftauchende Bezeichnung verschiedener städtischer Oberschichten der späten Archaik als die „Dicken“ (παχέες) erklären.134 Unumstritten war dieser Lebensstil nicht – das macht Xenophanes’ Kritik an den Kolophoniern deutlich –, aber seine reine Existenz zeugt von einem Wandel der Differenzierungs-Möglichkeiten, die über demonstrativen Konsum geschaffen wurden: Homerische Helden konnten noch edle Felle tragen135 und in einem Gleichnis

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Baughan (2011) – ihr Katalog umfasst nebst der Geneleos-Gruppe neun weitere Figuren, die alle in die Zeitspanne zwischen ca. 560 und 500 datieren. Vgl. Barletta (1987) 235 f.; Özgan (1978) 29–41 – lange Zeit als Priesterkaste oder Fürsten gedeutet, hat bereits Özgan (1978) 98–123 mit einer eingehenden stilistischen Untersuchung der Kleidung, die auch von mehreren der Mantelkouroi getragen wird, die These exklusiver Rangabzeichen verworfen und eine Identifizierung mit dem aus literarischen Quellen bekannten ependytes plausibel gemacht, einem Übermantel, der – wie bei den Figuren – über dem Chiton getragen wird und als Zeichen östlicher Tryphe galt, nicht aber ein Rangabzeichen institutionalisierter Herrschaft. Diese Deutung wird gestärkt durch den Fund eines temenos bei Kokkinolakka entlang der Heiligen Straße von Milet nach Didyma mit einer Rundbasis mit Sitzstatuen sowie einem Antenbau, der aufgrund der gefundenen Gebrauchskeramik wohl (auch) als Bankettraum diente, s. zum Befund Tuchelt & Schneider & Schattner & Baldus (1989). Duplouy (2006) 203–214 propagierte hierfür eine Deutung als Banketthaus, bei dem die Symposiastengruppe mit einer Statuengruppe zur Heiligen Straße hin öffentlichkeitswirksam ihr Prestige inszenierte. Baughan (2011) spez. 35–37 sowie Kistler (2012a) 67 und Kistler (2006) 117 f. mit Anm. 59; vgl. zu den „Dicken“ Hdt. 5,30,1 (Naxos); 5,77,2 (Chalkis, wobei Hdt. erklärt, dass die παχἐες dort ἱπποβόται hießen); 6,91,1 (Aigina); 7,156,2 (Megara Hyblaia). Leopardenfell: Hom. Il. 3,17; 10,29; Löwenfell: Il. 10,23; 10,177; Wolfsfell: Il. 10,334.

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

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der Ilias wird ein Fell als Kampfpreis ausgelobt136 – davon erfährt man in der Folgezeit nichts mehr. Kleiderluxus war eindeutig anspruchsvoller geworden. Der Umstand, dass viele der oben erwähnten Statuen Zecher darstellen, verweist natürlich auf das Symposion als wichtigen Ort des demonstrativen Konsums. Auch hier ist der im weiteren Sinne städtische Charakter dieser Zusammenkünfte zu unterstreichen. Während die grundlegenden Arbeiten von Oswyn Murray vom klassischen Athen ausgingen und die Rolle des Symposions als privaten Raum aristokratischen Luxus’ jenseits der Polisöffentlichkeit betonten,137 so hat dieses Bild in neuerer Zeit einige Korrekturen erfahren. Insbesondere Adam Rabinowitz hat scharf gegen den ‚privaten‘ Charakter des archaischen Symposions argumentiert und die Bedeutung von Kommensalität für die Konstituierung der Polisgesellschaft unterstrichen.138 Zentral ist vor allem die Beobachtung, dass es archäologisch ab dem achten Jahrhundert keine eindeutigen Hinweise auf Banketträume in Privathäusern gibt und auch die literarischen Quellen eher auf Kommensalität in ‚öffentlichen‘ Gemeinschaftsräumen oder Heiligtümern hinweisen, wohingegen der oikos jener Ort ist, zu dem man geht, wenn das Symposion zu Ende ist.139 Damit erscheint das Symposion – analog zu den Syssitien – als Ort, an dem sich eine Gemeinschaft performativ konstituiert und zwar in gemeinschaftlichen und damit ‚egalitären‘ Räumen statt bei einem ‚privaten‘ Gastgeber (der in seiner Rolle als Gastgeber das Gelage dominieren würde).140 Die Lokalisierung dieser – im Verlauf des siebten Jahrhunderts zunehmend luxuriöser ausgestal136 137

Hom. Il. 22,159 f. Verwiesen sei hier lediglich auf den wichtigen Sammelband von Murray (1990); der Gegensatz von Polis und Symposion wird dabei gleich in der Einleitung deutlich, wo Murray (1990b) 7 erklärt: „The symposion became in many respects a place apart from the normal rules of society […] and its own willingness to establish conventions fundamentally opposed to those within the polis as a whole.“ Im Detail finden sich dann freilich durchaus Differenzierungen, so etwa Schmitt Pantel (1990) 24 f., welche die Unterscheidung von öffentlich und privat für die Archaik als untauglich verwirft. Vgl. ausführlich zur älteren Forschung und ihren Prämissen den Forschungsüberblick bei Seelentag (2015) 375–387. 138 Rabinowitz (2004); sowie speziell zu Sparta Rabinowitz (2009) und Rabinowitz (2014) zu Kreta; zu Kreta jetzt auch Seelentag (2015) 374–443. Rabinowitz (2004) 150–154 wendet sich dabei auch gegen die Vorstellung, Symposia seien von stabilen Hetairien veranstaltet worden, die (analog zu den athenischen Hetairien im Umfeld des oligarchischen Umsturzes 412/11) als ‚politische Klubs‘ verschworene Gemeinschaften darstellten, und betont stattdessen das Misstrauen, das Symposiasten in der archaischen Lyrik einander entgegenbringen (besonders prominent etwa bei Thgn. 1,309–312), was darauf hindeutet, dass man nicht mit verschworenen Gesinnungsgenossen, sondern mit statusgleichen Rivalen trinkt, die man entsprechend misstrauisch beäugt (ebd. 154: „commensal activities allowed peers to monitor each other“). 139 Rabinowitz (2004) spez. 158–169. Die fehlende Anbindung an einen privaten oikos und der stärkere Bezug auf die politische Gemeinschaft stützt letztlich die Deutung von Winterling (1990), der, obschon er in Anlehnung an den damaligen Forschungsstand von Symposia in adligen Privathäusern ausging, gerade die vom Haus losgelöste politische Sozialisation hervorhob (die anders als in Rom oder in höfischen Gesellschaften den Ausschluss von Frauen und die Konstitution der Polis als Männergesellschaft begünstigte). 140 Wichtig ist hier der von Wolfgang Dietler propagierte Idealtypus des ‚diacritical feast‘, bei dem sich

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3. Polisbezug und Adelsbildung

teten – Symposia in gemeinschaftlichen Räumen macht sie zu einer genuin urbanen Praktik, die in städtischen Gemeinschaftsbauten und Heiligtümern angesiedelt ist. Solche Räume werden kaum als ‚öffentlich‘ im Sinne von ‚für jedermann zugänglich‘ anzusprechen sein,141 sondern dienen den Zusammenkünften eher exklusiv gefasster Trink- und Speisegemeinschaften – doch die Zugehörigkeit zu diesen Gemeinschaften wird nicht als abgeschlossene aristokratische Lebenswelt jenseits der Polis praktiziert, sondern architektonisch prominent im urbanen Raum zelebriert und unterstreicht damit, dass die Symposiasten als (herausgehobene) Bürger ‚an der Polis teilhaben‘. Die Mitgliedschaft in solchen Speisegemeinschaften kann mit der Zugehörigkeit zu Kultgemeinschaften beziehungsweise Phratrien oder Hetairien einhergehen oder aber – wenn man an Banketthäuser unmittelbar an der Agora denkt – öffentlichen Funktionären der Gesamtgemeinde vorbehalten sein.142 Auf jeden Fall ist die Praxis des öffentlichkeitswirksamen gemeinsamen Speisens ein zentraler performativer Akt, der die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Integrationskreisen in den Bürgerverband zum Ausdruck bringen kann. Das gilt – vielleicht gar noch ausgeprägter – auch für Symposia in extraurbanen Heiligtümern: Schließlich bedingte dies den Auszug der astoi aus der Stadt in das Heiligtum – ein performativer Akt, durch den sich die astoi als Kultgemeinde konstituierten und bei dem der urbane Kleiderluxus besonders wirkungsvoll in Szene gesetzt werden konnte. Ein Fragment des samischen Dichters Asios berichtet von einer Prozession zum Heraion von Samos, bei der die Teilnehmer – analog zu den Kolophoniern auf dem Weg zur Bürgerversammlung – durch lange chitonia, goldene „Zikaden“ als Haarschmuck und Armreife glänzten: Diese gingen auf, wenn sie die Locken gekämmt hatten, zum heiligen Bezirk der Hera, in schöne Gewänder gehüllt mit schneeweißen Chitonen bedeckten sie den Boden der weiten Erde. Lange Haare wehten im Wind mit goldenen Bändern, goldene Spangen darauf geformt wie Zikaden. Kunstvolle Reifen saßen um die Arme.143

eine Gruppe nominell Gleicher über das gemeinsame Fest als Gruppe definiert und nach außen abgrenzt, s. Dietler (1996) 98 f.; vgl. u. S. 230. 141 Zu dieser Unterscheidung s. Seelentag (2015) 413 mit weiterer Literatur. 142 Zum Befund der Banketthäuser und den daraus ableitbaren Modellen einer Integration verschiedener Gruppen in die Entstehende Polis-Gemeinschaft s. jetzt den wichtigen Beitrag von Kistler (2020). 143 Asios F 13,1–6 Bernabé (= 13 Kinkel =Duris von Samos FGrH 76 F 60 = Athen. 12,525e–f) (eigene Übers.): οἳ δ’ αὔτως φοίτεσκον ὅπως πλοκάμους κτενίσαιντο / εἰς Ἥρης τέμενος, πεπυκασμένοι εἵμασι καλοῖς, / χιονέοισι χιτῶσι πέδον χθονὸς εὐρέος εἶχον· / χαῖται δ’ ἠιωρεῦντ’ ἀνέμωι χρυςς ἐνὶ δεσμοῖς, / χρύσειαι δὲ κορύμβαι ἐπ’ αὐτῶν τέττιγες ὥς· / δαιδαλέας δὲ χλιδῶνας ἄρ’ ἀμφὶ βραχίοσ’ ἕσαντες.

3.3 Städtische Kleidung und Lebensstil als Modus der Differenzierung

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Da Kultpraktiken eine genuin polisbezogene Aktivität waren, steht hier der Kleiderluxus in unmittelbaren Zusammenhang mit einer performativ inszenierten Teilhabe an der Polis und ihren Kulten. Dass der neue Kleiderluxus sich mit der Manifestation von Bürgerstatus verbinden konnte, ist durchaus plausibel – Xenophanes erklärt in Bezug auf die Kolphonier ja auch explizit, dass die Agora den Rahmen bildete, in dem man den „nutzlosen Luxus“, den man von den Lydern übernommen habe, zur Schau stellte. Umgekehrt beklagt die pseudo-xenophonische Athenaion politeia im fünften Jahrhundert, dass man im demokratischen Athen Bürger, Metöken und Sklaven nicht mehr anhand ihrer Kleidung unterscheiden könne144 – womit impliziert wird, dass dies früher anders war. Tatsächlich erinnert Thukydides daran, dass die Älteren unter den wohlhabenden Athenern vor noch nicht so langer Zeit aufgehört hätten, lange chitonia aus Leinen sowie lange Haare und – analog zu den Samiern bei Asios – goldene „Zikaden“ als Haarschmuck zu tragen wie die Ionier.145 Das scheint klar darauf hinzudeuten, dass auch in Athen das Tragen luxuriöser Kleider in archaischer und frühklassischer Zeit sehr viel stärker als Marker von Status fungierte, bevor in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts eine einfachere und damit auch breiter zugängliche (wenn auch immer noch exklusive) Bürgerkleidung Einzug hielt.146 Die nacharchaischen Quellen sehen, zumindest bei der Kleidung der Nichtstädter, Zwang und Vorschriften am Werk, über die diese äußere Differenz hergestellt worden sei. Dem muss man keineswegs folgen. Allein der Umstand, dass Fernhandel sich auf Athenaios (12,540e–541a) überliefert ferner ein Fragment des Peripatetikers Klearchos (F 44 Wehrli), wonach Polykrates üppigen, weichlichen Luxus in der Art der Lyder in Samos etabliert haben soll, was dann zum Niedergang der Bewohner führte – dabei dürfte es sich freilich (Athen. 12,540 bietet ein ganzes Panorama von Autoren, die sich über die Prunkliebe des Polykrates auslassen) um spätere Tyrannentopik handeln: vgl. Bernhardt (2003) 29 f. 144 [Xen.] Ath. pol. 1,10. 145 Thuk. 1,6,3. Die Aussage des Thukydides wird durch entsprechende Bemerkungen in den Komödien gestützt: Aristophanes erwähnt zweimal den von Thukydides als charakteristisch genannten Haarschmuck, den τέττιξ und assoziiert diesen als alte Tracht mit der „Marathon-Generation“ (Eq. 1331 mit dem Bezug zu Aristeides und Miltiades in Eq. 1325 und Nub. 984–986). Die frühere luxuriöse ionische Tracht ist auch Thema bei Klei(to)demos von Athen FGrH 323 F 13 (= Schol. Kallim. F 7 Pfeiffer = P. Berol. 11521); spätere Erwähnungen der luxuriösen Tracht und des charakteristischen goldenen Haarschmucks finden sich bei Herakleides Pontikus (bei Athen. 12,512c) sowie Ael. VH 4,22. Dass die goldenen „Zikaden“ als Haarschmuck ionisch sind, wird durch die bereits erwähnte Nennung bei Asios (F 13 Bernabé) in Bezug auf Samos bestätigt. Inwieweit die oben (S. 135 mit Anm. 89) erwähnten ‚anakreontischen‘ Vasen zu diesem Befund passen, muss offenbleiben, da der Kontext dort jeweils nur das Symposion betrifft und mit den Mitren, den lydischen Stiefeln und Schirmen Attribute zeigt, die in den erwähnten schriftlichen Quellen keine Rolle spielen. 146 Zur ‚demokratischen‘ Tracht der klassischen Zeit, die freilich mit dem die Bewegung stark einschränkenden Himation ebenfalls Exklusivität signalisierte, da dies ein Gewand war, in dem man unmöglich körperlicher Arbeit nachgehen konnte, s. Geddes (1987). Doch auch im demokratischen Athen gibt es weiterhin (vorwiegend bei weiblicher Kleidung) Indizien für Orientalia, die einen „foreign accent“ in der „language of dress“ markierten, s. Miller (1997) 153–187.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

die städtischen Zentren konzentrierte, garantierte Stadtbewohnern einen privilegierten Zugang zu begehrten Importtextilien, während umgekehrt im Umland – gerade wenn man der Landbevölkerung nur restriktiven Zugang zur Stadt gewährte – die in Heimarbeit produzierten Textilien oder aber die mehrfach erwähnte Fellbekleidung dominierend blieb. Die eingangs zitierten Verse von Theognis, die einen räumlichen Gegensatz zwischen Stadt und Land mit entsprechender Kleidung verbinden, passen sehr gut in dieses Gesamtbild. 3.4 Theoretische Implikationen der Zentrum-Peripherie-Differenzierung Der in den Quellen greifbare Polisbezug zeugt von einer gesellschaftlichen Differenzierung, bei der bäuerlicher Land- und Viehbesitz nicht mehr das zentrale Kriterium sozialer Distinktion darstellt. Das ist nicht zu verwechseln mit der Entstehung eines urbanen Lebensstils, der völlig losgelöst von agrarischen Wirtschaftsformen existierte: Die meisten ‚Städter‘ waren auch in klassischer Zeit noch ‚Ackerbürger‘, also letztlich stadtsässige Bauern. So meinte etwa John Bintliff: „[F]or the typical classical Greek inhabitant of the Normal Polis, the opposition Town and Country meant merely a division of one’s own time, rather than a way of classifying distinct subpopulations, each with their distinctive attitudes and lifestyles.“147 Doch auch wenn die meisten Bewohner der ‚normalen Polis‘ Bauern und Städter in einem waren, so weist die Diskriminierung der Landbevölkerung und der Fell-Träger doch darauf hin, dass das Städtische für das Selbstverständnis prägend war. Ländliche Arbeitskleidung dürfte auch von Städtern getragen worden sein – Hesiod erklärt sehr eindringlich, weshalb Fellbekleidung für Feldarbeiten sinnvoll ist.148 Wichtig war jedoch, dass man in der Lage war, den Wechsel vom Bauern zum Städter zu vollziehen und die Arbeitskleidung abzulegen – genauso wie Laertes in der Odyssee in seiner schäbigen, aber letztlich zweckmäßigen Kleidung wie ein Sklave aussieht, diese aber ablegen und nach einem Bad und frisch eingekleidet „wie ein Gott“ erscheinen kann.149 Dass das nicht allen möglich war, vor allem dann nicht, wenn wie möglicherweise in Kolophon Bürgerstatus und Kleiderluxus semantisch verknüpft wurden, versteht sich. Vor allem aber steigerte sich das Prestige jener, die es sich leisten konnten, nicht selbst auf den eigenen Feldern zu arbeiten, also gar nicht erst ländliche Arbeitskleidung an- und ablegen zu müssen. Die Wertschätzung bäuerlicher Arbeit, die bei Hesiod und Homer noch so ausgeprägt war, geriet dadurch in Bedrängnis. Für die Frage nach gesellschaftlicher Differenzierung hat der Polisbezug aber noch eine sehr viel weitreichendere Implikation. Denn eine Stadt-Land-Unterscheidung ist nicht zwingend identisch mit einer Stratifikation, also einer Gliederung der Ge147 Bintliff (2006) 30. 148 Hes. erg. 536–546. 149 Hom. Od. 24,227–231; 365–371.

3.4 Theoretische Implikationen der Zentrum-Peripherie-Differenzierung

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sellschaft nach Schichten mit einem ‚Adel‘ als oberste Schicht, sondern folgt einer räumlich verstandenen Zentrum-Peripherie-Differenzierung.150 So betont etwa Rudolf Stichweh, dass Stadtbildung als Zentrum-Peripherie-Differenzierung und das Prinzip der Stratifikation zwei gesellschaftliche Ordnungsformen seien, die „orthogonal“ zueinander stünden.151 Das Problem der Stadt sei, so Stichweh mit Blick auf das europäische Mittelalter und die Neuzeit, dass „in der Stadt keine hinreichende Differenzierung von Status möglich scheint (allein schon wegen der Knappheit des für Differenzausdrucks verfügbaren Raums)“, ferner „müsste der Adel in der Stadt in eine Statuskonkurrenz mit reichen Bürgern eintreten, der er finanziell vielfach nicht gewachsen wäre.“152 Die Schwierigkeit liegt also darin, mit verschiedenen, rangungleichen Personen auf engem Raum zu interagieren und gegebenenfalls auch zu konkurrieren, die nicht eindeutig – etwa als Mitglieder eines adligen Haushalts – in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zu Ranghöheren stehen. Gleichzeitig weist diese rangmäßig heterogene Stadtbevölkerung gegenüber Außenstehenden eine gemeinsame, Rangunterschiede verwischende Gruppenidentität auf. Diese Tendenz der Stadt, ständische Unterschiede zu verwischen, wurde bereits von Max Weber in seiner idealtypischen Beschreibung der okzidentalen Stadt mit Recht hervorgehoben.153 Das alles schließt zwar eine gesellschaftliche Schichtung nach Rangklassen nicht aus, ist ihr aber auch nicht förderlich – beide Differenzierungsmodi verhalten sich also nicht konträr, aber eben doch, wie Stichweh meint, „orthogonal“.154 Der europäische Adel mied daher tendenziell die Stadt oder versuchte, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land präsent zu sein – also die Stadt-Land-Differenzierung zu durchbrechen, weshalb diese Unterscheidung, so Stichweh, auch nie zum dominierenden Prinzip gesellschaftlicher Organisation im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa wurde.155

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Bei Luhmann (1997) 663–678 ist dies ein eigener, von der Stratifikation unterschiedener Modus der Differenzierung. Für eine stärkere Einbeziehung des Raums – und damit auch der Stadt als besondere Form der räumlichen Organisation – plädiert Stichweh (1998). Stichweh (2006) 495. Stichweh (2006) 497. Weber (2000) 18 f. Luhmann (1997) 674 sah in der Ausdifferenzierung von Zentrum und Peripherie denn auch eine wichtige Voraussetzung für die Ermöglichung von Stratifikation, da das Zentrum/Peripherie-Schema „im Zentrum (sei es in hinreichend großen Städten, sei es bezogen auf Reichsbildungen) Stratifikation in einer Weise ermöglicht, die weit über das hinausgeht, was in Kleingesellschaften älteren Typs möglich gewesen war.“ Damit sieht Luhmann (in Bezug auf Großreiche) einen direkten Konnex von Stratifikation und Zentrumsbildung (oft sei die Peripherie noch segmentär differenziert, während sich im Zentrum bereits eine Stratifikation gebildet habe). Der Fokus bei Luhmann liegt jedoch primär auf Großreichen mit entsprechenden Hauptstädten; die Städte des europäischen Mittelalters (ebd. 674. Anm. 147) nimmt er als „wichtige Ausnahme“ aus der Betrachtung raus – das ist aber genau jener Stadt-Typ, den Weber mit der antiken Stadt zusammen als Besonderheit des Okzidents hervorhob und den auch Stichweh in seiner Betrachtung ins Zentrum rückt. Stichweh (2006) 497.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

In der Archaik dagegen finden, wie gezeigt, eine Konzentration auf die Stadt und eine Abgrenzung gegenüber dem Umland statt. Die Manifestation von Status scheint dabei stark an die räumliche Präsenz in der Stadt geknüpft zu sein. Diese weitgehend alternativlose Stadtsässigkeit unterscheidet archaische Oberschichten vom späteren europäischen Adel, der über ländliche Herrschaftssitze außerhalb der Stadt verfügte und just dadurch die Zentrum-Peripherie-Differenzierung überwinden konnte.156 In der Archaik dagegen sind die ‚Peers‘, auf die man sich in erster Linie bezieht, die in den Quellen als astoi oder polites bezeichneten Personen,157 die eine mehr oder weniger breit gefasste städtische Oberschicht darstellen können. Daraus ergeben sich drei Faktoren, die, wenn auch sicherlich mit regional sehr unterschiedlicher Ausprägung, die Herausbildung eines stabilen, korporativ verfassten, ‚ständischen‘ Adels im archaischen Griechenland behindert haben dürften: Erstens das Verhältnis zwischen Zentralort und Umland, zweitens das Problem der Rangdifferenzierung in der Stadt und drittens das Problem polisübergreifender Beziehungen und Tätigkeiten. Der erste Faktor ist an sich banal, zeigt aber eine Form der Differenzierung auf, die gegenüber zu schematisch gedachten Kategorien von Reichen und Armen, Guten und Schlechten oder altem Adel und neureichen Aufsteigern tendenziell zu kurz kommt und das Feld möglicher Ungleichheiten in der Archaik um eine wichtige Nuance erweitert. Die regional sehr unterschiedlichen institutionellen Entwicklungen, die sich aus dieser Differenz ergaben, lassen sich am besten anhand der unterschiedlichen Zustände in klassischer Zeit ablesen. In Lakonien und Elis waren die Ortschaften des Umlandes trotz weitgehender Autonomie politisch abhängig vom Zentralort und ihre Bewohner als ‚Periöken‘ zwar frei, aber doch politisch weitgehend ohne Rechte.158 Die Differenz zwischen Zentrum und Peripherie wurde also in ein rechtliches Abhängigkeitsverhältnis überführt. Personen wie der reiche und angesehene ‚Dorfkönig‘ Telestagoras in der Geschichte aus der Naxion politeia159 wären bei einer solchen Diskriminierung des Umlands aus der Oberschicht ausgeschlossen worden, während sich umgekehrt die im Zentralort ansässigen Oberschichtangehörigen mit tendenziell rangungleichen Städtern gemein machen mussten.160 Das Gegenbeispiel wäre Athen, wo mit der kleisthenischen Phylenreform eine komplexe Regelung getroffen wurde, 156

Eines der besten Beispiele ist der Berner ‚Twingherrenstreit‘ von 1469–1471, ein Konflikt innerhalb des Stadtberner Regiments zwischen Zunftmeistern und dem stadtsässigen Adel. Letzterer war teils auch nicht sonderlich ‚alt‘, verfügte aber über ländliche Herrschaften, auf die er sich zurückzog, und konnte u. a. mit der Drohung, das Bürgerrecht aufzugeben, einen Ausgleich erzwingen; vgl. Schmid (1995). 157 Vgl. o. S. 129–133. 158 Generell zu abhängigen Orten s. Gschnitzer (1958) spez. 7–17 zu Elis und 61–67 zu Lakonien. Für weitere Literatur s. o. S. 126. Anm. 46. 159 Athen. 8,348a–b (= Aristot. F 558 Rose) s. o. S. 124 f. 160 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung von Hansen (1997) 20–25, dass die antiken Begriffe für ländliche Wohnformen wie Dörfer, vor allem aber Einzelgehöfte hochgradig unpräzise waren, da die zentrale Unterscheidung das Wohnen in der Stadt beziehungsweise nicht in

3.4 Theoretische Implikationen der Zentrum-Peripherie-Differenzierung

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die eine vollständige Integration des Umlandes in die Polis garantierte.161 Diese hochgradig artifizielle Regelung bewirkte eine weitgehende Aufhebung der räumlich bedingten Unterscheidung in Zentrum und Peripherie, unterstreicht damit aber auch, dass genau diese Unterscheidung ein strukturelles Problem darstellte. Der zweite Faktor betrifft die Differenzierung innerhalb der Stadt. Denn die Städter sind keineswegs eine homogene Schicht: Die Unterscheidung, welche die Quellen zwischen astoi und den hegemones treffen,162 zeugt von einem erheblichen machtpolitischen Gefälle innerhalb der Bürgerschaft und die Art, wie Theognis die astoi als jene Personengruppe heraushebt, mit der man sozialen Umgang pflegt,163 spricht ferner dafür, dass darunter keineswegs alle Stadtbewohner fallen, sondern wohl nur die als regimentsfähig anerkannten ‚Bürger‘. Die räumliche Nähe, die das Zusammensiedeln in der Stadt mit sich bringt, führte die Ungleichheit jedoch dauernd vor Augen und erhöhte entsprechend den Konkurrenzdruck. Die Klagen archaischer Dichter, dass einzig Geld den Mann mache,164 wie auch die Hinweise auf statusrelevanten Kleiderluxus – wie etwa bei den Tausend von Kolophon165 – weisen auf eine stark auf demonstrativem Konsum und damit ökonomischer Leistungsfähigkeit basierende Statuskonkurrenz hin. Die Archäologin Lin Foxhall propagierte daher einen kausalen Zusammenhang zwischen Urbanisierung, Konsum und Moden: Die Stadt als Raum, in dem anders als im Dorf soziale Positionen und Rangverhältnisse nicht durch Verwandtschaft und Nachbarschaft klar zugeschrieben und Hierarchien offener sind, führe dazu, dass Konsum als Indikator von Status beziehungsweise generell von ‚Identität‘ an Bedeutung gewinne. Dieses urbane Konsumbedürfnis und weniger eine generelle

der Stadt war, wohingegen die Wahrnehmung unterschiedlicher Siedlungsformen auf dem Land deutlich weniger ausgeprägt war. 161 Dass die kleisthenische Phylenreform vor allem auf den Einbezug der Honoratioren aus den Demen des Umlands in den Rat der 500 zielte, argumentierte (in Hinblick auf die vorkleisthenische Rolle der Demen freilich notgedrungen ziemlich spekulativ) Kienast (2005) – dort mit weiterer Literatur. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den kleisthenischen Reformen s. u. Kap. 7.2.3. 162 So bei Solon F 4,5–8 W und Thgn. 1,41 f. (gedoppelt bei Thgn. 1,1082a–b). 163 S. o. S. 132 f. 164 Alkaios F 360 L-P (= 101 D = Schol. Pind. Isthm. 2,17): […] χρήματ’ ἄνηρ, πένιχρος δ’ οὐδ’ εἲς πέλετ’ ἔσλος οὐδὲ τίμιος. Zur Statusrelevanz von Reichtum s. ferner (u. a.): Thgn. 1,173–180; 1,267– 270; 1,523–526; 1,621 f.; 1,667–670; 1,699 f.; 1,928–930; 1,1061 f.; 1,1117 f. Dass „Schlechte“ reich und „Gute“ arm sein können, ist ein dominierendes Thema bei Theognis, findet sich aber auch bei Solon F 15 W (= 6 G-P = 4,9–12 D = Plut. Sol. 3,2; die identischen Verse finden sich bei Thgn. 1,315–318). 165 Xenophanes F 3 W (= 3 G.-P. = 3 D), dazu o. S. 139 f. Zum demonstrativen Konsum kann auch die – ökonomisch nur bedingt sinnvolle – Pferdezucht gezählt werden, die in diversen Poleis begegnet, die Beweiskraft von Aristoteles, der erklärt, hippeis seien die herrschende Gruppe in den frühen Poleis gewesen (Pol. 4,1289b 33–40), mag eine spätere Rekonstruktion und Pauschalisierung sein, aber immerhin kennt Hdt. 5,77,2 und 6,100,1 ἱπποβόται als Bezeichnung für die Oberschicht von Chalkis im frühen 5. Jh. und auch Athen kennt eine Zensusklasse der hippeis.

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3. Polisbezug und Adelsbildung

Wirtschaftsentwicklung bedingte Foxhalls Ansicht nach die Zunahme von Handelsströmen ab dem achten Jahrhundert.166 Eine städtische Lebensweise begünstigt daher zwar eine verfeinerte Lebensart, doch der hohe ökonomische Konkurrenzdruck, der damit einherging, führte deutlich vor Augen, dass eben doch „Geld den Mann macht“ und ökonomische Leistungsfähigkeit für den eigenen Statuserhalt zentral war. Da die Anwesenheit in der Stadt ebenfalls statusrelevant war, war es auch nicht ohne weiteres möglich, wie dies beim Adel der europäischen Neuzeit der Fall war, sich dieser Konkurrenz durch einen Rückzug aufs Land zu entziehen. Stadtverbote für die Landbevölkerung sowie das Verbannen von Konkurrenten aus der Stadt machen vor diesem Hintergrund sehr wohl Sinn: Es ist ein Versuch, den Konkurrenzdruck im Zentrum zu reduzieren, der aber gleichzeitig den ungewollten Nebeneffekt hat, dass dadurch die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie als Leitdifferenz weiter gefestigt wird. Als die Spartaner 385 die Polis Mantineia auflösten und die Bevölkerung auf Dörfer verteilten, waren es daher, wie Xenophon schreibt, gerade jene, die mehr Besitz hatten, die sich mit der neuen Situation rasch anfreundeten, da sie nun näher bei ihren Gütern wohnten, eine Aristokratie einrichteten und von der Last der Demagogen befreit waren.167 Deurbanisierung und Adelsbildung scheinen sich hier gegenseitig zu begünstigen. Der dritte Faktor, der eine stabile Adelsbildung behinderte, betrifft die polisübergreifenden Beziehungen. Schließlich ist es gerade die panhellenische Vernetzung über den begrenzten Rahmen der Polis hinaus, die dem modernen Betrachter einzelne Akteure der Archaik als ‚adlig‘ erscheinen lässt. In der Tat lässt sich argumentieren, dass in Olympia, Delphi und anderen panhellenischen Zentren eine polisübergreifende Kommunikation möglich wurde, über die sich so etwas wie ein gesamtgriechischer ‚Adel‘ konstituieren konnte. Doch in Hinblick auf die soziale Differenzierung innerhalb der Städte, die an sich schon konkurrenzbasiert und prekär war, wirkt die Existenz eines solchen panhellenischen Forums zusätzlich destabilisierend. Denn es ist nicht so, dass dies einem etablierten Adel die Option geboten hätte, sich aus der Stadt zurückzuziehen und sich so der dortigen Statuskonkurrenz zu entziehen – die Stadt blieb weiterhin der zentrale Bezugspunkt. Gleichzeitig war das panhellenische Forum aber auch nicht in einem ständischen Sinne exklusiv, sondern stand prinzipiell allen offen, die ökonomisch in der Lage waren, zu partizipieren.168 Damit eröffnete sich ein weiteres Feld der Konkurrenz, das destabilisierend in die Städte zurückwirkte. Denn panhellenisches Prestige konnte benutzt werden, um den eigenen Status innerhalb der

166 Foxhall (2005); vgl. Foxhall (1998). 167 Xen. hell. 5,2,7. 168 Bezeichnendes Beispiel ist der Tyrann Maiandrios, der von den astoi in Samos als unwürdig erachtet wird, weil er von kakoi abstamme (Hdt. 3,142,5), der aber dennoch nach seiner Vertreibung in der Lage ist, Gastfreundschaften in einem panhellenischen Kontext zu pflegen und in Sparta um Unterstützung für eine gewaltsame Rückkehr in seine Heimat zu werben (Hdt. 3,148); s. u. S. 220 f.

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Heimatpolis zu verbessern, und zwar keineswegs nur von denen, die dort schon ‚oben‘ standen, sondern gerade auch von jenen, die mit panhellenischem Prestige mangelndes heimisches Prestige kompensieren wollten. Das Überschreiten der Polis-Grenze bot aber nicht nur die Möglichkeit, Prestige zu erwerben, sondern auch ganz konkret ökonomisch zu profitieren: Seehandel, Söldnerwesen und Piraterie waren riskante, aber potentiell lukrative Einnahmequellen, die einen sozialen Aufstieg ermöglichen konnten. Herodot erwähnt etwa die gewaltigen Profite eines gewissen Sostratos aus Aigina, der als Händler unübertroffen gewesen sei.169 Eine 1970 auf einem Steinanker im etruskischen Gravisca gefundene Weihinschrift eines Sostratos an den ‚Apollon von Aigina‘ dürfte auf diesen Händler zu beziehen sein und würde ihn in das ausgehende sechste oder frühe fünfte Jahrhundert datieren.170 Ungefähr zeitgleich datiert eine 1978 in Aigina gefundene Basis einer Reiterstatue (vermutlich aus einem Heiligtum), welche die Inschrift Σόστρ[ατος] trägt und damit zeigt, wie dieser erfolgreiche Fernhändler offenbar bemüht war, seinen ökonomischen Gewinn aus der Fremde in eine Statuserhöhung in der Heimat zu (re) investieren.171 Auch Sappho hofft, in einem neuentdeckten Papyrus, auf die Rückkehr ihres Bruders „mit vollem Schiff “, was zeigt, dass auch ihr der riskante Fernhandel keineswegs fremd war und möglicherweise gar ein notwendiges Wagnis darstellte, um das kostspielige ‚Obenbleiben‘ der Familie in der Heimat abzusichern.172 Dass es sich bei solch risikobehafteten Unterfangen jedoch nicht um die präferierte Erwerbsquelle handelte, machen die Dichter freilich sehr deutlich. Für Theognis ist klar, dass einen die drückende Armut aufs Meer treibe, um dort Abhilfe zu suchen,173 Hesiod erzählt von seinem Vater, der zur See fuhr, weil ihm ein esthlos bios – ein edles Leben – nicht möglich war,174 und in einer seiner Lügengeschichten berichtet Odysseus, wie er als Bastardsohn des Kreters Kastor ein ungewöhnlicher Mensch gewesen sei, weil er mit ‚Arbeit‘ (gemeint sind die bei Hesiod beschriebenen landwirtschaftlichen erga) und der Pflege des oikos nie viel anfangen konnte und stattdessen Schif169 Hdt. 4,125 (zusammen mit dem legendenhaften, wohl ins ausgehende siebte Jahrhundert zu datierenden Händler Kolaios aus Samos). 170 SEG 26.1137. 171 SEG 48.370. 172 P. Sapph.Obbink 1–20; vgl. Obbink (2014) sowie die entspr. Beiträge bei Bierl & Lardinois (2016), darunter konkret zu den Handelsgeschäften von Sapphos Bruder Charaxos Raaflaub (2016) 134– 139. Generell zur enormen Bedeutung von Reichtum für das Aufrechterhalten des distinguierenden Lebensstils archaischer Eliten vgl. jetzt Stein-Hölkeskamp (2019). 173 Thgn. 1,175–180. Zu den Motivationen für Mobilität in der Archaik s. Tausend (2014). 174 Hes. erg. 634. Der Vers steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Hesiods Aufforderung an Perses, zu schauen, dass er von der Seereise, wie ihr Vater, Gewinn nach Hause (οἴκαδε) bringe (633), bezieht sich also klar auf Seehandel (oder Piraterie), der von der Heimatpolis aus betrieben wird; die beiden folgenden Verse über die Auswanderung des Vaters von Kyme nach Askra (635 f.) stellen demgegenüber eine neue Sinneinheit dar. Dem entspricht auch die Aussage, dass die Menschen, die Dike achten, es in jeder Hinsicht gut haben und nicht mit Schiffen fahren müssen (Hes. erg. 235 f.).

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3. Polisbezug und Adelsbildung

fe und Krieg liebte, was anderen ein Graus sei.175 Dennoch war die Möglichkeit, als Söldner, Händler oder Pirat in der Fremde sein Glück zu machen, als Option stets präsent und ermöglichte Figuren wie jenem fiktiven Kreter, der bei der Erbteilung von seinen Halbgeschwistern benachteiligt worden war, den ökonomischen und sozialen Aufstieg zu einem angesehenen Mitglied der Gemeinde. Ganz ähnlich besingt in einem nicht klar datierbaren Skolion ein Kreter mit dem sprechenden Namen Hybrias176 seine Waffen, die seine Art seien, Landwirtschaft zu betreiben, und denen er seinen jetzigen Status verdanke: Mein Reichtum ist ein großer Speer und ein Schwert und der schöne Schild, Schutz des Leibes. Hiermit pflüge ich, hiermit ernte ich, hiermit keltere ich den süßen Wein der Rebe, hiermit wurde ich „Herr der Leibeigenen“ genannt. Diejenigen, die es nicht wagen, Speer und Schwert zu halten und den schönen Schild, Schutz des Leibs, fallen alle nieder, die Knie †mir küssend, mich „Herr“† und „Großkönig“ nennend.177

Denys Lionel Page hat diesen kriegerischen Kreter nicht als Vertreter eines alten Adels,178 sondern als sozialen Aufsteiger gedeutet – möglicherweise gar als ehemaligen Unfreien, wie seine Selbstbezeichnung als „Herr der Leibeigenen“ (δεσπότας μν οίας) in Zeile 5 nahelegen könnte.179 Der Hinweis auf den Titel „Großkönig“ und die Proskynese verweisen auf Persien – gut möglich, dass Hybrias dort als Söldner gedient und die Grundlage für seine Statusverbesserung in der Heimat gelegt hatte.180 Hybrias wäre demnach ein analoger Fall zum kretischen Bastardsohn in Odysseus’ Lügenge175 176

Hom. Od. 14,222–228. Der Name muss freilich nicht zwingend fiktiv sein: Zwei weitere Träger dieses Namens sind als Archonten von Delphi (199/8 und 133/2 v. Chr.) verbürgt, vgl. Johannes Sundwall, Hybrias 1 und 2, in: RE 17, 1914, 32. 177 Hybrias aus Kreta F 909 PMG (= Athen. 15,695f–696a) (eigene Übers.): ἔστι μοι πλοῦτος μέγας δόρυ καὶ ξίφος / καὶ τὸ καλὸν λαισήιον, πρόβλημα χρωτός. / τούτῳ γὰρ ἀρῶ, τούτῳ θερίζω, / τούτῳ πατέω τὸν ἁδὺν οἶνον ἀπ’ ἀμπέλω, / τούτῳ δεσπότας μνοίας κέκλημαι. / τοὶ δὲ μὴ τολμῶντ’ ἔχειν δόρυ καὶ ξίφος / καὶ τὸ καλὸν λαισήιον, πρόβλημα χρωτός, / πάντες γόνυ πεπτηῶτες †ἐμὸν / κυνέοντι, δεσπόταν† / καὶ μέγαν βασιλῆα φωνέοντες. Vgl. generell zu diesem Scholion Tedeschi (1986) [= Tedeschi (1991)] mit einem Überblick zur älteren Forschung und einem Ergänzungsvorschlag zur Krux in den Zeilen 8 und 9. 178 So die gängige Deutung etwa auch jüngst bei Seelentag (2015) 551 f. – dort auch mit weiterer Literatur. 179 Page (1965) 64 f. Anders: Welwei (2008) 17 f. 180 Page (1965) 65. Bereits Bowra (1961) 402 f. deutete Hybrias als „a Cretan soldier of fortune who had seen service under the Persian king and returned home to glory in his success and declared his intention of applying his Asiatic methods in Crete“ (ebd. 403); ähnlich auch Weiler (1996) 221 f.

3.4 Theoretische Implikationen der Zentrum-Peripherie-Differenzierung

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schichte, der ebenfalls die Waffen der Landwirtschaft vorzog und durch kriegerische Unternehmungen in der Fremde zu Ruhm und Reichtum gelangte. Sicher beweisen lässt sich das nicht; die Möglichkeit, sich als Söldner in der Fremde zu verdingen und anschließend in die Heimat zurückzukehren, wäre in der Archaik allerdings keineswegs ungewöhnlich. So besingt Alkaios seinen Bruder, der vom Söldnerdienst aus Babylon beziehungsweise vom „Ende der Welt“ mit viel Ruhm und einem elfenbein- und goldverzierten Schwert – also mit symbolischem und materiellem Gewinn – zurückgekehrt sei.181 Alkaios selbst erklärt, er und die Seinen hätten von den Lydern 2000 Statere erhalten, um ihnen die (gewaltsame) Rückkehr in die Stadt zu ermöglichen182 – das Unternehmen scheiterte, doch es zeigt, wie extern mobilisierte Mittel die Verhältnisse in der Heimatstadt destabilisieren konnten. Die Möglichkeiten, jenseits der Polis Gewinn zu erwirtschaften – und zwar materiell wie symbolisch – und diesen in die Polis zu überführen, um dort den eigenen Status zu verbessern, führten dazu, dass sowohl die materielle als auch die symbolische Grundlage der polisinternen Rangordnung dauernd durch Impulse von außen erschüttert werden konnte. Dies alles führt zu instabilen Verhältnissen. Der Fokus auf die Polis und die daraus resultierende Unterscheidung in Zentrum und Peripherie ist dafür sicherlich nicht der einzige Grund. Es ist aber zumindest ein Faktor, der einer stabilen Adelsbildung, die als eine extreme Ausprägung gesellschaftlicher Stratifikation angesehen werden kann, nicht förderlich war. Die Entwicklung, welche die archaische Oberschicht durchlief, war daher in erster Linie eine Transformation von Bauern zu Städtern. Der Lebensstil der Städter mag in vielen Punkten ‚adliger‘ erscheinen und in Bezug auf die objektivierten, ehrvermittelnden Ämter weisen die spätarchaischen Städter auch sehr viel mehr Bezüge zur idealtypischen Adelsdefinition auf als die bäuerliche Oberschicht der Epen, doch die Differenzierung in Zentrum und Peripherie, die der Siedlungsform ‚Stadt‘ zu eigen war, verhinderte, dass Stratifikation zur Leitdifferenz dieser Gesellschaft wurde.

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Alkaios F 350 L-P (= 50 D = Heph. Ench. 10,3). Den weiteren Kontext, nämlich dass es sich um Alkaios’ Bruder Antimenidas (oder „Antimeneidas“, so aus metrischen Gründen M. L. West, in: ZPE 145, 2003, 6) handle, der als Söldner im Dienst der Babylonier gekämpft habe, überliefert (mit Verweis auf Alkaios) Strab. 13,2,3. Generell zu Mobilität und Söldnerwesen in der Archaik s. Weiler (1996) 218–222. In Verbindung mit dem stark fragmentierten Papyrus P. Oxy. 1233 fr. 11 (Alkaios F 48 L-P = 82 D), wo Aschkelon erwähnt wird, ist es möglich – zumindest hypothetisch – ein genaues Datum zu propagieren; demnach wäre Antimen(e)idas als Söldner im Heer Nabukadnezars II. an der Zerstörung der Stadt Aschkelon in Palästina beteiligt, die mit nahöstlichen Quellen Ende des Jahres 604 datiert werden kann, vgl. Quinn (1961). Alkaios F 69 L-P (= 41 D = P. Oxy. 1234 fr. 7–14 & 2166(c) 1).

Teil II ‚Adelskultur‘, Prestigekonkurrenz und Institutionalisierung – ‚Aristokratische‘ Handlungsfelder und ihre Transformation

4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen? Das deutsche Bildungsbürgertum und der griechische ‚Kulturadel‘ Für das Selbstverständnis der sich ausbildenden archaischen Oberschichten war der Bezug zur Stadt, der auf Differenzierung bedachten städtischen Lebensweise und den verschiedenen Integrationskreisen, in denen sich die Zugehörigkeit zur städtischen Elite manifestierte, zentral. Es ist daher naheliegend, dass auch die sich ausbildenden ‚staatlichen‘ Strukturen – insbesondere die städtischen Ehrenämter – als Institutionalisierung der für diese Oberschicht spezifischen Handlungsfelder zu deuten sind. Die Diskussion um den archaischen ‚Adel‘ geht jedoch meist in eine ganz andere Richtung: Die Polis und ihre politischen Institutionen (also die als ‚Staat‘ verstandene Stadt) richte sich, so die geläufige Deutung, gegen den ‚Adel‘ und suche adlige Willkür und Machtmissbrauch gesetzlich einzuschränken. Umgekehrt wird dieser Adel als ‚außerstaatlich‘, ‚privat‘ oder gar als der Polis entgegengesetzt gesehen. Tatsächlich zielen viele Gesetze nicht darauf ab, Herrschaftsverhältnisse abzusichern, sondern bereits etablierte Herrschaftsrollen zu beschränken und zu kontrollieren. Zahlreiche ‚Meistererzählungen‘ betten solche Gesetze in eine große Entwicklung ein, bei der die entstehenden ‚Staaten‘ den ‚vorstaatlichen‘ Adel in Schranken weisen, Herrschaftsrollen versachlichen und schließlich demokratisieren: Bei Alfred Heuss’ an Max Weber orientierten Interpretation wird die ‚Geschlechterstadt‘ in einem ‚Ständekampf ‘ überwunden und die neuen Institutionen führen zu einer breiteren Integration der Bürgerschaft ins Regiment.1 Ganz ähnlich klingt es bei Josiah Ober: Hier sind es ökonomische Aufsteiger, die als kakoi ins ehemals exklusive adlige Regiment drängen und entsprechende Reformen erzwingen.2 Bei Walter Donlan ist es ein komplexes Wechselspiel einer sich zunehmend exklusiv gebarenden Aristokratie und eines durch

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Heuss (1973) 8–17. Ähnlich argumentiert der wichtige Aufsatz von Gehrke (1993). Ober (1989) spez. 55–65.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

den Wehrdienst in der Phalanx zu neuem Selbstbewusstsein gelangten demos, der den Adel unter Druck setzt und so zu den wesentlichen Institutionalisierungsschritten führt.3 Im Modell von Ian Morris wiederum stehen sich die ‚middling ideology‘, die das Gemeinwohl im Blick hat, und die durch Luxus geprägte ‚elitist ideology‘ einer polisübergreifend orientierten Elite gegenüber, wobei erstere sich am Ende durchsetzt und zur demokratischen Polis der Klassik führt.4 Das Verhältnis von Polis und ‚Adel‘ wird also gemeinhin als schwierig angesehen oder die entstehende ‚Staatlichkeit‘ und die mit ihr verbundene Politik gar als, wie Alfred Heuss meinte, „adelsfeindlich“ angesehen.5 Es gibt daher eine lange Forschungstradition, die den archaischen ‚Adel‘ als ein dezidiert von der Polis und ihren Institutionen getrenntes Phänomen betrachtet – als eine Kultur, Ideologie oder Lebensstil, die abseits oder gar in Opposition zu den entstehenden ‚Staaten‘ zu verorten sind. Besonders ausgeprägt ist diese Denkfigur in der deutschsprachigen Forschung, die seit langem dazu tendiert, den archaischen Adel als ein kulturelles Phänomen zu betrachten, das nicht über die entstehenden ‚staatlichen‘ Strukturen zu verstehen sei. Hierbei werden dann das ‚private‘ Symposion und vor allem die panhellenischen Foren, insbesondere die Wettkämpfe, bemüht, die als eigentliche adlige Lebenswelt ein ganz eigenes Feld der Bewährung darstellen würden und damit in einem Spannungsverhältnis zu den lokal begrenzten, ‚bürgerlichen‘ Poleis stünden. Besonders prägnant findet sich diese Denkfigur in einem Essay von Egon Flaig, der die politisierte, ganz auf die res publica bezogene Lebensführung der römischen Aristokratie in scharfen Kontrast zur primär ästhetisch geprägten Lebensweise des griechischen Adels setzte: „Der hellenische Adel“, so Flaig, „definierte sich durch eine exklusive Kultur, die er großenteils im außerstaatlichen Raum praktizierte: gymnische Agone, Symposion, eine klassenspezifische Erziehung mit Poesie, Musik und später auch Rhetorik und Philosophie.“6 Eng damit verbunden ist die – bei Flaig ebenfalls fassbare – Idee, dass es just jene agonale adlige Kultur jenseits des Politischen war, welche überhaupt erst die

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Donlan (1999) 35–75. Das Gesamtnarrativ geht dabei im Kern auf die einflussreiche Monographie von Mazzarino (1947) zurück, die die Hinwendung des griechischen Adels zu östlichem Luxus und die daraus resultierenden Gegenreaktionen stark hervorhob. Diese Studie übte auch einen starken Einfluss auf Kurke (1992) und die verschiedenen darauf Bezug nehmenden Arbeiten aus. Dass der oft gemachte kausale Konnex von Luxus und ‚Adel‘ sowie ‚Luxuskritik‘ und Demokratie jedoch problematisch ist, zeigt überzeugend Bernhardt (2003). Vgl. etwa besonders prägnant Morris (1996). Heuss (1946) 39. Flaig (1993) 214; vgl. auch Flaig (2010) 362, wo ebenfalls konstatiert wird, dass „der hellenische Adel sich durch eine exklusive Kultur definierte; und die dazugehörigen Praktiken – Symposien und Agone – übte er im außerstaatlichen Raum aus. Ganz anders als der römische Adel verstand der griechische sich nicht durch seinen Dienst an der Heimat, pflegte auch nicht dessen politisierte Lebensführung, sondern bevorzugte im Gegenteil eine politikferne Kultur.“

4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

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verbindende Klammer zwischen den staatlich zersplitterten Griechen herstellte, die es nie zu einem gemeinsamen ‚Staat‘ gebracht hatten.7 Diese Vorstellung einer ‚politikfernen Kultur‘, welche die eigentliche Essenz des Adels ausmache, ist weit verbreitet. Christian Meier sah in der weitgehenden Vernachlässigung des Politischen durch den archaischen Adel mit einen Grund dafür, weshalb in einer adlig geprägten Gesellschaft überhaupt ein politisches Denken entstehen konnte, das eine breite Bürgerschaft am Politischen teilhaben ließ,8 und wie bereits im einleitenden Forschungsüberblick festgestellt, heben zahlreiche Studien den polisübergreifenden Charakter des archaischen Adels hervor (oft in Kontrast zu den späteren, über lokale politische Herrschaft definierten ‚Oligarchien‘).9 Diese Sicht basiert auf einer Traditionsbildung, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und mehr mit dem deutschen Bildungsbürgertum als mit den Akteuren archaischer Oberschichten zu tun hat. Die im ersten Teil dieser Arbeit angestellten Überlegungen zu den materiellen und lebensweltlichen Grundlagen wären jedoch unvollständig, wenn man sich nicht mit der vermeintlichen ‚Adelskultur‘ auseinandersetzt, also die konkreten Praktiken und Wertvorstellungen betrachtet, mit denen die Akteure ihre Welt mit Leben und Sinn füllten. Genauso wenig kann eine Arbeit zu ‚Adel‘ und gesellschaftlicher Differenzierung die unstrittig zu beobachtenden Institutionalisierungsprozesse und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft vernachlässigen. Es ist daher notwendig, erst die geistige Genese der traditionellen Sicht auf die angeblich Polis-ferne Adelskultur zu dekonstruieren, um anschließend nüchterner beurteilen zu können, wie diese ‚agonale Adelskultur‘ und die zu beobachtenden Institutionalisierungsprozesse von traditionsbedingten Anachronismen unbelastet neu und anders konzeptualisiert werden können. Dabei wird sich jedoch zeigen, dass die typisch deutsche Sicht auf den politikfernen, gesamtgriechischen ‚Kulturadel‘ aller Problematiken zum Trotz Perspektiven eröffnen kann, die über die oft den aristotelischen Kategorien verhafteten Ansätze der englischen und französischen Forschungstraditionen hinausgehen. Der forschungsgeschichtliche Exkurs, der im Folgenden unternommen wird, zielt daher nicht bloß auf die Dekonstruktion einer problematischen Konzeption, sondern sucht auch konstruktiv, deren heuristischen Mehrwert freizulegen.

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Flaig (2010) 367 f. hebt hervor, dass die „griechische Kultur […] eine der wenigen Kulturen in der Weltgeschichte [war], die jahrhundertelang ohne gemeinsamen Staat zusammenhielt“, wofür er das adlige „Agonalwesen“ als zentralen Faktor verantwortlich macht. Der Gedanke fußt auf Konzeptionen des 19. Jhs.: Auch wenn Flaig den Begriff ‚Nation‘ durch das modischere Wort ‚Kultur‘ ersetzt, lässt der explizite Bezug auf Jacob Burckhardt, bei dem die Nation eine zentrale Rolle spielt, zusammen mit der Verwendung des Begriffs ‚Staat‘ keinen Zweifel daran, dass das dahinterstehende Konzept jenes der ‚Nation‘ im Sinne des 19. Jhs. ist (dazu u. S. 177 ff.). Meier (1980) 61 f.; vgl. auch Meier (2009) 157–170 zum adlig-agonal geprägten „gemeingriechischen Zusammenhang“, wo „das Spektakuläre […] nicht das Politische“ im Vordergrund stand (ebd. 163). S. o. S. 24 f.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

4.1 Grote, Whibley und Fustel: Das Fehlen eines nationalen ‚Kulturadels‘ im England und Frankreich des 19. Jahrhunderts Was in erster Linie auffällt, ist das weitgehende Fehlen eines gesamtgriechischen Kulturadels in der englischen und französischen Forschung des 19. Jahrhunderts. George Grote kennt in seiner monumentalen History of Greece keinen griechischen Adel und keine ‚aristocracy‘. Als er im dritten Band beschreibt, wie das heroische Königtum gestürzt wird, so tritt dort kein Adel auf, sondern eine Oligarchie.10 Dass Grote von Oligarchien spricht, ist kein Zufall. Denn obschon die Oligarchien im Vergleich zum vorangegangenen heroischen Königtum nach Grotes Ansicht einen Fortschritt darstellten, so misst sich dieser Fortschritt doch einzig und allein daran, inwiefern er die Weichen für die spätere Entwicklung zur Demokratie stellte.11 Die generelle Charakterisierung dieser Zeit ist dagegen alles andere als vorteilhaft: How these first oligarchies were administered we have no direct information; but the narrow and anti-popular interests naturally belonging to a privileged few, together with the general violence of private manners and passions, leave us no ground for presuming favorably respecting either their prudence or their good feeling; and the facts which we learn respecting the condition of Attica prior to the Solonian legislation […] raise inferences all of an unfavorable character.12

Die Vorstellung einer ästhetischen Adelskultur jenseits des Politischen sucht man vergebens. Was bei Grote ebenfalls fehlt, ist das Konzept einer griechischen ‚Gesellschaft‘, die losgelöst von den einzelnen ‚Staaten‘ jenen ‚außerstaatlichen‘ Raum darstellen könnte, in dem sich eine Adelskultur jenseits der Polis entfalten könnte. Ganz aristotelisch gedacht bilden ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ bei Grote eine Einheit und so gibt es nicht die eine griechische Gesellschaft, sondern jede Polis bildet für sich eine „distinct Hellenic

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Grote (1849–1856) Bd. 3 (21849) 21: „Such was in substance the character of that mutation which occurred generally throughout the Grecian states […]: kingship was abolished, and an oligarchy took its place […]. It was always an oligarchy which arose on the defeasance of the heroic kingdom: the age of democratical movement was yet far distant“. Allg. zu Grote s. Nippel (2010). Grote (1849–1856) Bd. 3 (21849) 23 f. Grote (1849–1856) Bd. 3 (21849) 24. Generell zeichnet sich Grote durch eine ausgeprägte (an dem oft zitierten Niebuhr geschulte) Quellenkritik aus und ist daher gegenüber jener Epoche, in der meist der griechische ‚Adel‘ als unumschränkt herrschend angesehen wird, höchst skeptisch. Exemplarisch sei auf seine noch immer höchst lesenswerten Ausführungen zum vorsolonischen Attika verwiesen [Bd. 3 (21849) 66 ff.], wo die Evidenz akribisch gesichtet, aber klar konstatiert wird: „[…] as a whole it still remains dark and unintelligible, even after the many illustrations of modern commentators“ (ebd. 68) – dass Grote keinen „Adel“ sieht, liegt zwar durchaus an seinen Kategorien, aber eben auch ganz wesentlich daran, dass er aus quellenkritischen Überlegungen heraus gar nicht erst zu luftigen Spekulationen ansetzt.

4.1 Das Fehlen eines nationalen ‚Kulturadels‘

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society“.13 Genau das sollte Robert Pöhlmann später in einer Kritik an Grote unterstreichen und das Fehlen eines ‚modernen‘, an sozioökonomischen und eben nicht staatlich-politischen Kriterien orientierten Gesellschaftsbegriffs monieren, der dazu führe, dass Grotes politikzentrierte Darstellung „der Gegenwart nicht mehr genügen“ könne.14 Ähnliches lässt sich für das Konzept der ‚Nation‘ beobachten: Zwar benutzt Grote das Wort „nation“ durchaus, doch bezieht er es jeweils auf Ethnien wie etwa die Skythen beziehungsweise auf konkrete politischen Einheiten, nicht aber auf die Griechen als Ganzes. So sind die Athener die „oldest nation in Greece“15 und bei Plataiai stellen die Griechen ihre Truppen nach „nations“, das heißt, nach Poleis und ethne geordnet auf.16 Der Bezug auf die Nation ist gar etwas, was der politischen Einigung Griechenlands entgegensteht. Denn nach dem Ionischen Aufstand sieht Grote durchaus Tendenzen zu einer politischen Zentralisierung, fügt aber einschränkend hinzu: Diese Tendenz habe es zwar gegeben, „though always at war with the indestructible instinct of the nation, and frequently counteracted by selfishness and misconduct on the part of the leading cities.“17 Der „unzerstörbare Instinkt der Nation“ ist hier nichts, was die Einigung begünstigt, sondern ein Synonym für den Polispartikularismus. Eher etwas solitär finden sich im zweiten Band Ausführungen zu den allen Hellenen gemeinsamen Merkmalen, die sie von den Barbaren absetzen.18 Indirekt wird dies dort auch mit dem Konzept der Nation verbunden, indem Grote die bemerkenswerte Unterscheidung zieht zwischen Beziehungen der Griechen zu Nichtgriechen, die als „international“ charakterisiert werden, und Beziehungen der einzelnen griechischen Staaten untereinander, die mit dem Begriff „interpolitical“ bezeichnet werden.19 Im vierten Band wird dies weiter ausgeführt und die Bedeutung der panhellenischen Feste hervorgeho13 14

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Grote (1849–1856) Bd. 3 (21849) 10. Pöhlmann (1895) 343; zentral sind Pöhlmanns Ausführungen zu Grotes Konzeption von „society“ bzw. des „social system“, vgl. ebd. 319 f.: „Denn dieses ‚social system‘ ist nicht der Organismus, den wir als ‚Gesellschaft‘ in ihrer Selbstständigkeit gegenüber dem Staat und im Unterschied vom Staat bezeichnen, sondern umfaßt die soziale und politische Ordnung in gleicher Weise. Wenn daher Grote von dem ‚mechanism of society‘ spricht, so hat er auch dabei Gesellschafts- und Staatsordnung als ein ununterschiedenes Ganzes im Auge, wie er denn auch geradezu den Ausdruck ‚political society‘ gebraucht. Man vermißt demnach in seiner Auffassung von vornherein das, was die erste Voraussetzung für die Lösung der angedeuteten Aufgabe bildet, die Unterscheidung des Begriffes der Gesellschaft von dem des Staates; eine Unterscheidung, ohne welche eine wirkliche Einsicht in das Wesen und die Macht der Gesellschaft nicht möglich ist.“ Für diesen wichtigen Hinweis bin ich Philipp Strauß (Berlin) zu Dank verpflichtet. Grote (1849–1856) Bd. 5 (1849) 293. Grote (1849–1856) Bd. 5 (1849) 222. Grote (1849–1856) Bd. 3 (21849) 352 f. Grote (1849–1856) Bd. 2 (21849) 315–343; bemerkenswert sind weniger die Züge, die hervorgehoben werden, sondern, dass sie als von Anfang an gegeben vorausgesetzt werden; vgl. ebd. 340: „These are the elements of union […] from which the historical Hellens take their start: community of blood, language, religious point of view, legends, sacrifices, festivals, and also (with certain allowances) of manners and character.“ Grote (1849–1856) Bd. 2 (21849) 345.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

ben.20 Dort habe sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das jenseits des Politischen existieren konnte: „sympathies founded on common religion, language, belief of race, legends, tastes and customs, intellectual appetencies, sense of proportion and artistic excellence, recreative enjoyments, &c.“21 Treibender Faktor dieser Entwicklung waren aber nicht die von Grote verabscheuten Oligarchen, sondern „men of genius in the field of music, poetry, statuary, and architecture“ – sie hätten die Errungenschaften hervorgebracht, die die Basis eines gemeinschaftlichen griechischen Überlegenheitsgefühls bildeten.22 Den verbindenden Charakter einer gemeinsamen griechischen Kultur sah Grote also durchaus. Doch brachte er diesen weder mit dem Konzept der Nation in Verbindung, noch sah er einen besonders kulturaffinen Adel am Werk. Dass George Grote als liberaler Utilitarist keine sonderlichen Sympathien für Aristokratien hegte und abwertend von ‚Oligarchien‘ sprach, braucht nicht weiter zu verwundern.23 Doch sein Fokus auf die Polis und die eher beiläufige Behandlung des Panhellenismus ist nicht nur der politischen Grundhaltung geschuldet, sondern folgt weitgehend der bei Aristoteles als Selbstbeschreibung der eigenen Zeit verwendeten Konzeptualisierung: Jenseits der Polis gibt es keine größere Einheit und moderne Kategorien wie ‚Gesellschaft‘ und ‚Nation‘ bleiben in ihrer Verwendung vormodern an die jeweiligen politischen Einheiten rückgebunden. Für einen besonders kulturaffinen Adel als Gesellschaft jenseits des Politischen mit einer im „außerstaatlichen Raum“ zelebrierten „nationalen“ Kultur bietet diese Konzeptualisierung von Gesellschaft keinen Platz. Aristokratie ist bei Grote denn auch – genau wie bei Aristoteles – lediglich eine moralisch bessere Spielart der Oligarchie. Grote steht mit seiner Sicht auf die frühgriechischen ‚Oligarchien‘ auch nicht alleine da. Leonard Whibleys 1896 erschienenes, in vielen Punkten immer noch grundlegen-

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Grote (1849–1856) Bd. 4 (21849) 68–98. Grote (1849–1856) Bd. 4 (21849) 71. Der Begriff der Rasse, der in diesem Zitat fällt, könnte auf ein übergeordnetes Konzept von ‚Volk‘ hindeuten und in der Tat wird (ebd. 68) vom „character of the race“ (bezogen auf alle Griechen) gesprochen, wobei sich dieser Charakter eben gerade dadurch auszeichnet, dass es über den autonomen Poleis keine weitere politische Einheit mehr gibt. Generell geht Grotes Wortgebrauch aber klar in eine andere Richtung: „Race“ wird in der Regel für die griechischen ‚Stämme‘ – also Dorier, Ionier und Aeolier – benutzt [z. B. Bd. 3 (21849) 42; 59; 78; 235; 498], kann aber auch ein genos bzw. eine Familie wie etwa die Alkmeoniden bezeichnen [z. B. Bd. 3 (21849) 112 und Bd. 4 (21849) 484] – in der Hochzeit des panhellenischen Gedankens sieht Grote daher eine Stärkung des Gemeingefühls aller Griechen nicht zuletzt aufgrund eines „decline of the old sentiment of separate race – Doric, Ionic, Æolic“ [Bd. 4 (21849) 72]. Grote (1849–1856) Bd. 4 (21849) 72. Die Blüte dieses panhellenischen Gedankens verortet Grote in der Zeit zwischen 600 und 300, also primär in der Zeit der Klassik, während die Epochen, die später als Archaik und Hellenismus gefasst werden sollten, nur am Rand eine Rolle spielen, bzw. im Fall des Hellenismus als eine durch die makedonischen Eroberer beförderte Barbarisierung des Panhellenismus gesehen werden (ebd. 98); zu Grotes kritischer Sicht auf Alexander und den Hellenismus s. Nippel (2010) 545 und Briant (2014). Zu Grotes liberaler Haltung und der daraus folgenden positiven Beurteilung der athenischen Demokratie in der History of Greece s. Nippel (2010). Detailliert zu Grote als Politiker Kinzer (2014).

4.1 Das Fehlen eines nationalen ‚Kulturadels‘

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des Buch Greek Oligarchies zeichnet ein ganz ähnliches Bild.24 Aristokratien und Oligarchien sind lediglich unterschiedliche Spielarten einer auf die konkrete politische Einheit bezogenen Herrschaft. Bezeichnenderweise schafften es aber nur die Oligarchien in den Titel. Einen Kulturadel, der sich gerade dadurch auszeichnet, dass er sich jenseits des Politischen konstituiert, sucht man vergeblich. Überhaupt sind Whibleys Aristokratien alles andere als der Hort einer „exklusive Kultur“: Aristokratien seien primär auf kriegerischen Erfolg fixiert, Oligarchien dagegen auf Reichtum; während letztere zu Luxus und Exzess tendieren, zeichnen sich Aristokratien durch militärisches Training und Austerität aus. Besonders deutlich sei dies in Kreta und Sparta. Dort habe das System zu einer „uniformity of life“ geführt „and demanded an ascetic abstinence“. Keine Rede also von einer kosmopolitischen ästhetisierten Adelskultur, im Gegenteil: „The aristocracies of birth were found in states in a backward stage of civilisation.“ Jenseits von Sparta und Kreta hätten sich Aristokratien primär in „semi-barbarous states“ gehalten und auch die Spartaner selbst, so Whibley, „resemble rather a host of savage warriors than the citizens of a Greek city.“25 Dabei versäumt er es auch nicht, mit Plutarch zu unterstreichen, dass echte Spartaner das ganze Jahr über dieselben Kleider trugen und eine tiefe Abneigung gegen Körperhygiene hatten.26 Zwischen diesen stinkenden Halbbarbaren und Flaigs ästhetisiertem Kulturadel liegen Welten. In Frankreich bietet sich ein etwas anderes Bild. Fustel de Coulanges kennt durchaus eine ‚Aristokratie‘. In seiner 1864 erstmals erschienen Cité Antique ist der Herrschaft der Aristokratie über die Städte ein eigenes Kapitel gewidmet.27 Fustel nimmt dabei die griechische und die römische Antike in den Blick und sieht eine grundsätzliche strukturelle Ähnlichkeit im Verlauf, die darin besteht, dass beiderorts ein frühes Königtum revolutionär beseitigt wurde: „Überall ist sie [die Revolution] das Werk der Aristokratie gewesen, überall unterdrückte sie das politische Königtum und ließ nur noch das religiöse bestehen.“28 In der Folge herrschte also eine Aristokratie, die sich aber bei Fustel nicht über eine „exklusive Kultur“ definierte. Die Definition des Franzosen lautet ganz anders: „Diese Aristokratie beruhte sowohl auf Geburt wie auf Religion. Sie wurzelte in der religiösen Verfassung der Familie […] Die Religion war der Deckname dieser unumschränkten Herrschaft.“29 Fustels Aristokratie ist also primär religiös begründet und wie Grotes Oligarchien klar auf die Polis beschränkt – ja, anders als Flaigs „außerstaatlicher“ Adel ist die lokale Beschränktheit auf die jeweiligen Herrschaftsbereiche bei Fustel das Merkmal dieser Aristokratie, die ansonsten durch ihre historische Irrelevanz glänzt:

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Whibley (1896). Alle Zitate: Whibley (1896) 188. Whibley (1896) 188 f. Fustel de Coulanges (1961) 305–309. Zu Fustel vgl. Christ (1996) 114–122. Fustel de Coulanges (1961) 305. Fustel de Coulanges (1961) 305.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

Man ist erstaunt, das Andenken so vieler Ereignisse aus der Zeit der alten Könige, dagegen keines aus der Zeit der aristokratischen Regierungen erhalten zu sehen. Ohne Zweifel trugen sich damals sehr wenige Ereignisse zu, die ein allgemeines Interesse hatten. Die Rückkehr zur patriarchalischen Verfassung hatte beinahe überall dem nationalen Leben entgegen gewirkt. Die Menschen lebten getrennt und hatten wenig gemeinschaftliche Interessen. Der Horizont eines jeden erstreckte sich nur auf die wenigen Menschen und das eng begrenzte Land, in dem er herrschend oder dienend lebte.30

Der panhellenische Kulturadel Flaigs könnte von dieser Vorstellung nicht weiter entfernt sein. Der Blick auf die „Cité“, die in der deutschen Übersetzung bezeichnenderweise mit „Staat“ wiedergegeben wird, verstellt Fustel den Blick auf jene Phänomene, die den griechischen Adel in der deutschen Forschung ausmachen und die eben gerade jenseits der Vorstellung eines ‚Staates‘ liegen. Dass die Griechen durchaus eine ‚Nation‘ jenseits eines politischen ‚Staates‘ gebildet haben, wurde in Frankreich allerdings durchaus gesehen. In der dreibändigen Histoire des Grecs von Victor Duruy, die nach ihrem ersten Erscheinen 1851 zahlreiche Neuauflagen erlebte, findet sich im ersten Band der erweiterten Neuauflage von 1887 ein langes Kapitel zu den „institutions générales“,31 die ein Einheitsbewusstsein stifteten, aus dem sich dann auch der gemeinsame Widerstand der Griechen gegen die als Barbaren empfundenen Perser speiste. Zentral für Duruy ist dabei die gemeinsame Religion und die gemeinsamen religiösen Feste. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei auch den „jeux nationaux“ – den sportlichen Agonen in Olympia und andernorts.32 Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Duruy sich in diesem Kapitel für eine Sozialgeschichte interessiert – die „institutions générales“ werden nicht in Hinblick auf handelnde Akteure erörtert. Umso bemerkenswerter ist die einzige Passage, in der Duruy sich konkret zu den Teilnehmern der panhellenischen Spiele äußert: L’égalité la plus entière régnait dans ces jeux: la fortune, la naissance, n’y avaient point de place à part. Tous, pauvres ou riches, nobles ou obscures, pouvaient y être admis […].33

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Fustel de Coulanges (1961) 306. Duruy (1887) 718–803. Die Erstausgabe von 1851 war mir nicht greifbar, die Neuauflage von 1887 scheint aber gerade in Bezug auf Olympia, wo Duruy mehrfach auf die Ergebnisse der deutschen Grabungen verweist, erheblich verändert. Duruy (1887) 787–801; der Fokus auf die Religion und das bei Duruy (1887) 793 hervorgehobene Fehlen materieller Preise zeigt gewisse Parallelen zum Konzept des zweckfreien Wettkampfs bei Ernst Curtius und dem späteren Konzept des ‚Agonalen‘ bei Burckhardt, vgl. Ulf (2011b) 88 f. sowie u. Kap. 4.3. Duruy (1887) 797. Bereits bei der Behandlung religiöser Feste und Kulte hatte Duruy ein besonderes Augenmerk auf burleske und karnevaleske Feste gelegt, die eben gerade nicht elitär, sondern auf eine möglichst breite Integration aller sozialer Schichten, Altersgruppen und Geschlechter ausgerichtet waren (ebd. 746 ff.).

4.2 Der Neuhumanismus und die griechisch-deutsche Wahlverwandtschaft

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Panhellenische Agone erscheinen hier nicht als Teil einer exklusiven Adelskultur, sondern im Gegenteil als Hort republikanischer Gleichheit. In erster Linie zeigt dieser kursorische Blick nach England und Frankreich vor allem eines: Die Vorstellung eines griechischen Adels, der sich durch eine „exklusive Kultur“ definierte und eine Nation ohne Staat zusammenhalten konnte, ist keine Selbstverständlichkeit, die sich aus der Lektüre der Quellen ohne weiteres aufdrängt, sondern setzt eine Beschreibung der Antike mit modernen Kategorien voraus und zwar mit Kategorien, die in Frankreich und England weniger verbreitet waren, sondern einen spezifisch deutschen Ursprung haben und in vielen Punkten mit nicht unproblematischen Idealisierungen belastet sind. 4.2 Der Neuhumanismus und die griechisch-deutsche Wahlverwandtschaft In einem 1951 erschienen Aufsatz mit dem Titel The Problem of Greek Nationality brachte Frank Walbank das bei Grote kaum vorhandene Thema der griechischen ‚Nationalität‘ prominent ins Bewusstsein der englischsprachigen Forschung – kurz darauf griff mit Moses Finley ein weiterer gewichtiger Fachvertreter das ‚Problem‘ auf.34 Walbanks Aufsatz bestätigt den oben kursorisch herausgearbeiteten Befund, denn Walbank betont gleich zu Beginn seines Beitrags, dass die Frage nach der griechischen Nation keineswegs immer gestellt worden sei: „For its origins we must turn, not to George Grote, but to the nineteenth-century Germans,“ denn, so führt er in einer Fußnote aus, „historically this view was nurtured mainly on German soil, and against the background of German nineteenth-century political developments.“35 Zentral ist für Walbank wie auch für Finley, festzuhalten, dass es kein Streben nach politischer Einheit gegeben habe, also die Suche der Griechen nach einem ‚Nationalstaat‘ ein grundsätzlich falsches Narrativ darstelle. Dabei verweisen beide Autoren auf Friedrich Meineckes Unterscheidung zwischen ‚Staatsnation‘ und ‚Kulturnation‘, die explizit in Hinblick auf die deutschen Verhältnisse entwickelt worden war.36 In der Tat ist die Vorstellung einer Nation, die sich durch ihre nationale Kultur auszeichne und nicht durch einen Staat, eine typisch deutsche Erscheinung, die eng mit dem deutschen Idealismus und dem Neuhumanismus seit dem ausgehenden 18.

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Walbank (1951); Finley (1954). Die Debatte ist unter dem Gesichtspunkt von „Identität“ mit den Studien von Jonathan Hall – insbesondere Hall (1997) und Hall (2002) – wieder aktuell geworden; Vassopoulos (2015) erinnert aber zu Recht an die Beiträge der 50er Jahre, die zwar mit anderen Kategorien operierten, aber strukturell das gleiche Problem im Blick hatten – zur aktuellen Debatte um Panhellenismus und gesamtgriechische Identität s. u. S. 248–250. Walbank (1951) 41 mit Anm. 4. Walbank (1951) 44; Finley (1954) 263. Vgl. Meinecke (1911) spez. 1–20.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

Jahrhundert verbunden ist.37 Ein Gedichtfragment von Friedrich Schiller, das zur Jahrhundertwende entstand und später den Titel Deutsche Größe erhalten sollte, mag dies illustrieren. Zweifelnd fragt dort der Dichter, ob der Deutsche unter den Völkern noch selbstbewusst und stolz auftreten dürfe in Anbetracht der schmählichen militärischen Niederlagen der jüngeren Vergangenheit, um dann klar zu antworten: Ja er darfs! Er geht unglücklich aus dem Kampf, aber das, was seinen Werth ausmacht, hat er nicht verloren. Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen ruhte nie auf dem Haupt s. Fürsten. Abgesondert von dem politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Werth gegründet und wenn auch das Imperium untergienge, so bliebe die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur u: im Character der Nation, der von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist.38

Diese Vorstellung einer Nation, die jenseits des Politischen als „sittliche Größe“ in der Kultur wohne, ist zwar klar historisch bedingt, wirkte aber noch lange nach. Sie ist Teil dessen, was Herfried Münkler als den „Mythos des Deutschen Bildungsbürgertums“ bezeichnet hat: die Idee eines Volks von unpolitischen Dichtern und Denkern.39 Dabei erfährt Schillers Gegenüberstellung von Kultur und Politik gar nochmals eine Steigerung. Denn während Schillers Gedichtfragment mit der Hoffnung auf „ein neu lebendig Reich“ endet,40 also den Gegensatz von Politik und Kultur lediglich auf die eigene Gegenwart, nicht aber auf die Zukunft bezieht,41 sollte gut hundert Jahre später 37 38

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Zum Neuhumanismus s. Landfester (2001) sowie zum deutschen Bildungsbürgertum und der Weimarer Klassik als nationalem Mythos mit einer dezidiert antipolitischen Stoßrichtung Münkler (2009) 329–361. Friedrich Schiller, [Deutsche Größe], in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Hrsg. von Norbert Oellers. Bd. 2.1: Gedichte, Weimar 1983, 431–436; hier: 431. Vgl. dazu Meinecke (1911) 54–56 und zum darin manifesten kulturellen Überlegenheitsanspruch im Rahmen deutsch-griechischer Wahlverwandtschaft vgl. auch Landfester (1996) 34. Münkler (2009) 329–361. Friedrich Schiller, [Deutsche Größe] (wie o. Anm. 38) 436. Vgl. Münkler (2009) 342–344 zu dem Gedicht, der betont, dass „Schiller in beide Richtungen verstanden worden“ sei: sowohl als eine „Wendung ins Ästhetische als Vorübung, um mit besser ausgebildeten Fähigkeiten wieder in die Politik zurückzukehren“, wie auch als dauernder Rück-

4.2 Der Neuhumanismus und die griechisch-deutsche Wahlverwandtschaft

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Thomas Mann darin eine grundsätzliche Antithese erblicken. In seinen Betrachtungen eines Unpolitischen konzipierte er Kultur, Kunst und Ästhetik als Gegensatz zu Politik und Zivilisation und verband die unpolitische Kultur mit einer spezifisch deutschen Eigenart.42 Dabei konstruierte er eine Traditionslinie antipolitischer deutscher Kultur, die vom Goethe der Befreiungskriege über Nietzsche zu ihm selbst reichte.43 Die Konzeption einer besonderen Kultur, welche die deutsche ‚Nation‘ ausmache, war begleitet von einer hohen Wertschätzung des antiken Griechenlands, das als Ideal und Vorbild diente, und damit verbunden der Vorstellung einer griechisch-deutschen Wesensverwandtschaft. Diese ‚Wahlverwandtschaft‘, die eine im 18. Jahrhundert gesamteuropäisch zu beobachtende Idealisierung des antiken Griechentums in einen spezifisch auf den deutschen Kulturraum bezogenen Nationalmythos transformierte, ist gut untersucht;44 und es ist sicherlich nicht abwegig zu behaupten, dass die Selbstverortung deutscher Neuhumanisten im frühen 19. Jahrhundert den Blick auf das antike Griechenland nachhaltig prägte, dass sich also – transformationstheoretisch gesprochen – die ‚Kulturdeutschen‘ und die ‚Kulturgriechen‘ in einem ‚allelopoietischen‘ Prozess gegenseitig hervorbrachten.45 Um dies zu illustrieren, sei hier exemplarisch auf die Schriften Wilhelm von Humboldts verwiesen, dessen Konzeption von ‚Bildung‘ und die damit verbundene Institutionalisierung des Gymnasiums dem deutschen

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zug ins Ästhetische als „Alternative zum politischen Machtkampf “, aus dem sich die eigentliche Überlegenheit speise – wobei diese antipolitische Lesart für die bildungsbürgerliche Rezeption des „Mythos“ die entscheidende sein sollte (ebd. 343 f.). Mann (1983) [Erstausgabe 1918]. Exemplarisch sei hier auf prägnante Formulierungen zum Kontrast von deutscher Kultur und Bildung gegen die politische Zivilisation insbesondere französischer Prägung in der Vorrede hingewiesen: „Der Unterschied von Geist und Politik enthält den von Kultur und Zivilisation, von Seele und Gesellschaft, von Freiheit und Stimmrecht, von Kunst und Literatur; und Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur“ (ebd. 31). Den hier interessierenden Kerngedanken findet man besonders ausgeprägt in der Abhandlung „Politik“, wo klar konstatiert wird: „Politik ist das Gegenteil von Ästhetizismus“ (ebd. 222). Gerade die Deutschen seien eben nicht (oder zumindest bis vor kurzem nicht) politisch, denn „[d]ie deutsche Nation kann keinen Charakter im Sinne der anderen Nationen haben, da sie sich durch Literatur, durch Vernunftbildung zu einem Weltvolk geläutert hat, in welchem die ganze Menschheit ihren Lehrer und Erzieher anzuerkennen beginnt“ (ebd. 243); folglich gibt es einen „Gegensatz von Deutschtum und politischem Wesen“ (ebd. 261). So betont Mann (1983) 263 f., dass der „Gegensatz von Deutschtum und Politik“ ein „nationale[r] Gegensatz“ sei, der „schon 1813 von Goethe, 1848 von Schopenhauer, nach 1871 von Nietzsche gegen die Leidenschaft der politisierenden Massen vertreten wurde und der auch noch heute in Kraft bleibt“ – Mann selbst sieht sich also durchaus in einer geistesgeschichtlichen Tradition, die auf die Befreiungskriege zurückgeht. Dazu grundlegend Landfester (1996); vgl. auch Rüegg (1978) und Rüegg (1985); Münkler (2009) 338. Zum Konzept der Transformation, wie sie im SFB 644 entwickelt wurde, und dem Begriff der Allelopoiese, welche die wechselseitige Bedingtheit von Aufnahme- und Referenzkultur beschreibt, s. einführend Böhme (2011).

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

Griechen-Mythos eine erhebliche Nachwirkung weit über den historisch bedingten Anlass seiner Entstehung hinaus bescheren sollte.46 Die Griechenbegeisterung ist in Humboldts Schriften zur Altertumskunde auf fast jeder Seite zu greifen: „Die Griechen sind uns nicht bloß ein nützlich historisch zu kennendes Volk, sondern ein Ideal“, beginnt er seine Abhandlung Über den Charakter der Griechen.47 „Der eigenthümliche Vorzug der Griechen“ sei es, „als Nation das höchste Leben darzustellen“.48 Ganz ähnlich klingt es in seiner Schrift Über das Studium des Altertums, wo hervorgehoben wird, ein „vorzüglicher charakteristischer Zug der Griechen“ sei „die hohe Ausbildung des Schönheitsgefühls und des Geschmaks und vorzüglich die Ausbreitung dieses Gefühls unter der ganzen Nation.“49 Diese Ausbildung bildet aber nicht nur die Nation als solche, sie führt auch das Individuum gleichsam zu sich selbst: Sie ist es, „die das ganze Wesen des Menschen, wie es an sich beschaffen sein möge, erst gleichsam in Eins vereint, und ihm die wahre Politur und den wahren Adel ertheilt.“50 Adel durch Bildung und nationale Identität durch Kultur – die Ingredienzen zum griechischen Kulturadel waren damit angerührt. Doch auch die unästhetische Staatsversessenheit der Römer findet bei Humboldt Vorläufer. Denn die Idealisierung der Griechen geht einher mit einer massiven Abwertung der Römer: „Insofern antik idealisch heisst“, so Humboldt in der Abhandlung Über den Charakter der Griechen, „nehmen die Römer nur insofern daran Theil, als es unmöglich ist, sie von den Griechen zu trennen.“51 In der Schrift Die Geschichte des Verfalls und Unterganges der griechischen Freistaaten wird dies weiter ausgeführt. Rom habe zur „Ausbreitung“ und „politischen Gründung“ des griechischen Erbes beigetragen, meint Humboldt und fügt hinzu: „so bildete Rom in vielfacher Hinsicht immer den Körper, dem Griechenland die Seele einhauchte.“52 Nach dem Untergang Roms sei dann beides unter dem „Namen des klassischen Alterthums vereint“ auf die neuere Zeit übergegangen. Lange habe man nicht richtig zwischen dem griechischen und dem römischen Geist zu unterschieden gewusst und, so klagt Humboldt, „noch jetzt [werden] beide verwechselt.“ Allerdings nicht überall, denn: Die Deutschen besitzen das unstreitige Verdienst, die Griechische Bildung zuerst treu aufgefasst, und tief gefühlt zu haben; zugleich aber lag in ihrer Sprache schon vorgebildet das geheimnisvolle Mittel da ihren wohltätigen Einfluss weit über den Kreis der Gelehrten

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Dazu Landfester (1996) 211–215 und generell zum nationalen Mythos des Bildungsbürgertums Münkler (2009) 329–361. Generell zu Humboldt und seiner Bedeutung für das Bürgertum und das von ihm (mit-)geprägte idealisierte Griechenbild s. Rebenich (2015) sowie weitgehend ähnlich: Rebenich (2009) und Rebenich (2010). Humboldt (o. J.) 65. Humboldt (o. J.) 65; vgl. Humboldt (1807) 102. Humboldt (1793) 19. Humboldt (1793) 19. Humboldt (o. J.) 66. Humboldt (1807) 86.

4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels

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hinaus auf einen beträchtlichen Theil der Nation verbreiten zu können. Andre Nationen sind hierin nie glücklich gewesen […]. Deutsche knüpft daher seitdem ein ungleich festeres und engeres Band an die Griechen, als an irgend eine andere, auch bei weitem näher liegende Zeit oder Nation.53

Die Wahlverwandtschaft der deutschen Kulturnation ohne Nationalstaat mit den idealisierten Griechen, in denen man die eigene Befindlichkeit viel besser als in den militärisch erfolgreichen und politisch geeinten Römern gespiegelt sah, schuf überhaupt erst die Rezeptionshaltung, die der Konzeptualisierung eines außerstaatlichen griechischen Kulturadels Plausibilität verleihen konnte. Sie erklärt auch, weshalb diese Konzeption vorrangig in der deutschsprachigen Forschung begegnet, während ein so gearteter ‚Adel‘, wie gezeigt, in England und Frankreich offenbar weitaus weniger plausibel erschien. 4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels Die Verwissenschaftlichung der Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert hatte, wie Manfred Landfester es treffend formulierte, einen paradoxen Effekt. Denn „[d]ie Wissenschaft vom Altertum und das Gymnasium entzauberten und banalisierten durch ihr Tun den Mythos von der Wahlverwandtschaft, dem sie wesentlich ihre Entstehung und einzigartige Stellung im 19. Jahrhundert verdankt hatten.“54 Man darf daher die Auswirkung des Neuhumanismus auf die tatsächliche Forschungspraxis nicht über53

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Humboldt (1807) 87. Zu dieser Wahlverwandtschaft bei Humboldt s. Rebenich (2015) 309–311 sowie Rebenich (2010) 33–35 und Rebenich (2009) 110–112. Zur deutsch-griechischen Wahlverwandtschaft als Topos vgl. noch Wilhelm (1935), der seine Sichtung des Griechentums in der französischen Literatur damit beginnt, dass er bemerkt, dass es Deutsche tendenziell überrasche, dass das Griechentum in den letzten 50 Jahren in Frankreich eine Rolle spiele, „weil bei uns […] die Überzeugung vorherrscht, dass die deutsche Dichtung, ja der deutsche Geist überhaupt mit dem griechischen kongenial sei, dass aber die Franzosen als das ‚lateinische Volk‘ von vornherein und in jeder Beziehung dem Römertum zuneigen.“ (ebd. 616). Folgerichtig knüpft er an die zunehmende Vorliebe der Franzosen für das Griechentum denn auch Hoffnungen auf eine künftige Annäherung an die Deutschen: „Vielleicht führt über dieses erneute und vertiefte Griechentumserleben und -gestalten der französischen Dichtung von heute ein schmaler, aber zukunftsreicher Pfad zum Verständnis unserer großen deutschen Dichter […]“ (ebd. 647), um dann auf das Potential eines deutsch-französischen Verständnisses des Griechentums zu verweisen, hätten doch die Deutschen „das Wesenhafte, das Seelische, das Urtümliche“ des Griechentums „von jeher am tiefsten erfühlt“, während die Franzosen „das Gemeinschaftsbildende, das Erzieherische und Politische“ „schon immer viel intensiver auf sich [haben] wirken lassen als bisher wir Deutsche“ (ebd. 648). Der Aufsatz schließt mit dem Verweis auf Werner Jägers „Paideia“, die genau unter diesen das Wesenhafte und das Politisch-Pädagogische verbindenden Vorzeichen, anders „als der Humanismus herkömmlicher Art“ den Auftakt zu einem „blutvolleren Antikeerleben“ darstelle (ebd.). Landfester (1996) 217.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

schätzen und es ist sicherlich verfehlt, pauschal von einem Sonderweg der deutschen Forschung zu sprechen – vieles gleicht dem, was in England und Frankreich geschrieben wurde. Doch gerade in den Werken, die keine radikale Quellenkritik betrieben, sondern einen gewissen Hang zur Spekulation zeigten, wirkten das neuhumanistische Griechenbild und die in ihm angelegten Kategorien lange nach. Bezeichnenderweise sind es denn auch gerade diese Werke, die ein breites Publikum fanden und denen ein Nachleben weit über das 19. Jahrhundert hinaus beschieden sein sollte. Im 1857 erschienen ersten Band seiner Griechischen Geschichte widmete Ernst Curtius der „griechischen Einheit“ ein ausführliches Kapitel.55 Gleich zu Beginn wird festgehalten, dass „das griechische Volksthum […] wesentlich auf einer gewissen Cultur“ beruhte.56 Doch diese gemeinsame Kultur wird sehr konkret lokal und zeitlich verortet: Im delphischen Orakel sah der spätere Ausgräber von Olympia „den geistigen Mittelpunkt der Hellenen.“ In Anbetracht der „zunehmenden Zersplitterung der Nation“ war dieses Heiligtum die verbindende Klammer: „In seinen Satzungen fand das Nationalbewußtsein, das mit dem Fortschritte der Bildung immer schärfer und bestimmter sich ausbilden mußte, seinen einzigen Ausdruck.“57 Im Folgenden hebt Curtius nicht nur die Rolle der Religion hervor, sondern auch die der gesamtgriechischen Wettkämpfe beziehungsweise „Nationalfeste“, die verbunden mit der ausgeprägten Wettkampfethik wesentlich zur Entwicklung der „hellenischen Volksbildung“ beigetragen hätten.58 Allerdings betont er auch, dass im Wettkampf allein nicht die griechische Eigenart begründet liege – das gäbe es auch bei anderen Völkern –, sondern darin, dass man nicht um materielle Preise gekämpft habe.59 Damit sieht er die zentrale Rolle der Religion bestätigt, denn: „Diese höhere Auffassung verdankte man aber der Religion, welche die Nähe des Gottes und den Vorhof seines Tempels nicht durch ein Kämpfen um gemeinen Gewinn entweiht sehn wollte.“60 Der zentrale Einfluss Delphis beschränkt sich bei Curtius jedoch nicht darauf, dass es den agonalen „Nationalfesten“ den religiösen Rahmen gab, sondern als Orakelstätte und Kommunikationszentrum wird Delphi als Urheberin nahezu sämtlicher Kultur-

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Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 383–460. Es wird hier bewusst die erste Auflage zitiert, da das (gemäß den Editoren der JBW) jene Version war, die Jacob Burckhardt später benutzt hatte. Zu Curtius allg. s. Christ (1979) 68–83, spez. 75–79 zur Griechischen Geschichte sowie (mit einer differenzierteren Würdigung) Christ (1996) 123–137. Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 383. Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 397. Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 403–412. Der explizite Verweis auf die „Bildung“ bietet 408: „So entwickelte sich also der Begriff hellenischer Volksbildung, welcher mehr als alles Andere die Griechen von den Barbaren alter und neuer Zeit unterscheidet; der Begriff einer Bildung, welche Leib und Seele in gleichem Maße umfasste.“ Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 404: „Das also war die Veredlung und die sittliche Verklärung, welche die Idee des Wettkampfes bei den Griechen erhalten hatte, daß die Gewinnsucht und jeder schnöde Eigennutz ferngehalten wurde.“ Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 404.

4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels

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leistungen angesehen. Das beginnt mit der zentralen Rolle Delphis als steuernde Instanz, die als eine Art „höhere Intelligenz“ die „Colonisationstriebe der Hellenen“ in die „richtigen Bahnen“ lenkte.61 Dadurch habe das Orakel und die delphische Priesterschaft eine zentrale Rolle als nationales Wissenszentrum erlangt – mit weitreichenden Folgen: [S]o bildete sich in ihrer Mitte nothwendig das Rechnungs- und Schriftwesen frühe zu großer Vollkommenheit aus, so daß sie auch in dieser Beziehung auf die Förderung der griechischen Cultur einen bedeutenden Einfluß haben mußten.62

Wenn ausgeführt wird, wie sich das Orakel um den „Nutzen der nationalen Bildung“ bemühte und mit den „weisesten Männern“ in Verbindung trat, die es gewissermaßen als „geistige Aristokratie“ um sich versammelte,63 so wird sehr deutlich, wie stark die Darstellung vom neuhumanistischen Bildungsideal geprägt ist.64 Doch das Ideal ist – zumindest in dieser spezifischen Ausprägung – zeitlich klar begrenzt: Zwar sollte der „Geist von Delphi“ noch lange nachwirken (und erst in den einzelnen „Staaten“, vorab im perikleischen Athen, siedelte Curtius die eigentliche Blüte und den Höhepunkt der griechischen Geschichte an), doch die zentrale Rolle des Orakels sei seit dem sechsten Jahrhundert im Niedergang begriffen gewesen65 – eine direkte Folge des Aufstiegs der Poleis, denn: Die Macht von Delphi mußte in demselben Grade zurückgedrängt werden, wie die Einzelstaaten eine volle Unabhängigkeit von jeder priesterlichen Bevormundung und eine volle Staatshoheit für sich in Anspruch nahmen.66

Damit ist ein wirkungsmächtiges Narrativ für jene Zeit, die später als Archaik gefasst werden sollte, abgesteckt: Delphi als ‚autonome Intelligenz‘, als eigene und einigende Autorität jenseits der fragmentierten Kleinstaaten.67

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Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 412 ff., spez. 414: „Es war eine ihrer [der delphischen Priesterschaft] wichtigsten Aufgaben, alle Welt- und Völkerkunde, welche irgend erreichbar war, bei sich zu vereinigen und sich so in Stand zu setzen, dem Colonisationstriebe der Hellenen die richtigen Bahnen anzuweisen und durch weise Leitung unnützer Kraftvergeudung und einer gefährlichen Zersplitterung vorzubeugen. Man braucht nur die Geschichte der Colonien zu verfolgen, um die höhere Intelligenz, welche hier gewaltet hat, deutlich zu erkennen.“ Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 418; dazu dann im Einzelnen: 418–452. Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 425. So meint auch resümierend Christ (1979) 83: „[I]n Curtius kumuliert eine unpolitische, ästhetisierende und idealisierende Auffassung der griechischen Geschichte, die weithin in der Tradition Winckelmanns und Humboldts steht.“ Das Urteil, obschon nicht unbegründet, spiegelt jedoch, wie Christ (1996) 126 durchaus selbstkritisch hervorhob, sehr stark die von eigenen Profilierungsinteressen geleitete Rezeption der nachfolgenden Forschergeneration und wird den Facetten in Curtius’ Werk nur z. T. gerecht; vgl. die ausführliche Würdigung der Griechischen Geschichte bei Christ (1996) 123–137. Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 458–460. Curtius (1857–1869) Bd. 1 (1857) 458. Zur Rolle Delphis und der – analog konzipierten – Aisymneten als „freie Intelligenz“, die als politische Autorität jenseits und unabhängig der sich ausbildenden ‚Staaten‘ fungieren, s. Heuss (1946)

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

Mindestens so wirkungsmächtig sollte jedoch das Konzept des Wettkampfs sein, das in der Griechischen Geschichte als ein einigendes Moment unter anderen hervorgehoben wird, das Curtius aber in einer Preisrede im Jahr 1856 als eigenes Thema genauer erörterte.68 Dabei wird der Wettkampf zum Charakteristikum der Griechen erhoben und zwar erneut mit dem Hinweis, dass es – anders als bei den Orientalen – eben nicht um „einen bestimmten Besitz“ gehe, sondern um den Wettkampf als solchen.69 Materieller Gewinn und Wohlstand dagegen, obschon er ein Produkt des Wetteifers sein könne, berge den „Keim der Entartung“, wie Curtius warnend am Beispiel der ionischen Städte Kleinasiens ausführt. Denn diese seien „dem Principe des hellenischen Lebens untreu [geworden]; der Wetteifer erschlaffte, die Spannkraft erlahmte in trägem Wohlbehagen des Genusses.“70 Den Wetteifer zwischen den griechischen ‚Staaten‘ sieht Curtius durchaus kritisch, spricht von „Bürgerkrieg“ und sieht darin den Niedergang Griechenlands begründet.71 Im Bereich der Politik und der ‚Staaten‘ sei der Wettkampf destruktiv ausgeartet, was die überzeitliche Vorbildlichkeit der Griechen in diesem Bereich stark einschränkt. Die wahre Vorbildhaftigkeit des griechischen Wetteifers liegt anderswo, denn, so Curtius: Lauterer und wohlthätiger ist der Wetteifer auf dem Gebiete geblieben, auf welchem Alle bereit sind der Hellenen volle Bedeutung anzuerkennen […] in Kunst und Wissenschaft [sind sie] bis heute die Gesetzgeber geblieben.72

Kausal werden diese Errungenschaften durch den spezifisch griechischen Geist des Wettkampfs erklärt, der allen anderen Völkern als Ideal und Vorbild dienen solle – und wie schon Humboldt sieht auch Curtius eine enge Wesensverwandtschaft zwischen Griechen und Deutschen:

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59–61 und dann v. a. die zahlreichen Arbeiten von Christian Meier etwa besonders nuanciert bei Meier (1987). Curtius (1875); gehalten wurde die Rede am 4. Juni 1856. Curtius (1875) 134. Vgl. auch Ebd. 141: „Je deutlicher sich die Hellenen in ihrem Volksbewußtsein von den Barbaren unterscheiden lernten, um so lauterer und eigenthümlicher haben sie die Idee des Wettkampfes entwickelt […]. Die Werthpreise verschwinden, damit Keiner, den schnöder Gewinn anlockt, an den heiligen Schauspielen sich betheilige.“ Es folgt ein längeres Lob auf den rein symbolischen Kranz, nach dem sich das edle Streben der Hellenen richtete, um dann auf 146 erneut festzuhalten, dass es nicht um „Gewinn und Besitz, Ehre und Einfluß oder eiteln Sinnesgenuß“ gegangen sei, sondern um einen „Wetteifer, welcher in der freien Entfaltung aller Kräfte, im selbstverläugnenden Streben nach dem höchsten Ziele seine volle Befriedigung findet.“ Curtius (1875) 136. Curtius (1875) 137 f., spez. 138: „Auch Athens Ehrgeiz, so edler Quelle er entsprungen war, ist zur rücksichtslosesten Herrschsucht ausgeartet, und so ist die vom Wetteifer entfachte Flamme der Begeisterung ein Feuer geworden, das im Brande des Bürgerkriegs die Blüthe der Staaten frühzeitig vernichtet hat.“ Curtius (1875) 138.

4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels

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Man hat den Deutschen wohl die Ehre erwiesen, ihnen ein besonderes Verständniß des hellenischen Wesens zuzutrauen. Gewiß ist, daß unser Volk in seiner ganzen Entwickelung durch eine Reihe wichtiger Analogien auf die Geschichte der Hellenen hingewiesen ist. Die Geschichte beider Völker ist nicht nur aus der ihrer Stämme erwachsen, sondern hat den Charakter einer solchen länger festgehalten, als bei anderen Völkern der Fall ist. In Hellas wie in Deutschland hat sich das lebendige Sonderbewußtsein der Stämme gegen den Abschluß einer ausgleichenden Staatsordnung gesträubt und alle Versuche vereitelt, die gemeinsame Volksthümlichkeit in allgemein gültigen und dauerhaften Staatsformen auszuprägen. Hier wie dort ist die nationale Einheit ein geistiger, ein innerlicher Besitz geblieben, eine über den einzelnen Stämmen und Staaten schwebende Idee. Um so mehr ist die geistige Verwirklichung derselben ein Gegenstand des Wetteifers geworden, indem von den begabteren Stämmen jeder nach seiner Weise in Glauben und Sitte, in Kunst und Wissenschaft das nationale Bewußtsein auszubilden gestrebt hat, und was in diesem großen Wettkampfe der Kräfte Gutes und Schönes gelungen ist, das ist bei den Deutschen wie bei den Griechen des ganzen Volkes Gesamtbesitz geworden, und wer kann verkennen, wie viel auch unsere Bildung, unsere Litteratur diesem Wettkampfe verdankt.73

Von Ernst Curtius lässt sich eine direkte Linie zu Jacob Burckhardt ziehen. Die beiden waren befreundet und Burckhardt hat Curtius’ Schriften nicht nur rezipiert, sondern offenbar auch sehr geschätzt. Seine posthum erschiene Griechische Culturgeschichte ist allerdings in mancherlei Hinsicht eine pessimistische Abkehr vom idealisierten Griechenbild Curtius’.74 Besonders deutlich wird dies in seinem Kapitel zur „Einheit der griechischen Nation“, wo die verbindende Rolle des Mythos gegenüber der Religion hervorgehoben, vor allem aber Delphi in einer berühmten Formulierung als „das große monumentale Museum des Hasses von Griechen gegen Griechen“ bezeichnet wird75 – was eindeutig als Spitze gegen Curtius gesehen werden muss.76 In anderen Bereichen gibt es jedoch klare Übereinstimmungen. Das betrifft insbesondere Curtius’ Konzept eines weitgehend zweckfreien Wettkampfs um seiner selbst willen, der bei Burckhardt als „das Agonale“ zu einem zentralen Wesenszug der Griechen verklärt wird und aus dem heraus er – ohne Rückgriff auf Delphi und die Religion – das Zusammenwachsen der griechischen Kultur erklären zu können glaubte.77 Zentral in Hinblick auf den ar-

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Curtius (1875) 144 f. Zum Verhältnis s. Christ (1996) 123–143; Murray (2006) 251–253; zu Burckhardt im Kontext der Altertumswissenschaften seiner Zeit s. Weiler (2006b) mit weiterer Literatur und generell zu Burckhardt und der Griechischen Culturgeschichte Burckhardt (2010). Burckhardt (2002) 219–237; Zitat: 233. Zu Burckhardts Verhältnis zu Curtius s. Christ (1996) 138–141. Burckhardt (2002) 236 setzt sich nochmals deutlich ab von dem nicht namentlich genannten Curtius, indem betont wird, dass „die griechische Religion […] unmöglich das eigentliche Band der Nation sein [konnte]“ und stattdessen auf den Mythos verwiesen wird; auf 237 wird dann auf die „Einheit der Bildung“ und die „Cultur“ verwiesen sowie auf die gemeinsame Sprache, um dann die

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

chaischen Adel ist jedoch, dass bei Burckhardt dieses trotz aller antiklassischen Reflexe stark vom neuhumanistischen Idealismus geprägte Konzept des ‚Agonalen‘ eng mit einem Adel assoziiert wird, beides eine ‚nationale‘, panhellenische Dimension erhält und klar in jene Zeit datiert wird, die später als Archaik gelten sollte. Im ersten Band der Griechischen Culturgeschichte ist der „Aristokratie“ ein eigenes Kapitel gewidmet.78 Diese Aristokratie folgte unmittelbar auf das Königtum und habe nach Burckhardt „drei oder vier Jahrhunderte hindurch die Gewalt in den Händen gehabt.“79 Die späteren Griechen hätten von dieser Zeit keine richtige Vorstellung mehr gehabt, denn, so Burckhardt, „die unsicheren Oligarchien in einzelnen Staaten des IV. Jahrhunderts, das konnte die eher irre machen an der Erkenntniß der alten Aristokratie.“80 Damit ist auch klar, dass Aristoteles für diese Fragen kein verlässlicher Zeuge war, denn: „Diejenigen Aristokratien welche Aristoteles noch lebendig sah, waren nicht altüberlieferte, sondern temporäre Oligarchien […].“81 Diese späteren Oligarchien unterscheiden sich aber von den ‚echten‘ Aristokratien der Frühzeit nicht nur durch ihre materialistische Gewinnsucht,82 sie sind auch ein lokal begrenztes, auf einzelne Poleis bezogenes Phänomen. Das macht schon Burckhardts Sprachgebrauch deutlich: Die „Aristokratie“ der Frühzeit steht immer im Singular, während die späteren „Oligarchien“, selbst dort, wo sie mit Verweis auf Aristoteles als „Aristokratien“ bezeichnet werden, immer im Plural stehen. Die späteren Oligarchien verlieren sich also als Pluralbegriff in lokal zersplitterter Kleinstaatlichkeit, während die ursprüngliche Aristokratie ein gesamtgriechisches Phänomen im Singular war. „[D]er Adel“, so Burckhardt, „fühlte sich wie einen gemeinsamen höheren Stand der Nation.“83 Die „Nation“ jenseits des Staates wird hier also an einen konkreten „Stand“ gekoppelt und damit gewinnt das Bild des „außerstaatlichen“ Kulturadels an Kontur. Die panhellenischen Wettkämpfe, die bei Grote noch in keiner direkten Beziehung zu einem Adel stehen, werden nun direkt auf diesen „Stand der Nation“ bezogen: Das

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Triebfeder dieser Gemeinsamkeiten hervorzuheben: „Endlich war das ganze griechische Wesen von derjenigen Kraft belebt, welche wir als das agonale im weitesten Sinne des Wortes werden kennen lernen.“ Zum „Agonalen“ und der anzunehmenden Beeinflussung Burckhardts durch Curtius s. v. a. Weiler (1975) 203–205 und Weiler (2006a) 81–95; auch bei Nietzsche, spez. Nietzsche (1988) finden sich ähnliche Gedanken; Weiler (1975) 205–208 geht davon aus, dass Nietzsche hier von Burckhardt beeinflusst wurde: Klar ist, dass Burckhardt sein Colleg bereits vor den entsprechenden Schriften Nietzsches hielt und dieser, obschon von Burckhardt nicht zugelassen, sich über den Inhalt der Vorlesungen interessiert informierte. Burckhardt (2002) 135–139. Burckhardt (2002) 136. Burckhardt (2002) 133. Burckhardt (2002) 139. Vgl. Burckhardt (2002) 139; die Aristokratien dagegen basieren zwar auf Grundbesitz, doch – und das ist entscheidend – „beweglichen Besitz zu erwerben und für sich allein nutzbar zu behaupten, verstanden und bezweckten die Aristokraten nicht“ (ebd. 135). Burckhardt (2002) 136.

4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels

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Auftreten bei panhellenischen Wettkämpfen war nach Burckhardt ein „Höhepunct“ des aristokratischen Lebens. Ferner hebt er die „reiche Fülle von bevorzugten Einzelmenschen“ hervor, die aus den einzelnen „aristokratischen Staaten“ hervorgegangen seien und „zusammen das Ideal des griechischen Lebens ihrer Jahrhunderte verwirklichten. […] Mit ihnen beginnt im Großen dasjenige agonale Wesen, derjenige Wettstreit unter Gleichen, welcher dann in zahllosen Gestaltungen das ganze Thun der Hellenen durchzieht.“84 Prominent wird auch jene Anekdote hervorgehoben, von der hier schon öfters die Rede war und die bei Burckhardt die Quintessenz des archaischen Adels zeigt: Der ganze Ton dieses Lebens wird anschaulich gemacht durch die köstliche herodoteische Erzählung von der Werbung um Agariste, deren Vater Kleisthenes von Sikyon nach einem Viergespannsieg in Olympia hatte ausrufen lassen, er werde seine Tochter dem Trefflichsten der Griechen zum Weibe geben; an den Dreizehn, welche sich einfanden, lernt man nun die damalige Trefflichkeit in verschiedenen Schattirungen kennen.85

Die Prominenz der Anekdote erklärt sich sicherlich auch damit, dass es ansonsten nicht sehr viele Quellen gibt.86 Denn wie Burckhardt selbst einräumt: „Wie weit das damalige Geistesleben der Nation von diesem Adel gepflegt wurde, ist im Einzelnen nur unvollständig nachzuweisen […].“87 Doch dass zwischen dem „Geistesleben der Nation“ und dem „Adel“ ein Bezug bestand, daran zweifelt Burckhardt nicht, denn der „Adel aber war nicht bloß eine politische sondern eine sociale Macht und dieß wirkte noch lange nach im späteren Griechenthum, als von dem Adelsstaat längst kein Stein mehr auf dem anderen stand. Das große Vermächtniß der aristokratischen Periode an die Nation war die Kalokagathie […].“88 Dabei hebt er hervor, dass der Begriff sowohl eine ästhetische wie auch eine materielle Komponente umfasse: Das Schöne wird verbunden mit den agathoi, den „Vornehmen und Reichen […] im Gegensatz zu den Geringen“ – die Bemühungen späterer Philosophen, dem Begriff unter dem Einfluss der Demokratie eine neue, auf innere Werte bezogene Wendung zu geben, habe nicht durchgeschlagen; „der Glaube an das Geblüt behauptete sein Recht.“89 Es ist also das kulturelle Vermächtnis des ‚Adels‘ an die ‚Nation‘, das die Vorstellung plausibilisiert,

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Burckhardt (2002) 137. Burckhardt (2002) 137. Der Unterschied zu der Behandlung derselben Anekdote bei Grote (1849–1856) Bd. 3 (21849) 52 f. ist augenfällig: Der Engländer unterzog die Geschichte einer knappen aber präzisen Quellenkritik und schloss (ähnlich wie in der in dieser Arbeit vertretenen Deutung), dass die Heirat sicherlich einen wahren Kern darstelle, „but the lively and amusing details with which Herodotus has surounded it bear much more the stamp of romance than of reality“ (ebd. 52). Burckhardt (2002) 137. Burckhardt (2002) 136. Burckhardt (2002) 136. Ausführlich zur Kalokagathie bei Burckhardt s. Bourriot (1995) Bd. 1, 52– 62.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

dass es einen Adel in dieser Form gegeben haben müsse, auch wenn das „im Einzelnen nur unvollständig nachzuweisen“ ist. Damit ist das historische Narrativ abgesteckt: Es gab einen Adel, dessen Verdienst es war, der griechischen Nation einen besonderen, idealisierten Charakter zu geben. Doch dieser Adel ist ein Phänomen der Frühzeit, der nur noch durch Relikte in historisch hellerer Zeit zu erahnen ist. Der besondere Charakter dieser Frühzeit als einer eigenen Epoche, getragen von einem auf panhellenische Festspiele fokussierten, gesamtgriechischen Adel, zeigt sich besonders deutlich im vierten Band der Griechischen Culturgeschichte, wo Burckhardt seine berühmten Ausführungen zum „Agonalen“ ausbreitet. Wie schon bei Curtius ist auch bei Burckhardt die Zweckfreiheit des Wettbewerbs und das völlige Fehlen materiellen Gewinnstrebens zentral. Wie Christoph Ulf überzeugend dargelegt hat, ist darin ein bildungsbürgerliches Gegenkonstrukt zum Utilitarismus und zum homo oeconomicus zu sehen.90 Dieser „Agonale Mensch“, der zweckfreien Wettkampf betreibt, ist bei Burckhardt klar ein Phänomen der Frühzeit91 – auch wird nochmals explizit ausgeführt, dass es sich um eine aristokratische Kultur handelt, und die entscheidende Bedeutung hervorgehoben, welche die „Agonalstätten“ für die Entstehung der „hellenischen Nationalität“ hatten.92 Wie schon im ersten Band wird auf die Kalokagathie als „Distinctivum des Griechen in dieser Zeit“ verwiesen, wobei Burckhardt in einer Randnotiz explizit den Bezug zum Humboldt’schen Bildungsideal schlägt, indem er zur Erklärung des sittlichen Idealcharakters des Begriffs anmerkt: „vgl. in heutiger Zeit den Begriff ‚Bildung‘.“93 Diese Randnotiz unterstreicht auch den Wandel, den das Bildungsideal und damit auch der Blick auf die Griechen seit Humboldt durchlaufen hatte. Denn anders als Humboldt, der noch utopisch vom altphilologisch geschulten

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Ulf (2006); vgl. auch Ulf (2011b) sowie die Arbeiten von Ingomar Weiler: Weiler (1974), Weiler (1975), Weiler (2006a). Besonders deutlich wird dies bei Burckhardt (2012) 122–125, wo die Unverträglichkeit von Handel und Gewinn (wie ihn der „koloniale Mensch“ als Pendant zum „agonalen Mensch“ der Frühzeit verkörpert) mit dem Agonalen ausgeführt wird und auf die „kaufmännischen, nicht-agonal gesinnten obersten Classen“ der ionischen Städte (122) sowie Solon und Peisistratos (letzterer als Tyrann in Burckhardts Konzeption eine grundsätzliche Antithese zum freien Agon) aufgrund ihrer auf Gewerbe ausgerichteten Reformen explizit als „utilitaristisch“ bezeichnet werden (125). Das Kapitel „Der agonale und der coloniale Mensch“ [Burckhardt (2012) 74–170] steht als eigene Epoche zwischen dem „heroischen Menschen“ und dem „Mensch des V. Jahrhunderts“. Damit fasste Burckhardt jene Zeit als eigene Epoche auf, die später (wenn auch mit unterschiedlichen Anfängen) als Archaik bezeichnet werden sollte; dazu Murray (2006) spez. 253–260 sowie Burckhardt (2010) 556 f. und Most (1989) 11–13. Burckhardt (2012) 92. Besonders markant dann der stichwortartige Rückblick auf das Zeitalter vor dem 5. Jh. bei Burckhardt (2012) 171: „Im Staat: Aristokratie und daneben Tyrannis; Städtischer Adel und dessen Sitte. Hippotrophie, Gymnastik, das Ideal der Kalokagathie. Der ἀγὼν als Triebkraft in allen Beziehungen; Wille der Auszeichnung unter Seinesgleichen; die panhellenischen Agonen als Hauptlebensorgane der Nation.“ Burckhardt (2012) 82.

4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels

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„Tischler“ phantasieren konnte,94 ist sich Burckhardt des exklusiven Charakters von Bildung sehr wohl bewusst. Er sieht Bildung nicht primär (oder zumindest nicht nur) als Mittel, um den Menschen zu sich selbst zu führen, sondern vor allem als Distinktionsmerkmal, das eine elitäre Grundhaltung befördert95 – eine Beobachtung, mit der Burckhardt im ausgehenden 19. Jahrhundert keineswegs alleine war.96 Das Wissen über die Exklusivität der humanistischen Bildung in der eigenen Zeit schärfte sicherlich Burckhardts Blick für den aristokratischen Charakter, den er dem Pendant dieses Ideals in der Antike zuschreibt – ein Ideal freilich, das erst durch die Neuhumanisten und die von ihnen propagierte Bildung zu einem Ideal wurde. Greifbar wird bei Burckhardt auch der Ansatz zu einer Sozialgeschichte mit einer der Frühzeit eigenen ‚Gesellschaft‘. Denn die Aristokratie der vorklassischen Zeit bildete nach Burckhardt die „Gesellschaft“, wobei das Wort Gesellschaft im Manuskript unterstrichen ist.97 „Gesellschaft“ meint hier nicht die politisch verfasste, bürgerliche Gesellschaft im Sinne einer societas civilis sive politica, es ist aber auch kein wirklich ‚moderner‘ Gesellschaftsbegriff, sondern Burckhardt versteht „Gesellschaft“ in der Regel im durchaus traditionellen Sinn von „Geselligkeit“98 – und in der Frühzeit war diese Geselligkeit eben aristokratisch und agonal geprägt. An einer Stelle wird „Gesellschaft“ aber in einem ‚modernen‘ Sinn verwendet, indem explizit auf sozioökonomische Schichten rekurriert wird und historisch-kulturelle Veränderungen durch sozialen Wandel dieser Schichten erklärt werden. Denn als Burckhardt den Niedergang des Agonalen im fünften Jahrhundert beschreibt, beginnt er mit den Worten: Mit dem zunehmenden Eindringen der Demokratie verloren diejenigen Schichten der Gesellschaft, auf welchen thatsächlich der Agon sehr wesentlich beruht hatte, die Macht und oft auch ihren Reichthum; Pindar besingt bereits eine in starkem Sinken begriffene Gesellschaft.99

Damit ist Pindar der letzte Zeuge einer niedergehenden Gesellschaft, die als agonal geprägte (Adels-)Gesellschaft mit einer nationalen Kultur jenseits staatlicher Strukturen

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Humboldt (1809) 189: „Auch griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz seyn, als Tische zu machen dem Gelehrten.“ Vgl. Burckhardt (2012) 139 zum Exklusivitätsanspruch (in Hinblick auf die Verachtung bestimmter manueller Arbeiten), den Bildung „heutigen Tages“ vermittle, wobei „‚Bildung‘ […] gewisser Maßen die damalige Kalokagathie vertritt.“ Vgl. Hierzu Rüegg (1978) 103 und 105 (Rüegg spricht u. a. von einer deutschen „Mandarinenklasse“) mit Verweis auf Wilamowitz’ Rede zum Jahrhundertwechsel, wo von „Bildungshochmut und Bildungsheuchelei“ als „spezifisch deutsche Laster“ die Rede ist und das Maturitätszeugnis als der „neue Adelsbrief “ bezeichnet wird: Wilamowitz-Moellendorff (1901) 162 f. Burckhardt (2012) 80. Deutlich wird dies im Kapitel „Die Gesellschaft“ [Burckhardt (2012) 473–503], wo in Bezug auf das 4. Jh. Themen wie „Heiterkeit“, „Genußleben“, „Essen“ oder „Familie“ behandelt werden. Zum Gesellschaftsbegriff allg. s. Riedel (1975) sowie Nolte (2000) spez. 30–60. Burckhardt (2012) 233.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

zentrale Denkformen des Neuhumanismus spiegelt, nun aber klar mit jener Epoche assoziiert wird, die später als Archaik bezeichnet werden sollte. 1946 kommt der griechische Adel dann endgültig in der Archaik an: In seinem bereits verschiedentlich erwähnten, im doppelten Sinne ‚epochemachenden‘ Aufsatz Die archaische Zeit Griechenlands als geschichtliche Epoche definierte Alfred Heuss nicht nur die Archaik als eigene Epoche, sondern auch als Epoche mit einem ihr eigenen Charakter.100 Den Epochencharakter sah Heuss darin begründet, dass in jener Zeit die Griechen sich als Volk selbst erfanden, das heißt, überhaupt erst zu Griechen wurden. „Die Entstehung der griechischen Nation“, so Heuss, „ist einer der seltenen Fälle, bei denen sich die Bildung des Volkes nicht in Zusammenhang einer politischen Entwicklung vollzog.“101 Genau diese Entwicklung zeichne die Archaik aus, die so zu einer Epoche mit einer Mission wird. „Sie ist erfüllt von einer Aufgabe“, so Heuss’ Fazit, „der Bildung einer griechischen Gesellschaft, und vollzieht in ihr die Formung des griechischen Volkes.“102 Hier taucht nun auch der Begriff der Gesellschaft im modernen Sinn auf. Bei Heuss ist ‚Gesellschaft‘ nicht mehr bloße ‚Geselligkeit‘ und auch nicht mehr im Sinne der vormodernen ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ an eine politische Einheit gekoppelt, sondern wird getrennt vom ‚Staat‘ konzeptualisiert und kann Träger von Identitätskonstruktionen wie eben der einer griechischen ‚Nation‘ oder eines griechischen ‚Volkes‘ sein. Damit ist der Adel und die von ihm geprägte adlige Gesellschaft nun aufs Engste mit der Archaik als Epoche verbunden. Denn der „Adel“ ist für Heuss „das Rückgrat der Gesellschaft“ und, so fährt er fort, „[i]hn haben wir deshalb in erster Linie auch als den ‚sozialen Unterbau‘ der geistigen Vorgänge, die das griechische Einheitsbewußstein hervorbrachten, anzusehen.“103 Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, charakterisiert Heuss die politische Entwicklung der Archaik auf ihr Ende hin betrachtet als „ausgesprochen adelsfeindlich“.104 Die Entstehung einer ‚griechischen Gesellschaft‘, die ein panhellenisches Volksbewusstsein beflügelt, und die gleichzeitige Entstehung lokal begrenzter ‚Staaten‘ sind also beides Entwicklungen der archaischen Zeit. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ zwei getrennte Dinge seien und ‚Staaten‘ sich folglich losgelöst von und in der Tendenz gar gegen die ‚Gesellschaft‘ entwickeln können. Zu

100 Heuss (1946); vgl. dazu auch o. S. 19–21. 101 Heuss (1946) 29. 102 Heuss (1946) 62. Bemerkenswert ist die Dekonstruktion des Volksbegriffs, der – anders als in den rassisch motivierten Arbeiten Berves – weitgehend synonym zu „Nation“ verwendet und als konstruierte Identität konzeptualisiert wird; ganz anders noch Berve (1931), der zwar ein einheitliches griechisches „Volk“ sah, aber „Nation“ im Sinne eines Nationalstaates verstand und festhielt (ebd. 89): „Dass diese Einheit […] niemals eine politisch-nationale im modernen Sinne gewesen ist, und dass, will man griechische Geschichte begreifen, der Begriff der Nation am besten ganz aus dem Spiele bleibt, muß freilich mit Nachdruck betont werden.“ 103 Heuss (1946) 37. 104 Heuss (1946) 39; s. o. S. 162; vgl. auch o. S. 20.

4.3 Die Verzeitlichung des Ideals und die ‚Erfindung‘ des archaischen Kulturadels

183

Beginn der Archaik war das anders: „Staat und Politik jener Zeit“, so Heuss, „sind nahezu ein reines Derivat der gesellschaftlichen Stellung des Adels.“ Das bedeutet aber, wie er gleich nachschiebt, dass es „selbständige Staatlichkeit“ in dieser Zeit eigentlich nicht gegeben habe.105 Die Polis ist also etwas, was neu entsteht und sich von der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat, emanzipiert und sich in letzter Konsequenz gar gegen diese Gesellschaft richtet – obschon die einzelnen Akteure dieses Prozesses durchaus Adlige waren. Damit einher geht die Vorstellung, dass Politik nach einer anderen Logik funktioniere als jene Lebensbereiche, die das gesellschaftliche Leben jenseits des Politischen prägen. Besonders deutlich wird diese Denkfigur in einer sich über zwei Seiten erstreckenden Fußnote. Dort wendet Heuss sich gegen die Auffassung, dass das ‚Agonale‘ ein taugliches Konzept sei, die archaische Politik zu erfassen, und schließt mit der Bemerkung: „Es empfiehlt sich demnach, das agonale Prinzip als realen Grundsatz der griechischen Politik zu verabschieden.“106 Allerdings – und das ist entscheidend – sieht er die Agonistik durchaus als „eigenen Lebensbereich“, über dessen „zentrale Stellung […] im griechischen Dasein“ sich jedes Wort erübrige.107 Hier schließt sich der Kreis zu Jacob Burckhardt. Denn während Burckhardts posthum erschienene Griechische Culturgeschichte in der Fachwelt zuerst eher kritisch rezipiert wurde,108 bot das geistige Klima nach dem ersten Weltkrieg fruchtbaren Nährboden für die idealisierende und antimodernistische Konzeption des ‚Agonalen‘.109 Über das von Burckhardt geprägte Kunstwort des Agonalen lässt sich die Rezeption gut nachweisen – so begegnet der Gedanke bei Heuss’ Lehrer Berve,110 vor allem aber in der Dissertation von Hans Schaefer, einem weiteren Berve-Schüler, zu Staatsform und Politik, gegen deren Konzeption von Politik sich die besagte Fußnote in Heuss’ Aufsatz wohl primär richtete111 und die bereits von Victor Ehrenberg in einem stark an Burckhardt angelehnten Aufsatz zum

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Heuss (1946) 42. Heuss (1946) 57 f. Anm. 20 (Zitat: S. 58). Heuss (1946) 57. Anm. 20. Zu den kritischen Stimmen s. Weiler (2006b) 49–52. Insbesondere Helmut Berve spielte hierbei eine zentrale Rolle; vgl. zu dem von ihm beschworenen neuen Geist der Alten Geschichte und der Abkehr vom Historismus und Positivismus der Vorgängergeneration Rebenich (2001) spez. 464–466. In dieses generelle Klima gehört auch der sog. Dritte Humanismus um Werner Jaeger [dazu Landfester (1999)], dem Berve selbst freilich kritisch gegenüberstand. Vgl. Berve (1931) 145 f., wo auch explizit vom „agonalen Geist“ (ebd. 145) die Rede ist. Jahrzehnte später wurde der Gedanke dann mit explizitem Verweis auf Burckhardt und Nietzsche (nicht aber Curtius) als geistige Vorläufer nochmals aufgegriffen in Berve (1965). Schaefer (1932) spez. 175–178. Schaefer bezieht sich 175. Anm. 2 explizit auf Burckhardt und wie dieser sieht auch er im 5. Jahrhundert einen Wandel, denn dann „werden die Gegensätze unter den Griechen immer stärker ‚politisch‘ und künden damit das Nahen einer neuen Epoche“ (ebd. 178). Zur Bedeutung Schaefers für die Rezeption des „Agonalen“ (und zu Heuss’ Kritik) s. Weiler (2006a) 96 f., vgl. aber auch schon Ehrenberg (1935) 64 f. mit der kritischen Endnote gegen Berve und Schaefer auf S. 217.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

‚Agonalen‘ kritisiert wurde.112 Damit spitzt Heuss die bei Burckhardt angelegte Denkfigur weiter zu, indem das Agonale, das die adlige Gesellschaft prägt, zu einem gänzlich eigenen Bereich jenseits des Politischen wird – die Vorstellung der „exklusiven Kultur“ im „außerstaatlichen Bereich“, die von einem Adel getragen wird und eine nationale Einigung jenseits des Nationalstaates ermöglicht, ist damit voll ausgeprägt und explizit mit der Archaik als Epoche verbunden. In direkter Auseinandersetzung mit Alfred Heuss sollte dann wenig später Hans Schaefer in einem Aufsatz über Das Problem der griechischen Nationalität den Begriff der „Gesellschaftsnation“ prägen. Wie schon Walbank und Finley bezog sich auch Schaefer auf Friedrich Meineckes Unterscheidung von „Staatsnation“ und „Kulturnation“, hielt aber fest, dass die „gleiche soziopolitische Struktur, beruhend auf der Herrschaft des Adels und seiner Welt der Werte“, es eher rechtfertige, in Hinblick auf Griechenland von einer „Gesellschaftsnation“ zu sprechen.113 Damit ist die Denkfigur auf die Spitze getrieben: Eine gesamtgriechische Adelskultur verbunden mit einer adligen Gesellschaft führt zu einer „Gesellschaftsnation“ in dezidiertem Gegensatz zur „Staatsnation“. ‚Kultur‘ und ‚Gesellschaft‘ verschmelzen zu einer ‚nationalen‘ Einheit jenseits des ‚Staates‘. Von Hans Schaefer aus lässt sich dann eine direkte Genealogie zu den einflussreichen Arbeiten Christian Meiers und damit zur Gegenwart ziehen.114 Das Konzept eines panhellenischen Kulturadels ist zwar im deutschsprachigen Forschungsraum besonders ausgeprägt, aber nicht auf ihn beschränkt. Als mit den wichtigen Studien von Bourriot und Roussel der archaische ‚Adelsstaat‘ in der Forschung weitgehend verabschiedet wurde,115 wurde das idealistische deutsche Adelsbild in neuer Art anschlussfähig. Gerade weil die deutsche Forschung den ‚Adel‘ als staatsfernes Phänomen konzipierte, konnte dieser ‚Adel‘ den Tod des ‚Adelsstaats‘ problemlos überleben. Entsprechend tauchen Versatzstücke des deutschen Kulturadels auch außerhalb der deutschsprachigen Forschung in verschiedenen Arbeiten auf, die ‚Adel‘ und ‚Aristokratie‘ eben nicht als herrschende Klasse, sondern ganz in der deutschen Tradition als gesellschaftliches und kulturelles Phänomen konzipieren. So griff etwa Oswyn Murray in seinem einflussreichen Handbuch zu Early Greece für das Kapitel 112

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Ehrenberg (1935) spez. 81–85. Ehrenberg wandte sich explizit gegen Berve und Schaefer (s. Anm. o.), indem er mit Rekurs auf Burckhardt das ‚Agonale‘ nicht als zeitlos ansah, sondern die Blüte in etwa in der Zeit zwischen Homer und Pindar verortete. Gleichzeitig warnte er wie Heuss davor, das Agonale trotz seiner immensen Bedeutung zu überschätzen, und unterstrich insbesondere den letztlich dem Agon feindlichen Charakter der sich ausbildenden Poleis (dazu u. S. 224), womit er die zentralen Positionen Heuss’ bereits vorwegnahm. Schaefer (1963) 298. Vgl. mit zustimmender Bezugnahme auf das Adelsbild seines Doktorvaters Schaefer und der adligen „Gesellschaftsnation“ Meier (1980) 62. Als sehr bedeutsamen Teilaspekt des griechischen Adels findet sich die hier vorgestellte Denkfigur auch in der (von Christian Meier betreuten) Dissertation von Stein-Hölkeskamp (1989) 104–122 (auf S. 104. Anm. 2 mit zustimmendem Verweis auf die „beeindruckendste Schilderung“ dieser Verhältnisse bei Burckhardt). Bourriot (1976) und Roussel (1976); zur Bedeutung dieser Studien s. o. S. 22 f.

4.4 Perspektiven jenseits klassizistischer Anachronismen

185

zum aristokratischen Lebensstil116 explizit auf Burckhardt zurück und erklärt: „The period was best described by the greatest of all cultural historians, Jacob Burckhardt, as ‚the age of agonal man‘.“117 Panhellenische Agone, das Symposion und natürlich auch die Hochzeit der Agariste finden sich dann alle dort versammelt und bilden die – jenseits der Polis – situierten Räume, in denen sich diese aristokratische Kultur abgespielte habe. Kulturalistische Ansätze der 1990er Jahre pflegen ebenfalls das Bild einer elitären Kultur, die abgelöst beziehungsweise in einer Antithese zu den sich formierenden Poleis zu denken sei. So schreibt etwa Leslie Kurke mit Verweis auf die Arbeiten Murrays kombiniert mit Ian Morris’ Modell einer „middling“ und einer „elitist ideology“: Like the long-distance links of xenia, the private drinking club constituted itself as an alternative ‚imagined community‘ that challenged and competed with the order of the city.118

Die Dichotomie zwischen der durch politische Institutionen definierten Polis und einer dazu in Opposition stehenden elitären „imagined community“ begegnet also auch hier und beschwört ein ganz ähnliches Bild eines ‚Adels‘ beziehungsweise einer ‚Elite‘ herauf, die eben nicht eine politisch herrschende Aristokratie ist, sondern ein von den politischen Institutionen der Polis geschiedenes gesellschaftlich-kulturelles Phänomen. 4.4 Perspektiven jenseits klassizistischer Anachronismen Dieser längere forschungsgeschichtliche Exkurs war notwendig, um eine für die Konzeption des archaischen Adels zentrale Denkfigur kritisch aufzuarbeiten, nämlich die Konzeption des archaischen Adels als eine über eine agonale Kultur definierte, panhellenische Gesellschaft, die sich jenseits des Politischen konstituiert und weitgehend unabhängig von den politischen Institutionalisierungen einzelner ‚Staaten‘ existieren kann. Die Problematik dieses Bildes liegt in der Trennung von ‚Staat‘ und ‚Gesellschaft‘ und der Reduktion des ‚Adels‘ auf letztere. Dennoch hat diese historisch bedingte Sichtweise der deutschen Althistorie auf die Archaik klare Meriten. Denn auch wenn man diesen Blick aus einer spezifischen Rezeptionshaltung heraus erklären muss, so ist doch nicht alles an diesem Bild modernen Projektionen geschuldet: Der 116 117

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Murray (1993) 201–219. Murray (1993) 202. Murray gibt der Geschichte jedoch einen leicht anderen Dreh: Durch die Hoplitenrevolution habe der Adel die militärische Sphäre als Bewährungsfeld verloren und habe daher seine Aktivitäten in den Bereich des Sports verlagert und zwar „at an international level“ (ebd. 202 f.). Kurke (1999) 17. Die Argumentation ist nicht immer hinreichend klar, so stimmt Kurke zwar Morris insofern zu, als sie die „middeling“ und „elitist tradition“ als innerelitäres Phänomen ansieht, legt dann aber nichtsdestotrotz eine direkte Opposition einer „aristocratic elite“ und der „polis“ ihrer Argumentation zugrunde; vgl. Kurke (1999) 32.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

Fokus auf den panhellenischen Raum und die Agone als eigenes Feld der Bewährung jenseits der Polis ist in dieser Konzeption viel deutlicher ins Bewusstsein gerückt als in jenen Untersuchungen, die in den Spuren von Aristoteles den Blick weitgehend auf der Polis und den dortigen Herrschaftsverhältnissen belassen haben. Es geht jedoch darum – und hierfür ist die Kenntnis der Genese dieses Bildes zentral –, potentiell anachronistische Konzeptionen zu erkennen und durch analytisch präzisere Instrumente zu ersetzen. Problematisch an dem gezeichneten Bild erscheinen vor allem zwei Punkte, denen im Folgenden begegnet werden soll: einerseits die durch das Paradigma der Staatlichkeit gesteuerte selektive Wahrnehmung von Institutionalisierungsprozessen als etwas, das auf ‚Staaten‘ beschränkt ist,119 und andererseits das daraus resultierende Gesellschaftsmodell in seiner zeitlichen Entwicklung. Der erste Punkt ist an sich offenkundig, aber oft zu wenig gewürdigt: Der Fokus auf Staaten verstellt den Blick auf Entwicklungen jenseits der Polis. Die panhellenischen Agone sind keine Residuen einer vorstaatlichen Adelsgesellschaft, sondern erleben eine mindestens so gravierende institutionelle Entwicklung wie die Poleis, ja, sie entstehen als ‚panhellenische‘ Foren überhaupt erst relativ spät im Verlauf der Archaik. Wenn man sich befreit von anachronistischen Kategorien, so kann man die Institutionalisierung der Polis wie auch der Wettkämpfe als parallelen Prozess begreifen, der sich aus der Logik elitärer Prestigeund Geltungskonkurrenz erklären lässt, aber nicht auf simple Dichotomien wie ‚Adel‘ und ‚Staat‘, ‚Kultur‘ und ‚Politik‘ oder ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ reduziert werden kann.120 Der zweite Punkt, den es zu beachten gilt, ist das problematische Gesellschaftsmodell, das durch die künstliche Trennung von ‚bürgerlicher‘ Polis und panhellenischem ‚Adel‘ befördert wird. Denn wenn man den ‚archaischen Adel‘ von seinen bildungsbürgerlichen Idealisierungen befreit, so bleibt eine ständisch nicht geschlossene, auf Rang basierende, stadtsässige Oberschicht, die sich durch ökonomischen Besitz und Leistung auszeichnet und polisübergreifende interpersonelle Beziehungen pflegt.121 Das ist ein sehr ‚weicher‘ Adelsbegriff, dem diverse Aspekte des eingangs definierten Idealtypus fehlen, der aber durchaus als Synonym für eine stratifizierte Gesellschaftsordnung im weitgefassten Sinne der Luhmann’schen Systemtheorie verstanden werden kann. Ein solcher ‚Adel‘ kann jedoch nur verschwinden, wenn sich die Gesellschaft grundlegend wandelt – das heißt, ihre rangbasierte Differenzierung aufgibt und sich in eine funktional differenzierte oder eine segmentäre Gesellschaft wandelt. Die weitverbreitete Vorstellung, dass es einen griechischen ‚Adel‘ nur in der Archaik gäbe

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Vgl. dazu auch Meister & Seelentag (2020b). Grundsätzlich ablehnend zur Verwendung des Staatsbegriffs für die Antike ist Winterling (2014). 120 Letzteres ist v. a. beim ‚privaten‘ Symposion eine gängige Argumentation – zur problematischen Unterscheidung von öffentlich und privat s. Winterling (2005a) 121 Vgl. exemplarisch in diesem Sinne den Lexikoneintrag von Stein-Hölkeskamp (2003) im Neuen Pauly.

4.4 Perspektiven jenseits klassizistischer Anachronismen

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und spätere ‚Oligarchien‘ ein gänzlich anderes Phänomen seien, ist vor diesem Hintergrund eine problematische, auf unklaren Begrifflichkeiten beruhende These. Denn wie sich der ständisch nicht geschlossene, auf Rang basierende, stadtsässige Adel der Archaik, der sich durch ökonomischen Besitz und Leistung auszeichnet und polisübergreifende interpersonelle Beziehungen pflegt, von den ständisch nicht geschlossenen, auf Rang basierenden, stadtsässigen Oligarchien, die sich durch ökonomischen Besitz und Leistung auszeichnen und polisübergreifende interpersonelle Beziehungen pflegen, unterscheidet, erschließt sich ohne die historisch problematische Idealisierung des ersteren nur bedingt. Es mag wohl zutreffen, dass gerade im wirtschaftlich dynamischen Athen der klassischen Zeit mit einer im Vergleich zur Archaik höheren sozialen Mobilität zu rechnen ist, doch sind das nicht per se neue „Schichten der Gesellschaft“,122 die aufsteigen, sondern einzelne Individuen, die neu in die Oberschicht gelangen. Eine grundsätzliche Neustrukturierung der Gesellschaft lässt sich dadurch nicht ableiten, es sei denn, man schreibt diesen Aufsteigern ein schichtspezifisches Klassenbewusstsein und eine revolutionäre Agenda zu, was selbst bekennende Marxisten unter den Althistorikern vermeiden.123 Im Folgenden sollen daher in einem ersten Schritt die in den archaischen Quellen in der Tat auffallend deutlich artikulierten gegensätzlichen Normvorstellungen und Geltungsansprüche einer grundsätzlichen Neulektüre unterzogen werden: Statt von antithetischen Werthorizonten auszugehen, die dann als ‚bürgerlich‘ beziehungsweise ‚adlig‘ kategorisiert werden, sollen aus einer akteurszentrierten Perspektive unterschiedliche Felder des Prestigeerwerbs in den Blick genommen werden. Dies ermöglicht es, sowohl das ausgeprägte Konkurrenzverhalten als auch den Hang einzelner Akteure zur Devianz unter neuer Perspektive in den Blick zu nehmen. Das vielbeschworene ‚Agonale‘, das die archaische Adelskultur auszeichne, soll dabei entmystifiziert und soziologisch erklärt werden. In einem zweiten Schritt soll dann dargelegt werden, wie sich die verschiedenen Felder der Prestigekonkurrenz institutionalisier-

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So die oben zitierte Passage bei Burckhardt (2012) 233. Vgl. ganz ähnlich Conze & Meier (1972) 8: „Adelsideale und der adlige Stil stammten aus der Frühzeit und waren unter den Bedingungen tiefgreifender sozialer Wandlungen, der weithin herrschenden Demokratie und einer ‚Verwirtschaftlichung‘ des Lebens mehr oder weniger verbraucht worden […] [a]n die Stelle des Adels trat eine Bourgeoisie […].“ Auch Stein-Hölkeskamp (2003) 108 betont, dass im 4. Jh. „andere gesellschaftliche Schichten“ an Einfluss gewonnen hätten. Bezeichnenderweise ist dann sowohl in den Geschichtlichen Grundbegriffen als auch im Neuen Pauly das 4. Jh. und erst recht der Hellenismus eine Zeit ohne Adel. Vgl. hierzu die aktuellste marxistisch argumentierende Arbeit von Rose (2012) 350–363, der (befreit von neuhumanistischem Ballast) die athenische Demokratie ganz anders deutet: Die Polisideologie und politische Rechte sind aus seiner Sicht lediglich Zugeständnisse der herrschenden Klasse (bei Rose zwar z. T. als ‚Aristokraten‘ bezeichnet, aber letztlich primär ökonomisch definiert) an das Volk, um die ökonomische Ungleichheit zu wahren (salopp formuliert: Das Volk fordert Landreformen und erhält politische Rechte) – einen revolutionären Umsturz der herrschenden Klasse oder deren ökonomische Enteignung sieht Rose aber gerade nicht.

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4. Politikferne ‚Adelskultur‘ und ‚adelsfeindliche‘ Polisinstitutionen?

ten und wie dieser Prozess die Gesellschaft und die Handlungsmöglichkeiten der Akteure im Verlauf der Zeit veränderte. Der Blick auf ‚Institutionen‘ und die sie hervorbringenden Akteure soll dabei helfen, die traditionelle Engführung auf den ‚Staat‘ zu überwinden und zu einer adäquateren Beschreibung der sich verändernden Rahmenbedingungen für Strategien des ‚Obenbleibens‘ zu gelangen.

5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

5.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides und ‚aristokratische‘ Devianz Die Eingangs besprochene Geschichte bei Herodot um die in Sikyon versammelten Freier der Agariste ist das Musterbeispiel archaischer Adelskultur, das in keiner Darstellung fehlt.1 Methodisch ist es jedoch ausgesprochen problematisch, eine solche verhältnismäßig späte Quelle als vermeintlich authentischen Beleg archaischer Praktiken und Werthorizonte heranzuziehen: Die Geschichte weist alle Elemente einer mündlich überformten Erzählung auf und sagt daher wohl deutlich mehr über die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts aus als über das frühe sechste. Die Freier stammen aus verschiedenen Zeiten und Kontexten und vor allem der spektakuläre Tanz des Hippokleides, der in einer etwa zeitgleich entstandenen indischen Tierfabel nahezu identisch auftaucht, muss eindeutig als Wanderlegende qualifiziert werden, die keinerlei historische Aussagekraft besitzt.2 Ganz anders verhält es sich mit den beiden ätiologischen Kernen der Geschichte: Der Heirat des erfolgreichen Bewerbers Megakles mit Agariste und dem flapsig hingeworfenen „οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ“, das zu Herodots Zeit ein bekanntes Sprichwort war. Es besteht kein Grund, an der Verbindung des Alkmeoniden mit der Familie des sikyonischen Tyrannen Kleisthenes zu zweifeln: Die Namensgebung innerhalb der Alkmeoniden, die sowohl den Namen Kleisthenes als auch jenen von Agariste in den folgenden Generationen wieder aufgriff, ist nicht nur ein starker Beweis für die Historizität der Verbindung, sondern auch eine Erklärung, wie die Erinnerung an diesen prestigeträchtigen Erfolg und die Namen der Beteiligten bis ins fünfte Jahrhundert le-

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Hdt. 6,128–130; als Beispiel archaischer Adelskultur findet sich die Episode u. a. bei Stein-Hölkeskamp (1989) 117–119 und Stein-Hölkeskamp (2015) 186 f.; Murray (1993) 212 f.; Stahl (2003) 49–75; Meier (2009) 161–163; Papakonstantinou (2010); s. zuletzt die Analyse bei Biebas-Richter (2016) – allg. zum Folgenden s. o. Kap. 1.1, spez. S. 13–19. S. o. S. 15 f.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

bendig gehalten wurde. Der Spruch des Hippokleides wiederum wird von Herodot als bekanntes Sprichwort bezeichnet und ist über den Komödiendichter Hermippos unabhängig von Herodot ungefähr zeitgleich ebenfalls bezeugt. Durch die namentliche Nennung des Hippokleides ist der Spruch unlösbar mit seiner Person verbunden und damit mit einer zweiten im fünften Jahrhundert immer noch prominenten athenischen Familie: den Philaiden, denen sich Hippokleides zweifelsfrei zuordnen lässt.3 Eine historische Analyse darf daher nicht die bunt ausgeschmückte Erzählung Herodots zur Grundlage nehmen, sondern muss zwingend von den beiden ätiologischen Kernen der Geschichte ausgehen. Wenn man das tut, so lässt sich sehr wohl ein Muster erkennen und zwar eines, das ganz anders als die üblichen Deutungen das Bild einer einheitlichen ‚Adelskultur‘ der Archaik deutlich relativiert und differenziert. Wichtig für das Verständnis ist die an sich lapidare Feststellung, dass es sich um eine athenische Geschichte handelt, die zwar in Sikyon spielt, deren Hauptakteure jedoch Vertreter bedeutender athenischer Familien waren.4 Athen ist der Kontext, in dem diese Geschichte erinnert und ausgestaltet wurde, und die Athener sind das Publikum, für das diese Geschichte Relevanz besaß. Letzteres ist entscheidend, denn in vorwiegend mündlichen Kulturen ist es allein die Gegenwartsrelevanz einer Geschichte, die sie vor dem Vergessen bewahrt.5 Die ungebrochene Prominenz der Alkmeoniden und der Philaiden im fünften Jahrhundert, die mit Kimon und Perikles zwei der einflussreichsten Politiker stellten, liefert hinlänglich Gründe, weshalb die Vergangenheit dieser Familien in der Gegenwart interessierte. In genau diesem Zusammenhang greift Herodot die Geschichte auch auf: Es geht ihm um die Genealogie der Alkmeoniden, die er dann bis zu Perikles in die eigene Gegenwart fortführt.6 Zentral ist dabei der Umstand, dass die beiden historischen Kerne der Geschichte direkt aufeinander bezogen sind: Die Alkmeoniden erwerben durch eine externe Heirat Prestige, während der Vertreter der rivalisierenden Philaiden unterliegt, diese Niederlage jedoch kleinredet, indem er demonstrativ erklärt, dass ihn das nicht küm-

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Zur Historizität der beiden Kerne s. ausführlich o. S. 19. Die athenische Version der Geschichte scheint nicht die einzige gewesen zu sein. Timaios (FGrH F 9 = Athen. 12,541b–c) überliefert Details zum üppigen Gefolge von Smindyrides, dem Freier aus Sybaris, die wohl auf eine lokale Tradition der Geschichte aus dem süditalienischen Raum zurückgehen (vgl. den Kommentar von Felix Jacoby ad loc.); auf derselben Tradition basieren offensichtlich Diod. 8,19 (wobei hier von „Mindyrides“ die Rede ist) und Athen. 6,273b–c. Ob es sich hierbei um eine unabhängige Version der Geschichte handelt oder um eine lokale Ausschmückung Herodots oder um eine lokale Version, in die „die worte Herodots vom rande her eingedrungen sind“ ( Jacoby), lässt sich nicht mehr sagen. Die reine Existenz dieser ‚Sybaris-Tradition‘ zeigt aber, dass die Geschichte in einem anderen Kontext als Athen mit ganz anderen Schwerpunktsetzungen und Details ausgestaltet werden konnte. Vgl. Vansina (1985) spez. 94–123. Hdt. 6,131; zu Herodots Verhältnis zum perikleischen Athen noch immer grundlegend: Strasburger (1955). Zu den volkstümlichen Geschichten über die Alkmeoniden allg. s. Thomas (1989) 264–281.

5.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides und ‚aristokratische‘ Devianz

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mert, das heißt, den Prestigeerfolg des Rivalen nicht als solchen anerkennt. Auf die Situation in Sikyon bezogen ist Hippokleides damit ein ‚schlechter Verlierer‘, der den Preis, um den gespielt wurde, und damit die ganze Logik des Spiels in dem Moment für unbedeutend und nichtig erklärt, in dem er verliert. Wer der ‚Sieger‘ ist und welche Spielregeln und Normen nun tatsächlich gelten, wird dabei offengelassen. Das ist alles andere als selbstverständlich: In der indischen Tierfabel, in der sich der Pfau durch seinen unzüchtigen Tanz die Hochzeit mit der Tochter des Schwanenkönigs vertanzt, reagiert der Betroffene – obschon die Geschichte ansonsten von der Struktur her eine exakte Parallele ist – ganz anders: Er akzeptiert das Urteil des Schwanenkönigs und zieht beschämt davon.7 Ganz ähnlich verhält es sich mit der Version der Geschichte, die Athenaios Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts wiedergibt:8 Athenaios lobt die gebildete Einsicht des Kleisthenes, der vom „vulgären“ (φορτικός) Tanz des Hippokleides auf dessen ebenso geartete Seele schloss. Hier ist alles eindeutig und die Spielregeln unbestritten: Hippokleides verstößt mit seinem klar als „vulgär“ bezeichneten Benehmen gegen allgemein akzeptierte aristokratische Verhaltensmuster und wird völlig zu Recht gemaßregelt. Den Spruch des Hippokleides erwähnt Athenaios bezeichnenderweise nicht – er passt nicht in das Bild einer solch homogenen Wertewelt mit akzeptierten Spielregeln: Wer hier verliert oder gegen den Komment verstößt, ist sozial geächtet. Gerade deshalb ist es so bemerkenswert, dass – anders als in der indischen oder der kaiserzeitlichen Version der Geschichte – die demonstrative Devianz des Verlierers zum archaischen Kern der Erzählung bei Herodot gehört. Das hängt damit zusammen, dass die Erzählung auf ein athenisches Publikum gemünzt ist, für das die ‚Spielregeln‘, die ein fremder Tyrann bei einem Gastmahl in Sikyon durchsetzen kann, nicht zwingend Gültigkeit besitzen. Im Gegenteil: Dass Hippokleides sich um diese Spielregeln nicht kümmert, kann ihm im athenischen Kontext gar Sympathiepunkte einbringen. Gleichzeitig wird, erneut im athenischen Kontext, deutlich gemacht, dass der vermeintliche Prestigegewinn des Rivalen keine universelle Geltung beanspruchen kann. In Sikyon mochte das eine große Sache sein, doch in Athen konnte die demonstrative Geringschätzung dieses Erfolgs zu einem geflügelten Wort werden. Dahinter steht, so meine These, ein zentrales Grundproblem archaischer Eliten: Es gab kein einheitliches Konzept von ‚Adeligkeit‘, sondern verschiedene Formen von Prestige, die in verschiedenen Feldern errungen werden konnten.9 Das eröffnete den 7 8 9

Jātakam Nr. 32 ( Jātakam. Das Buch der Erzählungen aus früheren Existenzen Buddhas. Übersetzt von Julius Dutoit. 7 Bde. Leipzig 1908–1921): „Als aber der Pfau das junge Schwanenweibchen nicht bekam, schämte er sich, stand auf und lief fort.“ Athen. 14,628c–d. Die geographische Differenz – in diesem Falle Sikyon und Athen – spielt bei dieser Konstellation natürlich eine Rolle, doch die räumliche Trennung bzw. die Spannung zwischen panhellenischem Raum und Polis allein erklärt nur einen Teil der in den Quellen fassbaren Phänomene, weshalb hier bewusst ein sehr offener (an Bourdieu angelehnter) Feldbegriff verwendet wird.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

Akteuren auf diesen Feldern Handlungsoptionen, die sich darin manifestierten, dass Devianz zu einer gangbaren und unter Umständen erfolgversprechenden Strategie werden konnte. Denn ein Sieg in einem Feld (etwa der Brautwerbung in Sikyon) bedeutete keineswegs, dass sich das dort gewonnene Prestige ohne weiteres in ein anderes Feld (hier die Polis Athen) überführen ließ – im Gegenteil: Für Rivalen wie Hippokleides, die nach den Spielregeln des einen Feldes ‚verloren‘ hatten (oder gar nicht erst ‚mitgespielt‘ hatten), war es eine rationale Handlung, den Erfolg ihrer Konkurrenten infrage zu stellen, um damit zu verhindern, dass diese ihr Prestige aus dem einen in ein anderes Feld überführen konnten. Die demonstrative Geringschätzung, die Hippokleides nach seiner Niederlage zeigt, bezweckt genau dies: Als ‚schlechter Verlierer‘ stellt er die universelle Gültigkeit der in Sikyon geltenden Spielregeln und des dort zu gewinnenden Prestiges infrage – und der Umstand, dass er damit ein Sprichwort prägte, wie auch seine nachfolgende politische Karriere in Athen legen beide nahe, dass er damit nicht gänzlich erfolglos war.10 Deutlich erfolgreicher jedenfalls als der Pfau in der indischen Fabel, dessen Maßregelung durch den Schwanenkönig – einer früheren Reinkarnation Buddhas – nicht nur universelle, sondern gar überzeitliche Gültigkeit besaß11 und dem ‚Verlierer‘ nur noch die Option des beschämten Rückzugs ließ. Das Verhalten des Hippokleides ist denn auch keineswegs einzigartig, sondern scheint mir im Gegenteil eine geradezu typische Disposition archaischer Akteure zur Devianz aufzuzeigen. In den Fragmenten der archaischen Dichter werden bestehende Wertsysteme in teils sehr drastischer Weise infrage gestellt. Meist werden diese Zeugnisse als Ausdruck sozialer Spannungen zwischen unterschiedlichen Schichten gedeutet: als anti-aristokratisches Denken einer sich ausbildenden Bürgerschaft oder als elitäre Abwehrkämpfe vom Abstieg bedrohter Adliger.12 Die Geschichte um Hip10

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Mit Pherekydes FGrH 3 F 2 (= Marcellin. vit. Thuk. 3) und Hellanikos FGrH 4 F 22 (= ebd.) erwähnen zwei Historiker des fünften Jahrhunderts ein Archontat des Hippokleides und zwar keineswegs ein unbedeutendes, sondern jenes, unter dem die Panathenäen eingerichtet worden seien – da Pherekydes vor Herodot zu datieren ist, besitzt die Angabe eine hohe Glaubwürdigkeit, da er sich für Ereignisse aus der Mitte des sechsten Jahrhunderts sehr wohl noch auf lebendige Erinnerungen stützen konnte – reinste Spekulation ist hingegen das angebliche Datum von Hippokleides’ Archontat 566/5, das erst bei Eusebius bzw. Hieronymus (Chron. Ol. 53,3) zu finden ist (s. o. S. 17. Anm. 14). Die Rahmenhandlung der Fabel erzählt von einem Mönch, der „weder Scham noch Furcht vor Sünde“ besitzt und von Buddha gemaßregelt wird, woraufhin Buddha die Fabel erzählt und in Bezug auf den unbotmäßigen Mönch ausführt: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, hat dieser, da er keine Scham noch Furcht vor der Sünde zeigte, den Edelstein-Orden verloren, sondern in früherer Zeit hat er dadurch den Besitz eines Edelstein-Weibes verloren […] Damals war der Pfau der Mönch mit dem vielen Eigentum, der König Schwan aber war ich.“ ( Jātakam Nr. 32, Übers. Julius Dutoit). Die Interpretation der kakoi als neureiche Aufsteiger (im Zuge eines sich entwickelnden Gewerbes und Fernhandels), die die Vormacht der alten, erblichen ‚Aristokratie‘ bedrohen und diese dann in eine ‚Oligarchie‘ transformieren, findet sich etwa bei Whibley (1897) 72–83 – die Dichotomie zwischen einem vermeintlich statisch abgeschlossenen Erbadel und einer wirtschaftlich dynamischen ‚Bourgeoisie‘ bietet, ob explizit oder implizit, allerlei Anknüpfungspunkte für anachronistische Rückprojektionen; eine komplexere Deutung der kakoi als „semi-aristocrats“, die in die Aristokra-

5.1 Die Gleichgültigkeit des Hippokleides und ‚aristokratische‘ Devianz

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pokleides legt jedoch eine andere Deutung nahe: Auch die Dichter nehmen häufig die Pose des ‚schlechten Verlierers‘ ein und sprechen damit ihren Konkurrenten das Prestige ab, das diese anderswo und nach anderen Regeln errungen haben. Dabei handelt es sich nicht zwingend um unterschiedliche soziale Schichten und daraus resultierende Spannungen, sondern um eine rationale Strategie, die sich aus der parallelen Existenz unterschiedlicher Felder der Konkurrenz ergibt, die nach jeweils eigenen Regeln funktionieren und bei denen keineswegs automatisch der Gewinn aus dem einen in ein anderes Feld überführt werden kann. Die entsprechenden Passagen sind in der Forschung breit diskutiert: Berühmt sind die Fragmente von Tyrtaios und Xenophanes, in denen athletische Qualitäten und Sport als nutzlos und der Polis nicht zuträglich kritisiert werden.13 Archilochos kritisiert das in anderen Kontexten weit verbreitete Schönheitsideal und erklärt, ein kleiner Feldherr mit krummen Beinen, der mutig die Stellung halte, sei ihm lieber als ein großer, schön einhergehender mit gelockten Haaren.14 Und Phokylides fragt rhetorisch, was denn eugeneia nütze, wenn ihr keine überzeugenden Worte und kein guter Rat folgten – kontrastiert also gute Geburt mit der Fähigkeit gut zu sprechen und Rat zu erteilen.15 Man hat derartige Äußerungen oft als ‚anti-aristokratisch‘ gedeutet, da damit zentrale Werte eines vermeintlich homogenen adligen Wertehorizonts kritisiert und in Hinblick auf ihren fehlenden Nutzen für die Polis infrage gestellt werden.16 Das Pendant wären dann die vermeintlich ‚aristokratischen‘ Gegenreaktionen: Mimnermos, der empfiehlt, dem eigenen Vergnügen zu folgen und nicht auf das Gerede der Bürger zu achten.17 Oder Theognis, der darüber klagt, dass ‚Schlechte‘“ für ‚gut‘ gehalten werden und time besäßen.18 Er selbst lehnt es selbstverständlich ab, jene ‚Schlechten‘ als ‚Gute‘ anzuerkennen, und propagiert stattdessen ein auf uns sehr ‚adelig‘ wir-

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tie aufsteigen wollen (also eher einen ‚Ständekampf ‘ führen, nicht aber einen ‚Klassenkampf ‘), bietet Starr (1977) 123–128; 169–193 und Starr (1992) 22–24 sowie in Bezug auf Athen Ober (1989) 55–65; zu den Zeugnissen als Indiz für eine „middling ideology“ s. Morris (1996) sowie die restlichen u. unter Anm. 22 genannten Titel. Das Corpus Theognideum als Indiz für eine vom Abstieg und neureichen Aufsteigern bedrohte Aristokratie analysiert Stein-Hölkeskamp (1989) 86–93 – anders die auf Gewalt und eine weitgehend kontinuierliche Instabilität abzielende Analyse von van Wees (2000b). Tyrtaios F 12 W (= 9 D = Stob. 4,10,1;6); Xenophanes F 2 W (= 2 G.-P. = 2 D = Athen. 10,413c–414c). Dazu und zum Folgenden auch Meister (2020). Archilochos F 114 W (= 60 D = Dion. Chrys 33,17 & Gal. Hipp. art. 537; 605). Phokylides F 3 G.-P. (= 3 D = Stob. 4,29,28). Dazu grundlegend Donlan (1973a); vgl. Donlan (1999) 66–68 und Stein-Hölkeskamp (1989) 123– 133. Mimnermos F 7 W (= 7 D = Anth. Pal. 9,50); vgl. Thgn. 1,795 f. Thgn. 1,53–68 (deiloi und kakoi sind jetzt esthloi und umgekehrt); 1,232 f. (esthloi haben wenig time); 1,665 f. (aphroni erlangen doxa und kakoi time); 1,1109–1114 (kakoi sind nun agathoi und haben time); 1,1117 f. (mit Reichtum wird auch ein kakos esthlos).

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

kendes Konzept von eugeneia.19 Ebenfalls im Corpus Theognideum sowie in identischer Form bei Solon begegnet auch die Klage über Reichtum, der zwar den Schein von Ansehen und Status vermittle, aber wahre Tugend und echtes Gut-Sein nicht ersetzen könne.20 Hier ideologische Konflikte zwischen einem aufsteigenden Bürgertum, das seinen Status vor allem auf Geld und Leistung für die Polis gründet, und einem absteigenden Geburtsadel zu sehen, liegt vor dem Hintergrund ähnlicher Entwicklungen in der europäischen Neuzeit an sich auf der Hand. Peter Rose hat dies in einer Monographie von 2012 als Klassenkampf im marxistischen Sinne zu deuten versucht.21 Und Ian Morris propagiert seit Jahren, die gesamte Archaik als einen eigentlichen Kampf zwischen zwei unterschiedlichen Ideologien – einer „elitist“ und einer „middling ideology“ – anzusehen.22 Das Problem einer solchen Betrachtung liegt darin, dass es nicht ohne weiteres möglich ist, die unterschiedlichen ‚Ideologien‘ unterschiedlichen Akteuren zuzuordnen. Denn nach allem, was wir wissen, sind die Träger der vermeintlich ‚anti-aristokratischen‘ Kritik selbst der Oberschicht zuzurechnen.23 Bei der radikalen Infragestellung von Qualitäten, die Prestige vermitteln, handelt es sich daher nicht primär um das Resultat sozialer Spannungen zwischen unterschiedlichen Schichten mit unterschiedlichen Mentalitäten, sondern um ein Konkurrenzverhalten innerhalb der Oberschicht selbst. Doch es ist keine institutionalisierte Konkurrenz, die nach festen Regeln abläuft, sondern eine Geltungskonkurrenz zwischen verschiedenen Feldern der Konkurrenz, die nach jeweils eigenen Regeln funktionieren. Karl-Siegbert Rehberg sah in solch konkurrierenden Geltungsansprüchen von Institutionen – und als Institutionen lassen sich die einzelnen Felder der Konkurrenz durchaus ansprechen – „eine entscheidende Quelle für die Dynamik der in Europa entwickelten Rationalisierungsprozesse.“24 Rehberg bezog dies primär auf den mittelalterlichen Dualismus zwischen König- und Papsttum, doch auf einer allgemeineren Ebene kann das auch für die Konkurrenz im archaischen Griechenland geltend gemacht werden: Die radikale – und teils durchaus ‚rational‘ anmutende – Infragestellung der Eigenlogik von Praktiken des Prestigeerwerbs und des ihnen zugrundeliegenden Sinns, wie sie bei den frühen Lyrikern begegnet, ist das Produkt konkurrierender Geltungsansprüche. Die Sinnlosigkeit

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Thgn. 1,183–196; vgl. Stein-Hölkeskamp (1989) 92 f. zur Neuheit des Konzepts bei Theognis und Donlan (1973c) spez. 63–65 zur generell zunehmenden Bedeutung von eugeneia in nachhomerischer Zeit sowie allg. Greenhalgh (1972) 200–207. Thgn. 1,315–318 = Solon F 15 W (= 6 G.-P. = 4,9–12 D = Plut. Sol. 3,2); vgl. o. Kap. 2.4.1. Rose (2012) und Rose (2009); vgl. dazu Meister (2013). Vgl. besonders ausgeprägt Morris (1996) sowie Morris (1997); Morris (2000); Morris (2009) – zur Kritik an diesem Ansatz s. mit jeweils unterschiedlicher Stoßrichtung Kistler (2004), Hall (2007) 178–182 und Duplouy (2014b) 69 f. Vgl. Stein-Hölkeskamp (1989) 130 f.; auch Hesiod muss m. E. klar als Mitglied der landbesitzenden Oberschicht gesehen werden s. in diesem Sinne van Wees (2013b) sowie o. Kap. 2. Rehberg (1994) 75 f. (Zitat S. 76).

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

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athletischen Prestiges etwa kann erst formuliert werden, wenn die Eigenlogik athletischer Praktiken aus einer Außenperspektive heraus in ihrer Geltung relativiert und in Hinblick auf ihren Nutzen für die Polis einer rationalen Kritik unterzogen wird.25 Es gab also eine Vielzahl ‚adelnder‘ Qualitäten, die in unterschiedlichen Sinnzusammenhängen, nach unterschiedlichen Regeln erworben werden konnten und deren Geltung jeweils Teil der Auseinandersetzung war. 5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz 5.2.1 Immer der Beste sein? Vielfältige Felder des Prestigeerwerbs bei Homer „Immer der Beste zu sein und sich auszuzeichnen vor allen andern“ – der berühmte Vers, der in der Ilias zweimal vorkommt, wird gerne als Motto nicht nur der homerischen Helden, sondern des griechischen ‚Adels‘ überhaupt genommen.26 Dabei ist der Ausspruch bei Homer alles andere als ein Beleg für ein stabiles Adelsethos, sondern formuliert im Gegenteil ein Dilemma: Es gibt viele Felder der Konkurrenz, in denen man sich dauernd mit anderen messen muss. Folglich gibt es auch nicht eine Form von allgemein anerkannter adelnder Ehre, sondern je nach Situation können ganz unterschiedliche Personen als die ‚Besten‘ gelten. Dementsprechend ist kein einziger homerischer Held überall der Beste, sondern bestenfalls ein ‚Partiell-Bester‘ und muss seine ‚Bestigkeit‘ immer wieder unter Beweis stellen.27 Die Palette an Feldern des Prestigeerwerbs ist erstaunlich breit. So sterben im fünften Gesang der Ilias vier ansonsten völlig unbekannte troianische ‚Helden‘, denen der Dichter dennoch in jeweils spezifischen Kontexten Prestige zuschreibt: Skamandrios ist ein trefflicher Jäger und von Artemis begünstigt,28 Phereklos ein geschickter Handwerker und Schiffsbauer, den Athena selbst unterrichtete,29 und Pedaios sowie Hypsenor werden durch ihre prominenten Väter charakterisiert – ersterer ist ein Bastard

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Nebelin (2016) zeichnet ein komplexes Bild von der Autonomisierung der griechischen Philosophie, bei der die agonale Kultur der archaischen Oberschicht und die Möglichkeit (intellektueller) Devianz eine wichtige Bedingung der Möglichkeiten darstellt. Hom. Il. 6,208; 11,784: αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων. Zum ‚agonalen‘ Wettbewerbsdenken, das der Spruch versinnbildlicht, s. etwa in neuerer Zeit Flaig (2010) sowie in Bezug auf das klassische Athen Stein-Hölkeskamp (2014), als zentrales Konzept adliger Ideologie auch prominent erwähnt bei Greenhalgh (1972) 190. Für eine ideologikritische Betrachtung des Homerverses in der älteren Forschung s. Weiler (1975). Christoph Ulf brachte diesen Umstand mit der schönen Formulierung der „Relativität des Besten“ auf den Punkt; s. Ulf (1990a) 29–40; vgl. Ulf (2011a) 260 f. Hom. Il. 5,49–58. Ebd. 59–68.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

des Antenor, der aber „gleich“ den leiblichen Söhnen erzogen wurde,30 und Hypsenor ist der Sohn von Dolopion, der als Priester des Skamandros beim Volk wie ein Gott geehrt wird.31 Persönliche Leistung etwa als Jäger oder Handwerker kann einen Helden also ebenso auszeichnen wie familiäres Prestige – wobei dieses sich in beiden Fällen ebenfalls grundlegend unterscheidet. Denn Antenor ist das Oberhaupt der zweiten wichtigen und großen Familie neben jener des Priamos und wird zusammen mit seinen diversen Söhnen und Bastarden immer wieder erwähnt, hat also eine Stellung inne, die durch Reichtum, soziale Beziehungen und seinen Sitz im Rat des Königs vielfältig abgesichert ist, während Dolopion seine Ehrenstellung einzig dem von ihm bekleideten Priesteramt zu verdanken scheint und genau wie sein getöteter Sohn im restlichen Epos nie mehr Erwähnung findet. Wirklich prominent sind alle vier Getöteten nicht, dennoch ist es bemerkenswert, wie gänzlich verschieden ihre Qualitäten sind, die der Dichter alle gleichermaßen würdigt. Dass es verschiedene Formen von Prestige gab, die in verschiedenen Feldern der Konkurrenz erworben werden konnten, reflektiert das Epos an mehreren Stellen. Es gibt sowohl bei den Achaiern wie auch bei den Troianern einen ‚Besten der Vogeldeuter‘,32 Priamos’ Sohn Polydoros besiegt alle im Laufen,33 und dass der troianische basileus seine überlebenden Söhne als die ‚Besten im Tanzen‘ bezeichnet, ist in dem konkreten Kontext zwar eine Beleidigung, da er sie mit dem toten Hektor vergleicht, doch dass Tanz ebenfalls ein Bereich ist, in dem man als der ‚Beste‘ Prestige erringen konnte (wenn auch weniger als in der Schlacht), wird damit keineswegs ausgeschlossen.34 In der Odyssee sind es denn auch genau diese Eigenschaften, die Alkinoos – nachdem klar wurde, dass Odysseus beim Faustkampf und Ringen überlegen ist – seinem Gast vorführen möchte: Nicht sind wir als Faustkämpfer ohne Tadel und auch im Ringen nicht, doch laufen wir schnell mit den Füßen und sind zu Schiff die besten, und immer sind uns lieb Gelage und Saitenspiel und Reigentänze, und Kleider, sie zu wechseln, und warme Bäder und Ruhebetten. Doch auf! die ihr die besten Tänzer seid unter den Phaiaken: Führt ein Spiel auf, damit der Fremde, wenn er heimgekehrt ist, es seinen Anverwandten

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Ebd. 69–75. Ebd. 76–78. Vergleichbare Ehrenstellungen bei den Troianern genießen die (ebenfalls nur einmal im Kontext des Todes ihrer Söhne erwähnten) Priester von Hephaistos, Dares (Il. 5,9 f.), und von Zeus Idaios, Onetor (Il. 16,604 f.). Hom. Il. 1,69; 6,76. Hom. Il. 20,410. Hom. Il. 24,261; dass man im Tanzen oder Kitharaspielen der Beste sein kann, wird wertneutral in Il. 13,731 konstatiert; wichtig in diesem Kontext ist ferner die sogenannte Dipylon-Kanne, eines der frühsten beschrifteten Keramikgefäße überhaupt (Mitte 8. Jh.), das (wahrscheinlich) in der Inschrift das Gefäß demjenigen „von allen Tänzern, der am zierlichsten tanzt“ als Preis verspricht (CEG 432).

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

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verkünden möge: wie sehr wir den anderen überlegen sind in Schifffahrt und mit Füßen und mit dem Tanz und dem Gesang.35

Das beste Beispiel ist aber sicherlich Epeios, der im 23. Gesang der Ilias zum Faustkampf antritt und in Hinblick auf den Siegespreis – ein Maultier – erklärt: Das Maultier aber, sage ich, führt kein anderer der Achaier fort als Sieger mit der Faust, da ich mich rühme, der Beste zu sein. Oder ist’s nicht genug, dass ich schwächer bin in der Schlacht? Noch niemals war es möglich, in allen Werken ein kundiger Mann zu sein!36

Es gibt also viele Werke und gleichzeitig ein klares Bewusstsein, dass man nicht überall der Beste sein kann. Nebst der von Epeios hervorgehobenen Schlacht begegnet in den Epen vor allem die Agora als eigenes Feld der Konkurrenz und des Prestigeerwerbs – analog zum Kampf kann die Agora das Epitheton „männerehrend“ (κυδιάνειρα) erhalten, denn so wie man im Krieg mit Waffen Prestige erringt, tut man dies in der Agora mit Worten.37 So ist Thaos in der Agora kaum zu besiegen, wenn die kouroi sich mit Worten messen.38 Der Beste ist freilich der alte Nestor, was sich auch ganz konkret in einem geras manifestiert – einer Sklavin, die ihm die Achaier als Ehrgeschenk gaben, weil er von allen der Beste im Rat (beziehungsweise im Ratgeben) sei.39 Der durchaus martialisch anmutende Wettbewerbscharakter wird mehr als deutlich, wenn Agamemnon feststellt, dass Nestor die Söhne der Achaier in der Agora besiege.40 Doch wer in der Agora der Beste ist, muss keineswegs in anderen Feldern der Beste sein: Als

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Hom. Od. 8,246–253 (Übers. W. Schadewaldt): οὐ γὰρ πυγμάχοι εἰμὲν ἀμύμονες οὐδὲ παλαισταί, / ἀλλὰ ποσὶ κραιπνῶς θέομεν καὶ νηυσὶν ἄριστοι, / αἰεὶ δ’ ἡμῖν δαίς τε φίλη κίθαρίς τε χοροί τε / εἵματά τ’ ἐξημοιβὰ λοετρά τε θερμὰ καὶ εὐναί. / ἀλλ’ ἄγε, Φαιήκων βητάρμονες ὅσσοι ἄριστοι, / παίσατε, ὥς χ’ ὁ ξεῖνος ἐνίσπῃ οἷσι φίλοισιν, / οἴκαδε νοστήσας, ὅσσον περιγινόμεθ’ ἄλλων / ναυτιλίῃ καὶ ποσσὶ καὶ ὀρχηστυῖ καὶ ἀοιδῇ. Hom. Il. 23,668–671 (Übers. W. Schadewaldt): ἡμίονον δ’ οὔ φημί τιν’ ἀξέμεν ἄλλον Ἀχαιῶν / πυγμῇ νικήσαντ’, ἐπεὶ εὔχομαι εἶναι ἄριστος. / ἦ οὐχ ἅλις ὅττι μάχης ἐπιδεύομαι; οὐδ’ ἄρα πως ἦν / ἐν πάντεσσ’ ἔργοισι δαήμονα φῶτα γενέσθαι. Hom. Il. 1,490 – die Zuschreibung ist auffallend, denn sonst ist nur die μάχη κυδιάνειρα (s. Il. 4,225; 12,325; 13,270, 14,155.); Il. 9,440 f. nennt explizit den Krieg (πόλεμος) und die Agora als die zwei offenbar zentralen Felder des Prestigeerwerbs und in Od. 8,169–173 wird das Ansehen hervorgehoben, das selbst ein hässlicher Mann durch Worte in der Agora gewinnen kann. Zu euboulia als zentrale Tugend homerischer Helden (nebst der Bewährung im Kampf) s. den klassischen Aufsatz von Schofield (1986). Generell zu den agorai bei Homer und ihrem schon stark institutionalisierten Charakter des ‚Wettstreits mit Worten‘ s. (u. a.) Hölkeskamp (1997), Hölkeskamp (2000) und Hölkeskamp (2003); vgl. jetzt auch Fraß (2020). Hom. Il. 15,283 f. Die Differenzierung nach Altersklassen ist freilich entscheidend: So ist Diomedes zwar (in Nestors Worten) unter den Gleichaltrigen der Beste (Il. 9,54), doch Nestor ist älter und kann daher für seinen Rat mehr Gewicht reklamieren (ebd. 57–62). Hom. Il. 11,624–627. Hom. Il. 2,370: ἦ μὰν αὖτ’ ἀγορῇ νικᾷς γέρον υἷας Ἀχαιῶν.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

Agamemnon Diomedes im vierten Gesang wegen seiner angeblichen Feigheit tadelt, erinnert er ihn an seinen Vater Tydeus und erklärt, im Vergleich zu diesem sei Diomedes im Kampf schlechter, aber in der Agora besser.41 Umgekehrt muss Achill sich eingestehen, dass er zwar im Krieg der Beste sei, doch in der Agora seien andere besser.42 Bei den Troianern freilich wird gerade diese scheinbare Autonomie der in der Agora ausgetragenen Konkurrenz außer Kraft gesetzt. Mehrfach tritt dort mit Pulydamas ein Sprecher auf, der lediglich ein hetairos des Hektor ist und sich selbst als Mann des demos bezeichnet (was auch immer das genau heißen mag).43 Der Dichter charakterisiert Pulydamas im 18. Gesang wie folgt: Dem Hektor war er ein Gefährte, und in einer Nacht waren sie geboren, aber er war mit den Reden und der mit der Lanze weit überlegen.44

Obschon Pulydamas im Reden klar überlegen ist, setzt er sich in der Agora nicht gegen Hektor durch. So beklagt er sich bereits im 12. Gesang, dass Hektor ihn immer hart angehe in der Versammlung, auch wenn er Gutes rate, da alle, ob im Rat oder der Schlacht, Hektors Macht (κράτος) mehren sollen.45 Erneut klagt er im 13. Gesang und rekurriert dabei explizit auf die Eigenlogik der Agora, in der kriegerisches Prestige keine Rolle spielen sollte: Hektor! Nicht zu bewegen bist du, Ratschlägen zu folgen! Weil dir über die Maßen gab ein Gott die Werke des Krieges, darum willst du auch im Rat mehr wissen als andere. Aber nicht alles zugleich kannst du dir selber nehmen! Denn dem einen gab der Gott die Werke des Krieges, dem anderen Tanz, dem anderen Zitherspiel und Gesang; einem anderen legt Verstand in die Brust der weitumblickende Zeus, guten, und davon haben Nutzen viele Menschen, und viele rettet er, doch am meisten erkennt er es auch selber.46

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Hom. Il. 4,400 – die Stelle ist insofern als Wertung zu verstehen, als Agamemnon den Tadel eben gerade nicht in der Agora, sondern in (bzw. vor) der Schlacht ausspricht, wo Rednerqualitäten eben gerade nicht gefragt sind. Denjenigen Achaiern, die Odysseus im zweiten Gesang mit dem Szepter zurück in die Agora prügelt, wirft er denn auch bezeichnenderweise vor, dass sie weder im Krieg noch im Rat zählen würden (Il. 2,202). Hom. Il. 18, 105 f. vgl. 19,317–319. Hom. Il. 18,251; als Mann des demos bezeichnet er sich in Il. 12,213 – doch daraus zu schließen, dass er ein ‚Gemeiner‘ war, ist nicht zulässig; dazu u. S. 200. Hom. Il. 18,251 f. (Übers. W. Schadewaldt): Ἕκτορι δ’ ἦεν ἑταῖρος, ἰῇ δ’ ἐν νυκτὶ γένοντο, / ἀλλ’ ὃ μὲν ἂρ μύθοισιν, ὃ δ’ ἔγχεϊ πολλὸν ἐνίκα. Hom. Il. 12,210–215. Hom. Il. 13,726–734 (Übers. W. Schadewaldt): Ἕκτορ ἀμήχανός ἐσσι παραρρητοῖσι πιθέσθαι. / οὕνεκά τοι περὶ δῶκε θεὸς πολεμήϊα ἔργα / τοὔνεκα καὶ βουλῇ ἐθέλεις περιίδμεναι ἄλλων· / ἀλλ’ οὔ πως ἅμα πάντα δυνήσεαι αὐτὸς ἑλέσθαι. / ἄλλῳ μὲν γὰρ ἔδωκε θεὸς πολεμήϊα ἔργα, / ἄλλῳ δ’ ὀρχηστύν,

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Das Problem ist also klar: Es gibt verschiedene Bereiche, in denen man der „Beste“ sein kann, die in unterschiedlichen Kontexten zum Tragen kommen. Hektor jedoch erhebt den Anspruch, weil er im Kampf der Beste sei, auch in der Agora der Beste zu sein, lässt also eine echte Konkurrenz nicht zu, da er gegen Pulydamas verliere würde. Es geht aus Sicht der einzelnen Akteure also nicht einfach zweckrational darum, im freien Wettbewerb die beste Lösung zu finden, sondern primär um das Prestige, auch in diesem Feld der Konkurrenz der Beste zu sein. Auch Pulydamas führt seine zweckrationale Kritik an Hektor bezeichnenderweise gerade deshalb an, weil Hektors Rat (und nicht der seine) in der Versammlung zu reüssieren droht. Fatal wird dies im 18. Gesang, wo Pulydamas zum Rückzug hinter die Mauern rät, Hektor aber den Kampf auf offenem Feld fortführen will. Erneut setzt sich Hektor durch, doch hier verlässt der Dichter die Perspektive des neutralen Erzählers und gibt ein klares Urteil ab: So redete Hektor, und die Troer lärmten ihm zu, die Kindischen! Denn benommen hatte ihnen die Sinne Pallas Athene: Denn dem Hektor stimmten sie zu, der Schlechtes riet, dem Pulydamas aber keiner, der guten Rat bedachte.47

Bemerkenswert an diesen Szenen ist nicht, dass Hektor als Königssohn sich durchsetzt – das wäre an sich in einer vormodernen Adelsgesellschaft zu erwarten –, sondern dass der Dichter das klar als Fehler sieht, der nur dadurch zu erklären ist, dass die Götter den Troianern die Sinne vernebelten. Diese auktoriale Stellungnahme des Dichters ist dabei ganz entscheidend: Sie unterstreicht das normative Programm des Epos, das ein solches Verhalten eben gerade nicht als erstrebenswert darstellt, wie denn auch der weitere Verlauf der Handlung deutlich macht, dass Hektor und die Troianer hier einen fatalen Fehler begangen haben.48 Dass dieser Fehler dann auf Hektor zurückfällt und sein Prestige ganz akut gefährdet, wird in der bereits erwähnten Szene im 22. Gesang deutlich, wo Hektor vor den Toren Troias auf Achill wartet und über das ihm drohende Schicksal reflektiert: Die Flucht hinter die Mauern ist keine Option, da ihn dann Pulydamas als erster mit Schande (ἐλεγχείη) beladen würde und er sich schämen müsste – nicht nur vor den Männern, sondern auch den Frauen Troias –, weil er nicht auf den guten Rat hörte, sondern in seiner Vermessenheit (ἀτασθαλία) das Kriegsvolk (λαός) zugrunde gerichtet habe.49 Hektors Status innerhalb Troias wäre dadurch nachhaltig beschädigt

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ἑτέρῳ κίθαριν καὶ ἀοιδήν, / ἄλλῳ δ’ ἐν στήθεσσι τιθεῖ νόον εὐρύοπα Ζεὺς / ἐσθλόν, τοῦ δέ τε πολλοὶ ἐπαυρίσκοντ’ ἄνθρωποι, / καί τε πολέας ἐσάωσε, μάλιστα δὲ καὐτὸς ἀνέγνω. Hom. Il. 18,310–313 (Übers. W. Schadewaldt): Ὣς Ἕκτωρ ἀγόρευ’, ἐπὶ δὲ Τρῶες κελάδησαν / νήπιοι· ἐκ γάρ σφεων φρένας εἵλετο Παλλὰς Ἀθήνη. / Ἕκτορι μὲν γὰρ ἐπῄνησαν κακὰ μητιόωντι, / Πουλυδάμαντι δ’ ἄρ’ οὔ τις ὃς ἐσθλὴν φράζετο βουλήν. Zu dieser Szene s. Elmer (2013) 132–145. Hom. Il. 22,99–105 (s. o. S. 69).

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und sein Anspruch, der ‚Beste‘ zu sein, zerstört. Denn damit könnte jeder, auch ein ‚Schlechterer‘ (κακώτερος), sagen: Hektor vertraute auf seine Gewalt und richtete das Volk zugrunde!50

Dass Hektor aus vermessenem Prestigedenken heraus dem Pulydamas nicht den Sieg mit Worten in der Agora gönnte, statt auf klugen Rat auf Gewalt setzte und so verhinderte dass der ‚Beste‘ sich durchsetzte, hat also im Epos schwerwiegende Konsequenzen, sowohl für die Troianer, die den Blutzoll bezahlen, als auch für Hektors Prestige, das durch den offenkundigen Fehlschlag seines schlechten Rates nachhaltigen Schaden erleidet, so dass ihm nur noch die Option des aussichtslosen Zweikampfs gegen Achill bleibt. So schwierig es ist, in der Ilias eine eindeutige Aussage oder gar ein politisches Programm zu sehen51 – in diesem konkreten Fall ist die Botschaft des Dichters unverkennbar: Hektors Verhalten ist falsch und vermessen, das Ideal ist vielmehr Achill, der sich eingesteht, dass andere in der Agora besser sind, oder aber Epeios, der zwar in der Schlacht nicht zu gebrauchen ist, aber im Faustkampf glänzen kann – kurzum: jene Akteure, welche die Autonomie der verschiedenen Felder der Konkurrenz respektieren und so sicherstellen, dass auch tatsächlich der jeweils ‚Beste‘ gewinnt. Dass nicht alle die Möglichkeit haben, an der Konkurrenz um Prestige – egal wo – teilzunehmen, ist anzunehmen: Pulydamas bezeichnet sich zwar als Mann des demos, führt aber zusammen mit Hektor im 12. Gesang das ‚beste‘ von insgesamt fünf Kontingenten des troianischen Heeres – in ihm die Stimme des kleinen Mannes zu sehen, wäre sicherlich verfehlt.52 Die ökonomisch bedingte relative Abkömmlichkeit spielt dabei ebenso eine Rolle wie das bereits vorhandene Sozialprestige des entsprechenden Akteurs: Als der als Bettler verkleidete Odysseus im 21. Gesang der Odyssee zum Bogenschießen antreten möchte, stößt dies bei den Freiern auf heftigen Widerstand: Denn einerseits wäre es nicht schicklich (οὐδὲ ἔοικεν), wenn er den Preis (die Heirat mit Penelope) erhalten würde, andererseits fürchten die Freier um ihren Ruf, wenn sie im Wettbewerb von einem Bettler besiegt würden53 – ihm wird also das nötige Sozialprestige beziehungsweise die ‚Satisfaktionsfähigkeit‘ abgesprochen, um überhaupt als Konkurrent zu qualifizieren. Diese Einwände werden auch nicht grundsätzlich in50 51

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Hom. Il. 22,106 f. (Übers. W. Schadewaldt): μή ποτέ τις εἴπῃσι κακώτερος ἄλλος ἐμεῖο· / Ἕκτωρ ἧφι βίηφι πιθήσας ὤλεσε λαόν. Zu den Epen als Medium, das politische Themen aufgreift und reflektiert, s. (u. a.) Hammer (2002), Hammer (2009) und Itgenshorst (2014) 135–154. Vgl. auch Ulf (1990b), der überzeugend aufzeigt, wie die Abwehr inneren Streits Teil des „politischen“ Programms der Epen sind; vgl. dazu auch Ulf (2012). Hom. Il. 12,88–90 damit steht Pulydamas auf einer Stufe mit den Söhnen des Priamos, des Antenor sowie Aineias, Glaukos, Sarpedon und anderen Helden, welche die übrigen Abteilungen anführen. Hom. Od. 21.321–329. Zur ganzen Szene: Od. 21,275–379. Blum (2001) 28–36 hebt diese Passage besonders hervor, um seine Sicht einer stärker ausgeprägten Adelsgesellschaft gegen die Darstellung von Ulf (1990), der von einer stark meritokratisch geprägten big man-Gesellschaft ausgeht, abzuheben.

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frage gestellt: Penelope widerspricht den Freiern, doch ihre Einwände, der Bettler sei von kräftigem Wuchs, stamme nach eigenen Angaben von einem Vater aus gutem Geschlecht ab und vor allem ihr Angebot, dem Bettler im Falle eines Sieges Kleider und Waffen zu schenken (statt ihn zum Mann zu nehmen), also ihn zwar zum Wettbewerb zuzulassen, aber ihm einen völlig anderen, seinem niederen Status angemesseneren Preis in Aussicht zu stellen,54 sind letztlich nur eine Bestätigung der von den Freiern formulierten Vorstellung, dass keineswegs alle gleich sind und keineswegs alle zu jeder beliebigen Konkurrenz zugelassen werden sollen. Dennoch ist das Reden von den ‚Besten‘ nicht einfach eine Ideologie der ‚herrschenden Klasse‘, hinter der sich ein de facto geschlossener Adel verbirgt, der keiner meritokratischen Bewährung ausgesetzt ist.55 Denn es ist ein Kurzschluss, davon auszugehen, dass die Mechanismen der Exklusion immer gleich funktionierten und gleich rigide gehandhabt wurden: Bei den Leichenspielen für Patroklos (wie bei sämtlichen Agonen) ist, rein ökonomisch bedingt, das Pferderennen exklusiver als die anderen Disziplinen, in denen dann auch eine Figur wie Epeios, dessen Sozialprestige wohl als nicht allzu hoch veranschlagt werden sollte, nicht nur mitwirken, sondern auch seine eigene Sternstunde als ‚Bester‘ erleben kann.56 Der Faustkampf scheint zwar nicht die prominenteste Disziplin zu sein,57 doch es ist auch kein zweitklassiger Wettkampf, bei dem nur ‚kleine Leute‘ antreten: Der Gegner des Epeios, Euryalos, begegnet im Schiffskatalog als einer der drei Anführer des argivischen Kontingents,58 und nach dem Faustkampf tritt Epeios auch zum Diskuswurf an, wo er gar mit dem großen Aias, einem der herausragendsten Achaier, um den Sieg konkurriert.59 Die Rekrutierung

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Hom. Od. 21,331–342. Den ideologischen Charakter meritokratischer Zuschreibungen betonen v. a. van Wees (1992) 61–165 spez. 89–100 und Blum (2001). Hom. Il. 23,657–699; auf ein vergleichsweise geringes Sozialprestige deutet nicht nur seine Nichterwähnung außerhalb des 23. Gesangs hin, sondern auch, dass alle Achaier bei seinem offenbar nicht sehr erfolgreichen Diskuswurf lachen (Il. 23,840). Selbst van Wees (1992) 53, der mit einer viel zu schematischen Dichotomie von „princes“ und „commoners“ argumentiert und behauptet, nur erstere seien zu athletischen Wettbewerben zugelassen gewesen, anerkennt Epeios als „possible exception“; ähnlich Papakonstantinou (2002) 53. Dass Epeios im epischen Zyklus vor allem als Erbauer des troianischen Pferds, also als Handwerker bekannt war (erstmals als solcher erwähnt in Hom. Od. 8,493; 11,523), kann zur Einschätzung seines Sozialprestiges jedoch wenig beitragen. Denn eine Abwertung handwerklicher Tätigkeiten ist in den Epen nicht fassbar [s. Meier (2003) 30–32], allerdings wird Epeios auch nirgends als „bester aller Handwerker“ o. ä. beschrieben, d. h. klare Indizien, dass ihm besonderes Prestige als „Partiell-Bester“ aus seinen handwerklichen Fähigkeiten zufloss, fehlen. Eine differenzierte Analyse der Figur Epeios bietet Scanlon (2018) 6–11. So betont Ulf (2004) 77 f., dass der Faustkampf zusammen mit dem Solos-Wurf eine Ausnahme darstellen, weil dort tatsächlich der sportlich Beste gewinnt, und Scanlon (2018) 7 verweist auf das Maultier als wenig ‚heroisch‘ anmutenden Preis (was freilich auch auf einige andere Preise zutrifft). Hom. Il. 2,565 f.; anders als Epeios ist Euryalos auch in der Schlacht zu gebrauchen: In Il. 6.20–28 tötet er gleich vier Troianer und raubt ihnen die Rüstung. Hom. Il. 23,836–849.

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der Akteure kann sich also je nach Konkurrenzsituation verändern, es handelt sich somit nicht um eine klar umrissene, durch eindeutige Exklusionskriterien bestimmte, geschlossene, als ‚Adel‘ anzusprechende Gruppe. Vor allem aber übersehen alle, die hinter dem meritokratischen Reden von den ‚Besten‘ nur die ideologische Rechtfertigung eines letztlich völlig unmeritokratischen Adels sehen wollen, dass es keineswegs moderne Ideologiekritik ist, die hier Widersprüche erkennt, sondern dass der Dichter selbst sehr offensiv das Thema problematisiert,60 dass eine beanspruchte Vorrangstellung (wie im Falle Hektors, der auch in der Agora der Beste sein möchte) keineswegs bedeutet, dass man auch tatsächlich der ‚Beste‘ ist (das ist Pulydamas). Um wirklich der ‚Beste‘ zu sein, hat man sich im Wettbewerb nach den jeweils geltenden Regeln zu bewähren: mit Waffen in der Schlacht, mit Worten in der Agora. Von besonderem Interesse ist in diesem Kontext die teilweise fassbare Spannung zwischen dem allgemein anerkannten Anspruch, der Beste zu sein, und dem Tatbeweis in der konkreten Wettbewerbssituation. Deutlich wird dies vor allem bei den Leichenspielen für Patroklos, bei denen es zu einer Reihe von unerwarteten Siegen kommt. Der Favorit Eumelos verliert das Wagenrennen, weil Athene ihm die Achse seines Wagens bricht,61 Aias ist zwar der schnellste, verliert aber im Wettrennen gegen Odysseus, weil Athene ihn auf einem Kothaufen ausrutschen lässt,62 und Teukros, der beste Schütze unter den Achaiern,63 unterliegt im Bogenschießen gegen Meriones, weil Apollon ihm den Treffer verwehrt.64 Im Falle des Eumelos versucht Achill als Spielleiter zu intervenieren und erklärt: Da treibt als letzter der beste Mann die einhufigen Pferde! Doch auf! geben wir ihm als Preis, wie es sich gebührt, den zweiten; den ersten aber soll davontragen der Sohn des Tydeus.65

Der Gedanke dahinter ist an sich nachvollziehbar und respektiert auch den Umstand, dass es verschiedene Bereiche gibt, in denen jeweils unterschiedliche Personen die Besten sein können. Er führt aber die Idee von Konkurrenz ad absurdum, da damit

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Durchaus subtil und bedenkenswert ist hier die Lektüre von Rose (2012) 93–165, der mit Recht auf die ideologische Heterogenität der beiden Epen verweist, in denen eben gerade nicht eine einseitige ‚aristokratische‘ Ideologie zementiert wird, sondern Konflikte zwischen meritokratischen Normen und auf Herkunft und Besitz basierenden Geltungsansprüchen verhandelt werden. Bis zu Athenes Intervention führte er noch, wenn auch arg bedrängt: Hom. Il. 23,373–397; seine Favoritenrolle klingt bereits im Schiffskatalog (Il. 2,763–767) mit dem Lob seiner extrem schnellen Pferde an und wird in Il. 23,289 deutlich hervorgehoben; bezeichnend ist daher auch die Überraschung des Idomeneus, der als erstes Diomedes in Führung sieht, und vor allem in der harschen Reaktion des Aias, der sich weigert, ihm zu glauben, und einen Streit vom Zaun bricht (Il. 23,448–498). Hom. Il. 23,759–776. Hom. Il. 13,313 f. Hom. Il. 23,856–883. Hom. Il. 23,536–538 (Übers. W. Schadewaldt): λοῖσθος ἀνὴρ ὤριστος ἐλαύνει μώνυχας ἵππους· / ἀλλ’ ἄγε δή οἱ δῶμεν ἀέθλιον ὡς ἐπιεικὲς / δεύτερ’· ἀτὰρ τὰ πρῶτα φερέσθω Τυδέος υἱός.

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impliziert wird, dass von Vornherein klar ist, wer der Beste ist, ohne dass dies unter Beweis gestellt werden muss.66 Achill dringt damit freilich nicht durch, da Antilochos, der Zweitplatzierte, auf seinem Preis besteht – also das Primat objektiver Leistung einfordert – und zwar, wie der Dichter explizit festhält, mit Recht (δίκῃ).67 Diese Intervention Achills zu Beginn der Leichenspiele für Patroklos findet ihr Pendant beim Lanzenwurf, dem letzten Wettkampf dieser Spiele. Denn dort schickt sich Agamemnon an, erstmals selbst als Wettkämpfer anzutreten, worauf Achill ein objektives Sich-Messen prophylaktisch unterbindet: Agamemnon erhält den ersten Preis, ohne überhaupt antreten zu müssen, denn er sei, so Achill, mit der Lanze sowieso der Beste.68 Hätte Agamemnon verloren, so ist zu vermuten, hätte dies seine Autorität als Führer der Griechen erneut erheblich geschwächt. Dass Achill diese Konkurrenz nicht zulässt, kann daher als kluger Schachzug zur Vermeidung weiterer Konflikte gedeutet werden. Gleichzeitig wird damit aber auch das ambivalente Bild von Agamemnon, das das ganze Epos durchzieht, nochmals unterstrichen: Er ist zwar der ‚Königlichste‘, doch den Beweis, dass er auch der Beste ist, bleibt er schuldig – schlimmer noch, sein Status als ‚Bester‘ basiert in diesem Fall einzig auf der Anerkennung durch Achill.69 Das Motiv, dass jemand nur „nach dem Aussehen Bester“ (εἶδος ἄριστος) sei, ist insbesondere in der Ilias sehr prominent. Der hohe Stellenwert, welcher der äußeren Erscheinung eingeräumt wird, befördert die Erwartungshaltung, dass dies mit entsprechenden Taten korrespondieren sollte.70 So ist Aias unter den Achaiern (zumindest nach Achill) herausragend, was sein Aussehen (εἶδος), aber auch seine Taten (ἔργα) anbelangt.71 Wenn Hektor seinem Bruder Paris vorwirft, er sei nur „an Aussehen Bes-

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Dass genau das der Sinn der Spiele sei, d. h. dass Preise nach Leistung und Zuschreibung vergeben werden und so die Unterscheidung von ‚ascribed‘ und ‚achieved status‘ verwischt werde, betont Papakonstantinou (2002) spez. 57–62 – dabei wird jedoch die dadurch generierte Abhängigkeit von der Zuschreibung durch den Spielgeber unterschätzt (s. u.), zumal es eben (anders als Papakonstantinou impliziert), zwar Statusunterschiede, aber keine (im modernen Sinne) klar abgrenzbare ‚Aristokratie‘ gab. Hom. Il. 23,542. Hom. Il. 23,890–892. Van Wees (1992) 95 sieht im Aussetzen des Wettkampfs einen Beleg dafür, dass persönliche Exzellenz nur ein ideologischer Deckmantel sei, hinter dem sich eigentlich eine festgefügte Statusgesellschaft verbirgt (d. h. Agamemnon ist der Beste, weil er der Königlichste ist, egal was er tatsächlich tut oder kann) – dabei wird aber die Abhängigkeit, in die Agamemnon gedrängt wird, völlig ignoriert. Eine m. E. stimmigere Deutung bietet Donlan (1993), der den „geschenkten“ Sieg als Schlussakt eines langen „Duells“ mit Gaben deutet, mit dem Achill sich einerseits endgültig mit Agamemnon versöhnt, aber gleichzeitig seine Superiorität demonstriert; vgl. auch Papakonstantinou (2002) 58. Eine etwas andere, aber hochsubtile Deutung der Leichenspiele mit ihren unerwarteten Siegern und dem korrigierend eingreifenden, den Konsens der laoi berücksichtigenden Spielgeber Achill (der dadurch zum vorausschauenden umsichtigen Führer wird) bietet Ulf (2004). Die enge Verbindung von Schönheit und Tugend führte bekanntlich im fünften Jahrhundert (allerdings erst dann!) zum aristokratisch geprägten Ideal der kalokagathia, dazu Bourriot (1995) sowie Donlan (1973b); Mann (2009); Meier (1999); Meister (2012) 23–25. Hom. Il. 17,279 f.; vgl. Od. 11,550 f.; 24,17 f.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

ter“,72 so geschieht dies, um ihn zu entsprechenden Taten anzuspornen, genauso, wie der Vorwurf mehrfach an die Achaier als Kollektiv gerichtet wird, wenn ihr erlahmender Kampfgeist angestachelt werden soll.73 Wo Schein und Sein offensichtlich auseinanderklaffen, wird dies vom Dichter entsprechend vermerkt: So ist Nireus zwar nach Achill der Schönste aller Achaier, aber schwächlich und von wenigen laoi begleitet.74 Umgekehrt war Tydeus zwar klein, aber ein guter Kämpfer75 und selbst Dolon – das troianische Pendant zu Thersites – ist zwar vom „Aussehen schlecht“ (εἶδος κακός), aber ein schneller Läufer.76 In der Odyssee ist die Formel weniger präsent, doch mit dem verkleideten Odysseus ist das Spiel von Sein und Schein ein Leitmotiv der gesamten Erzählung. Auch hier wird hervorgehoben, dass etwa der Bettler Iros zwar von großer Gestalt sei, aber keine Kraft und Stärke besitze.77 Besonders prominent ist die Episode um Euryalos, den „Besten an Aussehen“ unter den Phaiaken: Dieser beleidigt Odysseus, indem er ihn als Händler bezeichnet, der keinem echten Athleten gleiche, woraufhin Odysseus (bevor er die Phaiaken im Wettkampf besiegt) ihm sein dürftiges Denken und Sprechen vorwirft, das in frappantem Kontrast zu seinem schönen Äußeren stehe.78 Es genügt also nicht – das ist der Gedanke hinter all diesen Passagen –, εἶδος ἄριστος zu sein, sondern man muss auch den entsprechenden Tatbeweis erbringen – ja, jemandem zu unterstellen, er sei εἶδος ἄριστος, ist eine Beleidigung, die diesen Tatbeweis einfordert. Das gilt auch für die basileis, deren herausragende Stellung ganz stark über den meritokratischen Anspruch, auch herausragende Leistungen zu erbringen, legitimiert ist.79 Doch dass der ‚Beste‘ nicht immer der ‚Königlichste‘ ist und umgekehrt, wird im Epos mehrfach thematisiert und problematisiert. Diomedes wirft Agamemnon in der Agora vor, Zeus habe ihm lediglich ein Szepter, nicht aber Kampfkraft gegeben und nur wegen ersterem sei er geehrt,80 und der beleidigte Achill stört sich im neunten Gesang nicht nur an Agamemnons Anspruch, „königlicher“ (βασιλεύτερος) zu sein,81 sondern klagt auch, dass Leistung nicht mehr honoriert werde, und erklärt:

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Hom. Il. 3,39; vgl. 13,769. Hektor selbst wird analog von Glaukos als εἶδος ἄριστος, der aber den Kampf vernachlässige, getadelt – auch dort in der Absicht, ihn so zum Kampf anzustacheln (Il. 17,142). Hom. Il. 5,787 (Hera tadelt die Achaier als εἶδος ἀγητοί); 8,228 (Agamemnon tadelt die Achaier als εἶδος ἀγητοί). Hom. Il. 2,671–675. Hom. Il. 5,801. Hom. Il. 10,316. Hom. Od. 18,3 f. Euryalos als εἶδος ἄριστος: Hom. Od. 8,115–117; Beleidigung an Odysseus: Od. 8,159–164; Odysseus’ Replik: Od. 8,166–177. Der locus classicus ist die Ermahnung an Glaukos bei Hom. Il. 12,310–328. Hom. Il. 9,37–39. Den Anspruch, basileuteros zu sein, formuliert Agamemnon explizit in seinem Versöhnungsangebot an Achill (Hom. Il. 9,160), Odysseus, der die Botschaft überbringt, lässt diese heikle Passage

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

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Gleiches Teil wird dem, der zurückbleibt, und wer noch so sehr kämpft, und in gleicher Ehre steht der Schlechte wie auch der Tüchtige (ἐσθλός). Gleichermaßen stirbt der Tatenlose und wer vieles getan hat.82

Bemerkenswert ist jedoch vor allem jene Szene in der Dolonie, in der Agamemnon Diomedes auffordert, einen Gefährten für seinen gefährlichen Erkundungsgang zum Lager der Troianer zu wählen: Tydeus-Sohn Diomedes, du meinem Herzen Lieber! Zum Gefährten magst du dir denn wählen, wen immer du willst: Unter den sich Darbietenden den Besten, da ja viele es begehren. Und dass du nicht Scheu hast in deinem Sinn und den Besseren zurück lässt und den Schlechteren dir mitnimmst, und der Scheu nachgibst, auf die Abkunft blickend, auch nicht, wenn er königlicher ist.83

Der ‚Beste‘ und der ‚Königlichste‘ sind also nicht zwingend identisch, auch wenn, das macht die Passage deutlich, das Potential gesehen wird, dass ‚königlicher‘ Status eine echte Konkurrenz verfälscht – genauso wie Hektor über Pulydamas in der Agora den Sieg davontragen kann, obwohl letzterer der Bessere wäre. Dasselbe gilt für materielle Vorteile, die sich etwa in einer besseren Ausrüstung niederschlagen. Dass dies eine Rolle spielt, ist dem Dichter klar: Aias hat durchaus einen Vorteil in seinem Zweikampf gegen Hektor, weil sein Schild vom weitaus „Besten der Lederschneider“ gemacht worden ist.84 Doch eine gute Ausrüstung allein macht noch keinen guten Kämpfer und es ist keineswegs so, dass die aristoi und esthloi nur deshalb dieses Prestige genießen, weil sie die bessere Ausrüstung haben. Denn dem Dichter galten sie deshalb noch lange nicht als esthloi, wenn die Leistung nicht stimmte. Das macht eine bemerkenswerte Passage im 14. Gesang der Ilias deutlich. Dort kommt Poseidon den arg bedrängten Achaiern zu Hilfe und fordert sie auf, die Waffen zu tauschen:

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bezeichnenderweise in seinem ansonsten wörtlichen Botenbericht weg; Achills Entgegnung, dass ihm der Mann verhasst sei, der anderes im Sinn verbirgt, als er ausspricht (Hom. Il. 9,312 f.), deutet bereits an, dass er den Kern der Botschaft dennoch verstanden hat, und in seiner Ablehnung nimmt er in sarkastischem Ton denn auch ausdrücklich auf Agamemnons Anspruch, basileuteros zu sein, Bezug (Hom. Il. 9,392). Hom. Il. 9,318–320 (Übers. W. Schadewaldt): ἴση μοῖρα μένοντι καὶ εἰ μάλα τις πολεμίζοι· / ἐν δὲ ἰῇ τιμῇ ἠμὲν κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός· / κάτθαν’ ὁμῶς ὅ τ’ ἀεργὸς ἀνὴρ ὅ τε πολλὰ ἐοργώς. Augenfällig ist die kausale Verknüpfung von Taten und Leistung mit dem Anspruch ἐσθλός zu sein, was Schadewaldt daher mit „tüchtig“ statt „edel“ übersetzt. Hom. Il. 10,234–239 (Übers. W. Schadewaldt): Τυδεΐδη Διόμηδες ἐμῷ κεχαρισμένε θυμῷ / τὸν μὲν δὴ ἕταρόν γ’ αἱρήσεαι ὅν κ’ ἐθέλῃσθα, / φαινομένων τὸν ἄριστον, ἐπεὶ μεμάασί γε πολλοί. / μηδὲ σύ γ’ αἰδόμενος σῇσι φρεσὶ τὸν μὲν ἀρείω / καλλείπειν, σὺ δὲ χείρον’ ὀπάσσεαι αἰδοῖ εἴκων / ἐς γενεὴν ὁρόων, μηδ’ εἰ βασιλεύτερός ἐστιν. Hom. Il. 7,219–272; der σκυτοτόμων ὄχ’ ἄριστος wird in Il. 7,221 hervorgehoben.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

Welcher Mann aber standhaft ist und hat einen kleinen Schild an der Schulter, einem Geringeren gebe er den und tauche in einen größeren Schild!“ So sprach er, und die hörten gut auf ihn und gehorchten. Die Könige selber ordneten sie, wenn auch verwundet: Der Tydeus-Sohn und Odysseus und der Atreus-Sohn Agamemnon, und hinschreitend zu allen tauschten sie aus die kriegerischen Waffen; in tüchtige (esthla) tauchte der Tüchtige (esthlos) und gab die geringeren dem Geringeren.85

Die Begriffe esthlos und aristos sind also keineswegs homerische Äquivalente zu einem modern verstandenen Adelsbegriff, sondern besitzen eine stark leistungsorientierte Komponente – eine Leistung allerdings, die keine universelle Gültigkeit besaß, sondern in unterschiedlichen Feldern des Prestigeerwerbs immer wieder unter Beweis zu stellen war. Der Anspruch homerischer Helden, immer der Beste zu sein, ist Ausdruck des daraus resultierenden Dilemmas: Man war nicht einfach der Beste, sondern musste sich beweisen, und zwar nicht einfach nur in einem Bereich, der einem dann quasi mit gesamtgesellschaftlicher Gültigkeit ‚adelte‘, sondern immer in einer zwar nicht beliebigen, aber dennoch beachtlichen Vielzahl an Feldern der Konkurrenz, die alle Prestige vermitteln konnten und jeweils nach eigenen Regeln funktionierten. Daraus resultierte eine Vielzahl an ‚Partiell-Besten‘, was nicht mit einer völligen sozialen Offenheit zu verwechseln ist, aber auch keinem ideologisch geschlossenen Adel mit klaren Zugehörigkeitskriterien entspricht. 5.2.2 Die Scheinmodernität archaischer Konkurrenz Der Befund, dass es unterschiedliche Bereiche gibt, in denen unterschiedliche Personen die ‚Besten‘ sein können, ist auf den ersten Blick nicht sonderlich erstaunlich, sondern wirkt primär funktional. Hesiods Schilderung der guten Eris beschreibt genau das: Der Nachbar läuft mit dem Nachbarn um die Wette nach Wohlstand; so nützt diese Eris den Menschen. Töpfer eifert mit Töpfer, und Maurer eifert mit Maurer, und Bettler beneidet den Bettler, der Sänger den Sänger.86

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Hom. Il. 14,376–382 (Übers. W. Schadewaldt): ὃς δέ κ’ ἀνὴρ μενέχαρμος, ἔχει δ’ ὀλίγον σάκος ὤμῳ, / χείρονι φωτὶ δότω, ὃ δ’ ἐν ἀσπίδι μείζονι δύτω. / Ὣς ἔφαθ’, οἳ δ’ ἄρα τοῦ μάλα μὲν κλύον ἠδὲ πίθοντο· / τοὺς δ’ αὐτοὶ βασιλῆες ἐκόσμεον οὐτάμενοί περ / Τυδεΐδης Ὀδυσεύς τε καὶ Ἀτρεΐδης Ἀγαμέμνων· / οἰχόμενοι δ’ ἐπὶ πάντας ἀρήϊα τεύχε’ ἄμειβον· / ἐσθλὰ μὲν ἐσθλὸς ἔδυνε, χέρεια δὲ χείρονι δόσκεν. Hes. erg. 23–26 (Übers. E. G. Schmidt): ζηλοῖ δέ τε γείτονα γείτων / εἰς ἄφενος σπεύδοντ’· ἀγαθὴ δ’ Ἔρις ἥδε βροτοῖσιν. / καὶ κεραμεὺς κεραμεῖ κοτέει καὶ τέκτονι τέκτων, / καὶ πτωχὸς πτωχῷ φθονέει καὶ ἀοιδὸς ἀοιδῷ.

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

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Unterschiedliche Formen der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Akteure mit jeweils unterschiedlichen Zielen folgen jeweils eigenen Regeln. Doch der Eindruck, dass es sich bei diesen Feldern der Konkurrenz um funktional ausdifferenzierte Systeme handelt, ist trügerisch und zu modern gedacht: Einerseits ist das Spezialistentum erst ansatzweise ausgebildet – Hesiods eigene dichterische persona ist zugleich Nachbar (beziehungsweise Bauer)87 und Sänger –, andererseits bleibt der Erfolg in einem Feld der Konkurrenz nicht auf dieses beschränkt (es fehlt also die die Moderne kennzeichnende operative Geschlossenheit des Systems),88 sondern hat das Potential, gesamtgesellschaftliche Auswirkungen zu haben. So erwirbt der arbeitsame Bauer Reichtum, was aber nicht auf ein agrarisch-ökonomisches Teilsystem der Gesellschaft (beziehungsweise das entsprechende soziale Feld mit seiner ökonomischen Eigenlogik) beschränkt bleibt, sondern das Potential hat, die gesamtgesellschaftliche Position des Akteurs zu verbessern. Denn, so erklärt Hesiod: […] dem Reichtum aber folgt Tugend und Ehre.89

Das ist keine funktionale Ausdifferenzierung im Sinne einer modernen Gesellschaft – ganz im Gegenteil: Es ist ein Indiz für eine mangelnde Adelsbildung in einer Gesellschaft, die an sich Ehre und Prestige als primäres Ordnungsprinzip anerkennt, aber mit dem Problem zu kämpfen hat, dass es eine Vielzahl potentiell ‚adelnder‘ Qualitäten gibt, die in unterschiedlichen Feldern der Konkurrenz nach unterschiedlichen Spielregeln erworben werden können, aber alle das Potential haben, gesamtgesellschaftliches Ansehen zu vermitteln. Wie sehr das jedoch auf den ersten Blick modern wirken kann, wird deutlich, wenn man sich die klassische Definition von Konkurrenz bei Georg Simmel vor Augen führt.90 Simmel definiert dort Konkurrenz als indirekten Kampf mindestens zweier Parteien um die Gunst Dritter und hebt die enorme vergesellschaftende Wirkung hervor, die dieses Werben um Dritte zur Folge hat. Gleichzeitig betont er aber auch, dass dies ein typisches Phänomen der Moderne sei, wo andere Formen der Vergesellschaftung – die Rede ist von „primitiver Solidarität“ oder „allgemeine historische Normen“ – im Schwinden begriffen seien.91 Damit kausal verknüpft ist die mit einem hohen Risiko verbundene Bereitschaft der Akteure, sich einem Wettbewerb auszusetzen, bei dem lediglich die individuelle, objektiv messbare Leistung Berücksichtigung finden sollte. Gerade in dieser „Objektivität des Verfahrens, die ihre Wirkung 87 88 89 90 91

Schmitz (2004) 52–60 macht plausibel, dass geiton nicht den Nachbarn im modernen bzw. frühneuzeitlichen Sinne meinte, sondern ausschließlich den benachbarten, landbesitzenden Bauern. Zur operativen Schließung von Systemen s. Luhmann (1997) 92–99. Hes. erg. 313 (eigene Übers.): […] πλούτῳ δ’ ἀρετὴ καὶ κῦδος ὀπηδεῖ. Simmel (1995) 221–246 (erstmals erschienen 1903) sowie leicht modifiziert in Simmel (1908) 282– 306. Zum heuristischen Mehrwert Simmels für die Beschreibung archaischer Eliten s. jetzt auch Stein-Hölkeskamp (2018) 57–59 sowie die Beiträge in Meister & Seelentag (2020a). Simmel (1995) spez. 227 f. (dort auch die Zitate).

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

ausschließlich der Sache und ihren gesetzlichen Wirkungen verdankt, unter völliger Gleichgültigkeit gegen die dahinterstehende Persönlichkeit,“ sieht Simmel einen weiteren entscheidenden Zug des modernen Denkens.92 Konkurrenz und Objektivität hängen für Simmel also direkt mit der Entwicklung der modernen Welt und der Herauslösung des Individuums aus traditionalen Formen der Vergesellschaftung zusammen. Diese Modernität wird besonders deutlich, wenn man sich Simmels „Exkurs zum Adel“ ansieht.93 Denn beim Adel sieht Simmel den Zusammenhang von Leistung und Individuum aufs Engste mit der Gruppenzugehörigkeit verwoben und gerade das macht das soziologisch Besondere des Adels aus: Jede Persönlichkeit einer Adelsgruppe […] hat in ihrem Werte teil an dem Glanze, den gerade die hervorragendsten Mitglieder dieser Gruppe erworben haben […], gerade die hier angehäuften positiven Werte an Verdiensten, Vorzügen, Ehren strahlen in einer unabgelenkteren Weise, als dies sonst in irgend welchen Gruppen statthat, auf den Einzelnen über.94

Diese Vorstellung eines Individuums, das an den kollektiven Verdiensten der Gesamtgruppe Anteil hat, verträgt sich nicht mit der Forderung nach einer objektiv, rein sachlich begründeten Konkurrenz, in „völliger Gleichgültigkeit gegen die dahinterstehende Persönlichkeit“. Letzteres muss wohl in der Tat als typisches Merkmal der Moderne angesehen werden, bei der die Ausdifferenzierung autonomer Funktionssysteme überhaupt erst die Voraussetzung für ein solches rein objektives Verfahren bildet.95 Das ist das, was Niklas Luhmann später als funktionale Differenzierung bezeichnet hat, das heißt eine Aufteilung der Gesellschaft in Funktionssysteme, die jeweils nach ihrer eigenen Logik funktionieren und in denen die für vormoderne stratifizierte Gesellschaften bezeichnende „funktionale Äquivalenz von Rollen und Systemen“, also die funktionale Diffusität oder Multifunktionalität von „Prominenzrollen“, abhandenkommt.96 Wenn in den homerischen Epen klar anerkannt wird, dass es verschiedene Felder der Konkurrenz gibt, die nach jeweils eigenen Regeln funktionieren, und die Forderung aufgestellt wird, dass der jeweils Beste und nicht der Königlichste reüssieren solle, so mutet das auf den ersten Blick in der Tat erstaunlich ‚modern‘ an. Wie be92 93 94 95

96

Ebd. 246. Simmel (1908) 732–746. Simmel (1908) 739. Ein Großteil von Simmels Abhandlung befasst sich denn auch mit den verschiedenen Möglichkeiten, die Gesellschaften anwenden, um Konkurrenz nicht oder nur teilweise zuzulassen: Simmel (1995) 229–239. Den grundsätzlich modernen Charakter von Wettbewerb als Interaktionsmodus im Kontext der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft hebt in Anschluss an Simmel dezidiert auch Rosa (2006) hervor. Damit markiert die funktionale Differenzierung einen wesentlichen Unterschied nicht nur zur Stratifizierung nach Rang, sondern auch zur Schichtung nach Klassen: s. Luhmann (1985) – Zitat: ebd. 150; allgemein zur funktionalen Differenzierung s. Luhmann (1997) 743–776. Zum Konzept der ‚Prominenzrolle‘ s. u. S. 210 f.

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

209

reits dargelegt kursiert seit dem 19. Jahrhundert in der Forschung das Schlagwort des ‚agonalen Denkens‘, das als quasi essentialistischer Wesenszug der frühen Griechen bemüht wird, um dieses ‚modern‘ anmutende Konkurrenzverhalten und die daraus resultierenden Strukturen zu erklären.97 Dabei wird die Konkurrenz an sich jedoch kaum problematisiert, sondern als selbstverständlich – zumindest für die Griechen – vorausgesetzt. Simmels Überlegungen warnen hier jedoch davor, moderne Selbstverständlichkeiten anachronistisch auf das frühe Griechenland zu übertragen. Denn die Forderungen nach einem objektiven Sich-Messen sind in einem vormodernen Kontext, wo Individuen stärker in soziale Strukturen wie etwa hierarchische Rangklassen eingebunden sind, die Ausnahme. Die meisten (vormodernen) Gesellschaften tendieren – wenn man den Gedanken idealtypisch zuspitzt – eher dazu, Konkurrenz einzuschränken und zu begrenzen, etwa indem sich die Konkurrenten untereinander verständigen, auf eine echte Konkurrenz zu verzichten und stattdessen die knappen Güter, um die konkurriert wird, solidarisch untereinander aufzuteilen, was meist zu Lasten der dritten Instanz geht, die nun nicht mehr umworben werden muss und dadurch an Bedeutung verliert.98 Einen stabilen Adel könnte man daher auch als ein Kartell bezeichnen, in dem sich die Konkurrenten darauf verständigt haben, allen einen ungefähr gleichen Anteil an Ehre zuzugestehen, also in einer adelsinternen Binnenkommunikation Rangfragen zu klären, nicht aber in einem öffentlich ausgetragenen Konkurrenzkampf mit einer dritten Instanz als Schiedsrichter.99 Das ‚agonale Denken‘ der Griechen ist also kaum die Ursache der beobachteten Phänomene, sondern eine Folge bestimmter Formen gesellschaftlicher Organisation,

97

98 99

S. o. Kap. 4. Der von Jacob Burckhardt (bzw. Ernst Curtius) geprägte Terminus hat eine große Karriere gemacht, vgl. etwa Ehrenberg (1935), Berve (1965) und – noch ganz im Geiste Burckhardts – Flaig (2010), ebenfalls Bezug auf das ‚Agonale‘ als spezifisch griechische Mentalität nimmt Duplouy (2006) 271–287 und auch Young (1984) 175 meint in einer sonst ausgesprochen rezeptionsgeschichtlich-kritischen Arbeit mit Verweis auf Burckhardt: „It was the Greek’s nature to put himself and others to the concrete test“ (Hervorhebung JM). Freilich ist das ‚Agonale‘ als ‚zweckfreier‘ Wettbewerb kein eigentlicher Quellenbegriff, sondern in vielen Punkten ein bildungsbürgerliches Gegenkonstrukt gegen den ökonomisch begründeten Utilitarismus des 19. Jhs., s. v. a. Ulf (2006) und Ulf (2011b) sowie Burckhardt (1999); Weiler (1974); Weiler (1975); Weiler (2006a) sowie die Ausführungen o. Kap. 4. Trotz der Konstruktivität und des ideologischen Ballasts bestreitet jedoch niemand ernsthaft den ausgeprägten Wettbewerbscharakter diverser Praktiken im frühen Griechenland, für eine ausgewogene Einschätzung s. Burckhardt (1999) und für den Versuch, eine differenziertere Betrachtung von Wettbewerbskulturen zur Polisgenese heranzuziehen, Ulf (2011c) sowie jetzt grundlegend der Sammelband von Meister & Seelentag (2020a). Allgemein zu verschiedenen Ansätzen, ‚Konkurrenz‘ in historischer Perspektive zu betrachten, s. insbesondere mit Blick auf die entsprechenden Handlungsfelder und institutionellen Rahmenbedingungen Hölkeskamp (2014); soziologisch weniger scharf, da zwischen Rivalität, Konkurrenz und Kampf nicht klar geschieden wird, aber dennoch anregend ferner van Wees (2011). Simmel (1995) 238: „Da nun die Mittel der Konkurrenz größtenteils in Vorteilen, die einem dritten geboten werden, bestehen, so wird in eben dem Maß dieser dritte die Kosten der Verständigung über den Verzicht zu tragen haben […].“ S. dazu Meister & Seelentag (2020b) 14–21 und v. a. Seelentag (2020)

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

die eine adlige Binnenkommunikation erschwerte und daher zu einem scheinbar ‚modernen‘ Konkurrenzverhalten führte. Diese gesellschaftliche Organisation unterscheidet sich jedoch wesentlich von der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft, die in Simmels Modell die Voraussetzung für den Siegeszug objektiver Konkurrenz darstellte. Der entscheidende Unterschied ist, dass die einzelnen Felder der Konkurrenz bei Homer weder operativ geschlossen sind, noch ihre Funktion das eigentlich entscheidende Kriterium ist. Denn ein Sieg bleibt in seinen Auswirkungen nicht auf das jeweilige Feld der Konkurrenz beschränkt, sondern hat zumindest das Potential gesamtgesellschaftlicher Auswirkung durch die Steigerung von Prestige und Rang des Siegers. Damit tritt die Funktionalität – etwa, dass man in der Agora bessere Lösungen findet, wenn der beste Rat reüssiert – hinter den damit einhergehenden Wettkampf um Ehre und Anerkennung zurück. Die Auseinandersetzungen zwischen Pulydamas und Hektor zeigen das deutlich: Hektor will, weil er in der Schlacht der Beste ist, auch im Rat besser sein als andere, doch Pulydamas als derjenige, der mit Worten besser ist, ist nicht bereit, ihm hier den Vorrang zuzugestehen. Dass Gemeinwohl – also der funktionale Aspekt – ist zwar präsent, bleibt aber auf das Prestige der Akteure bezogen. So klagt Hektor im 22. Gesang nicht so sehr über das Unglück, das er mit seinem schlechten Rat über die Troianer gebracht hat, sondern über die Schande, die ihm nun daraus erwächst.100 Das Problem, mit dem die homerischen Helden zu kämpfen haben, ist die Geltungskonkurrenz zwischen den verschiedenen Feldern des Prestigeerwerbs und die daraus resultierende Vielzahl an ‚Partiell-Besten‘. Denn dass man analytisch unterschiedliche ‚Prominenzrollen‘, die in verschiedenen sozialen Feldern zum Tragen kommen, unterscheiden kann101 – also verschiedene Bereiche, in denen man der ‚Beste‘ sein kann –, ist durchaus normal. Doch eine (stabile) Stratifikation zeichnet sich dadurch aus, dass diese Rollen nicht zu weit divergieren, oder um es mit Luhmann zu formulieren: Die Prominenzrollen müssen durchgehende Prominenz gewähren. Wer politisch herrscht, muss auch reich sein, muss auch als wissend gelten, muss mit den Besten des Landes verwandt sein, muss das sichtbar beste Haus bewohnen und den größten Haushalt haben, muss militärisch führen usw.102

100 Hom. Il. 22,99–110. S. o. S. 199 f. 101 Zu dem von Luhmann entlehnten Begriff der Prominenzrolle und seinem analytischen Potential s. Hölkeskamp (2011a), der auch auf die Möglichkeiten hinweist, dies mit Bourdieus Feldtheorie und Simmels Konkurrenzmodell zu verbinden; vgl. auch Hölkeskamp (2014) spez. 33–40 sowie jetzt Hölkeskamp (2018). 102 Luhmann (1987) 170.

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

211

Die homerischen Helden haben zwar durchaus diesen Anspruch, doch der Umstand, dass kein Held tatsächlich überall der Beste ist, zeigt, dass Kongruenz zwar angestrebt, aber nur partiell erreicht wird.103 Das hat zwei Gründe. Erstens gibt es vergleichsweise wenig institutionalisierte ‚Prominenzrollen‘. Zwar begegnen mit Priestern und basileis zumindest ansatzweise institutionalisierte Rollen, doch in den meisten Feldern des Prestigeerwerbs geht es eben gerade nicht darum, eine Rolle zu bekleiden, sondern der ‚Beste‘ zu sein, also um performative Akte der Bewährung: Man ist – um die beiden prominentesten Felder des Prestigeerwerbs hervorzuheben – eben nicht Feldherr, sondern der Beste im Kampf und nicht Redner, sondern der Beste in der Agora. Zugeschriebene Prominenz, die sich auf andere ‚Prominenzrollen‘ stützt, wird dabei zum Problem. Dies zeigt sich nicht nur in der bereits erwähnten Forderung an Diomedes, er solle den Besten und nicht den Königlichsten wählen, sondern auch in der Kritik an Agamemnon, dass er nur wegen seines Szepters, nicht wegen seiner Leistung geehrt sei.104 Der zweite Grund ist, dass es sehr viele Felder der Konkurrenz und somit sehr viele Partiell-Beste gibt: Schönheit, Kampfkraft, Herkunft, Weisheit und Umgang mit Worten, athletische Fertigkeiten, Reichtum, Gesang, aber auch handwerkliches Geschick – sie alle können, wenn auch nicht in gleichem Ausmaß, potentiell Prestige vermitteln und sie alle scheinen Felder zu sein, auf denen man sich bewähren kann.105 Das kann man als Phänomen einer noch unvollständigen Stratifizierung sehen: Denn Stratifikation zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie den Zugang zu prestigeträchtigen Rollen auf Personen beschränkt, die bereits Prestige besitzen, sondern auch dadurch, dass prominente Personen nur eine beschränkte Auswahl an ‚standesgemäßen‘ Rollen zur Verfügung haben.106 Die welthistorisch weitverbreitete aristokratische Verachtung manueller Arbeit ist sicherlich das typische Beispiel hierfür; doch gerade das fehlt den homerischen Helden.107 Dass die Bewährung in der Regel, ganz im Sinne von Simmels Konkurrenzmodell, vor einem Publikum stattfindet, dessen Anerkennung der besten Leistung die Quelle der erstrebten time ist, führt freilich nicht per se zu einer Objektivität des Verfahrens. Denn die Achaier sind durchaus bereit, Agamemnon wegen seines Szepters zu ehren, 103

Dabei handelt es sich natürlich nicht um ein absolutes Entweder-Oder: Abkömmlichkeit wird in vielen Fällen zentral gewesen sein, eine gewisse Kongruenz war damit sicher gegeben, war aber jenseits des „Reich-Seins“ eher schwach ausgeprägt. 104 Hom. Il. 10,237–239; 9,37–39. Das Moment der Bewährung vor den Augen der Öffentlichkeit, die als Instanz der Bewertung fungiert, hebt vor allem Ulf (1990) 1–49, spez. 41–49 hervor. 105 S. o. Kap. 5.2.1 sowie Ulf (1990) 29–49. 106 Luhmann (1985) 131: „Stratifizierte Gesellschaften müssen die für den Einzelnen zulässige Rollenkombination unter Beschränkung setzen, weil gerade darin die Schichtzugehörigkeit des Einzelnen und die Erwartungen, die an seine Interaktionsteilnahme gestellt werden können, zum Ausdruck kommen. Das hat eine negative und eine positive Seite: bestimmte Rollen werden durch Schichtzugehörigkeit ausgeschlossen, andere gefördert.“ 107 S. o. Kap. 2.2.1.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

und sie dulden es, dass Agamemnon dem Achill, obwohl dieser doch der Bessere ist, sein Ehrgeschenk wegnimmt.108 Die Troianer folgen dem Rat des Königssohns Hektor, obwohl Pulydamas in der Agora der Bessere ist.109 Und als Achill vorschlägt, Eumelos einen Preis zu geben, da er doch im Wagenrennen der Beste sei,110 obwohl dieser die Bewährung im objektiven Wettbewerb nicht bestanden hatte, stößt er bei der Mehrheit auf breite Zustimmung: So sprach er, und die alle hießen es gut, was er verlangte. Und nun hätte er ihm das Pferd gegeben, denn gut hießen es die Achaier, hätte nicht Antilochos, des hochgemuten Nestor Sohn, aufgestanden, dem Peliden Achilleus mit Recht erwidert: ‚Achilleus! sehr werde ich dir zürnen, wenn du dies Wort vollendest!‘111

Es ist also nicht so sehr der Druck der Öffentlichkeit, die als dritte Partei auf ein objektives Sich-Messen drängt – das ist viel zu modern gedacht: Die Bereitschaft, Prominenz einfach zuzuschreiben, ist durchaus vorhanden. Der Druck, sich auch bewähren zu müssen, kommt vielmehr von den Konkurrenten: Wenn Diomedes Agamemnon vorwirft, er werde nur wegen seines Szepters, nicht wegen seiner Tapferkeit geehrt, so reklamiert er gleichzeitig für sich selbst, tapferer zu sein – eine direkte Replik auf entsprechend Vorhaltungen, die ihm Agamemnon gemacht und die Diomedes durch seine glänzende Aristie Lügen gestraft hatte.112 Gegen Hektors Versuche, die Agora zu dominieren, wendet sich Pulydamas im Bewusstsein und mit dem Anspruch, hier der

108 Dass Agamemnon wegen seines Szepters (nicht wegen der Tapferkeit) geehrt wird: Hom. Il. 9,37– 39; die Nichtreaktion der Achaier in der Auseinandersetzung zwischen Agamemnon und Achill ist ebenfalls entscheidend und zeigt sich in Achills verbitterter Anschuldigung, Agamemnon gebiete über οὐτιδανοί, sonst hätte er das letzte Mal gefrevelt (Il. 1,231 f.); zur Bedeutung des fehlenden Protests des demos für das Verständnis des Zorns von Achill s. auch Allan & Cairns (2011) 113–121. Gerade im Falle des Konflikts zwischen Achill und Agamemnon zeigt sich das Dilemma der ‚dritten Instanz‘: Achill, der bestehende Hierarchien mit Verweis auf seine objektive Leistung aushebeln will, würde eine Publikumsreaktion benötigen, d. h. aktives Handeln seitens der Achaier, für Agamemnon genügt die passive Duldung seines Verhaltens, um als Zustimmung gewertet zu werden. Diese Asymmetrie hinsichtlich der Publikumsreaktion führt dazu, dass die Einforderung eines objektiven Verfahrens gegenüber der Bestätigung bestehender Hierarchien immer mit einem Mehraufwand verbunden ist und letzteres entsprechend wahrscheinlicher macht. 109 Hom. Il. 18,310–313; s. o. S. 199. 110 Hom. Il. 23,536–538; s. o. S. 202 f. 111 Hom. Il. 23,539–544 (Übers. W. Schadewaldt): Ὣς ἔφαθ’, οἳ δ’ ἄρα πάντες ἐπῄνεον ὡς ἐκέλευε. / καί νύ κέ οἱ πόρεν ἵππον, ἐπῄνησαν γὰρ Ἀχαιοί, / εἰ μὴ ἄρ’ Ἀντίλοχος μεγαθύμου Νέστορος υἱὸς / Πηλεΐδην Ἀχιλῆα δίκῃ ἠμείψατ’ ἀναστάς· / ὦ Ἀχιλεῦ μάλα τοι κεχολώσομαι αἴ κε τελέσσῃς / τοῦτο ἔπος. 112 Tadel durch Agamemnon: Hom. Il. 4,370–400; auf diesen inzwischen klar widerlegten Tadel nimmt Diomedes direkt Bezug (Il. 9,34–36), bevor er seinerseits Agamemnon der Feigheit bezichtigt. Diomedes ist freilich eine ambivalente Figur, denn als junger Heißsporn säht seine Rede Streit und veranlasst Nestor, die Versammlung aufzulösen (Il. 9,52–78).

5.2 Konkurrierende Felder der Konkurrenz

213

Bessere zu sein,113 genauso wie Antilochos sich dagegen wehrt, dass die Regeln des auf objektive Bewährung ausgerichteten Wettbewerbs verändert werden und er seinen Preis nicht behalten kann. Meritokratie ist also keine ‚Ideologie‘, mit der ein festgefügter ‚Adel‘ seine Stellung gegenüber dem Volk legitimiert:114 Das ‚Volk‘ (im Sinne derjenigen, die als Publikum fungieren und deren Anerkennung dem Sieger time verleiht) zeigt eine hohe Bereitschaft, Status auch ohne Bewährung einfach zuzuschreiben – die Forderung nach Meritokratie kommt von denjenigen, die im jeweiligen Feld unter objektiven Bedingungen die aussichtsreicheren Konkurrenten wären. Die Forderungen nach einem objektiven Wettbewerb um den Status des jeweils ‚Besten‘ sind also nicht per se funktional zu verstehen, sondern erklären sich aus einer erst ansatzweise stratifizierten Gesellschaft, in der verschiedene Felder der Konkurrenz die Chance auf Bewährung und Prestigeerwerb bieten. Das führt dazu, dass Prominenz eben gerade nicht durchgehend gewährleistet ist, sondern dass es verschiedene ‚Partiell-Beste‘ gibt, die entsprechend darauf bedacht sind, ihre spezifische ‚Bestigkeit‘ in den jeweiligen Feldern der Konkurrenz zu verteidigen, indem sie sich dagegen wehren, dass Rivalen versuchen, Prestige aus anderen Feldern und Rollen in die Waagschale werfen, was einen echten Wettbewerb verhindern würde. Die daraus resultierenden Forderungen nach einem objektiven Sich-Messen „unter völliger Gleichgültigkeit gegen die dahinterstehende Persönlichkeit“,115 ist also unter ganz anderen Bedingungen entstanden als die von Simmel untersuchte Konkurrenz in der Moderne. Die Situation in den Epen ist entsprechend labil: Es gibt dauernd Versuche einzelner Akteure, auf ihr Prestige aus anderen Kontexten zu verweisen und damit ihre eigentlich besseren Rivalen zu übertrumpfen. Hektors zumindest kurzfristiger Sieg über Pulydamas zeigt auch, dass ein solches Vorgehen durchaus erfolgversprechend sein konnte. Dass es dagegen Widerspruch gab, ist entscheidend, denn es verhinderte, dass sich eine als selbstverständlich akzeptierte Kongruenz von Prestigerollen herausbildete, und ermöglichte es stattdessen, dass die einzelnen Felder der Konkurrenz eine relativ hohe Autonomie entwickelten. Freilich bleibt es ein innerelitäres Phänomen: Widerspruch einlegen und eine objektive Konkurrenz einfordern kann zwar potentiell jeder, aber nicht jeder hat realistische Chancen, damit durchzudringen – je höher das eigene Prestige, desto größer die Chance auf Erfolg. Es ist also primär die Uneinigkeit der Oberschicht, die dazu beiträgt, dass Prestige stark an Bewährung und Leistung gebunden bleibt und dass die reine Zuschreibung von Status stets hinterfragt werden kann. Das verhindert jedoch eine einheitliche Selbstbeschreibung dieser Oberschicht, welche die Grundlage für eine soziale Schließung hätte bilden können: Es fehlen klare Zugangskriterien und damit ein einheitliches Konzept von ‚Adeligkeit‘, das einer klar umrissenen Gruppe hätte zugeschrie113 114 115

S. o. S. 198 ff. So van Wees (1992) 89–100. Simmel (1995) 246, s. o. S 207 f.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

ben werden können und die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe – unabhängig von der tatsächlichen Leistung – zu einem symbolischen Wert hätte werden lassen können. Damit blieb die zentrale Grundvoraussetzung, um zur Oberschicht zu gehören, der Status als unabhängiger, landbesitzender Vollbauer,116 also die ökonomische Leistungsfähigkeit des eigenen oikos. Das erschwerte es einerseits, sich gegen Aufsteiger abzugrenzen, und machte es andererseits weitgehend unmöglich, einen Abstieg durch den Einsatz symbolischen Kapitals zu verlangsamen, wenn die ökonomische Grundlage weggebrochen war. 5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume Die Existenz konkurrierender Felder der Konkurrenz, die damit verbundene Möglichkeit, in unterschiedlichen Zusammenhängen ‚adelndes‘ Prestige zu erwerben, und die daraus resultierende mangelnde ideologische Abschließung der Oberschicht führten zu einer erheblichen Ausweitung der Handlungsspielräume einzelner Akteure. Inwieweit Prestige aus einem in ein anderes Feld übertragen werden konnte, war nicht eindeutig geregelt und die Frage nach der Geltung oder Nichtgeltung von – auf den jeweils aktuellen Wettbewerb bezogen – sachfremdem Prestige war ein wesentlicher Teil der Auseinandersetzungen. Einzelne Akteure konnten daher je nach Situation versuchen, einen objektiven Wettbewerb zu hintertreiben, indem sie Geltung für sachfremdes Prestige beanspruchten, oder aber im Gegenteil genau jenen objektiven Wettbewerb einfordern und mit durchaus funktionalen Argumenten die Geltung sachfremden Prestiges bestreiten. Das führte zum stark ausgeprägten performativen Charakter archaischer Eliten, den die neuere Forschung herausgearbeitet hat:117 Geltung ist nicht von vornherein festgeschrieben, sondern muss aktiv beansprucht oder bestritten werden. Die Vielzahl potentiell ‚adelnder‘ Qualitäten eröffnete hier eine entsprechende Vielzahl an Handlungsoptionen. Dies zeigt sich deutlich bei dem nach gängiger Vorstellung herausragendsten Kriterium für ‚Adeligkeit‘: gute Geburt. Diese spielt in den Epen vor allem dann eine Rolle, wenn Nachteile kompensiert werden sollen. So kommt Diomedes im 14. Gesang der Ilias zu Beginn seiner Rede im Rat offensiv auf seine Abstammung zu sprechen, wobei er geschickt mit der Mehrdeutigkeit von genos spielt: Nah ist der Mann, nicht brauchen wir lange zu suchen, wenn ihr folgen wolltet, und euch nicht im Groll entrüstet ein jeder, darum, dass ich von der Generation (genea) her der Jüngste bin unter euch. Von einem edlen Vater aber rühme auch ich mich von der Abstammung (genos) her:

116 117

S. o. Kap. 2. S. v. a. Duplouy (2006).

5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume

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[…] Darum haltet mich nicht der Art (genos) nach für gering und kraftlos, dass Ihr mein Wort missachtet, das gesprochene, wenn ich Gutes rede.118

Die Abstammung soll hier das jugendliche Alter und die damit verbundene Unerfahrenheit des Diomedes kompensieren. Denn genau das hatte ihm Nestor bei seinem vorangehenden Auftritt in der Agora vorgehalten.119 Dass Ältere ein höheres Gewicht haben, wenn es um das Erteilen von Rat geht, ist an sich eine feste Regel.120 Diomedes wäre daher eigentlich gar kein satisfaktionsfähiger Konkurrent im Wettstreit mit Worten – zumindest außerhalb seiner eigenen Altersklasse –, denn guten Rat zu erteilen sei, so Nestor, ein Vorrecht (γέρας) des Alters.121 Indem Diomedes auf das Prestige seiner Abstammung verweist, versucht er jedoch, die geltenden Spielregeln im Wettkampf mit Worten zu seinen Gunsten zu verändern. Dass diese Auseinandersetzung sich nicht nur auf die Ilias beschränkt, zeigt das bereits angesprochene Fragment des Dichters Phokylides, der fragt, was denn eugeneia nütze, wenn ihr kein überzeugender Rat und gute Worte folgten.122 Eine Entwicklung ist hier freilich insofern abzulesen, als mit eugeneia ein Konzept auf den Begriff gebracht wird, das in den Epen in dieser Form nicht vorkommt: Dort wird immer auf konkrete Vorfahren und deren konkrete Taten verwiesen, das heißt, eine abstrakte Vorstellung von ‚guter Geburt‘ als allgemeines Konzept, losgelöst vom jeweiligen Einzelfall, fehlt.123 Doch nicht erst Phokylides kann gute Geburt und guten Rat miteinander kontrastieren, auch in den Epen kann – ganz anders als Diomedes dies impliziert – gefordert werden, dass jemand, der von höherer Geburt ist, sich von Älteren und Weiseren führen lässt. So hatte Menoitios den Patroklos ermahnt, Achill mit Worten zu lenken, und

118

Hom. Il. 14,110–113; 126–127 (Übers. W. Schadewaldt, adaptiert): ἐγγὺς ἀνήρ· οὐ δηθὰ ματεύσομεν· αἴ κ’ ἐθέλητε / πείθεσθαι, καὶ μή τι κότῳ ἀγάσησθε ἕκαστος / οὕνεκα δὴ γενεῆφι νεώτατός εἰμι μεθ’ ὑμῖν· / πατρὸς δ’ ἐξ ἀγαθοῦ καὶ ἐγὼ γένος εὔχομαι εἶναι […] τὼ οὐκ ἄν με γένος γε κακὸν καὶ ἀνάλκιδα φάντες / μῦθον ἀτιμήσαιτε πεφασμένον ὅν κ’ ἐῢ εἴπω. 119 Hom. Il. 9,57. Für die Intention des Dichters ist dabei durchaus erheblich, dass die äußere Handlung Nestor Recht gibt: Diomedes führte mit seiner Rede die Achaier an den Rand einer Stasis (so der Vorwurf bei Il. 9,63 f.). 120 Vgl. Hom. Il. 1,259; 4,322 f.; 19,217–219; dem entspricht die pauschal zugeschriebene Unbesonnenheit der Jüngeren: Il. 3,105–110; 23,587–589; Od. 7,293 f. 121 Hom. Il. 4,322; dass Diomedes innerhalb seiner Altersklasse der Beste sei, gesteht ihm Nestor freilich zu (Il. 9,54); genauso wie Thaos in der Agora schwer zu besiegen ist, wenn die kouroi sich mit Worten messen (Il. 15,284). 122 Phokylides 3 G.-P. (= 3 D = Stob. 4,29,28); s. o. S. 193. 123 Vgl. Donlan (1973c) – Duplouy (2006) 38–56 sieht dagegen keine wesentliche Entwicklung, was daran liegt, dass er die Praxis, auf Abstammung zu verweisen (die in den Epen durchaus begegnet), für wichtiger erachtet als die begriffliche Fassung abstrakter Konzepte. In Hinblick auf eine allgemeinverbindliche Vorstellung von ‚Adeligkeit‘ sind jedoch gerade solche abstrakten Begriffe zentral.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

dies obschon Patroklos nur ein Gefolgsmann (θέραπον), von Geburt schlechter und weniger kräftig ist: Mein Kind! Von Geburt ist der Höhere Achilleus der Ältere aber bist du, doch an Kraft ist er viel besser. Doch du sprich ihm gut zu mit dichtem Wort und rate ihm und gib ihm Weisung, und er wird dir folgen zum Guten.124

Alter und Abstammung sind beides erst einmal zugeschriebene Indikatoren für ‚Bestigkeit‘, sie können aber, je nach Situation, unterschiedlich zum Einsatz kommen und dabei auch gegeneinander ausgespielt werden, so dass weder eine Rangordnung nach Abstammung, noch eine nach Altersklassen absolute Geltung beanspruchen kann. Abstammung kann auch angeführt werden, um den Verdacht mangelnder Leistung zu kompensieren. Das klingt bei Diomedes’ Versicherung, dass er nicht gering und kraftlos sei, bereits an, wird aber besonders deutlich bei der ausführlichsten Auflistung einer Genealogie in den Epen überhaupt: Ainaias brüstet sich in der Schlacht gegenüber Achill mit seinem sieben Generationen zurückreichenden genos125 – dies als direkte Reaktion auf die Schmähungen Achills, der ihn nicht nur als nicht ebenbürtigen Gegner ansah, sondern ihm auch seine frühere Flucht vorhielt.126 Freilich machen die Epen auch deutlich, dass bei tatsächlich fehlender Leistung die Abstammung nicht viel zählt, beziehungsweise schlechte Abstammung durch entsprechende Leistung wettgemacht werden kann.127 Dennoch ist Abstammung eine Quelle von Prestige, die man in unterschiedlichen Kontexten zur Geltung bringen oder es zumindest versuchen kann. Zumindest partielle Ebenbürtigkeit reklamiert denn auch Penelope für den als Bettler verkleideten Odysseus gegenüber den Freiern, indem sie auf die edle Herkunft des Fremden verweist als Argument, um ihn am Bogenschieß-Wettbewerb teilnehmen zu lassen.128 Der Fall zeigt jedoch deutlich, dass Abstammung kein ausreichender Faktor war, um durchgehende gesellschaftliche Prominenz zu garantieren. Denn dass Odysseus als Bettler kein gleichberechtigter Konkurrent ist, wird nie in Zweifel gezogen;129 ferner zeigt gerade dieser Fall, dass Genealogien und Abstammung ein trügerisches ‚Kapital‘ darstellen. So ist die angeblich edle Abstammung des Bettlers einzig durch dessen eigene Aussage zur sozial verhandelbaren ‚Tatsache‘ geworden – und ist, wie der Leser weiß, zumindest in dieser Form nichts weiter als eine der vielen Lügenge124 Hom. Il. 11,786–789 (Übers. W. Schadewaldt): τέκνον ἐμὸν γενεῇ μὲν ὑπέρτερός ἐστιν Ἀχιλλεύς, / πρεσβύτερος δὲ σύ ἐσσι· βίῃ δ’ ὅ γε πολλὸν ἀμείνων. / ἀλλ’ εὖ οἱ φάσθαι πυκινὸν ἔπος ἠδ’ ὑποθέσθαι / καί οἱ σημαίνειν· ὃ δὲ πείσεται εἰς ἀγαθόν περ. 125 Hom. Il. 20,213–241. 126 Hom. Il. 20,178–198. 127 Vgl. Hom. Il. 4,399 f.; 5,800 f.: Tadel an Diomedes, weil sein Vater der Bessere im Kampf war; Il. 15,641: Periphetes ist der bessere Sohn eines schlechteren Vaters. 128 Hom. Od. 21,335; s. o. S. 200 f. 129 Hom. Od. 21,314–317; 321 f.

5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume

217

schichten, die Odysseus seiner Umgebung erzählt. Alain Duplouy hat daher durchaus treffend auf den performativen Charakter von Abstammung hingewiesen: Man muss sie aktiv propagieren und hat zumindest die Chance, Anerkennung zu finden, doch ein automatisches Prärogativ ist damit nicht verbunden.130 In den Epen ist edle Geburt denn auch kein klar definiertes Kriterium. So kann in der Lügengeschichte des Odysseus auch der Bastardsohn des Kreters Kastor, dessen Erfolg wesentlich in seiner eigenen Tüchtigkeit gründet, sich seiner Abkunft rühmen, indem er (was später nicht mehr ohne weiteres möglich gewesen wäre) den unfreien Status der Mutter einfach ausblendet.131 Die typische Strategie eines homo novus, der wie in der römischen Republik die persönliche virtus gegen die Ansprüche der etablierten, durch Geburt definierten nobiles in Stellung bringen muss,132 fehlt hier völlig: Der Sohn des Kastors gibt sich gerade nicht als homo novus, der es trotz seiner Abstammung wegen seiner überragenden Tüchtigkeit zu etwas gebracht hat, sondern reklamiert für sich Tüchtigkeit und gute Abstammung. Dass eine solche Geltungsbehauptung formuliert werden konnte, liegt daran, dass es eben keine geschlossene, über Abstammung definierte Gruppe von ‚Adligen‘ gab, die dies zum exklusiven, klar definierten Kriterium erklärt hätte, sondern dass Abstammung lediglich eine lose gefasste Quelle individuellen Prestiges unter vielen darstellte. Die unterschiedlichen Quellen von Prestige sind jedoch nur ein Faktor, der dazu beiträgt, die Handlungsspielräume zu erweitern. Wichtig ist auch – gerade bei Prestige, das auf Leistung basiert –, dass es in unterschiedlichen Kontexten beziehungsweise unterschiedlichen sozialen Feldern erworben wird. Die ‚Logik‘ des jeweiligen Prestiges kann daher grundsätzlich infrage gestellt und so die jeweils eigene Position gestärkt werden. So gilt Agamemnon als der ‚Beste der Achaier‘, weil er über die meisten Leute herrscht.133 Dieser Anspruch wird jedoch zum Kern des Konflikts mit Achill, der (allerdings erst nachdem der Streit eskaliert) ebenfalls beansprucht, der ‚Beste der Achaier‘ zu sein,134 während Agamemnon ihm lediglich zugesteht, wegen seiner göttlichen Mutter kräftiger zu sein, nicht aber gleich (ἴσος) und schon gar nicht besser.135 Nestor, der zu schlichten versucht, stellt die Qualitäten beider nebeneinander, ohne eine direkte Hierarchisierung vorzunehmen, und ruft zur Versöhnung auf.136 Die beiden Quellen

130

131 132 133 134 135 136

Duplouy (2006) 37–77 – der Ansatz, der Herkunft als ein Faktor unter vielen sieht, die Prestige vermitteln können, ist grundsätzlich begrüßenswert; die These, dass es hier keinerlei Veränderungen zwischen den ‚Dark Ages‘ und der ausgehenden Klassik gegeben habe, ist jedoch in dieser Form zu pauschal. Hom. Od. 14,199–234. Vgl. Dugan (2005); van der Blom (2010). Hom. Il. 2,577; 580; zustimmend, dass Agamemnon besser (φέρτερος) sei, weil er mehr laoi habe: Nestor in Il. 1,281. Hom. Il. 1,244; 412; in Il. 1,91 gesteht er dies noch Agamemnon zu. Hom. Il. 1,178; 186 f. Hom. Il. 1,280 f.

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5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

von Prestige basieren jedoch, mit Menge an Gefolgsleuten auf der einen und persönlicher Exzellenz auf der anderen Seite, auf zwei letztlich nicht direkt vergleichbaren Prämissen, die aus der jeweils anderen Perspektive völlig zu Recht infrage gestellt werden können. Das eröffnet zwar Handlungsspielräume, doch bleiben diese insofern begrenzt, als der Interaktionszusammenhang, in dem über Geltung oder Nichtgeltung von Prestige verhandelt wird, konstant bleibt. Die Simmel’sche ‚dritte Instanz‘ ist die Gesamtheit der Achaier, vor welcher der Streit ausgetragen wird. Daher bleibt Achill, nachdem die Achaier nicht gegen seine Entehrung protestieren, nur die Option, sich zurückzuziehen, um Agamemnon und den restlichen Achaiern durch diesen Akt zu demonstrieren, wie unentbehrlich er tatsächlich ist, also darauf zu setzen, dass äußere Ereignisse und zeitliche Dauer zu einem Umdenken im ‚Publikum‘ führen. In Situationen, wo nicht nur unterschiedliche Qualitäten, sondern auch unterschiedliche Interaktionszusammenhänge im Spiel sind, sich also das ‚Publikum‘ ändert, stehen den Akteuren mehr Optionen zur Verfügung. Die eingangs angesprochene Devianz des Hippokleides spielt mit genau diesem Umstand: Prestige, das ein Rivale vor einem panhellenischen Publikum in Sikyon erworben hat, wird im Kontext der eigenen Heimatpolis infrage gestellt.137 Genauso funktioniert die ‚Sportkritik‘ von Xenophanes, der die Geltung des Prestiges athletischer Siege in Olympia in Hinblick auf ihre Funktionslosigkeit für das Wohlergehen der eigenen Heimatpolis – also einem von den panhellenischen Agonen in Olympia unabhängigen Interaktionszusammenhang – bestreitet. Genau wie Hippokleides verfolgt er damit aber nicht bloß die Absicht, die Geltung des Prestiges anderer zu bestreiten, sondern führt offensiv seine eigenen Verdienste ins Feld: Aber wenn irgendeiner mit der Schnelligkeit der Füße einen Sieg erränge oder den Fünfkampf ausübend, dort beim heiligen Bezirk des Zeus beim Fluss Pisas in Olympia, oder als Ringer kämpfend oder die schmerzvolle Kunst des Boxens ausübend oder den gewaltigen Wettbewerb, den sie Pankration nennen, den Städtern (astoi) erschiene er ehrenvoller und er würde einen sichtbaren Ehrenplatz bei den Agonen erhalten und Speisungen aus den öffentlichen Besitzungen von der Polis. Und ein Geschenk, das ihm ein Erbstück wäre – oder wenn er mit den Pferden siegte: all dies würde er erhalten, und wäre doch nicht so viel wert wie ich. Denn besser als die Stärke von Männern oder Pferden ist unsere Weisheit. Aber sehr planlos wird das als Sitte anerkannt und es ist nicht gerecht, Kraft der guten Weisheit vorzuziehen. Denn nicht, wenn ein guter Boxer unter dem Volk weilte, 137

S. o. S. 189–191.

5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume

219

noch wenn einer, der Fünfkampf betreibt, noch einer, der den Ringkampf beherrscht, noch einer mit Schnelligkeit der Füße, was unter diesen am meisten geehrt ist von der Körperkraft, soweit die Taten der Männer in Wettkämpfen erscheinen, wäre die Polis deshalb mehr in guter Ordnung. Geringer Grund zur Freude erwüchse der Polis daraus, wenn irgendeiner am Wettkampf teilnehmend siegt am Ufer Pisas denn die Speicher der Polis macht dies nicht voll.138

Die sophia des Dichters wird also gegen die Körperkraft der Athleten ausgespielt und offensiv eingefordert, dass erstere die Qualität ist, die eigentlich im Rahmen der Polis geehrt werden solle, also ‚adelndes‘ Potential besitze. Die Kritik ist keineswegs ‚antiaristokratisch‘, denn der Nutzen für die Polis ist nicht Selbstzweck, sondern dient lediglich dazu, athletische Erfolge abzuwerten und stattdessen Ehrungen für sich selbst zu fordern. Auch wenn das Lamento des Dichters klar kontrafaktisch ist – schließlich werden die Athleten geehrt, er aber nicht –, so ist doch allein schon der Umstand, dass Kritik an der Geltung athletischen Prestiges möglich war, bemerkenswert und zeigt, dass Prestigehierarchien nicht als selbstverständlich hingenommen werden mussten, sondern Alternativen denk- und sagbar waren. Entscheidend für die erweiterten Handlungsoptionen – auch jenseits des Denkens in kontrafaktischen Alternativen – ist jedoch vor allem, dass die Existenz verschiedener, relativ autonomer Felder des Prestigeerwerbs dazu führte, dass der totale Verlust in einem Feld nicht zwingend Auswirkungen auf die anderen Felder hatte. Das machen zwei Geschichten bei Herodot deutlich, die beide in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts spielen und somit zu Lebzeiten des Historikers gerade noch Teil des lebendigen Gedächtnisses gewesen sein dürften.139 Die erste Geschichte betrifft den Athener Kimon aus der prominenten Familie der Philaiden.140 Dieser sei vor Peisistratos aus 138

Xenophanes F 2 W (= 2 G-P = 2 D = Athen. 10,413c–414c) (eigene Übers.): ἀλλ’ εἰ μὲν ταχυτῆτι ποδῶν νίκην τις ἄροιτο / ἢ πενταθλεύων, ἔνθα Διὸς τέμενος / πὰρ Πίσαο ῥοῆις ἐν Ὀλυμπίηι, εἴτε παλαίων / ἢ καὶ πυκτοσύνην ἀλγινόεσσαν ἔχων / εἴτε τὸ δεινὸν ἄεθλον ὃ παγκράτιον καλέουσιν, / ἀστοῖσίν κ’ εἴη κυδρότερος προσορᾶν, / καί κε προεδρίην φανερὴν ἐν ἀγῶσιν ἄροιτο, / καί κεν σῖτ’ εἴη δημοσίων κτεάνων / ἐκ πόλεως, καὶ δῶρον ὅ οἱ κειμήλιον εἴη – / εἴτε καὶ ἵπποισιν· ταῦτά κε πάντα λάχοι, / οὐκ ν ἄξιος ὥσπερ ἐγώ· ῥώμης γὰρ ἀμείνων / ἀνδρῶν ἠδ’ ἵππων ἡμετέρη σοφίη. / ἀλλ’ εἰκῆι μάλα τοῦτο νομίζεται, οὐδὲ δίκαιον / προκρίνειν ῥώμην τῆς ἀγαθῆς σοφίης· / οὔτε γὰρ εἰ πύκτης ἀγαθὸς λαοῖσι μετείη / οὔτ’ εἰ πενταθλεῖν οὔτε παλαισμοσύνην, / οὐδὲ μὲν εἰ ταχυτῆτι ποδῶν, τόπερ ἐστὶ πρότιμον, / ῥώμης ὅσσ’ ἀνδρῶν ἔργ’ ἐν ἀγῶνι πέλει, / τούνεκεν ἂν δὴ μᾶλλον ἐν εὐνομίηι πόλις εἴη· / σμικρὸν δ’ ἄν τι πόλει χάρμα γένοιτ’ ἐπὶ τῶι, / εἴ τις ἀεθλεύων νικῶι Πίσαο παρ’ ὄχθας· / οὐ γὰρ πιαίνει ταῦτα μυχοὺς πόλεως. 139 Die Geschichte Kimons scheint zudem mit einem Erinnerungsort verknüpft zu sein: Das Grabmal seiner siegreichen Rennpferde auf dem Kerameikos wird bei Hdt. 6,103; Plut. Cat. mai. 5,4 und Ael. NA 12,40 erwähnt – wobei fraglich ist, was davon tatsächlich im fünften Jahrhundert noch sichtbar (bzw. was tatsächlich archaisch) war: dass die von Ael. VH 9,32 erwähnten Bronzepferde die Plünderung der Stadt durch die Perser überlebten, muss bezweifelt werden. 140 Vgl. dazu Stahl (1987) 116–120 und Mann (2001) 82–85.

220

5. Geltungskonkurrenz adelnder Qualitäten und Praktiken

Athen geflohen, habe es aber trotzdem geschafft, als Geflohener beim Wagenrennen in Olympia zu gewinnen. An einem ersten Sieg habe er seinen Bruder teilhaben lassen, als er dann ein zweites Mal gewann, habe er jedoch Peisistratos an seiner statt als Sieger ausrufen lassen, und der Tyrann revanchierte sich, indem er dem Exilanten die Rückkehr nach Athen erlaubte.141 Trotz des Ausschlusses aus der Heimatpolis und dem damit verbundenen Verlust seines Status als astos war es Kimon also dennoch möglich, weiterhin an panhellenischen Agonen teilzunehmen.142 Entscheidend dafür war seine ökonomische Potenz, in diesem Fall der Besitz entsprechender Rennpferde, sein Status als Verbannter ohne Heimatpolis fiel dagegen nicht ins Gewicht. Mehr noch: Es war ihm sogar möglich, in diesem panhellenischen Kontext Prestige an den Tyrannen abzutreten und diesen so zur Dankbarkeit zu verpflichten. Einen dritten Sieg haben ihm die Söhne des Peisistratos dann freilich so geneidet, dass sie ihn umbringen ließen.143 Die zweite Geschichte handelt vom Samier Maiandrios, der als Sachwalter des Polykrates nach dessen Tod die Tyrannis über Samos erbte.144 Doch Maiandrios wollte seine – offenbar primär auf der Besetzung der Burg beruhende – Machtstellung im Rahmen der Polis legalisieren. Hierzu habe er einen Altar für Zeus Eleutherios errichtet, die Bürger versammelt und ihnen Isonomie versprochen, wenn sie ihm und seinen Nachkommen dafür das Priesteramt des (soeben von ihm selbst erfundenen) Zeus Eleutherios sowie sechs Talent aus dem Schatz des Tyrannen übertrügen. Doch ein Mann, der unter den astoi angesehen war, wies das Angebot schnöde zurück. Maiandrios, so erklärte er, sei nicht würdig, über die Bürger zu herrschen, denn er stamme von kakoi ab und sei ein „Verderber“ (ὄλεθρος).145 In seiner Heimatpolis begegnete man

141

Hdt. 6,103,1–2. Da Kimons Sohn Miltiades das athenische Aufgebot bei Marathon anführte, bewegt man sich mit der Geschichte in der zweiten Hälfte des 6. Jhs.; Moretti (1957) 72 (Nr. 120) datiert den ersten Sieg auf 536, den zweiten ebd. 74 (Nr. 124) auf 532 – die Datierung muss jedoch hypothetisch bleiben. 142 In klassischer Zeit begegnen ebenfalls Fälle von Verbannten, die dennoch an den Spielen teilnehmen, so die bei Paus. 6,7,4 erwähnten Brüder Dorieus und Peisirodos aus Rhodos, die sich aber aufgrund ihrer Verbannung als Thourier ausrufen lassen, vgl. zu Dorieus Moretti (1957) 105 f. (Nr. 322; 32; 330) mit weiteren Quellen und der Datierung in die Jahre 432, 428 und 424 sowie ebd. 11 f. (Nr. 356) zu Peisirodos, dessen Sieg ins Jahr 404 datiert. 143 Hdt. 6,103,3. Vgl. Moretti (1957) 72 (Nr. 127) datiert auf 528. 144 Hdt. 3,142–149. Vgl. Roisman (1985). 145 Hdt. 3,142–143. Gar als Sklave (δοῦλος) wird Maiandrios in Hdt. 3,140,5 von Sosylos, dem Bruder des Polykrates, bezeichnet; eingeführt wird er allerdings in Hdt. 3,123,1 als γραμματιστής des Tyrannen, gleichzeitig aber auch als ἀνήρ τῶν ἀστῶν mit Patronym. Zum Status von Maiandrios s. Roisman (1985) 258 f. – die Frage muss aber spekulativ bleiben, da es außer Herodot keine anderen Quellen gibt: Dass Maiandrios ein Sklave war, ist wenig wahrscheinlich. Roisman sieht in ihm einen „noble“, allerdings aus der zweiten Garde (was immer das genau heißen soll). Die Problematik hängt m. E. daran, ob Polykrates’ Herrschaft als Institution der Polis wahrgenommen wurde (dann wäre Maiandrios als γραμματιστής ein Beamter der Polis) oder ob sie primär auf seinem ‚privaten‘ Haushalt beruhte, dann wäre der Status des Maiandrios als Verwalter (auch wenn er kein Sklave wäre) deutlich geringer anzusetzen – man kann auch vermuten, dass diese Frage nicht so klar war, wie moderne Terminologien es nahelegen und sich gerade mit dem Tod des Tyrannen verscho-

5.3 Fehlende soziale Schließung als Erweiterung der Handlungsspielräume

221

Maiandrios also mit ausgeprägtem Standesdünkel und dies trotz seiner militärischen Machtstellung. Das hinderte Maiandrios freilich in keiner Weise, im panhellenischen Raum Beziehungen zu pflegen: Nach seiner Vertreibung durch die Perser floh er mit seinen Schätzen zu König Kleomenes nach Sparta, der ihn gastlich aufnahm. Dass er schließlich aus Lakedaimonien ausgewiesen wurde, lag nicht an seiner niederen Herkunft, sondern daran, dass Kleomenes befürchtete, der Samier könne sich mit seinem Gold politische Unterstützung sichern und Sparta in ein unberechenbares außenpolitisches Abenteuer hineinziehen.146 Er wurde also nicht ausgewiesen, weil man aus Standesdünkel nichts mit ihm zu tun haben wollte, sondern im Gegenteil, weil Kleomenes befürchtete, dass er zu viele ‚Freunde‘ und Unterstützer unter den Spartanern gewinnen könne. Die Rangordnung in der Polis Samos, in der die astoi sich weigerten, Maiandrios als einen der ihren anzuerkennen, und ihn als kakos bezeichneten, funktionierte also anders als die im panhellenischem Raum gepflegten Gastfreundschaften, die einen eigenen Interaktionszusammenhang darstellten und wo andere Faktoren (Maiandrios führt erhebliche Schätze mit) entscheidend waren. Sowohl das Prestige, das man bei panhellenischen Agonen gewinnen konnte, als auch die Gastfreundschaften, die polisübergreifend gepflegt wurden, besaßen daher ein erhebliches Störpotential für die Rangordnung in den jeweiligen Poleis: Kimon konnte sich so seine Rückkehr erkaufen und wurde dann von den Söhnen des Peisistratos aufgrund eines erneuten Siegs als ernsthafte Gefahr angesehen und ermordet und Maiandrios wurde zwar aus Samos vertrieben, konnte aber hoffen, durch panhellenische Freundschaften eine Rückkehr mit militärischen Mitteln zu erzwingen und so die Rangordnung innerhalb der Polis mit Gewalt zu ändern. Die parallele Existenz unterschiedlicher Interaktionskreise beziehungsweise Felder, in denen Prominenzrollen ausgeübt und Prestige erworben werden konnten, führte daher zu einer Geltungskonkurrenz zwischen diesen unterschiedlichen Feldern und dem dort zu erringenden Prestige. Die oft konstatierte Fragmentierung und Individualisierung der archaischen Eliten, die eben keinen geschlossenen Adelsstand mit einem ‚esprit de corps‘ bildeten, ist eine Folge dieser sehr besonderen Konkurrenzsituation, die es Einzelnen erlaubt, in unterschiedlichen, weitgehend autonomen Feldern des Prestigeerwerbs aktiv zu sein, ohne sich an übergeordnete, diese Felder untereinander systematisierende Spielregeln halten zu müssen. Deviantes Verhalten wurde damit in bestimmten Situationen für den Einzelnen zur rationalen Strategie. Gleichzeitig verhinderte dies jedoch das Ausbilden eines einheitlichen Konzepts von ‚Adeligkeit‘ und damit eine soziale Schließung der Elite gegen potentielle Aufsteiger. Soziale Mobilität ist daher durchaus ein Hintergrund der Klagen archaischer Dichter über ‚falsche‘ Geltungsansprüche, doch ist diese Mobilität nicht zwingend die Ursache dieser Klagen, sondern ebenso sehr auch ihre Folge. ben; zumindest – und das ist das Entscheidende – war Maiandrios’ Status in der samischen Öffentlichkeit angreifbar. 146 Hdt. 3,148.

6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Geltungskonkurrenz zwischen verschiedenen Formen von Prestige und daraus resultierende Handlungsmöglichkeiten für einzelne Akteure sind ein Strukturmerkmal der archaischen Zeit. Doch dieses Strukturmerkmal ist dennoch nicht statisch. Im Verlauf der Archaik lässt sich ein Entwicklungsprozess fassen, den man als Institutionalisierung von Konkurrenz beschreiben kann. Dies betrifft einerseits die Institutionalisierung der einzelnen Felder der Konkurrenz und andererseits die Geltungskonkurrenz zwischen diesen Feldern beziehungsweise dem jeweils in ihnen erworbenen Prestige. Besonders gut fassbar wird dieser Prozess bei den sportlichen Agonen und den politischen Institutionen in den sich ausbildenden Poleis. Letztere lassen sich jedoch – zumindest auf den ersten Blick – nur schwer mit einem ‚Adel‘ vereinbaren. Denn wie bereits ausgeführt, zielen die sich ausbildenden politischen Institutionen in der generellen Tendenz darauf ab, Herrschaftsrollen zu definieren und die Möglichkeiten von Machtmissbrauch zu minimieren, um so das Übergewicht Einzelner zu beschränken. Die älteste erhaltene Regelung, das berühmte und vielzitierte Gesetz aus Dreros aus der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts, ist bezeichnenderweise ein Iterationsverbot, das es einem gewesenen Kosmos untersagt, innerhalb der nächsten zehn Jahre erneut als Kosmos zu wirken.1 In Hinblick auf die sich entwickelnden politischen Strukturen und Herrschaftsverhältnisse attestierte Alfred Heuss der Archaik als Epoche denn auch „auf ihr schließliches Ergebnis hin besehen, ausgesprochen adelsfeindlich“ zu sein.2

1

2

Die Inschrift wurde erstmals publiziert bei Demargne & van Effenterre (1937) (= Meiggs & Lewis Nr. 2 = Koerner Nr. 90 = Nomima Nr. 1.81 = Gagarin & Perlman Dr1). Ehrenberg (1943) stellte sie in das größere Narrativ der Polisentstehung, das er bereits in Ehrenberg (1937) gezeichnet hatte. Die Inschrift begegnet seither in nahezu jeder Darstellung zum frühen Griechenland. Eine aktuelle Besprechung der Forschung und eine Neudeutung im Kontext einer breit abgestützten Betrachtung von Institutionalisierung bietet Seelentag (2015) 139–163, vgl. auch Seelentag (2009). Heuss (1946) 39.

224

6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Die traditionelle Interpretation, welche die entstehenden Polisstrukturen als etwas sieht, was radikal von der ‚nicht-staatlichen‘ Adelskultur getrennt sei, ist, wie oben gezeigt, eine Denkschiene, die stark von idealisierenden Konzepten des 19. Jahrhunderts geprägt ist. Im Folgenden soll daher erstens die Institutionalisierung der Polis aus der Logik elitärer Konkurrenz (und nicht gegen sie) erklärt werden und zweitens Institutionalisierungsprozesse jenseits der traditionell als ‚Staat‘ konzipierten Polis als paralleles Phänomen in den Blick genommen werden. Statt einer ‚Adelskultur‘, die von einer egalitären, ‚anti-aristokratischen‘ Polis verdrängt wurde, soll so ein dynamischeres Bild der Transformation archaischer Oberschichten und ihrer Handlungsmöglichkeiten gezeichnet werden. 6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis In seinem Aufsatz über das ‚Agonale‘ hob Victor Ehrenberg zwar die zentrale Bedeutung des agonalen Denkens für die archaische Zeit hervor, betonte aber einschränkend: Ein einziges agonales Ziel, das man vor jedem anderen erwarten sollte, hat es offenbar nicht gegeben: Der Beste der Bürger zu sein. Die Polis kannte die ἀγαθοί oder ἄριστοι, die Guten oder Besten, als Gruppe als Adelsschicht, aber sie scheute davor zurück, einen einzelnen Bürger den Besten von allen zu nennen.3

Das Losverfahren für die Bestellung von Beamten und Richtern, so Ehrenberg, sei „geradezu ein Ersatz für den agonalen Kampf und ein Protest gegen ihn gewesen!“4 Wenn man aus der idealistisch geprägten Forschungstradition heraus das ‚Agonale‘ und das ‚Individuelle‘ als Charakteristika des griechischen Adels ansieht, so wirkt die Polis in der Tat dem ganzen Prinzip eines ‚Adels‘ entgegengesetzt. Wendet man jedoch die eingangs erarbeitete idealtypische Adelsdefinition an, so ist es gerade die Möglichkeit, einer Gruppe zuzugehören und durch diese Zugehörigkeit als ‚gut‘ zu gelten, die es rechtfertigt, hier – anders als bei den homerischen ‚Partiell-Besten‘ – mit der Formulierung Ehrenbergs von einer „Adelsschicht“ zu sprechen. Doch diese „Adelsschicht“ definiert sich über ihr Bürger-Sein, beziehungsweise – wie zu argumentieren sein wird – über das Bekleiden von Polisämtern und die damit verbundene Ehre: Statt von ‚Bürgern‘ (was im Zusammenhang mit ‚Adel‘ eh zu Missverständnissen führen kann) wäre es daher präziser, von ‚Regimentsfähigkeit‘ oder mit Max Weber von ‚Honoratioren‘ zu sprechen.

3 4

Ehrenberg (1935) 81. Die Passage ist auch eine Auseinandersetzung mit dem in dieser Beziehung anders argumentierenden Schaefer (1932) 181–186. Ehrenberg (1935) 82.

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

225

Kennzeichnend erscheint jedoch, um zu Ehrenberg zurückzukehren, die Zurückbindung des ‚Agonalen‘ zugunsten einer Gruppenzugehörigkeit. Ein spätarchaisches Fragment des Vorsokratikers Heraklit über die Bewohner von Ephesos bringt dies deutlich zum Ausdruck: Recht täten die Ephesier, sich Mann für Mann aufzuhängen allesamt und den Nicht-Mannbaren ihre Stadt zu hinterlassen, sie, die Hermodoros, ihren wertvollsten Mann, hinausgeworfen haben mit den Worten: Von uns soll keiner der wertvollste sein oder, wenn schon, dann anderswo und bei andern.5

Die Absicht ist klar: Keiner soll übermächtig herausragen – zumindest nicht unmittelbar vor Ort im Rahmen der Mitbürger. Wenn man mit dem Konkurrenzmodell von Georg Simmel, statt mit dem ideologisch aufgeladenen ‚Agonalen‘ argumentiert, so wird schnell ersichtlich, wo die Vorteile eines Verzichts auf Konkurrenz liegen: Anders als die „zwischen dem Alles und dem Nichts pendelnde[n] Chance der Konkurrenz“, bietet „die sichere, aber beschränktere [Chance] der Leistungsgleichheit“ allen potentiellen Konkurrenten einen gleichen Anteil am Gewinn.6 Simmels historisches Beispiel ist das Zunftwesen,7 doch lässt sich das Denkmodell problemlos auch auf eine um Ehre konkurrierende Oberschicht übertragen.8 Der weitgehende Verzicht auf oder zumindest die massive Beschränkung von Konkurrenz erfolgen hier, indem der Zugang zu Ehrenstellungen einerseits auf eine klar umrissene Gruppe begrenzt und andererseits sichergestellt wird, dass möglichst alle Angehörigen dieser Gruppe zum Zuge kommen. Das Prinzip des wechselseitigen Herrschens und Beherrschtwerdens und die Aufteilung von Kompetenzen auf mehrere Personen erfüllen damit eine doppelte Funktion: Sie verhindern die Machtballung in den Händen eines Einzelnen und ermöglichen es gleichzeitig einem vergleichsweise großem Personenkreis, zumindest zeitweise ehrende Ämter beziehungsweise die damit verbundenen Prominenzrollen auszufüllen.9 Wie Gunnar Seelentag jüngst detailliert für den Spezialfall der kretischen Poleis argumentiert hat, lässt sich das Ausbilden der dortigen Polisstrukturen – mit Iterationsverboten, Versachlichung von Prominenzrollen und der Festlegung von Aufgabenbereichen und Verfahren – als spannungsvoller Prozess zwischen ‚Elite‘ und demos konzeptualisieren, bei dem der demos den notwendigen Druck auf die Elite aufbaut, ihr Handeln in Hinblick auf das Wohl der Gemeinschaft zu legitimieren, und die 5 6 7 8 9

Herakleitos 22 B 121 DK (= Strabo 14,1,25 = Diog. Laert. 9,2) (Übers. H. Diels): ἄξιον Ἐφεσίοις ἡβηδὸν ἀπάγξασθαι πᾶσι καὶ τοῖς ἀνήβοις τὴν πόλιν καταλιπεῖν, οἵτινες Ἑρμόδωρον ἄνδρα ἑωυτῶν ὀνήιστον ἐξέβαλον φάντες· ἡμέων μηδὲ εἷς ὀνήιστος ἔστω, εἰ δέ μή, ἄλλῃ τε καὶ μετ’ ἄλλων. Simmel (1995) 237. Simmel (1995) 236 f. Dazu auch Meister & Seelentag (2020b) 19 f.; 26 f. und Seelentag (2020). Diese sich verstärkende Doppelfunktion betont mit Recht Stein-Hölkeskamp (1989) 98 f.; vgl. dort generell 94–103 zur Ausdifferenzierung von politischen Institutionen und die dadurch veränderten Handlungsspielräume der als ‚Aristokraten‘ bezeichneten Akteure.

226

6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Elite als Gruppe ihrerseits von den Vorteilen einer regulierten und eingeschränkten Konkurrenz profitiert und die verfügbaren Prominenzrollen innerhalb einer relativ überschaubaren Gruppe monopolisieren kann.10 Mit Max Weber könnte man die sich ausbildenden Polis-Institutionen dem Typus der „herrschaftsfremden Verbandsverwaltung“ zuordnen – einer Verwaltung also, die sich um die „Minimisierung der Herrschaft“ bemüht.11 Ebenfalls bei Weber finden sich jedoch auch Überlegungen zur Ausbildung einer „Honoratiorenverwaltung“, zu der dieser Typus generell tendiere. Gemeint ist, dass letztlich nur jene Personen amtsfähig sind, die aufgrund ihrer ökonomischen Lage für Ehrenämter abkömmlich sind und über eine entsprechende „soziale Schätzung“ verfügen, um allgemein als amtsfähig anerkannt zu werden.12 Dass sich ein solcher Herrschaftstypus in größerem Stil etabliert, ist durchaus bemerkenswert und wurde von Max Weber als Besonderheit der „okzidentalen Stadt“ auch entsprechend hervorgehoben.13 An sich ist das Phänomen aus der Logik kleiner Siedlungsverbände (man denke nur an die zum Teil ähnlich gearteten Formen des ‚Kommunalismus‘ im frühneuzeitlichen Europa)14 durchaus zu erklären, insbesondere wenn man das Fehlen einer zentralistischen Monarchie in Rechnung stellt. Strittig sind jedoch zwei Punkte: einerseits wie man von einem homerischen ‚Königtum‘ – oder wie auch immer man sich die ‚Dark Ages‘ vorstellt – zu den inschriftlich ab der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts greifbaren politischen Institutionen kommt und andererseits nach welchen Kriterien die Regimentsfähigkeit festgelegt wurde. Der erste Punkt muss notgedrungen spekulativ bleiben: Die alte These eines frühen Geschlechterstaats, von dem sich in historisch hellerer Zeit mit den gene und Phylen noch Relikte gehalten hätten, ist mit den großen Studien von Bourriot und Roussell weitgehend obsolet geworden.15 Die Vorstellung, dass es in der Frühzeit dennoch einen ‚Adel‘ gegeben habe, der von der Polis entmachtet wurde, hängt – nebst der oben 10

11 12 13 14 15

S. Seelentag (2015) 75–92 mit einem allgemein gehaltenen Verlaufsmodell und dann spez. 131–268 in Hinblick auf die konkreten politischen Institutionen der kretischen Poleis. Zum heuristischen Mehrwert, Elemente der Institutionalisierung in den Poleis unter dem Aspekt einer die Konkurrenz der Elite begrenzenden ‚Kartellbildung‘ zu betrachten s. jetzt Seelentag (2020) sowie Meister (2020), in eine ähnliche Richtung geht auch Ulf (2020). Weber (1972) 169–171. Weber (1972) 170 f.; vgl. auch ebd. 547 f. Weber (2000) 11: „Eine Stadtgemeinde im vollen Sinn des Wortes hat als Massenerscheinung vielmehr nur der Okzident gekannt.“ [Hervorhebung J. M.]. Vgl. Blickle (1991a). Bourriot (1976); Roussel (1976). Beide argumentierten unabhängig voneinander aufgrund breiter Sichtung des Quellenbefunds, dass gene und Phylen keine Relikte einer frühen Geschlechterverfassung seien, sondern Institutionen, die erst im Rahmen der Polis entwickelt wurden. Für die programmatisch daraus abzuleitenden Neukonzeptionen der Frühzeit s. Funke (1993) – einen solchen Versuch unternimmt Grote (2016a) 221–242; sein Modell, wonach Phylen ursprünglich als Siedlungseinheiten im Zuge der Zuwanderung in den ‚Dark Ages‘ entstanden seien, ist jedoch arg schematisch und sehr spekulativ.

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

227

problematisierten Vorstellung eines Kulturadels – an der Prämisse, dass das weitgehende Fehlen politischer Institutionen automatisch zu einer Herrschaft eines ‚Adels‘ führe.16 Für die homerischen Epen und erst recht für die Zeit davor muss diesbezüglich freilich vieles im Dunkeln bleiben – wenn auch nicht gänzlich ohne Lichtstreifen. Denn darauf, dass es in den ‚Dark Ages‘ lokale big men oder chiefs gab, deutet der archäologische Befund relativ klar hin.17 Allerdings besteht zwischen der auf Leistung basierenden Stellung des big man in einer ansonsten eher egalitär verfassten Gemeinschaft und dem auf stärker über Rang ausdifferenzierten und damit deutlich stabileren Position des chief erhebliche Unterschiede, die sich aber über den archäologischen Befund allein nicht eindeutig nachweisen lassen.18 Auch spricht wenig dafür, im gesamten griechischsprachigen Raum von einem einheitlichen Modell auszugehen.19

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Auf den Punkt bringt dies Heuss (1946) 42, wenn er schreibt, dass „Staat und Politik“ der Frühzeit „nahezu ein reines Derivat der gesellschaftlichen Stellung des Adels“ waren (s. o. S. 20; 183). Und in neuerer Zeit argumentierte von der Sache her ganz ähnlich Schmitz (2008) 35–37, dass in der archaischen Zeit mit einer „traditionalen Herrschaft“ im Sinne Max Webers zu rechnen sei. Beiden ist gemeinsam, dass der geringe Grad an Institutionalisierung mit einer stabilen Adelsherrschaft assoziiert wird. Dagegen heben Arbeiten, die mit ethnologischen Vergleichen und neoevolutionistischen Theorien arbeiten, die hohe Komplexität einer stabilen Adelsgesellschaft hervor, die eigentlich zwingend auf Institutionen (bzw. Staatlichkeit) angewiesen ist, um sich zu stabilisieren, während in ‚vorstaatlichen‘ Gesellschaften eher mit labilen big man-Strukturen zu rechnen ist – prägnant für das archaische Griechenland hierzu v. a. Ulf (2001) sowie jetzt Ulf (2020). Dazu jetzt Ulf & Kistler (2020) spez. 12–18; 55–69; 153 f.; 168–173. Den Versuch eines größeren, stark auf egalitär-meritokratische Strukturen abhebendes Narratives bietet Rose (2012) 56–92; für einen generellen Überblick vgl. Hall (2007) 120–127 und Stein-Hölkeskamp (2015) 31–51; detaillierte Besprechungen und Interpretationen des archäologischen Materials mit Bezug auf soziale Modellbildungen finden sich (ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit!) in den Monographien von Whitley (1991) und Lemnos (2002) sowie Hildebrandt (2007), die freilich weniger mit anthropologischen Modellen als mit vermeintlichen Kontinuitäten aus der mykenischen Zeit argumentiert, was eine nicht unproblematische Vorannahme ist, die sich primär auf das Fortbestehen einzelner Wortkörper stützt [vgl. dazu kritisch Christoph Ulf, in: Sehepunkte 9 (2009), Nr. 3. URL: http://www.sehepunkte.de/2009/03/14312.html]. Eine programmatische Fallstudie, die den archäologischen Befund mit kommensalen Praktiken und anthropologischen Modellen zu deuten sucht, bieten Kistler & Ulf (2005). Zu den beiden idealtypischen Modellen s. klassisch Sahlins (1963) – die Problematik der Auswertung der archäologischen Befunde zeigt sich exemplarisch am sogenannten Heroon von Lefkandi, einem monumentalen Bau, der zu einem Herrschergrab umgewandelt (oder vielleicht auch erst als Mausoleum errichtet) wurde: Hall (2007) 62 f.; 126 sieht darin ein Indiz für den Zusammenbruch persönlicher Autorität mit dem Tod des Herrschers, also eine Autoritätsstruktur, die eher an meritokratisch-egalitäre big men erinnert, während Stein-Hölkeskamp (2015) 42 auf die (immer noch reichen, aber im Vergleich doch deutlich bescheideneren) Anschlussbestattungen in unmittelbarer Nähe zum ‚Heroon‘ verweist, die sie als Indiz für die Existenz einer Elite deutet, die über den Bestattungsplatz ihre „Verbundenheit mit einer alten mächtigen Familie dokumentieren“ möchte, und generell in Lefkandi eine „deutlich stratifizierte Gesellschaft“ erkennen will. So endet auch die lange Untersuchung von Hildebrandt (2007) 510 mit dem etwas ernüchternden Fazit: „Insgesamt weisen die hier vorgestellten Befunde darauf hin, dass die Frage nach der Stabilität und Komplexität von Gesellschaftsstrukturen in den Dunkeln Jahrhunderten […] für jeden Ort und jede Region sowie jede Siedlungsphase individuell zu stellen ist […].“

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Für das siebte Jahrhundert sind wir mit den Epen Homers deutlich besser informiert, auch wenn ich, wie oben ausgeführt, hinsichtlich der bei Homer geschilderten Herrschaftsverhältnisse skeptisch bin, inwieweit dort tatsächlich historisch auswertbare lebensweltliche Erfahrungen einfließen.20 Insbesondere die schon klar ausdifferenzierte Funktion von Priestern scheint mir ein Indiz zu sein, dass die Gesellschaft des Dichters und seines Publikums bereits über deutlich komplexere politische Institutionen verfügte, als die vordergründige Handlung der Epen suggeriert – nicht zuletzt, da die handelnden basileis als Helden gezeichnet werden, und es kaum etwas weniger Heroisches gibt, als das eigene Handeln auf institutionell vorgezeichnete Rollen und Zwänge hin auszurichten. Insofern dürfte der geringe Grad an politischer Institutionalisierung, den die Epen aufweisen, zumindest teilweise der Gattung geschuldet sein. Der Umstand, dass der archäologische Befund für das achte Jahrhundert auf größere strukturelle Umbrüche hindeutet, legt zudem nahe, dass es im siebten Jahrhundert, als die Epen entstanden, nur noch sehr beschränkte Kontinuitäten zu den ‚Dark Ages‘ gab.21 Man hat daher wohl mit Kurt Raaflaub davon auszugehen, dass die Epen in einer Zeit des Umbruchs entstanden und ‚moderne‘ Polis-Institutionen als epische Distanzierung bewusst ausblendeten.22 Trotzdem lassen sich – wie auch schon vielfach in der Forschung hervorgehoben wurde – die zentralen Institutionen der späteren Poleis in einem sehr informellen Zustand (der aber eben vielleicht bewusst archaisiert wird) greifen: Die Agora als die Versammlung aller Wehrfähigen, ein Rat der basilieis beziehungsweise der Geronten und die basileis selbst, die zentrale öffentliche Funktionen wahrnehmen.23 In der Folge lässt sich in all diesen Bereichen ein Prozess der Institutionalisierung plausibel machen, der allerdings nur schemenhaft greifbar wird.24 Die berühmte, bei Plutarch überlieferte Große Rhetra Spartas etwa zeigt wesentliche Institutionalisierungsschritte gegenüber den bei Homer fassbaren Zuständen auf.25 So werden König20 21 22 23 24

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S. o. Kap. 2.3.2. Vgl. dazu den Überblick bei Morris (2009). Raaflaub (1998) 186–188. S. o. Kap. 2.3.2. Ehrenberg (1943) hat bereits wesentliche Linien abgesteckt – sein Fokus auf zeitgenössische Quellen, insbesondere Inschriften, hat sich vor dem Hintergrund der in den 1980er deutlich gestiegenen Skepsis gegenüber sekundärer Überlieferung als wegweisend erwiesen; s. grundlegend für die neuere Forschung den wichtigen Aufsatz von Gehrke (1993) sowie jetzt zu Kreta Seelentag (2015) – jeweils mit weiterer Literatur. Plut. Lyk. 6,1. An der Passage ist – von der Echtheit bis zur Ausdeutung der einzelnen Formulierungen – fast alles umstritten. Für eine m. E. sehr überzeugende Deutung als ‚primitive‘ Verfassung zwischen ‚homerischen‘ Zuständen und voll entwickelten Polis-Institutionen s. Dreher (2006). Vgl. ferner die verschiedenen Versuche einer historischen Einordnung bei Thommen (1996) 33–43, Meier (1998) 186–207 und Nafissi (2010) – jeweils mit weiterer Literatur. Nebst der allgemeinen Plausibilität der geschilderten Zustände für ein frühes Stadium der Polisentwicklung stützt vor allem Tyrtaios F 4 W (= 1b/14 G.-P. = 3 D = Plut. Lyk. 6 & Diod. 7,12,6) eine Datierung ins 7. Jh. – die Beziehung zwischen dem Gedichtfragment und der großen Rhetra ist trotz der Ein-

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

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tum, Rat und Apella als die zentralen Institutionen der Bürgerschaft benannt, wobei der Rat der Geronten – bei Homer noch eine weitgehend offene Größe – klar als ein dreißig Mitglieder umfassendes Gremium definiert ist. Ferner erfolgt die Bestimmung, dass „von Zeit zu Zeit“ (ὥρας ἐξ ὥρας) die Apella an einem bestimmten Ort einzuberufen sei (ἀπελλάζειν), was Lukas Thommen dahingehend zu deuten suchte, dass damit ein regelmäßiger Turnus angestrebt wird26 – auch das eine neue Stufe der Institutionalisierung gegenüber den ad hoc einberufenen Versammlungen bei Homer. Ein wichtiges Zeugnis für das bewusst betriebene Zusammenwachsen der Polis bildet ferner ein Solon zugeschriebenes Gesetz über Vereinsautonomie: Was eine Gemeinde oder Phratrienmitglieder oder †Orgeonen oder Gennetai† oder Gastmahlbrüder oder ein Begräbnisverein oder Thiasotai oder Leute, die auf Beute oder Handel ausgehen, untereinander abmachen, das soll rechtens sein, wenn es nicht durch öffentliche Rechtssetzung verboten ist.27

Das Gesetz ist nicht ohne Probleme. Die Zuschreibung an Solon war schon in der Antike unsicher (Caius, der das Gesetz zitiert, schreibt skeptisch haec lex videtur ex Solonis lege trlata esse). Die Bezeichnung γράμματα für Gesetz oder Dekret wäre m. W. in einem archaischen Gesetz einzigartig. Zudem ist der Terminus ὀργεῶνες eine moderne Restauration, die auf der Erwähnung solcher Kultvereine im Kommentar des Seleukos zu den solonischen axones basiert – diese in späteren Lexikographen erwähnte Passage kann denn auch nur mit dem in den Digesten zitierten Gesetz in Verbindung gebracht werden, wenn man den Texteingriff akzeptiert.28 Trotz dieser Probleme wird an einem hohen Alter des Gesetzes nicht gezweifelt, ebenso wenig wie an der darin sichtbar werdenden Bestrebung, verschiedene, weitgehend autonome ‚Integrationskreise‘ in die Gesamtgemeinde zu integrieren.29 Schwieriger zu fassen ist, wie es zu der für die späteren Poleis kennzeichnenden Versachlichung von Amtsrollen kommen konnte, die dann wechselnd bekleidet wurden.

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wände von van Wees (1999) und van Wees (2002b) weitgehend akzeptiert, vgl. Meier (2002) und Link (2003) mit direkten Repliken auf van Wees. Thommen (1996) 38–41, skeptisch dagegen Dreher (2006) 56. Anm. 56. Dig. 47,22,4 = F 76a (Ruschenbusch) = 76a (Leão & Rhodes) (Übers. adaptiert nach Ruschenbusch, der Text ist jener von Ruschenbusch mit ergänzter Kennzeichnung der Kurx): ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φράτορες ἢ †ὀργεῶνες ἤ γεννῆται† ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύσῃ δημόσια γράμματα. Den Kommentar des Seleukos erwähnen Phot. lex. s. v. Ὀργεῶνες (ο 344 Porson) und Suda s. v. Ὀργεῶνες (o 511 Adler) = Solon F 76b (Ruschenbusch) = 76b (Leão & Rhodes). Vgl. den Kommentar bei Leão & Rhodes (2015) 134, die davon ausgehen, dass der Text „probably gives a mixture of Solonian and later material“, und hervorheben „the significance of this […] is that it asserts the priority of prescriptions of the whole state (however that may have been expressed originally) over decisions of bodies within the state“. Generell zu den solonischen Gesetzen und der Überlieferungsproblematik s. auch u. Kap. 7.2.1.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Hier kann man nur spekulieren. Ein naheliegendes Modell ist es, von einem Wachstum der Siedlungen auszugehen – sei es durch Zuwanderung oder einen Synoikismos30 –, mit der Folge, dass es nun verschiedene ehemals lokale big men oder ‚Dorfkönige‘ gab, die einen modus vivendi suchen mussten.31 Die Verhältnisse in der Ilias, wo verschiedene basileis aus ganz Achaia sich in einem einzigen Lager vereint finden und miteinander um Anerkennung und Ehre konkurrieren, dabei aber gleichzeitig Formen der Kooperation und der Streitschlichtung in Hinblick auf das Gemeinwohl entwickeln müssen, könnten als Reflex einer solchen Situation gedeutet werden.32 Auch die Entstehung des egalitären Symposions unter nominell Gleichen, das als ‚diacritical feast‘ in gemeinschaftlichen Gebäuden stattfand und das ‚empowering‘ oder ‚patron-role feast‘ im Herdhaus des einzelnen big man ablöste, ließe sich so erklären.33 Dieser Wandel des gemeinsamen Speisens würde auch gut zu der Beobachtung passen, dass homerische basileis eben meist nicht befehlen, sondern unter anderem durch eine entsprechende Bewirtung Gefolgsleute an sich binden.34 Sie üben also nicht eine Herrschaft im Weber’schen Sinne aus, die dann in abstrakte Amtsrollen überführt wird, sondern eine solche Herrschaft entsteht erst mit der Institutionalisierung von Amtsrollen und der damit einhergehenden Definition von Aufgaben und Zuständigkeitsbereichen, in deren Rahmen Herrschaft dann tatsächlich möglich wird.35 Bedeutsam sind jedoch vor allem die Folgen, die diese Institutionalisierungen für die gesellschaftliche Organisation hatten. Die Abstraktion und Definition von Amtsrollen und der mit ihnen verbundenen Ehre – die im Griechischen bezeichnenderweise beide mit τιμή wiedergegeben werden – machte die Bekleidung von Ämtern zu einem objektivierten Gradmesser von ‚Ehre‘ innerhalb der Polis. Ämter hatten daher zusätzlich zu ihrer instrumentellen Funktion eine symbolische Dimension, indem sie Ehre vermitteln konnten und die Fähigkeit, ein Amt zu bekleiden, ein klares Kriterium

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Zum Problem, das Synoikismos-Modell archäologisch zu verifizieren, s. freilich o. S. 118. Wie die Kooperation mehrerer big men dazu führte, Konkurrenz einzudämmen und es den big men ermöglichte, sich als Gruppe – im Sinne einer ‚Aristokratie‘ – zunehmend abzusondern, betont jetzt konzise Ulf (2020). Dieses Modell findet sich konzise bei Seelentag (2015) 379–381 – dort auch mit weiterer Literatur. Die von Michael Dietler (1996) entwickelten Idealtypen des ‚empowering feast‘ (durch das Verpflichtungen in einer an sich egalitären Gesellschaft hergestellt werden), des ‚patron-role feast‘ (durch das ein Patron in einer ‚ranked society‘ die labile Ungleichheit gegenüber den von ihm verpflegten Festteilnehmern herstellt und wahrt) und des ‚diacritical feast‘ (durch das sich eine Gruppe nominell Gleicher in einer stratifizierten Gesellschaft gegenüber den nicht Teilnehmenden abgrenzt und ihre Gleichheit im Fest zum Ausdruck bringt) sind in der Forschung breit diskutiert – s. u. a. Rabinowitz (2004) 30–33; Kistler & Ulf (2005); Węcowski (2014) 12–14; Seelentag (2015) 377–379. Zum Symposion als Marker von Status und Zugehörigkeit zur Polis s. o. S. 147 f. S. o. S. 81 f. Vgl. Weber (1972) 28: „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angehbaren Personen Gehorsam zu finden.“ – Eine Definition, die in der Form auf vieles, was in den Epen begegnet, nicht zutrifft (dazu o. Kap. 2.3.2), aber bei Amtsträgern der Polis im Rahmen ihres Aufgabenbereichs vorausgesetzt wird.

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

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darstellte, das anzeigte, dass man zur führenden Gruppe des entsprechenden Gemeinwesens zählte. Ein deutliches Indiz hierfür ist die bereits erörterte Beobachtung, dass das Bekleiden öffentlicher Funktionen sowohl in den homerischen Epen als auch bei Hesiod mit materiellen Vergünstigungen einhergeht – es handelt sich damit nicht um Ehrenämter und somit auch noch nicht um ‚Honoratioren‘ im Weber’schen Sinne.36 Die Bereitschaft, öffentliche Funktionen nur um der Ehre Willen zu übernehmen, ist also eine spätere Entwicklung, die direkte Rückschlüsse auf den gesteigerten symbolischen Wert dieser Ämter zulässt, die eben nicht mehr nur ephemeres ‚Prestige‘ für den Augenblick vermitteln, sondern eine auf die Zugehörigkeit zur amtsfähigen Oberschicht verweisende ‚Ehre‘, die über den Moment (beziehungsweise die Amtsdauer) hinaus Bestand hat. Es ist daher vor allem die Zugehörigkeit zu dem die Ämter unter sich monopolisierenden ‚Kartell‘, das entscheidend ist und die Chancen auf das ‚Obenbleiben‘ erhöht;37 das Bekleiden eines Amts füllt nicht mehr unmittelbar das Haus mit Geschenken, doch Amtsfähigkeit wird zum symbolischen Marker für die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und die Teilhabe an ihrer gruppenspezifischen ‚Ehre‘. Dass Ämter dann nur noch für eine begrenzte Zeit ausgeübt und Iterationsverbote erlassen wurden, dürfte zwar primär darauf abgezielt haben, eine Monopolisierung von Machtchancen durch einen Einzelnen zu verhindern, hatte aber gleichzeitig den Effekt, dass dadurch auch die ökonomische Belastung, die mit dem Bekleiden von Ämtern verbunden war, zeitlich begrenzt und berechenbar wurde. Abkömmlichkeit wurde damit zumindest teilweise relativiert, was die Ausbildung einer breiteren Honoratiorenschicht begünstigte. Letztlich stellt jedes Gemeinwesen einen Einzelfall dar, dennoch ist bemerkenswert, dass die Zahl der Ämter im Vergleich zu der anzunehmenden Bevölkerung in vielen Fällen relativ hoch zu sein scheint: Das Iterationsverbot in Dreros beispielsweise setzt voraus, dass es genügend amtsfähige Personen gab, um über zehn Jahre hinweg das Amt des Kosmos mit stets neuen Amtsinhabern zu besetzen.38 Die nicht klar datierte Stadtmauer von Dreros umfasst ein Gebiet von rund 28 Hektaren; selbst wenn dieses gesamte Gebiet – wovon nicht auszugehen ist – im siebten Jahrhundert dicht besiedelt gewesen wäre, wird man unmöglich auf mehr als 5.000 Einwohner kommen, wovon dann wiederum – ohne Frauen, Kinder und Sklaven – kaum mehr als 1000 wehrfähige Männer blieben; realistischerweise wären diese Zahlen wohl eher zu halbieren.39 Wenn man nun in Rechnung stellt, dass der Kosmos eine kollegiale Be36 37 38 39

S. o. Kap. 2.4.1. Zum Konzept des Kartells s. Meister & Seelentag (2020b) 19–21 und Seelentag (2020). Meiggs & Lewis Nr. 2 = Koerner Nr. 90 = Nomima Nr. 1.81 = Gagarin & Perlman Dr1. Perlman (2004) 1158 gibt das von der Ringmauer umfasste Gebiet mit ca. 28 ha an, darin befinden sich freilich zwei Akropoleis, d. h. eine Besiedlung des gesamten Raums ist auszuschließen, wenn man darüber hinaus in Rechnung stellt, dass es im Mauerring wohl sicher noch Freiflächen gegeben haben muss (etwa um Vieh im Falle eines Angriffs in Schutz zu bringen) und dass die Siedlung des 7. Jhs. wohl deutlich kleiner war als jene der klassischen Zeit, so erscheint eine tatsächlich

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hörde war (genaue Angaben für die Archaik fehlen, aber im dritten Jahrhundert ist der Kosmos epigraphisch als fünfköpfiges Gremium in Dreros belegt),40 so ist der Personalbedarf im Verhältnis zu den dafür in Frage kommenden Bewerbern bemerkenswert hoch. Nimmt man die Fünfzahl der hellenistischen Inschrift, so ergäbe sich ein Bedarf von mindestens 50 für das höchste Amt qualifizierten Personen über zehn Jahre. Wenn man von 500 bis maximal 1000 wehrfähigen männlichen Bewohnern ausgeht, so entspräche das mindestens 5–10 %. Ob bereits in der Archaik mit einem Fünfergremium zu rechnen ist, muss offenbleiben, doch der Effekt von Iterationsverbot und Kollegialität in der longue durée ist eindeutig: Auch wenn die Motivation der Akteure primär darauf gezielt haben mag, unzulässige Machtballungen bei Einzelnen zu verhindern, so führte die Institutionalisierung doch dazu, dass letztlich ein Großteil der (wohlhabenderen) vollbäuerlichen Oberschicht, also jene Personen, die ökonomisch dazu in der Lage waren, auch sehr realistische Chancen hatte, einmal das Kosmen-Amt zu bekleiden.41 Im Vergleich zur späten römischen Republik, wo das ‚nobilitierende‘ Konsulat lediglich zwei Stellen pro Jahr umfasste, aber eine ungleich höhere Zahl von Regimentsfähigen zur Verfügung stand,42 kann man im archaischen Dreros von einer deutlich abgemilderten Konkurrenzsituation ausgehen: Wer zur Gruppe der potentiell Regimentsfähigen gehörte, konnte tendenziell damit rechnen, auch einmal ein Amt zu bekleiden. Das mag mit erklären, weshalb der Fokus der Quellen weniger auf den Ämtern, sondern auf dem Zugang zu denselben, also der Zugehörigkeit zur regimentsfähigen

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besiedelte Fläche von rund 14 ha realistischer – wenn man dann näherungsweise eine Siedlungsdichte von 150–200 Personen pro ha annimmt, käme man auf maximal 5.600, wenn der gesamte Mauerring inkl. Akropoleis besiedelt wäre und zwar in einer sehr dichten Bebauung, wie sie für voll urbanisierte vormoderne Städte anzunehmen ist. Realistischer wäre also eine deutlich geringere Einwohnerzahl von wohl eher 2.000 bis maximal 3.000. Vgl. zu den Berechnungsmethoden Bossart et al. (2006) – der Näherungswert 150–200 Personen pro ha ist auf eine breite Basis an Vergleichsdaten gestützt und gilt generell für vormoderne Städte; er entspricht auch genau dem Wert, den Hansen (2006) 73–76 in Hinblick auf griechische Poleis aus antiken Zahlenangaben deduziert. ICret 1.9.1 (3. Jh.) nennt für Dreros namentlich fünf Personen als Kosmoi sowie einen Schreiber; Aristot. Pol. 2,1272a 7 nennt allgemein für Kreta die Zahl von zehn Kosmen, ebenso Ephoros FGrH 70 F 149 (= Strab. 10,4,22). Dass der Kosmos auch im archaischen Dreros ein Gremium war, wird von der Forschung fast durchgehend angenommen, vgl. etwa die entspr. Kommentare bei Koerner Nr. 90 oder Nomima Nr. 1.81; vorsichtig skeptisch freilich Seelentag (2015) 148, dessen Argument aber genau darauf basiert, dass damit die „personalen Kapazitäten“ einer so kleinen Polis wohl an die Grenzen gelangt wären (aber genau das ist mein Argument: die Konkurrenz unter den in Frage Kommenden wird de facto aufgehoben) – doch selbst wenn im 7. Jh. noch nicht mit fünf Kosmen zu rechnen ist, so ist die Belegdichte für die kollegiale Besetzung des Kosmen-Amtes als mehrköpfiges Gremium im späteren Kreta doch vergleichsweise gut und der allgemeine Trend zu einer mehrköpfigen Kollegialität eindeutig: s. Seelentag (2015) 164–167 mit einer eingehenden Besprechung des Materials und der Forschung. Für die Vergleichszahlen in frühneuzeitlichen Gemeinden s. o. Kap. 2.3.1. S. dazu Gelzer (1983) und zum Phänomen der ‚politischen Integration‘, d. h. zum adelnden Charakter politischer Ämter grundlegend Winterling (2001).

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

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Gruppe, liegt. So tauchen in den späteren Quellen für archaische Oberschichten denn auch Gruppenbezeichnungen wie hippeis oder geomoroi auf,43 die sich terminologisch nicht an bekleideten Ämtern festmachen, sondern an Land- oder Tierbesitz, welche die Voraussetzung für die notwendige Abkömmlichkeit, aber auch (worauf insbesondere die Hippotrophie hindeutet)44 eine prestigeträchtige Lebensführung bilden, die in einer auf Ehre bedachten Gesellschaft als Manifestation von Prestige mindestens so wichtig war,45 um als regimentsfähig anerkannt zu werden. Die athenischen Zensusklassen, die nach dem Zeugnis der Athenaion politeia Reichtum als Kriterium nahmen, um den Zugang zu Ämtern zu regeln,46 scheinen ein analoger Fall zu sein. Wolfgang Blösel hat die Indizien für Zensusschranken in verschieden Poleis der klassischen Zeit gesammelt und plausibel argumentiert, dass wohl auf relativ breiter Basis von einem abgestuften Bürgerrecht auszugehen sei, bei dem die Partizipation an der Volksversammlung allen, die Ämter aber nur einer begrenzten Gruppe offenstanden.47 Letztlich ist das die in vielen frühneuzeitlichen Gemeinwesen anzutreffende Konstellation, aber auch die in den homerischen Epen angelegte politische Struktur, wo alle an der Agora teilnehmen, aber nicht alle als basileis gelten. Dass es dabei zu

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Geomoren sind für das fünfte Jahrhundert belegt: Hdt. 7,155,2 berichtet von der Vertreibung der „Gamoren“ aus Syrakus zu Beginn des 5. Jhs.; Timaios FGrH 566 F 8 (= Phot. lex. s. v. Καλλικύριοι [κ 127 Porson] und Suda s. v. Καλλικύριοι [κ 225 Adler]), der von ‚Geomoren‘ schreibt, dürfte sich auf dieselbe Episode beziehen. Bei Thuk. 8,21 begegnen Geomoren als regierende Gruppe in Samos, die in einem demokratischen Umsturz vertrieben und entrechtet wurden (dazu u.) – die Erwähnung von Geomoren für das frühe 6. Jh. bei Plut. qu. Gr. 57 (= mor. 303e–304c) ist historisch zweifelhaft (s. u.). Generell zum Begriff s. Marcotte (1994) spez. 150–152. Hippeis begegnen als herrschende Gruppe früher Poleis bei Aristoteles (Pol. 4,1289b 33–40), aber auch Hdt 5,77,2 und 6,100,1 kennt ἱπποβόται für Chalkis im frühen 5. Jh.; ebenso finden sich hippeis in den athenischen Zensusklassen. Bemerkenswert ist hier eine aus dem 5. Jh. stammende Geschichte über die pferdebesitzenden Bewohner von Kardia, die ihren Pferden beibrachten, beim Symposion zum Aulos zu tanzen (was die Feinde dann ausnutzen, um die Kavallerie von Kardia durch Aulos-Spieler außer Gefecht zu setzen) – die von Charon von Lampsakos FGrH 262 F 1 (= Athen. 12,520d–f) stammende Geschichte zeigt eindeutige Märchenelemente, aber die Verbindung von Pferdebesitz, Musik, Dressur und Symposion deutet doch darauf hin, dass in der Vorstellung des 5. Jhs. Pferdebesitz nicht auf militärische Funktionen zu reduzieren war, sondern auch mit einem auf τρυφή bedachten Lebensstil assoziiert wurde. Dieselbe Geschichte findet sich später auch für Sybaris überliefert bei Aristot. F 583 (Rose) (= Athen. 12,520c–d), vgl. Suda s. v. Συβαριτικαῖς (σ 1271 Adler). Zum Lebensstil und dem performativen Aspekt des Bürgerseins als Bestandteil der athenischen Zensusklassen s. Duplouy (2014a) und allg. Duplouy (2018) sowie o. Kap. 3.3. [Aristot.] Ath. pol. 7,3 – der Ausschluss der Theten von den Ämtern war formell noch im 4. Jh. gültig, wenn auch in der Praxis bedeutungslos, wie Ath. pol. 7,4 zeigt: διὸ καὶ νῦν ἐπειδὰν ἔρηται τὸν μέλλοντα κληροῦσθαί τιν’ ἀρχήν, ποῖον τέλος τελεῖ, οὐδ’ ἂν εἷς εἴποι θητικόν. Zum nominellen Ausschluss der Theten von Ämtern bis 322 s. grundlegend Blösel (2014) 78–81. Dass die Zuteilung zu einer Zensusklasse (weitgehend) auf Selbstdeklaration beruhte, legt nahe, dass mit den Privilegien urspr. auch Pflichten (tendenziell: Steuern) verbunden waren, auch wenn die Athenaion politeia dies nicht erwähnt; zur möglichen Rekonstruktion eines schon sehr weit entwickelten athenischen Fiskalstaats in archaischer Zeit s. van Wees (2013a). Blösel (2014) spez. 81–87 für die Fälle außerhalb Athens.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Versuchen kam, die Zugehörigkeit zur regimentsfähigen Honoratiorenschicht durch rechtliche Maßnahmen institutionell abzusichern und ökonomisch bedingte Mobilität einzugrenzen, ist denkbar, aber für die Archaik schwer nachzuweisen.48 Grundsätzlich scheint die Regimentsfähigkeit an Landbesitz gekoppelt zu sein – also eine sichtbare Form von Reichtum, der sich anders als beweglicher Besitz auch nicht außer Land schaffen ließ, auf den die Gemeinde bei einem Fehlverhalten des Amtsträgers somit auch Zugriff gehabt hätte. Bei Alkaios (und wohl auch bei Theognis) erfolgt daher der Ausschluss vom Regiment mit der physischen Vertreibung und dem Verlust des angestammten Besitzes.49 Ebenso werden die hippobotai auf Chalkis nicht nur von den Athenern politisch entmachtet, sondern auch von ihrem Besitz vertrieben50 und auch die Geomoren von Samos verlieren 412 größtenteils ihren Besitz zusammen mit den politischen Rechten.51 Bemerkenswert sind die in diesem Zusammenhang bei Thukydides überlieferten Zahlen: Die 200 mächtigsten Geomoren seien getötet worden, rund 400 vertrieben und ihr Land aufgeteilt. Es handelt sich also nicht um eine kleine Gruppe, sondern um eine beachtliche Zahl an regimentsfähigen Honoratioren – zumal nicht alle Geomoren von Tod und Vertreibung betroffen gewesen zu sein scheinen, denn Thukydides berichtet auch, dass es dem demos (gemeint sind aber wohl die neuen Machthaber) verboten worden sei, Heiratsverbindungen mit den Geomoren zu schließen, was bedeuten würde, dass einige als politisch Entrechtete weiterhin in Samos blieben. Das Verbot des Konnubiums weist zudem auf eine ständische Qualität der Geomoren (beziehungsweise der neuen Machthaber) hin, die aber, da es sich um eine Neuerung handelt, erst als Folge des Umsturzes 412 und unter veränderten Machtverhältnissen als ‚harte‘ rechtliche Form der Exklusion etabliert wird. Das Phänomen ist als solches nicht untypisch für vormoderne Gesellschaften:52 Herrschaft, die auf anerkannten Rangunterschieden beruht, kann nicht einfach durch eine Veränderung der Zulassungskriterien zum Regiment abgeschafft werden, sondern es muss sichergestellt werden, dass die bisher herrschende Gruppe nicht weiterhin durch ihr überlegenes Sozialprestige, ihre Beziehungen und ihren materiellen Reichtum Ämter und Macht monopolisieren kann. Die physische Vernichtung eines Teils der Geomoren ‚löst‘ dieses Problem ebenso wie die gezielte rechtliche Diskriminierung der verbleibenden. Doch erst diese ‚negative Privilegierung‘ macht die recht-

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Das weitgehende fehlen ‚harter‘ Kriterien und die daraus resultierende Fluidität archaischer ‚Kartelle‘ betont auch Seelentag (2020). Alkaios F 130b,1–9 L-P (= P. Oxy. 2165 fr. 1 col. II 9–32 & fr. 2 col. II 1; vgl. o. S. 133), wo die Vertreibung aufs Land und der Ausschluss von der Agora explizit mit dem Verlust des väterlichen Besitzes verknüpft werden; weniger konkret, aber wohl auf denselben Sachverhalt zielend, ist das poetische Klagegebet bei Thgn. 1,341–350. Hdt. 5,77; 6,100. Thuk. 8,21. Simmel (1908) 734 f. sieht negative Privilegierungen als ein entscheidendes Merkmal eines Adels an; dazu ausführlich u. S. 278 f.

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

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liche Definition eines ‚Standes‘ zwingend notwendig. Dass diese ‚ständische‘ Unterscheidung 412 als rechtliche Satzung neu geschaffen wurde, zeigt, dass eine rechtliche Abschließung regimentsfähiger Gruppen über Endogamie kein Merkmal einer grauen Vorzeit sein muss. Entgegen gängiger Narrative spricht denn auch wenig dafür, dass sich eine generelle Entwicklung fassen lässt, bei der die Zugangskriterien zu Ämtern ursprünglich einem erblichen ‚Adel‘ vorbehalten waren und erst allmählich das Prinzip der Erblichkeit durch Reichtum ersetzt wurde:53 Die Erwähnung eines Regiments der Geomoren auf Samos im frühen sechsten Jahrhundert bei Plutarch ist als Indiz für einen alten Adel kaum belastbar. Einerseits könnte es sich (zumindest partiell) um eine Rückprojektion des Umsturzes von 412 handeln, andererseits erfährt man – abgesehen vom Namen, der auf Landbesitz schließen lässt – in der Geschichte gar nichts über die Rekrutierung dieser frühen Geomoren.54 Allein das, was wir über die politische Geschichte der Insel – mit Tyrannenherrschaft, Umstürzen und Eroberungen – wissen, lässt eine personelle Kontinuität der Führungsschicht bis 412 wenig plausibel erscheinen und warnt davor, die Geomoren von 412 mit einer möglicherweise ähnlich heißenden Schicht von Landbesitzern im frühen sechsten Jahrhundert gleichzusetzen.55 Auch die restlichen Indizien sind eher dünn: Die rein unter sich heiratenden Bakchiaden in Korinth, von denen Herodot berichtet, wären fast 200 Jahre vor Herodot zu datieren und verdienen daher unter den Bedingungen mündlicher Überlieferung wenig Vertrauen.56 Bei den athenischen Eupatriden lässt sich der fiktive Charakter, wie noch zu zeigen sein wird, relativ plausibel nachweisen.57 Möglicherweise sind die bei Polybios erwähnten „hundert Häu-

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Geradezu als Gesetz erscheint dieser Verlauf bei Berve (1931) 148: „Die Lösung der aristokratisch-blutsmäßigen Gliederung und ihre Umwandlung in eine plutokratisch-oligarchische Schichtung greift unvermeidlich auch auf Hellas über […].“ Die Beispiele, die (wenn auch weniger Blut-fixiert) eine ähnliche generelle Entwicklung propagieren, ließen sich fast beliebig vermehren. Die neuere Forschung ist gegenüber erblichen Aristokratien dagegen zunehmend skeptisch: s. exemplarisch Van Wees & Fisher (2015) 1–7 mit einem aktuellen Überblick sowie Stein-Hölkeskamp (2018). Plut. qu. Gr. 57 (= mor. 303e–304c). Der Quellenwert ist sehr fragwürdig und die Deutung umstritten; verwiesen sei hier lediglich auf drei neuere Arbeiten zum Thema: Mit Recht skeptisch gegenüber einer personellen Kontinuität der ‚Geomoren‘ als Führungsschicht vom 6. Jh. bis 412 ist Mariaud (2015) 259–261; Carty (2015) 28–34 rekonstruiert auf Basis der durchwegs späteren Tradition eine sehr spekulative Frühgeschichte (bei der die Geomoren als „nouveaux riches“ imaginiert werden, die erst kürzlich auf den neu erworbenen Festlandbesitzungen Land zugelost erhalten haben); Lupi (2005) schließlich unterstreicht die Abhängigkeit der Geschichte bei Plutarch von den Umstürzen in Samos und Athen Ende des 5. Jhs., womit der Quellenwert für das frühe 6. Jh. (wofür grundsätzlich die Logik mündlicher Überlieferung spricht) massiv in Zweifel zu ziehen wäre. Auch die Grabbefunde des 6. Jhs. deuten nicht auf eine stabile Oberschicht, sondern auf Konkurrenz, soziale Mobilität und Wandel hin, wie Mariaud (2015) am Fallbeispiel eines besonders prachtvollen samischen Grabes gezeigt hat. Hdt. 5,92. S. u. Kap. 7.1.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

ser“ der Lokrer als Relikt einer ehemals erblich verfassten und exklusiv zum Regiment berechtigten Gruppe aufzufassen, doch die Erwähnung datiert sehr spät und ist eher märchenhaft mit dem Troia-Mythos verwoben.58 Die Indizien für geschlossene ‚Adelskasten‘ in den frühen Poleis sind also mehr als dünn, erst recht, wenn man deren völliges Fehlen in den inschriftlich und literarisch überlieferten Gesetzestexten berücksichtigt. Grundsätzlich erscheint die generelle Orientierung an Land- und Viehbesitz für die Bekleidung von Ämtern – gerade in einem frühen Stadium der Institutionalisierung – sowohl aus der Logik der Abkömmlichkeit als auch der finanziellen Haftung gegenüber der Gemeinde sinnhaft und findet unmittelbare Parallelen in den kommunalen Selbstverwaltungen agrarisch geprägter Gemeinschaften der Frühen Neuzeit.59 Rechtliche Diskriminierungen schließt dies nicht aus: Bastarde oder Fremde mochten reich sein, gehörten aber dennoch nicht dazu, und die athenischen Zensusklassen legen nahe, dass nicht jede Form von Reichtum, sondern ausschließlich Reichtum in Form von Grundbesitz zum Regiment befähigte. Das barg Spannungspotential gegenüber reichen Bewohnern ohne nennenswerten Landbesitz, aber auch gegenüber eingeheirateten Fremden, wie etwa dem Tyrannen Pittakos auf Lesbos, der entsprechend von Alkaios als „Kakopatride“ verunglimpft wurde.60 Dass solche Schranken existierten und dass es bei der Zugehörigkeit zu den Honoratioren keineswegs stets nur um Reichtum und Macht, sondern auch um Ehre und vor allem Anerkennung durch die Peers ging, zeigt die bereits erwähnte Geschichte um Maiandrios, den Nachfolger des Tyrannen Polykrates auf Samos, der anbot, auf seine Machtstellung zu verzichten, wenn er dafür von der Polis die Ehrenstellung eines Priesters des Zeus Eleutherios erhielte, der also bereit gewesen wäre, reale Macht gegen Ehre einzutauschen, dessen Ansinnen aber von den astoi abgelehnt wurde, weil er ein kakos sei.61 Entscheidend ist freilich, dass es sich hierbei um eine innerelitäre Auseinandersetzung handelt. Maiandrios verfügt über ‚adelndes‘ Prestige: Er ist reich, mächtig und pflegt, wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, polisübergreifende Freundschaftsbeziehungen. Als kakos bezeichnet ihn denn auch nicht der demos, sondern einer der angesehenen astoi, der sich damit demonstrativ weigert, Maiandrios als ebenbürtig anzuerkennen. Die meisten Auseinandersetzungen dürften daher auch nicht als Konflikte 58 59 60

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Pol. 12,5,6 f. Die ökonomische Basis, die Abkömmlichkeit und gehobenen Lebensstil garantieren, ist denn auch das zentrale Kriterium von Webers Definition von Honoratioren; s. o. S. 226. Zu agrarischen Gesellschaften s. o. Kap. 2.3. Alkaios F 348 L-P (= 87 D = Aristot. Pol. 3,1285a 35–1285b 1). Vgl. auch Alkaios F 67 L-P (= 26 D = P. Oxy. 1360 fr. 1 9–13); F 75 L-P (= 48 D = P. Oxy. 1234 fr. 6); F 106 L-P (= P. Oxy. 2166(c) 50). Während die ältere Forschung dies einfach mit „von niederer Geburt“ übersetzte, plädierte in neuerer Zeit Cobet (2000) 1055 für die Übersetzung „vaterlandsloser Geselle“, da Pittakos ein eingeheirateter „Fremder“ war; in eine ähnliche Richtung geht Duplouy (2003) 9 f. der ebenfalls den Vaterlandsbezug in πατρίς stark macht, darin aber v. a. eine anti-tyrannische Spitze sieht (Pittakos als jemand, der dem Vaterland schlecht bekommt). Vgl. auch u. S. 283–286. Hdt. 3,142–143; s. o. S. 220 f.

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

237

zwischen ‚kleinen Leuten‘, die nach Ämtern strebten, und einer geschlossenen Gruppe von Honoratioren stattgefunden haben, sondern zwischen denjenigen Personen, die potentiell über Reichtum und (zumindest partiell) über soziale Schätzung verfügten, also eine Auseinandersetzung innerhalb der Oberschicht darüber, wer dazugehört und wer nicht. Die Idee, dass ein Habenichts ohne soziales Prestige überhaupt für Ämter in Betracht kam, dürfte dagegen weitgehend außerhalb des Vorstellungshorizonts gelegen haben. Das zeigen drei Inschriften, die in der Forschung gelegentlich als Indiz für eine frühe (beziehungsweise in zwei Fällen nicht mehr ganz so frühe) Adelsverfassung angesehen werden, die aber vor den in dieser Arbeit entwickelten Kategorien in einem ganz anderen Licht erscheinen. Der erste Fall betrifft ein athenisches Gesetz aus dem Jahr 409/8, bei dem es sich um eine Neuaufzeichnung eines archaischen Gesetzes – angeblich von Drakon – handelt.62 Die Bestimmung regelt das Tötungsrecht und stellt den Versuch dar, Blutfehden einzudämmen und ein Schlichtungsverfahren zu installieren. Sowohl die Thematik und die verschiedenen, im klassischen Athen unbekannten Institutionen als auch das altertümliche Griechisch sprechen ganz klar für ein frühes Datum des Gesetzes. Teil des Verfahrens ist die Einsetzung von zehn Phratores, die den Totschläger, wenn er unabsichtlich getötet hat, zurückführen sollen. Diese werden von einem Gremium von 51 Epheteten eingesetzt und zwar nach ‚Bestigkeit‘ (ἀρ[ι]στ[ίνδεν]).63 Eine ähnliche Bestimmung findet sich, dies der zweite Fall, auf einer Bronzetafel, welche die Landverteilung in Naupaktos regelt und wohl ins späte sechste oder frühe

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IG I3 104 = Meiggs & Lewis Nr. 86 = Koerner Nr. 11 = Nomima Nr. 1.02; vgl. Solon F 5a (Ruschenbusch) = F 5a (Leão & Rhodes). Zum Gesetz gibt es eine breite Forschung und viele Debatten; zentral sind die Besprechungen von Stroud (1968) und Gagarin (1981a) sowie in neuerer Zeit Schmitz (2001) und Schmitz (2018) mit einer weitreichenden historischen Rekonstruktion der geschilderten Verfahren innerhalb einer noch stark von Ehrdenken und Blutrache geprägten Gesellschaft (die Interpretation der basileis als für Tempel verantwortliche Adlige muss allerdings spekulativ bleiben); generell zum Wert historischer Vergleiche für solche Fragen auch Funke (2011). Speziell zu den in der Inschrift erwähnten basileis s. Flament (2009), der diese als informelle Anführer im homerischen Sinne und nicht als Amtsträger deutet und dementsprechend von einer ausgesprochen geringen Institutionalisierung im 7. und 6. Jh. in Athen ausgeht (ein Bild, das freilich nur schwer zu den 51 Epheten passt, deren Zahl in Z 19 eindeutig belegt ist, was nicht nur aufgrund der fixen Zahl eine deutlich höhere Institutionalisierung impliziert als die homerischen Räte, sondern vor allem deutlich macht, dass dort nicht konsensual, sondern nach dem voraussetzungsreichen Mehrheitsprinzip entschieden wurde). Speziell zum Kontext der Wiederaufzeichnung des Gesetzes s. in neuerer Zeit Gallia (2004) sowie Davis (2011), dessen Argumentation, wonach die u. a. in IG I3 104 erwähnten axones keine archaischen Schriftträger darstellten, sondern das Medium waren, auf dem die vermeintlich solonischen (und drakontischen) Gesetze nach dem oligarchischen Umsturz neu aufgezeichnet wurden, für die Frage nach der ‚Echtheit‘ solonischer Gesetze (in dem Sinne, dass sie nicht einfach archaisch, sondern einem konkreten Gesetzgeber zuzuordnen wären) fatale Auswirkungen hätte, da Ruschenbuschs zentrales Kriterium für Authentizität just die Erwähnung von axones war (dazu u. S. 297 f.). IG I3 104 Z 18 f.: τούτος δ]ὲ hο|ι πεντέκο[ν]τ[α καὶ] hες` ἀρ[ι]στ[ίνδεν hαιρέσθον.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

fünfte Jahrhundert zu datieren ist.64 Darin wird der Landbesitz geregelt und eine Neuverteilung des Landes grundsätzlich verboten, mit der möglichen Ausnahme einer Kriegssituation, in der vorgesehen wird, dass 101 nach ‚Bestigkeit‘ (ἀριστίνδαν) ausgewählte Männer mindestens 200 wehrfähige Zusiedler ins Land führen.65 Die dritte – ebenfalls auf einer Bronzetafel erhaltene – Inschrift beinhaltet einen Vertrag zwischen Chaleion in Lokris mit der Polis Oiantheia und datiert in die erste Hälfte oder Mitte des fünften Jahrhunderts.66 Der Vertrag regelt die Rechte der Bürger als Fremde in der jeweils anderen Polis, dabei wird auch ein Gerichtsverfahren angesprochen, bei dem der Fremde als Kläger Geschworene wählen kann und zwar (unter Ausschluss des Proxenos und seines eigenen Gastfreunds) nach ‚Bestigkeit‘ (ἀριστίνδαν); wenn nur Städter (ϝασστοῖ) involviert sind, dann sollen die damiorgoi die Geschworenen wählen und zwar ebenfalls nach ‚Bestigkeit‘.67 Oft wird ἀριστίνδαν im Sinne von ‚nach edler Herkunft‘ oder ‚aus dem Kreis der Adligen‘ übersetzt und die Inschriften als Indiz für eine rechtlich abgesicherte Adelsverfassungen genommen.68 Allerdings hätte das Griechische genügend Worte, die dies wesentlich eindeutiger ausdrücken könnten, und vor allem wird nicht festgelegt, dass nur aristoi in Frage kommen, sondern dass aus einer eben gerade nicht näher definierten Gruppe nach dem Kriterium der ‚Bestigkeit‘ auszuwählen sei. Es gibt denn auch 64 65 66 67

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IG IX 12 3,609 = Meiggs & Lewis Nr. 13 = Koerner Nr. 47 = Nomima Nr. 1.44. IG I2 3,609 A Z 6–9: […] hό τι δέ κα φυτεύσεται, | ἄσυλος ἔ{ι}στο εἴστο. αἰ μὲ πολέμοι ἀνανκαζομένοις δόξξαι ἀ|νδράσιν hενὶ κἐκατὸν ἀριστίνδαν τοῖ πλέθει ἄνδρας δια|κατίος μεῖστον ἀξξιομάχος ἐπιϝοίκος ἐφάγεσθαι […]. IG IX 12 717 = Nomima Nr. 1.53. IG IX 12 717 B Z 10–17: αἴ κ’ ἀνδιχάζοντι ⁝ τοὶ ξενοδίκαι ⁝ ἐπομότας ⁝ hελές|το ⁝ ὀ ξένος ⁝ ὀπάγον ⁝ τὰν δίκαν ⁝ ἐχθὸς προξένο|καὶ ϝιδίο ξένο ⁝ ἀριστίνδαν ⁝ ἐπὶ μὲν ταῖς μναια|ίαις ⁝ καὶ πλέον ⁝ πέντε καὶ δέκ’ ἄνδρας ⁝ ἐπὶ ταῖς|μειόνοις ⁝ ἐννέ’ ἄνδρας ⁝ αἴ κ’ ὀ ϝασστὸς ποὶ τὸν ϝ|αστὸν δικάζεται κὰ τᾶς συνβολᾶς· δαμιοργὸς|hελέσται ⁝ τὸς hορκομότας ἀριστίνδαν τὰν πε|ντορκίαν ὀμόσαντας. So sieht etwa Rose (2012) 264 im drakontischen Gesetz den ‚Beweis‘ für „the ideologically decisive principle of inheritited class identity“, wobei er ἀρ[ι]στ[ίνδεν] (ohne das Griechische anzugeben) sehr frei mit „qualifications of noble birth“ übersetzt; Stroud (1968) 6 übersetzt „according to their rank“ und verweist im Kommentar (ebd. 50) auf den „aristokratischen“ Charakter dieser Verordnung, wobei er aber explizit auf Aristoteles Bezug nimmt, d. h. unter „Aristokratie“ etwas anderes versteht als Rose, was symptomatisch ist für die Diskussion der entsprechenden Stellen; Gehrke (1993) 56 deutet ἀριστίνδαν im Siedlergesetz von Naupaktos als Qualität „in einem aristokratischen Sinne“ (allerdings mit einer relativierenden Anmerkung). Von den beiden derzeit maßgeblichen Sammlungen übersetzt Koerner Nr. 11 ἀριστίνδαν mit „nach Ansehen“, wobei der Kommentar ad loc. erklärt, dies bedeute „nach aristokratischem nicht nach demokratischem Prinzip“, Koerner Nr. 47 übersetzt ἀριστίνδαν mit „nach Tüchtigkeit“ fügt aber im Kommentar an, dass diese Männer „aus den Reihen des Adels“ stammten und leitet daraus weiterreichende Rückschlüsse über die Zahl der Bürger ab, „[d]a es […] allein 101 adlige Männer in Naupaktos gab“, Nomima Nr. 1.44 übersetzen „cent un citoyens de l’aristocratie“, wobei im Kommentar angefügt wird, dies könne auch bedeuten „choisis au mérite“, in diesem Sinne ist auch die Übersetzung bei Nomima Nr. 1.02 und ebenso bei Nomima Nr. 1.53, wobei dort der Kommentar ad loc. anführt: „‚parmi les aristoi‘, ‚en fonction de la noblesse‘, traduit-on généralement. Mais ‚l’aristocratie‘ d’une petite ville pourrait être représentée par la classe hoplitique, ou par les familles qui participent depuis longtemps au pouvoir politique.“

6.1 Institutionalisierung von Konkurrenz in der Polis

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diverse berechtigte Zweifel, ob ‚Adeligkeit‘ tatsächlich der intendierte Sinn ist.69 Ein ‚Adel‘ tendiert, wie oben argumentiert, eher dazu, Konkurrenz zugunsten einer klar festgelegten Gruppenzugehörigkeit zurückzubinden, doch genau eine solche meritokratische Konkurrenz wird durch das Festschreiben von ‚Bestigkeit‘ als Auswahlkriterium (zumindest in der Theorie) gefordert. Die nächste Parallele ist die bereits erwähnte Aufforderung Agamemnons an Diomedes, den „Besten“ als Gefährten zu wählen und nicht aus falscher Scheu einen „Schlechteren“ mitzunehmen, nur weil dieser „königlicher“ sei.70 So gesehen legen die drei Inschriften eben gerade nicht eine ‚adlige‘ Verfassung institutionell fest, sondern fordern im Gegenteil explizit zu einem objektiven Wettbewerb (unter den als amtsfähig Erachteten) auf, in dem die jeweils für die konkrete Sache am besten geeigneten Personen gewählt werden sollen. Der Umstand, dass das festgeschrieben werden muss, bestätigt aber umgekehrt (genauso wie die Aufforderung Agamemnons an Diomedes), dass ein solch objektives Verfahren eben gerade keine Selbstverständlichkeit war. Auch geht es nur um das Auswahlkriterium für das Verfahren, nicht aber um die Gruppe, aus der auszuwählen ist (was die These einer rechtlich definierten ‚Adelsverfassung‘ implizieren würde): Dass nur Personen von einem gewissen Ansehen überhaupt in Betracht kamen, war selbstverständlich und musste nicht eigens in Rechtstexten festgehalten werden. Wenn auch institutionelle Abgrenzungen regimentsfähiger Gruppen nicht direkt nachweisbar sind, so gibt es doch ein Indiz, das auf einen verstärkten Zusammenhalt schließen lassen könnte: nämlich das Zurückdrängen von demonstrativem Konsum in einigen Poleis des sechsten Jahrhunderts. Nachweisbar sind die Effekte solcher Bestrebungen vor allem für Kreta, wo zwischen ca. 630 und 575 ein deutlicher Rückgang der materiellen Kultur zu beobachten ist. Neuere Arbeiten deuten dies nicht mehr als Folge einer Katastrophe oder einer breiten Verarmung, sondern als bewusste Selbstbeschränkung im Sinne einer Austerität, die gerade deshalb möglich wurde, weil die Oberschicht institutionell so gefestigt war, dass sie auf die andauernde und kostspielige Demonstration von Status verzichten konnte.71 Eine Tendenz zur Austerität – zumindest in ausgewählten Bereichen – lässt sich auch im archaischen Sparta beobachten, wobei dort demonstrativer Konsum nicht gänzlich verschwindet, sondern sich zum Teil lediglich auf andere Felder konzentriert (so findet sich ab der Mitte des sechsten Jahrhunderts eine stattliche Anzahl spartanischer Olympiasieger im Viergespann, der mit Abstand kostspieligsten Disziplin).72 Konkurrenz und Exzellenzstreben 69 70 71 72

Vgl. die skeptischen Anmerkungen in Nomima (s. Anm. o.). Hom Il 10,234–239; s. o. S. 205. S. unabhängig voneinander die in diesem Sinne vorgebrachten Deutungen von Whitley (2015) und Seelentag (2015) spez. 34–57 zur materiellen Kultur – beide mit weiterer Literatur. Die Deutung folgt Hodkinson (2000) spez. 209–368, der das Reichtumsgefälle betont und zeigt, wie der Reichtum statt in Kleidung, Kommensalität oder Begräbnissen v. a. in Heiligtümern, Hippotrophie oder auswärtigen Beziehungen zur Schau gestellt wurde. Auffallend sind v. a. die Vierge-

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

werden also in den Bereichen, die in der Polis besonders sichtbar sind – Kleidung, Kommensalität und Grabluxus – beschränkt und die Differenz zwischen Honoratioren und normalen Bürgern zugunsten des alle Spartiaten73 umfassenden homoioi-Ideals minimiert. Die soziale Überlegenheit Einzelner wird zwar weiter inszeniert, aber eben nicht direkt in der täglichen Interaktion mit den homoioi in der Polis, sondern ganz wie es Heraklits Ephesier formulierten „anderswo und bei andern.“ Der Umstand, dass gerade in dieser Zeit im ionischen Raum die ‚lydische Mode‘ blühte und das Symposion sich vielerorts als eigener Raum des demonstrativen Konsums und der Statuskonkurrenz etablierte und zum Teil spektakuläre Konkurrenz bei Gräbern zu beobachten ist,74 zeigt allerdings, dass es sich hierbei keineswegs um ein allgemeines Phänomen handelt: Einzelne Regionen können durchaus gegenläufige Entwicklungen durchlaufen. Der Prozess der Institutionalisierung bewirkte also – in Hinblick auf gesellschaftliche Differenzierung – vor allem eine Versachlichung von ‚Prominenzrollen‘, die zu einem Gradmesser für Ehre werden konnten und durch das Verbot der Iteration einer potentiell breiteren Gruppe an ‚Honoratioren‘ Zugang zu dieser Ehre verschaffen konnten. Dass dabei Reichtum und Abkömmlichkeit das zentrale Kriterium darstellten, um als amtsfähig anerkannt zu werden, folgt einer pragmatischen Logik, die sich aus der relativ prekären agrarischen Grundlage der Gesellschaft heraus erklären lässt. Inwieweit Kriterien für Amtsfähigkeit jenseits von ökonomischem Besitz institutionell geregelt wurden, lässt sich im Einzelnen kaum nachweisen. Für die weitere Entwicklung bedeutender ist eine hier bislang ausgeblendete Frage, nämlich die,

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74

spannsiege, von denen zwischen 548 und 420 insgesamt 12 an Spartaner gingen und die klar zeigen, dass Reichtum und demonstrativer Konsum nicht durchgängig in eine ‚kommunitäre Lebensform‘ überführt wurde [zu dieser gänzlich anderen Deutung s. ingeniös, aber spekulativ Schmitz (2002)], sondern sich die Konkurrenz auf andere Felder verlagerte: Zu den Siegen s. Moretti (1956) Nr. 110 (Euagoras, 548 v. Chr.); Nr. 113 (Ders., 544 v. Chr.); Nr. 117 (Ders., 540 v. Chr.); Nr. 158 (Demaratos, 504 v. Chr.); Nr. 195 (Polypeithes, 484 v. Chr.); Nr. 305 (Arkesilaos, 448 v. Chr.); Nr. 311 (Ders., 444 v. Chr.); Nr. 315 (Polykles, 440 v. Chr.); Nr. 324 (Lykinos, 432 v. Chr.); Nr. 327 (Anaxandros, 428 v. Chr.); Nr. 332 (Leon, 424 v. Chr.); Nr. 339 (Lichas, 420 v. Chr.). Für eine ingeniöse, aber in vielen Punkten höchst spekulative Einordnung der spartanischen Austerität in einen größeren Trend gegen Ende des 6. Jhs. s. van Wees (2018). Die Spartiaten waren immer noch eine exklusive Gruppe, da Besitzlose nicht dazugehörten, dennoch wird der Kreis weiter gefasst gewesen sein als jener der regimentsfähigen Gruppe in Athen, denn das bei Plutarch (Lyk. 8) angegebene Einkommen von 70 Scheffel, das die Basis für Lykurgs Landlose an die Bürger gebildet haben soll, liegt deutlich unter den 200 Scheffel, die für die athenischen Zeugiten genannt werden. Die Exklusivität spartanischer ‚Austerität‘ betont dezidiert auch van Wees (2018) 111–113. S. o. Kap. 3.3. Zu Grabluxus und der damit verbundenen Prestige-Konkurrenz s. Duplouy (2006) 124–149. Zum Zurückdrängen des Agons und der Austerität als eigene Praxis, die aber eher die Ausnahme darstellt, s. auch Duplouy (2006) 278–282. Für eine interessante Fallstudie auf Samos s. Mariaud (2015), der eine spektakuläre und von der sonst fassbaren Norm abweichende Grablegung eines ansonsten unbekannten Megas um die Mitte des 6. Jhs. behandelt – ein archäologisches Indiz dafür, dass in Samos in der Zeit nicht mit einer stabilen ‚Geomoren-Oligarchie‘, sondern mit erheblicher Status-Konkurrenz und Instabilität zu rechnen ist.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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wer überhaupt ‚an der Polis teilhaben‘ konnte,75 also die Frage, wer an der Volksversammlung teilnehmen dürfte, auch ohne selbst als amtsfähig zu gelten. Hier scheint es durchaus Entwicklungen gegeben zu haben: So konnte Hesiods Vater offenbar noch problemlos als Fremder Land in Askra erwerben, was ihm im klassischen Athen als Metöke nicht mehr möglich gewesen wäre. Diese Abgrenzung der die Polisgemeinschaft bildenden Freien gegenüber den Fremden half, die bestehende Oberschicht zu stabilisieren, da dadurch reiche und damit potentiell angesehene Fremde vom Bürgerverband ausgeschlossen blieben und als potentielle Konkurrenten um Ämter nicht in Betracht kamen. Der Preis dafür war jedoch eine Verwischung der Differenz zwischen Honoratioren und den restlichen Bürgern, die dann als Mitbürger oder gar als homoioi eine – zumindest symbolische – Statusaufwertung erfuhren. Im Athen des fünften Jahrhunderts nahm das dann eine Sonderentwicklung, indem die Kompetenz der Volksversammlung massiv gestärkt wurde und damit das Kriterium der Amtsfähigkeit nicht nur symbolisch, sondern auch machtpolitisch an Gewicht verlor.76 6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone Wettkämpfe mit überregionaler Beteiligung sind bereits in den frühen Epen fassbar. Die in der Ilias ausführlich geschilderten Leichenspiele für Patroklos sind zwar kurzfristig anberaumt und die beteiligten Helden reisen nicht extra an,77 doch in anderen Fällen kommen Teilnehmer zumindest aus der weiteren Umgebung: So ist Nestor in seiner Jugend für Leichenspiele zu den Epeiern nach Buprasion gereist, genauso wie Hesiod seine einzige Seefahrt unternahm, um auf Chalkis als Sänger an Leichenspielen teilzunehmen.78 Aus der Odyssee wird deutlich, dass der Nachruhm des Toten eine wesentliche Motivation war, um Leichenspiele abzuhalten79 – es versteht sich daher, dass die Veranstalter sich bemüht haben werden, ein möglichst überregionales Publikum anzuziehen, das den Namen des Toten in die Welt tragen konnte. Es gibt in den Epen aber auch Agone, die nicht als Leichenfeiern zelebriert werden. So die – vor dem fremden Gast abgehaltenen – Spiele der Phaiaken in der Odyssee,80 vor allem aber die nur in Rückblenden erwähnten Agone in der Ilias: Diomedes’ Vater Tydeus hatte als Fremder an Wettkämpfen in Theben teilgenommen und den Zorn der Theba75 76 77 78

79 80

Hierzu grundlegend Walter (1993) sowie jetzt in Hinblick auf Kreta Seelentag (2015) spez. 274–333. Vgl. in diesem Sinne Blösel (2014) 87–89 sowie u. Kap. 8. Hom. Il. 23,257–897. Pferderennen bei Leichenspielen ferner als Gleichnis in Il. 22,162–164. Hom. Il. 23,629–645; die Lokalisierung von Buprasion ist unsicher, es muss sich aber um einen Ort oder eine Region in Elis gehandelt haben (vgl. Il. 2,615–624), also in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Pylos. Auch Hesiods ‚Seereise‘ von Boiotien über die Meerenge nach Euböa (Hes. erg. 652–662) spielt sich in einem regional überschaubaren Rahmen ab. Hom. Od. 24, 85–94 (Agamemnon schildert Achill in der Unterwelt dessen Leichenspiele). Hom. Od. 8,100–255.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

ner auf sich gezogen, da er alle besiegte, und Nestors Vater schickte ein Gespann mit Wagenlenker zu Agonen nach Elis, also vermutlich zu den Spielen in Olympia.81 Athletische Wettkämpfe sind selbstverständlicher Bestandteil des lebensweltlichen Hintergrunds, vor dem sich die Handlung der Epen abspielt. Das zeigt sich besonders gut, wenn die Art, wie Achill Hektor um die Mauern Troias jagt, mit einem Wettlauf und einem Pferderennen um entsprechende Kampfpreise verglichen wird.82 Auch Hesiods Theogonie kennt athletische Agone als Anlässe, bei denen man mit Unterstützung der Götter Ehre (κύδος) erringen kann.83 Besonders hervorzuheben ist jedoch eine kleine en passant-Bemerkung im Schiffskatalog der Ilias, wo der Dichter erwähnt, dass die laoi des zürnenden Achill sich bei den Schiffen im Speerwerfen, Bogenschießen, aber auch im Diskuswurf übten:84 Ein eindeutiger Beleg dafür, dass Athletik unabhängig von konkreten Agonen als Zeitvertreib offenbar weitverbreitet war und kein Monopol der basileis darstellte.85 Der Anlass für Wettkämpfe scheint in den Epen aber noch wenig institutionalisiert zu sein: Entweder handelt es sich um Leichenspiele oder aber der Anlass ist auf die Demonstration von Überlegenheit gegenüber Fremden ausgerichtet. So veranstalten die Phaiaken Wettkämpfe, […] damit der Fremde, wenn er heimgekehrt ist, den Seinen sage, wie sehr wir uns hervortun vor den anderen im Faustkampf und im Ringen und im Sprung und mit den Füßen!86

Die Beteiligung des Fremden ist hier an sich gar nicht vorgesehen – erst als er herausgefordert wird, nimmt Odysseus selbst an den Wettkämpfen teil. Anders ist es in der Ilias, wo Tydeus als Fremder die Thebaner zum „wettkämpfen“ (ἀεθλεύειν) auffordert, um seinerseits in einem ebenfalls ad hoc anberaumten Wettkampf seine Überlegenheit zu demonstrieren.87 Der Umstand, dass die Thebaner ihn danach zu töten versuchen, zeigt auch, dass es gefährlich sein kann, als Fremder an einem nicht neutralen Ort über die Gastgeber zu triumphieren.88 Einzig für die Agone in Elis89 wird kein konkreter

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87 88 89

Hom. Il. 4,387–390; 11,698–702. Hom. Il. 22,159–164. Hes. theog. 435–438. Hom. Il. 2,773–775. Anders Mann (1998), der die Ausbildung der Gymnasien und der dort praktizierten Athletik anfangs als rein aristokratisches Monopol deutet – die Quellenlage für frühe Gymnasien ist allerdings dürftig und die erwähnte Ilias-Stelle spricht eindeutig gegen eine sozial exklusive Praktik. Hom. Od. 8,101–103 (Übers. W. Schadewaldt): […] ὥς χ’ ὁ ξεῖνος ἐνίσπῃ οἷσι φίλοισιν / οἴκαδε νοστήσας, ὅσσον περιγινόμεθ’ ἄλλων / πύξ τε παλαιμοσύνῃ τε καὶ ἅλμασιν ἠδὲ πόδεσσιν. Nachdem Odysseus gezeigt hat, dass er die Phaiaken besiegen kann, eröffnet Alkinoos ein anderes Feld der Konkurrenz: Im Laufen, der Seefahrt, aber vor allem im Tanzen und Singen, was nun dem Gast vorgeführt werden soll, seien die Phaiaken überlegen (Hom. Od. 8,240–253). Hom. Il. 4,389. Dazu van Wees (1992) 93. Hom. Il. 11,698–702.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

243

Anlass genannt, was ein Indiz dafür sein könnte, dass es sich hierbei tatsächlich um die Olympischen Spiele handeln könnte, die gemäß der späteren Tradition bereits früh institutionalisierte Formen angenommen hatten und in regelmäßigem Turnus ausgerichtet wurden. Dass in Olympia bereits sehr früh regelmäßig Agone abgehalten wurden, kann als weitgehend gesichert gelten. Das Datum 776 für die angeblich ersten Olympischen Spiele ist zwar zu hinterfragen, basiert dies doch auf der reichlich spekulativen und schon in der Antike umstrittenen Olympionikenliste, die Hippias von Elis um 400 erstellte,90 doch der archäologische Befund deutet klar darauf hin, dass spätestens Ende des achten Jahrhunderts mit periodischen Spielen von größerer Ausstrahlung zu rechnen ist. Ab etwa 700 sind temporär angelegte und danach rasch wieder verfüllte Schöpfbrunnen nachzuweisen, was von Alfred Mallwitz überzeugend als Indiz gedeutet wurde, dass ab dieser Zeit Spiele stattfanden, die so viele Besucher anlockten, dass jeweils kurzfristig Brunnen angelegt werden mussten.91 Die zahlreichen Weihgeschenke aus geometrischer Zeit zeigen allerdings, dass das Heiligtum schon zuvor ein überregional frequentierter Treffpunkt war – Catherine Morgan stellte in einer einflussreichen Studie die These auf, dass Olympia ursprünglich den „petty chiefs“ des Umlands als gemeinsamer Fest- und Kultort diente, wo man sich auf neutralem Boden zu gemeinsamen Festen und statusmanifestierendem demonstrativem Konsum (und wohl auch bereits ersten sportlichen Wettkämpfen) traf, bevor Olympia dann im Verlauf des achten Jahrhunderts parallel zu den sich entwickelnden Poleis eine immer breitere Ausstrahlung als überregionaler Treffpunkt entwickelte.92

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Erhalten ist nur die Notiz bei Plut. Num. 1,6 (= Hippias von Elis FGrH 6 F 2), die von großer (für Plutarch gegenüber Chronographen nicht untypischer) Skepsis gegenüber Hippias’ Zuverlässigkeit zeugt. In der Forschung überwiegt – zumindest für die Zeit vor dem 6. Jh. – ebenfalls Skepsis; s. dazu grundlegend Christesen (2007) 45–160, den Forschungsüberblick bei Bilik (2000) sowie den ausgewogenen Kommentar von Marek Węcowski zu BNJ 6 F 2 von 2009 . Die eingehende Untersuchung von Christesen (2007) 112–146 zu Hippias’ Quellen hat gezeigt, dass es keine schlüssigen Hinweise auf eine Olympionikenliste vor Hippias gibt, d. h. er hatte als erster auf Basis mündlicher und schriftlicher Überlieferung eine solche Liste kompiliert – für die Zeit vor dem 6. Jh. standen ihm dafür wohl kaum schriftliche Zeugnisse zur Verfügung (und auch im 6. Jh. werden Siegerinschriften und ähnliche Zeugnisse kaum mit eindeutigen Daten versehen gewesen sein, d. h. auch sie mussten von Hippias erst in eine chronologische Abfolge gebracht werden). Da die Schöpfbrunnen offenbar jeweils nur für wenige Tage in Gebrauch waren und dann wieder verschüttet wurden, sind entsprechend viele (rund 200) nachweisbar; über die darin verfüllte Keramik sind sie zudem gut datierbar und zeigen eine stetige Zunahme vom 7. Jh. bis in klassische Zeit; ferner geben sie Indizien zur Lokalisierung des archäologisch nicht nachweisbaren ‚Urstadions‘; s. Mallwitz (1988) 98–100; vgl. Kyrieleis (2011) 132 f. Morgan (1990) 26–105; 191–193. Der Ansatz ist insofern reizvoll, als er die Entwicklung des Heiligtums und der Agone in ein breiteres Modell soziokultureller Evolution einbettet, das auf monokausale Herleitungen (etwa eine organische Entwicklung der Spiele aus dem Kult) verzichtet, das allerdings stark neoevolutionistischen Staatsentstehungstheorien mit etwas groben Kategorien verpflichtet ist; für eine differenzierte Weiterentwicklung dieses Ansatzes s. Ulf (1997), dazu ferner

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Der archäologische Befund ist nicht ganz einfach zu deuten: Unter dem Gelände des späteren Heratempels und des Pelopions am Fuß des Kronoshügels fanden die Ausgräber im 19. Jahrhundert eine aschehaltige ‚schwarze Schicht‘ mit zahlreichen geometrischen und früharchaischen Weihgeschenken.93 Alfred Mallwitz datierte diese Schicht in die erste Hälfte des siebten Jahrhunderts und deutete sie als Resultat einer einmaligen Neugestaltung des Heiligtums mit Planierungsarbeiten und einem Abräumen und Deponieren älterer Votivgeschenke.94 Die Nachgrabungen, die das Deutsche Archäologische Institut zwischen 1987 und 1996 im Bereich des Pelopions durchführte, haben zwar bestätigt, dass die ‚schwarzen Schicht‘ nicht eine kontinuierlich angewachsene Kulturschicht darstellt, sondern auf gezielte Planierungsarbeiten zurückgeht, bei der Asche und Opferreste vom Zeusaltar zusammen mit aussortierten und rituell zerstörten Weihungen als Füllmaterial verwendet worden waren; allerdings wurde auch deutlich, dass es sich dabei nicht um einen einmaligen Vorgang handeln kann, sondern dass mit wiederkehrenden Säuberungen und Planierungen zu rechnen ist.95 Ein radikaler Bruch in der räumlichen Gestaltung des Heiligtums um 700 oder 650 lässt sich archäologisch also nicht belegen und eine kausale Verknüpfung mit spät und dubios überlieferten ‚historischen‘ Ereignissen ist erst recht problematisch.96

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Funke (2005) 7 ff.; zum ethnologischen Vergleichsmaterial und der dahinterstehenden Modellbildung s. Ulf (1991) und generell zu der Frage nach den ‚Ursprüngen‘ in der älteren Forschung Ulf & Weiler (1980). Für eine andere Deutung in neuerer Zeit s. Valavanis (2006) mit einem guten Forschungsüberblick; seine These, wonach sich die Agone aus einem mit dem Zeuskult verbundenen Wettlauf entwickelt hätten, basiert jedoch einzig auf Philostr. gymn. 5 und damit einer sehr späten, archäologisch nicht zu verifizierenden Quelle – sein Ansatz zeigt jedoch, wie dünn die Quellenlage und wie spekulativ die Frage nach den ‚Ursprüngen‘ letztlich ist. Kyrieleis (2006) spez. 27–55. Mallwitz (1988) 81–89; Hinweise auf Planierungsarbeiten mit deponierten Weihgeschenken finden sich auch östlich der Altis im Gebiet unter dem südlichen Teil der späteren Echo-Halle: Mallwitz (1988) 101; ebenfalls für eine einmalige Planierungsarbeit, die zur ‚schwarzen Schicht‘ führte, und damit für eine radikale Umgestaltung im 7. Jh. plädiert Scott (2010) 148 f. Kyrieleis (2006) 33 ff. So ließen sich an zwei Stellen, wo die ‚schwarze Schicht‘ ungestört war, eindeutige Planierungsarbeiten – wohl aus dem 7. Jh. – nachweisen (ebd. 16 f.; 22–25), doch zwei Profile mit Flusssedimenten, die entsprechende Ablagerungen enthalten, zeigen, dass es auch schon frühere schwarze Schichten gab (ebd. 8; 12) und folglich mit verschiedenen Abtragungen und Planierungen zu rechnen ist, wobei eine genaue Datierung nicht mehr möglich ist – die Funde reichen vom 11. bis zum 7. oder gar frühen 6. Jh. Mit Recht skeptisch: Kyrieleis (2006) 53–55. Mit historischen Ereignissen argumentiert dagegen Mallwitz (1988) 99–103, der um 700 nicht nur den Beginn der Spiele, sondern auch eine grundsätzliche Neugestaltung des Heiligtums ausmachen will, was er mit Pheidon, dem Tyrannen von Argos, in Verbindung zu bringen sucht; Scott (2010) 148–154 (der die Ergebnisse der Nachgrabungen zwar zitiert, aber ignoriert) verbindet die vermeintlichen Veränderungen mit der Übernahme des Heiligtums durch Pisa (spez. 151, dort auch mit weiterer Literatur); die anschließende Umgestaltung um 600 u. a. mit dem Bau des Heraions sieht er als direkte Folge der erneuten Besitzergreifung durch Elis (ebd. 154 ff.). Nach den Nachgrabungen deutet nun aber wieder alles darauf hin, dass die ‚schwarze Schicht‘ in mehreren Planierungs-Phasen abgelagert wurde, womit der einmalig-radikale Bruch um 700 oder 650 archäologisch nicht mehr eindeutig ist, und die ‚historischen‘ Daten sind sowieso mehr als fragwürdig: Pheidon ist eine schwer fassbare Figur, die z. T. mit gro-

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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Doch auch wenn die im siebten Jahrhundert erfolgten Planierungen keinen grundsätzlichen Kontinuitätsbruch darstellten, so deutet dies doch zusammen mit ersten Architekturfragmenten97 und den bereits erwähnten Brunnen darauf hin, dass im Verlauf des siebten Jahrhunderts mit einer Institutionalisierung periodischer Wettkämpfe zu rechnen ist – nicht im Sinn einer radikalen Zäsur, wohl aber als fortlaufender Prozess, der in verschiedenen Bereichen des Heiligtums archäologische Spuren hinterlassen hat. Das wäre im Vergleich zu anderen ‚panhellenischen‘ Agonen immer noch sehr früh. Peter Funke betonte denn auch die Vorbildfunktion, die Olympia für die Ausgestaltung anderer panhellenischer Heiligtümer und die zugehörigen Agone einnahm.98 Eine richtige Dynamik entwickelt sich dann im sechsten Jahrhundert: Nach der klassischen Chronologie werden in der ersten Jahrhunderthälfte die Pythischen, die Isthmischen und die Nemeischen Spiele eingerichtet, die später zusammen mit Olympia als die vier großen panhellenischen Agone die periodos bilden werden.99 Dies sind jedoch mitnichten die einzigen Agone, die in dieser Zeit eingerichtet werden und überregionale Ausstrahlung besitzen. Erinnert sei nur an die Panathenäen, über deren Einrichtung beziehungsweise Ausbau um die Jahrhundertmitte wir durch epigraphische und archäologische Zeugnisse verhältnismäßig gut informiert sind.100 In der frühen Klassik bezeugen Pindars Siegeroden die Vielfalt sportlicher Wettkämpfe, an

ßer Skepsis betrachtet wird, s. Hall (2007) 145–154 (sein Fazit auf S. 154: „Sometimes we simply have to […] accept that there are certain types of narrative histories that our sources are woefully inadequate to reconstruct“), und die Existenz der Polis Pisa als Rivalin von Elis wurde von Möller (2004) grundsätzlich in Frage gestellt, die darin eine erfundene Tradition des 4. Jhs. sah, als die Pisatis sich von Elis zu lösen versuchte und sich eine archaische Lokalgeschichte ‚erfand‘. 97 Aus der Mitte des 7. Jhs. stammt die älteste erhaltene Steinskulptur Olympias: Ein liegender Löwe, der als Wasserspeier diente und auf eine architektonische Ausgestaltung des Bereichs des späteren Heraions hindeutet, die offenbar nur von kurzer Dauer war, denn Farbreste und geringe Verwitterungsspuren legen nahe, dass der Löwe beim Bau des Heraions um 600 unter den Boden kam, s. Kyrieleis (2011) 92 f. mit Abbildung und Forschungsdiskussion. 98 Vgl. Funke (2005) 9 f. 99 Zur Entwicklung der panhellenischen Agone und Heiligtümer in archaischer Zeit s. Funke (2005) mit weiterer Literatur sowie jetzt Neumann-Hartmann (2020). Die Daten der Einrichtung der jeweiligen Agone (Pythien: 586/82?; Isthmien: 582; Nemeen: 573) sind spät überliefert und archäologisch nicht direkt zu verifizieren; zum besonders vertrackt überlieferten Gründungsdatum der Pythien (586 bzw. 582) s. Brodersen (1990) und Perrot (2009). Zum archäologischen Befund der panhellenischen Heiligtümer in Nemea und am Isthmos s. den Überblick bei Scott (2010) 240–248. 100 Das spätantik überlieferte vermeintlich exakte Datum 566 ist wenig vertrauenerweckend (s. o. S. 17. Anm. 14); die über ihren Stil relativ zu datierenden panathenäischen Preisamphoren, die ab der Jahrhundertmitte die älteren Pferdekopfamphoren (die auf hippische Vorgängeragone hindeuten könnten) ersetzen, sprechen allerdings klar für eine Reorganisation und Ausweitung der Spiele um die Jahrhundertmitte, vgl. zu den Preisamphoren einführend Tiverios (2007) spez. 1 f.; ferner finden sich auf der Akropolis die ebenfalls in die Jahrhundertmitte zu datierenden Inschriften IG I3 507 und IG I3 508, in denen von hieropoioi die Rede ist und der Errichtung eines Dromos für die Festspiele der γλαυκῶπις. Allgemein zur Einrichtung der Panathenäen s. vorsichtig argumentierend Parker (1996) 89–92; eher spekulativ dagegen Neils (2007).

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

denen ambitionierte Athleten aus dem gesamten griechischen Raum teilnahmen. So wird in der siebten Olympischen Ode der rhodische Faustkämpfer Diagoras gepriesen, der zweimal bei Agonen in Rhodos erfolgreich war, viermal bei den Isthmien, mehrmals in Nemea und in Athen sowie in Argos, Arkadien, Theben, bei den Agonen der Boiotier, in Pellene, Sikyon, sechsmal in Aigina und dann noch in Megara.101 Parallel zur Ausweitung der Agone erfolgte eine Monumentalisierung der entsprechenden Heiligtümer.102 Auch Olympia erfuhr im sechsten Jahrhundert weitere Ausbauten. Um 600 wurde die religiöse Topographie grundlegend umgestaltet: Der Zeusaltar, der bislang im Bereich des Pelopions gestanden hatte, wurde verlegt,103 dafür scheint nun der Pelops-Kult eingerichtet worden zu sein.104 Dass dies mit der gesteigerten Bedeutung der Spiele zusammenhängt, die mit Pelops nun eine Anbindung an einen gesamtgriechisch bekannten Heros erhielten, der einen inhaltlichen Bezug zu Wettkampf und Wagenrennen aufwies, ist naheliegend. Etwa zeitgleich wurde mit dem Heraion ein erster monumentaler Tempel errichtet.105 Wohl um die Jahrhundertmitte wurde dann das Stadion ausgebaut,106 und ab der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts begannen einzelne Poleis, auf der Terrasse nördlich des Heraions prächtige Schatzhäuser zu errichten.107 Panhellenische Heiligtümer und Agone erlebten also im Verlauf des sechsten Jahrhunderts einen wahren Institutionalisierungsschub, wobei die Konkurrenz der Feste untereinander um ein möglichst breites panhellenisches Publikum wesentlich für diese Entwicklung verantwortlich sein dürfte. Dabei ging es darum, ein Publikum zu erreichen, das über den lokalen Interaktionszusammenhang etwa einer konkreten Polis hinausreicht. Genauso wie Alkinoos in der Odyssee davon ausgeht, dass der Fremde Odysseus den Ruhm der Phaiaken mehrt, indem er zuhause von ihnen erzählt,108 diente auch ein panhellenisches Publikum als Multiplikator, indem es zuhause vom Prestige erzählen konnte, das durch athletische Siege bei Agonen oder prachtvolle Weihungen in Heiligtümern manifestiert wurde. Allerdings sind Festspiele wie jene bei den Phaiaken, bei denen das erklärte Ziel ist, dem Fremden die eigene Überlegenheit zu demonstrieren, für externe Teilnehmer nicht sonderlich attraktiv. Um ein panhellenisches Publikum anzuziehen, durfte also ein Fest beziehungsweise der dazugehörige Raum nicht zu einseitig von einer Macht dominiert werden, was zu einem gewissen

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Pind. O. 7,81–88. Ähnliche Passagen finden sich in O. 9,84–99; O. 13,107–113; N. 10,23–48. Vgl. dazu allg. Ulf (1997) 48. Konkret zum archaischen Delphi s. Scott (2010) 41–74 und zu Nemea Miller (1988) spez. 142–144 zur spärlichen archaischen Evidenz. Kyrieleis (2006) 35–55. Kyrieleis (2006) 55–61; 79–83. So auch schon Mallwitz (1972) 134–137; Mallwitz (1988) 86 f. Mallwitz (1972) 137–149; Kyrieleis (2011) 27 f. Für die Einbettung des Baus des Heraions in die generelle Umgestaltung der religiösen Topographie des Heiligtums s. Kyrieleis (2006) 51–55. Der archäologische Nachweis ist freilich schwierig s. Mallwitz (1988) 94 ff.; Mallwitz (1972) 184 f. Mallwitz (1972) 163–179; Scott (2010) 163–169. Hom. Od. 8,100–103; 241–253.

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Spannungsverhältnis zwischen dem Geltungsdrang der für die Feste verantwortlichen politischen Einheiten und dem Bemühen um ein möglichst breites Publikum geführt haben dürfte.109 In Hinblick auf Konkurrenz und Objektivität begünstigte diese Situation das Bemühen der Veranstalter, Agone nach möglichst transparenten und fairen Regeln auszurichten, um nicht zuletzt auch dadurch ihre Attraktivität zu steigern.110 Ein gutes Zeugnis für solche Bestrebungen ist eine in Olympia gefundene Bronzetafel, die aufgrund der Schrift ins letzte Viertel des sechsten Jahrhunderts zu datieren ist und Regeln für Ringkämpfer enthält sowie Vorschriften, um die Neutralität der Kampfrichter zu garantieren; 22 regelmäßig angebrachte Nagellöcher deuten auf eine Anbringung an einer Wand hin, das heißt ein Bestreben, diese Regeln auch allgemein sichtbar und zugänglich auszustellen.111 Das Vorhandensein eines panhellenischen Publikums machte überregionale Heiligtümer auch als Ort für Weihungen besonders attraktiv. Weihungen in solchen Heiligtümern waren ein probates Mittel, um die eigene Bekanntheit über die Polis hinaus zu steigern. Herodots Geschichte um die Alkmeoniden, die durch den Tempelbau in Delphi ihr Prestige einem gesamtgriechischen Publikum vor Augen führen konnten, selbst als sie zeitweilig aus Athen verbannt waren, zeigt genau dies.112 Das konnte unter 109 Ulf (1997) 51 ff. sieht eine grundsätzliche Spannung zwischen den entstehenden ‚Staaten‘ und den ‚vorstaatlichen‘ überregionalen Festorten, die gerade dort zu panhellenischen Zentren wurden, wo sie sich dem staatlichen Einfluss entziehen konnten und ihren neutralen Charakter bewahrten. Funke (2005) 8 f. relativiert diese wohl etwas zu pauschale These aber m. E. zu Recht (u. a. mit dem Hinweis auf die stets von Korinth dominierten Isthmien) – die grundsätzliche Beobachtung, dass zwischen dem lokalen Polisbewusstsein und der sich entwickelnden panhellenischen Identität ein Spannungsverhältnis besteht, ist aber nicht zu leugnen, wie die bekannte Anekdote bei Hdt. 2,160 (s. u. Anm. 111) zeigt, in welcher der ägyptische König in Zweifel zieht, dass die Eleer die gerechtesten Spiele ausrichten können, da sie Athleten aus Elis nicht grundsätzlich von der Teilnahme ausschlössen. 110 So auch Ulf (1997) 53, der die Einführung beziehungsweise den Ausbau sportlicher Agone und die dazugehörige Reglementierung der Wettkämpfe als Maßnahmen, um „die Attraktivität der Festorte zu steigern“, deutet. 111 Die beiden 1964 und 1965 gefundenen Teile der Inschrift (Inv. B 6075 und Inv. B 6116) sind publiziert und kommentiert bei Ebert & Siewert (1999) und werden von Siewert als BrU 2 gezählt (= Minon Nr. 5 = NIO 2). Ein bei Siewert & Taita (2014) publiziertes Bronzeblech-Fragment (Inv. B 6901 = BrU 6) aus dem 3. Viertel des 6. Jhs. nennt nebst zwei anderen Funktionären (einem proxenos und einem für die Opfer zuständigen theokolos) einen Kampfrichter (diaitater) und dürfte daher ebenfalls (wohl nebst anderem) mit der Regelung der Agone befasst gewesen sein. Hervorzuheben ist nicht nur, dass es sich dabei um die älteste erhaltene diesbezügliche Regelung handelt, sondern v. a. auch, dass das Blech in einem Brunnen gefunden wurde, der im letzten Viertel des 6. Jh. verfüllt worden war: Die Gültigkeit des Gesetzes hatte also eine kurze Halbwertszeit, was für eine dynamische Entwicklung im Bereich solcher Regelungen spricht (und entspr. davor warnt, spätere Verhältnisse einfach auf die Archaik zu übertragen). Die beiden Inschriften verleihen dem literarisch überlieferten Anspruch der Eleer, wie er bei Hdt. 2,160 begegnet, die „gerechtesten“ (δικαιότατα) Spiele auszurichten, Kontur. 112 Hdt. 5,62,2–63,1. Man muss freilich den topischen Vorwurf, die Alkmeoniden hätten das Orakel gekauft, dekonstruieren, vgl. dazu die Ausführungen von Stahl (1987) 120–133.

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Umständen ganz handfeste Auswirkungen haben. So wurde in jüngerer Zeit etwa auf die mögliche Bedeutung Olympias als Ort der Anwerbung insbesondere arkadischer Söldner hingewiesen, und Martin Dreher sah folglich in den zahlreichen Weihungen griechischer Tyrannen in Olympia just jene Söldner als eine mögliche Zielgruppe, denen so Erfolg und Reichtum eines potentiellen Dienstherrn wirksam vor Augen geführt werden konnte.113 Das Konzept eines ‚panhellenischen‘ Publikums ist freilich nicht ohne Probleme: Dass die Griechen ein Bewusstsein für eine gemeinsame Identität hatten – basierend auf gemeinsamen kulturellen Praktiken, einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen Mythen –, ist unbestritten. Die Gefahr besteht jedoch, in potentiell anachronistische Denkmodelle abzugleiten und eine griechische ‚Nation‘ zu sehen, die unabhängig von einem nicht entstandenen ‚Nationalstaat‘ existiert – analog zu Deutschland oder Italien Mitte des 19. Jahrhunderts –, was besonders problematisch wird, wenn diese ‚Nation‘ dann zu einer quasi überzeitlichen Entität wird.114 Dass es nicht so einfach ist, wurde natürlich schon lange gesehen; bereits Heuss’ wichtiger Aufsatz aus dem Jahr 1946 argumentierte gegen einen essentialistisch verstandenen Volksbegriff und sah den historisch besonderen Charakter der Archaik just darin, dass sich in dieser Zeit die griechische Identität überhaupt erst ausbildete.115 Doch während bei Heuss deutlich teleologische Anklänge zu finden sind,116 betonen neuere Arbeiten stärker den offenen und fluiden Charakter griechischer Identitätskonstruktionen, die auch keineswegs mit den Perserkriegen ihr Telos erreichten.117 113 114

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Dreher (2013) 262 f.; zu Olympia als mögliches Zentrum für arkadische Söldner auf der Suche nach Dienstherren s. Forsén (2013). Dazu ausführlich o. Kap. 4; die „Formierung hellenischer Identität“ ist denn auch ein zentrales Thema beim neuen OGG-Band von Ulf & Kistler (2020) 100–132; 207–234. S. ferner Vlassopoulos (2015) spez. 1–3 zur Forschungsgeschichte sowie zum Konzept des Panhellenismus Mitchell (2007) spez. xv–xxii, welche die moderne Prägung des Konzepts hervorhebt, und Scott (2010) 260–264, der allerdings stärker auf den römischen Einfluss verweist, der die Vorstellung einer ‚panhellenischen‘ Zusammengehörigkeit v. a. im 2. Jh. n. Chr. – etwa mit Hadrians Gründung des Panhellenion – geprägt habe. Heuss (1946), dazu auch o. S. 19–21; 182–184. Einerseits ist diese Teleologie methodisch sauber damit begründet, dass die Entstehung der „griechischen Nation“ nur vom Ergebnis her betrachtet werden kann [Heuss (1946) 29], andererseits zeigt sie sich aber auch in eher problematisch anmutenden Formulierungen wie etwa, dass „die Griechen zu sich selbst gelangten“ (ebd. 28). Wichtig sind hier die Arbeiten von Hall (2002) zur „Hellenicity“ als kulturell konstruierte Identität – eine Fortführung der in Hall (1997) untersuchten Etablierung ethnischer Identitäten innerhalb des griechischen Kulturraums; dazu Vlassopoulos (2015) mit einer kritischen Würdigung und konzeptionellen Weiterentwicklung sowie jetzt Ulf & Kistler (2020) 100–132 und 207–234. Konkret zum Panhellenismus s. Mitchell (2007) mit einer konzisen Einführung (xv–xxii) sowie 39–75 spez. zur Archaik. In Anbetracht der komplexen Forschungsdiskussion mag es irritieren, wenn Flaig (2010) 360 entgegen sämtlicher Evidenz behauptet, dass die „agonale Kultur“ der Griechen mit ihrem Fokus auf panhellenische Agone bereits im 8. Jh. voll ausgeprägt gewesen sei und es den Griechen so ermöglicht habe, ihre „kulturelle Eigenart“ auch nach der Auswanderung in die Kolonien zu bewahren, womit impliziert wird, dass diese „Eigenart“ nichts ist, was sich historisch

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Für die Ausbildung und Manifestation einer gemeinsamen griechischen Identität kommt den ‚panhellenischen‘ Heiligtümern und Agonen eine entscheidende Rolle zu, doch zeigt sich hier auch der fluide Charakter des ‚Panhellenischen‘ deutlich. Die Heiligtümer standen prinzipiell allen offen und sind daher vielleicht besser als überregional denn als panhellenisch zu bezeichnen – so waren im archaischen Olympia keineswegs Weihungen aus allen von ‚Griechen‘ bewohnten Gebieten zu finden, dafür aber auch Weihungen von Nichtgriechen.118 Umgekehrt waren die Agone in Olympia (und wohl auch andernorts) exklusiv ‚Hellenen‘ vorbehalten119 und das Heiligtum schickte Herolde zu den einzelnen Poleis oder andersgearteten politischen Einheiten, um die Spiele anzukündigen – beides Formen, die Zugehörigkeit zu einer gesamtgriechischen Identität vermitteln.120 Die bei Herodot überlieferte Geschichte um Alexander I von Makedonien – notabene die erste Erwähnung von konkreten Zulassungskriterien – zeigt jedoch, dass dies durchaus Verhandlungssache war: Alexander wollte bei den Olympischen Spielen antreten, doch seine Konkurrenten machten gegenüber den Veranstaltern geltend, dass er kein Grieche sei. Dieser habe jedoch argumentiert, dass die makedonischen Könige aus Argos stammen und er (nicht aber die Makedonen)

entwickelte, sondern was es (gerade wegen des fehlenden „Nationalstaats“) durch intensive Anstrengung gegen den Verlauf der Geschichte zu bewahren galt. 118 Vgl. dazu Scott (2010) 180 und generell 250–273 zum von ihm als problematisch erachteten Konzept panhellenischer Heiligtümer – auffallend bei Olympia ist die starke Westorientierung des Heiligtums noch bis ins 5. Jh., was sich in einem starken Übergewicht an Weihungen und Olympioniken aus der Peloponnes und Unteritalien bzw. Sizilien zeigt, dazu Philipp (1994) und (mit berechtigten Warnungen vor pauschalen Verallgemeinerungen) Dreher (2013). Auffallend ist auch die Absenz der kleinasiatischen Griechen bei der (freilich problematischen) Olympionikenliste, wo sich unter den 195 von Moretti (1957) angeführten Olympioniken in der Zeit vor 480 lediglich vier aus dem kleinasiatischen Raum finden: Onomastos aus Smyrna (Nr. 28, Sieger von 688), Polymestor aus Milet (Nr. 79, Sieger von 596) sowie die beiden Samier Pythagoras, Sohn des Krates (Nr. 88, Sieger von 588) und Eurymenes (Nr. 123, Sieger von 532). Frühstes Beispiel einer Weihung durch einen „Barbaren“ ist laut Paus. 5,12,5 ein Thron, den der etruskische König Arimnestos dem Zeus weihte, da dies die einzige Erwähnung dieses Herrschers ist, bleibt jede Datierung hypothetisch und schwankt zwischen dem 8. und dem 6./5. Jh., vgl. dazu Naso (2012) 322–324, der für eine Datierung ins 7. Jh. plädiert. Ferner enthält der archäologische Befund zahlreiche Orientalia v. a. des ausgehenden 8. und 7. Jhs. sowie etruskische Waffen und Artefakte; ohne Weihinschriften ist es aber unmöglich festzustellen, ob die Weihungen von Griechen oder Nichtgriechen stammen. Analog zu Olympia fanden sich auch in Delphi bereits früh Weihungen „barbarischer“ Herrscher: Hdt. 1,14 nennt einen Thron des phrygischen Königs Midas (ausgehendes 8. Jh.) als erste nichtgriechische Weihung, gefolgt von zahlreichen Weihgeschenken des Lyderkönigs Gyges (Mitte 7. Jh.). 119 Zu den Zulassungskriterien s. Weiler (2008). 120 Den Punkt betont v. a. Mitchell (2007) 63: „[S]o active decisions were made about which cities did have the right to belong“. Nachzuweisen ist dies erst in der Klassik, aber es ist anzunehmen, dass es sich um eine ältere Sitte handelt, so sieht Ulf (1997) 44 f. in den Ankündigungen, die mit der Etablierung der periodos funktional eigentlich überflüssig geworden waren, ein Relikt der gemeinschaftlich (unregelmäßig) ausgetragenen überregionalen Feste der Frühzeit; vgl. auch Ulf (1991) 27. Die Zulassung individueller Athleten scheint jedoch keinen direkten Zusammenhang zu den offiziellen Einladungen und Festgesandtschaften der Poleis gehabt zu haben: Crowther (1996).

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daher als Grieche zu gelten haben, woraufhin er zugelassen wurde.121 Die Geschichte unterstreicht den performativen Charakter griechischer Identität, die im Falle Alexanders erst durch seine letztlich erfolgreiche Teilnahme an den Spielen konstituiert wurde. Umgekehrt wird auch deutlich, dass der Einwand gegen die Teilnahme nicht von den Veranstaltern, sondern von den Konkurrenten ausging, während die Veranstalter lediglich als Schiedsrichter fungierten, und dass es offenbar möglich war, als Athlet anzutreten, indem man auf eine mythische Genealogie verwies, ohne dass die politische Einheit, der man realiter angehörte, als ‚griechisch‘ anerkannt worden wäre. Die dynamische Entwicklung einer gesamtgriechischen Identität lässt sich auch noch auf einer anderen Ebene sehr konkret fassen: Die Veranstalter, die über das ‚Griechentum‘ von König Alexander zu entscheiden hatten, werden bei Herodot nicht direkt benannt. In klassischer Zeit wurden die zuständigen Amtsträger als Hellanodiken, als ‚Griechenrichter‘ bezeichnet. Auf archaischen Bronzeblechen aus dem sechsten Jahrhundert begegnet freilich die Bezeichnung διαιτατήρ, „Kampfrichter“.122 Der Terminus ‚Hellanodike‘ taucht erstmals bei Pindar auf und zwar im Kontext der Olympiade von 476 und der frühste epigraphische Beleg stammt ebenfalls erst aus dem zweiten Viertel des fünften Jahrhunderts.123 Es ist daher anzunehmen, dass die archaischen ‚Kampfrichter‘ zu Beginn der Klassik in ‚Griechenrichter‘ umbenannt wurden. Dass dies mit dem gesteigerten panhellenischen Bewusstsein nach der erfolgreichen Abwehr der Perser zusammenhing, ist eine naheliegende Hypothese.124 Die Debatte um König Alexanders griechische Identität fällt ebenfalls in diese Zeit – alles Indizien, dass der ‚panhellenische‘ Charakter der Olympischen Spiele erst am Ende der Archaik seine eigentliche Ausprägung erhielt. Diese kurzen Ausführungen können die Komplexität der Diskussion nur andeuten, es genügt aber für die vorliegende Untersuchung festzuhalten, dass nicht nur die panhellenischen Heiligtümer und Agone sich erst im Verlauf der Archaik etablierten, 121

Hdt. 5,22; vgl. Weiler (2008) 183 f. sowie generell zu den Zulassungskriterien; dazu auch Crowther (1996). 122 Erstmals fassbar ist der διαιτατήρ auf einem Bronzeblech (Inv. B 6901 = BrU 6) aus dem 3. Viertel des 6. Jhs., publiziert bei Siewert & Taita (2014); die bereits erwähnten Wettkampfregeln aus dem letzten Viertel des 6. Jhs. erwähnen ebenfalls einen διαιτατήρ (Inv. B 6075 & B 6116 = BrU 2 = Minon Nr. 5 = NIO 2), ebenso ein weiteres, allerdings nicht ordentlich publiziertes Bronzeblech (Inv. B 1291 = NIO 3), das in dieselbe Zeit zu datieren ist. Einen indirekten Beleg zumindest für den archaischen Gebrauch des Wortes bietet Pausanias’ Beschreibung der ‚Kypselos-Lade‘, einem Weihgeschenk der Kypseliden (wohl aus dem ausgehenden 7./frühen 6. Jh.), wo ein Bild des Parisurteils mit einer archaischen Beischrift versehen war, die die Tätigkeit des Paris mit dem Verb διαιτῆν umschrieb (Paus. 5,19,5). 123 Pind. O. 3,12; IvOl 2 (= Koerner Nr. 37 = Minon Nr. 20) zur Datierung s. Koerner Nr. 37 ad loc. (ebenso Minon Nr. 20 ad loc.). 124 S. Siewert & Taita (2014) 187 f. sowie Minon (2007) 532–537 und Ebert & Siewert (1999) 399 f.; skeptisch gegenüber der These, wonach die Hellanodiken den archaischen diaitater abgelöst hätten, ist allerdings Potter (2012) 369 f. Anm. 3. Allg. zu den Hellanodiken s. Mann (2014) 277 f. und v. a. Romano (2007).

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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sondern dass auch das Publikum, das diese Heiligtümer frequentierte, nicht eine homogene panhellenische Entität darstellte, sondern dass sich auch die Vorstellung einer gemeinsamen griechischen Identität und die damit verbundenen Modi der Inklusion und Exklusion erst entwickelten. Es handelt sich dabei auch nicht um einen Gegensatz zur Polis (oder den ethne), sondern vielmehr um einen lose gefassten, polisübergreifenden Integrationskreis, dessen Ausbildung sich – wie die sprunghafte Einrichtung von Agonen durch Poleis im sechsten Jahrhundert zeigt – in einer komplexen Wechselwirkung mit der Institutionalisierung der Polisstrukturen vollzog. Dieser Integrationskreis funktionierte aber nach anderen Regeln als die jeweiligen lokalen Interaktionszusammenhänge. Diese Eigenlogik der Agone gegenüber den Strukturen der Poleis zeigt sich deutlich in den von Christian Mann herausgearbeiteten Spannungen zwischen Athlet und Polis in der archaischen Zeit.125 Denn das Prestige von Athleten hatte polisübergreifende Geltung und sicherte damit einzelnen Akteuren einerseits ein gewisses Maß an Unabhängigkeit gegenüber ihrer jeweiligen Heimatpolis, andererseits stellte es die Polisgemeinschaft vor das Problem, wie erfolgreiche Athleten in den Polisverband zu integrieren seien. Die Geschichte um den athenischen Exilanten Kimon, der sich durch sein Prestige als Olympiasieger die Rückkehr nach Athen erkaufen konnte, dann aber aufgrund eines erneuten Siegs von den Peisistratiden als so gefährlich angesehen wurde, dass sie ihn ermorden ließen, wurde bereits erwähnt.126 Es gibt auch Fälle von Exilanten in klassischer Zeit, die offenbar vor allem aufgrund ihres polisübergreifenden athletischen Prestiges Aufnahme in einer neuen Polis finden konnten: Pausanias nennt den Kreter Ergoteles, der im zweiten Viertel des fünften Jahrhunderts wegen einer Stasis aus seiner Heimat vertrieben wurde, aber in Himera das Bürgerrecht und weitere Ehren erhalten habe – eine Siegerode Pindars auf diesen Athleten bestätigt den Befund.127 Rund eine Generation später fanden die beiden Söhne des großen rhodischen Athleten Diagoras – Dorieus und Peisirodos –, beide ebenfalls sehr erfolgreiche Athleten, in Thourioi eine neue Heimat, nachdem sie aus Rhodos hatten weichen müssen, und traten fortan als Thourier an.128 Das athletische Prestige des Dorieus sollte ihm dann später in einer ganz anderen Situation nochmals von Nutzen sein: Als Kommandant eigener Schiffe kämpfte er nach seiner sportlichen Karriere im Peloponnesischen Krieg auf Seiten Spartas und geriet in athenische Gefangenschaft; die Volksversammlung jedoch ließ ihn ohne Lösegeld wieder frei, wobei sein Ruhm als Athlet, 125 126 127

128

Mann (2001). Hdt. 6,103,3. S. o. S. 219 f. Paus. 6,4,11; Pind. O. 12; in Olympia selbst ist ferner ein Epigramm auf diesen Athleten gefunden worden (SEG 29.414), das freilich nichts über seinen Status als Exilant verrät. Zur Datierung des Sieges auf 472 s. Moretti (1957) 91 (Nr. 224); Ergoteles errang dann 464 einen zweiten Sieg: Moretti (1957) 94 (Nr. 251). Paus. 6,7,4. Zur Datierung des ersten Sieges von Dorieus ins Jahr 432 s. Moretti (1957) 105 (Nr. 322); Peisirodos’ Sieg datiert Moretti (1957) 111 f. (Nr. 256) ins Jahr 404.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

wie Pausanias festhält, ausschlaggebend gewesen sei.129 Der locus classicus für die herausgehobene Stellung von Athleten für die Archaik ist jedoch die Geschichte um Kylon, der mit dem Prestige eines Olympiasiegers versehen in Athen versuchte, eine Tyrannis zu errichten.130 Die Geschichte ist erst bei Herodot überliefert und soll sich im siebten Jahrhundert zugetragen haben, womit ihr historischer Gehalt als höchst fragwürdig betrachtet werden muss.131 Sie zeigt aber dieselbe Grundproblematik wie 129 130

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Paus. 6,7,5; Xen. hell. 1,5,19 berichtet etwas ausführlicher und hebt v. a. die Sonderbehandlung des Dorieus gegenüber der Mannschaft (die in Fesseln gelegt wurden) hervor; über die Motive der Athener (außer, dass sie Mitleid hatten – ἐλεήσαντες) schweigt er sich jedoch aus. S. Mann (2001) 64–67 mit einer Diskussion der älteren Forschung. Den ausführlichsten Bericht liefert Thuk. 1,126, wo nebst dem Prestige des Olympiasiegers generell auf die edle und machtvolle Stellung des Kylon, seine eheliche Verbindung zum Tyrannen von Megara sowie einen (falsch verstandenen) Orakelspruch verwiesen werden, die ihn alle in seinem Streben nach der Tyrannis bestärkten. Was daran historisch ist, ist sehr fraglich und jegliche ereignisgeschichtliche Rekonstruktion spekulativ; mit Mann (2001) 66 f. kann man aber sicher konstatieren, dass allein der Umstand, dass der Olympiasieg in allen relevanten Quellen auftaucht, dafür spricht, dass ihm in der Tradition ein besonderes Gewicht beigemessen wurde. Moretti (1957) 65 (Nr. 56) datiert den Sieg Kylons im Diaulos mit Eusebios in die 35. Olympiade, also ins Jahr 640 – doch dieses Datum (an dem auch die Datierung des in einer späteren Olympiade stattfindenden Putsches hängt) ist höchst spekulativ. Herodot (5,71) und Thukydides (1,126) überliefern die Geschichte jeweils im Zusammenhang mit dem Fluch, der auf den Alkmeoniden lastete, da sie die Anhänger Kylons unter Missachtung des Asyls töteten, und den die Spartaner sowohl Ende des 6. Jhs. gegen Kleisthenes als auch am Vorabend des Peloponnesischen Krieges gegen Perikles zu instrumentalisieren suchten und der Geschichte damit Aktualität verliehen. Dies und wohl auch die bei Paus. 1,28,1 erwähnte Statue auf der Akropolis (deren Sinn sich Pausanias nicht erschließt, die aber ev. als Sühne für den Frevel dort errichtet worden war) scheinen den Kern der Geschichte zu bilden; dass die darüber hinausführenden Details offenbar im 5. Jh. ziemlich unklar waren, zeigt allein schon der Umstand, dass bei Herodot Kylon selbst unter den Schutzflehenden ist, die getötet werden, bei Thukydides aber zusammen mit einem sonst nirgends erwähnten Bruder fliehen konnte. Spätere Quellen ergänzen einige Details: Die Epitome des Herakleides Lembos zur Athenaion Politeia (2) zeigen, dass die Episode im chronologischen Narrativ unmittelbar vor dem Einsetzen des erhaltenen Papyrus gestanden haben muss und mit der angeblichen Entsühnung der Stadt durch den Kreter Epimenides in Verbindung gebracht wurde (vgl. auch Plut. Sol. 12,1–3), und Paus. 1,28,1 erwähnt im Zusammenhang mit der Statue auf der Akropolis (die als Bronzestatue freilich erst nach den Perserkriegen [wieder?]aufgestellt worden sein dürfte), dass es sich um einen Sieg im Doppellauf gehandelt habe. Zur mündlichen Tradition s. grundlegend Thomas (1989) 272–281. Den durch mündliche Überlieferung geprägten Charakter der Kylon-Geschichte hob Nakassis (2011) hervor, der (m. E. freilich eher spekulative) strukturelle Parallelen zwischen dem Mord an Kylon und dem Opferfest der Dipolieia sehen möchte. Wie dünn die Quellenlage ist, zeigt der Versuch von Beloch (1912–1927) Bd. 1.2 (1926) 302–309, den kylonischen Frevel rund 100 Jahre nach unten in die Mitte des 6. Jhs. zu datieren – eine Hypothese, der die Forschung freilich nicht gefolgt ist; vgl. dazu den Überblick bei Rhodes (1993) 79–84. Die Frage um die Historizität hat vor kurzem durch einen sensationellen archäologischen Fund neue Nahrung erhalten: Im Frühjahr 2016 wurde bekannt, dass in einer archaischen Nekropole bei Paleo Faliro ein Massengrab aus dem späten 7. Jh. gefunden worden war mit Skeletten von mindestens 80 jungen, gut ernährten Männern, die gefesselt waren und offenkundig hingerichtet worden waren. Die Ausgräberin Stella Chrysoulaki stellte denn auch einen von der Presse dankbar aufgegriffenen Bezug zu Kylon her (vgl. etwa Esther Widmann, Antikes Massengrab in Athen. Sind es hingerichtete Putschisten?, in: Süddeutsche Zeitung vom 17. April 2016. http://www. sueddeutsche.de/wissen/archaeologie-antikes-massengrab-in-athen-sind-es-hingerichtete-put

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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die Geschichte um Kimons Olympiasiege, die also als strukturelles Problem noch zu Herodots Lebzeiten Plausibilität besessen haben muss – nämlich das destabilisierende Potential, das in Olympia errungenes Prestige auf lokaler Ebene haben konnte, da es einzelnen Akteuren Handlungsspielräume eröffnete, die ihnen allein im Kontext der Polis so nicht offengestanden hätten. Weitere Karrieren archaischer Athleten bestätigen dieses Bild. Diodor berichtet, dass der legendäre Athlet Milon von Kroton das Heer seiner Heimatpolis anführte (oder zumindest dem Heer „vorausging“), als diese gegen Sybaris in den Krieg zog.132 Dass er diese hervorgehobene Stellung seinem athletischen Prestige verdankte, wird durch Diodors weitere Schilderung deutlich: Er habe seine olympischen Siegeskränze getragen und sich mit Löwenfell und Keule als Herakles stilisiert.133 Diodor ist für die Archaik keine zuverlässige Quelle und Milon selbst ist eine Figur, um die sich viele märchenhafte Geschichten ranken,134 doch die Erzählung passt gut in die spätarchaische und frühklassische Zeit: Leslie Kurke hat auf verschiedene Fälle verwiesen, in denen athletische Sieger besonders hervorgehobene Stellungen erhielten, sei es wie Milon in der Schlacht oder aber als Oikisten;135 die nächste Parallele zu Milon wären der Stratege der Eretrier im Ionischen Aufstand, der von Herodot vor allem deshalb hervorgehoben wird, weil er in verschiedenen Agonen Kränze errungen hatte, und der ebenfalls bei Herodot erwähnte Phaÿllos, der als dreifacher Sieger der Pythien das

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133 134

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schisten-1.2953316 [22.01.2020]). Auch wenn der Bezug zu Kylon völlig spekulativ bleiben muss, so zeigt doch allein die Existenz des Massengrabs, dass gewaltsame Auseinandersetzungen mit Hinrichtungen größerer Gruppen in der 2. Hälfte des 7. Jhs. eine Realität waren. Diod. 12,9,5. Dass Milon als Stratege amtete, geht aus dem Text so nicht hervor: ἡγέομαι impliziert nicht zwingend eine Führungsrolle, sondern kann schlicht „vorausgehen“ bedeuten. Eine herausgehobene Stellung wird damit aber dennoch ersichtlich. Moretti (1957) 72–76 datiert die sechs olympischen Siege Milons in den Zeitraum zwischen 540 und 516 (Nr. 115; 122; 126; 129; 133; 139); der Konflikt mit Sybaris (um 510) fiele damit in die Zeit nach Milons athletischer Karriere. Diod. 12,9,6. Zur Herakles-Angleichung, die für Schwerathleten nicht untypisch ist, s. Mann (2001) 177. Vgl. Young (1984) 153 f. zur Kritik an Diodor und an der modernen Forschung, die in Milon einen Aristokraten sehen will; anders: Mann (2001) 175–177, der versucht, eine athletische Aristokratie im spätarchaischen Kroton zu rekonstruieren – die Quellenlage bleibt freilich dünn. Die zeitlich frühste Erwähnung Milons bei Hdt. 3,137,5, wo geschildert wird, wie der krotonische Arzt Demokedes, der aus der persischen Sklaverei geflohen war, die Tochter Milons heiratet, weil der Name dieses erfolgreichen Ringers beim Perserkönig viel gelte, und dafür auch noch Geld bezahlte, ist ambivalenter, als Mann (2001) 175 zulässt: Milon besitzt offenbar weit über den griechischen Raum hinaus Prestige, doch weder ein Arzt und ehemaliger Sklave als Schwiegersohn, noch die Geldzahlung für die Tochter passen wirklich zum Bild eines ökonomisch und sozial etablierten ‚Aristokraten‘; mehr, als dass Milon als Athlet (und nicht als ‚Aristokrat‘) Ruhm besaß, der bis an den Hof des Perserkönigs reichte, lässt sich aus der Geschichte nicht erschließen. Kurke (1993) spez. 133–137; sie deutet dies mit der Qualität des athletischen kydos, das anders als kleos oder time weniger als ‚Ehre‘, sondern eher als eine Form von magischem ‚Mana‘ zu konzeptualisieren sei, das seine Träger zu einer Art ‚Talisman‘ werden lasse und so die herausgehobene Stellung von Athleten erkläre. Der Ansatz hat einiges für sich, mehr als eine Hypothesenbildung in diese Richtung lässt das Material m. E. aber nicht zu.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

einzige Schiff befehligte, das Kroton zur Abwehr der Perser nach Salamis schickte.136 Ein Weihepigramm eines dreifachen Siegers der Phythien Namens Φαυλ[λος] auf der Athener Akropolis erwähnt auch einen irgendwie gearteten Erfolg dieses Athleten in Bezug auf Asien – die Geschichte bei Herodot ist also aller Wahrscheinlichkeit nach epigraphisch zu verifizieren.137 Diodors Bericht über Milon hat vor diesem Hintergrund eine hohe Plausibilität – vor allem aber macht er etwas deutlich, was Herodot nur antönt: Durch das Tragen seiner Siegeskränze in der Schlacht unterstreicht Milon, dass seine hervorgehobene Stellung im Heer der Krotoniaten nicht auf seiner Zugehörigkeit zu einer irgendwie gearteten ‚Aristokratie‘ beruht, sondern einzig auf seinen athletischen Siegen, die durch diese Kränze symbolisiert werden. Während es Milon offenbar gelang, sein jenseits der Polis errungenes, athletisches Prestige in den Raum der Polis zu überführen und dort entsprechende Prominenzrollen zu beanspruchen, war sein Landsmann Astylos im frühen fünften Jahrhundert weniger erfolgreich. Er verstand es aber, sein athletisches Prestige zu nutzen, um sich Alternativen zu seiner Heimatpolis zu erschließen: Bei seinem zweiten und dritten Olympiasieg in den 480er Jahren ließ er sich nicht als Bürger von Kroton, sondern als Bürger von Syrakus ausrufen, um Gelon, dem Tyrannen von Syrakus, zu gefallen – Gelon dürfte ihm diesen Poliswechsel reichlich vergolten haben, während in Kroton sein Haus in einem symbolträchtigen Akt der Entehrung in ein Gefängnis umgewandelt wurde.138 Ebenfalls mit dem Tyrannen Gelon verbunden ist Glaukos von Karystos. Aus den Scholien zu Aischines, der Glaukos in seiner Rede gegen Ktesiphon beiläufig erwähnt, geht hervor, dass er von Gelon als Tyrann von Kamarina eingesetzt, später

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Hdt. 5,102,3; 8,47; vgl. Kurke (1993) 137. Phaÿllos als Athlet, der in den Perserkriegen kämpfte, findet auch Erwähnungen bei Plut. Alex. 34,2 und Paus. 10,9,2 mit Verweis auf eine Statue in Delphi. IG I3 823 = DAA 76 = CEG 265: [– – –․․]σι Φάυλ[λος – – –] | [– – –νι]κoν` τρὶς – – – – | [– – –..] Πυθοῖ κα[ὶ – – –] | [– – –. h]ὰς Ἀσὶς. – – – | vacat. Die Nennung von Ἀσὶς in Zeile 4 zeigt, dass Phaÿllos nebst seinen athletischen Siegen auch seine Erfolge gegen die „aus Asien“ gekommenen Schiffe bei Salamis hervorhob, was denn auch den gängigen Rekonstruktionen entspricht (vgl. hierzu CEG 265 ad loc. – skeptisch gegen die ansonsten als gesichert geltende Lesung Ἀσὶς freilich Raubitschek in DAA 76 ad loc.); die Buchstabenform legt eine Datierung nach 480 nahe und würde eine Identifizierung mit dem bei Herodot erwähnten Athleten stützen. Der Fundort Athen sowie die fünfmalige Erwähnung eines Phaÿllos auf rotfigurigen Vasen des Euthymides bzw. seines Umfelds legen einen besonderen Bezug zu dieser Stadt nahe, möglicherweise als Ort eines nicht überlieferten Exils des krotonischen Athleten, vgl. Villard (1992). Paus. 6,13,1, der Hieron statt Gelon nennt; zur Episode und möglicher Motivationen s. Mann (2001) 188 f.; 246–248 mit einer Diskussion der älteren Forschung. Analoge Fälle finden sich bei Paus. 6,3,11 [Dikon aus Kaulonia ließ sich von den Syrakusanern kaufen, vgl. Moretti (1957) 115–117 (Nr. 379; 388; 389; datiert auf 392 und 388 v. Chr.)] und bei Paus. 6,18,6 [Sotades aus Kreta lässt sich bei seinem zweiten Sieg gegen entspr. Prämien als Ephesier ausrufen und wird von den Kretern verbannt, vgl. Moretti (1957) 117 f. (Nr. 390; 398, datiert auf 384 und 380 v. Chr.)]. Bei Antipatros von Milet scheiterte ein Bestechungsversuch durch den syrakusanischen Tyrannen Dionysios: Paus. 6,2,6, vgl. Moretti (1957) 116 (Nr. 385; datiert auf 388 v. Chr.).

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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aber auf Beschluss der Kamariner hingerichtet wurde.139 Über die genauen Umstände berichten die Scholien nichts, doch da man von Glaukos, außer dass er ein erfolgreicher Athlet war, sonst nichts weiß, ist naheliegend, dass es genau dieses Prestige war, dass Gelon bewog, ihn als Tyrannen einzusetzen.140 Glaukos ist insofern ein interessanter Fall, als ihm die spätere Überlieferung eine regelrechte ‚Tellerwäscher-Karriere‘ zuschreibt: Sein Vater sei Bauer gewesen und habe ihn, als er sah, wie sein Sohn eine Pflugschar mit bloßen Händen statt mit dem Hammer reparierte, zum Faustkampf nach Olympia geschickt, wo der athletisch völlig unerfahrene Glaukos nach anfänglichen Problemen gewinnen konnte, nachdem ihm der Vater zugerufen hatte, er solle an den Pflug denken, das heißt, mit den Fäusten entsprechend zuschlagen.141 Vom pflügenden Jungen zum erfolgreichen Athleten und schließlich gar zum Tyrannen ist in der Tat eine beachtliche Karriere. David Young hat diesen Fall zusammen mit anderen späten Berichten als Beleg dafür genommen, dass es bereits in der Archaik Athleten aus unteren Schichten gegeben habe, die über die Agone zu sozialer Prominenz gelangt seien.142 Diese mit Inbrunst vertretene These Youngs basiert zu einem erheblichen Teil auf einer Beschäftigung mit der Rezeptionsgeschichte: Young sah im (damals) gängigen Narrativ eines aristokratischen Sportmonopols in der Frühzeit, das dann durch eine Professionalisierung und Ökonomisierung im Verlauf des fünften Jahrhunderts korrumpiert wurde, einen Reflex der modernen Ideologie des sportlichen Amateurs. Diese stark – im modernen Sinne – ‚aristokratisch‘ geprägte Idee eines von ‚Gentlemen‘

139

Schol. Aischin. orat. 3,189. Ergänzend findet sich die Erwähnung, dass Gelon für den Tod Glaukos’ verantwortlich sei, in Lexeis Rhetorikai, s. v. Γλαῦκος (I. Bekker [ed.], Anecdota Graeca, Berlin 1814, 227) und Synagoge lexeon chresimon, s. v. Γλαῦκος Καρύστιος (ebd., 332). Vgl. Mann (2001) 245–247 sowie Luraghi (1994) 150 f. und 275 f. 140 So auch Mann (2001) 246. 141 Paus. 6,10,1–3; vgl. Suda, s. v. Γλαῦκος Καρύστιος (γ 281 Adler). Eine abgewandelte Version bietet Philostr. gymn. 20, wo nicht der Vater, sondern der Trainer Glaukos an den Pflug erinnert – vgl. dazu Nicholson (2005) 119–121; dass die Version mit dem Trainer plausibler sei als jene mit dem Vater, wie Nicholson meint, erscheint mir wenig zwingend: Plausibler ist sie insofern, als das Märchen vom untrainierten Bauern, der Olympiasieger wird, dadurch als Märchen entlarvt und rationalisiert wird, aber die Geschichte funktioniert als Märchen und tendenziell ist es besser, in ihr auch nicht mehr als ein Märchen sehen zu wollen. 142 Young (1984) 150–162; vgl. Young (1983). Nebst Glaukos (spez. 161 f.) wird u. a. auf den ersten Olympiasieger, Koroibos, verwiesen [Moretti (1957) 59, Nr. 1], der bei Athen. 9,382b als μάγειρος bezeichnet wird, was Young mit der gängigen und bei Athenaios hier auch intendierten Bedeutung als „Koch“ übersetzt, was aber in einem zypriotischen Kult auch in der Bedeutung „Opferpriester“ begegnet, vgl. Pleket (2001) 166, eine Deutung, die Athenaios an anderer Stelle (Athen. 14,659d–660e) mit verschiedenen Beispielen über die frühere Bedeutung von „Köchen“ im Opferkult stützt. Ferner finden sich Polymestor der „Ziegenhirt“ [Moretti (1957) 67, Nr. 79] und Amesinas der „Kuhhirt“ [Moretti (1957) Nr. 261] in der Olympionikenliste des 3. Jhs. n. Chr. von Sex. Iulius Africanus F 65 p. 200 und 204 (Walraff); Polymestor als „Ziegenhirt“ wird (freilich nicht minder spät) durch Philostr. gymn. 13 bestätigt; agrarisch geprägte Kraftmeier-Geschichten für diverse frühe Athleten bietet ferner Philostr. gymn. 43; vgl. Young (1984) 155.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

betriebenen Amateursports im Kontrast zum bezahlten Profisport der Arbeiterklasse hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die moderne Olympiabewegung, die lange Zeit Profisportler von den Spielen ausschloss. Dass sich dabei die moderne Olympiabewegung an den antiken Olympischen Spielen orientierte, und, indem sie das Ideal des Amateursports von dort herzuleiten suchte, genau dieses von der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts geprägte Bild auf die Antike projizierte, ist von Young treffend herausgearbeitet worden, und seine diesbezüglichen Ergebnisse sind weitherum akzeptiert.143 Auch der Umstand, dass sportliche Agone keineswegs ‚zweckfrei‘ waren, sondern dass zahlreiche Agone Sachpreise von beachtlichem Wert vergaben und auch die Sieger von Kranzspielen mit erheblichen materiellen Prämien rechnen konnten, wurde von Young mit Recht hervorgehoben:144 Materieller Gewinn war also sehr wohl ein keineswegs zu vernachlässigendes Moment des ‚Agonalen‘. Youngs Umkehrschluss, dass es in der Antike folglich keinen klassenspezifisch abgegrenzten Amateursport gegeben habe und auch die „lower classes“ stets an den Spielen teilgenommen hätten, wurde dagegen stark relativiert beziehungsweise – insbesondere von Christian Mann – gänzlich verworfen.145 Die Kritik an Youngs Quellen, die in der Tat meist spät und wenig vertrauenerweckend sind,146 greift jedoch zu kurz. Denn die Quellenlage gibt auch nicht genügend Material her für einen Gegenbeweis. Dass alle Athleten, über deren Herkunft wir nichts wissen, ‚Aristokraten‘ gewesen seien, weil in der Achaik nur ‚Aristokraten‘ als Athleten aktiv gewesen seien, ist eine Tautologie. Viele siegreiche Athleten sind uns überhaupt nur deshalb bekannt, weil sie in anderen Prominenzrollen begegnen: Kylon als Tyrannenaspirant, Eualkides als Feldherr der Eretrier im Ionischen Aufstand oder Phaÿllos als Kommandant eines Schiffes bei Salamis147 – bei den beiden letztgenannten ist zudem völlig offen, ob sie ihre militärische Prominenz nicht gerade wegen ihrer

143

Young (1984) 7–88. Zur Einordnung Youngs in den größeren Forschungszusammenhang s. Mann (2001) 13–22. 144 Young (1984) 111–133; Young konnte dabei auf die Arbeiten Plekets – insbesondere den erstmals 1974 erschienen Aufsatz von Pleket (2001) – zurückgreifen, dem er aber im Kapitel „The Truth ‚almost‘ Told“ (89–103) vorwarf, zwar den Amateur dekonstruiert, aber an den klassenspezifischen Implikationen des Mythos’ festgehalten zu haben. Der Mythos ‚zweckfreier‘ Agonalität, wie er insbesondere bei Burckhardt begegnet, wurde auch von anderer Seite historisch verortet und dekonstruiert, s. Ulf (2006) und Ulf (2011b) – noch ganz dem Amateur-Ideal verhaftet ist freilich die (die neuere Forschung ignorierende) Darstellung bei Flaig (2010) 357 f. 145 Mann (2001) 36 f. Dass die Quellenlage von Young dünn ist, wurde allgemein vermerkt (s. etwa die Rezensionen von Michael B. Poliakoff, in: AJPh 110, 1989, 166–171 oder Donald G. Kyle, in: EMC 29, 1985, 134–142) und die breite Beteiligung ärmerer Athleten bestritten, wenn auch nicht gänzlich negiert; den generellen Tenor spiegelt in etwa die Ausführung bei Golden (1998) 141–144 wider, der zum Fazit kommt: „Young has established the possibility of poorer athlets taking part in archaic and classical competition, but we cannot say that their involvement in any significant numbers was probable“ (ebd. 144); ähnlich Pleket (2014) 105; vgl. auch Golden (2008) 24–26; 32–34. 146 Dies der Kritikpunkt von Mann (2001) 37. 147 S. o. S. 251–255.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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athletischen Erfolge errungen haben. Der Umstand, dass sich ab dem späten fünften Jahrhundert die Indizien verdichten, dass einige Athleten auch aus weniger begüterten Schichten stammen konnten, spricht nicht dagegen, dass das vorher nicht so war, sondern lediglich dafür, dass ab diesem Zeitpunkt die Quellenlage entsprechend besser ist. Die prosopographische Untersuchung Donald G. Kyles zu athenischen Athleten in archaischer und klassischer Zeit kann Young denn auch nicht im eigentlichen Sinn widerlegen, wohl aber relativieren: Kyle gesteht Young zu, die „possibility“ aufgezeigt zu haben, dass „non-nobles“ athletisch tätig sein konnten, fügt aber hinzu: „My study substantiates the probability (although not the certainty) that most (though not all) early athletes came from well-off families.“148 Die Einschränkungen sind entscheidend: „Well-off “ ist nicht „adlig“ und „most“ ist nicht „all“ – das Entscheidende ist eben gerade, dass Agone die Möglichkeit (wie marginal auch immer) bargen, unabhängig von bereits vorhandenem Ansehen, ‚adelndes‘ Prestige zu erwerben. Ein von Aristoteles zitiertes Epigramm auf einen unbekannten Olympioniken zeigt genau dies: Früher, das harte Joch auf den Schultern habend, trug ich Fische aus Argos nach Tegea …149

Die sprachliche Konstruktion macht deutlich, dass das Epigramm mindestens zwei weitere Verse umfasst haben muss, in denen das μέν in der ersten Zeile durch ein korrespondierendes δέ aufgegriffen und aller Wahrscheinlichkeit nach auf den von Aristoteles erwähnten Olympiasieg verwiesen wurde. Das wohl ins fünfte Jahrhundert zu datierende Epigramm150 (das Mann in seiner Kritik an Young nicht erwähnt) ist keine dubiose Quelle aus der römischen Kaiserzeit und zeigt somit klar, dass solche Karrieren möglich waren. Der Umstand, dass es sich nicht um einen epigraphischen Zufallsfund, sondern um eine literarische Überlieferung handelt, legt allerdings nahe, dass das keineswegs die Regel war und der unbekannte Olympionike und sein Epigramm gerade deshalb Eingang in die Tradition gefunden haben, weil es sich um einen ungewöhnlichen und daher denkwürdigen Fall handelte. Doch allein die Tatsache, dass dies möglich war, ist beachtenswert und mindestens so beachtenswert ist, dass die niedere Herkunft des Athleten im Epigramm nicht verschwiegen, sondern offensiv betont wird: Es geht eben nicht nur um den Sieg, sondern auch um den dadurch ermöglichten gesellschaftlichen Aufstieg. 148 Kyle (1993) 102–123; Zitat: 123. Anm. 53. Grundsätzliche Skepsis hinsichtlich der dünnen Quellenlage äußern auch Christesen & Kyle (2014) 4. 149 Aristot. Rh. 1,1365a 26 f. (eigene Übers.): πρόσθε μὲν ἀμφ’ ὤμοισιν ἔχων τραχεῖαν ἄσιλλαν / ἰχθῦς ἐξ Ἄργους εἰς Τεγέαν ἔφερον. Vgl. Aristot. Rh. 1,1367b 19. Vgl. zu dem Epigramm Young (1984) 155 f. 150 Für die Datierung ins frühe 5. Jh. spricht die Zuschreibung an Simonides (F 41 FGE.) durch Aristophanes von Byzanz F 5 (ed. Slater, Berlin 1986 = F 43 ed. Nauck, Halle 1848), die freilich zweifelhaft ist, da Aristot. Rh. 1,1367b 20 gleich im Anschluss an die betreffende Stelle einen Vers zitiert, der im Gegensatz zu den vorhergehenden Zeilen eingeführt wird mit καὶ τὸ τοῦ Σιμωνίδου, was nahelegt, dass zumindest Aristoteles das Epigramm nicht Simonides zuschrieb.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Die Frage nach ‚lower class athletes‘ und dem ‚aristokratischen Charakter‘ von Athletik geht jedoch grundsätzlich von falschen Prämissen aus. Entscheidend sind nämlich zwei Punkte: Erstens der Umstand, dass sich die Angehörigen der Oberschicht (im Sinne landbesitzender Honoratioren) nie aus der Athletik zurückgezogen haben und diese bis weit in die Kaiserzeit ein akzeptiertes Feld des Prestigeerwerbs blieb.151 Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die Beteiligung von Konkurrenten, die nicht zur Oberschicht gehörten, in historisch hellerer Zeit die Rolle des Athleten als ‚Prominenzrolle‘ nicht nachhaltig diskreditierte – ein ‚aristokratischer Charakter‘ in dem Sinne, dass es sich um eine Praktik des Prestigeerwerbs handelte, die nicht als inkompatibel mit gesamtgesellschaftlicher Prominenz angesehen wurde, blieb der Athletik also die ganze Antike über erhalten und ein grundlegender Bruch zur Archaik ist in dieser Hinsicht nicht auszumachen.152 Zweitens bleibt die ganze Debatte letztlich genau in jenen gesellschaftlichen Kategorien verhaftet, die das Amateur-Ideal, das Young mit Recht als Anachronismus des 19. Jahrhunderts kritisierte, geprägt haben: Auch Young schreibt weiterhin von „aristocrats“, „nobles“, „non-nobles“ und „lower classes“ – legt also Kategorien an, die sowohl auf ökonomische Schichtung als auch auf eine ständische Gliederung der Gesellschaft rekurrieren. Doch einen ‚Adel‘, der in irgendeiner Weise mit der über Rechte, Privilegien und Titel konstituierten ‚Nobility‘ im England des 19. Jahrhunderts zu vergleichen wäre, gab es nicht, weshalb auch ‚non-nobles‘ eine unsinnige Kategorie ist. Weder ist von einem mit juristischen Schranken versehenem, ständischen Monopol auf Wettkämpfe auszugehen, noch erscheint der Klassenbegriff sinnvoll, der eine ökonomische Dynamik jenseits der Standesschranken impliziert. In einem ‚Adel‘, der, wie fast alle neueren Arbeiten betonen, nicht durch Standeszugehörigkeit oder Geburt definiert war (Kategorien, die dann aber trotzdem meist mitgedacht werden), kann es keinen erfolgreichen Athleten geben, der (nach seinem Sieg) zur ‚lower class‘ gehört oder ein ‚non-noble‘ ist: Wer erfolgreich ist, das heißt, durch athletische Siege symbolisches und ökonomisches Kapital akkumuliert, erhöht damit seinen gesellschaftlichen Rang und ist so gesehen ‚adlig‘. Die Athletik ist daher nicht

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Pleket (2014) 105–108; Pleket (2005) 151–158; Pleket (2001) 182–208 jeweils mit weiterer Literatur. Speziell für Athen s. Kyle (1993) 102–123. Das alte Dekadenznarrativ (mit der niederen Herkunft der Athleten ab 400 verlagere sich das frühere Ruhmstreben auf ein Streben nach materiellen Preisen, während sich die Aristokratie auf hippische Agone zurückziehe) findet sich aber noch bei Flaig (2010) 368. Vgl. auch Golden (2008) 23–39, der keinen grundlegenden Wandel in der sozialen Herkunft der Athleten im Verlauf der Antike sieht (32: „a large-scale shift in the social origins of athletes, can probably be rejected“); dabei geht Golden gar weiter und sieht in Bezug auf die römische Zeit einen Wandel in der Wahrnehmung von Athletik, die weg geht vom Sieg hin zur Partizipation als solche (39: „In other words, later Greek athletes put forward a claim to social status based simply on competing in sport“) – im Vergleich zur Archaik und Klassik, wo allein der Sieg Prestige einbrachte, wird also tendenziell allein schon die Partizipation zu einer prestigeträchtigen Tätigkeit: Man könnte also auch behaupten, dass die ‚adelnde‘ Qualität von Athletik in späterer Zeit eher zu- als abnimmt.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

259

ein adliges Monopol, sondern ein Feld der Konkurrenz, das unter den ihm eigenen Regeln die Möglichkeit bietet, potentiell ‚adelndes‘ Prestige zu erwerben. Der sozialen Dynamik dürften allerdings klare Grenzen gesetzt gewesen sein. Young argumentiert zwar nicht ganz zu Unrecht, dass es möglich war, über die Preise, die man als pais bei lokalen Wettbewerben gewinnen konnte, eine weiterführende athletische Karriere zu lancieren, doch ein relatives Maß an Wohlstand und Abkömmlichkeit muss vorausgesetzt werden.153 Young meint denn auch explizit „to compete in local games was possible, even for the son of a modest farmer such as Hesiod […].“154 Das ist inhaltlich sicher richtig, aber in einem anderen Sinne, als Young meint – denn dass Hesiod nicht zur ‚lower class‘ gehörte, wurde oben bereits erörtert.155 Ansonsten ist der Aussage Youngs wenig hinzuzufügen, außer vielleicht der nicht uninteressante Umstand, dass die Spiele in Olympia und Delphi (zumindest in historisch hellerer Zeit) im August und frühen September abgehalten wurden, was in Hinblick auf den ‚modest farmer‘ durchaus relevant ist: Catherine Morgan hat darauf hingewiesen, dass das sicher nicht zufällig genau jene Zeit ist, in der im bäuerlichen Jahreskalender kaum Arbeit ansteht – die Getreideernte findet zwischen Mai und Juli statt und die Traubenernte beginnt erst Mitte September.156 Dies alles legt nahe, dass Söhne aus vollbäuerlichen Haushalten, die über ein gewisses Maß an Unabhängigkeit verfügten, ohne aber gleich ein gänzlich arbeitsfreies Leben in Muße zu führen, durchaus in der Lage waren, an Agonen teilzunehmen – genauso, wie es Hesiod möglich war, an den musischen Agonen auf Euböa zu partizipieren (und zu gewinnen). Das sind keine ‚lower classes‘, aber auch kein ‚Adel‘, sondern Mitglieder einer landbesitzenden Oberschicht, deren Status primär auf Grundbesitz und dem daraus resultierenden prekären Wohlstand basiert. Als Mechanismus zur sozialen Abgrenzung einer bereits geschlossenen sozialen Gruppe bieten sich sportliche Agone also nur bedingt an, vielmehr ist es ein Feld des Prestigeerwerbs, das insofern ‚aristokratisch‘ ist, als athletischer Erfolg Prestige vermittelt, das weit über den engen Bereich athletischer Agone hinaus Geltung beanspruchen kann. Allerdings führt gerade der polisübergreifende Charakter dieser Agone dazu, dass Exklusionsmechanismen, die in der täglichen Interaktion unter Anwesenden auf lokaler Ebene eine Rolle spielen konnten – etwa der Ruf einer Person oder das Wissen über ihre Abstammung –, in der höheren Anonymität überregionaler Feste, wo nicht 153 154 155 156

Young (1984) 158–160. Young (1984) 159. S. o. Kap. 2. Morgan (1990) 41 f. – dies ist auch just jene Zeit, die Hesiod (erg. 663–668) für Seereisen empfiehlt. Diese Beobachtung gilt primär für die Festteilnehmer bzw. das Publikum, kann aber auch auf die Athleten übertragen werden, wobei diese für die Teilnahme in Olympia in historisch hellerer Zeit bereits einen Monat vor den Spielen zwingend für das Training vor Ort anwesend zu sein hatten; für andere Agone sind solche strikten Regelungen aber nicht bekannt und ab wann dies in Olympia eingeführt wurde, ist ebenfalls offen.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

jeder jeden kannte, an Bedeutung verloren.157 Insofern haben panhellenische Agone in Hinblick auf die Rangordnung innerhalb der einzelnen Poleis weniger einen stabilisierenden als einen destabilisierenden Charakter, da man dort die Möglichkeit hatte, unter anderen Bedingungen als zuhause Prestige und materiellen Gewinn zu erwerben. Die mit der Institutionalisierung verbundene Objektivierung des Wettbewerbs führte ferner dazu, dass diese Eigengesetzlichkeit des athletischen Prestigeerwerbs akzentuiert wurde. In der Ilias konnte Achill als Veranstalter noch Preise vergeben, die sich an zugeschriebener Exzellenz orientierten und nicht so sehr am objektiven Wettbewerb. So erhält Nestor einen Preis als Anerkennung seiner früheren Leistungen, Eumelos soll einen Preis erhalten, weil er der ‚Beste‘ sei, obschon er verloren hat, und Agamemnon erhält einen Preis, ohne überhaupt anzutreten.158 Dass der Preis für Agamemnon als vergiftetes Geschenk gedeutet werden kann und der Vorschlag, Eumelos auf Kosten seiner erfolgreicheren Konkurrenten zu belohnen, Widerstand hervorruft, wurde bereits erörtert.159 Dennoch ist die Möglichkeit, objektiven Wettbewerb zu hintertreiben, in ganz anderer Form gegeben als dies bei späteren Agonen der Fall ist. Ein markanter Kontrast der Leichenspiele zu den späteren Kranzagonen ist zudem, dass (außer beim Diskuswurf) der Sieger zwar den wertvollsten Preis erhält, die Nachfolgenden aber ebenfalls beschenkt werden160 – allein schon die Teilnahme am Agon, unabhängig vom Erfolg, berechtigt also zu einem Ehrgeschenk. Darin zeigt sich, dass das objektive Verfahren, unabhängig vom Ansehen der Person, noch nicht vollständig greift – ja, einige Interpretatoren sehen gerade in dieser Vermischung von Leistung und zugeschriebenem Status das entscheidende Merkmal der Leichenspiele bei Homer.161 Die Institutionalisierung der Agone führte hier eindeutig zu einer Objektivierung des Verfahrens, wovon die bereits angesprochenen inschriftlich festge157

Ausschlaggebend für die Teilnahme (zumindest in Olympia) scheint denn auch primär die Selbsteinschätzung der Siegeschancen durch die Athleten sowie die Begutachtung der athletischen Fähigkeiten durch die Kampfrichter im Vorfeld gewesen zu sein; zwar mussten Athleten einer Polis angehören, frei, Griechen und ohne Blutschuld sein, doch für eine Nominierung oder Entsendung durch die Polis, was eine statusbedingte Vorselektion ermöglicht hätte, fehlen jegliche Indizien, s. Crowther (1996) sowie Weiler (2008). 158 Preis für Nestor: Hom. Il. 23,615–624; Vorschlag eines Preises für Eumelos: Il. 23,534–538; Preis für Agamemnon: Il. 23,890–892. 159 S. o. Kap. 5.2.1. 160 Bei den Kranzspielen gab es bekanntlich nur einen Sieger, bei den übrigen Agonen scheint das teilweise anders gewesen zu sein: Die Panathenäen vergaben im 4. Jh. auch Preise an die Zweitplatzierten (in den musischen Agonen gar an die Fünftplatzierten), wie IG II2 2311 belegt; bei einem lokalen Agon auf Salamis werden bereits im 5. Jh. die Zweitplatzierten inschriftlich festgehalten (IG I3 1386) – es ist dies der erste Beleg nach Homer für Ehrungen, die nicht ausschließlich dem Sieger zukommen; zur Thematik s. grundlegend Crowther (1992). Zum Wert der Preise bei den Panathenäen s. Young (1984) 115–127. 161 Vgl. u. a. Papakonstantinou (2002) spez. 57–62 und Potter (2012) spez. 27–30. Bei den übrigen Agonen in den Epen scheint es freilich nur einen Sieger zu geben, was ev. ein Indiz wäre, dass die Spiele in Il. 23 vor dem Hintergrund des 7. Jhs. die Ausnahme und nicht die Regel darstellten, s. Crowther (1992) 97 f.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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haltenen Wettkampfregeln, aber auch die in späterer Zeit gut fassbaren Vorkehrungen zur Sicherung der Unbestechlichkeit und Neutralität der Kampfrichter zeugen.162 Die Garantie fairer Spiele war die Voraussetzung, dass diese Spiele für Außenstehende attraktiv wurden, und nur so konnte man in der Konkurrenz mit anderen Agonen um ein ‚panhellenisches‘ Teilnehmerfeld bestehen. Mit der Institutionalisierung der Wettkämpfe entstand somit ein eigener Raum, in dem die Konkurrenten unabhängig von ihrer sozialen Stellung als Gleiche antraten und sich nach objektiven Regeln maßen – die Nacktheit der Athleten, die bei Homer noch nicht gegeben ist, könnte ebenfalls Ausdruck dieser Entwicklung sein: Es war die reine körperliche Physis, ohne potentiell sozial differenzierende Kleidung, um die es in diesem speziellen Feld der Konkurrenz ging.163 Die Eigengesetzlichkeit und die damit verbundene Objektivierung des Wettbewerbs gehen besonders deutlich aus einem viel zu wenig beachteten Detail hervor: Athleten konnten von den Kampfrichtern geschlagen werden. Bei Homer fehlt dieser Aspekt völlig,164 wird aber am Ende der Archaik als selbstverständlich angenommen. Die bereits erwähnte Bronzetafel aus Olympia sieht vor, dass fehlbare Ringer geschlagen werden;165 dass dabei explizit festgehalten wird, dass der Kopf nicht geschlagen werden darf, zeigt deutlich, dass diese Schläge nicht als symbolische Berührungen zu verstehen sind, sondern als brutale Züchtigung, von der die heikle Kopfpartie ausgenommen wird, um allzu schwere Verletzungen zu vermeiden. Doch nicht nur Schwerathleten werden geschlagen. Herodot erwähnt, dass auch Athleten beim Wettlauf gezüchtigt (ῥαπίζειν) würden, wenn sie zu früh starten und der Kontext legt zwin-

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Vgl. dazu die Wettkampfregeln BrU 2 bei Ebert & Siewert (1999) (= Minon Nr. 5 = NIO 2) sowie allg. zu Kampfrichtern und der Sicherung der Neutralität Romano (2007), vgl. auch o. S. 247 mit Anm. 111. 163 Christesen (2014) deutet diese Entwicklung unter dem m. E. wenig glücklichen Schlagwort „democratization“, kommt aber in den großen Linien (trotz versch. Differenzen) zu einem ähnlichen Befund insofern, als er einen Prozess ausmacht, der mit der Institutionalisierung der Agone und der städtischen Gymnasien beginnt und nicht erst um 400 nach dem Aufbrechen eines aristokratischen Sportmonopols; die Überlegungen finden sich auch bei Christesen (2012) in einen globalgeschichtlichen Kontext eingebettet, wobei die Kernthese, die einen generellen Zusammenhang zw. Sport und Demokratie (verstanden als eine illiberale, die gesamte Gesellschaft umfassende Gleichmacherei) propagiert, trotz spannender Ansätze einige grundsätzliche Probleme (etwa hinsichtlich der eingeebneten Differenz moderner funktional differenzierter und vormoderner Gesellschaften) aufweist. Zur Nacktheit als Indiz für Egalität s. Christesen (2014) 226–229 [vgl. Christesen (2012) 174–177] und m. E. differenzierter Hölscher (2003) spez. 164–168, der hervorhebt, dass es dabei v. a. um das Sichtbarmachen des Körpers als Instrument geht, d. h. die Reduktion auf das in diesem Kontext Wesentliche. 164 Vgl. Crowther & Frass (1998) 74 f. 165 BrU 2 Z. 2 bei Ebert & Siewert (1999) = Minon Nr. 5 = NIO 2: [κολ]άδοι παίον κα ὀ διαιτατὲρ πλὰν κατὰ κεφαλάν [– – –]. Zur Rekonstruktion s. Ebert & Siewert (1999) 398 f. sowie grundlegend zu körperlichen Züchtigungen von Athleten Crowther & Frass (1998), dazu auch Weiler (2013) 620–626.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

gend nahe, dass es sich um eine gängige, allgemein akzeptierte Praxis handelt.166 Aus späterer Zeit finden sich reichlich Belege für die Praxis der keineswegs schonenden Züchtigung und auch Auspeitschung fehlbarer Agonisten, die zudem öffentlich vor Publikum erfolgte.167 In einer nach Rang gegliederten Gesellschaft, in der körperlichen Strafen ein hoher Symbolwert zukam, ist es mehr als nur bemerkenswert, dass sich gerade auch Personen mit hohem Status – man denke nur an die Teilnahme des makedonischen Königs im frühen fünften Jahrhundert! – freiwillig solche Sanktionen, die in anderen Kontexten kaum zu ertragende Ehrminderung bedeutet hätten, in Kauf nahmen.168 Dass man nicht davor zurückschreckte, auch ‚Aristokraten‘ zu züchtigen, zeigt das Beispiel des Spartaner Lichas, dessen Wagengespann 420 in Olympia siegte: Da Sparta von den Spielen ausgeschlossen war, trat das Gespann für Boiotien an und Lichas wurde, nachdem er den Wagenlenker bekränzte und sich so als Besitzer zu erkennen gegeben hatte, von den Rutenträgern (ῥαβδούχοι) gezüchtigt.169 Bei Hermogenes, einem kaiserzeitlichen Rhetor, findet sich ferner die Behauptung, Alkibiades sei anlässlich seines Gespannsiegs in Olympia ebenfalls ausgepeitscht worden, weil seine Behauptung, er stamme aus der besten aller Poleis, von den Eleern als hybris aufgefasst worden sei – da keine andere Quelle die Episode erwähnt, dürfte es sich allerdings um eine spätere Fiktion handeln.170 Bemerkenswert ist der Befund dennoch. Wie Crowther und Frass in ihrem einschlägigen Aufsatz festhalten: „It is still not easy […] to explain why there was flogging at Olympia and elsewhere for free individuals, when only slaves were customarily flogged in the Greek city states.“171 Zu erklären ist dies letztlich nur mit der Eigenlogik des Agons, der als objektivierter Wettbewerb einen eigenen Sinnbereich darstellte, in dem andere Regeln galten als in der restlichen Gesellschaft – eine direkte Folge der oben skizzierten Institutionalisierung.

166 Hdt. 8,59,1 – dabei geht es nicht um die Wettkämpfe als solche, sondern in der Beratung der griechischen Feldherren wird Themistokles mit Verweis auf ebendiese Praxis angehalten, nicht zu voreilig zu sein, d. h. die Züchtigung als solche wird als gängige Praxis und allgemeines Kontextwissen vorausgesetzt. 167 Vgl. Crowther & Frass (1998). 168 Der symbolische Gehalt körperlicher Strafen, der (meist) die Differenz zwischen Freien und Unfreien markiert, ist gut belegt und untersucht: s. Weiler (2013) 617–620 mit weiterer Literatur. 169 Thuk. 5,50,4: […] Λίχας ὁ Ἀρκεσιλάου Λακεδαιμόνιος ἐν τῷ ἀγῶνι ὑπὸ τῶν ῥαβδούχων πληγὰς ἔλαβεν. Vgl. Xen. hell. 3,2,21, der freilich erklärt, die Eleer hätten Lichas gepeitscht (μαστιγοῦντες αὐτόν). 170 Hermog. inv. 2,4,22–25 (ed. Rabe, Leipzig 1913): Καὶ πάλιν ἅρματι νικήσας Ἀλκιβιάδης Ὀλύμπια, ἐρομένων Ἠλείων ὅθεν εἴη, ‚τῆς ἀρίστης‘ ἔφη ‚πόλεως‘, ἐμαστίγωσαν αὐτόν, ἐπανελθὼν γράφει στρατεύεσθαι ἐπὶ τοὺς Ἠλείους. Da Hermogenes dies nur als Hintergrund benutzt, um dann auszuführen, wie die prokatastasis beziehungsweise die diegesis von Alkibiades’ Kriegsantrag auszusehen habe (inv. 2,4,26–34), dürfte es sich um eine rhetorische Fingerübung an einem fiktiven (aber deshalb nicht per se unplausiblen) Beispiel handeln. Crowther & Frass (1998) 59 f.; 70 sehen die Geschichte freilich als historisch an. 171 Crowther & Frass (1998) 78.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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Gleichzeitig führte die Institutionalisierung zu einer Spezialisierung: Der objektive Wettbewerb verhinderte, dass persönliches Ansehen einem einen Startvorteil sicherte, und anders als bei Homer erhielten – zumindest bei den Kranzspielen – nur die Sieger Preise. Der Umstand, dass einige Athleten kampflos siegten, weil niemand gegen sie antreten wollte, zeigt auch, dass die Teilnahme allein kein Prestige brachte und eine Niederlage ein Risiko war, das man scheute.172 Der eigene Körper war dabei das primäre Instrument, das unter gnadenloser Objektivität über Erfolg oder Misserfolg entschied – und dieses Instrument musste gepflegt werden. Ein deutliches Indiz hierfür ist die Existenz von Trainern. Nigel James Nicholson hat dies gründlich untersucht und dabei nicht nur das Vorhandensein von Trainern bereits früh im sechsten Jahrhundert hervorgehoben, sondern vor allem auch das Bemühen der Zeitgenossen, diese Figuren im Hintergrund zu halten, um die Exzellenz der Athleten nicht an bezahlten Helfern festzumachen – letzteres eine nicht ganz unproblematische These.173 Einige der von Young angeführten Anekdoten von untrainierten Bauern, die mit simpler Naturkraft zu erfolgreichen Athleten werden, deutet Nicholson denn auch just in diesem Sinn: Es gehe hier darum, im Sinne einer ‚aristokratischen Ideologie‘, das Verdienst professioneller Trainer zugunsten scheinbar naturgegebener Aristie herunterzuspielen.174 Das ist nicht immer überzeugend, denn ob Geschichten von Bauern und Hirten,

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Zu den Siegen ohne Gegner s. Crowther (2001) – dass man es vorzog, gegen einen überlegenen Gegner, nicht anzutreten, statt eine Niederlage zu kassieren, ist ein klares Indiz dafür, dass, anders als Flaig (2010) 355 f. meint, das „Ertragen der Niederlage“ keineswegs Teil der „agonistischen Praxis“ war, sondern offenbar große Probleme bereitete; dass die durch die Quellen (vgl. etwa Pind. P. 8.81–87!) klar zu widerlegende Phantasie, Verlieren sei unproblematisch gewesen, integraler Bestandteil des modernen Amateur-Mythos ist, hätte Flaig bei Young (1984) 166 f. nachlesen können. Youngs Gegenbild eines gnadenlosen Wettbewerbs, in dem Verlieren immer und ausschließlich nur Schande bedeute, ist freilich auch zu extrem: Jenseits der Kranzspiele gab es z. T. (s. o. S. 260. Anm. 160) auch Preise für Zweit- oder noch niedriger Platzierte (ev. um die Attraktivität zweitklassiger Agone in der Konkurrenz zu anderen Festspielen zu steigern), s. Crowther (1992), und gelegentlich (freilich erst später) loben Inschriften den würdigen Auftritt von Athleten bei Agonen (d. h. ein Mitmachen ohne Sieg): ebd. 97; Golden (2008) 38 f. deutet dies im Kontext einer grundsätzlich gewandelten Einstellung gegenüber der Athletik in römischer Zeit, wo die Partizipation und nicht mehr allein der Sieg (wie in archaischer und klassischer Zeit) statusrelevant war – s. o. S. 258. Anm. 152. Nicholson (2005) 119–210. Allgemein zu Trainern – auch in hellenistischer und römischer Zeit – s. Golden (2008) 23–39 und Mann (2014) 278 f. Nicholson (2005) spez. 119–134 – das Argument, dass trotz der bekannten Nennungen von Trainern bei Pindar (dazu im Einzelnen 135–210) die Erwähnung solcher Personen eher die Ausnahme war, ist u. a. mit Verweis auf Vasendarstellungen seit der Mitte des 6. Jhs. gut unterfüttert, wenn auch die daraus gezogenen Schlüsse, Trainer seien im 6. Jh. nahezu omnipräsent gewesen, hypothetischer bleiben muss, als Nicholson zulässt; die These, dass bezahlte Trainer der aristokratischen Vorstellung von ererbter Exzellenz widersprechen würden (so besonders prägnant: 133 f.), krankt freilich an einer simplifizierenden Gleichsetzung archaischer Eliten mit einem exklusiv auf Erblichkeit basierenden Adel, die so nicht haltbar ist (und im Detail – genauso wie der keineswegs immer eindeutige soziale Status der Trainer – erheblich differenziert wird). Grundsätzliche Kritik an Nicholsons Prämissen übt die Rezension von Christian Mann in: Nikephoros 19, 2006, 329–331.

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

die athletische Erfolge erringen, eher einer ‚aristokratischen Ideologie‘ entsprechen, nur weil sie keine Trainer benutzen, erscheint doch eher fragwürdig. Fragwürdig ist auch die pauschalisierende Gleichsetzung von Trainern mit bezahlten Profis. Aus dem fünften Jahrhundert gibt es klare Indizien, dass Trainer einen hohen sozialen Status besitzen konnten.175 Dennoch ist die Existenz von Trainern – und zwar bereits ab einem frühen Stadium der Entwicklung – ein deutliches Indiz dafür, dass es einen beiläufig betriebenen Amateursport, den müßige Aristokraten nebenbei praktizierten, so nicht gegeben hat,176 zumindest nicht ab dem Zeitpunkt, als die Agone institutionalisiert wurden und das dort zu erringende Prestige an Bedeutung gewann. Ob das die Exklusivität athletischer Praktiken förderte oder schmälerte, ist schwer zu sagen: Einerseits ist klar, dass eine Intensivierung des Trainings dazu führt, dass Faktoren wie dauerhafte Abkömmlichkeit und die Fähigkeit, sich gute Trainer zu leisten (oder, vielleicht entscheidender, über Freundschafts- oder Verwandtschaftsbeziehungen Zugang zu solchen zu haben),177 an Bedeutung gewannen. In welchem Ausmaß Training oder Talent ausschlaggebend waren und ab welchem Alter ein intensives Training für panhellenische Siege unumgänglich wurde, muss im Einzelnen strittig bleiben.178 Andererseits führte eine Spezialisierung automatisch zu einer Rollenbeschränkung. Die für homerische Helden typische Pluralität von Prominenzrollen – der Umstand, dass man eben immer der Beste sein will – wird damit zunehmend schwerer einlösbar. Möglich ist allenfalls eine Abfolge von Prominenzrollen im Lebenszyklus: 175 176 177

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So wird der bei Pindar erwähnte Trainer Melesias (zuvor selbst ein erfolgreicher Athlet) mit dem Vater des athenischen Politikers Thukydides (dem Gegenspieler des Perikles) identifiziert, s. Davies (1971) 231. In diesem Sinne auch Young (1984) 143–146, der nebst Trainern und der weitgehenden Vollzeitbeschäftigung als (erwachsener) Athlet die langen Karrieren (bis zu 20 Jahren) hervorhebt, die ein intensives Training unumgänglich erscheinen lassen. Dass eine Figur wie Melesias sich als Trainer ‚bezahlen‘ ließ, erscheint mir wenig wahrscheinlich: In diesem Fall dürfte soziales Kapital und nicht ökonomisches entscheidend gewesen sein, genauso wie die wenigen, greifbaren ‚Athletendynasitien‘ mitunter darauf beruhen dürften, dass der erfolgreiche Vater die Söhne trainierte; doch das schließt keineswegs aus, dass es auch Trainer gab, die gemäß der Vorstellung von Nicholson (s. o.) nach primär ökonomischen Kriterien engagiert werden konnten. Exklusivität wird freilich in beiden Fällen hergestellt. Für erwachsene Athleten dürften schon früh hohe Anforderungen gegriffen haben – allein die Zahl der Siege, die den herausragenden Athleten des späten 6. Jhs. zugeschrieben wird, spricht für ein stetes Wanderleben von Agon zu Agon und entspr. zeitintensives Training (s. o.). Bei den Knaben sieht es anders aus; Young (1984) 159 etwa betont in Hinblick auf Wettkämpfe der Knaben: „Victory […] no doubt depended less on years of training and more on natural ability.“ Seiner Ansicht nach hätten die Preisgelder dann völlig ausgereicht, um eine weitere Karriere zu lancieren – letzteres erscheint allerdings zweifelhaft: In hellenistischer Zeit könnten entsprechende Inschriften aus Ephesos nahelegen, dass es tatsächlich möglich war für ärmere Athleten, in Wettbewerben der unteren Altersklassen zu reüssieren, dass aber für eine erfolgreiche Karriere danach sowohl intensiveres Training als auch entspr. finanzielle Mittel notwendig waren: s. Burnet (2003) 228 f.; direkte finanzielle Unterstützung wird allerdings auch im hellenistischen Ephesos nicht gewährt, sondern Ehrungen (bzw. das Bürgerrecht) für die privaten Gönner junger Athleten, was die Aussagekraft des Befunds doch erheblich schmälert, dazu Golden (2008) 25 f.

6.2 Ausbildung und Institutionalisierung ‚panhellenischer‘ Agone

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Nach den athletischen Erfolgen in jüngeren Jahren kann man von dem dort errungenen Prestige zehren, wenn man anschließend etwa eine politische Führungsstellung anstrebt. Kylon, der sich erst mehrere Jahre nach seinem Olympiasieg zum Tyrannen aufschwingen wollte, dürfte ein solcher gewesen Fall sein, genau wie Glaukos, der erst später und wahrscheinlich gerade aufgrund seines athletischen Prestiges als Herrscher über Kamarina eingesetzt wurde, oder Milon, der als bereits gestandener Olympionike dem Heer Krotons vorausging. Der Wechsel athletischer Sieger in andere Prominenzrollen scheint jedoch zunehmend schwieriger geworden sein, was allerdings nicht so sehr mit einer Abwertung der Athletik zusammenhing als vielmehr mit der Spezialisierung des Militärwesens und der Rhetorik, die dann im vierten Jahrhundert zu einer zunehmenden Arbeitsteilung innerhalb der Elite führte.179 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Wagenrennen die exklusivste Disziplin darstellten: Hier war es unabhängig vom Alter, der eigenen Physis und dem Einsatz wertvoller Zeitressourcen möglich, schlicht durch den Einsatz ökonomischen Kapitals Erfolge zu erzielen. Denn als Sieger galt der Besitzer der Pferde, nicht etwa der Wagenlenker. Der jüngere Alkibiades hebt denn auch die hippischen Siege seines Vaters besonders hervor und erklärt: Obwohl er in Hinblick auf seinen Körper nicht weniger begabt noch schwächer war als irgendjemand, sah er doch über gymnische Agone hinweg, da er einige der Athleten sah, die von schlechter Abkunft waren, in kleinen Poleis wohnten und eine niedere Erziehung hatten, und wandte sich der Pferdezucht zu, die eine Tätigkeit der Wohlhabenden ist und von keinem Armen betrieben wurde, und er übertraf nicht nur seine Gegner, sondern alle, die jemals gesiegt hatten.180

Diese Aussage ist sicherlich zu relativieren:181 Weder zog sich die Oberschicht aus den athletischen Disziplinen zurück, noch ist mit einer breiten ‚Demokratisierung‘ der 179

Auch Kyle (1993) 153–168 betont die zunehmende Spezialisierung, nicht nur im Bereich der Athletik, sondern v. a. im Athen des 4. Jh. auch in den politischen Führungsrollen (sei es Militär oder Rhetorik), die dazu führte, dass ein Rollenwechsel zunehmend schwierig wurde: Alkibiades ist der letzte fassbare prominente Politiker Athens, der gleichzeitig Olympionike war. Zu Eliten im klassischen Athen und der ansatzweisen Ausbildung von ‚Funktionseliten‘ im 4. Jh. s. Tiersch (2006). 180 Isokr. or. 16,33 (eigene Übers.): […] οὐδενὸς ἀφυέστερος οὐδ’ ἀρρωστότερος τῷ σώματι γενόμενος τοὺς μὲν γυμνικοὺς ἀγῶνας ὑπερεῖδεν, εἰδὼς ἐνίους τῶν ἀθλητῶν καὶ κακῶς γεγονότας καὶ μικρὰς πόλεις οἰκοῦντας καὶ ταπεινῶς πεπαιδευμένους, ἱπποτροφεῖν δ’ ἐπιχειρήσας, ὃ τῶν εὐδαιμονεστάτων ἔργον ἐστὶ, φαῦλος δ’ οὐδεὶς ἂν ποιήσειεν, οὐ μόνον τοὺς ἀνταγωνιστὰς ἀλλὰ καὶ τοὺς πώποτε νικήσαντας ὑπερεβάλετο. 181 Vgl. hierzu Kyle (1993) 136 mit Anm. 64 und Pleket (2005) 156 f. Zentral sind zwei Aspekte: 1.) In Anbetracht der Relativität von Bezeichnungen wie kakoi dürfte Alkibiades auf fast alle seine Zeitgenossen herabgeblickt haben; umso bemerkenswerter ist daher 2.) die Betonung, dass es lediglich „einige“ (ἔνιοι) der Athleten seien, die als kakoi betrachtet werden, d. h. dass die Mehrheit offenbar als sozial ebenbürtig angesehen wurde. Eine ‚Demokratisierung‘, die ein ehemals exklusives aristokratisches Monopol aufbricht, kann ich dabei – pace Mann (1998) 13 f. und Pleket (2005) 156 f. – nicht erkennen. Young (1983) 50 und Young (1984) 100–102; 157 hebt zudem mit Recht her-

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6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

Athletik auch für die Ärmsten der Armen zu rechnen.182 Denn auch wenn das wohl kurz vor dem Peloponnesischen Krieg verfasste, antidemokratische Pamphlet des sogenannten ‚Alten Oligarchen‘ beklagt, dass sich der demos in Athen eigene Gymnasien errichte:183 Die notwendige Abkömmlichkeit, um athletisch erfolgreich zu sein, brauchte man trotzdem und eine finanzielle Förderung armer ‚Talente‘ in Hinblick auf künftige Erfolge ist vor dem Hellenismus nicht fassbar.184 Die Aussagen zeugen aber von einem Unbehagen gegenüber athletischen Agonen, die einen objektiven Wettbewerb darstellten, bei dem Leistung und Talent unabhängig vom Ansehen der Person der einzig ausschlaggebende Faktor waren und wo ein erheblicher Aufwand nicht so sehr an Geld, sondern vor allem an Zeit und Training notwendig war, um erfolgreich zu sein – Zeit, die dann für andere distinguierende Tätigkeiten fehlte. Gleichzeitig wurde durch die Institutionalisierung der Agone und die Etablierung der periodos der symbolische Wert athletischer Siege zu einer fixen Größe: Ein Sieg in Olympia war zu objektiver ‚Ehre‘ versachlichtes Prestige, das – einmal erworben – auch Bestand hatte und dessen symbolischer Wert allgemein anerkannt war. In einer Welt, in der Status tendenziell prekär war, ist das in doppelter Hinsicht

vor, dass Alkibiades nirgends betont, dass es sich dabei um ein neues (oder auf das demokratische Athen beschränktes) Phänomen handelt; allerdings ist entgegen Youngs These einer breiten Beteiligung von „lower class athletes“ auch klar, dass die prinzipielle Exklusivität der Athletik durch die Betonung, dass (nur) „einige“ Athleten kakoi seien, bestätigt wird. Allerdings ist eine prinzipielle Exklusivität kein Monopol und gerade im ‚aristokratischen‘ Charakter der Athletik, der gleichzeitig (bzw. gerade deshalb) auch „einigen“ einen Aufstieg erlaubte, liegt die soziale Sprengkraft. 182 Vgl. die prosopographische Untersuchung zu Athleten in Athen bei Kyle (1993) 102–123, der zwar Veränderungen innerhalb der Oberschicht sieht, nicht aber eine grundsätzliche Veränderung im elitären Charakter der Athletik, und festhält (ebd. 123): „In the fourth as in earlier centuries, the mass of the Athenian population watched and enjoyed the athletic endeavors of a minority.“ Zur ungebrochenen Attraktivität der Athletik für die Oberschicht allg. s. Pleket (2001); Pleket (2005); Pleket (2014) 105–108. 183 [Xen.] Ath. pol. 2,10. Zum Gymnasium s. Mann (1998) spez. 13 f. zu dieser Passage – seine Ausführungen sind bedenkenswert, doch die Vorstellung eines aristokratischen Sportmonopols in der Archaik scheint mir nicht zuletzt mit Blick auf die bei Hom. Il. 2,773–775 geschilderten athletischen Übungen der laoi (!) des Achill (m. E. die nächste Parallele zum späteren Gymnasium, die sich in den Epen findet) problematisch (s. o.). Sicherlich zuzustimmen ist Mann darin, dass das Gymnasium nicht als Trainingsort für die Hopliten der aufkommenden Phalanx erklärt werden kann, doch die Vorstellung, dass es sich bei der Athletik um eine Kompensation für den Wegfall kriegerischer Bewährung handelt, überzeugt auch nur bedingt: Athletische Qualitäten sind bereits bei Homer klar als eigenes Feld der Bewährung fassbar, das mit den panhellenischen Agonen eine polisübergreifende Institutionalisierung erfährt, während es umgekehrt über die Gymnasien Teil einer genuin städtischen Lebensart wird (dazu o. Kap. 3), die zwar exklusive Züge trägt, aber nicht per se ein adliges Privileg ist. 184 Erstmals fassbar ist dies in der nach 315 anzusetzenden Inschrift IEph 2005 (zur Datierung s. SEG 58.1302), in welcher der Trainer Therippedes um Ehren für Privatpersonen bittet, die den hoffnungsvollen Athleten Athenodoros finanziell unterstützen; vgl. Brunet (2003) 227–230; Robert (1989) 369–372. Die Belegsituation für solche (auch hier lediglich indirekte!) Förderungen unter Beteiligung der Polis ist freilich auch danach sehr dürftig – vgl. die skeptischen Bemerkungen zur Aussagekraft der Inschrift bei Golden (2008) 25 f.

6.3 Panhellenisches Prestige und Polis-Prestige

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bemerkenswert: Nicht nur entstand so ein eigenes, ‚symbolisches Kapital‘, bei dem die Zahl der Siege und das Renommee des jeweiligen Wettkampfs eine ganz eigene Form der Zähl- und Vergleichbarkeit gewährleistete,185 es war auch eine ‚Währung‘, die im gleichen Maße, wie die Agone einen ‚panhellenischen‘ Charakter gewannen, ihrerseits panhellenische Geltung beanspruchen konnte. Das in der Ilias fassbare Problem, dass ein Epeios zwar im Faustkampf der Beste sein kann, auch wenn er in der Schlacht nichts tauge, wird mit der Institutionalisierung panhellenischer Spiele nochmals verschärft:186 Die Eigengesetzlichkeit des athletischen Felds wird gesteigert und das dort zu erringende Prestige versachlicht – damit bilden die Agone eine potentiell ‚adelnde‘ Instanz jenseits und unabhängig von der Polis. 6.3 Panhellenisches Prestige und Polis-Prestige Die Frage, wie panhellenisches Prestige in den Raum der Polis überführt werden kann, war ein Thema in der Archaik. Schon früh fassbar ist die Einrichtung der Proxenie, also eine Nahbeziehung, welche die Polis als Institution mit dem Bürger einer anderen Gemeinschaft einging, der dann in seiner Heimat als Ansprechpartner und Interessensvertreter fungierte.187 Der frühste Beleg ist ein Kenotaph in Korkyra, der vom damos für Menekrates aus Oiantheia, den Proxenos des damos, errichtet worden war.188 Polisüber185

186

187 188

Zur Vergleichbarkeit und Zählbarkeit von zu ‚symbolischen Kapital‘ abstrahierten Leistungen s. in Bezug auf die römische Republik Hölkeskamp (2006) spez. 393 f. (anders als die honores der römischen Nobilität war das symbolische Kapital siegreicher Athleten allerdings nicht oder nur sehr begrenzt vererbbar – nicht zuletzt, da es, anders als bei Wahlen in Rom, den Nachkommen erfolgreicher Athleten keinen Wettbewerbsvorteil bei Agonen bringen konnte, von einem Sieger abzustammen). Es ist daher nur ein folgerichtiges, wenn auch vom Quellenwert her völlig unbrauchbares Kuriosum, dass Galen (Thrasyb. 33 = 870 f. Kühn) den Niedergang der ursprünglichen, gesunden Athletik durch das Aufkommen von Trainern und die einseitige Spezialisierung der Athleten mit dem homerischen Epeios beginnen lässt. Dazu grundlegend Marek (1984) und mit besonderem Fokus auf die Zeugnisse der archaischen und frühklassischen Zeit Wallace (1970). IG IX 1,867 = Meiggs & Lewis Nr. 4 = Nomima Nr. 1.34. Mangels direkter Parallelen ist die Inschrift nur mittelbar zu datieren: Meiggs & Lewis datieren sie mit Hinweis auf die Keramikfunde in der Umgebung auf ca. 625–600, was allerdings wohl zu früh ist; Wallace (1970) 191–193 argumentiert für eine spätere Datierung mit dem Hinweis auf die sonst erst in der zweiten Hälfte des 6. Jh. bzw. in frühklassischer Zeit fassbaren Zeugnisse für die Proxenie und dem bereits relativ hohen Grad an Institutionalisierung, der in der Inschrift erkennbar ist (insbesondere dem damos als Beschlussorgan) – das von ihm favorisierte Datum um 550 wird auch von Nomima Nr. 1.34 ad loc. übernommen. Generell wird die Inschrift als frühster Beleg für die Proxenie angesehen – so etwa prominent bei Marek (1984) 1 und Wallace (1970) 190–194 –, doch bezweifeln Nomima Nr. 1.34 ad loc. diese Deutung mit dem Hinweis, dass es sich 1.) um einen Beamten in Oiantheia handeln könnte, der 2.) nicht von der Polis Korkyra, sondern ‚privat‘ vom damos (gedeutet als eine „faction démocratique“) geehrt wird – ersteres ist arg spekulativ, letzteres erscheint für das frühe sechste (und erst recht für das späte siebte!) Jahrhundert anachronistisch.

268

6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

greifende Beziehungen, die in den homerischen Epen noch rein auf interpersoneller Ebene stattfanden, konnten also auch zwischen institutionalisierten politischen Gemeinschaften und Individuen geschlossen werden. Wie Christian Marek argumentierte, war die Proxenie allerdings kein direkter Ersatz für ‚private‘ Gastfreundschaften – die weiterhin eine wichtige Rolle spielten – und wohl auch nicht aus diesen heraus entstanden ist. Vielmehr war ein Proxenos jemand, der sich, so Mareks etymologische Deutung, „vor den Fremden stellt“ und nicht jemand, der „anstelle des Gastfreunds handelt.“189 Als Instrument, um Außenbeziehungen zu entpersonalisieren und damit das im Kontext der Polis potentiell stets destabilisierende panhellenische Prestige einzelner Akteure zu neutralisieren, taugte die Proxenie denn auch nur begrenzt. Schließlich handelte es sich nicht um eine Beziehung zwischen Institutionen, sondern um eine Ehrung seitens politischer Institutionen für einen (meist) nicht ortsansässigen Bürger einer anderen Polis:190 Die Polis, die einen Proxenos wählte, machte sich damit zwar bis zu einem gewissen Grad unabhängig von eigenen Bürgern, die über Gastfreundschaftsbeziehungen zu der Polis des Proxenos verfügten, doch der Proxenos selbst blieb ein individueller Akteur. Mehr noch: Durch die Ehre, die ihm als Proxenos einer fremden Gemeinde zukam, erhielt er eine Statuserhöhung, die unabhängig von den in seiner Heimatpolis geltenden Kriterien der Rangvergabe erfolgte. Besser institutionell einbindbar als das eher diffuse auf Beziehungen basierende Prestige polisübergreifender Nahbeziehungen waren die stark versachlichten panhellenischen Ehren, die bei den Agonen errungen werden konnten. Für Solon ist ein Gesetz überliefert, dass genau dieses Problem thematisiert, nämlich die Frage, wie mit erfolgreichen Athleten im Rahmen der Polis umzugehen sei. Plutarch berichtet in seiner Solon-Vita, dass Solon für eine Drachme den Gegenwert eines Schafes angesetzt habe, und nennt als ein Beispiel die folgende Bestimmung: Er schrieb vor, dass man einem, der bei den Isthmien gesiegt hat, hundert, einem Olympioniken 500 Drachmen gibt.191

Diogenes Laertios nennt dieselben Zahlen für Sieger in Olympia und den Isthmien, fügt aber hinzu, bei den anderen Agonen sei dies analog zu handhaben. Vor allem aber erläutert er, dass Solon damit die time der Athleten reduziert habe, da ihre Verdienste geringer seien als diejenigen derer, die für die Polis im Krieg gefallen seien – ein Echo der bei Tyrtaios fassbaren ‚Sportkritik‘.192 Aus derselben Tradition scheint Diodor zu 189 Marek (1984) 387; anders: Wallace (1970) 190. 190 Wie Marek (1984) spez. 333–385 hervorhebt, können zwar durchaus ‚Funktionen‘ ausgemacht werden, die die Proxenoi für die sie ehrenden Gemeinden erfüllen, der Titel als solcher ist aber eine Ehrung (oft für bereits geleistete Verdienste), die nicht mit konkreten Pflichten verbunden ist. 191 Plut. Sol. 23,3 = F 143a (Ruschenbusch) = F 89/1a (Leão & Rhodes) (eigene Übers.): τῷ δ’ Ἴσθμια νικήσαντι δραχμὰς ἑκατὸν ἔταξε δίδοσθαι, τῷ δ’ Ὀλυμπιονίκῃ πεντακοσίας. 192 Diog. Laert. 1,55 = F 143b (Ruschenbusch) = F 89/1b (Leão & Rhodes): συνέστειλε δὲ καὶ τὰς τιμὰς τῶν ἐν ἀγῶσιν ἀθλητῶν, Ὀλυμπιονίκῃ μὲν τάξας πεντακοσίας δραχμάς, Ἰσθμιονίκῃ δὲ ἑκατόν, καὶ

6.3 Panhellenisches Prestige und Polis-Prestige

269

schöpfen, der das Gesetz selbst gar nicht erwähnt, sondern lediglich Solons kritische Haltung gegenüber Athleten hervorhebt.193 Die Echtheit des Gesetzes wurde aufgrund der hohen Summen, die der Text nennt, angezweifelt: Nach Plutarch wäre eine Drachme in solonischer Zeit ein Schaf beziehungsweise ein medimnos Getreide194 – ein Olympiasieger hätte folglich eine Prämie erhalten, die dem Jahreseinkommen eines Mitglieds der höchsten Zensusklasse entsprochen hätte. Eberhard Ruschenbusch erschien das entschieden zu hoch, weshalb er in seiner maßgebenden Edition der solonischen Gesetzesfragmente das Olympionikengesetz unter die falsa einreihte.195 Allerdings hat in neuerer Zeit Christian Mann überzeugend für die Authentizität des Gesetzes plädiert.196 Mann hebt insbesondere eine 1956 auf dem Gebiet des antiken Sybaris gefundene Siegerinschrift auf einer Bronzetafel hervor, deren Text in der Rekonstruktion von Joachim Ebert lautet: Do. Kleomrotos, der Sohn des Dexilawos, hat nach seinem Sieg in Olympia (dieses Standbild) geweiht, (ihm) ähnlich an Größe und kräftiger Gestalt; hatte er doch Athana den zehnten (Teil) seines Kampfpreises gelobt.197

Die Inschrift wird in die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts datiert198 – also ungefähr in die Zeit, aus der auch das angeblich solonische Gesetz stammen dürfte. Da die Siegerstatue, auf die sich die Inschrift bezieht, vom zehnten Teil des Siegespreises finanziert wurde, muss dieser Preis einen beachtlichen materiellen Wert dargestellt haben. Da es in Olympia selbst nur einen Kranz zu gewinnen gab, muss die Heimatpolis des Athleten (also wohl Sybaris) diesen Preis ausbezahlt haben. Das alles legt nahe, dass die Zahlen in ‚Solons‘ Olympionikengesetz keineswegs zu hoch sind.199 Mann geht sogar noch weiter und argumentiert, dass eine Beschränkung der Prämien, wie es die Tradition bei Diogenes Laertios und Diodor behauptet, tat-

ἀνὰ λόγον ἐπὶ τῶν ἄλλων· ἀπειρόκαλον γὰρ τὸ ἐξαίρειν τὰς τούτων τιμάς, ἀλλὰ μόνων ἐκείνων τῶν ἐν πολέμοις τελευτησάντων, ὧν καὶ τοὺς υἱοὺς δημοσίᾳ τρέφεσθαι καὶ παιδεύεσθαι. (Es folgt eine Kritik an Athleten, die folgerichtig und topisch in 1,56 schließt mit: ὅπερ συνιδὼν ὁ Σόλων μετρίως αὐτοὺς ἀπεδέξατο). Zu ähnlich lautender ‚Sportkritik‘ s. Tyrtaios F 12,1–4 W (= 9 G-P = 9 D = Stob 4,10,1), vgl. u. S. 270. 193 Diod. 9,2,5 = F 143c (Ruschenbusch) = 89/1c (Leão & Rhodes). 194 Plut. Sol. 23,3. 195 Ruschenbusch (1966) 46. 196 Mann (2001) 68–80; vgl. auch Weiler (1983). Leão & Rhodes (2015) 146 plädieren ebenfalls vorsichtig für die Echtheit. 197 Ebert (1972) 251–255 = CEG 394 (Übers. J. Ebert): ΔΟ Κλεόμροτος | ὀ Δεξιλάϝο | ϝίσο(μ) μᾶκός τε τε πάχος | τἀθάναι ἀϝέθλον | εὐξάμενος δεκάταν. Ebert stellt die erhaltene Wortstellung in Z 2 f. (ἀνέθεκ[ε] | Ὀλυμπίαι νικάσας) um, da sich dann ein Distichon ergibt, was wohl ursprünglich intendiert war, aber bei der Einmeißelung der Inschrift einer (vom Sinn her den Text nicht verändernden) Vertauschung der Worte zum Opfer fiel. Das einleitende ΔΟ (ev. eine Abkürzung) ist nicht befriedigend erklärbar: vgl. Ebert (1972) 251 f. 198 Vgl. Ebert (1972) 251 sowie Moretti (1970) 295 f. – jeweils mit weiterer Literatur. 199 Mann (2001) 71–73.

270

6. Felder der Konkurrenz und ihre Institutionalisierung

sächlich der Absicht des Gesetzes entsprechen könnte.200 Das ist zwar denkbar, bleibt aber spekulativ. Zentral ist jedoch der von Mann besonders hervorgehobene Punkt, nämlich dass damit die Siegerprämie institutionalisiert und der erfolgreiche Athlet in die Polis eingebunden wird – damit war klar, welcher materielle und symbolische Wert einem Olympiasieg beizumessen sei und zwar unabhängig vom sonstigen Prestige des Siegers.201 Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Gesetz lediglich die Isthmien und Olympia erwähnt, nicht aber die beiden anderen, später mit zur periodos kanonisierten Agone in Delphi und Nemea: Die periodos ist ganz offenkundig noch nicht fest institutionalisiert – ein deutliches Indiz, dass es sich tatsächlich um ein Gesetz aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts handelt. Die Spannung zwischen panhellenischem Prestige und einem konkret auf die Polis bezogenen Prestige wurde mit solchen Regelungen nicht gänzlich beseitigt. Stimmen, die namentlich athletisches Prestige für nichtig erklären, da für die Polis nutzlos, finden sich weiterhin, doch der institutionelle Rahmen, in dem argumentiert wird, verändert sich. So erklärt Tyrtaios ungefähr in der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts: Nicht würde ich einen Mann in Erinnerung rufen noch in Worten verewigen weder wegen der Tüchtigkeit seiner Füße, noch wegen seiner Kunstfertigkeit als Ringer, auch nicht wenn er die Größe oder die Kraft der Kyklopen hätte, oder wenn er den thrakischen Nordwind im Rennen besiegen würde […]202

Xenophanes klingt ganz ähnlich, wenn er gut hundert Jahre später seinerseits klagt: Aber wenn irgendeiner mit der Schnelligkeit der Füße einen Sieg erränge oder den Fünfkampf ausübend, dort beim heiligen Bezirk des Zeus beim Fluss Pisas in Olympia, oder als Ringer kämpfend oder die schmerzvolle Kunst des Boxens ausübend oder den gewaltigen Wettbewerb, den sie Pankration nennen, den Städtern erschiene er ehrenvoller und er würde einen sichtbaren Ehrenplatz bei den Agonen erhalten und Speisungen aus den öffentlichen Besitzungen von der Polis. Und ein Geschenk, das ihm ein Erbstück wäre – oder wenn er mit den Pferden siegte: all dies würde er erhalten, und wäre doch nicht so viel wert wie ich.203 200 Mann (2001) 74–80; so auch schon Weiler (1983) 578 f. 201 Mann (2001) 80. 202 Tyrtaios F 12, 1–4 W (= 9 G-P = 9 D = Stob 4,10,1) (eigene Übers.): οὔτ’ ἂν μνησαίμην οὔτ’ ἐν λόγωι ἄνδρα τιθείην / οὔτε ποδῶν ἀρετῆς οὔτε παλαιμοσύνης, / οὐδ’ εἰ Κυκλώπων μὲν ἔχοι μέγεθός τε βίην τε, / νικώιη δὲ θέων Θρηΐκιον Βορέην […]. 203 Xenophanes F 2,1–11 W (= 2 G-P = 2 D = Athen. 10,413c–414c) (eigene Übers.): ἀλλ’ εἰ μὲν ταχυτῆτι ποδῶν νίκην τις ἄροιτο / ἢ πενταθλεύων, ἔνθα Διὸς τέμενος / πὰρ Πίσαο ῥοῆις ἐν Ὀλυμπίηι, εἴτε παλαίων / ἢ καὶ πυκτοσύνην ἀλγινόεσσαν ἔχων / εἴτε τὸ δεινὸν ἄεθλον ὃ παγκράτιον καλέουσιν, / ἀστοῖσίν κ’ εἴη κυδρότερος προσορᾶν, / καί κε προεδρίην φανερὴν ἐν ἀγῶσιν ἄροιτο, / καί κεν

6.3 Panhellenisches Prestige und Polis-Prestige

271

Die Möglichkeit, Prestige, das andere nach anderen Regeln anderswo errungen haben, für irrelevant zu erklären, ist in beiden Fällen greifbar und offenbart ein Fortbestehen der Geltungskonkurrenz verschiedener Prestigearten. Doch die Unterschiede sind augenfällig: Bei Tyrtaios sind es physische Qualitäten – Schnelligkeit, Ringkunst, Kraft –, die als bewundernswert erscheinen, die der Dichter aber nicht gelten lässt, da sie keinen kriegerischen Nutzen für die Polis bringen. Bei Xenophanes dagegen handelt es sich nicht mehr um die physischen Qualitäten als solche, sondern um das versachlichte Prestige, das athletische Siege in Olympia einbringen, und diese Siege haben auch nicht einfach nur das Potential, Ansehen in der Polis zu generieren, sondern resultieren in einer institutionalisierten Statuserhöhung in Form von Ehrenplätzen, öffentlichen Speisungen und materiellen Vergünstigungen – also in institutionell abgesicherter ‚Ehre‘. Die Olympiasieger zu Xenophanes’ Zeiten verfügen damit über eine viel besser abgesicherte Ehrenstellung als die noch weitgehend diffus charakterisierten Athleten bei Tyrtaios. Die bei den beiden Lyrikern zu beobachtende Entwicklung im Grad der Institutionalisierung ist ein weiteres Indiz dafür, dass das athenische Olympionikengesetz tatsächlich aus dem sechsten Jahrhundert stammt – wird doch dort genau dieser Schritt der Institutionalisierung vollzogen. Das Problem, dass die Agone jenseits und unabhängig von der Polis ‚adelndes‘ Prestige vermitteln konnten, war damit nicht entschärft, doch gerade weil dieses Prestige objektiviert und versachlicht wurde, ließ es sich nach klar festgelegten Verfahren in die Polis überführen.204 Einer Stabilisierung der Oberschicht muss das nicht zwingend dienlich sein, wird doch dadurch klar anerkannt, dass verschiedene Qualitäten ‚adeln‘ können, und die Beschränkung auf eine einzig an der Polis ausgerichteten Logik, wie Tyrtaios sie fordert, wird durch die Polis selbst konterkariert, indem sie dieses ‚polis-fremde‘ Prestige anerkennt und in objektivierte Ehre transformiert. Doch die noch weitgehend offenen Felder des Prestigeerwerbs bei Homer mit der daraus resultierenden Vielzahl an ‚Partiell-Besten‘ werden zunehmend in einen institutionellen Rahmen gefasst und auf die einzelnen Poleis als zentraler Lebens- und Wirkungsraum der um Prestige konkurrierenden Akteure bezogen.

σῖτ’ εἴη δημοσίων κτεάνων / ἐκ πόλεως, καὶ δῶρον ὅ οἱ κειμήλιον εἴη – / εἴτε καὶ ἵπποισιν· ταῦτά κε πάντα λάχοι, / οὐκ ν ἄξιος ὥσπερ ἐγώ […]. Vgl. o. S. 218 f. 204 Mit der Luhmann’schen Systemtheorie könnte man von einer ‚strukturellen Kopplung‘ sprechen, bei der ein operativ geschlossenen System Impulse aus der Umwelt (bzw. aus einem anderen System) gezielt aufnimmt und in die eigene Operationsweise überführt; s. dazu Luhmann (1997) 99–120.

Teil III Athen – Mehr als nur eine Fallstudie

7. Athen in archaischer Zeit: Mythen und Fragmente

7.1 Der Mythos der Eupatriden Für keine andere Polis gibt es derart viele Belege für die Vorstellung eines frühen ‚Adels‘ wie für Athen. Henry T. Wade-Gery hat als einer der Ersten die verstreuten Zeugnisse zu einem stringenten historischen Narrativ zusammengefügt, das Skeptiker zwar nie gänzlich überzeugen konnte, aufgrund seiner inneren Plausibilität aber viele Anhänger gewann.1 Vor Solon, so diese Rekonstruktion, habe es in Athen einen „kastenartigen“ Geburtsadel gegeben, die sogenannten Eupatriden.2 Diese hätten die politischen Ämter monopolisiert, bis mit den von Solon neu eingeführten Zensusklassen eine rechtlich-institutionelle Reform diese Adelsordnung aufgebrochen und das Prinzip der Geburt durch Reichtum ersetzt habe. Josiah Ober hat dieses Narrativ dann mit einer generellen wirtschaftlichen Dynamik in Verbindung gebracht: Demnach wären die kakoi, von denen die solonischen Gedichte sprechen, keine mittellosen Leibeigenen, sondern neureiche Aufsteiger, die in die ehemals vom Adel monopolisierten Ämter drängten und mit bürgerkriegsartigen Ausschreitungen die solonischen Reformen und damit den grundlegenden Systemwechsel erzwungen hätten.3 1

2 3

Wade-Gery (1931); im Kern findet sich das Narrativ bereits im RE-Artikel von Oehler (1907) 1164, der allerdings schon unter Drakon den alten, auf Geburt basierten Adel durch einen „Geldadel“ ersetzt sehen will – seine Rekonstruktion ist jedoch noch deutlich weniger fundiert als jene Wade-Gerys. In eine ähnliche Richtung wie Wade-Gery zielen Olivier (1960), Roebuck (1974), Gallotta (1979), Ober (1989) 55–65, Rhodes (1993) 74–76 und Pierrot (2015); skeptisch, aber dennoch an einen Erbadel glaubend auch Gehrke (1998); Wüst (1959) geht von einer ständisch gegliederten Gesellschaft aus, die aber als „Dreiständeordnung“ noch weit über Solon hinaus Bestand gehabt habe. Skeptisch gegenüber einem alten Erbadel sind Gernet (1932), Sealey (1960) und Sealey (1961), Figueira (1984) und Duplouy (2003). Wade-Gery (1931) 11; 83–85 spricht dezidiert von den Eupatriden als „caste“ (ebd. 83: „they are […] a caste, an Order of Nobility“). Ober (1989) 55–65. Dass mit einer wirtschaftlichen Dynamik und hoher sozialer Mobilität zu rechnen ist, will ich nicht in Zweifel ziehen – das findet sich auch in den Epen Homers und Hesiods –,

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7. Athen in archaischer Zeit

Dieser athenische ‚Ständekampf ‘ verdankt seine Plausibilität nicht zuletzt der Analogie zu den römischen Verhältnissen: Auch in Rom gab es zuerst den geschlossenen Adelsstand der Patrizier, der die politischen Rechte monopolisierte und dann im Verlauf der Ständekämpfe aufgebrochen wurde – fortan hatten auch reiche Plebejer die Möglichkeit, in Ämter gewählt zu werden, und es bildete sich mit der Nobilität eine neue, über die republikanische Magistratur definierte Elite heraus.4 Die Analogie ist derart offenkundig, dass sie bereits antiken Beobachtern auffiel: Dionysios von Halikarnass meinte, Romulus habe sich wohl von Athen inspirieren lassen, als er die Bevölkerung in Patrizier und Plebejer einteilte, denn damals sei auch in Athen die Bevölkerung in Eupatriden und agroikoi geschieden gewesen.5 Cassius Dio und andere Autoren benutzten den griechischen Begriff eupatridai denn auch ganz selbstverständlich als Übersetzung für die lateinischen patricii.6 Doch nicht nur mit Blick auf Rom macht das Modell Sinn, sondern auch mit Blick auf die europäische Neuzeit. Dass ein ancien régime durch ein wirtschaftlich prosperierendes Bürgertum gestürzt wird, wirkt aus europäischer Perspektive sehr vertraut – zumal wenn man sich die weitere Entwicklung Athens ansieht, bei der die politischen Rechte nicht auf das neue ‚Großbürgertum‘ beschränkt blieben, sondern sich zu einer Demokratie ausweiteten, die auch die einfachen ‚Arbeiter‘ umfasste.7 Die Argumente der Skeptiker sind freilich nicht zu vernachlässigen, denn die Quellenbasis für eine vorsolonische Eupatridenherrschaft ist dünn. Besonders pikant: Solon kennt keine Eupatriden – das Wort erscheint weder in seinen Gedichten, noch in den Fragmenten der als solonisch bezeichneten Gesetze. Bereits Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff argumentierte daher in Staat und Gesellschaft der Griechen, dass es „kein[en] rechtlich irgendwie abgesonderte[n] Stand der Adligen in Athen“ gegeben habe, „sonst würden wir ihn in Solons Gedichten antreffen.“8 Wilamowitz ist denn auch die Autorität, die Wade-Gery an den Anfang seines Aufsatzes stellt und dessen Argumente er in einem saloppen Telegrammstil zu erledigen sucht:

4 5 6 7

8

ich zweifle aber daran, dass das ein neues Phänomen darstellte, das sich zu einer Krise auswuchs und eine zuvor stabile Ordnung destabilisierte. Vgl. dazu in der erweiterten Neuauflage Hölkeskamp (2011b). Dion. Hal. ant. 2,8,1–2. Zu diesem Wortgebrauch s. Oehler (1907) 1165, der in der RE „Übersetzung des lat. patricii“ als dritte Bedeutung von Εὐπατρίδαι angibt. Die Analogie zu Rom wird explizit gezogen von Wade-Gery (1931) 8; 77. Der Verweis auf eine „Bourgeoisie“ in klassischer Zeit, die anstelle des frühen Adels getreten sei, findet sich nicht nur bei dem dezidiert mit anachronistischen Kategorien arbeitenden Rostovtzeff (1955) Bd. 2, 888–898, sondern auch – mit explizitem Verweis auf den russischen Wirtschaftshistoriker – im Aufsatz zu Adel und Aristokratie in den Geschichtlichen Grundbegriffen: Conze & Meier (1972) 7 f. Wilamowitz-Moellendorff (1994) 74; in ebd. 75 wird die Bezeichnung „Eupatriden“ weiter erörtert, ihr aber kein ständischer Charakter zugestanden, sondern festgestellt: „Wir mögen diese Oberschicht mit dem Wort Adel bezeichnen, weil es das bequemste ist und ein anderes kurzes Wort nicht existiert; aber es ist der Adel der Nobilität, nicht der des Patriziats.“

7.1 Der Mythos der Eupatriden

277

E silentio and very dangerous: and in fact a remnant of Privilege of Nobility survived into the fourth century at least; φυλοβασιλεῖς ἐξ Εὐπατριδῶν (Pollux, VIII. 111). This puts it beyond question that Eupatrid-hood (a) was capable of definition, and (b) carried privilege.9

In methodischer Hinsicht ist das noch immer der Rahmen, in dem sich die Debatte bewegt: Wer an einen frühen Eupatriden-Adel glauben will, erklärt Solons Schweigen für ein unzulässiges argumentum e silentio und stützt sich auf spätere, teilweise obskur überlieferte Quellen, die dann entsprechend hohes Gewicht erhalten.10 Dabei gilt es freilich zwei Faktoren zu berücksichtigen, die in der bisherigen Diskussion tendenziell zu wenig hervorgehoben worden sind: Erstens wiegt das Schweigen Solons erheblich schwerer, als Wilamowitz’ kategorisch, aber letztlich ohne Begründung vorgetragene Skepsis suggeriert, und lässt sich sicherlich nicht mit einem pauschalen Verweis auf e silentio wegwischen. Zweitens zeigt eine Zusammenschau aller Belege zu den athenischen Eupatriden eine Bedeutungsverschiebung des Wortes, die nahelegt, dass die Vorstellung einer geschlossenen – wie Wade-Gery es formulierte – „Kaste“ von Eupatriden sehr viel mehr über die politischen Idealentwürfe des ausgehenden fünften Jahrhunderts aussagt als über die Zustände im vorsolonischen Athen; genau hierin liegt allerdings die Signifikanz der Eupatriden. Diese beiden Faktoren – das Schweigen Solons und die Bedeutungsverschiebung des Begriffs – sollen im Folgenden erörtert werden. Dass Solon die Eupatriden nicht erwähnt, ist nicht bloß ein argumentum e silentio gegen deren Existenz als geschlossene „Kaste“, es ist geradezu der Todesstoß für ein derartiges Modell. Denn es sind nicht bloß die Gedichte, in denen er sich ausschweigt – was man in der Tat erklären könnte –, sondern auch die Gesetze. Wenn man bedenkt, dass spätere Autoren ein lebhaftes Interesse an den politischen Verhältnissen unter Solon zeigten und sowohl die Athenaion politeia als auch Plutarch eifrig bemüht sind, alles an Gedichten und Gesetzen heranzuziehen, was Licht ins Dunkel dieser Zeit werfen könnte, ist es hochgradig bemerkenswert, dass ihnen offenbar kein Gesetz vorlag, das die Eupatriden erwähnte.11 Wer an einen vorsolonischen Adel und einen durch rechtliche Mittel herbeigeführten Systemwechsel im Regiment glaubt,

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Wade-Gery (1931) 1 – er bezieht sich freilich auf die erste Ausgabe von Staat und Gesellschaft der Griechen aus dem Jahr 1910, nicht die zweite Auflage von 1923, deren ND hier verwendet wurde – der Wortlaut der betr. Passage ist jedoch in beiden Ausgaben identisch. Wade-Gerys These wurde jüngst nochmals aufgegriffen von Pierrot (2015) und gegen die Kritik insbesondere von Figueira (1984) und Duplouy (2003) verteidigt; die Grundprämissen bleiben identisch: Vgl. Pierrot (2015) 149: „arguments e silentio are very dangerous“, und ebd. 148: „this tradition, even if late and influenced […], remains the most plausible.“ Zum Umgang der Athenaion politeia mit der Überlieferung s. Gehrke (2006), der in seinem Fazit (ebd. 288) besonders auf die Bedeutung hinweist von „the philosopher’s orientation towards and his concluding from evidence, especially if this evidence consists of older source material like Solon’s (or contemporary) poems and axones.“

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7. Athen in archaischer Zeit

müsste aber die Existenz eines solchen Gesetzes propagieren. Denn um die Vorherrschaft eines etablierten Adels zu brechen, wäre eine ‚negative Privilegierung‘ dieses Adels notwendig, also eine gezielte rechtliche Diskriminierung der (ehemals) Privilegierten, um sicherzustellen, dass die alten Familien nicht weiterhin – durch ihr überlegenes Prestige und ihre sozialen Netzwerke – auf informellem Wege politisch dominierend blieben. Es müsste also festgelegt werden, wer zu den Eupatriden gehört, um dann gezielt Maßnahmen zu erlassen, die verhindern, dass Personen aus diesem Kreis Ämter und Ehrenstellen monopolisieren – das Privileg, zu einer exklusiven Gruppe zu gehören, müsste also durch rechtliche Diskriminierung neutralisiert werden. Das Prinzip der negativen Privilegierung findet sich folgerichtig in der römischen Überlieferung zu den Ständekämpfen, wo festgelegt wurde, dass von den beiden Konsulatsstellen jeweils nur eine von einem Patrizier bekleidet werden dürfe, während für die nicht-adligen Plebejer eine analoge Beschränkung fehlt.12 Auch in Bezug auf den ständisch verfassten Adel des Mittelalters und der Frühen Neuzeit finden sich entsprechende negative Privilegierungen des alten Adels; dabei bildeten, wie Georg Simmel es formulierte, die „Beschränkunge[n], die ihm auferlegt wurde[n], das Gegengewicht gegen soziale Prärogative.“13 Auch Max Weber sah die rechtliche Diskriminierung des alten Adels „bei vollem Erfolg des Popolo“ als ein zentrales Moment der Ständekämpfe in den italienischen Stadtkommunen des Mittelalters.14 Der völlige Ausschluss des alten Adels vom Regiment ist dabei eine Extremform – instruktiver ist das Beispiel Roms, das verdeutlicht, dass eine (moderate) negative Privilegierung auch dann not-

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13 14

Liv. 6,35,1–5 und 7,42,2; s. dazu immer noch grundlegend Mommsen (1887–1888) Bd. 2, 79 f. auch mit den diversen Livius-Belegen für die nicht ganz konfliktfreie Umsetzung der Regelung in die Praxis, die eben gerade zeigen, dass es den Patriziern trotz der formellen Zulassung der Plebejer immer wieder gelang, beide Konsulstellen zu besetzen, dass also eine entsprechende negative Privilegierung zwingend war, um einen stabilen Ausgleich zu erzielen. Die Überlieferung zum römischen ‚Ständekampf ‘ ist allerdings alles andere als einfach und (in dieser Hinsicht in der Tat analog zu den athenischen Eupatriden) Gegenstand vieler antiker und moderner Projektionen, s. dazu Walter (2017). Simmel (1908) 735. Konkret bezieht sich Simmel (ebd. 734 f.) auf den Adel im Florenz des 14. Jhs. und auf den politisch (nicht aber sozial) entmachteten Adel des Schweizer Kantons Thurgau im 18. Jh., dem das Bekleiden öffentlicher Ämter verboten wurde. Weber (2000) 59. Zum Ausschluss der ‚Magnaten‘ vom politischen Regiment 1293 in Florenz s. Najemy (2006) spez. 83–83. Anders als noch Weber betont Najemy die eher fluide Zusammensetzung dieser Gruppe, die nebst ritterständischen Familien auch eher neue Familien der kommerziellen Elite umfassen konnten, und wehrt sich entsprechend gegen eine zu einfache Dichotomie von altem Feudaladel und einer neuen „capitalist elite“; Ziel des Ausschlusses der Magnaten war seiner Interpretation nach ein doppeltes: einerseits „to cut the vertical links of patronage and clientage that drew non-elite into elite factions“ (ebd. 85) und andererseits „to split the elite between magnates and non-magnates“ (ebd. 86). Dabei ist die rechtliche Diskriminierung zwingend notwendig, um die angestrebte Kontrolle gewährleisten zu können, und gerade in Anbetracht des von Najemy hervorgehobenen heterogenen Charakters der Magnaten, kann man (tendenziell noch deutlicher als Simmel dies tat) argumentieren, dass hier erst die negative Privilegierung die Gruppe als solche definierte.

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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wendig ist, wenn nicht ein Austausch der Herrschenden, sondern ein Ausgleich und eine Integration neuer Leute angestrebt wird.15 Dahinter steht eine zentrale Einsicht in die Logik vormoderner Gesellschaften, die Simmel sehr treffend erfasst hat: Durch ihre höhere Bekanntheit, ihre gewachsenen Beziehungsnetze und ihren Vorschuss an ‚symbolischem Kapital‘ haben Adlige immer einen Vorteil gegenüber neureichen Aufsteigern – nicht zuletzt bei den ‚kleinen Leuten‘, die sich eher an etablierten Rangverhältnissen orientieren, als Parvenüs aus dem eigenen Stand zu unterstützen. Allein mit dem Abschaffen von Standesschranken ist daher meist noch nicht viel gewonnen und ein echter Ausgleich nicht möglich, solange diese Maßnahme nicht durch eine rechtliche Diskriminierung des alten Adels ergänzt wird, eben als „Gegengewicht gegen soziale Prärogative.“ Dies gilt auch dann, wenn es sich – wie dies für die Eupatriden zum Teil propagiert wird – nicht um einen rechtlich verfassten Adelsstand handelt, sondern um eine informelle Gruppe angesehener Familien, die zwar nicht de iure, wohl aber de facto mittels Beziehungen, Sozialprestige oder auch roher Gewalt den Zugang zu Ämtern monopolisiert.16 In diesem Fall wäre es erst recht notwendig, wenn man das Monopol auf politische Ämter aufbrechen wollte, diese de facto herrschende Gruppe rechtlich zu definieren, um dann mit rechtlichen Mitteln die Möglichkeit dieser Gruppe, Ämter zu bekleiden, zu limitieren, um Aufsteigern den Zugang zu garantieren. Das Fehlen einer solchen negativen Privilegierung in der Überlieferung zu den solonischen Gesetzen ist daher für die These eines grundsätzlichen Systemwechsels unter Solon – ein Ersetzen von ‚Geburt‘ durch ‚Reichtum‘ – sehr viel gravierender, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: Wenn Wade-Gerys Modell stimmen würde, dann müsste es ein entsprechendes Gesetz gegeben haben, das den Zugang der Eupatriden zum Archontat begrenzte. Dass der Autor der Athenaion politeia ein solches Gesetz, das doch für die nur schemenhaft fassbaren Reformen Solons zentral gewesen wäre, nicht erwähnt – ja überhaupt nichts davon zu wissen scheint –, wiegt schwer.17 15

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So es denn einen römischen ‚Ständekampf ‘ mit einem ‚Ausgleich‘ gab: In der Forschung gibt es auch die These, dass es sich nicht um einen Ständekampf, sondern um eine von Konflikten begleitete Ausdifferenzierung einer adligen Oberschicht aus einer ursprünglich relativ homogenen Einwohnerschaft gehandelt haben könnte; vgl. dazu Walter (2017) 174 f. So etwa Chambers (1990) 195: „Sie waren eine informelle ‚Aristokratie‘, jedoch ohne irgendeinen rechtlichen Unterschied, wie es ihn bei den römischen Patriziern gab.“ Das entspricht letztlich dem sehr breiten Standesbegriff, wie ihn Weber (1972) 179 f. definierte. Dieser weitgefasste Begriff, der in der Minimaldefinition lediglich besagt, dass Reichtum allein eben nicht automatisch ein Obensein garantierte, sondern Prestige und Lebensführung mit eine Rolle spielten, ist selbstverständlich für das archaische Athen genauso zutreffend wie für das klassische – die geringe Geschlossenheit und die konkurrierenden Prestigevorstellungen sprechen jedoch gegen eine Ausbildung stabiler ‚ständischer Sondermonopole‘ (s. o. Kap. 5 und 6), und das ist der eigentlich entscheidende Punkt; v. a. wären solche informellen Monopole nicht mit rein rechtlichen Maßnahmen zu beseitigen gewesen, ohne den informellen Stand formell zu definieren (s. u.). Das einzig mögliche Indiz für eine negative Privilegierung von ‚Eupatriden‘ stammt aus einer byzantinischen Quelle aus dem 6. oder 7. Jh. n. Chr., die aber einen Attidographen aus dem 2. Jh.

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7. Athen in archaischer Zeit

Doch nicht nur Solon und seine Gesetze wissen nichts von den Eupatriden, auch die Athenaion politeia und Plutarch wissen nichts davon, dass Solon die Privilegien eines Eupatriden-Adels abgeschafft haben soll. Zwar kennen beide Autoren eine exklusive Kaste von Eupatriden in Athen, doch diese ist mit Theseus und der mythischen Vorzeit verbunden, nicht aber mit dem großen Gesetzgeber.18 In Solon den revolutionären Reformer zu sehen, der eine alte Ständeordnung aufbrach und durch eine neue Zensusordnung ersetzte, ist eine auf Plausibilitätsüberlegungen fußende Hypothese der modernen Forschung, die, trotz gegenteiliger Behauptungen,19 durch keine antike Quelle gedeckt wird. Im Gegenteil, die Athenaion politeia hält explizit fest, dass

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v. Chr. zitiert, nämlich Philochoros FGrH 328 F 20b (= Maxim. (Conf.) Schol. Dionys. Areop. Patrol. 4, p. 16): ὔστερον δὲ πλειόνων γέγονεν ἡ ἐξ ᾽Αρείου πάγου βουλή, τουτέστιν ἡ ἐξ ἀνδρῶν περιφανεστέρων πεντήκοντα καὶ ἑνός, πλὴν ἐξ εὐπατριδῶν, ὡς ἔφημεν, καὶ πλούτωι καὶ βίωι σωφρονι διαφερόντων ὡς ἱστορεῖ Φιλόχορος διὰ τῆς τρίτης τῶν αὐτοῦ ᾽Ατθίδων. Die Passage ist nicht ohne Probleme, denn die Zahl 51 legt nahe, dass es sich entgegen dem Wortlaut nicht um den Areopag, sondern um die aus dem drakontischen Gesetz (IG I3 104, dazu o. S. 237 mit Anm. 62 und u. S. 295) bekannten 51 Epheten handelt; Hammond (1961) 70 f. und ihm folgend Figueira (1984) 458 haben dies dahingehend übersetzt, dass πλὴν ἐξ εὐπατριδῶν ein Ausschluss der Eupatriden von den 51 meine, was sie so auslegen, dass Areopagiten mit priesterlichen Funktionen – was die Formel ex eupatridon in hellenistischer Zeit zu suggerieren scheint (s. u.) – aus sakralen Überlegungen von der Blutgerichtsbarkeit ausgenommen gewesen seien. Der Befund wäre (wenn auch erst für nachklassische Zeit aussagekräftig) durchaus interessant, ist aber philologisch nicht haltbar: Wie Pierrot (2015) 150–152 überzeugend dargelegt hat, kann πλὴν hier nicht „außer“ bedeuten, sondern konform mit dem Wortgebrauch der frühbyzantischen Zeit „aber“; gemeint ist also keine Exklusion aus dem Areopag bzw. dem Gremium der Epheten im Sinne von „außer den Eupatriden“, sondern im Gegenteil eine Betonung der Exklusivität („aber aus Eupatriden bestehend“), was auch im weiteren Kontext der Scholien [von mir nicht überprüft] die einzig sinnvolle Übersetzung sei. Pierrot sieht hierin ein Argument für eine frühe Eupatriden-Herrschaft, doch letztlich formuliert die Passage nur eine Banalität: Philarchos (so es denn sein Wortlaut ist) sieht in den Eupatriden keine rechtlich umrissene Gruppe, sondern spezifiziert, dass sich die ‚Eupatriden‘ durch Abstammung, Reichtum und einen bestimmten Lebensstil auszeichneten (analog beschreibt Maximus confessor bzw. Johannes Scythopolita kurz vor diesem Verweis die Eupatriden als πρωτεύοντες ἔν τε γένει καὶ πλούτῳ καὶ χρηστῷ, also die Ersten in Bezug auf Abstammung, Reichtum und ehrbaren Lebenswandel), daraus lässt sich aber nicht ablesen, dass ‚Eupatriden‘ ein harter, auf Geburt abzielender, ständischer Begriff war, sondern lediglich dass Philarchos bzw. die byzantinische Quelle darin eine schwammige Gruppenbezeichnung für Personen sah, die verschiedene ‚adelnde‘ Qualitäten auf sich vereinten (und so gesehen, bestand auch im demokratischen Athen der Areopag aus ‚Eupatriden‘) – eine tatsächliche negative Privilegierung von nicht weiter spezifizierten Eupatriden wäre Pierrots Argument sehr viel dienlicher gewesen. Vgl. [Aristot.] Ath. pol. F 2 (Chambers) = Aristot. F 385 (Rose) (= Lex. Demosth. Patm. s. v. γεννῆται & Schol. Plat. Axioch. 371d); Ath. pol. F 3 (Chambers) = Aristot. F 384 (Rose) (= Plut. Thes. 25,1–3). Die Behauptung findet sich selbst in spezialisierter Fachliteratur zum Thema. So ist es erstaunlich, dass der ansonsten sehr fundiert (wenn auch in allen Punkten der hier vorgetragenen Sichtweise entgegengestellt) argumentierende Aufsatz von Pierrot (2015) 161 allen Ernstes (und natürlich ohne Quellenbeleg) behaupten kann: „Aristotle consulted at least some of the Solonian laws – maybe also some ‚Draconian‘ laws – and his historical account assigns the destruction of the Eupatrid oligarchy to Solon.“ Die Fixierung auf Solon scheint erst mit Wade-Gery (1931) ihren kanonischen Charakter in der Forschung zu gewinnen – wie oben erwähnt, sah Oehler (1907) 1164 noch Drakon als Urheber der Reform.

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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Solon die Bevölkerung in vier Zensusklassen eingeteilt habe, „so wie sie schon vorher eingeteilt waren“ (καθάπερ διῄρητο καὶ πρότερον).20 Es ist nicht einmal sicher, ob die solonischen Gesetze die Zensusklassen überhaupt erwähnten.21 Vom Ergebnis her betrachtet ist jedoch klar, dass die Zensusklassen (die ich in ihrer agrarischen Logik nicht nur für archaisch, sondern mit der Athenaion politeia auch für vorsolonisch halte) im Zuge der Archaik zur zentralen Leitdifferenz wurden, über die Leistungen für die Gemeinde, aber auch der Zugang zu Ämtern und Ehrenstellen geregelt wurden. Das ist wichtig, denn dadurch wurde ökonomische Potenz (und nicht etwa ‚Ehre‘) als entscheidendes Distinktionsmerkmal institutionalisiert. Doch weder ist eine Verbindung mit Solon durch die Quellen zu verifizieren, noch deutet irgendetwas darauf hin, dass es sich hierbei um einen grundlegenden ‚Systemwechsel‘ gehandelt habe – viel eher ist anzunehmen, dass damit jenes Kriterium sozialer Distinktion herausgegriffen und institutionalisiert wurde, das als kleinster gemeinsamer Nenner fungierte und sich aus rein praktischen Gründen aufdrängte. Die dahinterstehende Logik ist jene einer agrarisch verfassten Gemeinschaft, wie sie bei Hesiod begegnet und wie sie auch die Sozialstruktur des frühen Athens geprägt haben dürfte.22 Dass Reichtum an Getreide schon früh ein Distinktionsmerkmal gewesen sein dürfte, zeigen denn auch eine Reihe geometrischer Keramikgefäße, die gemeinhin als Kornspeichermodelle gedeutet werden – viele davon aus einem Grabkontext.23 Besonders hervorzuheben ist das aus dem neunten Jahrhundert stammende Grab der sogenannten ‚rich lady‘, in welchem eine Pyxis in Form eines Kornspeichers mit fünf Kuppeln gefunden wurde (Abb. 5).24 Die Ausgräberin Evelyn Smithson glaubte, daraus den Schluss ziehen zu können, dass es sich bei der Bestatteten wohl um die Tochter eines pentakosiomedimnos gehandelt haben müsse.25 An dieser Interpretation 20 21

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[Aristot.] Ath. pol. 7,3. Einzig das bei Lex ap. Demosth. or. 34,54 überlieferte Gesetz zur Ausstattung von Erbtöchtern nennt die Zensusklassen, doch Solon wird dort nicht genannt, weshalb Ruschenbusch das Gesetz auch nicht in seine Sammlung aufgenommen hat, Leão & Rhodes führen es jedoch als F 51/1. Dass Solon den Zugang zu Ämtern über die bereits bestehenden(!) Zensusklassen geregelt habe, findet sich erst in späten Quellen und dies ohne Verweise auf konkrete Gesetze ([Aristot.] Ath. pol. 7,3 f.; vgl. Plut. Sol. 18,1–2; Aristot. Pol. 2,1274a 15–21) – auch diese Stellen fehlen folglich bei Ruschenbusch, finden sich aber bei Leão & Rhodes als F 74/1a–c. S. o. Kap. 2. Bekannt sind 34 solche Modelle mit einer Konzentration auf Attika, aber auch mit einzelnen Exemplaren aus Korinth, Achaia und ev. Boiotien, s. den Katalog bei Papadopoulos & Smithson (2017) 859 f. Die Deutung als Kornspeichermodelle wurde erstmals von Smithson (1968) propagiert und stieß nicht nur auf Zustimmung, doch die Alternativen (z. B. Bienenstöcke) überzeugen nicht; für eine ausführliche Besprechung und eine erneute Untermauerung der Deutung als Kornspeicher s. Papadopoulos & Smithson (2017) 851–858. Smithson (1968) spez. 93–97 mit Tafel 24 und 25 zur Pyxis. Zum Grab in neuerer Zeit auch Coldstream (1995). Morris & Papadopoulos (2004) 226–232 haben zudem auf ägyptische Parallelen hingewiesen, die ähnliche Kornspeicher-Modelle zeigen – die Pyxis könnte also nebst Reichtum an Getreide auch eine Reminiszenz an Orientalia aus benachbarten Hochkulturen beinhalten. Smithson (1968) 83; 96. Vgl. Coldstream (1995) 395.

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7. Athen in archaischer Zeit

Abb. 5 Pyxis in Form eines Kornspeichers mit fünf Kuppeln (Vorderseite) aus dem Grab der ‚Rich Lady‘ von der Athener Agora um 850 (Umzeichnung von W. B. Dinsmoor, Jr.), aus: Smithson (1968) Taf. 27 (Ausschnitt).

mag man mit Recht zweifeln. Bemerkenswert ist jedoch, dass Smithson trotzdem am Modell eines grundlegenden Systemwechsels festhielt, bei dem Geburt als adelndes Kriterium durch Reichtum ersetzt worden sei, diesen Wechsel nun aber in die ‚Dark Ages‘ datierte, da die Pyxis nahelege, „that property qualifications may already have modified the definition of an aristocracy based solely on birth.“26 Doch auch wenn man die Pyxis sicher nicht als Evidenz für die Existenz von pentakosiomedimnoi im neunten Jahrhundert heranziehen kann, so macht der Befund – wenn denn die Interpretation als Kornspeicher stimmt – doch deutlich, dass Reichtum an Getreide auch lange vor Solon eine Quelle von Prestige darstellen konnte. Vor allem aber zeigt Smithsons ‚historische‘ Deutung, dass es theoretisch ohne Probleme möglich ist, den angeblichen ‚Systemwechsel‘ unter Solon rund 250 Jahre vor Solon anzusetzen. Ein argumentum e silentio mag „very dangerous“ sein, doch an einem in keiner Quelle erwähnten ‚Systemwechsel‘ festzuhalten, der willkürlich ins sechste oder ins neunte Jahrhundert datiert werden kann, ist grobfahrlässig. Der einzig naheliegende Schluss ist, dass es den angeblichen ‚Systemwechsel‘ von Geburt zu Reichtum, weder unter Solon noch davor in der Form gegeben hat. Wenn man die Quellen in strikt chronologischer Reihenfolge betrachtet, so drängt sich ein ganz anderes Bild auf. Der erste zeitgenössische Beleg für ‚Eupatriden‘ ist eine Grabinschrift auf Eretria, die wohl in das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts datiert. Die Inschrift lautet: „Chairion der Athener von den Eupatriden liegt hier.“27 Der Schluss, dass es sich bei Chairion um ein Mitglied des alten athenischen Eupatridenadels handelt, ist nur dann naheliegend, wenn man die Existenz eines solchen vorsolonischen Adels als gegeben voraussetzt. Eine unvoreingenommene Betrachtung der archaischen Evidenz muss dagegen stutzig machen. Denn Chairion ist kein Unbekannter:

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Smithson (1968) 83. IG I3 1516 = XII 9,296: Χαιρίον | Ἀθεναῖος | εὐπατριδoν` | ἐνθάδε κεῖ|τα.

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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Er hatte in Athen das Amt eines tamias, eines Schatzmeisters, bekleidet und in dieser Funktion Mitte des sechsten Jahrhunderts einen Altar auf der Akropolis geweiht – sowohl das Amt wie das Patronym werden in der Weihinschrift erwähnt, nicht aber die Zugehörigkeit zu den Eupatriden.28 Auf der Akropolis findet sich dann rund eine Generation später eine Inschrift auf einer als Statuenbasis dienenden Marmorsäule, die möglicherweise eine Statue von Chairion in seiner Funktion als tamias trug und die von seinem Sohn Alkimachos gestiftet wurde; dieser preist zwar seinen edlen (ἐσθλός) Vater, nicht aber dessen Zugehörigkeit zu den Eupatriden.29 Auch die Grabinschrift von Alkimachos selbst, die auf dem Kerameikos gefunden wurde, erwähnt zwar den Ruhm, die Besonnenheit und die Tugend des Grabherrn, nicht aber seine Zugehörigkeit zu den Eupatriden.30 Chairion und sein Sohn sind also mit mehreren Monumenten im spätarchaischen Athen präsent und zumindest Chairion muss als tamias zur höchsten Zensusklasse gehört haben. Chairion war also kein verlumpter Aristokrat, der nur noch seine Abstammung von einer (glaubt man dem Wade-Gery’schen Narrativ) längst abgeschafften Adelskaste vorzuweisen hatte. Umso rätselhafter ist es, dass der Verweis auf eine Herkunft von ‚Eupatriden‘ als vermeintliches „political manifesto of an ancien régime family“31 nicht in Athen erfolgte, sondern auf Euböa, wo die Erinnerung an ein wie auch immer geartetes vorsolonisches „ancien régime“ nicht nur keine politische Relevanz besaß, sondern mangels lokaler Tradition auch weitgehend unbekannt gewesen sein dürfte. Es empfiehlt sich daher, die Interpretation der Inschrift ganz anders anzugehen und den Fokus auf den ungewöhnlichen Umstand zu legen, dass Chairion in der Fremde starb und dort begraben wurde. Die Inschrift trägt dem Rechnung und signalisiert deutlich, dass Chairion sich als Fremder in der Fremde sieht, indem sie ihn explizit als Athener bezeichnet, was in Athen selbst so unüblich wäre. Der nachgeschobene Zusatz εὐπατριδον' , so möchte ich behaupten, entsprang derselben Logik. Denn die nächste Parallele zum ‚Eupatriden‘ Chairion auf Euböa ist der ‚Kakopatride‘ Pittakos auf Lesbos. In den Fragmenten des Dichters Alkaios wird Pittakos nicht nur als Tyrann,

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IG I3 590 = DAA 330: [– – – – ca. 13 – – – – ἀνέθ]εκεν ⁝ Ἀθεναίαι ⁝ Χα[ι]ρίον ⁝ | ταμιεύον ⁝ Κλεδί ϙ¢ [ο hυιός]. Raubitschek datiert die Inschrift in die Mitte des 6. Jhs., die IG favorisieren ein etwas früheres Datum. Zur Familie Chairions s. Davies (1971) 12–14 sowie Duplouy (2003) 11 f. und Pierrot (2015) 154 f. IG I3 618 = DAA 6: Ἀλκίμαχός μ’ ἀνέ{σ}θεκε Διὸς κόρει τόδ’ ἄγαλμα | εὐ|χολέν, ἐσθλo` δὲ πατρὸς hῦς Χαιρίονος ἐπεύχεται | να[ι]. Raubitschek vermutet, dass die Säule eine Statue trug, die Chairion als timai darstellte, und schlägt vor, eine gemeinhin als ‚Schreiber‘ gedeutete spätarchaische Sitzstatuette (Akropolis Museum Inv. 629) mit dem Monument zu kombinieren. IG I3 1234: [Ἀ]λκίμαχ’, εὔδοχσόν σε χ[υτὲ κ]|ατὰ γαῖ’ ἐκάλυφσεν ⁝ σόφρ[ονα κ]|αὶ πινυτόν, πᾶσαν hέχον|τ’ ἀρετέν. Davies (1971) 11.

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7. Athen in archaischer Zeit

sondern mehrfach auch als kakopatris beschimpft.32 Die Bezeichnung gehört zu einer ganzen Reihe von Schimpfwörtern, mit denen Alkaios seinen Kontrahenten überhäufte,33 lässt sich aber mit den weiteren Details, die über Pittakos bekannt sind, in Verbindung bringen. Denn bei Duris von Samos und in der Suda findet sich die Angabe, dass Pittakos’ Vater Thraker gewesen sei, und es ist anzunehmen, dass diese Tradition auf Alkaios’ Gedichte zurückgeht.34 In der Tat finden sich in den Fragmenten Hinweise auf die ‚fremden‘ (Trink-)Sitten von Pittakos beziehungsweise dessen Vater35 und auf den Umstand, dass Pittakos in die angesehene lesbische Familie der Penthiliden eingeheiratet habe.36 Die Bezeichnung kakopatris spielt daher wohl weniger auf eine schlechte soziale Abkunft, als vielmehr auf eine schlechte Herkunft im geographischen Sinn, nämlich den thrakischen Vater, an. Die doppelte Bedeutung des Wortes patris, das sich sowohl auf die Väter als auch auf das Vaterland beziehen kann, stärkt diese Interpretation. So argumentierte denn auch Justus Cobet mit Nachdruck dafür, kakopatris nicht als „von schlechten Eltern“, sondern als „vaterlandslosen Gesellen“ zu übersetzen.37 Gut denkbar, dass die Heiratsverbindung zu den Penthiliden, die Alkaios mehrfach polemisch aufgreift, als matrilokale Ehe dem ‚vaterlandslosen Gesellen‘ überhaupt erst den Weg in die politische Gemeinde von Mytilene geöffnet hatte. Die Dichtung Alkaios’ wäre somit ein Indiz für eine Verfestigung der Zentrum-Peripherie-Differenzierung (zumindest als normatives Postulat in der Stasis-Gruppe des Dichters), bei der sich die politische Gemeinde gegen außen abgrenzt und ein Überwinden der Differenz – etwa durch überlokale Heiraten – als problematisch angesehen wird.38 Der ‚vaterlandslose Geselle‘ Pittakos und der fern vom Vaterland gestorbene Athener Chairion sollten als analoge Phänomene betrachtet werden. Dann erscheint es naheliegend, dass Chairion als Fremder in der Fremde, dem Vorwurf kakopatris zu sein, offensiv begegnete, indem er nicht nur angab, ein Athener zu sein, sondern ein

32 33 34 35 36 37 38

Alkaios F 348 L-P (= 87 D = Aristot. Pol. 3,1285a 35–1285b 1). Vgl. Alkaios F 67 L-P (= 26 D = P. Oxy. 1360 fr. 1,9–13); F 75 L-P (= 48 D = P. Oxy. 1234 fr. 6) sowie ev. F 106 L-P (= P. Oxy. 2166(c) 50), wo möglicherweise [… κακο]πατρίδα[…] ergänzt werden kann. Eine Auflistung (freilich ohne den Terminus κακόπατρις) bietet Diog. Laert. 1,81 (= Alkaios F 429 L-P). Duris von Samos FGrH 76 F 75 (= Diog. Laert. 1,74); Suda s. v. Πιττακός (π 1659 Adler). Cobet (2000) 1054 verweist ferner darauf, dass der Name Pittakos bei Thuk. 4,107,3 für einen basileus der thrakischen Edoner verbürgt ist. Alkaios F 72 L-P (= 45 D = P. Oxy. 1234 fr. 2 ii). Alkaios F 70 L-P (= 43 D = P. Oxy. 1234 fr. 2 i 1–13); F 75 L-P (= 48 D = P. Oxy. 1234 fr. 6). Vgl. Diog. Laert. 1,81. Cobet (2000) 1055. Vor diesem Hintergrund ist nicht uninteressant, dass die einzig andere Erwähnung von κακόπατρις bei Thgn. 1,193 sich ebenfalls auf eine Heirat bezieht: Der Dichter klagt, dass ein Mann, vom Reichtum verführt, wissentlich eine κακόπατρις heirate – gängigerweise wird diese Passage als Indiz für die soziale Mobilität neureicher Parvenüs gedeutet, eine geographische Mobilität würde jedoch genauso Sinn ergeben.

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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Athenaios eupatridon. Die Doppelbedeutung von patris dürfte dabei sehr wohl beabsichtigt gewesen sein: Chairion kam aus einem guten Vaterland und stammte von guten Vätern ab. Dementsprechend fehlt auch das Patronym, das auf der Weihinschrift in Athen noch vermerkt war: Es ist davon auszugehen, dass bereits Chairions Vater ein vermögender Mann gewesen war und wohl auch Ämter bekleidet hatte; im athenischen Kontext dürfte sein Name daher nicht unbekannt und die in der Inschrift manifestierte Genealogie entsprechend sozial bedeutsam gewesen sein. Dass ein vor Jahren verstorbener Honoratiore aus Athen dagegen in Euböa allgemein bekannt war, darf bezweifelt werden. Der Verzicht auf das Patronym und der pauschale Verweis auf gute Väter in Chairions Grabinschrift ist daher nur folgerichtig. Die zeitlich nächste Erwähnung von ‚Eupatriden‘ ist ein in der Athenaion politeia überliefertes Skolion, das an die Exilanten erinnerte, die in den 510er Jahren unter der Führung der Alkmeoniden versuchten, gewaltsam nach Athen zurückzukehren und die Peisistratiden zu vertreiben. An deren Niederlage bei Leipsydrion erinnert das entsprechende Skolion, das im Wortlaut zitiert wird: Weh, Leipsydrion, Verräter der Gefährten, was für Männer hast du vernichtet, im Kämpfen gut und Eupatriden, die damals zeigten, von welchen Vätern sie waren.39

Der Umstand, dass es sich um Exilanten handelt, verbindet das Skolion in auffallender Weise mit den zuvor betrachteten Quellen: Es wird offensiv betont, dass es eben nicht ‚vaterlandslose Gesellen‘ – heimatlose Söldner und Abenteurer – waren, sondern athenische Patrioten und, wie die vierte Zeile unmissverständlich deutlich macht, Söhne von guten Vätern. Die Bezeichnung eupatrides an genau dieser Stelle macht vor dem Hintergrund des archaischen Wortgebrauchs daher bestens Sinn und wenig deutet darauf hin, dass es sich um eine in diesem Kontext keineswegs naheliegende Erinnerung an eine wie auch immer geartete vorsolonische Adelskaste handelt.40 Die hier vorgestellten Überlegungen zum ‚double-entendre‘ mit pater und patris bauen stark auf einem Aufsatz von Alain Duplouy auf. Duplouy interpretierte den Befund freilich etwas anders und sah in den ‚Eupatriden‘ gute Patrioten, die das Vaterland gegen die Tyrannis verteidigen und plädierte dafür, im archaischen Terminus

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[Aristot.] Ath. pol. 19,3 (eigene Übers.): αἰαῖ Λειψύδριον προδωσέταιρον, / οἵους ἄνδρας ἀπώλεσας, μάχεσθαι / ἀγαθούς τε καὶ εὐπατρίδας, / οἳ τότ’ ἔδειξαν οἵων πατέρων ἔσαν. Dass man hier die vorsolonischen Eupatriden nicht erwarten würde, ist für deren ‚Anhänger‘ denn auch ein Problem: Selbst Wade-Gery (1931) 80 glaubte nicht an eine Kontinuität der vorsolonischen Eupatriden zu den Exilanten im Skolion, sondern meint, dass diese den altehrwürdigen Namen usurpiert hätten: „Sic transit gloria mundi. […] One house of tarnished nobility, the accursed Alkmeonid, had turned renegade and led the opposition. Now the proud name is used by the men under his standard.“

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7. Athen in archaischer Zeit

eine dezidiert antityrannische Stoßrichtung zu sehen.41 Dies träfe in der Tat sowohl für die gegen die Tyrannis kämpfenden Eupatriden im Skolion der Athenaion politeia wie auch für Pittakos zu, der eben gerade deshalb ein Kakopatride wäre, weil er als Tyrann schlecht für das Vaterland ist. Spekulativer wird es dagegen bei Chairion, der als Patriot gedeutet wird, der vom Tyrannen Peisistratos verbannt worden sei. Das ist zwar möglich, aber keineswegs zwingend.42 Gegen die These, dass ‚Eupatriden‘ ein Terminus für antityrannische Stasis-Gruppen sei, spricht jedoch vor allem der spätere Wortgebrauch. Denn im fünften Jahrhundert taucht der Begriff mehrfach auf, freilich völlig untechnisch: Weder bezeichnet er eine Opposition gegen Tyrannen noch eine alte Adelsschicht, sondern scheint schlicht das zu bedeuten, was griechisch dasteht: ‚Von guten Vätern‘. Sowohl Sophokles als auch Euripides benutzen den Terminus als Adjektiv in ihren Tragödien: Admetos, Theseus, Orest, Elektra, Kreusa (die Tochter des Erechtheus), Agamemnon und Thetis werden so bezeichnet.43 Ein etwas exotischer Beleg aus dem fünften Jahrhundert sei hier ebenfalls erwähnt: Ein Fragment des lydischen Historikers Xanthos berichtet von einer Stadt in Lydien Namens Eupatria, deren Bewohner Εὐπατρίδαι und nicht etwa Εὐπατρεῖς genannt würden.44 Besonders bemerkenswert ist ein Ostrakon, das mit Λιμὸς Εὐπ{ρ}ατρί|δες beschriftet ist.45 Das Ostrakon ist Teil einer Serie von sieben Ostraka, die Limos erwähnen und durch die Fundumstände mit ziemlicher Sicherheit ins Jahr 471 datiert werden können.46 Allerdings ist, wie Stefan Brenne betont, Limos als Eigenname sonst nicht nachzuweisen, vielmehr dürfte die wörtliche Bedeutung ‚Hunger‘ gemeint sein: Der Hunger soll aus Athen verbannt werden. Dass sich immerhin sieben derartige Ostraka finden, deutet auf eine orchestrierte Protestaktion hin,47 deren Hintergründe jedoch nicht mehr zu rekonstruieren sind48 – ein Zusammenhang mit Lebensmittelknappheit 41 42

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47 48

Duplouy (2003). Die These, dass der Begriff ursprünglich primär „anti-tyrannical“ war, findet sich bereits bei Figueira (1984) 454 f.; vgl. dazu kritisch Pierrot (2015) 155 f. Dass Chairions Sohn ihn unter den Tyrannen mit einer Statue an prominenter Stelle ehren konnte, und der Umstand, dass Euböa auch der Ort war, an dem der spätere Tyrann Peisistratos im Exil gewesen sein soll, sprechen eher dagegen (auch wenn sich daraus kein belastbares Argument gewinnen lässt). Eur. Alc. 920 (Admetos); Hipp. 152; 1283 (Theseus); Soph. El. 162; 859 (Orest); El. 1081 (Elektra); Ion 1073 (Kreusa); Iph. A. 177 (Agamemnon); Iph. A. 1077 (Thetis). Xanthos der Lyder FGrH 765 F 7 (= Steph. Byz. s. v. Εὐπάτρια). Brenne (2002) 97 (T1/75) = Brenne (2018) Nr. 1781. Vgl. Pierrot (2015) 159 f. Brenne (2018) Nr. 1781–1787, vgl. Brenne (2002) 97–100 (T1/75–81) und Brenne (2001) 214–216 (Nr. 158). Zum „Großen Kerameikosfund“ s. zusammenfassend Brenne (2001) 31–33 sowie 37–39 zur Datierung ins Jahr 471 (unter der plausiblen Voraussetzung, dass der gesamte Befund aus einer einzigen Ostrakophorie stammt). Wenn man den lückenhaften Befund, der nur einen Bruchteil der tatsächlich abgegebenen Ostraka umfasst, in Rechnung stellt, so sind sieben Ostraka (offenbar auch nicht von einer Hand geschrieben) eine nicht unbeachtliche Menge. Brenne (2002) 99 f. zieht auch zumindest einen assoziativen Bezug zu religiösen Ritualen, die den Hunger verbannen, in Erwägung, was die Deutung, dass damit von einer größeren Gruppe auf ein soziales Problem aufmerksam gemacht wurde, aber nicht ausschließt.

7.1 Der Mythos der Eupatriden

287

liegt jedoch auf der Hand. Dass eines dieser sieben Ostraka den Hunger noch als eupatridischen Hunger spezifiziert, legt nahe, dass die auf großem Fuß lebenden ‚Vornehmen‘ für den Hunger und die Versorgungsengpässe verantwortlich gemacht wurden.49 Freilich ist auch ein simpler Scherz nicht gänzlich auszuschließen: Den ‚hochwohlgeborenen Herrn Hunger‘ zu ostrakisieren, ist schließlich nicht ganz ohne Witz. Antoine Pierrot hat die Bedeutung dieses Fundes sehr stark gemacht und darin einen Beleg gesehen, „that the Eupatrids existed as a definite group, easy to identify, as early as the early fifth century, and, even more importantly, that this group was identified as such by the whole society, including the demos.“50 Dass der Begriff ‚Eupatriden‘ jenseits der Tragödie als sozialer Terminus gebräuchlich war, lässt sich in der Tat aus dem Ostrakon ableiten, wobei aber völlig offen bleibt, wie präzise oder vage diese Terminologie gehandhabt wurde. Dass Pierrot daraus auf die Existenz eines ständisch verfassten vorsolonischen Adels rückschließt, ist dagegen wenig plausibel:51 Die Existenz einer vornehmen Oberschicht im fünften Jahrhundert, die als Eupatriden bezeichnet werden konnte, sagt nichts aus über die Zustände 150 Jahre früher – im Gegenteil würde man (wie Pierrot dies an anderer Stelle auch tut) vermuten, dass die Unterscheidung zwischen Eupatriden und neuen Oberschichtsangehörigen mit der Zeit hätte hinfällig werden müssen (vor allem wenn eine negative Privilegierung fehlt, die wie in Rom die Erinnerung an die alten Zustände wachgehalten hätte).52 Das Ostrakon scheint mir vielmehr neben der Tragödie ein weiteres Indiz dafür zu sein, dass die Bezeichnung eupatrides im fünften Jahrhundert in einem sehr allgemeinen Sinn vornehme Abkunft bezeichnete und daher ohne Unterschied für die mythologische Figur der Elektra verwendet werden konnte oder aber für die vornehmen Verschwender, denen der Hunger von 471 angelastet wurde. Bei den Befunden ist zudem auffällig, dass die Bedeutung ‚aus gutem Vaterland‘, die für die ortsfremden Eupatriden des sechsten Jahrhunderts als Gegenbegriff zu den ‚vaterlandslosen‘ Kakopatriden noch plausibel postuliert werden kann, im fünften Jahrhundert keine Rolle mehr zu spielen scheint. Die Abstammung ‚von guten Vätern‘ ist nun klar die primäre Bedeutung. Das passt in

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Das Ostrakon wäre damit eines aus einer ganzen Reihe, die die vornehme Lebensführung der Elite mit kritischen Kommentaren bedenken, s. dazu (in Anschluss an die Auswertungen Brennes) Mann (2007) 69–71. Pierrot (2015) 160. Ebd. Auf Seite 156 ging Pierrot (2015) denn auch noch von einer Diskontinuität in der Bezeichnung der athenischen Oberschicht aus und erklärte in Hinblick auf den ‚Eupatriden‘ Chairion und seinen nicht als Eupatriden bezeichneten Sohn: „Chairion still prided himself on Eupatrid status because he lived at a time when they were indeed the ruling class, while a generation later, after such privileges had been destroyed by Solon, his son did not call himself ‚eupatrid‘, but merely ‚the son of the noble Chairion‘.“ Dass dann ein bis zwei Generationen (bzw. 4 Seiten) später ‚Eupatriden‘ wieder eine allgemein anerkannte Bezeichnung für die athenische Oberschicht sei und daher die Existenz eines ständischen Adels in vorsolonischer Zeit bezeuge, lässt sich mit dieser zuvor propagierten Diskontinuität nur schwer vereinbaren.

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7. Athen in archaischer Zeit

den größeren Trend, den Walter Donlan hervorgehoben hat, wonach eugeneia im Verlauf der Archaik und dann vor allem im Athen des fünften Jahrhunderts als ideologisches Konzept zur Propagierung sozialer und moralischer Überlegenheit zunehmend an Bedeutung gewinnt.53 Zu Beginn des vierten Jahrhunderts begegnen die Eupatriden dann in einem hochpolitischen Kontext: 396/5 musste sich der Sohn des großen Alkibiades vor Gericht verantworten. Die Verteidigungsrede aus der Feder des Isokrates ist zu großen Teilen erhalten. Darin argumentiert der Angeklagte unter anderem mit seiner edlen Abstammung und erklärt: Mein Vater stammte nämlich väterlicherseits von den Eupatriden ab, deren Herkunft ja schon leicht an eben dieser Bezeichnung zu erkennen ist, mütterlicherseits von den Alkmeoniden, die ein sehr großes Andenken an ihren Reichtum hinterließen […].54

Die Passage bietet gleich mehrere Probleme: Hier scheint eupatrides nicht mehr einfach nur ‚wohlgeboren‘ oder ähnliches zu bedeuten, sondern eine konkrete Abstammung im Vaterstamm zu bezeichnen. Das würde durchaus zur These passen, dass es einen vorsolonischen Eupatriden-Adel gegeben habe. Das Problem dabei ist freilich, dass die Abstammung mütterlicherseits auf die Alkmeoniden zurückgeführt wird, was in dieser direkten Gegenüberstellung implizieren würde, dass ausgerechnet die Alkmeoniden – also jene Familie, die wir deutlicher als jede andere bis weit in die Archaik hinein fassen können – nicht zu den Eupatriden zählte. In der Forschung hat man sich damit beholfen, nebst dem angeblichen vorsolonischen Adel ein genos der Eupatriden zu postulieren, zu dem Alkibiades väterlicherseits gehörte.55 Man hätte also einen alten Adelsstand und ein auf den gleichen Namen lau-

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Donlan (1973c). Isok. or. 16,25 (Übers. nach Chr. Ley-Hutton): Ὁ γὰρ πατὴρ πρὸς μὲν ἀνδρῶν ἦν Εὐπατριδῶν, ὧν τὴν εὐγένειαν ἐξ αὐτῆς τῆς ἐπωνυμίας ῥᾴδιον γνῶναι, πρὸς γυναικῶν δ’ Ἀλκμεωνιδῶν, οἳ τοῦ μὲν πλούτου μέγιστον μνημεῖον κατέλιπον. Ausführlich zu diese Passage Bourriot (1976) 405–425. Die Idee, dass Isokrates die Existenz eines genos schon in klassischer Zeit belege, taucht m. W. erstmals bei Wilamowitz-Moellendorff (1880) 119. Anm. 34 buchstäblich in einer Fußnote auf. Systematisch argumentiert wurde die These dann von Toepffer (1887). Hirzel (1888) griff Toepffers Ausführungen auf und postulierte, das genos der Eupatriden leite sich von Orest ab, dies mit Hinweis auf den „Eupatriden“ Orest in den Tragödien und einem Polemon-Fragment aus dem 2. Jh. (FHG III F 49 p. 130 f. = Schol. Soph. Oed. Col. 489, s. u.), gemäß dem die Eupatriden möglicherweise von den Opfern für die Eumeniden ausgeschlossen waren. Toepffer (1889) 175–180 griff dann seinerseits diese Anregung auf. Die These fand in dieser Form Eingang in die RE, vgl. dort Oehler (1907) 1165. Die zentralen Argumente gegen diese These führte Wade-Gery (1931) 82–85 an und hat damit die Fachwelt weitgehend überzeugt; vgl. im selben Sinne noch ausführlicher Bourriot (1976) 407–425. Die Forschung geht seither mehrheitlich davon aus, dass es erst ab hellenistischer Zeit, wo inschriftliche Zeugnisse dies nahelegen, ein genos der Eupatriden gab, so z. B. Gehrke (1998); die Terminologie ist freilich auch da keineswegs eindeutig, so lehnt denn z. B. Figueira (1984) 455–458 die Existenz eines genos nicht nur für die Klassik, sondern auch für den Hellenismus ab – seine Argumente (ebd. 157), dass in dem prominent gehandelten Polemon-Frag-

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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tendes Geschlecht. Für die Existenz eines genos der Eupatriden spricht ein Fragment des im fünften Jahrhundert schreibenden Attidographen Hellanikos, das unter den Schriften Plutarchs überliefert wurde: Demnach stamme Andokides, der bekannte Redner aus der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, von den Eupatriden ab und habe, laut Hellanikos, sein Geschlecht auf Hermes und dessen Sohn Keryx zurückgeführt.56 Die Nennung des Keryx ist zentral, denn ein genos im technischen Sinne definiert sich als Kultgemeinschaft, die auf einen gemeinsamen mythologischen Ahnen – in diesem Fall Hermes – zurückgeht. Wie so häufig bei Fragmenten ist freilich auch hier nicht klar, was genau zum Fragment gezählt werden kann: Dass Andokides von den Eupatriden abstamme, scheint mir eine Aussage des pseudo-plutarchischen Textes zu sein und lediglich die nachgeschobene Erklärung zu Keryx von Hellanikos zu stammen.57 Doch selbst wenn Hellanikos Andokides als Eupatriden bezeichnet haben sollte, so macht das die Sache keineswegs besser. Dann wäre nämlich das genos der Eupatriden identisch mit dem eleusinischen Priestergeschlecht der Keryken. Das könnte eine Passage bei Xenophon bestätigen, wo Kallias als Eupatride bezeichnet wird – er stammte nachweislich aus dem genos der Keryken, auch wenn Xenophon an dieser Stelle nicht Keryx, sondern dessen Großvater Erechtheus als Stammvater nennt.58 Damit stellt sich aber das nicht lösbare Problem, dass dieses genos keinen erkennbaren Bezug zu Alkibiades aufweist. Denn Alkibiades selbst stammte laut Platon väterlicherseits nicht von Hermes, sondern von Eurysakes, dem Sohn des Aias ab.59 Dass eupatridai im vierten Jahrhundert ein genos bezeichnete, wird daher von der neueren Forschung mit guten Gründen bezweifelt. Damit bleibt aber die Isokrates-Stelle ein Problem. Man muss in dem Fall wohl davon ausgehen, dass Isokrates mit dem Begriff eupatridai keinen vorsolonischen Adel bezeichnete, sondern lediglich diffuse Vorstellungen einer vornehmen Abkunft heraufbeschwor. Dazu passt der Umstand, dass die ‚eupatridische‘ Abkunft väterlicherseits im Rest der Rede überhaupt keine Rolle mehr spielt, während die Verdienste der

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ment (FGH III F 49 p. 130 f.) kein Indiz für ein genos zu sehen sei, sind m. E. bedenkenswert; vgl. im gleichen Sinne auch Bourriot (1976) 418. Anm. 45. Hellanikos FGrH 4 F 170a (= [Plut.] Vitae X Or. 2 = mor. 834b) – zum genos s. freilich die Ausführungen bei Davies (1971) 27, der in Anbetracht der widersprüchlichen Überlieferung zum Fazit kommt: „we remain in ignorance concerning the genos of the family“. Die Formulierung ὡς δ’ Ἑλλάνικος καὶ ἀπὸ Ἑρμοῦ legt nahe, dass tatsächlich nur dieser letzte Nachschub auf Hellanikos zurückgeht – vgl. [Plut.] Vitae X Or. 2 = mor. 834b: Ἀνδοκίδης Λεωγόρου μὲν ἦν πατρὸς τοῦ θεμένου ποτὲ πρὸς Λακεδαιμονίους εἰρήνην Ἀθηναίοις, τῶν δήμων δὲ Κυδαθήναιος ἢ Θορεύς, γένους εὐπατριδῶν, ὡς δ’ Ἑλλάνικος καὶ ἀπὸ Ἑρμοῦ· [καθήκει γὰρ εἰς αὐτὸν τὸ κηρύκων γένος]. Xen. symp. 8,40: τὰ μέγιστα γάρ σοι ὑπάρχει· εὐπατρίδης εἶ, ἱερεὺς θεῶν τῶν ἀπ’ Ἐρεχθέως […]. Plat. Alk. 1,121a; Plut. Alk. 1,1. Vgl. zu Alkibiades Davies (1971) 10–15, der in Anlehnung an Wade-Gery (1931) die Existenz eines genos der Eupatriden im 4. Jh. ablehnt und meint, Isokrates beziehe sich hier auf „the ‚caste‘ of aristocrats which until 580 held a monopoly of executive political power“ (11); zu dieser Lösung tendiert auch Pierrot (2015) 164. Anm. 21.

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7. Athen in archaischer Zeit

nicht-eupatridischen Alkmeoniden lange ausgebreitet werden – Isokrates wollte hier wohl schlicht die nicht ganz so vornehme Abkunft väterlicherseits überspielen.60 Die restlichen Erwähnungen von Eupatriden in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts geben denn auch keinen Anhaltspunkt, dass es sich um einen Terminus Technicus – sei es für ein genos, sei es für einen klar definierten vorsolonischen Adelsstand – handeln könnte: Xenophon bezeichnet in seinem oikonomikos vornehme und reiche Leute pauschal als eupatridai.61 Ähnliches gilt für ein Fragment des Komödiendichters Alexis, wo nach dem genos eines Mannes gefragt, lediglich die Antwort kommt, er sei reich, und alle würden sagen, Reiche seien äußerst wohlgeboren (εὐγενεστάτοι), denn arme Eupatriden sähe niemand.62 Dies ändert sich in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts. In der Athenaion politaia tauchen die Eupatriden erstmals als Personengruppe auf, die konkret rechtlich definiert ist. Der Anfang der Athenaion politeia ist bekanntlich verloren, doch Plutarch berichtet in seiner Theseus-Vita, dass Theseus die Bevölkerung Athens in drei Gruppen eingeteilt habe: In eupatridai, die für die Ämter, die Gesetze und die Religion zuständig seien, in geomoroi und in demiourgoi.63 Dass Plutarch die Athenaion politeia kannte, steht außer Zweifel, und unmittelbar nach dieser Passage verweist er auch direkt auf Aristoteles, der gesagt habe, Theseus hätte sich als erster der Menge zugewandt. Es ist daher durchaus möglich, dass er auch die Geschichte von der Dreiteilung der athenischen Gesellschaft in der Athenaion politeia gefunden hat. Die Passage wird dementsprechend als Fragment 3 der Athenaion politeia geführt.64 Dem steht freilich die Aussage von Fragment 2 entgegen. Hierbei handelt es sich um einen Eintrag in einem deutlich späteren Lexikon sowie Scholien zu einer pseudo-platonischen Schrift,

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Für ein Vermischen von Kategorien zwecks Verschleierung plädiert Wade-Gery (1931) 85 (was ihn freilich nicht daran hindert, weiterhin an eine vorsolonische ‚Kaste‘ der Eupatriden zu glauben). Wenn man anders verfährt, lädt man sich zwangsläufig Probleme auf, wie Bourriot (1976) 422 zeigt, der die Rede wörtlich nimmt und meint, dass Alkibiades’ Familie väterlicherseits adlig sei, während die Alkmeoniden eine „dynastie bourgoise“ seien – was der athenischen Wahrnehmung kaum entsprochen haben kann (denn die Geschichte vom ‚kylonischen Frevel‘, ob historisch oder nicht, setzt voraus, dass man seit dem ausgehenden 6. Jh., wo die Geschichte politisch relevant wird, davon ausging, dass die Alkmeoniden bereits im vorsolonischen Athen eine der führenden Familien waren). Xen. oec. 1,17: Περὶ δούλων μοι, ἔφη ὁ Σωκράτης, ἐπιχειρεῖς, ὦ Κριτόβουλε, διαλέγεσθαι; Οὐ μὰ Δί’, ἔφη, οὐκ ἔγωγε, ἀλλὰ καὶ πάνυ εὐπατριδῶν ἐνίων γε δοκούντων εἶναι, οὓς ἐγὼ ὁρῶ τοὺς μὲν πολεμικάς, τοὺς δὲ καὶ εἰρηνικὰς ἐπιστήμας ἔχοντας, ταύτας δὲ οὐκ ἐθέλοντας ἐργάζεσθαι, ὡς μὲν ἐγὼ οἶμαι, δι’ αὐτὸ τοῦτο ὅτι δεσπότας οὐκ ἔχουσιν. Alexis F 94 PCG (= Athen. 4,159d): (A.) ἔστιν δὲ ποδαπὸς τὸ γένος οὗτος; (Β.) πλούσιος. / τούτους δὲ πάντες φασὶν εὐγενεστάτους / · πένητας δ’ εὐπάτριδας οὐδεὶς ὁρᾶι. Plut. Thes. 25 = [Aristot.] Ath. pol. F 3 (Chambers) = Aristot. F 384 (Rose). Freilich scheint Plutarch dem Text der Athenaion politeia nur lose gefolgt zu sein bzw. diese mit einer anderen Quelle kombiniert zu haben, so dass vieles in F 3 wohl nicht aristotelisch ist, vgl. Wade-Gery (1931) 4–6 und Rhodes (1993) 66 f.

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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die sich beide auf Aristoteles berufen und erklären, Athen sei in der Frühzeit in georgoi und demiourgoi eingeteilt gewesen.65 Die Forschung hat daraus ein plausibles Narrativ für den verlorenen Anfang der Athenaion politeia rekonstruiert: Zuerst teilte Ion die Bevölkerung in zwei Gruppen, danach fügte Theseus im Zuge des Synoikismos die Eupatriden als dritte Gruppe hinzu.66 In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts begegnet also erstmals das Bild einer ständisch gegliederten Gesellschaft, freilich nicht für die Archaik, sondern für eine mythische Vorzeit. Doch gerade diese Vorzeit bot sich für Spekulationen aller Art an – so finden sich jenseits der Athenaion politeia denn auch alternative Traditionen. Dionysios von Halikarnass kennt ebenfalls nur zwei Gruppen, aber in einer anderen Kombination, nämlich Eupatriden und agroikoi.67 Bemerkenswert ist auch die terminologische Uneinheitlichkeit: So heißen die Bauern wahlweise geomoroi, georgoi oder agroikoi – was durchaus gewichtige Unterschiede implizieren kann!68 Gänzlich quer liegt dann das Zeugnis von Strabon, wonach Ion die Athener in vier Gruppen eingeteilt habe: Bauern, Handwerker, Priester und Wächter69 – von Eupatriden weiß er nichts. Die Athenaion politeia kennt also eine ständische Gliederung Athens in der mythischen Frühzeit, doch ist diese Darstellung keineswegs kanonisch, sondern konkurriert mit diversen anderen Einteilungen. Der Mythos scheint sich für derartige Gedankenspiele angeboten zu haben und es ist wohl bezeichnend, dass in historisch hellerer Zeit eine ständisch gegliederte Gesellschaft nicht mehr begegnet – mit einer freilich sehr gewichtigen Ausnahme: Die Athenaion politeia erwähnt, als einzige Quelle, dass 15 Jahre nach Solons Reformen ein gewisser Damasias das Archontat irregulär bekleidet habe. Nach seiner Vertreibung habe man zehn Archonten eingesetzt und zwar fünf Eupatriden, drei agroikoi und zwei demiourgoi.70 Über diese ‚zehn Archonten‘ ist viel Tinte geflossen. Sie stehen völlig quer in der Landschaft: Weder passen sie zu den solonischen Zensusklassen, noch passen sie zu den Regionalparteien, die einige Jahre danach um die Tyrannis kämpften. An originellen Lösungsvorschlägen mangelt es

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Lex. Demosth. Patm. s. v. γεννῆται und Schol. Plat. Axioch. 371d = [Aristot.] Ath. pol. F. 2 = Aristot. F 385 (Rose). Wade-Gery (1931) 2–6; ihm folgen die beiden wichtigen Kommentare von Chambers (1990) 137 f. und Rhodes (1993) 66 f. Dion. Hal. ant. 2,8,1–2. Während georgos ein neutraler Begriff ist, ist agroikos klar abwertend (im Sinne von ungehobelt/ bäurisch), die geomoroi dagegen begegnen in Samos (Thuk. 8,21; Plut. qu. Gr. 57 = mor. 303e–304c) und in Syrakus (Hdt. 7,155) als politisch privilegierte Landbesitzer, dazu o. S. 233 ff. Strab. 8,7,1. [Aristot.] Ath. pol. 13,2: μετὰ δὲ ταῦτα διὰ τῶν αὐτῶν χρόνων Δαμασίας αἱρεθεὶς ἄρχων ἔτη δύο καὶ δύο μῆνας ἦρξεν, ἕως ἐξηλάθη βίᾳ τῆς ἀρχῆς. εἶτ’ ἔδοξεν αὐτοῖς διὰ τὸ στασιάζειν ἄρχοντας ἑλέσθαι δέκα, πέντε μὲν εὐπατριδῶν, τρεῖς δὲ ἀ[γ]ροίκων, δύο δὲ δημιουργῶν, καὶ οὗτοι τὸν μετὰ Δαμασίαν ἦρξαν ἐνιαυτόν. ᾧ καὶ δῆλον ὅτι μεγίστην εἶχεν δύναμιν ὁ ἄρχων.

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nicht, doch bleiben letztlich alle Versuche, die verschiedenen Überlieferungsstränge miteinander zu harmonisieren, mit vielen Fragezeichen behaftet.71 Vielleicht lohnt es sich daher, eine bereits etwas ältere These in Erinnerung zu rufen, die deutlich weniger Fragen offenlässt: Louis Gernet plädierte 1938 dafür, die Dreiteilung der athenischen Gesellschaft als philosophisches Konstrukt des fünften und vierten Jahrhunderts zu sehen.72 Dafür gibt es auch gute Gründe. Aristoteles erwähnt in seiner Politik, dass Hippodamos von Milet der erste gewesen sei, der sich mit dem Entwurf einer theoretischen Ideal-Polis befasst habe.73 Hippodamos’ Ideal sah dem mythologischen Athen von Theseus beziehungsweise Ion erstaunlich ähnlich: Die Bürger sollten in Handwerker (τεχνῖται), Bauern (γεωργοί) und Krieger (προπολεμοῦντες) eingeteilt werden. Hippodamos wirkte in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, also genau in der Zeit, in der in Athen demokratiekritische Schriften wie jene des ‚Alten Oligarchen‘ entstanden, welche die patrios politeia hochleben ließen. In diesem Klima, so Gernet, sei es durchaus denkbar, dass die Legende eines frühen athenischen Idealstaats mit der Dreiteilung in Bauern, Handwerker und Eupatriden aufgekommen sei.74 Er denkt dabei vor allem an Kritias, der nicht nur prominent an den Umstürzen der Jahre 411 und 404 beteiligt war, sondern auch ein reges Interesse an der Vergangenheit zeigte und möglicherweise selbst eine Athenaion politeia verfasst hat.75 Diese 71

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Die Thesen gehen in verschiedene Richtungen. Die meisten gehen davon aus, dass entweder die 10 Archonten ein Versuch sind, vorsolonische Zustände zu restaurieren, oder aber eine Reaktion auf einen Restaurationsversuch des Damasias darstellen und mit den alten ‚Kasten‘ den Geist von Solons Reformen wiederbeleben möchten, so z. B. Wade-Gery (1931) 79; Olivier (1960) 506 f.; Roebuck (1974); Pierrot (2015) 149 f. – Wüst (1959) umgeht das Problem, indem er die solonischen Zensusklassen weitgehend ignoriert (dass dies ein Problem sein könnte, bemerkt er freilich auf 10 f., jedoch ohne daraus Konsequenzen zu ziehen); Sealey (1960) 178–180 und Sealey (1961) versuchte, die drei Gruppen mit den bei Herodot und in der Athenaion politeia überlieferten Regionalparteien zu verbinden. Ingeniös, aber letztlich in vielen Punkten sehr spekulativ ist der Ansatz von Figueira (1984), der die 10 Archonten als Versuch deutet, eine gänzlich neue, oligarchisch geprägte Ordnung einzuführen. Gernet (1938). Aristot. Pol. 2,1267b 22–37. Gernet (1938) 226. Direkt überliefert ist dies nicht, doch verbürgt ist, dass Kritias mehrere politeiai geschrieben hat: Iohannes Philoponos (89,8) berichtet im 6. Jh. n. Chr. von einer Schrift Kritias’ über πολιτείαι ἐμμέτροι (= BNJ 338A T 16). In den Fragmenten der Vorsokratiker wird die Existenz einer politeia Athenaion als gegeben betrachtet, vgl. Kritias 88 B 30 DK; William S. Morison, der Kritias’ Fragmente für BNJ edierte, hält die Existenz einer solchen politeia zumindest für wahrscheinlich (s. u.). Dass es dabei auch um die Frühgeschichte ging, ist ebenfalls nur indirekt zu erschließen: Gernet (1938) 226 stützt sich vor allem auf Plat. Kritias 110c und Plat. Tim. 24a–b, wo Kritias eine Schilderung der Urgeschichte Athens – 9.000 Jahre in der Vergangenheit – in den Mund gelegt wird; dort seien Handwerker und Bauern von den waffenbesitzenden Kriegern getrennt gewesen. Dass Platon dies Kritias in den Mund legt, deutet Gernet als Indiz dafür, dass sich in den Schriften des Kritias entsprechendes fand, und eine mögliche politeia Athenaion wäre hierfür prädestiniert. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kritias in Platons Dialogen mit dem Tyrannen identisch ist und nicht, wie etwa Nails (2002) 106–108 annimmt, mit dessen ansonsten weitgehend unbekanntem Großvater – gegen diese moderne Deutung, die einzig dem Umstand geschuldet ist, dass Platons

7.1 Der Mythos der Eupatriden

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auf eine mythische Vorzeit bezogene Spekulation ist nicht zu verwechseln mit der traditionellen patrios politeia, welche die Oligarchen als politisches Schlagwort ins Feld führten und zu der man zurückkehren wollte.76 Doch die utopische Spekulation über eine besser geordnete Frühzeit passt gut in das geistige Klima dieser Zeit. Gernets Erklärungsansatz geht noch weiter:77 Nach dem Scheitern der Oligarchen in Athen stellte sich auch in tendenziell demokratiekritischen Kreisen vermehrt die Frage, wie soziale Ungleichheiten in eine Verfassung integriert werden können, ohne dass einzelne Gruppen dadurch völlig aus der Polis ausgegrenzt und entfremdet würden – Aristoteles’ Kritik an der dreigeteilten Polis des Hippodamos setzt denn auch just an diesem Punkt an.78 Die Geschichte um die zehn Archonten in der Athenaion politeia, so Gernet, dürfte wohl vor dem Hintergrund derartiger Überlegungen entstanden sein. Denn während die Urverfassung Athens jener Dreiteilung des Hippodamos entspricht, die offenbar im fünften Jahrhundert en vogue war, folgen die zehn Archonten einem anderen Muster: Hier wird zwar die Dreiteilung beibehalten, das heißt, die Gleichheit der Bürger als solche negiert, doch werden alle am Regiment beteiligt, wenn auch nicht zu gleichen Teilen, sondern nach dem Verteilschlüssel 5:3:2. Wie diese philosophische Spekulation genau Eingang in die Athenaion politeia fand, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass der Autor der Atheniaon politeia nicht immun dagegen war, staatsphilosophische Fiktionen in sein historisches Narrativ zu übernehmen, ist jedoch gut belegt – man denke nur an die inzwischen von der Forschung

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zeitliche Verortung Solons nur mit Kritias’ Großvater halbwegs mit der ‚klassischen‘ Chronologie zu versöhnen ist, s. m. E. überzeugend Davies (1971) 325 f. Dass Platons Generationenabfolge mit späteren chronologischen Rekonstruktionen nicht harmoniert, braucht bei mündlicher Traditionsbildung nicht weiter zu verwundern; auch PAA 585315 sieht den Tyrannen und den Kritias bei Platon als dieselbe Person an. Dem entgegen stehen freilich Überlegungen, wonach Kritias der Autor der pseudoxenophontischen Athenaion politeia sein könnte, die keine historisch-mythologische Spekulation aufweist; vgl. Thierfelder (1969). In eine ähnliche Richtung William S. Morison in seinem „bibliographical Essay“ zu BNJ 338A von 2007 und meint: „Indeed, it may be that the Well-Balanced Constitutions was a tripartite tract that included the Athenian politeia as an example of the sins of radical democracy and its concommitant political corruption, the Thessalian politeia as an example of tyranny and of the corruption of great wealth and luxury, and the Spartan politeia as the emmetros politeia.“ Der Titel πολιτείαι ἐμμέτροι legt allerdings eine Schilderung mehrerer und nicht bloß einer idealen Verfassung nahe – eine Darstellung der wohlausgewogenen Ordnung des frühen Athens, wie sie in Kritias’ Reden in Platon zu greifen ist, passt da m. E. besser als ein Pamphlet gegen die radikale Demokratie der Gegenwart. Dass Kritias sehr wohl (auch) Polemik verbreitete, dabei aber (anders als der ‚Alte Oligarch‘) ‚historisch‘ argumentierte, etwa mit Verweisen auf Solon, legen die Indizien nahe, die Duemmler (1892) in einen Versuch, die inhaltliche Stoßrichtung der vermuteten Schrift zu rekonstruieren, gesammelt hat; s. dazu auch u. S. 369 f. Die patrios politeia bezog sich nicht auf den Mythos, sondern auf die noch nicht so weit zurückliegende, idealisierte kleisthenische Demokratie der Marathon-Generation; vgl. Rhodes (2011) 16–20 mit weiterer Literatur sowie u. S. 368–370. Gernet (1938) 226 f. Aristot. Pol. 2,1268a 16–1268b 4.

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weitgehend als fiktiv angesehene ‚drakontische Verfassung‘, an deren Historizität die Athenaion politeia ebenfalls keinen Zweifel hegt: Hier wurde relativ eindeutig eine „oligarchische Utopie“ des fünften oder vierten Jahrhunderts zur historischen ‚Tatsache‘ erhoben.79 Mit den ‚zehn Archonten‘ wird es sich ähnlich verhalten haben. Verdächtig ist nicht zuletzt die Zahl zehn, die ausgezeichnet zu den zehn kleisthenischen Phylen passt, aus denen in klassischer Zeit die neun Archonten und der beigeordnete Sekretär durch Los bestellt wurden, die jedoch keinen erkennbaren Bezug zu den vier vorkleisthenischen Phylen aufweist. Angesichts der sonst eigentlich durchgängig fassbaren Tendenz antiker Gemeinwesen, die Zahl von Ämtern über die Zeit zu vermehren, nicht zu reduzieren, wäre es auch sehr erstaunlich, im frühen sechsten Jahrhundert zehn vollwertige Archonten zu finden, die dann auf neun reduziert wurden. Das alles spricht dagegen, in der Regelung einen historischen Kern zu sehen, vielmehr dürfte es sich in Gänze um eine Fiktion des vierten Jahrhunderts handeln, die aus einem gänzlich anderen Kontext stammend Eingang in die Athenaion politeia fand.80 Für eine Rekonstruktion der Frühzeit Athens sollten die Eupatriden daher ausscheiden. Vielmehr muss sich eine solche Rekonstruktion an den allgemein zu beobachtenden Modi der sozialen Differenzierung und den längerfristigen Entwicklungslinien orientieren, die bisher erarbeitet wurden. Es wird zu zeigen sein, dass Athen sehr wohl in diese allgemeine Entwicklung passt, aber im Verlauf des fünften Jahrhunderts mit der Entstehung der ‚radikalen‘ Demokratie eine Sonderentwicklung erfuhr. Erst im Kontext dieser Entwicklung, so die These, entstanden Konzepte einer klar abgrenzbaren, sozial überlegenen Gruppe, die zwar weitgehend unverbunden blieben, zusammengenommen aber dem eingangs definierten Idealtypus von ‚Adel‘ näherkommt als alles, was in der Archaik fassbar ist. Es ist dieses spezifische geistige Klima, in dem die Vorstellung einer ständisch geordneten Frühzeit mit einer Herrschaft der Eupatriden überhaupt erst denkbar wurde.

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Chambers (1990) 154–158, dazu u. S. 296 mit Anm. 86. Problematisch sind daher Deutungen wie jene von Lambert (1993) 371–377, der mit Gernet einig geht, dass es sich um philosophische Spekulation handelt, jedoch nur die ‚Bauern‘ und ‚Handwerker‘ als spätere Erfindung ansieht, nicht aber die Eupatriden, von denen er meint: „it was well known that …[they] … had formed Athens’ ruling class before Solon“ (ebd. 375). Damit löst er alle Probleme – denn die Regelung 5 Eupatriden und 5 Nicht-Eupatriden bietet eine direkte Analogie zur Besetzung des Konsulats mit einem Patrizier und mindestens einem Plebejer nach den römischen Ständekämpfen. Allerdings ist die Idee, die Eupatriden seien authentisch, der Rest nicht, eine reine Spekulation, die im Wesentlichen auf der Annahme basiert, dass es „well known“ sei, dass die Eupatriden vor Solon herrschende Klasse bildeten – wie oben gezeigt, ist dies jedoch in keiner antiken Quelle belegt und auch in der modernen Forschung erst seit dem Aufsatz von Wade-Gery als „well known“ anzusehen.

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte 7.2.1 ‚Dysnomia‘ unter Solon – Tyrannenfurcht und Menschenmangel Die frühsten schriftlichen Zeugnisse für die Frühgeschichte Athens sind die Fragmente der solonischen Gedichte und Gesetze.81 Hinzu kommt ein archaisches Gesetz über den Umgang mit Blutrache, das auf einer Inschrift aus dem Jahr 409/8 neu aufgezeichnet wurde und angeblich von Drakon stammt, einem Gesetzgeber, den die spätere Historiographie rund eine Generation vor Solon anzusetzen pflegte.82 Möglicherweise noch älter ist eine in der Athenaion politeia überliefertes thesmion, welches das Streben nach einer Tyrannis mit Atimie bestraft.83 Das ist eine vergleichsweise gute Quellenlage. Trotzdem ist über diese Zeit und die beteiligten Akteure letztlich doch sehr viel weniger gesichertes Wissen vorhanden, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Das Verführerische an der athenischen Frühgeschichte ist, dass mit der Athenaion politeia an sich ein antikes Narrativ zur Verfügung stünde, das ein stimmiges Verlaufsmodell der institutionellen Entwicklung schildert. Allerdings ist sehr fraglich, was der Verfasser dieser Schrift tatsächlich wissen konnte. Die schriftliche Überlieferung aus dieser Zeit wird sich auf einzelne Gesetze und die Gedichte Solons beschränkt haben. Dass die Attidographen im fünften Jahrhundert sich auf mündliche Traditionen hätten stützen können und so an authentische Informationen über das frühe sechste oder gar das siebte Jahrhundert gekommen sein könnten, ist ausgeschlossen: Selbst wenn einzelne Begebenheiten einen historischen Kern haben – beim ‚kylonischen Frevel‘ deutet sehr viel darauf hin84 –, so sind die Details doch derart stark mündlich über81

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Zentral sind die ‚politischen‘ Fragmente 1–13 und 32–37 W, die von Mülke (2002) ausführlich kommentiert wurden; einen umfassenden Kommentar zu allen solonischen Fragmenten bietet ferner Noussia-Fantuzzi (2010). Die Gesetzesfragmente finden sich bei Ruschenbusch (1966) und (freilich ohne die falsa) in der Neuedition bei Ruschenbusch (2010); eine z. T. abweichende Neuedition der Gesetze bieten Leão & Rhodes (2015). IG I3 104 = Meiggs & Lewis Nr. 86 = Koerner Nr. 11 = Nomima Nr. 1.02 = F 5a (Ruschenbusch) = F 5a (Leão & Rhodes). Vgl. Stroud (1968); Gagarin (1981a); s. auch o. S. 237. Anm. 62 mit weiterer Literatur. [Aristot.] Ath. pol. 16,10 = F 37a (Ruschenbusch) = 37a (Leão & Rhodes): θέσμια τάδε Ἀθηναίων καὶ πάτρια · ἐάν τινες τυραννεῖν ἐπανιστῶνται [ἐπὶ τυραννίδι], ἢ συγκαθιστῇ τὴν τυραννίδα, ἄτιμον εἶναι καὶ αὐτὸν καὶ γένος. Gagarin (1981b) verortet das Gesetzt unmittelbar im Anschluss an den Kylon-Putsch und erklärt es zum ältesten erhaltenen Gesetz Athens; diese Ansicht teilt Winfried Schmitz, der das Gesetz in seiner geplanten Neuausgabe der Gesetze Drakons und Solons prominent als F 1 führt, vgl. Schmitz (2020) 326 f. Die Deutung ist bestechend, hängt jedoch stark davon ab, welche historische Glaubwürdigkeit man den Quellen zum Kylon-Putsch zubilligt (dazu o. S. 252 f. sowie u. Anm. 84 und 88). Dazu o. S. 252. Anm. 131. Es ist nicht ohne Reiz, die Ermordung der Anhänger Kylons mit dem drakontischen Gesetz zur Regelung der Blutrache in Verbindung zu bringen, wie dies in der Forschung meist mit plausiblen Argumenten getan wird, doch der Konnex muss aufgrund der Quellenlage spekulativ bleiben; vielleicht ist die Kausalität (die in keiner antiken Quelle so hergestellt

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7. Athen in archaischer Zeit

formt, dass sich daraus kaum noch belastbare Informationen gewinnen lassen. Auch Peter Rhodes, der eher optimistisch ist, was die Rekonstruktion der attischen Frühzeit anbelangt, muss in seinem maßgebenden Kommentar zur Athenaion politeia festhalten: „Little was remembered about Athens befor Solon’s reforms, and chs. 2–3 represent theorists’ reconstruction rather than unbroken tradition.“85 Dass die in Kapitel 4 geschilderte politeia Drakons eine spätere Erfindung ist – Mortimer Chambers spricht von einer „oligarchischen Utopie“ des fünften oder vierten Jahrhunderts – ist in der Forschung inzwischen weitgehend unbestritten.86 Damit bleibt für die vorsolonische Zeit nicht viel übrig: Die Inschrift aus dem Jahr 409/8 mit dem als ‚drakontisch‘ bezeichneten Gesetz sowie sehr wahrscheinlich das thesmion gegen die Errichtung einer Tyrannis, einige weitere literarisch überlieferte Gesetze ‚Drakons‘, die in der Forschung teilweise aber auch Solon zugerechnet werden,87 und einzelne Begriff wie die in der Atheneion politeia erwähnten hektemoroi, deren Bedeutung in klassischer Zeit nicht mehr zweifelsfrei feststand und die daher sehr wohl archaischen Gesetzen oder Solons Lyrik entnommen sein könnten. Darüber hinaus ist fast alles – inklusive der Figur Drakons oder der Datierung Solons – umstritten.88 Damit ist der Quellenwert der Athenaion politeia höchst zweifelhaft: Die Quellenbasis des Autors scheint sich nicht groß von derjenigen moderner Historiker unterschieden zu haben. Auch er war darauf angewiesen, aus den Gedichten Solons und einigen archaischen Gesetzen eine Geschichte zu rekonstruieren. Der Wert der Athenaion politeia liegt daher primär darin, dass sie diverse Gedichte Solons zitiert und auf einige Gesetze verweist, und so dazu beiträgt, dass diese archaischen Textfragmente für uns erhalten geblieben sind. Dabei muss allerdings in Rechnung gestellt werden, dass diese Fragmente gerade deshalb überliefert wurden, weil sie das Narrativ

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wird) auch grundsätzlich etwas zu einfach gedacht, wie in neuerer Zeit Gagarin (2008) 94 f. argumentiert hat; vgl. auch die skeptischen Ausführungen von Flament (2009) 122. Rhodes (1993) 88. [Aristot.] Ath. pol. 4; zur Diskussion um die Historizität s. Chambers (1990) 154–158 und Rhodes (1993) 84–88; 108–118. Beide gehen von einer eingeschobenen, weitgehend fiktiven ‚Verfassung‘ aus, welche die „überwiegende Mehrheit der Forschung“ als eine „oligarchischen Utopie des 5./4. Jhs.“ ansieht [Chambers (1990) 154]. Neuere Rekonstruktionen der vorsolonischen Gesetzgebung bieten etwa Schmitz (2001), der argumentiert, dass Drakon nur Blutrecht geregelt habe (d. h. diverse Gesetze fälschlich Drakon zugeschrieben wurden), und Carey (2013), der von einer umfassenderen vorsolonischen Gesetzgebung ausgeht; ein gänzlich anderes Bild, das von einer weitgehend ungebrochenen Vormachtstellung von βασιλεῖς, wie sie in den Epen begegnen, ausgeht, bietet Flament (2009) – vgl. dort jeweils auch die Diskussion der älteren Forschung. In extremis argumentierte Beloch (1912–1927) Bd. 1.2 (1926) 258–262, der Drakon zu einem Schlangengott machte und in die Welt des Mythos verwies, während er Kylon von der zweiten Hälfte des 7. in die zweite Hälfte des 6. Jhs. herabdatierte (ebd. 302–309). Zur Diskussion um die Datierung von Solons Archontat, das zwischen dem klassischen Datum 594 und Spätdatierungen bis in die Mitte des 6. Jhs. schwankt, s. Chambers (1990) 161 f., der selbst eine Datierung in die 570er Jahre favorisiert, und Rhodes (1993) 120 f., der dazu neigt, am klassischen Datum festzuhalten.

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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der Athenaion politeia stützen. Bei der Interpretation der Fragmente ist die Athenaion politeia also nicht so sehr eine Hilfe als eher ein Problem, weil ihr Fokus die Auswahl der Überlieferung wesentlich mitbestimmt. Spätere Autoren wie Diogenes Laertios oder Plutarch liefern demgegenüber nur bedingt ein Korrektiv, ist ihre Sicht auf die Archaik doch ganz wesentlich durch die Geschichtsbilder bedingt, die ab dem vierten Jahrhundert weitgehend kanonisch geworden sind. Eine methodisch abgesicherte Rekonstruktion Athens zur Zeit Solons muss daher zwingend von den archaischen Fragmenten ausgehen, die in späteren Quellen erhalten geblieben sind. Während die Gedichte Solons in dieser Beziehung weitgehend unproblematisch sind,89 bieten die Gesetze deutlich mehr Probleme. Der Umstand, dass man in späterer Zeit diverse Gesetze Solon zuschrieb, um ihre Autorität zu erhöhen, ist schon lange bekannt und führt dazu, dass längst nicht alle als ‚solonisch‘ etikettierten Gesetze auch als solonisch anerkannt werden.90 Für Eberhard Ruschenbusch stellten daher die axones, die in verschiedenen Quellen erwähnten hölzernen Schriftträger, auf denen Solons Gesetze festgehalten worden seien, ein wichtiges Argument für die Echtheit einzelner Erlasse dar.91 Allerdings ist diese vermeintliche Gewissheit jüngst mit guten Gründen in Zweifel gezogen worden: Denn einige Quellen sprechen auch von kyrbeis, auf denen Solons Gesetze festgehalten worden seien – Ruschenbusch hatte diese kyrbeis als Rahmen gedeutet, die als Befestigung für die drehbaren axones dienten. Die antiken Quellen legen allerdings viel eher nahe, dass es sich um Stelen gehandelt haben muss. Gil Davis hat nun in einem Aufsatz von 201192 darauf hingewiesen, dass solche kyrbeis sehr viel allgemeiner und nicht nur auf Athen beschränkt als Träger autoritativer Texte begegnen, wohingegen axones nur in Athen und zwar spezifisch auf solonische und drakontische Gesetze bezogen bekannt sind. Die erste Erwähnung eines axon findet sich zudem erst relativ spät, nämlich just in der bereits erwähnten Inschrift mit dem drakontischen Blutrecht aus dem Jahr 409/8. Das führte 89

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Vgl. allerdings die skeptischen Positionen von Lardinois (2006) und Stehle (2006), die beide mit unterschiedlichen Argumenten an der Authentizität der solonischen Verse zweifeln. Die Indizien dafür, dass Lyrik ab der ersten Hälfte des 7. Jhs. auf breiter Basis im Medium Schrift festgehalten wurde, sind allerdings m. E. sehr stark (s. o. Kap. 2.1), womit deutlich mehr dafür spricht, dass die solonischen Verse, an deren Echtheit niemand in der Antike zweifelte, authentisch sind; grobe Verfälschung durch mündliche Überlieferung (Lardinois) oder gar eine gänzliche Erfindung der solonischen Lyrik im 5. oder 4. Jh. (Stehle) sind zwar nicht völlig auszuschließen, aber doch eher unwahrscheinlich – abweichende Versionen einzelner Verse lassen sich mit der auch sonst gut verbürgten Gewohnheit antiker Autoren, aus dem Gedächtnis zu zitieren, erklären und gegen eine spätere Fälschung spricht nicht nur der archaische Duktus und die in sich konsistente persona, sondern auch, dass diese persona Lektüren zulässt, die dem idealisierten Solon-Bild des 4. Jhs. diametral entgegenstehen [zur Möglichkeit, Solons Lyrik als transgressive Tyrannenlyrik zu lesen, die so gar nicht zu einem ‚Mittleren‘ passt, s. bestechend Irwin (2006)]. Zum Skeptizismus von Lardinois und Stehle s. im selben Band die ausgewogene Kritik von Blaise (2006) 128–131. Vgl. dazu Ruschenbusch (1966) 53–58. Ruschenbusch (1966) 1–58. Davis (2011).

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7. Athen in archaischer Zeit

Davis zur gut begründeten Hypothese, dass die axones gar keine archaischen Relikte sind, sondern das Medium, auf das die ‚solonischen‘ und ‚drakontischen‘ Gesetze im Zuge der ab 410 laufenden Gesetzesrevision transkribiert wurden. Das ursprüngliche Trägermedium dagegen seien, wie in anderen Poleis, als kyrbeis bezeichneten Stelen gewesen. Das Argument ist bestechend und löst diverse Probleme.93 Wenn Davis Recht hat, würde das allerdings bedeuten, dass die Erwähnung von axones nicht mehr als ‚Goldstandard‘ für die Authentizität solonischer Gesetze herangezogen werden kann, sondern lediglich besagt, dass es sich um Gesetze handelt, welche die anagrapheis des ausgehenden fünften Jahrhunderts für solonisch hielten. Dass sich darunter diverse Gesetze befunden haben werden, die zwar alt, aber keineswegs zwingend solonisch waren, ist anzunehmen. Damit würde auch die (m. E. meist zu scharf gezeichnete) Differenz zwischen dem ‚Gesetzgeber‘ Solon und dem ‚Tyrannen‘ Peisistratos relativiert, da einige der später als ‚solonischen‘ angesehenen Gesetze tatsächlich wohl erst unter der Tyrannis entstanden sind. Solon selbst wird dadurch jedoch zu einer noch schemenhafteren Figur, als er es ohnehin schon ist.94 Dennoch lassen die sozialen Konflikte, die in den Gedichtfragmenten beschrieben werden, einige Rückschlüsse auf das frühe sechste Jahrhundert zu, genauso wie die Gesetze – ob nun solonisch oder nicht –

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Einerseits wäre damit klar, dass weder Solon noch Drakon einen Gesetzescode mit klar nummerierten axones erlassen haben, was, wie Davis (2011) 19 und 21 f. betont, vor dem 5. Jh. völlig singulär wäre; vgl. dazu auch Hölkeskamp (1999) 262–264, der in Bezug auf Solons Gesetzgebung hervorhebt, dass diese „eben nicht als bewusst und rational, systematisch geschlossene ‚Kodifikation‘, sondern als Serie konkreter Einzelgesetze wirkt“ (Ebd. 264) – Davis’ These würde das nochmals unterstreichen: Es sind konkrete Einzelgesetze, die erst ex post gesammelt und in einem ‚Code‘ zusammengestellt wurden, dem folglich die innere Stringenz fehlt. Andererseits würde Athen damit deutlich ‚normaler‘, da nun mit einem kontinuierlichen Gesetzgebungsprozess zu rechnen ist statt mit einer einmaligen Maßnahme, die bis zum Ende des 5. Jhs. keiner Revision mehr bedurfte. Ein nettes Detail ist auch, dass Davis, da er davon ausgeht, dass die anagrapheis die alten Gesetze erstmals in eine Reihenfolge brachten, erklären kann, weshalb der Text auf dem ersten axon wie bei IG I3 104 festgehalten mit καί beginnt: Man habe das Gesetz, das, wie Gallia (2004) betont, für die Zeit nach der Oligarchie der 400 besondere zeitbedingte Relevanz besaß, aus dem ursprünglichen Kontext gerissen und in eine neue Reihenfolge gebracht – das sonst nur schwer zu erklärende καί ist dabei stehengeblieben, s. Davis (2011) 20. Dennoch muss Solon eine bedeutende Anzahl von Gesetzen erlassen haben, dafür spricht nicht zuletzt seine Lyrik mit F 36,18–20 W (= 30 G-P = 24 D = [Aristot.] Ath. pol. 12,4): θεσμοὺς δ’ ὁμοίως τῶι κακῶι τε κἀγαθῶι / εὐθεῖαν εἰς ἕκαστον ἁρμόσας δίκην / ἔγραψα. Wenn man zudem δίκη nicht abstrakt als ‚Gerechtigkeit‘ oder ‚Recht‘, sondern im technischen Sinn als konkrete Klageform (die ebenfalls δίκη hieß) deutet, so würde Solon mit Vers 19 nicht bloß erklären, dass er „gerades Recht für jeden passend“ geschrieben habe, sondern sehr viel umfassender den Anspruch erheben „gerade Klageformen für jedes (Delikt) passend“ festgelegt zu haben, was auf eine sehr umfangreiche Rechtskodierung hinweisen würde, was in der Form für die Archaik allerdings einzigartig wäre und daher m. E. eher unwahrscheinlich ist (s. o.). Dennoch: ganz auszuschließen ist es nicht; auch der Vergleich mit ähnlichen Figuren und relativ umfassenden Reformen im alten Israel kann hier (trotz diverser Probleme) erhellend sein, vgl. Seybold & Ungern-Sternberg (2007) sowie relativierend dazu Raaflaub (2007).

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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für eine in größeren Zeithorizonten argumentierenden Strukturgeschichte nach wie vor eine wertvolle Quelle darstellen. Das Bild, das sich aus Solons Gedichten ergibt, zeigt eine von Missständen geprägte Gesellschaft. Die als Eunomia bezeichnete Elegie95 schildert denn auch in erster Linie die dysnomia, die schlechte Ordnung, in der sich Athen nach Ansicht des Dichters befinde: Unsere Stadt wird niemals untergehen nach des Zeus Fügung und der glückseligen Götter Willen, der unsterblichen. Denn ebenso, mit großer Regung, Wächterin, Tochter des gewaltigen Vaters, hält Pallas Athene ihre Hände darüber. Selbst aber wollen sie die mächtige Stadt mit ihrem Wahnsinn vernichten, die Städter, weil sie dem Besitze gehorchen, und der Führer des Volkes rechtlose Gesinnung, denen bestimmt ist, infolge ihres großen Frevels der Schmerzen viele zu erdulden. Denn sie kennen kein Genug und verstehen sich nicht darauf, die vorhandenen Festesfreuden zu ordnen in der Ruhe des Festmahls … Sie sind reich, weil sie rechtlosen Werken gehorchen … weder der Götter Güter noch erst recht die des Volkes schonend stehlen sie wegraffend, ein jeder anderswoher, und nicht beachten sie Dikes heilige Grundsteine, die es schweigend miterlebt hat und weiß, was geschieht, und das, was vorher war, und die mit der Zeit in jedem Fall kommt, um dafür zu strafen; dies kommt nunmehr über die ganze Stadt als eine Wunde, eine unausweichliche, und schnell gerät sie da in schlimme Knechtschaft, die Zwist in der Gemeinschaft und Krieg, den schlafenden, aufweckt, der dann die liebliche Jugend vieler vernichtet; denn unter den Händen der Übelwollenden wird schnell die vielgeliebte Stadt aufgezehrt in Zusammenkünften denen, die ihren Freunden Unrecht tun. Das sind die Übel, die in der Gemeinde umherziehen; von den Armen aber kommen viele in ein fremdes Land; verkauft und in Fesseln, schimpfliche, gebunden […].96 95

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F 4 W (= 3 G-P = 3 D = Demosth. or. 19,254–256); der Einfachheit halber werden die Fragmente Solons nach der Erstzitation nur noch in der Zählung Wests wiedergegeben. Die Eunomia-Elegie spielt in der Forschung eine wichtige Rolle als Zeugnis für einen großen Entwicklungsschritt im politischen Denken und dem Entstehen einer Bürgerverantwortlichkeit, vgl. u. a. Raaflaub (1993) und v. a. Reinau (2013); mit Hinblick auf die Sonderstellung Solons innerhalb der Lyriker vorsichtig relativierend dagegen Itgenshorst (2014) 171–180. Allg. zu dem Gedicht s. Mülke (2002) 88–159 und Noussia-Fantuzzi (2010) 217–265. F 4,1–25 W (Übers. nach Chr. Mülke): ἡμετέρη δὲ πόλις κατὰ μὲν Διὸς οὔποτ’ ὀλεῖται / αἶσαν καὶ μακάρων θν φρένας ἀθανάτων· / τοίη γὰρ μεγάθυμος ἐπίσκοπος ὀβριμοπάτρη / Παλλὰς Ἀθηναίη

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Es gibt also einerseits astoi, die nach Geld (χρήματα) streben, und andererseits Führer des demos (τοὺ δήμου ἡγεμόνες), die einen ungerechten Sinn hätten.97 Beiden unterstellt Solon, sie würden die Polis zugrunde richten. Der ungerechte Sinn der hegemones könnte mit der Arroganz (ὑπερηφανία) korrespondieren, die Solon laut der Athenaion politeia als eines der beiden Grundübel zu Beginn seiner Elegie nannte. Der Text der Athenaion politeia weist just an dieser Stelle eine lacuna auf, doch die Parallelüberlieferung bei Plutarch legt nahe, dass Solon die Arroganz mit Geldgier (φιλοχρηματία) paarte, was zu den nach chremata strebenden astoi passen würde.98 Die Formulierung bei Plutarch legt ferner nahe, dass es sich bei Urhebern dieser beiden Übel um zwei unterschiedliche Parteien handelt, denn Solon habe sich nur zögernd in die Politik begeben, da er die Geldgier der einen und die Arroganz der anderen scheute.99 Die nach Geld strebenden astoi und die arroganten Führer des demos wären somit zwei verschiedene Personenkreise, von denen sich der Dichter gleichermaßen bedroht sieht. Dies passt sehr gut zu einer Passage im Corpus Theognideum, wo ebenfalls eine krisengeplagte Polis beschrieben wird, der Dichter aber festhält, dass die astoi noch vernünftig (σαόφρονες), die hegemones jedoch der Schlechtigkeit (κακότης) verfallen seien.100 In Athen scheint die Situation wesentlich drastischer, indem sowohl die astoi als auch die hegemones keine vernünftige Stütze einer guten Ordnung mehr darstellen. Die Untaten (ὕβρεις) dieser Personen, so Solon, würden ihnen viele Schmerzen bereiten – wobei grammatikalisch unklar ist, ob er damit nur die hegemones oder auch die astoi meint.101 Das anschließende ‚Sündenregister‘ legt jedoch nahe, dass es um beide geht: Sie frönen dem Exzess, können ein Festmahl nicht ordnungsgemäß ausführen, sie werden durch ungerechte Taten reich und verschonen weder heiligen noch öffentlichen (δημόσιος) Besitz, sondern rauben alles, ein jeder von anderswoher.102 Es ist also nicht bloß der ungerechte Sinn der hegemones, sondern ebenso das hemmungslose Ge-

χεῖρας ὕπερθεν ἔχει· / αὐτοὶ δὲ φθείρειν μεγάλην πόλιν ἀφραδίηισιν / ἀστοὶ βούλονται χρήμασι πειθόμενοι, / δήμου θ’ ἡγεμόνων ἄδικος νόος, οἷσιν ἑτοῖμον / ὕβριος ἐκ μεγάλης ἄλγεα πολλὰ παθεῖν· / οὐ γὰρ ἐπίστανται κατέχειν κόρον οὐδὲ παρούσας / εὐφροσύνας κοσμεῖν δαιτὸς ἐν ἡσυχίηι / … / πλουτσιν δ’ ἀδίκοις ἔργμασι πειθόμενοι / … / οὔθ’ ἱερῶν κτεάνων οὔτε τι δημοσίων / φειδόμενοι κλέπτουσιν ἀφαρπαγῆι ἄλλοθεν ἄλλος, / οὐδὲ φυλάσσονται σεμνὰ Δίκης θέμεθλα, / ἣ σιγῶσα σύνοιδε τὰ γιγνόμενα πρό τ’ ἐόντα, / τῶι δὲ χρόνωι πάντως ἦλθ’ ἀποτεισομένη, / τοῦτ’ ἤδη πάσηι πόλει ἔρχεται ἕλκος ἄφυκτον, / ἐς δὲ κακὴν ταχέως ἤλυθε δουλοσύνην, / ἣ στάσιν ἔμφυλον πόλεμόν θ’ εὕδοντ’ ἐπεγείρει, / ὃς πολλῶν ἐρατὴν ὤλεσεν ἡλικίην· / ἐκ γὰρ δυσμενέων ταχέως πολυήρατον ἄστυ / τρύχεται ἐν συνόδοις τοῖς ἀδικσι φίλους. / ταῦτα μὲν ἐν δήμωι στρέφεται κακά· τῶν δὲ πενιχρῶν / ἱκνται πολλοὶ γαῖαν ἐς ἀλλοδαπὴν / πραθέντες δεσμοῖσί τ’ ἀεικελίοισι δεθέντες […]. 97 F 4,6 f. W: ἀστοὶ βούλονται χρήμασι πειθόμενοι, / δήμου θ’ ἡγεμόνων ἄδικος νόος. 98 [Aristot.] Ath. pol. 5,3; Plut. Sol. 14,3. Beide Passagen finden sich bei West als Solon F 4b. 99 Plut. Sol. 14,3: ἀλλ’ αὐτός φησιν ὁ Σόλων ὀκνῶν τὸ πρῶτον ἅψασθαι τῆς πολιτείας, καὶ δεδοικὼς τῶν μὲν τὴν φιλοχρηματίαν, τῶν δὲ τὴν ὑπερηφανίαν. 100 Thgn. 1,41 f.: ἀστοὶ μὲν γὰρ ἔθ’ οἵδε σαόφρονες, ἡγεμόνες δέ / τετράφαται πολλὴν εἰς κακότητα πεσεῖν. Zur Konnotation des Begriffs astos s. auch o. S. 130–133. 101 F 4,7 f. W: οἷσιν ἑτοῖμον / ὕβριος ἐκ μεγάλης ἄλγεα πολλὰ παθεῖν. 102 F 4,9–13 W.

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winnstreben der astoi, das angeprangert wird und Athen ins Verderben führt. Denn diese Handlungen betreffen die ganze Polis.103 Der Dichter spricht von einer „schlimmen Knechtschaft“ (κακὴ δουλοσύνη), in die die Polis gerät und die zu Stasis und Krieg führe.104 Was mit dieser Knechtschaft gemeint ist, erschließt sich aus dem ebenfalls im elegischen Versmaß verfassten Fragment 9, wo der demos getadelt wird, weil er sich durch eigene Ignoranz in die Knechtschaft eines monarchos gestürzt habe.105 In Fragment 11 wird das Thema variiert, indem der Dichter seinem Publikum vorhält, sie selbst hätten diese Männer groß gemacht und nun hätten sie elende Knechtschaft erhalten – und genau wie in der Eunomia-Elegie wird unterstrichen, dass nicht die Götter an diesem Elend schuld seien, sondern die direkt angesprochenen Adressaten.106 Die „schlimme Knechtschaft“, die Solon beklagt oder die er zumindest in unmittelbarer Zukunft heraufziehen sieht, ist also primär eine politische Knechtschaft, nämlich die Dominanz durch einen monarchos oder – wie Fragment 11 nahelegt – durch eine Gruppe von großen Männern. Betroffen von dieser Knechtschaft ist damit in erster Linie die regimentsfähige Gruppe, die ihre politischen Privilegien einbüßt. Wer diese regimentsfähige Gruppe genau ist, bleibt offen. Das drakontische Gesetz setzt eine – im Vergleich zu homerischen Verhältnissen – deutlich komplexere politische Organisation voraus: Zwar nennt das Gesetz basileis, was an die Terminologie der Epen erinnert (wobei unklar ist, was unter diesen basileis genau zu verstehen ist), doch die Nennung der 51 Epheten zeigt klar, dass es größere Gremien mit klar festgelegter Mitgliederzahl gab, die, wie die ungerade Zahl zeigt, nach einem Mehrheitsprinzip entschieden.107 Die verhältnismäßig hohe Zahl von 51 legt nahe – zumal die Epheten nicht das einzige zu besetzende Gremium waren108 –, dass es eine breitere Schicht von Per103

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Strittig und anhand des Textes nicht sicher zu klären ist, ob die üblen Folgen, welche die ganze Polis betreffen, mit der von Solon angekündigten Strafe Dikes identisch sind (und daher in unmittelbarer Zukunft liegen) oder ob die Strafe Dikes unspezifiziert bleibt und Solon in den Versen 17 ff. die gegenwärtige dysnomia beschreibt; zur Diskussion s. Mülke (2002) 126–132, der zu ersterem tendiert. F 4,17–19 W. F 9 W (= 12 G-P = 10 D = Diod. 9,20,2). F 11 W (= 15 G-P = 8 D = Diod. 9,20,3). IG I3 104 = Meiggs & Lewis Nr. 86 = Koerner Nr. 11 = Nomima Nr. 1.02 = F 5a (Ruschenbusch) = F 5a (Leão & Rhodes) – trotz des fragmentierten Zustands der Inschrift (so ist die erste Nennung der 51 in Zeile 17 bis auf zwei Buchstaben eine moderne Ergänzung), ist die Größe des Gremiums in Zeile 19 zweifelsfrei nachweisbar: πεντέκο[ν]τ[α καὶ] hες` . Von der Existenz des Areopags ist auszugehen. Ob darüber hinaus auch ein aus den vier Phylen besetzter Rat der 400 existierte (was bei wechselnder Mitgliedschaft sehr personalintensiv gewesen wäre), ist dagegen strittig. Dieser ‚solonische‘ Rat ist nur literarisch verbürgt ([Aristot.] Ath. pol. 8,4; Plut. Sol. 19) und seine Existenz ist daher verschiedentlich angezweifelt worden – so etwa von Anderson (2003) 59–63 und Bartzoka (2012). Der Verdacht ist, dass es sich um eine oligarchische Erfindung handelt, um den Rat der 400 im Jahr 411 ‚historisch‘ zu rechtfertigen. Die Gegenposition findet sich prominent bei Rhodes (1972) 208 f. und Rhodes (1993) 153 f. („[t]here is no need for scepticism“). Als Argument für die Echtheit wird v. a. auf die für die erste Hälfte des 6. Jhs. epigraphisch verbürgte βολὴ δημοσίη auf Chios verwiesen, die mit je 50 Personen aus jeder Phyle

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sonen gab, die für solche Posten in Frage kamen, die also als regimentsfähig angesehen wurden. Die Voraussetzung dazu dürften Grundbesitz und die notwendige Abkömmlichkeit gewesen sein, also wohl die Zugehörigkeit zu den oberen drei Klassen der ‚solonischen‘ Zensusordnung, die im Kern wohl schon deutlich älter war und jene bäuerlich geprägte ökonomische Schichtung reflektiert, die auch in den frühen Epen begegnet. Der Dichter Solon freilich interessierte sich weder für Institutionen, noch für präzise soziale Kategorien – so bleibt zum Leidwesen moderner Interpreten seine genaue Rolle als Gesetzgeber ebenso unklar wie die Rolle des demos.109 Es scheint mir jedoch – auch aufgrund der in Kapitel 3 angestellten Beobachtungen – eine naheliegende Hypothese, dass Solon mit den astoi nicht einfach ‚Stadtbewohner‘ meinte, sondern damit jene Gruppe im Blick hatte, die als amtsfähig galt und die, da stadtsässig, auch tatsächlich in der Lage war, Ämter im Zentralort wahrzunehmen.110 Die hegemones wären dann einzelne Individuen, die aus dieser landbesitzenden Oberschicht besonders hervorragen – möglicherweise auch lokale ‚Dorfkönige‘ aus dem Umland, die nicht per se als stadtsässige astoi gelten können, aber aufgrund ihrer Ressourcen trotzdem von Gewicht sind.111 Dafür spricht Solons Begrifflichkeit, die stark changiert und kei-

besetzt wurde, was zeigt, dass ein relativ großer Rat, der aus den Phylen bestückt wurde, im 6. Jh. keine Anomalie gewesen wäre: Meiggs & Lewis Nr. 8 = Koerner Nr. 61 = Nomima Nr. 1.62; zum Rat von Chios s. jetzt Grote (2016a) 197–204. Doch ob es in Chios daneben noch einen dem Areopag ähnlichen Rat gewesener Beamten gab, wird zwar oft behauptet, ist aber reine Spekulation [die Bezeichnung βολὴ δημοσίη wird man im Sinne von ‚öffentlich‘ bzw. ‚Gemeinderat‘ deuten müssen und nicht als ‚demokratisches‘ Gegengewicht zu einem epigraphisch nicht nachweisbaren ‚Adelsrat‘, vgl. Ampolo (1983)] – insofern ist die Parallele nicht so schlagend, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Das ‚personalintensive‘ drakontische Gremium der 51, zusammen mit der Inschrift von Chios lässt es m. E. dennoch nicht per se unplausibel erscheinen, dass ein solcher Rat im archaischen Athen existiert haben könnte. Mit Peter Rhodes scheint es mir denn auch wahrscheinlich, dass das poetische Bild, das Plut. Sol. 19,2 referiert, nämlich dass Solon geglaubt habe, eine Polis mit zwei Räten sei wie ein Schiff mit zwei Ankern, sehr wohl (auch wenn Plutarch dies in Prosa paraphrasiert) auf ein entsprechendes Gedicht Solons zurückgehen könnte. 109 Exemplarisch sei hier auf den ausführlichen Kommentar des Großen Iambos (F 36 W = 30 G-P = 24 D = [Aristot.] Ath. pol. 12,4) bei Mülke (2002) 361–397 verwiesen – dieser Iambos, in dem Solon seine Leistungen als Schlichter rechtfertigt, wurde schon in der Antike als ‚Kronzeuge‘ für die Reformen, insbesondere die seisachtheia, herangezogen, bleibt aber im Detail ausgesprochen vage und interpretationsbedürftig; so kommt Mülke (2002) 368 denn auch zum ernüchternden Schluss, dass „jede historische Interpretation des ‚großen Iambos‘ notwendig vorläufig bleibt“ und dass sich entsprechend auch in der Forschung keine communis opinio herausgebildet habe. 110 Dass die solonischen astoi eine privilegierte Gruppe meinen, wurde schon mehrfach propagiert, s. zur Forschungsdiskussion Mülke (2002) 108 f. und Noussia-Fantuzzi (2010) 225 f., die beide dazu tendieren, astoi als ‚Bürger‘ zu deuten, was ich für anachronistisch halte. Der jüngst unternommene Versuch von Dmitriev (2018), das anachronistische Konzept eines ‚Bürgerrechts‘ neu zu denken, und in den astoi eine privilegierte und von Solon institutionell geförderte Abstammungsgemeinschaft von gnesioi zu sehen, ist zwar anregend, krankt aber daran, dass Dmitriev die Gedichte Solons gänzlich ignoriert (wie er sich auch sonst vor allem auf spätere Überlieferung stützt) und damit zur Deutung des archaischen Wortgebrauchs kaum etwas beitragen kann. 111 Man denke etwa an die Figur des Telestagoras auf Naxos, der als lokaler big man in seinem Dorf in Konflikt mit Städtern aus Naxos gerät: Athen. 8,348a–b (= Aristot. F 558 Rose), dazu o. S. 124 f.

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ne eindeutige Gruppenbezeichnung kennt. So spricht er mal von hegemones, mal von großen Männern, mal von denen, die wegen ihrer Macht und ihrem Besitz bewundert werden, oder aber von jenen, die größer und besser an Gewalt sind.112 Diese Begriffe, die auf individuelle ökonomische und militärische Ressourcen verweisen, sind von einer anderen Qualität als pauschale Gruppenbegriffe wie esthloi oder agathoi.113 Es handelt sich daher wohl nicht um eine in sich geschlossene Gruppe, sondern um einzelne potentielle Stasis-Führer, die aus der Gruppe der Ehrbaren besonders herausragen. Dass sich darunter auch ‚große Männer‘ aus dem Umland Athens befinden, die damit in einem gewissen Gegensatz zu den stadtsässigen astoi stehen, ist wahrscheinlich, unterstreicht aber nur die Heterogenität dieser Personengruppe: Schließlich dürften die meisten hegemones, wenn sie wirklich Einfluss auf das Geschehen haben wollten, ebenfalls im Zentralort gesiedelt haben. Solon lässt keinen Zweifel daran, dass er solche Führer als notwendig erachtet,114 doch sie stellen eben auch eine Bedrohung für die politisch Privilegierten dar. Denn, so der Dichter, „durch große Männer geht die Stadt zugrunde“, wobei auch klar ist, was das bedeutet, nämlich den Verlust politischer Freiheit und die Knechtschaft durch einen monarchos.115 Das in der Athenaion politeia überlieferte thesmion, das die Errichtung einer Tyrannis mit Atimie bestraft,116 passt in dieses Bild und zeigt, dass man sich nicht nur in der Dichtung vor einem monarchos fürchtete, sondern auch sehr früh versuchte, mit Gesetzen dieser Gefahr vorzubeugen. Wenn man der These folgt, dass es sich bei dieser Bestimmung tatsächlich um das älteste erhaltene Gesetzt Athens handelt, so stünde

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Sicherlich zu weit geht allerdings Sealey (1960) 168 mit der Interpretation, die δήμου ἡγέμονες seien als Gegensatz zu den ἀστοί alle nicht stadtsässig und δήμος sei hier in der Bedeutung von „territory“ zu lesen, was allerdings völlig quer zu Solons sonstigem Wortgebrauch stehen würde. F 4,7 W und F 6,1 W (8 G-P = 5,7–10 D= [Aristot.] Ath. pol. 12,2) (ἡγεμόνες); F 9,3 W (ἄνδρες μεγάλοι); F 5,3 W (7 G-P = 5,1–6 D = [Aristot.] Ath. pol. 12,1; Plut. Sol. 18,5) (οἳ δ’ εἶχον δύναμιν καὶ χρήμασιν ἦσαν ἀγητοί); F 37,4 W (= 31 G-P = 25 D = [Aristot.] Ath. pol. 12,5) (μείζους καὶ βίην¢ ἀμείνονες). In den als politisch angesehenen Gedichten kommen diese Termini lediglich zweimal vor: In F 34,9 W (29b G-P = 23,13–21 D = [Aristot.] Ath. pol. 12,3) erklärt Solon, er habe es nicht zugelassen, dass κακοί und ἔσθλοι gleichen Anteil am Land erhielten, und in F 36,18 W gibt er an, Gesetze erlassen zu haben, die für κακοί und ἀγαθοί gelten – während im ersten Fall eine soziale Konnotation eindeutig ist (was gerade in Hinblick auf die Zensusklassen, wo Landbesitz für die Regimentsfähigkeit und damit für den Status als Honoratiore entscheidend ist, Sinn macht), so könnte es sich im zweiten Fall auch um rein moralische Kategorien handeln (schließlich gibt Solon einige Zeilen zuvor [9 f.] an, dass er sowohl die zu Recht als auch die zu Unrecht Verkauften unterschiedslos zurückgeholt habe). F 6 W erläutert, wie man den demos (wohl im Sinne von Gemeinde) am besten führt, damit er den hegemones gehorcht; F 36,20–22 W erklärt stolz, dass ein anderer als Solon den demos wohl nicht gebändigt hätte. F 9,3 f. W (eigene Übers.): ἀνδρῶν δ’ ἐκ μεγάλων πόλις ὄλλυται, ἐς δὲ μονάρχου / δῆμος ἀϊδρίηι δουλοσύνην ἔπεσεν. [Aristot.] Ath. pol. 16,10 = F 37a (Ruschenbusch) = 37a (Leão & Rhodes); s. o. S. 295. Anm. 83.

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7. Athen in archaischer Zeit

Solon mit seiner Dichtung in einer bereits fest etablierten Tradition politischen Denkens. Die politische Knechtschaft, die jene privilegierte Gruppe fürchtete und die den Dichter und sein wohl im Kontext des Symposions zu denkendes Publikum vor allem umtrieb, ist allerdings etwas ganz anderes als die ökonomisch bedingte Schuldknechtschaft, welche die Athenaion politeia zum zentralen Faktor der solonischen Krise erhebt. Die Vielen, so heißt es dort, seien in Knechtschaft der Wenigen gewesen und der demos habe sich gegen die Vornehmen (γνώριμοι) erhoben.117 Eine so geartete Knechtschaft kennt Solon auch. Sie betrifft aber eine Gruppe, die klar von den geldgierigen astoi und den arroganten hegemones unterschieden ist: die penichroi, die Armen. Auch sie sind Teil der von Solon geschilderten dysnomia, denn viele von ihnen seien in Fesseln außer Landes verkauft worden.118 In Fragment 36, in welchem Solon Rechenschaft über seine Tätigkeit als Schlichter abgibt, wird dies weiter spezifiziert: Viele führt’ ich nach Athen, ins Vaterland, das gottgegründete, zurück, die Verkauften – der eine außerhalb des Rechts, der andere rechtens –, andre dann, die durch zwingende Not sich auf die Flucht gemacht – ihre Zunge sprach nicht mehr attisch, da sie doch vielerorts umhergeirrt. Und die, die hier an Ort und Stelle Knechtschaft, ungebührliche, zu leiden hatten – vor dem Gebahren ihrer Herren erzitterten sie –, die macht’ ich frei.119

Die Passage macht deutlich, dass es in Attika, genauso wie auch in anderen Poleis der archaischen Zeit, eine abhängige Landbevölkerung gab.120 Doch anders als andernorts wurde dies in Athen als Missstand angesehen, den Solon behob.

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[Aristot.] Ath. pol. 5,1: […] καὶ τῶν πολλῶν δουλευόντων τοῖς ὀλίγοις, ἀντέστη τοῖς γνωρίμοις ὁ δῆμος. Die Knechtschaft der Vielen bezieht sich dabei eindeutig auf die unmittelbar vorher (Ath. pol. 4,4) beschriebene Schuldknechtschaft und Ungleichheit des Landbesitzes, ist also primär ökonomisch, nicht politisch gedacht. 118 F 4,23–25 W. 119 F 36,8–15 W (Übers. Chr. Mülke): πολλοὺς δ’ Ἀθήνας πατρίδ’ ἐς θεόκτιτον / ἀνήγαγον πραθέντας, ἄλλον ἐκδίκως, / ἄλλον δικαίως, τοὺς δ’ ἀναγκαίης ὑπὸ / χρειοῦς φυγόντας, γλῶσσαν οὐκέτ’ Ἀττικὴν / ἱέντας, ὡς δὴ πολλαχῆι πλανωμένους· / τοὺς δ’ ἐνθάδ’ αὐτοῦ δουλίην ἀεικέα / ἔχοντας, ἤθη δεσποτν τρομμένους, / ἐλευθέρους ἔθηκα. […]. 120 Mülke (2002) 384 betont denn auch den anderen Charakter der hier erwähnten δουλίη im Vergleich zu der auf die politische Tyrannis bezogenen (eher metaphorischen) ‚Knechtschaft‘ in anderen Fragmenten, bleibt aber sehr skeptisch, was sich darüber hinaus sagen lässt. Die vornehmlich agrarische Wirtschaftsform lässt jedoch gar nicht so viele Möglichkeiten zu: Der unmittelbare Sinnzusammenhang mit den in die Fremde verkauften Sklaven und den aus wirtschaftlicher Not Geflohenen sowie dem Terminus δεσπότης, der einen hauswirtschaftlichen Kontext nahelegt, lässt die gängige These, dass hier eine abhängige Landbevölkerung – wahrscheinlich die anderswo erwähnten hektemoroi – gemeint ist, mehr als nur plausibel erscheinen; s. in diesem Sinne auch Rhodes (1993) 176 sowie jetzt mit einer ausführlichen Diskussion Wagner-Hasel (2018b).

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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Dass diese Entrechteten selbst als Akteure auftraten und sich gegen die Vornehmen erhoben, wie die Athenaion politeia meint, geben Solons Gedichte allerdings nicht her: Sie zittern vor ihren Herren und drohen nicht, diese zu lynchen, und sie befreien sich nicht selbst, sondern werden erst von Solon als Folge seiner Reformen freigelassen. Der Umstand, dass sie zusammen mit den in die Fremde Verkauften und Geflohenen genannt werden, spricht denn auch dafür, dass der Dichter sie in einer identischen Situation sieht: Abwesende, die erst durch Solons Reformen wieder der politischen Gemeinde zugeführt werden. Es verbietet sich daher, diese Personen mit dem demos gleichzusetzen, der eine aktive Rolle spielt, Ehre besitzt und zu dem Solon auch die Adressaten seiner Gedichte zählt.121 Die in Teilen der Forschung vertretene Hypothese, die von Solon gefürchteten Tyrannen könnten Fürsprecher des entrechteten demos gegen einen festgefügten Adel sein, erscheint vor diesem Hintergrund schwer haltbar.122 Die Situation der Armen ist sicherlich ein Faktor, aber keineswegs der einzige Aspekt der von Solon beschriebenen dysnomia – die Frage, wie man die politisch Verantwortlichen zu gemeinschaftlichem Handeln bringen kann und wie eine drohende Tyrannis abzuwenden ist, sind wesentlich entscheidendere, davon weitgehend losgelöste Aspekte der Krise. Weshalb Solon Personen aus der Fremde nach Athen zurückholte und weshalb er die vor Ort Geknechteten befreite, bleibt damit offen. Die Maßnahme könnte mit dem Solon zugeschriebenen Verbot der Schuldsklaverei zusammenhängen123 – Abstiegsängste und das generelle Unbehagen darüber, dass ehemalige Mitbürger ihren Status gänzlich verlieren könnten, dürfte dabei das treibende Motiv gewesen sein. Für das besagte Gesetz ist das sicher zutreffend, doch die hektemoroi sind keineswegs zwingend Schuldsklaven – es könnte sich sehr wohl auch um abhängige ‚Umwohner‘ handeln, wie sie in anderen Städten begegnen (was nicht ausschließt, dass man durch Schulden in diesen Status absteigen konnte).124 Ich möchte daher einen weiteren Beweggrund Dass Solon dem demos Ehrenteile (γέρας) gibt, wie es ihm zusteht, und seiner Ehre (τιμή) weder etwas hinzufügt, noch wegnimmt, betont F 6 W; F 9 W beschuldigt den demos, durch Unbedachtheit einen Tyrannen geschaffen zu haben, und passt inhaltlich zu F 11 W, das diesen Vorwurf aufgreift und direkt an das Publikum adressiert, mit dem Hinweis, alleine sei jeder listig auf den Spuren des Fuchses, doch zusammen seien sie unbedacht. 122 Für eine solche konsequente Deutung der ‚solonischen Krise‘ und der Tyrannis unter den Vorzeichen eines antiken Klassenkampfs s. Rose (2012) 201–266, der sich wiederum stark auf McGlew (1993) stützt. Für die der hier vertretenen Interpretation näherstehende Deutung, nämlich dass die Tyrannis aus der Logik ‚aristokratischer‘ Rivalitäten zu erklären sei, s. u. a. Stahl (1987), de Libero (1996) und Stein-Hölkeskamp (2009) – allerdings gibt es in Solons Lyrik durchaus Indizien, dass eine Politik mit dem demos (der aber wohl kaum aus völlig ‚Entrechteten‘ bestand) ein denkbares und von Solon gefürchtetes Szenario war. 123 [Aristot.] Ath. pol. 9,1; 6,1; Plut. Sol. 15,2 = F 69a–c (Ruschenbusch) = F 69a–c (Leão & Rhodes). 124 Dass die hektemoroi etwas mit einem Schuldenproblem zu tun haben, hat Harris (1997) vehement in Frage gestellt und stattdessen die These verfochten, dass es sich nicht um eine neu eingetretene Verschuldung, sondern um althergebrachte, feudale Abhängigkeiten gehandelt habe; zur Kritik an diesem Ansatz (die auf das Fehlen solcher Abhängigkeiten bei Homer abhebt) s. Meier (2012) 15, 121

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stark machen: Solons Maßnahmen ergeben nämlich sehr wohl Sinn, wenn man nicht von Überbevölkerung ausgeht (was archäologisch so nicht haltbar ist),125 sondern im Gegenteil von Menschenmangel. Der Umstand, dass nicht nur Versklavte, sondern auch aus der Not heraus Ausgewanderte nach Athen zurückgeführt wurden, spricht m. E. klar dafür, dass dies das Hauptanliegen des Dichters war. Die militärischen Rückschläge beim Kampf um die Insel Salamis, die Solon in seiner Salamis-Elegie thematisierte,126 bieten hierfür einen plausiblen historischen Hintergrund. Es geht darum, den Heerbann zu vergrößern, damit das „das älteste Land Ioniens“ nicht mehr „darniederliege“,127 sondern Solons Aufforderung Folge leisten kann: Gehen wir nach Salamis und kämpfen um die Insel, die liebliche, damit wir uns von der schweren Schmach befreien!128

Wichtig ist ferner zu beachten, dass die Befreiung der in Attika Geknechteten bei Solon lediglich eine von drei Maßnahmen darstellt und zwar die, die an letzter Stelle nach der Rückführung der Verkauften und Ausgewanderten kommt. Spekulationen über genaue Zahlen verbieten sich – doch das in der Athenaion politeia gezeichnete Bild einer Massenversklavung der Armen lässt sich mit Solon nicht verifizieren. Auch hinsichtlich der Frage, wie man sich diese Knechtschaft genau vorzustellen hat und vor allem wie drückend sie wohl war, sind belastbare Aussagen kaum möglich. Die Athenaion politeia und Plutarch kennen den Begriff hektemoroi, der wohl in den solonischen Gedichten zu finden war und von dem man in klassischer Zeit offenkundig nicht mehr wusste, was er ursprünglich genau bezeichnete.129 Die wörtliche Bedeutung Sechs-Teiler legt nahe, dass damit eine zu leistende Abgabe gemeint ist, und eine Verbindung zu dem wohl ebenfalls aus den solonischen Gedichten entnommenen Begriff seisachtheia, der ‚Lasten-Abschüttelung‘, scheint schon für antike Betrachter auf der Hand gelegen

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vgl. dazu jetzt aber Wagner-Hasel (2018b) 300–304, welche die hektemoroi als ähnliche Erscheinungen wie die für andere Poleis überlieferten abhängigen Landbevölkerungen sehen möchte. Gegen die (teilweise noch immer) verfochtene Behauptung, Überbevölkerung habe die ‚solonische Krise‘ ausgelöst, s. jetzt konzise Wagner-Hasel (2018b) 295 mit weiterer Literatur. F 1–3 W = 2 G-P = 2 D = Plut. Sol. 8,2; Diog. Laert 1,47. F 4a W = 4 GP = 4,1–3 D = [Aristot.] Ath. pol. 5,2. F 3 W (eigene Übers.): ἴομεν ἐς Σαλαμῖνα μαχησόμενοι περὶ νήσου / ἱμερτῆς χαλεπόν τ’ αἶσχος ἀπωσόμενοι. Die wichtigsten Quellen sind [Aristot.] Ath. pol. 2,2; Plut. Sol. 13,4 – bei beiden bezeichnet der Begriff eine Form von Abhängigkeit, die sich von Kaufsklaven unterscheidet, doch beide geben ein geläufigeres Synonym bei, um den Begriff näher zu bestimmen: Die Athenaion politeia setzt die hektemoroi mit πελάται gleich, Plutarch mit θῆτες. Für eine grundlegende Diskussion der Quellen und die Erklärungsbedürftigkeit der Begriffe in klassischer und nachklassischer Zeit s. Meier (2012) 5–9 – Meiers eigene, provokante These, dass es sich bei den hektemoroi um eine ‚Erfindung‘ handelt, die auf einen falsch gelesenen Solon-Vers zurückgeht, ist zwar ingeniös, aber letztlich zu spekulativ, um darauf aufzubauen. Eine neuere Diskussion der Forschung rund um die solonische Krise und die hektemoroi (die sie als tendenziell nicht-solonisch ansieht) bietet auch Noussia-Fantuzzi (2010) 29–41.

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zu haben.130 Eine Notiz beim Lexikographen Pollux legt nahe, dass es wahrscheinlich auch ein ‚solonisches‘ Gesetz gab, denn dort heißt es, dass Solon Land erwähnte, das epimortos hieß, weil diejenigen, die es bestellten, einen Teil abgeben mussten.131 Wenn Pollux tatsächlich auf Solon oder zumindest die als solonisch geltenden axones zurückgeht, dann wäre dies ein sehr konkreter Beleg für eine abhängige Landbevölkerung im archaischen Athen, der sehr gut zum Begriff hektemoroi passen würde. Allerdings ist nicht gänzlich klar, ob die hektemoroi so hießen, weil sie den sechsten Teil abgeben oder weil sie nur den sechsten Teil behalten konnten.132 Der Umstand, dass Solon sich als moderaten Reformer präsentiert, der niemandem über Gebühr etwas wegnimmt, spricht eher dafür, dass die seisachtheia keinen existenziellen Einkommensverlust für die Herren der hektemoroi mit sich brachten, was auf die ‚milde‘ Variante (oder eine relativ geringe Zahl von Abhängigen) hindeuten könnte. Letztlich muss die Frage jedoch offenbleiben – zumal auch die ‚milde‘ Variante, bei der nur der sechste Teil der Ernte abzugeben wäre, keineswegs ausschließt, dass damit nicht noch weitere Leistungen und Bürden verbunden waren. Wichtig ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nach Solon auch möglich war, wegen ‚zwingender Not‘ aus Attika zu fliehen. Genau hier scheint denn auch Solons primärer Fokus zu liegen: An erster Stelle nennt er bezeichnenderweise die Rückführung der in die Fremde Verkauften und der aus Not Ausgewanderten und erst danach kommt er auf die vor Ort Geknechteten zu sprechen. Dass in der Eunomia-Elegie nur die in die Fremde Verkauften genannt werden,133 ist ein

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Einen expliziten Bezug zu den hektemoroi stellen zwar weder die Athenaion politeia noch Plutarch her – beide Schriften beziehen jedoch Solon F 36 W auf die seisachtheia, sahen also eine Verbindung zwischen den dort genannten in Attika Geknechteten und der ‚Lastenabschüttelung‘. Dabei wurde die seisachtheia als ‚Schuldenerlass‘ gedeutet (und die hektemoroi entsprechend mit Schuldknechtschaft assoziiert); das ist aber nicht zwingend: es könnte sich durchaus auch um das ‚Abschütteln‘ von Abgaben und Abhängigkeiten handeln, die mit Herrschaftsverhältnissen und nicht mit Schulden zusammenhängen. Poll. 7,151 = Solon F 67 (Ruschenbusch) = F 67 (Leão & Rhodes). Die Sicherheit, mit der Ruschenbusch das Gesetz für solonisch erklärt und feststellt, dass es sich um Glossen aus den axones handelt, blieb nicht unwidersprochen: Meier (2012) 10. Plut. Sol. 13,4 und mit ihm die meisten Lexikographen gehen von ersterem aus; allerdings gibt es auch eine Gegenposition, die im hochmittelalterlichen Homerkommentar von Eustathios fassbar ist und auf ein anonymes Rhetoriklexikon zurückgeht: Eustat. ad Hom. Od. 19,28 [Eustathii Archiepiscopi Thessalonicensis Commentarii ad Homeri Odysseam (ed. J.G. Stallbaum). Bd. 2, Leipzig 1826 (ND Cambridge 2010), 198]: ἐθνικὴ δὲ λέξις καὶ ἡ μόρτη, τὸ ἕκτον, φασὶ, μέρος τῶν καρπῶν, ἣ ἐδίδοτο τοῖς ἑκτημορίοις, ὡς ἐν ἀνωνύμῳ κεῖται λεξικῷ ῥητορικῷ. Die Mehrheit der Forschung folgt Plutarch, allerdings argumentiert etwa van Wees (2006) 378 f. aus Plausibilitätsgründen für eine drückende Knechtschaft, bei der man nur einen Sechstel behält (ohne jedoch Eustathios zu erwähnen); Link (1991) 25–34 geht von Kleinbauern mit eigenem Land aus, die aber zusätzlich noch okkupiertes Land von Adligen bewirtschaften, von dessen Ertrag sie 5/6 abgeben müssen. Meier (2012) 8 f. sieht in Eustathios ein Indiz für eine antike Diskussion, in der Plutarch mit seiner Angabe Stellung bezieht, die aber letztlich nur zeigt, dass man mit dem Begriff nicht mehr viel anfangen konnte – eine Position, die ich teile. F 4,23–25 W.

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weiteres Indiz, dass das Los der hektemoroi – so drückend es für die Betroffenen auch gewesen sein mag – nicht die primäre Sorge des Dichters war. Vieles muss im Dunkeln bleiben. Dass Solon horoi aus der Erde zog und diese befreite, deutete die Athenaion politeia zwar als Beleg dafür, dass Solon Schulden auf verpfändetes Land abschaffte.134 Diese Deutung könnte jedoch ein anachronistischer Kurzschluss sein, denn für eine Verwendung des Terminus horos als Schuldstein fehlen jegliche Belege vor dem vierten Jahrhundert.135 In archaischer Zeit kommt das Wort ausschließlich in der Bedeutung ‚Grenzstein‘ vor. Man kann daher mutmaßen, dass etwas ganz anderes gemeint war, nämlich dass Solon tatsächlich eine Landreform durchführte – also eine deutlich radikalere Reform, als man sie dem ‚Mittleren‘ im vierten Jahrhundert zuschreiben wollte. Solons Erklärung, er habe sich gegen eine gleichmäßige Verteilung von Land zwischen kakoi und esthloi gewehrt,136 müsste dann ganz anders gedeutet werden: Nicht per se als Absage an eine Landreform, sondern lediglich als Weigerung, Land (vielleicht auch nur unkultiviertes Gemeindeland) zu gleichen Teilen an alle zu verteilen.137 Doch all diese Deutungen bleiben unsicher, schließlich bezeichnet sich Solon in einem Gleichnis selbst als horos, der im Niemandsland zwischen den verfeindeten Lagern steht.138 Das Herausziehen der horoi könnte daher in einem ähnlichen Sinne verstanden werden: Solon führt die Gemeinde zusammen, hebt die trennenden Grenzen auf und befreit das Land vom drohenden Bürgerkrieg.139 Eine solche Deutung wäre zwar durch den intertextuellen Bezug zum horos Solon gestützt, muss aber argumentieren, dass die als Göttin angesprochene „schwarze Erde“, die befreit wird, mit der Gemeinde zu identifizieren ist, was doch eine arg gewagte Interpretation ist.140 Letztlich muss diese Frage offenbleiben, wie so vieles an Solons Reformen nur noch schemenhaft zu erahnen ist. 134 135

[Aristot.] Ath. pol. 12,4 mit Solon F 36 W; vgl. Rhodes (1993) 126 f. und Welwei (2005). Vgl. hierzu die gut begründete Kritik bei Harris (1997) 104–107; vgl. auch Mülke (2002) 376 f., Meier (2012) 10 f. mit Anm. 39 und Wagner-Hasel (2018b) 298 f. 136 F 34,7–9 W. 137 In diesem Sinne Meier (2012) 16 f.; Link (1991) 15–25 geht ebenfalls von realen Grenzsteinen aus, die aber unrechtmäßig okkupiertes, unkultiviertes Land markiert hätten; eine spekulative Variation bietet Ober (2006), der die horoi ebenfalls als reale Grenzsteine sehen will, aber mutmaßt, dass es sich dabei um eine geographische Trennung der einzelnen sozialen Gruppen gehandelt haben könnte – die Deutung ist, gerade in Hinblick auf eine Zentrum-Peripherie-Differenzierung, reizvoll, lässt aber doch zu viele Fragen offen. Vgl. auch den Forschungsüberblick bei Noussia-Fantuzzi (2010) 37–41. 138 F 37,8 f. W. 139 In diesem Sinne Harris (1997) 104–107; für eine kritische Sichtung dieser und weiterer metaphorischer Deutungen s. ferner Mülke (2002) 378. 140 Aus diesem Grund ablehnend: Mülke (2002) 378 und ihm folgend Meier (2012) 16. Welwei (2005) 35 dagegen argumentiert gegen eine metaphorische Lesung, weil diese in sich unstimmig sei: Solon könne nicht einmal als horos zwischen verfeindeten Parteien Garant für die eunomia sein, dann aber durch das Herausreißen der horoi eunomia herstellen – dabei übersieht er freilich, dass die Metapher als solche (horoi als Trennung verfeindeter Parteien und damit Indiz für einen latenten Kriegszustand) durchaus konstant wäre. In eine ganz andere Richtung geht die jüngst von

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Was von Solons Reformen bleibt, ist denn auch nicht viel. Für eine Sozialgeschichte des archaischen Athens sind jedoch zwei Punkte zentral: Erstens spricht wenig dafür, dass das Bild der Athenaion politeia von einer Herrschaft der Wenigen über die versklavten Vielen in dieser Form zutrifft.141 Die hegemones bilden keine eigene Gruppe, sondern sind Teil einer breiteren Oberschicht, die als regimentsfähig angesehen wird, und es ist vor allem diese Gruppe, welche die politische Knechtschaft fürchtet, die aus einer Tyrannis erwachsen würde. Zweitens gilt es festzuhalten, dass die Entrechteten und Versklavten selbst nicht als Akteure erscheinen, sich also ihre Befreiung nicht in einer klassenkämpferischen Revolution erzwingen. Vielmehr dürften Abstiegsängste der noch politisch Handlungsfähigen und das Bemühen, einen gefühlten oder tatsächlichen Menschenmangel in Attika zu beheben, die zentralen Beweggründe für die Abschaffung der Schuldsklaverei, die Rückführungen und die Aufhebung der in Attika bestehenden Abhängigkeiten gewesen sein. Beides lässt sich durch ‚solonische‘ Gesetze stützen, die, auch wenn sie vielleicht nicht von Solon selbst stammen, doch zeigen, dass entsprechende Probleme existierten und nach Lösungen verlangten. Zu den Maßnahmen gegen Menschenmangel passt nicht nur eine Amnestie für Personen, die vor Solons Archontat in Athen der Atimie verfallen waren (mit Ausnahme derjenigen, die in Athen Blutschuld auf sich geladen oder nach der Tyrannis gestrebt hatten),142 sondern auch ein angebliches Gesetz, in dem Solon all jenen, die aus ihren eigenen Gemeinden (das heißt einer anderen Polis als Athen) in dauerndes Exil geflohen waren, sowie fremden Handwerkern das athenische Bürgerrecht in Aussicht stellte.143 Zu den Abstiegsängsten der politisch Mitspracheberechtigten passen dagegen verschiedene Gesetze, in denen Statusgrenzen institutionell abgesichert werden: Sei es die rechtliche Diskriminierung von Bastarden,144 die Absicherung der sexuellen Integrität freier Frauen,145 der Schutz Freigebo-

Wagner-Hasel (2018b) 299 erneut ins Spiel gebrachte ältere Deutung, in der „schwarzen Erde“ das Fruchtland um Eleusis zu sehen, das Solon von Megara erobert habe. 141 Für eine starke Relativierung der ‚Schuldenkrise‘ plädiert auch Welwei (2005) mit weiteren Plausibilitäts-Argumenten. 142 F 70 (Ruschenbusch) = F 22/1 (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 19,4. Ruschenbusch brachte das Gesetz in Zusammenhang mit der Schuldsklaverei und der seisachtheia, indem er die atimoi mit den Verkauften gleichsetzte, was dem Fragment, das eindeutig auf strafrechtliche Vergehen und entsprechende Gerichtsverfahren Bezug nimmt, so nicht zu entnehmen ist; Leão & Rhodes argumentieren denn auch zu Recht gegen diese sehr spekulative Lesart. 143 F 75 (Ruschenbusch) = F 75 (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 24,4. Anders freilich Manville (1990) 134, der darin eine Beschränkung der Einwanderung sehen will (vorher seien alle zugelassen worden); doch es geht nicht um Zuwanderung als solche (Metöken gab es bekanntlich auch weiterhin), sondern um die Teilhabe an dem zunehmend exklusiv ausgestalteten Bürgerrecht (s. u.). 144 F 48a–b (Ruschenbusch) = F 48a–b (Leão & Rhodes) = Poll. 3,33; Lex ap. Demosth. or. 46,18; F 50 a–b (Ruschenbusch)= F 50a–b (Leão & Rhodes) = Aristoph. Av. 1660–1663; Lex ap. Demosth. or. 43,51; F 57 (Ruschenbusch) = F 57/a (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 22,4; dazu o. Kap. 2.5.3. 145 F 26 (Ruschenbusch) = F 26 (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 23,1.

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rener vor Prostitution und Verkauf146 oder der Ausschluss von Sklaven von der Praxis der Päderastie und der Gymnastik.147 Diese Maßnahmen sind denn auch ein weiteres Indiz, dass das traditionelle Narrativ einer stabilen, ständisch geordneten Frühzeit, die dann mit ‚liberalen‘ Reformen aufgebrochen wurde, nicht haltbar ist. Die erwähnten Gesetze deuten gerade in die entgegengesetzte Richtung: Statusgrenzen werden nicht aufgebrochen, sondern institutionell abgesichert – die Grenzen zwischen Bürger und Nichtbürger, Freien und Unfreien sowie die Garantie dieses Status werden festgeschrieben.148 Die Befreiung der in Attika Versklavten war in diesem Kontext bloß Teil eines größeren Maßnahmenbündels und diente tendenziell der Auffüllung der Bürgerschaft, während das Verbot der Schuldknechtschaft der Statuswahrung diente. In der longue durée hat dies freilich durchaus Folgen: Anders als in anderen Orten begegnen in Attika nach Solon keine Indizien mehr für eine abhängige Landbevölkerung, sondern nur noch aus der Fremde erworbene Kaufsklaven.149 Freie Bewohner des Umlands blieben frei, auch wenn sie verarmten, und hatten zumindest theoretisch die Möglichkeit, an Volksversammlungen teilzunehmen (auch wenn die eigentlichen Ämter und damit die Regimentsfähigkeit den oberen drei Zensusklassen vorbehalten blieben). Die Ausprägung einer Zentrum-Peripherie-Differenzierung mit einer politisch-rechtlich diskriminierten Landbevölkerung gegenüber den privilegierten Bewohnern des Zentralorts fand damit nicht statt. Ab dem Moment, wo politische Entscheidungen nicht mehr vornehmlich im Rat, sondern in der Volksversammlung gefällt wurden und die ‚bürgerliche Gegenwärtigkeit‘ der gesamten freien Bevölkerung im Zentrum durch die politischen Reformen des Kleisthenes institutionell gefördert wurde, entwickelte sich daraus dann eine ganz neue Dynamik, die im frühen sechsten Jahrhundert in der Form weder gewollt noch absehbar war.

146 F 30a (Ruschenbusch) = F 30a (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 23,1; F 31a–b (Ruschenbusch) = F 31a–b (Leão & Rhodes) = Plut. Sol. 23,2; Plut. Sol. 13,4. 147 F 74a–e (Ruschenbusch) = F 74a–e (Leão & Rhodes) = Hermias Alexandrinos in Plat. Phaidr. 231e; Plut. Sol. 1,6; Plut. sept. sap. conc. 7 (= mor. 152d); Plut. amat. 4 (= mor. 751b); Aischin 1,138; Leão & Rhodes führen noch Joh. Chrys. In epistulam ad Romanos (Migne, Patrologia Graeca, LX. 418 f.) sowie in Joh. Chrys. In epistulam ad Titum (Migne, Patrologia Graeca, LXII. 693) als F 74/g und F 74/f. 148 Dass Solons Reformen im Bereich sozialer Praktiken (verstanden in Bezug auf Statusmanifestation und Statusgrenzen) sehr viel besser fassbar sind als im Bereich der Ökonomie, der für spätere Autoren im Vordergrund stand, betont auch Noussia-Fantuzzi (2010) 40 f.; ausführlich zu der rechtlich klareren Fassung des Bürgerstatus in Abgrenzung zu Fremden und Unfreien s. Manville (1990) 124–156; spez. 132 ff.; vgl. jetzt freilich die Kritik von Dmitriev (2018) spez.128 ff., dessen Ansatz jedoch einige methodische Probleme birgt. 149 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Zurbach (2013) spez. 628–632.

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7.2.2 ‚Eunomia‘ unter Peisistratos – Die gewaltsame Bändigung zentrifugaler Kräfte Die weitere Entwicklung Athens zeigt, dass die bei Solon greifbaren Konfliktlinien fortbestanden. Herodot und die Athenaion politeia berichten von Parteikämpfen, bei denen einzelne Stasis-Führer nach der Tyrannis strebten, bis sich Peisistratos schließlich in mehreren Anläufen durchsetzen und eine labile Herrschaft errichten konnte, wobei sowohl von militärischen Auseinandersetzungen als auch von ins Exil getrieben Rivalen und Morden die Rede ist.150 Das ist genau jene Situation, die Solon in seiner Eunomia-Elegie als Schreckensbild heraufbeschwört: Die drohende politische Knechtschaft, die den Bürgerkrieg weckt und die ‚liebliche Jugend‘ vernichtet.151 Die solonischen Fragmente, in denen der Dichter sein Publikum und den demos tadelt, die großen Männer nicht in Zaum gehalten und so selbstverschuldet in die Knechtschaft geraten zu sein,152 wurden in der Antike denn auch als verbitterten Kommentar des ehemaligen Reformers gelesen, der mit ansehen musste, wie sein politisches Erbe veruntreut wurde.153 Das ist jedoch eine ex post Deutung, die den Gedichten selbst so nicht zu entnehmen ist – vielmehr warnt Solon dort in sehr allgemeinen Zügen vor der zu großen Macht Einzelner (in Fragment 11 ist explizit der Plural gebraucht, was ein Indiz ist, dass er nicht an eine spezifische Person denkt).154 Die Tyrannis des Peisistratos markiert daher eine weitgehende Kontinuität der von Solon diagnostizierten Probleme und zeigt damit zwei Dinge: Erstens ist die in der Forschung vereinzelt anzutreffende Vorstellung zu verwerfen, dass die Parteienkämpfe um Peisistratos eine unmittelbare Folge der machtpolitischen Instabilität gewesen seien, die durch die vermeintliche Abschaffung der ehemals stabilen eupatridischen Ständeordnung durch Solon entstanden sei. Zweitens wird dadurch auch deutlich, dass Solons Reformen in ihrer Wirkung nicht überschätzt werden sollten: Offenbar gelang es ihm nicht, griffige

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Hdt. 1,59–64; 5,55–65; [Aristot.] Ath. pol. 14–19. Zur Tyrannis des Peisistratos gibt es eine Unmenge an Literatur, genannt seien hier lediglich drei Arbeiten, die das Spektrum der unterschiedlichen Interpretationsansätze einigermaßen repräsentativ abdecken: 1.) Die wichtige Untersuchung von Stahl (1987), welche die aristokratische Konkurrenz als zentrales Moment der Tyrannis hervorhebt und andererseits die Bedeutung der Tyrannis für die Ausbildung ‚staatlicher‘ Strukturen betont – eien Argumentation, die sich ähnlich bei Stein-Hölkeskamp (1989) 139–153 findet; 2.) der Sammelband von Sancisi-Weerdenburg (2000a), der (mehrheitlich) eine skeptische Position vertritt und gerade den wenig institutionalisierten (und wenig institutionalisierenden) Charakter der Tyrannis hervorhebt; 3.) die Arbeit von Lavelle (2005), die für einen proto-demokratischen Charakter der Tyrannis des Peisistratos argumentiert, den Lavelle als „democratic leader“ und damit als Vorgriff auf die Demokratie des 5. Jhs. sieht. Solon F 4,18–20 W. Solon F 9 W; F 11 W. Diod. 9,20,1–3.; Plut. Sol. 30; vgl. auch Diog. Laert. 1,49 mit Solon F 10 W (= 14 G-P = 9 D). Vgl. in diesem Sinne Noussia-Fantuzzi (2010) 309–311 sowie Mülke (2002) 202 mit einer Diskussion der Forschung.

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7. Athen in archaischer Zeit

Maßnahmen zu entwickeln, um eine künftige Tyrannis – das zentrale Schreckensbild, vor dem er warnt – zu verhindern. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Bild, das Solon von sich selbst entwirft und mit dem er seine Rolle als Schlichter umreißt: Er verbindet Gewalt und Gerechtigkeit (βίη und δίκη), bändigt den demos mit dem Stachelstab (κέντρον) und gibt ihm (nimmt man die Version der Athenaion politeia) ganz im Stile homerischer basileis Ehrgeschenke (γέρα) – ein Bild, das, wie Elizabeth Irwin hervorgehoben hat, dem eines Tyrannen durchaus ähnlich ist.155 In einigen Fragmenten rechtfertigt sich Solon denn auch explizit gegen den Vorwurf, dass er, trotz entsprechender Möglichkeiten, keine Tyrannis errichtet habe,156 was nochmals deutlich macht, wie nahe verwandt die Figur des Schlichters der des Tyrannen ist. Die Macht des Tyrannen ist also nicht bloß das von Solon befürchtete Übel, sondern gleichzeitig auch das bevorzugte politische Mittel, dieses befürchtete Übel abzuwenden. Dafür spricht auch die restliche Überlieferung. So sah Aristoteles den mit Sondervollmachten ausgestatteten Schlichter (aisymnetes) als eine Form der monarchia an,157 und eine frühklassische Inschrift aus Teos verwendet aisymnetes im Sinne von „Tyrann“ und verflucht alle, die einen aisymnetes einsetzen oder eine entsprechende Herrschaft errichten.158 Die Tyrannis des Peisistratos, der viele Forscher einen wichtigen Anteil an der Konsolidierung athenischer ‚Staatlichkeit‘ zubilligen,159 kann also auch in dieser Hinsicht in einer Kontinuität zum Reformer und Gesetzgeber Solon gesehen werden: Auch Peisistratos dürfte durch eine Verbindung von ‚Gewalt und Gerechtigkeit‘ für Ordnung und geregelte Verfahren gesorgt haben. Polisämter wurden weiterhin besetzt; auch er verteilte also Ehrgeschenke und schmälerte die τιμή des demos nicht – und wer weiß, wie viele später als ‚solonisch‘ angesehenen Gesetze und Institutionen nicht überhaupt erst unter Peisistratos erlassen und eingerichtet wurden.

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Irwin (2006); die entsprechenden Passagen finden sich bei Solon F 36,16 W; F 36,20–23 W und F 5,1 W. Solon F 32 W (= 29 G-P = 23,8–12 D = Plut. Sol. 14,8); F 33 W (= 29a G-P = 23,1–7 D = Plut. Sol. 14,9); F 34 W. Aristot. Pol. 3,1285a 29–1285b 1. Meiggs & Lewis Nr. 30 B 3–8 = Koerner Nr. 78 B 3–8 = Nomima Nr. 1.104 B 3–8; die Passage ist schwer lesbar, zumal ‚Aisymneten‘ etwa in Milet auch als reguläre Beamten begegnen (weshalb Meiggs & Lewis den Sinn denn auch anders deuteten), doch ein Neufund der 1970er Jahre macht die hier vorgestellte Deutung zwingend, denn auf einer ungefähr zeitgleichen Inschrift (Koerner Nr. 79 = Nomima Nr. 1.105) wird ein Bürgereid festgehalten, in dem sich die Bürger von Teos verpflichten, keinen aisymnetes einzusetzen. Die Bedeutung der Tyrannis für die Ausbildung ‚staatlicher‘ Strukturen betonte v. a. Stahl (1987); dafür spricht vieles [insbesondere, wenn man mit Davis (2011) davon ausgeht, dass längst nicht alle ‚solonischen‘ Gesetze von Solon sind], doch die Quellenlage lässt auch hier keine absolute Beweisführung zu. Für ein völliges ‚Gegenprogramm‘, das die Tyrannis des Peisistratos zu einem nahezu unbedeutenden Phänomen werden lässt, s. den Sammelband von Sancisi-Weerdenburg (2000a).

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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In Hinblick auf sozialgeschichtliche Fragen muss vieles spekulativ bleiben. Vieldiskutiert ist vor allem die Geschichte um die ‚drei Parteien‘. Herodot erklärt in seinen Historien, es habe in Athen einen Konflikt zwischen drei Parteien gegeben: Den vom Alkmeoniden Megakles angeführten „Küstenbewohnern“ (παράλιοι), den von Lykurg angeführten Athenern „aus der Ebene“ (οἴ ἐκ τοῦ πεδίου) und schließlich der dritten von Peisistratos neu gebildeten Gruppe der „Hinterbergler“ (ὑπεράκριοι).160 Die Athenaion politeia schildert ähnliche Zustände, verbindet die drei Parteien aber mit unterschiedlichen politischen Zielen: Die Küstenbewohner (παράλιοι) strebten nach einer mittleren Verfassung, die Bewohner der Ebene (πεδιακοί) nach einer Oligarchie und die Bergbewohner (διάκριοι) folgten Peisistratos, der als der demokratischste gegolten habe.161 Zudem wird noch erläutert, dass sich die Anhänger des Peisistratos einerseits aus denjenigen zusammensetzten, die durch das Streichen ihrer Schuldforderung in Not geraten seien, und andererseits aus Personen, die von „unreiner“ Herkunft waren und um ihren Bürgerstatus fürchteten. Alle drei Gruppen, so die Athenaion politeia weiter, seien nach den Gebieten benannt worden, in denen sie Land besessen hätten.162 Dass die Athenaion politeia mit ihrer Fokussierung auf unterschiedliche Verfassungsvorstellungen der drei Parteien mit anachronistischen Zuschreibungen operiert, ist offenkundig. Dennoch gibt es eine Fülle spekulativer moderner Deutungen, die dahinter einen historischen Kern vermuten und mit sozioökonomischen, politischen oder regionalen Gegensätzen operieren – meist ausgehend von einer ebenso spekulativen Rekonstruktion der solonischen Reformen, als deren Folge diese Gegensätze dann gesehen werden.163 In Anbetracht der dünnen Grundlage solcher Rekonstruktionen scheint eine minimalistische Position angezeigt, wie sie etwa von Michael Stahl vertreten wurde. Dieser argumentierte strikt von Herodot ausgehend, der weder Klassengegensätze noch politische Programme mit den Parteien in Verbindung bringt. Die Geschichte spiegele, so Stahl, trotz eindeutiger mündlicher Überformung, das Konkurrenzverhalten archaischer ‚Aristokraten‘ und ihrer persönlichen Gefolgschaften; die Tyrannis sei dabei nicht das Mittel zum Erreichen sozialer oder politischer Ziele, sondern die logische Folge des aristokratischen „Aristie-Strebens“.164 Die Verbindung mit drei Regionalparteien kann man als Anachronismus des fünften Jahrhunderts deuten, wo im Zuge des Peloponnesischen Kriegs Spannungen zwischen den vom Krieg stärker getroffenen ländlichen Gemeinden und der Stadt zu beobachten sind.165 Oder 160 161 162 163

Hdt. 1,59,3. [Aristot.] Ath. pol. 13,4. [Aristot.] Ath. pol. 13,5. Einen Überblick über ältere Ansätze und entsprechende Kritik an ökonomisch-politischen Zielen regional verankerter Gefolgschaften bieten Hopper (1961), Kluwe (1972), Stahl (1987) 69–79 und in neuerer Zeit Schmidt-Hofner (2014) 624–629. 164 Stahl (1987) 79–105. In eine ähnliche Richtung gehen auch Hopper (1961) und Kluwe (1972). 165 Dies die Argumentation von Kinzl (1989). Einen anderen Ansatz verfolgt Lavelle (2005) 67–90 und 219–221 sowie Lavelle (2000), der die Geschichte der drei Parteien ebenfalls als Fiktion ver-

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aber man kann, wie Sebastian Schmidt-Hofner dies in einem fundierten Artikel getan hat, auf das generelle Phänomen verweisen, dass in klassischer Zeit politische Konflikte gerne in räumlichen Kategorien gedacht und komplexe Gemengelagen damit vereinfacht und zugespitzt wurden.166 An sich müsste man es dabei bewenden lassen, da jede Aussage, die darüber hinaus geht, notgedrungen spekulativ bleiben muss. Dennoch halte ich es nicht für gänzlich ausgeschlossen, dass die ‚drei Parteien‘ zumindest partiell auf eine genuine Konfliktsituation zurückgehen und mehr sind als ein bloßes Gedankenkonstrukt klassischer Autoren. Auffallend ist, erstens, dass ein Dreierschema verwendet wird, während die sonstigen Beispiele für räumlich gedachte Konflikte, die Schmidt-Hofner für die Klassik anführt, mit einfachen Dichotomien wie Stadt-Land, Land-See, Hafen-Binnenstadt oder Griechen-Barbaren operieren.167 Zweitens ist die Assoziation der drei Parteien mit den drei attischen Regionen pedion, paralia und diakria so nur in der Athenaion politeia gegeben, während Herodot rund hundert Jahre früher für die Peisistratos-Partei den Begriff hyperakrioi („Hinterbergler“) benutzt, der kein direktes geographisches Äquivalent in der Landschaft des klassischen Athens besitzt.168 In einem anhand der klassischen Geographie Attikas erstellten Konstrukt stünden also die herodoteischen ‚Hinterbergler‘ als Fremdkörper da, und tatsächlich wurde dieser ‚Fremdkörper‘ in der Athenaion politeia dann auch durch die geläufigere Bezeichnung diakrioi („Berg-Bewohner“) ersetzt. Das könnte ein Indiz sein, dass die ‚Hinterbergler‘ tatsächlich auf eine archaische Bezeichnung zurückgehen. Hinzu kommt ein letzter Punkt, den es zu berücksichtigen gilt: Das Gebiet Attikas ist für eine griechische Polis außergewöhnlich groß. Das bringt zwei Probleme mit sich, die mit der Geschichte um die ‚Hinterbergler‘ direkt zusammenhängen könnten. Einerseits ist nicht anzunehmen, dass Stasis-Führer unter den Bedingungen vormoderner Politik, die auf Kommunikation unter Anwesenden beruhte, in allen Regionen gleich präsent sein konnten; andererseits ist auch nicht zwingend davon auszugehen, dass die Kontrolle durch den Zentralorts und die dort tonangebenden Parteien im ganzen Territorium Attikas tatsächlich durchsetzbar war.169 Diese Problematik wurde in der Forschung durchaus schon gesehen. In einem breit rezipierten Aufsatz aus dem Jahr 1960 hatte Raphael Sealey für regionale Gegensätze wirft, dahinter aber eine Alkmeoniden-freundliche Tradition vermutet, die Megakles von seiner Verstrickung bei der Etablierung der Tyrannis reinwaschen sollte; die Dreiteilung geht seiner Ansicht nach auf eine Adaption der Pandion-Sage zurück, gemäß der dieser legendäre König Athens Attika unter seinen drei Söhnen entspr. aufgeteilt habe. Seine eigene Rekonstruktion mit Megakles als Führer des demos und Lykurg als Vertreter des alten Adels geht jedoch von höchst spekulativen (m. E. falschen) Prämissen aus. 166 Schmidt-Hofner (2014). 167 Schmidt-Hofner (2014) 630–650. 168 Zu den Indizien für die Gebräuchlichkeit der geographischen Bezeichnungen pedion, paralia und diakria in klassischer Zeit s. Hopper (1961) 189–194. 169 Zur überspitzen These von Anderson (2003), wonach Attika erst unter Kleisthenes gänzlich in die Polis Athen integriert worden sei, s. u.

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als zentrales Movens athenischer Politik in archaischer Zeit plädiert.170 Der Ansatz ist mehrfach kritisiert worden, da Sealey einerseits dazu tendiert, alles – etwa auch den angeblichen Umsturzversuch Kylons – unter regionalen Aspekten zu interpretieren, und da andererseits die Zuordnung einzelner Stasis-Führer zu den jeweiligen Regionen nicht überzeugend geführt werden kann. Auch deuten die Berichte Herodots und der Athenaion politeia (abgesehen von der kurzen Erwähnung der drei Parteien) nicht auf quasi-feudale Gefolgschaften im Umland hin, sondern betonen im Gegenteil die zentrale Rolle des Zentrums als Ort des politischen Geschehens. Die Vorstellung von Besitzballungen einzelner Familien in einzelnen Regionen widerspricht zudem dem Befund aus klassischer Zeit, wo reiche Familien typischerweise über Streubesitz verfügten, der sich über ganz Attika verteilte.171 Dennoch hat der Ansatz seine Meriten, da er nicht mit anachronistischen Gegensätzen von ‚arm‘ und ‚reich‘ und entsprechenden Verfassungsentwürfen operiert, sondern die Zentrum-Peripherie-Problematik in den Blick nimmt, die, wie gezeigt, einen Faktor archaischer Politik darstellte.172 Greg Anderson hat den regionalen Ansatz in seiner 2003 erschienen Monographie denn auch aufgegriffen und erheblich verfeinert.173 Andersons Hauptthese ist, dass die Zusammengehörigkeit Attikas – politisch wie vor allem auch symbolisch – erst im Zuge der kleisthenischen Phylenreform vollumfänglich realisiert wurde, während man im frühen sechsten Jahrhundert zwar mit einer „de facto Athenian hegemony in the region“ zu rechnen habe, aber nicht davon ausgehen solle, „that the areas that lay much beyond the plain of Athens were fully incorporated into the Athenian polis.“174 In der zugespitzten Form, in der Anderson die These verficht, ist sie kaum haltbar,175 aber dass der Zentralort und die ihn kontrollierende Fak170 Sealey (1960). Der regionalgeschichtliche Ansatz ist insbesondere interessant für die Deutung der 10 Archonten in [Aristot.] Ath. pol. 13,2 bestehend aus fünf Eupatriden, drei agroikoi und zwei demiourgoi (s. o. S. 291–294): Sealey (1960) 178–180 und Sealey (1961) versuchte, dies als Ausgleich zwischen den regionalen Stasis-Parteien zu deuten, Roebuck (1974) verwarf diese These, ging aber ebenfalls in eine ähnliche Richtung, indem er für einen Ausgleich zwischen der alten ‚Kaste‘ der Eupatriden, den durch die attische Binnenkolonisation reich gewordenen Landbesitzern (agroikoi bzw. geomoroi) und lokalen Demenfunktionären (demiourgoi) plädierte. 171 Zur Kritik an Sealey s. bereits Hopper (1961) 190. Anm. 1 und dann v. a. Stahl (1987) 73–77 und nochmals knapp zusammenfassend Schmidt-Hofner (2014) 625–627. Allerdings könnte der Streubesitz in klassischer Zeit auch eine Folge des Aufhebens regionaler Gegensätze sein, so dass es nun vorteilhaft war, als Landbesitzer möglichst breitgefächert über lokale Prominenz zu verfügen (ein Hinweis, den ich Moritz Hinsch verdanke). 172 S. o. Kap. 3. 173 Anderson (2003), vgl. auch Anderson (2000). 174 Anderson (2003) 21. Knapp zusammengefasst erscheint die These bereits bei Anderson (2000) 404–412. 175 Die positiven Belege sind dünn: Die Interpretation der Grabinschrift des Tet(t)ichos, die zwischen trauernden astoi und (von anderswoher kommenden – ἄλοθεν) xenoi unterscheidet (IG I3 1194bis), ist kaum ein Indiz dafür, dass Bewohner des Umlands als ‚Fremde‘ angesehen wurden [Anderson (2003) 24]. Dass in Südattika Grabkouroi nach 590 nicht abbrechen, als Indiz zu werten, dass die solonischen Grabluxusgesetze über das Kerngebiet um die Stadt hinaus nicht durch-

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tion mit den Mitteln archaischer Politik Probleme hatten, eine de facto Kontrolle über das gesamte Gebiet Attikas auszuüben, ist durchaus plausibel. Die ab klassischer Zeit fassbaren Mythen um einen athenischen Synoikismos unter Theseus und das Fest der Synoikia deuten ebenfalls darauf hin, dass auch in nacharchaischer Zeit noch ein Bewusstsein für die potentielle Prekarität der Einheit Attikas bestand.176 Noch im zweiten nachchristlichen Jahrhundert wusste Plutarch zu berichten, dass die beiden attischen Demen Pallene und Hagnus untereinander kein Konnubium hatten, was er mit lokalen Konflikten aus mythischer Zeit erklärte.177 In diesen Kontext passt denn auch Andersons Interpretation der drei Parteien: Es handele sich seiner Deutung nach bei den regionalen Zuschreibungen nicht um die lokalen Stammsitze der jeweiligen Stasisführer, sondern um die Orte ihres Exils in der Peripherie. Die Alkmeoniden hätten sich nach dem kylonischen Frevel nach Südattika, die später als paralia bekannte Region, zurückgezogen, während Peisistratos nach seiner ersten Tyrannis nach Nordwest-Attika – ‚hinter die Berge‘ – ausgewichen sei.178

176

177 178

gesetzt worden seien [Anderson (2003) 24–26], zieht als Argument ebenfalls nicht, da das Verbot aufwendiger Grabmarker gemäß Cicero explizit nicht in ‚Solons‘ Gesetzen stand, sondern erst post aliquanto (Ruschenbusch vermutet nach 490/80) eingeführt worden sei, s. F 72a (Ruschenbusch) = F 72a (Leão & Rhodes) = Cic. leg. 2,63. Dass es eine klare Vorstellung von einem Gebiet Athens gab, auf dem athenisches Recht gelten sollte und das gegen andere Gebiete abgegrenzt war (was allerdings noch nichts über die tatsächliche Durchsetzung dieser Geltungsansprüche sagt), scheint mir durch das drakontische Gesetzt [IG I3 104 = Meiggs & Lewis Nr. 86 = Koerner Nr. 11 = Nomima Nr. 1.02 = F 5a (Ruschenbusch) = F 5a (Leão & Rhodes)], wo in Zeile 27 f. von „Grenzmärkten“ (ἐφορίαι ἀγοραί) und von Αθηναῖος im Rechtssinne die Rede ist (wobei zugegebenermaßen Ἀθην] rekonstruiert ist) hinlänglich gesichert; dass damit nicht zwingend das spätere Attika gemeint sein muss, wie Anderson (2003) 21 zu bedenken gibt [vgl. auch Anderson (2000) 408 f.], ist zwar möglich, scheint aber (wie Anderson selbst einräumt) höchst unwahrscheinlich; außerdem begegnet Athen im Schiffskatalog der Ilias (Hom. Il. 2,546–556) und es bedarf einiger intellektueller Verrenkungen, darin nicht das Gebiet von Gesamt-Attika zu sehen, zumal auch bei Hom. Od. 3,278 Sounion klar als zu Athen gehörig charakterisiert wird. Der erste epigraphische Beleg für die Synokia findet sich auf einer Stele mit Gesetzen der Deme Skambonidai (IG I3 244 C 16) und ist ungefähr in das zweite Viertel des 5. Jhs. zu datieren. Erstmals literarisch fassbar – als ‚uralte Tradition‘ – sind Fest und Mythos bei Thuk. 2,15; darüber, wie alt (und wie historisch aussagekräftig) diese Tradition ist, kann man sich streiten; dass der Mythos keine historische Erinnerung an die Dark Ages darstellt, sondern die „Staatswerdung“ des 6. Jhs. voraussetzt, betonte Welwei (1990); in extremis argumentiert Anderson (2003) 197–211 [vgl. auch Anderson (2007)], der Fest und Mythos erst nachkleisthenisch ansetzt; in Bezug auf Theseus, der tatsächlich erst gegen Ende des 6. Jhs. Prominenz in der Vasenmalerei erlangt, mag man da noch mittgehen, bei den Synoikia, bei denen noch im 4. Jh. die vorkleisthenischen Phylobasileis erscheinen, wird man ein höheres Alter veranschlagen müssen; für eine ausgewogene Darstellung s. Parker (1996) 14 und ebd. 168–170 zur „interpretatio Theseana“, die verschiedene Feste in der ersten Hälfte des 6. Jhs. erfuhren. Plut. Thes. 13; dass in den attischen Demen der Kaiserzeit oft eigene Geschichtstraditionen zu finden waren, die sich von der Version des Zentralorts unterschieden, betont auch Paus. 1,14,7. Anderson (2003) 26–34 und ausführlich Anderson (2000) 387–404 zu den Alkmeoniden. Die Argumentation ist bestechend, bleibt aber naturgemäß spekulativ: Für Peisistratos ist die Quellenlage dünn und für die Alkmeoniden sucht Anderson zwar ingeniös eine Verbindung zu Gräbern in Südattika herzustellen, deren Zuweisung an die Alkmeoniden jedoch genau so hypothetisch

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In der Tat erklärt Herodot bei der ersten Vertreibung des Peisistratos lediglich, dass dieser aus Athen vertrieben worden sei, während bei der zweiten Verbannung ganz klar festgehalten wird, dass er mit seinen Anhängern außer Landes nach Eretria gegangen sei.179 Dass ein Exil in archaischer Zeit nicht zwingend ein Verlassen des Landes bedeuten musste, sondern lediglich ein Rückzug in die Randgebiete der Chora sein konnte, zeigt denn auch die Klage des Alkaios, der als Verbannter in der eschatia – also am äußersten Rand der Peripherie – weilt, aber sich offenbar durchaus noch auf seiner Heimatinsel Lesbos befindet.180 Es gibt auch keinen Grund, an der Überlieferung bei Herodot und in der Athenaion politeia zu zweifeln, wonach die Alkmeoniden und andere Exilierte nach 514 die Ortschaft Leipsydrion am Parnas im nördlichen Attika befestigten und zum Ausgangspunkt ihrer Operationen gegen die Peisistratiden machten181 – auch in diesem Fall wäre das ‚Exil‘ also nicht ein Verlassen des Landes, sondern ein Rückzug aus dem Zentrum in die Peripherie. Die Bezeichnung ‚Hinterbergler‘ könnte daher sehr wohl historisch sein, möglicherweise gar als pejorative Fremdbezeichnung für die Anhänger des Peisistratos, die mit ihm ins Exil ‚hinter die Berge‘ gingen. Wenn Andersons spekulative Rekonstruktion stimmt, könnte man ähnliches für die paralioi, die mit Megakles assoziierten ‚Küstenbewohner‘ vermuten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Assoziation aller drei Stasis-Gruppen mit Regionen Attikas eine spätere Analogiebildung ist, die dann im vierten Jahrhundert dazu führte, dass die wohl tatsächlich historischen hyperakrioi mit der geläufigen geographischen Bezeichnung diakria verknüpft und zu diakrioi gemacht wurden. Dass die Bezeichnung ‚Hinterbergler‘ auf den Ort von Peisistratos’ Exil in der Chora Attikas Bezug nimmt, muss in Anbetracht der dünnen Quellenlage hypothetisch bleiben. Vor dem Hintergrund des großen und damit schwer zu kontrollierenden Territoriums Athens, scheint es mir aber eine plausible Hypothese, die einiges Erklärungspotential bietet. Denn sie unterstreicht das problematische Verhältnis von Zentrum und Peripherie und dass es keineswegs als selbstverständlich angesehen werden muss, dass jemand, der die Akropolis besetzt hielt, automatisch das gesamte Gebiet Attikas beherrschte. Dass gerade in Stasis-Situationen das Zentrum die Kontrolle zumindest über Teile der Peripherie zu verlieren drohte, ist keineswegs abwegig und findet sich auch in klassischer Zeit vielfach belegt.182 Die Einsetzung von dezentralen Demenrichtern, welche die Athenaion politeia dem Peisistratos zuschreibt, könnte als

bleiben muss wie die vermeintlich genau datierbaren Verbannungen, die Anderson mit diesen Gräbern synchronisieren möchte. Unklar ist ferner, wie sich das alkmeonidische Exil zu dem historisch verbürgten Exilort Leipsydrion in Nordattika verhält (s. u.). 179 Hdt. 1,60,1 und 1,61,2. Das Argument findet sich so bereits bei Sealey (1960) 163 f. 180 Alkaios F 130b,1–9 L-P (= P. Oxy. 2165 fr. 1 col. II 9–32 & fr. 2 col. II 1). Vgl. o. S. 133. 181 Hdt. 5,62,2; [Aristot.] Ath. pol. 19,3. 182 Gehrke (1985) 224–229.

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direkte Reaktion auf diese Problematik gedeutet werden.183 Und auch die ausgeklügelte Phylenreform des Kleisthenes, die mit einem hochgradig artifiziellen System die Integration der Peripherie in die politischen Institutionen des Zentralorts Athen zu gewährleisten versuchte, wird vor diesem Hintergrund besser verständlich: Es handelt sich um eine direkte Reaktion auf jene strukturellen Probleme, die in den Stasis-Situationen des sechsten Jahrhunderts besonders offenkundig erfahrbar geworden waren. Wie zu argumentieren sein wird, sollte diese forcierte Integration der Peripherie in das Zentrum die Spielregeln der Politik und damit die Modi der Konkurrenz grundsätzlich verändern. Nebst der zu vermutenden Zentrum-Peripherie-Problematik gibt es bei der Tyrannis des Peisistratos jedoch noch zwei weitere Faktoren, die gesellschaftsgeschichtliche Relevanz besitzen. Einerseits den destabilisierenden Faktor, den die Umwelt für die Ordnung in der jeweiligen Polis darstellte, und andererseits die kaum fassbare institutionelle Absicherung der einmal errungenen Tyrannis, die, so meine ich, nicht nur der dünnen Quellenlage geschuldet ist, sondern ein wichtiges Schlaglicht auf die Bedeutung der politischen Ordnung für die Konstituierung der Oberschicht im spätarchaischen Athen wirft. Dass die Interaktion mit der Umwelt ein destabilisierender Faktor war, zeigt die Geschichte um Peisistratos gleich in mehreren Episoden. Die Versuche, die Tyrannis zu erringen, lesen sich wie ein Lehrbuch über die Möglichkeiten, Politik zu betreiben:184 Im ersten Anlauf lässt sich Peisistratos vom demos eine Leibwache geben, nachdem er sich selbst Verletzungen zugefügt und seinen innenpolitischen Gegnern einen Mordanschlag unterstellt hatte. Mit dieser Leibwache besetzte er alsdann die Akropolis.185 Der zweite Griff nach der Tyrannis erfolgte dagegen auf einer ganz anderen Basis, nämlich über eine innenpolitische Verständigung mit dem rivalisierenden Stasis-Führer Megakles – ein Bündnis, dass durch eine politische Eheschließung zwischen Pei183 [Aristot.] Ath. pol. 16,5. 184 Dass die Geschichte um den dreimaligen Versuch, die Tyrannis zu erringen, hochgradig stilisiert erscheint, wurde schon mehrfach betont, wobei nicht nur die drei gänzlich verschiedenen Methoden verdächtig erscheinen, sondern auch die Darstellung von Peisistratos als ‚Trickster‘, der in allen drei Episoden mit List und Betrug arbeitet (zuerst betrügt er den demos mit selbst zugefügten Wunden, dann, indem er sich von einem als Athena verkleideten Mädchen in die Stadt führen lässt, seinen Verbündeten Megakles betrügt er durch eine Scheinehe mit dessen Tochter und schließlich hinderte er die fliehenden Gegner durch eine List daran, sich neu zu formieren). Für eine sehr skeptische Analyse der Geschichte vor dem Hintergrund mündlicher Traditionsbildung s. etwa Sancisi-Weerdenburg (2000c) 101–105. 185 Hdt. 1,59,5; [Aristot.] Ath. pol. 14,1. Die Geschichte mit den selbst zugefügten Wunden erinnert an die bei Plut. Dion 34 überlieferte Geschichte, wonach in Syrakus ein gewisser Sosis als Parteigänger des vertriebenen Tyrannen Dionysios II mit selbst zugefügten Wunden auf der Agora Stimmung gegen den neuen Machthaber Dion machte, um diesen als Tyrannen zu denunzieren und Dionysios die Rückkehr zu ebnen – auch wenn vieles märchenhaft anmutet und sicher mündlich überformt ist, so hat Herodots Geschichte also doch eine gewisse lebensweltliche Plausibilität hinsichtlich der Möglichkeiten, gezielte Agitation vor städtischen Volksmassen zu betrieben.

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sistratos und der Tochter des Megakles besiegelt wurde.186 Die von Herodot hervorgehobene Rückführung des Peisistratos durch eine als Athena verkleidete Frau namens Phye, mit der die einfältigen Athener betrogen worden seien, ist zwar für die Analyse des herodoteischen Narrativs zentral, erscheint aber machtpolitisch zweitrangig.187 Als Peisistratos die Ehe nicht vollzog, zerbrach das Bündnis; Megakles schloss sich mit seinen Rivalen zusammen und vertrieb Peisistratos.188 Beide Ansätze sind gänzlich verschieden: Im einen Fall wird mit Hilfe des demos die eigene Machtstellung gegenüber den Rivalen gestärkt (wobei das völlige Fehlen von ‚Sozialmaßnahmen‘ in den antiken Narrativen Beachtung verdient!). Im zweiten Fall erfolgt die Machtsicherung dagegen über eine rein oberschichtsinterne Absprache. Damit sind die Möglichkeiten, wie man innerhalb der Polis Machtpolitik betreiben kann, erschöpft. Den dritten und letztlich erfolgreichen Versuch unternahm Peisistratos dann mit Hilfe von außen: Geldmittel, Söldner und externe Gastfreunde, die er während seiner Zeit im Exil akquiriert hatte und die es ihm ermöglichten, die Verhältnisse in Athen zu seinen Gunsten zu wenden.189 Außenbeziehungen waren jedoch kein Monopol des Peisistratos, sondern standen auch seinen Rivalen offen. Die Philaiden betätigten sich als Kolonisten und errichteten sich in Thrakien eine unabhängige Machtbasis.190 Die Alkmeoniden konnten, obschon zeitweilig im Exil, in Delphi als Euergeten den Neubau des Tempels übernehmen und sich damit panhellenisches Prestige und – so zumindest die Unterstellung Herodots – direkten Einfluss auf das delphische Orakel sichern.191 Bereits erwähnt wurde der Fall

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Hdt. 1,60,2; [Aristot.] Ath. pol. 14,4. Hdt. 1,60,3–5. Sancisi-Weerdenburg (2000c) 103 deutet die Episode im Kontext mündlicher Traditionsbildung (in Analogie zu dem Betrug des Megakles mit der nicht vollzogenen Ehe); für Versuche, die Phye-Geschichte historisch einzuordnen, s. etwa sehr skeptisch Blok (2000) und sehr viel optimistischer Lavelle (2005) 99–107. 188 Hdt. 1,61,1 f.; [Aristot.] Ath. pol. 15,1. 189 Hdt. 1,61,3–64; [Aristot.] Ath. pol. 15. Herodot (1,61,3 f.) spricht von „Geschenken“ (δωτίναι), die Peisistratos und seine Söhne von Städten erbeten hätten, die ihnen verpflichtet waren, wobei vor allem Theben viel gegeben habe, ferner wird von Söldnern aus Argos berichtet und von Lygdamis aus Naxos, der sich als Freiwilliger angeschlossen und Geld und Männer zur Verfügung gestellt habe. Persönliche Gastfreundschaftsbeziehungen scheinen dabei zentral gewesen zu sein: Der Zulauf argivischer Söldner dürfte sicherlich mit der Eheverbindung zusammenhängen, die Peisistratos nach Argos unterhielt (Hdt. 5,94,1; [Aristot.] Ath. pol. 17,4), und Lygdamis’ freiwillige Hilfe begründete eine längerfristige Beziehung, die dazu führte, dass ihm Peisistratos seinerseits zur Tyrannis auf Naxos verhalf (Hdt. 1,64,2; [Aristot.] Ath. pol. 15,3); zu wechselseitigen Verpflichtungen und Heiratsverbindungen als wichtiger Faktor s. Stahl (1987) 93–99. Lavelle (2005) 99–107 und Sears (2013) 52–59 versuchen, die Verbindung nach Thrakien und den dort zu vermutenden Minen stark zu machen und darin den Schlüssel zu Peisistratos’ Erfolg zu sehen (Geldzufluss aus der Gegend um den thrakischen Fluss Strymon erwähnt Hdt. 1,64,1, und [Aristot.] Ath. pol. 15,2 sieht Peisistratos an der Gründung der thrakischen Kolonie Rhaikleos beteiligt). 190 Hdt. 6,34–41. Dazu Stahl (1987) 106–115 und Sears (2013) 59–69 mit jeweils einer ausführlichen Besprechung von Quellen und Literatur. 191 Dazu ausführlich: Stahl (1987) 120–133.

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des Philaiden Kimon, der seinen Olympiasieg im Wagenrennen gegen eine Heimkehr aus dem Exil ‚eintauschte‘ – also panhellenisches Prestige ganz konkret in innenpolitische Vorteile ummünzen konnte.192 Dies alles deutet darauf hin, dass der panhellenische Raum primär destabilisierend wirkte:193 Einzelne Akteure verfügten damit über Handlungsräume jenseits der Polis, die es ihnen erlaubten, Ressourcen zu mobilisieren, mit deren Hilfe sie auf die Polis und die dort geltende Rangordnung zurückwirken konnten. Bezeichnenderweise war es denn auch erneut eine Intervention von außen, die den endgültigen Sturz der Peisistratiden besiegelte.194 Dass die Polis nicht alternativlos war, sondern dass gerade besonders herausragende Figuren der Oberschicht auf verschiedenen Handlungsfeldern aktiv waren und die der Stadt eigene Zentrum-Peripherie-Differenzierung überwanden, lässt diese Figuren aus moderner Perspektive ‚adlig‘ erscheinen. Doch anders als in der europäischen Neuzeit, wo das überregionale Kommunikationsnetz des Adels zur Stabilisierung der Adelsherrschaft beitrug, trugen hier diese erweiterten Möglichkeiten vor allem zur Destabilisierung der Verhältnisse innerhalb der einzelnen Poleis bei – dies nicht zuletzt deshalb, weil der panhellenische Raum zwar eine Alternative jenseits der Polis eröffnete, die eigene Polis aber dennoch den primären Bezugspunkt der griechischen Oberschicht darstellte und der primäre Ort war, an dem man Ehre und Anerkennung genießen wollte.195 Die Rückkehr nach Athen war Kimon mehr wert als ein Olympiasieg – das sagt eigentlich alles. Die Polis und die über die Polis generierten Ehren bilden denn auch den dritten sozialgeschichtlich relevanten Aspekt von Peisistratos’ Tyrannis. Denn wie Heleen Sancisi-Weerdenburg festgehalten hat, erscheint die Tyrannis bei Herodot als eine weitgehend informelle Machtposition, der kein verfassungsrechtlicher Amtscharakter zukommt.196 Ganz ähnlich argumentierte Josine Blok in demselben revisionistisch an-

192 Hdt. 6,103. Für eine ausführliche Besprechung und Forschungsliteratur s. o. S. 219 f. 193 Dazu auch o. Kap. 3.4. 194 Hdt. 5,62–65; [Aristot.] Ath. pol. 19. Dass die in Athen hochverehrten ‚Tyrannenmörder‘ den Sturz der Tyrannis eben gerade nicht herbeigeführt haben und nur verdeckten, dass der eigentliche Anstoß von außen kam, ist auch Gegenstand der Exkurse bei Thuk. 1,20 und 6,53,3–59. 195 Die gelegentlich noch vertretene Auffassung, wonach die eigentliche Lebenswelt des griechischen ‚Adels‘ die panhellenischen Wettkämpfe und Heiligtümer gewesen sei, während man sich mit den kleinräumigen Verhältnissen in den Poleis nur ungern abgab, ist nur aus dem idealisierten Griechenbild heraus zu erklären, das in Kap. 4 besprochen wurde; in den Quellen ist der ausgeprägte Polisbezug eindeutig. 196 Sancisi-Weerdenburg (2000b) und im selben Band Blok (2000) spez. 34–39. Generell birgt die klassische Sicht auf ‚die Tyrannis‘ als einheitliches Phänomen die Gefahr, hier sehr verschieden ausgeprägte Herrschaftsformen unzulässig zu harmonisieren – ob die Stellung früher ‚Tyrannen‘ wie etwa der korinthischen Kypseliden oder der sikyonischen Orthagoniden, deren Anfänge wohl in institutionell sehr viel weniger gefestigten politischen Verhältnissen liegen, mit der deutlich späteren Tyrannis eines Peisistratos vergleichbar ist, scheint mir sehr fraglich; denn eine ‚postkonstitutionelle‘ Herrschaft, die bei vielen antiken Stadttyranneis, aber auch dem römischen Principat vorliegt, wie Jürgen von Ungern-Sternberg in Müller & Ungern-Sternberg (2004) 73 unter

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gelegten Band und hielt fest, dass jegliche Indizien dafür fehlen, dass Peisistratos eine gezielte ‚staatliche‘ Kulturpolitik betrieb oder in das institutionelle Gefüge der Polis eingriff; den Erfolg des Tyrannen sieht sie vielmehr darin begründet, dass er die bestehenden Zustände unangetastet ließ: „It was his ability to maintain a state of eunomia that induced both fellow aristocrats and dependent population to accept his position as primus inter pares.“197 Derartige Argumentationen basieren sehr stark auf einem argumentum e silentio – und auf einer Priorisierung Herodots gegenüber jüngerer Überlieferung, die Peisistratos’ Stellung dann doch weniger informell sieht – so schreibt ihm Thukydides die Erhebung von Steuern als sehr konkretes machtpolitisches Mittel zu, nebst einer eigentlichen Bau- und Kriegspolitik.198 Die Interpretation von Sancisi-Weerdenburg, dass Thukydides die bei Herodot noch greifbare informelle Machtstellung des Tyrannen durch eine „constitutional perspective“, die sich inzwischen etabliert habe, filtere und verzerre,199 ist in Anbetracht des geringen zeitlichen Abstands zwischen den beiden Autoren mit einigen Fragezeichen versehen. Dennoch spricht einiges für eine eher informelle Position der athenischen Tyrannen.200 Polisämter scheinen fortzubestehen: Schatzmeister (ταμίαι) sind epigraphisch auf der Akropolis belegt201 und nach dem Sturz der Tyrannis existiert ein Rat, der offenbar so breit akzeptiert war, dass seine versuchte Auflösung zu einem spontanen Volksaufstand führte,202 was gegen eine eben erst erfolgte Neuschöpfung spricht. Nicht zuletzt zeigt ein 1936 auf der Athener Agora gefundenes Fragment einer um 424/3 zu datierenden Archontenliste, dass das eponyme Archontat keineswegs von den Tyrannen und ihren Anhängern exklusiv monopolisiert wurde, sondern dass, ganz im Gegenteil, die Peisistratiden offenbar nicht umhinkamen, auch potentielle Rivalen aus anderen angesehenen Familien zu dieser Ehrenstellung zuzulassen. Denn der Name des Archon von 525/4 ist ziemlich sicher

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Rückgriff auf Eric Voegelin hervorhob, bedingt, dass es zuvor eine ‚konstitutionelle Herrschaft‘ gab – bei Tyranneis, die bis weit ins 7. Jh. zurückreichen, ist das jedoch nicht per se vorauszusetzen. Unklar ist auch, ob sich die Peisistratiden selbst als Tyrannen sahen: Die Selbstbezeichnung als Tyrannen begegnet zwar in der bei Thuk. 6,59,3 überlieferten Grabinschrift von Hippias’ Tochter Archedike, doch bezieht sich diese auf Lampsakos und lässt keine zwingenden Rückschlüsse auf Athen zu. Blok (2000) 39. Thuk. 6,54,5. Die Formulierung bei Hdt. 1,64,1, Peisistratos habe seine Stellung (u. a.) auf χρημάτων σύνοδοι gestützt, könnte freilich durchaus auf eine Steuer hinweisen (kann aber auch wenig institutionalisierte Abgaben in Form von ‚Geschenken‘ meinen); zentral für die Erhaltung der Macht scheinen aber in der Tat außerinstitutionelle Gegebenheiten, v. a. die ebd. erwähnten militärischen Verbündeten (ἐπίκουροι) und die Stellung von Geiseln, die zum befreundeten Tyrannen Lygdamis nach Naxos übersandt wurden. Sancisi-Weerdenburg (2000b) 15. Vgl. auch Manville (1990) 162–164 für das Weiterbestehen der Polis-Institutionen, die erst unter dem von den Tyrannen garantierten Frieden richtig aufblühten. IG I3 510; IG I3 590 = DAA 330. Hdt. 5,72; [Aristot.] Ath. pol. 20,3; dazu u. Kap. 7.2.3.

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als [Κ]λεισθέν[ες] zu rekonstruieren, was eigentlich nur der prominente Alkmeonide und spätere Reformer sein kann, während als Archon im Folgejahr ein [Μ]ιλτιάδες erscheint, der als der spätere Marathonsieger aus der Familie der Philaiden angesprochen werden muss.203 Dass mit dem Amt eine größere Machtfülle verbunden war, darf bezweifelt werden,204 doch darum ging es nicht, sondern es ging um die damit verbundene Ehre – und diese war beim eponymen Archontat sicherlich gegeben. Der Umstand, dass Peisistratos und seine Söhne Ämter nicht einfach abschaffen und auch potentielle Rivalen nicht dauerhaft von Ehren ausschließen konnten, erscheint mir bezeichnend. Damit erklärt sich, weshalb die ‚informelle‘ Stellung der Tyrannen schwer fassbar erscheint: Es war eine Machtposition, die neben der bereits etablierten Ordnung existierte und eben primär eine Macht- und weniger eine institutionell abgesicherte Ehrenstellung war. Vor allem aber zeigt sich darin, dass die politischen Ämter nicht beliebig veränderbar waren, denn über diese Ämter definierte sich die Oberschicht der Polis als regimentsfähige Gruppe; Ordnung und Stabilität konnte daher nur gewährleistet werden, wenn das Bekleiden solcher Ämter weiterhin möglich war. Der Gestaltungsspielraum eines Tyrannen auf institutioneller Ebene war damit eingeschränkt – ein Phänomen, das sich in deutlich zugespitzterer Form auch im römischen Principat beobachten lässt.205 Damit ist der Bogen zu der zu Beginn dieses Kapitels konstatierten Ähnlichkeit zwischen Solon und dem späteren Tyrannen geschlagen: Vieles spricht dafür, dass auch Peisistratos sorgsam darauf bedacht war, niemandem Ehre (τιμή) wegzunehmen oder hinzuzufügen,206 sondern die Ehre generierenden Polisämter weitgehend unangetastet beließ und sich mit einer informellen Machtstellung begnügte. Diese informelle Machtstellung stabilisierte die bestehende Ordnung, da er als primus inter pares deviantes Verhalten unterbinden konnte. Es verhinderte aber eine Stabilisierung und institutionelle Legitimierung der eigenen Position als Alleinherrscher. Es ist also nicht völlig abwegig, den Tyrannen als Garant der eunomia zu sehen, der ganz in Solons Sinne schaut, dass jedem das Gebührende zukommt und keiner unrechtmäßig den

203 IG I3 1031 = Meiggs & Lewis Nr. 6. Erstpublikation und Kommentierung des hier relevanten Fragments bei Meritt (1939) 59–65. Vgl. Davies (1971) 375 f. zum Archontat von Kleisthenes und 301 zu jenem von Miltiades. 204 In diesem Sinne Stahl (1987) 175–187. 205 Zur ‚politischen Integration‘ der römischen Gesellschaft (d. h. dem Phänomen, dass politische Ämter ‚Adel‘ generieren) als zentrales Problem des römischen Principats, das aus genau diesem Grund die alte politische Ordnung nicht abschaffen konnte, s. programmatisch Winterling (2001) sowie Winterling (2005b) und Winterling (2008); vgl. daran anschließend meine eigenen Überlegungen in Meister (2012) 109 ff. Den Aspekt, dass es den nicht in monarchischer Tradition stehenden Tyrannen nicht gelang, zu einer Verkörperung des ‚Staates‘ zu werden (was mitunter zur Folge hatte, dass der ‚Staat‘ nicht als etwas der ‚Gesellschaft‘ Gegenüberstehendes gedacht werden konnte), betont Ungern-Sternberg (2009) 21 mit Blick auf die anders geartete Entwicklung der europäischen Neuzeit. 206 Solon F 5 W.

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Sieg davonträgt. Insofern ist es nur folgerichtig, dass mit der Vertreibung der Tyrannen die Polis wieder in den Zustand der dysnomia verfiel. 7.2.3 Kleisthenes und die Integration der Peripherie ins Zentrum Herodot und die Athenaion politeia sind die beiden wichtigsten Quellen für die Zeit unmittelbar nach der Vertreibung der Tyrannen.207 Die Ereignisse Ende des sechsten Jahrhunderts waren zumindest für Herodot noch knapp im Bereich des ‚kommunikativen Gedächtnisses‘ und damit nicht in dem Ausmaße mündlich überformt wie die Zeit davor. Die grobe Abfolge der Ereignisse ist denn auch wenig kontrovers: Im Machtvakuum, das die Tyrannen hinterlassen hatten, brachen erneut Parteikämpfe aus, wobei der Alkmeonide Kleisthenes und Isagoras die beiden dominierenden Akteure waren.208 Nachdem Kleisthenes zunächst unterlegen war, gelang es ihm erneut, die Oberhand zu gewinnen, indem er den demos auf seine Seite zog – laut der Athenaion politeia, indem er die politeia auf die Menge übertrug, laut Herodot, indem er den demos in seine Hetairie aufnahm (προσεταιρίζεται).209 Sein Rivale Isagoras rief darauf207 Hdt. 5,66–78; [Aristot.] Ath. pol. 20 f. Die Literatur zu der Auseinandersetzung im Umfeld der kleisthenischen Phylenreform ist sehr umfangreich, verwiesen sei hier lediglich und ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf die Darstellung bei Hignett (1952) 124–158 im Rahmen seiner Verfassungsgeschichte sowie auf die neuere, ganz der Reform gewidmete Monographie von Anderson (2003), die den identitätsstiftenden Charakter der Reform sehr stark macht, durch die das zuvor nur lose verbundene Gebiet Attikas tatsächlich zu einer Polis zusammenwuchs. Zumindest im deutschsprachigen Raum ‚klassisch‘ sind die Diskussionen von Martin (1974) spez. 12–22, der die Reform aus der Logik adliger Parteikämpfe als Versuch deutet, alte Gefolgschaften aufzubrechen, ohne aber dadurch grundsätzlich die Vorherrschaft des ‚Adels‘ in Frage zu stellen, und Meier (1980) 91–143, der die Forderung nach Isonomie und die Herstellung einer „bürgerlichen Gegenwärtigkeit“ im Zentrum der politischen Entscheidungen als zentrales Anliegen der Reform hervorhob – die Forderung nach Gleichheit und Mitbestimmung seitens des demos sei dabei zentral und auf sie habe Kleisthenes reagiert –, doch analog zu Martin betont auch Meier, dass damit noch keine grundsätzliche Infragestellung des ‚Adels‘ einherging. In eine ähnliche Richtung geht Stein-Hölkeskamp (1989) 154–177, welche die gewandelten Bedingungen, unter denen Politik nach Kleisthenes betrieben wurde, unterstreicht. Zugespitzter und m. E. in seiner radikalen Modernisierung anachronistisch argumentiert Ober (2004) [vgl. auch Ober (1993)], der sich gegen die Idee einer Reform ‚von oben‘ stellt und den revolutionären Charakter betont, der (analog zur französischen Revolution) vom Volk ausgegangen sei und sich im Aufstand gegen Isagoras und Kleomenes manifestiert habe, die kleisthenischen Reformen seien dann eine Reaktion auf diesen Aufstand (was allerdings bedingt, dass Ober mit der eher impliziten Chronologie der Athenaion politeia gegen die explizite Chronologie bei Herodot argumentieren und die Reform zeitlich nach der Vertreibung des Isagoras ansetzen muss). Für einen primär militärischen Aspekt der Reformen plädieren van Effenterre (1976) und Siewert (1982). Grote (2016a) 205–220 behandelt die athenische Phylenreform im breiteren Kontext von Entstehung und Funktion archaischer Phylen in versch. Poleis und legt dabei den Fokus auf die Integration der Bürgerschaft und die Festigung von ‚Staatlichkeit‘. 208 Hdt. 5,66,1; [Aristot.] Ath. pol. 20,1. 209 Hdt. 5,66,2; [Aristot.] Ath. pol. 20,1.

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hin seinen Gastfreund, den spartanischen König Kleomenes, zu Hilfe, der allerdings nicht militärisch intervenierte, sondern über einen Herold verlangte, dass man den kylonischen Frevel sühne und die ‚Fluchbeladenen‘ aus der Stadt weise.210 Und in der Tat: Kleisthenes verließ Athen freiwillig. Erst danach fiel Kleomenes in Attika ein und vertrieb weitere 700 Familien. Das Bemerkenswerte an dieser Geschichte ist der fehlende Widerstand: Kleisthenes räumte freiwillig das Feld und auch die Vertreibung der 700 Familien – was, wie Egon Flaig zu Recht hervorhob, eine ganz gewaltige Zahl ist211 – wurde einfach hingenommen. Dies ist umso erstaunlicher, als Kleomenes, wie explizit vermerkt wird, mit einer äußerst geringen Zahl von Bewaffneten angerückt war.212 Es gab nicht nur keinen Widerstand, man rechnete ganz offenkundig auch nicht damit. Das änderte sich jedoch plötzlich, als Kleomenes den Rat auflösen und durch 300 Parteigänger des Isagoras ersetzen wollte. Der Rat widersetzte sich, woraufhin Kleomenes und Isagoras die Akropolis besetzten. Damit hatte der Konflikt eine militärische Dimension erlangt. „Die Athener“ (so Herodot, die Athenaion politeia spricht vom demos) belagerten daraufhin die Akropolis. Offenkundig nicht auf eine militärische Konfrontation vorbereitet, mussten die Belagerten rasch kapitulieren – die Spartaner und mit ihnen Isagoras durften abziehen, die restlichen wurden getötet. Erst nachdem auf diese Weise der Machtkampf entschieden war, riefen die Athener Kleisthenes und die 700 vertriebenen Familien wieder zurück.213 Diese grobe Abfolge der Ereignisse ist wenig kontrovers. Problematisch erscheint dagegen der Zusammenhang der Ereignisse mit der Phylenreform des Kleisthenes. Die communis opinio setzt die aus der Not geborene volksfreundliche Politik des Kleisthenes in einen direkten kausalen Zusammenhang mit seiner Phylenreform – dabei wird diese Reform in aller Regel als ein Versprechen auf mehr Mitbestimmung gesehen, in moderater Deutung als aristokratische Instrumentalisierung eines breiteren Wunsches nach isonomia, in radikalerer Deutung als bewusst herbeigeführter Bruch mit der alten Ordnung.214 Diese Deutungen sind jedoch nicht ohne Probleme, denn

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Hdt. 5,70–72,1; [Aristot.] Ath. pol. 20,2 f. Flaig (2004) 39 geht von mindestens 5000 Vertriebenen aus und hebt entsprechend hervor, dass das „der schwerste gewaltsame Eingriff in den Bürgerbestand, somit die umfangreichste Stasis [war], welche Athen bis dahin heimgesucht hatte.“ 212 Hdt. 5,72,1 schreibt, er sei οὐ σὺν μεγάλῃ χειρί angerückt, und [Aristot.] Ath. pol. 20,3 spricht schlicht von „wenigen“ (ὀλίγοι). 213 Hdt. 5,72–73,1; [Aristot.] Ath. pol. 20,3 f. 214 So etwa Stein-Hölkeskamp (1989) 167: „[S]ein Programm muß jedenfalls als eine den Interessen des demos adäquate, breiteren Schichten wünschenswert und vielversprechend erscheinende Alternative zum Bestehenden verstanden worden sein. Die ungewöhnlich massive und dauerhafte Unterstützung für Kleisthenes war gleichzeitig auch die dezidierte Absage einer mittlerweile reicher, unabhängiger und auch ‚politisch‘ anspruchsvoller gewordener Bürgerschaft an die alte Ordnung und an das bisher übliche Verhalten der Aristokraten.“ Ähnlich schon Meier (1980) 113–123, der die Forderung des demos nach Isonomie hervorhebt, und Ober (2004) (etwa 267: „The masses

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sie setzen erstens voraus, dass der demos eine homogene, bislang politisch unterprivilegierte soziale Gruppe war, die, zweitens, nach politischer Mitbestimmung verlangte und, drittens, in der später von Kleisthenes umgesetzten Phylenreform das probate Mittel zum Erreichen dieses Zieles erkannte und sich dadurch von ihm mobilisieren ließ. Alle drei Prämissen sind zu hinterfragen. Die Vorstellung, dass der demos eine homogene Masse darstelle, ist problematisch: Die logistischen Probleme antiker Versammlungsdemokratien legen nahe, dass es sich bei den für die Episode relevanten Akteure primär um die städtische Bevölkerung gehandelt haben dürfte, die im Zentralort anwesend und entsprechend einfach mobilisierbar war. Doch diese Bevölkerung dürfte sich aus Vertretern aller Zensusklassen zusammengesetzt haben – es ist auch naheliegend zu vermuten, dass Mitglieder der drei regimentsfähigen Klassen, die wohl eher stadtsässig waren als Theten, die sich auf dem Land verdingen mussten, überproportional vertreten waren. Das gilt erst recht für den spontanen und offenbar nicht antizipierten Aufstand gegen Kleomenes und Isagoras bei ihrem Versuch, den Rat aufzulösen: Spontan mobilisierbar war, wer anwesend war. Dieser Aufstand ist denn auch der einzige Punkt in der ganzen Geschichte, an dem eine breitere Partizipation der Athener konkret fassbar wird. Doch auch hier handelt es sich nicht um eine homogene Masse unterprivilegierter ‚Plebejer‘, sondern die Initiative geht vom Rat aus, der sich seiner Auflösung widersetzt, also von Honoratioren, die um ihren Status fürchten. Erst dieser Akt des Widerstands seitens einer größeren Gruppe angesehener Leute rief eine breitere Mobilisierung hervor. Dies führt zur Frage, was der demos eigentlich wollte und mit was man ihn mobilisieren konnte. Denn das Bemerkenswerte ist, dass die militärische Mobilisierung gegen Isagoras und Kleomenes eben gerade keine Unterstützung für Kleisthenes ist: Es ist die Auflösung des Rates, also der befürchtete völlige Umsturz der bisherigen Ordnung, die mobilisiert, während der ‚Reformer‘ Kleisthenes offenkundig nicht auf großen Rückhalt hoffen konnte und widerstandslos ins Exil entwich. Einen kausalen Zusammenhang zu Kleisthenes’ Reformen könnte man höchstens sehen, wenn man argumentiert, dass der Rat, um den es ging, bereits der neue kleisthenische Rat der 500 gewesen sei, was aber zu erheblichen chronologischen Problemen führt, da dies bedingen würde, dass die komplexe Phylenreform bereits umgesetzt worden wäre.215

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saw that these reforms would provide them with the institutional means to express more fully their growing sense of themselves as citizens.“) – Obers Deutung überspitzt diese Denkfigur, indem er die Initiative fast ganz bei den „masses“ verortet, während Kleisthenes eher passiv auf deren Forderungen reagiert. Rhodes (1993) 246 geht daher klar davon aus, dass es sich um den ‚solonischen‘ Rat der 400 handelt, vgl. auch Rhodes (1972) 208 f.; Chambers (1990) 222 f. dagegen favorisiert, mit Hinweis auf den Sprachgebrauch der Athenaion politeia den kleisthenischen Rat, sieht allerdings die chronologischen Probleme und relativiert dahingehend, es habe sich um „ein[en] provisorische[n] Rat“ bzw. „eine Art Komitee für die öffentliche Sicherheit“ gehandelt (ebd. 222), der daran anschließende Versuch von Rausch (1998) 363–368, einen ersten kleisthenischen Rat mit ungefähr 300 Mit-

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Zudem wäre es höchst unplausibel, dass Rat und demos tatenlos zusahen, wie der Reformer und seine Unterstützer vertrieben wurden, und erst dann reagierten, als die völlig absehbare Folge, nämlich die Rückgängigmachung der angelaufenen Reformen, eintrat.216 Viel plausibler ist es, dass die Auflösung der boule eine traditionelle Institution, den Rat der 400 (wenn es ihn denn gab) oder den Areopag, betraf: Dass Isagoras eine solch altehrwürdige Institution abschaffen würde, war bei der Vertreibung des Kleisthenes so nicht antizipierbar und würde die erst spät erfolgte Empörung und Mobilisierung erklären. Damit erhält der ‚Aufstand‘ aber einen ganz anderen Charakter: Es ist keine revolutionäre Parteinahme für den ‚demokratischen‘ Reformer, sondern eine durch und durch konservative Reaktion auf einen Eingriff in die althergebrachte Ordnung der Polis – also genau das, was die Peisistratiden mit ihrer informellen Machtstellung tunlichst vermieden hatten. Erst dieser Akt, nicht die Parteinahme für Kleisthenes oder seine Reformen, löste eine breitere Mobilisierung aus, wobei diese nicht vom ‚Volk‘, sondern vom Rat ausging und aufgrund des spontanen und tumultartigen Charakters wohl auf die städtische Bevölkerung beschränkt blieb.217 Wenn man sich die Bedeutung der städtischen Bürgerschaft als leicht zu mobilisierende, da im Zentrum des politischen Geschehens anwesende Gruppe vergegenwärtigt, so stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob ein komplexes Vorhaben wie die kleisthenische Reform ein probates Mittel war, um effektiv die Unterstützung des demos (im Sinne der tatsächlich Anwesenden) zu gewinnen. Denn die Reformen bestanden nicht nur aus einer Vermehrung der Phylen von vier auf zehn, sondern vor allem auf einer hochgradig artifiziellen Zusammensetzung dieser Phylen, deren Mitglieder sich zu gleichen Teilen aus städtischen Demen, Demen aus den Küstengebieten und Demen aus dem Binnenland zusammensetzten – ein System, das garantieren sollte, dass alle Regionen Attikas im neuen Rat der 500 vertreten sein konnten. Ziel war also nicht der Ausgleich sozialer oder gar ständischer, sondern primär geographischer Gegensätze – also eine Überwindung der Zentrum-Peripherie-Differenz durch eine Integration der Peripherie in das Zentrum. Die hauptsächlichen Nutznießer dieser Reform wären die Bürger aus den ländlichen Demen gewesen, deren ‚bürgerliche Gegenwär-

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gliedern zu postulieren, ist gänzlich spekulativ. Die Frage hängt natürlich eng damit zusammen, ob man an die Existenz eines Rats der 400 glaubt (so Rhodes) oder nicht (so Chambers); allerdings halte ich die ältere These von Hignett (1952) 94 f.; 128, wonach es sich bei der besagten βουλή um den Areopag gehandelt habe, nicht für abwegig (s. u. S. 329 f.). Dies ist der Haupteinwand gegen die spekulative Deutung von Rausch (1998), der einen von Kleisthenes eingesetzten Reform-Rat von etwa 300 als Organisator des Widerstands gegen Kleomenes und Isagoras sehen will. Anders: Ober (1993) und Ober (2004); zur Kritik an Obers Deutung siehe Flaig (2004) 50–53; Flaigs Deutung des Aufstands kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie die hier geschilderte Interpretation: Auch er betont die wichtige Rolle des Rates bei der Mobilisierung des demos, der eben nicht „führerlos“ war [Flaig (2004) 46 f.], hebt den konservativen Charakter hervor (ebd. 47–80) und spricht gar von einer „Konterrevolution“ (ebd. 80).

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tigkeit‘ im Zentrum bislang nicht ausreichend gewährleistet war.218 Doch gerade diese ländliche Bevölkerung kann eigentlich unmöglich an dem spontanen Aufstand gegen Kleomenes und Isagoras beteiligt gewesen sein – und es ist auch nicht anzunehmen, dass sie davor im Zentrum in ausreichender Menge anwesend war, um Kleisthenes die Oberhand gegen Isagoras gewinnen zu lassen. Die Phylenreform war sicherlich Teil von Kleisthenes’ Politik, doch dass er mit ihr Unterstützung mobilisieren konnte, halte ich für höchst unwahrscheinlich und durch den Ablauf der Ereignisse für falsifizierbar. Es wäre zudem in der gesamten Antike m. W. ein einzigartiger Vorgang, dass man mit einem komplexen politischen Reformprogramm ‚populare‘ Politik betreibt, statt auf Schuldenerlass und Landverteilung zu setzen.219 Es spricht daher alles dafür, die Reformen des Kleisthenes und seine Politik mit dem demos gegen Isagoras analytisch zu trennen. Hierbei hilft ein genauerer Blick auf die dramatis personae. Denn Kleisthenes und Isagoras sind keineswegs gleichwertige Rivalen. Als Archon des Jahres 525/4 war Kleisthenes bereits ein ‚elder statesman‘, der sich offenkundig mit den Peisistratiden arrangiert hatte, bevor er – wohl nach der Ermordung Hipparchs – kurzfristig ins Exil ging. Nach der Vertreibung der Tyrannen kehrte dieser politisch arrivierte Spross einer angesehenen Familie zurück nach Athen, eindeutig mit der Absicht, eine dominierende Rolle einzunehmen. Ganz anders Isagoras: Die Athenaion politeia behauptet, er sei ein Freund der Tyrannen gewesen220 – doch dieselbe Schrift behauptet auch, die Alkmeoniden trügen die Hauptverantwortung für die Vertreibung der Tyrannen und hätten sie die meiste Zeit über bekämpft, was nach dem Fund der Archontenliste so eindeutig nicht mehr haltbar ist.221 Herodot weiß denn auch nichts vom Tyrannenfreund, liefert aber einige interessante Details, die ein alternatives Narrativ nahelegen. Denn die Gastfreundschaft mit Kleomenes hatte Isagoras während der Belagerung der Peisistratiden geschlossen222 – er und Kleomenes waren also Kampfgefährten bei der militärischen Vertreibung der Tyrannen gewesen, während die Alkmeoniden, nach allem was wir wissen, fernab vom Geschehen im Exil weilten. Zudem muss Isagoras deutlich jünger als

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Zur „bürgerlichen Gegenwärtigkeit“ s. Meier (1980) spez. 124–138; dass von der Reform v. a. die Honoratioren der ländlichen Demen profitierten, argumentierte Kienast (2005); vgl. auch Stein-Hölkeskamp (1989) 168–176. 219 In diesem Sinn auch Grote (2016a) 206: „Sicherlich war es nicht seine elaborierte und komplizierte Phylenreform, mit der er [Kleisthenes] das Volk auf seine Seite zu ziehen vermochte – die Umsetzung seiner umfangreichen Umstrukturierung der Bürgerschaft muss ohnehin recht lange gedauert haben und ist daher in jedem Fall in die Zeit nach der Beendigung der Auseinandersetzung mit Isagoras zu setzen.“ Vgl. auch Walter (1993) 202 f. 220 [Aristot.] Ath. pol. 20,1. 221 [Arisot.] Ath. pol. 20,4. Zur Archontenliste IG I3 1031 = Meiggs & Lewis Nr. 6. mit Kleisthenes’ Archontat s. den Kommentar bei Meritt (1939) 59–65 spez. 62 zur Konsequenz, die sich daraus für die Glaubwürdigkeit der Athenaion politeia ergibt. 222 Hdt. 5,70,1.

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Kleisthenes gewesen sein, denn er wurde erst im Jahr 508/7 Archon223 – der Abstand zu Kleisthenes könnte damit fast eine ganze Generation betragen haben. Und auch wenn Isagoras aus gutem Hause kam, wie Herodot schreibt, so scheint er doch über eine weit weniger prestigeträchtige Abkunft verfügt zu haben als sein älterer Rivale; jedenfalls erklärt Herodot, dass er über die Herkunft, jenseits des Patronyms, keine Angaben machen könne.224 Damit ergibt sich folgendes Bild: Kleisthenes war der arrivierte Politiker mit illustrer Abkunft, der trotz kurzzeitigem Exil eine erfolgreiche Karriere unter den Tyrannen absolviert hatte – ein Mann des ‚ancien régime‘. Isagoras dagegen war deutlich jünger und sein Archontat im Jahr 508/7 zeigt, dass seine politische Karriere erst nach dem Sturz der Tyrannen 510 richtig einsetzte. Gleichzeitig war er ganz offenkundig aktiv an deren Sturz beteiligt gewesen und pflegte seither beste Beziehungen zu Kleomenes nach Sparta. Wie Isagoras genau die Oberhand gegen Kleisthenes gewann, muss spekulativ bleiben. Wenn man aber spekulieren möchte, dann kann man Isagoras als treibende Kraft hinter der Überprüfung der Bürgerschaft (διαψηφισμός) vermuten, die gemäß der Athenaion politeia nach dem Sturz der Tyrannen stattfand, weil viele das Bürgerrecht (πολιτεία) innegehabt hätten, ohne dass es ihnen zustand.225 Das heißt konkret, dass es zu Entrechtungen und wohl auch Enteignungen kam. Die Athenaion politeia erwähnt dies im Zusammenhang mit Peisistratos’ Stasis-Partei: Denn unter Personen ‚unreiner Herkunft‘ habe Peisistratos besonders viele Anhänger gefunden, was dadurch ‚bewiesen‘ würde, dass nach seiner Vertreibung dieser diapsephismos durchgeführt worden sei. Ob damit tatsächlich etwas über die Anhängerschaft des Peisistratos ausgesagt wird, ist sehr fraglich; entscheidend ist vielmehr, was damit über die Durchführung des diapsephismos gesagt wird: Die Maßnahme richtete sich offenkundig primär gegen tatsächliche oder mutmaßliche Anhänger der Peisistratiden, denen man in einer Art ‚Siegerjustiz‘ unreine Herkunft unterstellte, um sie so aus der der Bürgerschaft auszuschließen. Dass mit diesem diapsephismos die kleisthenische Phylenreform gemeint war, ist unwahrscheinlich, denn zumindest die Athenaion politeia betont deren inklusiven Charakter, der dazu diente, die Bevölkerung zu durchmischen und Bürger eben gerade nicht wegen ihrer Herkunft zu diskriminieren: Mehrere Forscher haben daher in der Phylenreform und der breiten Absicherung des Bürgerrechts für relativ viele Bewohner Attikas (auch) eine Reaktion auf die durch den diapsephismos entstandene Unsicherheit gesehen.226 Inhaltlich passen Maßnahmen zur Deklas223 224 225 226

[Arisot.] Ath. pol. 21,1. Hdt, 5,66. [Aristot.] Ath. pol. 13,5 Welwei (1967); Manville (1990) 173–209; Rhodes (1993) 188 und 255 f. sowie Walter (1993) 203– 205 und ihm folgend Grote (2016a) 206–208 (dazu auch u. S. 333 f.); für eine etwas andere Interpretation s. jetzt Dmitriev (2018) 186–190. Die ältere Forschung hatte in Anschluss an Felix Jacoby den διαψηφισμός teilweise als spätere Erfindung abgelehnt, allerdings glaubt inzwischen selbst ein früherer Anhänger der Erfindungs-These wie Chambers (1990) 197 f. an eine zumindest teilweise

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sierung und Enteignung der Verliererpartei denn auch viel besser zum ‚neuen Mann‘ Isagoras, der die Tyrannen vertrieben hatte und nun – wie die von ihm initiierte Auflösung des Rates zeigt – nach einer gänzlichen Umkehr der Verhältnisse strebte. Seine Unterstützer werden daher weniger unter jenen zu suchen sein, die in der alten Ordnung tonangebend gewesen waren, sondern unter denen, die von einer Umwälzung der bestehenden Rang- und Besitzverhältnisse zu profitieren hofften. Darunter werden sich nicht nur Athener befunden haben. Es ist sogar gut möglich, dass Isagoras sich – ähnlich wie Peisistratos – stark auf Gastfreunde und Verbündete von außerhalb Athens stützte. Dafür spricht nicht nur die Gastfreundschaft zu Kleomenes, sondern vor allem eine kleine Notiz bei Herodot: Nach der Belagerung der Akropolis und dem Abzug der Spartaner werden die „anderen“ Anhänger des Isagoras hingerichtet. Auf den ersten Blick würde man vermuten, dass es sich hierbei um Athener handelte, während man die ortsfremden Spartaner unbehelligt abziehen ließ, doch genau das scheint nicht der Fall zu sein. Denn Isagoras selbst zieht mit Kleomenes ab und die einzige Person, über deren Hinrichtung wir etwas erfahren, ist Timesitheos aus Delphi – ein erfolgreicher Pankratist, zweifacher Olympiasieger und dreifacher Sieger bei den Pythien.227 Timesitheos ist damit ein Vertreter in einer ganzen Reihe erfolgreicher Athleten, die aufgrund ihres panhellenischen Prestiges prominente militärische oder politische Stellungen bekleideten.228 Seine Präsenz in Athen und das Schweigen der Überlieferung über hingerichtete prominente Athener229 könnten ein Hinweis darauf sein, dass Isagoras als Tyrannenvertreiber und politischer Neuling seine Machtstellung nicht, wie meist vermutet, auf den Areopag und die dort versammelten Honoratioren stützte, die sich als ehemalige Archonten allesamt – genau wie Kleisthenes! – zumindest zeitweise mit den Peisistratiden arrangiert hatten und nun als potentielle Anhänger der Tyrannen um ihre Position fürchten mussten. Isagoras’ Anhängerschaft dürfte daher viel eher auf solche externen Verbindungen zu Gastfreunden, Söldnern und Glücksrittern, wie eben Timesitheos, basiert haben. Ja, man

Historizität der Bürgerrechtsüberprüfung und meint, „diese Lösung [i. e. Jacobys These einer späteren Erfindung] mag zu radikal sein“. 227 Hdt. 5,72,4; vgl. Paus. 6,8,6. Dass Isagoras mit Kleomenes abzog, präzisiert Herodot einen Abschnitt später (Hdt. 5,74,1). Wade-Gery (1933) 17 f. hat vermutet, dass es zu keinen Hinrichtungen gekommen sei, da [Aristot.] Ath. pol. 20,3 dies nicht erwähnt, und hat dafür argumentiert, dass die Hinrichtung von Isagoras’ Anhängern erst bei einer versuchten Rückkehr erfolgte, als sie Eleusis besetzten, wovon Schol. Aristoph. Lys. 273 (ed. Dübner) berichtet. Der Ansicht sind einige gefolgt so etwa auch Welwei (1967) 425 – beide Berichte schließen sich aber nicht zwingend gegenseitig aus und Wade-Gerys These wird in den maßgebenden Kommentaren entsprechend skeptisch beurteilt, s. Chambers (1990) 223 und Rhodes (1993) 246. 228 S. o. Kap. 6.2 spez. S. 251–255. 229 Das Fehlen jeglicher Indizien auf Opfer aus uns bekannten Familien ist in der Tat erstaunlich, auch wenn man mit Flaig (2004) eine sehr bewusst betriebene Politik des Vergessens voraussetzen muss, die nicht die mit Opfern verbundene Stasis von 507, sondern die Tyrannenmörder von 514 zum Gründungsmythos der Demokratie (v)erklärte.

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7. Athen in archaischer Zeit

könnte mit Charles Hignett gar vermuten, dass der Rat, den Isagoras und Kleomenes auflösen wollten und damit den unverhofften Aufstand provozierten, jener Areopag war, in dem Kleisthenes und die anderen unter der Tyrannis zu Ehren gelangten Honoratioren saßen.230 Der Schritt wäre eine konsequente Weiterführung der von Isagoras betriebenen Umkehr der alten Ordnung. Damit ließe sich auch der spontane Volksaufstand erklären: Dieser schwere Eingriff in die politische Struktur, vor allem aber in die darüber generierte und symbolisierte Gesellschaftsordnung provozierte einen unerwartet heftigen Widerstand seitens der Athener, der aber gerade nicht auf Veränderungen aus war, sondern im Gegenteil strukturbewahrend.231 Vor diesem Hintergrund ist Kleisthenes’ Hinwendung zum demos differenzierter zu bewerten: Es ist nicht ein – als wünschbares Konzept wohl kaum denkbares – Demokratisierungsprogramm, mit dem er Unterstützung mobilisierte, sondern als angesehener Vertreter der althergebrachten Ordnung garantierte er deren Erhalt gegen die ‚revolutionären‘ Umtriebe des Isagoras und seiner externen Unterstützer. Die ‚Aufnahme‘ des demos in die Hetairie des Kleisthenes dürfte daher unter konservativen Vorzeichen als Bewahrung der althergebrachten Ordnung und als Appell an die gemeinsame athenische Identität erfolgt sein – nicht als revolutionäres Programm zur Abschaffung einer alten ‚Adelsordnung‘, sondern als Garantie des Status quo. Das Außergewöhnliche, aber in der Form wohl ebenfalls nicht gänzlich Neue232 an Kleisthenes’ Politik war primär, dass er sich damit an den demos wandte, also in und mit der Volksversammlung Politik betrieb. Dass das Reformprogramm dabei eine Rolle spielte, ist anzunehmen, doch es ist empfiehlt sich mit der hier vorgetragenen – zugegebenermaßen spekulativen – Rekonstruktion, die ‚demokratische‘ Stoßrichtung der Reformen gering zu werten und stattdessen die (provokant formuliert) ‚konservativen‘ und ‚chauvinistischen‘ Aspekte hervorzuheben, die für sich allein ein Mobilisierungspotential besaßen und mit der Phylenrefom keinen direkten kausalen Konnex aufwiesen. Doch auch die Phylenreform kann unter diesen Vorzeichen in einem etwas anderen Licht gesehen werden. Dazu muss man sich erneut den Quellen zuwenden und fragen, was denn die Motivation des Kleisthenes für diese Reform war. 230 Hignett (1952) 128; vgl. ebd. 94 f. Hignetts Hypothese ist freilich nicht nur aus der Not heraus geboren, weil er nicht an den solonischen Rat der 400 glaubt (ebd. 92–96), sondern stützt sich auf die auch hier vertretene (an sich logisch zwingende) Argumentation, dass im Areopag die Anhänger der Peisistratiden saßen, deren Status von den „oligarchic reactionaries“ um Isagoras bedroht gewesen sei, weshalb sie Kleisthenes’ Reformen nicht ablehnend gegenüberstanden. 231 Die unerwartete Empörung ließe sich damit auf jeden Fall gut erklären, denn wie Rhodes (1993) 246 (gegen Hignett gewandt) ausführt: „to abolish the venerable council of the Areopagus was probably unthinkable.“ Rhodes hat damit sicherlich Recht, doch man kann sein Argument auch umkehren und gerade darin den Grund für den heftigen Widerstand sehen: Die Hybris der beiden Akteure Isagoras und Kleomenes, das ‚Undenkbare‘ zu tun, löste eine Reaktion aus, mit der sie so nicht gerechnet hatten. 232 Solon F 36,1 f. W dürfte auf eine Einberufung der Volksversammlung anspielen, vgl. Mülke (2004) 370 f. – sich in Krisenzeiten an den demos zu wenden, war also wohl nichts gänzlich Neues.

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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Die Forschung privilegiert das Narrativ der Athenaion politeia, welche die Phylenreform als innenpolitische Maßnahme deutet, mit der Kleisthenes eine breitere politische Partizipation herstellen wollte und dadurch das Vertrauen des demos gewann. Wie auch immer die Phylenreform im Einzelnen gedeutet wird: Die innenpolitische Motivation und Zielsetzung ist das, was von der Athenaion politeia übernommen wird, genauso wie der kausale Zusammenhang zwischen der Reform und Kleisthenes’ Hinwendung zum demos. Die zeitlich den Ereignissen viel nähere Erklärung Herodots wird dagegen meist als unplausibel verworfen oder gar nicht erst berücksichtigt.233 Ein solches Vorgehen ist jedoch quellenkritisch problematisch, zumal die Erklärung Herodots eine in sich stimmige Logik aufweist, die sehr gut zu dem oben rekonstruierten Szenario passt. Denn der Historiker erklärt die Abschaffung der vier alten ionischen Phylen mit der Verachtung, die Kleisthenes für die Ionier empfand. Stattdessen habe er die Zahl der Phylen auf zehn vermehrt und diese nach einheimischen Heroen benannt – nur Aias habe er als Fremden zugelassen, weil er als Heros von Salamis ein Nachbar und Verbündeter war.234 Diese aus moderner Sicht eher krud erscheinende Motivation erklärt Herodot mit einer Rückblende auf Kleisthenes’ Großvater, den gleichnamigen Tyrannen von Sikyon, der ebenfalls eine Phylenreform durchgeführt habe, da er die dorischen Argivier hasste und in Sikyon keine dorischen Phylennamen dulden wollte.235 Wie Sarah Forsdyke gezeigt hat,236 bestehen allerdings berechtigte Zweifel daran, dass Kleisthenes tatsächlich eine solche Phylenreform vorgenommen hat. Denn Herodot berichtet weiter – quasi als Aperçu –, dass die Sikyonier 60 Jahre nach dem Tod des Kleisthenes wieder zu den alten dorischen Phylennamen zurückgekehrt seien. Das ist nun freilich eine höchst relevante Angabe, gerade weil sie nicht Teil von Herodots eigentlicher Begründung ist und trotzdem, ohne dass Herodot dies bewusst zu sein scheint, die Plausibilität seiner Deutung unterstreicht. Denn die drei dorischen Phylen werden nicht so sehr mit Argos, sondern vor allem mit Sparta assoziiert. Irgendwann in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts wurde Sikyon Mitglied des von Sparta dominierten Peloponnesischen Bundes237 und es ist naheliegend, die Um233

So bietet Meier (1980) 106–113 zwar eine scharfsinnige Diskussion antiker und moderner Erklärungen für die Reform, konzentriert sich dabei aber auf die „Mischung“ der Bürgerschaft ([Aristot.] Ath. pol. 21,3) und das „Lösen früherer Verbindungen“ (Aristot. Pol. 6,1319b 19–27), die für moderne Interpretatoren besonders anschlussfähig scheinen, die Erklärung Herodots dagegen findet mit keinem Wort Erwähnung. Auch Grote (2016a) 205–208 geht in seiner Behandlung der Motive zwar intensiv auf die Athenaion politeia ein, nicht aber auf Herodot, dessen Deutung er an anderer Stelle in einer Fußnote (ebd. 60. Anm. 56) ohne weitere Begründung als „haltlos“ zurückweist. 234 Hdt. 5,69. 235 Hdt. 5,67 f. 236 Forsdyke (2011). 237 Der Eintritt Sikyons in den Peloponnesischen Bund wird i. d. R. um 510 angesetzt, da Plut. Her. mal. 21 (= mor. 859c–d) die Vertreibung des letzten Tyrannen durch die Spartaner unmittelbar

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7. Athen in archaischer Zeit

benennung der ‚kleisthenischen‘ Phylen mit dieser außenpolitischen Neuorientierung zu verbinden. Dazu passt die Hypothese von Christoph Ulf, dass sich die drei ‚dorischen‘ Phylen erst im Zuge des Aufstiegs Spartas und des Peloponnesischen Bundes als Ausdruck eines neuen Gefühls dorisch-peloponnesischer Zusammengehörigkeit etablierten.238 Sarah Forsdyke vermutete gar, dass die Phylenreform des Tyrannen Kleisthenes eine reine Erfindung sei, mit der die spätere Phylenreform (als Rückkehr zur ursprünglichen guten Ordnung) gerechtfertigt werden sollte.239 Bemerkenswert ist zudem die zeitliche Koinzidenz: Die Reform in Sikyon erfolgte 60 Jahre nach dem Tod des Tyrannen, also in der Enkelgeneration, just jener Generation, der auch der Alkmeonide Kleisthenes angehörte. Die Umbenennung von Phylen im Zusammenhang mit Identitäts- und Außenpolitik scheint also im ausgehenden sechsten Jahrhundert nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein und dass Herodot dies als Motivation anführt, sollte ernst genommen werden. Die Plausibilität dieses Szenarios bestätigt sich, wenn man die jüngere Geschichte Athens anschaut: 307/6 führten die Athener zwei neue Phylen ein mit den Namen ‚Antigonis‘ und ‚Demetrias‘ zu Ehren des Diadochen Antigonos Monophthalmos und seines Sohnes Demetrios. Als einige Generationen später eine außenpolitische Anlehnung an die Ptolemaier erfolgte, wurde 224 oder 223 eine 13. Phyle mit dem Namen ‚Ptolemais‘ eingerichtet. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Philipp V wurden zwischen 201 und 200 die beiden antigonidischen Phylen von 307/6 wieder abgeschafft, dafür richtete man im Jahr 200 eine neue Phyle Namens ‚Attalis‘ ein, um so den neuen Verbündeten Attalos von Pergamon zu ehren.240 Dass Phylenreformen mehr mit außenpolitisch motivierter Symbolpolitik zu tun haben konnten als mit innenpolitischen Interessen, mag auf den ersten Blick befremden und wird in der Archaik von einer großen Mehrheit der Forscher gar nicht erst in Betracht gezogen, die hellenistischen Beispiele zeigen jedoch eindeutig, dass in historisch hellerer Zeit genau das der Fall war. In Sikyon scheint der Zusammenhang zwischen der außenpolitischen Anlehnung an Sparta und der Übernahme der spartanischen Phylennamen eindeutig. Doch auch in Athen ist die Phylenreform von einer – meist unbeachtet gebliebenen – außenpolitischen Neuausrichtung begleitet. So berichtet Herodot unmittelbar im Anschluss an die Phylenreform von einem versuchten Bündnisschluss mit dem Perserkönig beziehungsweise dem persischen Satrapen in Sardis.241 Wie W. Robert Connor m. E. treffend

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nach der Vertreibung des Hippias anführt und auch ein anonymer Historiker (BNJ 105 F 1 = P. Rylands 18) den Sturz von Hippias mit dem Sturz der Tyrannis in Sikyon synchronisiert (allerdings auch mit dem meist 50 Jahre früher angesetzten Ephoren Chilon, weshalb jeder Versuch einer exakten Chronologie hypothetisch bleiben muss). Ulf (1996b) 274–276; dazu kritisch allerdings Grote (2016a) 223 f. Forsdyke (2011) 157–159. Vgl. dazu Eckstein (2008) 207–210 mit Belegen. Hdt. 5,73: Die Gesandtschaft an den Satrapen in Sardis folgt chronologisch unmittelbar auf die Vertreibung von Kleomenes und Isagoras, doch die Gesandten, die eigenmächtig auf die persische

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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argumentierte, kann die über die kleisthenische Phylenreform betriebene Identitätspolitik (auch) als Absage an den athenischen Anspruch gesehen werden, die Metropolis der Ionier zu sein – damit war der Interessenskonflikt mit dem Perserkönig, der die Oberhoheit über die ionischen Städte Kleinasiens beanspruchte, ausgeräumt und der Weg für eine diplomatische Annäherung geebnet. Die Phylenreform und die angestrebte außenpolitische Neuausrichtung gehen also Hand in Hand. Dass dieses Bündnis nicht zustande kam, könnte das plötzliche Verschwinden des Kleisthenes aus der Überlieferung erklären.242 Das wäre nicht ganz ohne Ironie: Die Phylenreform wäre dann nicht die innenpolitische Maßnahme, mit der Kleisthenes sich die Unterstützung des demos sicherte, sondern stünde in Verbindung mit einem außenpolitischen Abenteuer, das ihn seine kurzfristig dominierende innenpolitische Stellung kostete.243 Die Reform selbst legt noch ein weiteres Motiv nahe, das jenes einer intentionalen Identitätspolitik gut ergänzt: die bereits angesprochene Integration der Peripherie in das Zentrum. Einerseits wurde damit den Fliehkräften entgegengewirkt, die das große Territorium Attikas prägten und sich gerade in Stasis-Situationen der jüngeren Vergangenheit nochmals deutlich gezeigt hatten, als die Alkmeoniden und andere Exilanten in der Chora Athens von Leipsydrion aus Widerstand gegen die das Zentrum beherrschenden Peisistratiden organisierten.244 Andererseits wurden dadurch die Gesamtheit Attikas und die Zugehörigkeit aller freien Bewohner zum Bürgerverband gewährleistet, was gut zu der von Herodot postulierten Identitätspolitik passt.245 Das Bestreben, durch eine Neueinteilung der Bürgerschaft den Bürgerstatus aller in die neuen Phylen aufgenommenen freien Bewohner Attikas zu garantieren, ist ein weiterer wichtiger Punkt. Der diapsephismos nach dem Sturz der Tyrannen, der wohl von Isagoras und seinen Anhängern mit dem Ziel betrieben wurde, viele aufgrund Ihrer „unreinen Herkunft“ aus der Bürgerschaft auszuschließen, dürfte hier zu Handlungs-

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Forderung nach Erde und Wasser eingehen, werden nach ihrer Rückkehr mit großen Vorwürfen konfrontiert – danach ist bei Herodot weder von dem Bündnis noch von Kleisthenes weiter die Rede. Connor (1993) 201–204. Interessant ist in diesem Zusammenhang Ael. VH 13,24, der von einer Ostrakisierung des Kleisthenes berichtet – das würde gut zu dem hier geschilderten Szenario passen, doch der Umstand, dass frühere Quellen davon nichts wissen, muss sehr skeptisch stimmen. Die in der Diskussion sonst kaum beachtete Stelle wird von Schmitz (2014b) 63 f. behandelt (dem ich diesen Hinweis verdanke). Schmitz sieht darin allerdings einen (möglichen) Hinweis auf einen Ostrakismos, der nicht vor dem Volk, sondern im Areopag erfolgte (im Zuge der Auseinandersetzung mit Isagoras) – zu dieser These einer ursprünglich im Rat verorteten Ostrakismos-Verfahrens und den damit verbundenen Quellen-Problemen s. u. S. 341. Anm. 24. Dass die Alkmeoniden während der Schlacht von Marathon verdächtigt wurden, mit den Persern zu paktieren, geht aus Hdt. 6,121 eindeutig hervor und könnte ein weiteres Indiz für den gescheiterten perserfreundlichen Kurs des Kleisthenes sein, der seine Verwandten noch rund 15 Jahre später verdächtig erscheinen ließ. S. o. Kap. 7.2.2. Die Einigung ganz Attikas zu einer „imagined political community“ als zentrales Anliegen der Reform hebt Anderson (2003) besonders deutlich hervor.

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7. Athen in archaischer Zeit

bedarf geführt haben – die Phylenreform wäre so gesehen ein Versuch, diese neu entstandene (wohl von Isagoras und seinen Parteigängern befeuerte) Unsicherheit zu beseitigen und den Bürgerstatus für alle freien Bewohner Attikas zu garantieren.246 Das unterstreicht nochmals den an sich konservativen und eben gerade nicht revolutionären Charakter der Reform. Die Integration weiter Teile der freien Bevölkerung in den Bürgerverband hat selbstverständlich eine politische Dimension und geht auch mit Statusfragen einher. Zentral scheint mir jedoch – ähnlich wie schon bei Solon – die Furcht vor Menschenmangel in Hinblick auf den Heerbann. Denn die Phylen und die in ihnen eingetragenen Bürger sind eben nicht nur politische Teilhaber an der Polis, sondern bilden auch den Militärverband. Dieser militärische Aspekt sollte daher keineswegs unterschätzt werden: Die Herstellung einer ‚bürgerlichen Gegenwärtigkeit‘ im politischen Zentrum war sicherlich beabsichtigt, sonst ließe sich der Rat der 500 nur schwer erklären, doch der Zugriff auf das große Reservoir an Menschen, das Gesamt-Attika bot, dürfte im Vordergrund gestanden haben.247 Dafür spricht die nachfolgende Ereignisgeschichte. Während in der Zeit davor kaum gesicherte Berichte von einem größeren athenischen Militäraufgebot existieren,248 lancierten die Athener unmittelbar nach der Reform sogleich eine ausgesprochen aggressive Militärpolitik (was nochmals die außenpolitische Dimension der Reform unterstreicht). Sie besiegten die Chalkidier und die mit ihnen verbündeten Boiotiern, die der überlegenen athenischen Heeresmacht wenig entgegenzusetzen hatten. Doch beließen sie es nicht bei dem Sieg, sondern setzten nach Euböa über, vertrieben die chalkidischen hippopotai und siedelten auf deren Land eine Klerurchie mit 4.000 Kolonisten an.249 Die militärische Stärke ist denn auch das, was Herodot 246 Diesen Punkt heben u. a. Manville (1990) 185–209, Walter (1993) 203–205 und Grote (2016a) 206–208 hervor; sie deuten die Formulierung ἀποδιδοὺς τῷ πλήθει τὴν πολιτείαν ([Aristot.] Ath. pol. 20,1) nicht als Übertragung der Verfassung an die Masse, sondern als Ausweitung des Bürgerrechts, was zur Bemerkung bei Ath. pol. 13,5 passt, dass nach der Tyrannis der Bürgerstatus vieler Athener zur Disposition gestanden habe, während die neuen Phylen gemäß Ath. pol. 21,4 der Integration von Neubürgern dienen sollten, wozu auch die bei Ath. pol. 21,2 überlieferte Redewendung passt, man solle nicht nach den (alten) Phylen urteilen, d. h. nach der Herkunft fragen. Allerdings ist mit Rhodes (1993) 256 zu bedenken, dass die vom διαψηφισμός Betroffenen kaum die Mehrheit des demos ausgemacht haben dürften, d. h.: „Cleisthenes’ main appeal will have been to those whose citizenship had not been challenged.“ 247 Den militärischen Aspekt heben vor allem van Effenterre (1976) und Siewert (1982) hervor und sehen darin das eigentliche Motiv für die Reform. Ernsthaft bestritten wird der militärische Aspekt der Phylenordnung nicht, die Frage ist lediglich, wie hoch man ihn gewichtet. Anderson (2003) 147–157 etwa sieht die Militärreform und das Unterbinden regionaler Fliehkräfte durch die Schaffung einer gemeinsamen Identität als zwei Seiten einer Medaille – eine Ansicht, der ich mich durchaus anschließen kann, die aber auch Siewert (1982) 159–163 nicht gänzlich vernachlässigt. 248 In extremis argumentiert Flament (2009) 124–128, der jegliche Indizien für ein Bürgeraufgebot Athens vor den kleisthenischen Reformen leugnet. Dem wird man nicht folgen wollen [zur radikalen Gegenposition s. van Wees (2013a)], doch dass die militärische Macht Athens nach 507 ganz neue Dimensionen annimmt, lässt sich kaum bestreiten. 249 Hdt. 5,77.

7.2 Von Solon zu Kleisthenes: Fragmente einer Entwicklungsgeschichte

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abschließend als Folge der Reform besonders hervorhebt – Redefreiheit und Freiheit sieht er zwar als zentrale Grundlagen für diesen Erfolg, doch bezeichnenderweise sind diese Werte nicht per se erstrebenswert, sondern sind ein Mittel zum Zweck der Erlangung militärischer Dominanz über andere Poleis.250 Auch wenn viele der hier vorgetragenen Überlegungen spekulativ bleiben müssen, so spricht doch einiges dafür, dass die kleisthenische Phylenreform deutlich ‚konservativer‘ war als zumeist angenommen. Die Reform als demokratische Maßnahme zu sehen, mit der Kleisthenes den demos auf seine Seite brachte, scheint mir verfehlt. Eine intentionale Identitätspolitik, wie sie Herodot als Grund anführt, sowie die Integration der Peripherie in das Zentrum mit dem primären Zweck, das gesamte militärische Potential Attikas zu mobilisieren, liefern hinlänglich Gründe, um die Motive der Akteure zu erklären. Das heißt aber umgekehrt – und das ist der zentrale Punkt –, dass die athenische Stasis am Ende des sechsten Jahrhunderts kein Indiz dafür ist, dass breitere soziale Schichten danach strebten, die Macht der bislang tonangebenden Oberschicht zu brechen. Insofern geht die hier vorgeschlagene Rekonstruktion mit der klassischen These von Jochen Martin einig, wonach die Entstehung der Demokratie „nicht das Ergebnis eines bewußt auf Demokratisierung ausgerichteten Handelns“ war251 – doch auch Martin deutete die Reform innenpolitisch (Kleisthenes habe dadurch, aus sehr eigennützigen Motiven, traditionelle Abhängigkeitsverhältnisse aus dem Bereich der Politik verbannt) und kann letztlich nicht erklären, weshalb das eine populäre Maßnahme hätte sein sollen, die Kleisthenes Unterstützung einbrachte.252 Dieses Problem entfällt mit meiner Rekonstruktion: Die Unterstützung für Kleisthenes war strukturkonservativ motiviert und erfolgte erst, nachdem Isagoras in unbotmäßiger Weise in die althergebrachten Institutionen eingegriffen hatte. Die Phylenreform ist eine davon gänzlich zu trennende Maßnahme – möglicherweise gar eine Maßnahme, mit der Kleisthenes nicht die Unterstützung des demos gewann, sondern verlor, als das angestrebte Bündnis mit den Persern nicht die erwartete Zustimmung erfuhr. Doch diese Motive der Akteure sind (dies wiederum ganz im Sinne Martins) zu trennen von den unbeabsichtigten Folgen der Reformen; diese führten sehr wohl zu einer Demokratisierung und zwar vor allem in dem Sinne, dass durch die Integration der Peripherie ins Zentrum und die damit einhergehende deutlich schärfere Akzentuierung der Differenz zwischen Athen und seiner panhellenischen Umwelt die Modi der Konkurrenz, welche die bisherige Geschichte Athens bestimmt hatten, grundlegend verändert wurden.

250 Hdt. 5,78. 251 Martin (1974); Zitat: 40. 252 Dies betont Meier (1980) 113–123; vgl. auch die o. S. 324. Anm. 214 diskutierte Literatur.

8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos Die kleisthenischen Phylenreformen veränderten längerfristig die Art der Konkurrenz innerhalb der Polis. Die Integration Gesamtattikas in die politische Ordnung hatte dabei gleich zwei strukturelle Veränderungen zur Folge. Einerseits wurde Politik im Rahmen der Polis durch das nun organisierte und abrufbare militärische Machtpotential in ganz neuer Weise attraktiv: Die machtpolitischen Möglichkeiten, die das athenische Seereich nach den Perserkriegen bot, ließen alternative Handlungsfelder vergleichsweise unattraktiv erscheinen. Die im sechsten Jahrhundert noch gangbare Option, mit Hilfe externer Gastfreundschaften die inneren Verhältnisse der Heimatpolis von außen mit Gewalt zu ändern, waren sowieso illusorisch geworden. Dies erhöhte die Bereitschaft, sich auf die Spielregeln der Polis einzulassen und die Polis zum primären Feld oberschichtsinterner Konkurrenz werden zu lassen.1 Andererseits veränderte die Reform auch den demos. Die freien, wehrfähigen Bürger waren nicht nur die militärische Machtressource, die eine Tätigkeit im Rahmen der Polis attraktiv erscheinen ließ, sondern sie erlangten eine zunehmende Bedeutung als ‚dritte Instanz‘, auf die sich die Konkurrenz machtpolitisch ambitionierter Männer ausrichtete. In gewisser Hinsicht führte das, wie zu argumentieren sein wird, zu einer Zuspitzung und Deregulierung von Konkurrenz, die dem Trend der archaischen Zeit, Konkurrenz um Polisämter zu begrenzen und institutionell einzudämmen, entgegenlief. Die durch die Phylenreform angestrebte Integration der Peripherie ins Zentrum hatte allerdings auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung des demos in der Volksversammlung. Es ist davon auszugehen, dass nun zumindest sporadisch auch größere Teile der ländlichen Bevölkerung 1

In diesem Sinne auch Stein-Hölkeskamp (1989) 176 f. zu den unmittelbaren Folgen der Phylenreform sowie 178–230 zur Praxis ‚aristokratischen‘ Handelns im Rahmen der Demokratie; dazu auch Stein-Hölkeskamp (2014).

8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos

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anwesend waren, was zu wechselnden und entsprechend unberechenbaren Mehrheiten führen konnte. Die anonyme Masse, mit der Demagogen des fünften Jahrhunderts umzugehen hatten, war etwas grundsätzlich anderes als die relativ überschaubaren Versammlungen bei Homer, bei denen man wohl tatsächlich davon ausgehen kann, dass ganz im Sinne einer face-to-face-Gesellschaft noch jeder jeden kannte. Dies führte, wie im nächsten Unterkapitel argumentiert werden soll, zu neuen Strategien der Selbststilisierung im verschärften Kampf um Zuspruch und Aufmerksamkeit. Die vordergründigen Kontinuitäten sollten dabei allerdings nicht unterschätzt werden: Die Zensusklassen blieben weiterhin in Kraft, das heißt, es gab weiterhin ein abgestuftes Bürgerrecht mit unterschiedlichen Graden an Regimentsfähigkeit.2 Dass Archonten ab 487/6 durch das Los bestimmt wurden, dürfte den korporativen Charakter der Zensusklassen zusätzlich unterstrichen haben. Denn gemäß der Athenaion politeia würden die Archonten aus einer Gruppe von insgesamt hundert Kandidaten (möglicherweise gar 500) ausgelost, die vorher von den Demen bestimmt worden waren – also zehn pro Phyle.3 Da das Archontat erst in den 450er Jahren für die Zeugiten geöffnet wurde,4 ist klar, dass in der Zeit davor nur hippeis und pentakosiomedimnoi als Kandidaten in Frage kamen. Da man nur einmal im Leben Archon werden konnte,5 konnten auch nicht jedes Jahr dieselben hundert Leute aufgestellt werden – man hatte also eine relativ hohe Chance, als Angehöriger der oberen Zensusklassen, wenn auch nicht Archon zu werden, so doch immerhin in den Kreis der Kandidaten zu kommen und so seinen Status als grundsätzlich amtsfähig bestätigt zu erhalten. Das ist ein entscheidender Punkt, denn das Losverfahren impliziert eine absolute Gleichwertigkeit unter den Kandidaten. Damit war nicht mehr bloß das eigentliche Amt der symbolische Marker für die Amtsfähigkeit und die damit verbundene Ehre, sondern bereits die Wahl in den Kandidatenpool – das heißt, auf jährlicher Basis wurde hundert Personen aus den oberen beiden Zensusklassen öffentlichkeitswirksam die Amtsfähigkeit bescheinigt und damit ihr Status performativ im Rahmen der Polisinstitutionen bestätigt. Zumindest in dieser Hinsicht herrschte in Athen also keine Gleichheit aller Bürger im Politischen, sondern wurde im Gegenteil die über die Amtsfähigkeit festgelegte Ehrhierarchie regelmäßig inszeniert, während man gleichzeitig die Konkurrenz um diese Ämter reduzierte.

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Dazu Blösel (2014). [Aristot.] Ath. pol. 22,5. Die Zahl 100 ist allerdings eine Korrektur, die F. G. Kenyon, der Ersteditor des Londoner Papyrus, vorgenommen hatte; im Papyrus selbst ist an dieser Stelle von 500 (πεντακοσίων) die Rede. Da die Stelle in offenkundigem Widerspruch zu der in Ath. pol. 8,1 geschilderten Praxis steht, wonach im 4. Jh. 10 Kandidaten aus jeder Phyle (d. h. total 100) vorgewählt wurden, ist die Korrektur weitgehend akzeptiert; s. Chambers (1990) 242 f. und Rhodes (1993) 273 f. [Aristot.] Ath. pol. 26,2. [Aristot.] Ath. pol. 62,3 – eine Regelung, die auch für die anderen nicht-militärischen Ämter gilt.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

Doch während die Konkurrenz um das Archontat durch das Losverfahren stärker reguliert wurde und die Zugehörigkeit zur regimentsfähigen Gruppe, deren Mitglieder alle vor dem Los gleich waren, in den Vordergrund rückte, dürfte die Konkurrenz um das wohl 501 neu geschaffene, machtpolitisch deutlich interessantere Strategenamt wesentlich ausgeprägter gewesen sein.6 Dass auch hier die Zugehörigkeit zu den oberen Zensusklassen die Wählbarkeit bedingte, kann vorausgesetzt werden,7 doch der entscheidende Mechanismus, Konkurrenz einzudämmen, der bereits im frühesten archaischen Gesetz überhaupt auftaucht, nämlich das Verbot der Iteration, kam beim Strategenamt nicht zur Anwendung. Die einzige Beschränkung war – der Logik der neuen Phylenordnung folgend –, dass die Strategen nach Phylen zu wählen seien und zwar aus jeder Phyle einer.8 Es ist denn auch just dieses Amt, über dessen wiederholte Bekleidung führende Figuren wie Kimon und vor allem Perikles ihre herausragende Stellung absichern sollten, allerdings in einer durchaus prekären Weise, denn die Wiederwahl musste jedes Mal neu erkämpft werden. Eine institutionelle Auf-Dauer-Stellung von Einfluss – etwa über ein Ratsgremium gewesener Amtsträger – gab es bei der Strategie nicht. Während man in der Archaik eine generelle Tendenz hin zu einer Beschränkung von Amtszeiten und Kompetenzbereichen annehmen kann, die alle dazu dienen, Konkurrenz zu regulieren, Macht zu minimieren und Status institutionell abzusichern,9 markiert die Einrichtung des Strategenamts mit dem Verzicht auf ein Iterationsverbot, direkter Wahl und dem enormen Machtpotential, das dem Amt aufgrund der militärischen Potenz Athens innewohnte, einen Gegentrend. In der longue durée sollte sich das noch verschärfen, indem die Wahl später nicht mehr nach Phylen erfolgte, sondern die Strategen „aus allen Athenern“ gewählt wurden.10 Der

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Zur Einführung der Strategen s. [Aristot.] Ath. pol. 22,2 – im Detail (etwa hinsichtlich möglicher Vorgängerinstitutionen oder dem Verhältnis zum Archon Polemarchos) ist vieles unklar, s. die Kommentare bei Chambers (1990) 236–238 und Rhodes (1993) 264–266 sowie grundlegend zum Strategenamt Fornara (1971). Eindeutige Belege fehlen freilich: Dein. 1,71 erklärt sehr vage, dass bei Rhetoren und Strategen Landbesitz vorausgesetzt werde, allerdings geht [Xen.] Ath. pol. 1,3 klar davon aus, dass die Strategie nicht vom demos beansprucht wurde (was im Wortgebrauch dieses Autors bedeutet, dass das Amt den Vornehmen und Wohlhabenden vorbehalten war). Der genaue Wahlmodus ist umstritten: Während Chambers (1990) 238 von getrennten Phylenversammlungen ausgeht, die je einen Strategen wählen, geht Rhodes (1993) 264 von einer Wahl durch den gesamten demos aus, die aber eine entsprechende Verteilung der Gewählten zu berücksichtigen hatte. S. o. Kap. 6.1. Den geänderten Wahlmodus bezeugt [Aristot.] Ath. pol. 61,1; erste Belege für zwei Strategen aus derselben Phyle begegnen im Jahr 460/59, vgl. dazu die Strategenliste bei Fornara (1971) 40–71. Fornara (1971) 19–27 möchte daher eine generelle Reform des Wahlmodus mit den Reformen des Ephialtes ansetzen. Ob allerdings tatsächlich von einer Reform auszugehen ist oder lediglich von Ausnahmen und einer Reform erst zu einem späteren Zeitpunkt, bleibt umstritten, vgl. Chambers (1990) 408 f., Rhodes (1993) 677 f. sowie die resignierende Bemerkung bei Rhodes (1993) 266: „Nearly everyone who has written on the subject has made his own guess […]“.

8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos

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demos hatte zudem weitreichende Kompetenzen, was die Ausstattung und die Aufgabenzuteilung an die einzelnen Strategen betraf.11 Die Rolle des demos als ‚dritte Instanz‘, um deren Gunst sich die Konkurrenten bemühen mussten,12 wurde dadurch – gerade im Vergleich zur Bestellung der Archonten – enorm aufgewertet. Für ambitionierte Oberschichtangehörige, die sich eben nicht mit einem zwar ehrenvollen, aber weitgehend machtlosen Losamt zufriedengeben wollten, resultierte daraus die Notwendigkeit, sich intensiv und dauernd um die Gunst potentieller Wähler zu bemühen. Dieser Aspekt des Dauerwahlkampfs ist denn auch ein wesentlicher Unterschied zur römischen Republik, wo sich die politisch definierte Nobilität zwar ebenfalls Wahlen zu stellen hatte, dies jedoch klar als Ausnahmezustand ansah, in dem man gänzlich anders aufzutreten hatte, als es sich für einen ‚guten Mann‘ unter normalen Umständen schickte.13 Diese Tendenz wurde verschärft durch die Möglichkeit, in der Volksversammlung, also am Rat und den Magistraturen vorbei, politische Entscheide herbeizuführen. Diese Möglichkeit war nicht etwas grundsätzlich Neues – schon Kleisthenes konnte mit dem demos Politik gegen den gewählten Archonten Isagoras betreiben und auch Solon gibt an, den demos zusammengerufen und so seine Reformen initiiert zu haben14 –, das Neue im fünften Jahrhundert war, dass diese Form der Entscheidungsfindung zunehmend zum Normalfall wurde.15 Der Umstand, dass es theoretisch jedem offenstand, in der Volksversammlung das Wort zu ergreifen, eröffnete ambitionierten Akteuren ein Betätigungsfeld, das großen Einfluss versprach. Es versteht sich, dass das nicht allen in gleichem Ausmaß möglich war, da eine rhetorische Ausbildung und insbesondere eine Stimmschulung erhebliche Vorteile mit sich brachten. Es ist denn auch verkehrt, in der Volksversammlung ein Gremium zu sehen, in dem der ‚kleine 11

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Vgl. Fornara (1971) 28–39. Die ältere Forschung – etwa Hignett (1952) 353 f. – vermutete, die Formulierung δέκατος αὐτός, die Thuk. 1,116,1 und 2,13,1 in Bezug auf Perikles vewendet, könnte eine vom Volk verliehene offiziell Vormachtstellung innerhalb des Gremiums der Strategen meinen; seit der ausführlichen Gegenargumentation von Dover (1960) wurde dies, soweit ich sehe, nicht mehr vertreten; vgl. zur Kollegialität Fornara (1971) 11–19. Das Potential, die Kollegialität auszuhebeln, hat der demos allerdings durchaus, wie die Ernennung von Alkibiades zum ἡγεμὼν αὐτοκράτωρ durch die Volksversammlung im Jahr 407 zeigt (Xen. hell. 1,4,10). Zum Modell von Konkurrenz als indirekter Kampf der Konkurrenten um die Gunst einer dritten Instanz s. Simmel (1995) 221–246 bzw. Simmel (1908) 282–306 sowie Meister & Seelentag (2020b) 14–21; dazu o. Kap. 5.2.2. S. dazu die glänzende Interpretation des commentariolum petitionis von Tatum (2007) sowie meine eigenen Überlegungen in Meister (2012) 77–85. Solon F 36,1 f. W (ξυνήγαγον δῆμον); zur Formulierung, die sich eigentlich nur auf die Einberufung einer Volksversammlung beziehen kann, s. Mülke (2002) 370 f. Dass die Volksversammlung zu Beginn des 5. Jhs. nicht den gleichen Einfluss gehabt haben wird wie im perikleischen Athen, ist anzunehmen, doch für eine genaue Rekonstruktion der politischen Praxis und ihrer Veränderung ist die Quellenlage zu dünn. Für eine mögliche Rekonstruktion s. z. B. Martin (1974), der die Rolle der Volksversammlung vor Ephialtes’ Reformen eher gering veranschlagt, und Lotze (1997), der in Auseinandersetzung mit diversen Forschungsmeinungen vorsichtig für eine gewichtigere Rolle der Volksversammlung bereits vor Ephialtes plädiert.

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Mann‘ seine Stimme erhob. Vielmehr ist es ein Forum der Konkurrenz, in dem primär Angehörige der Oberschicht um die Gunst der Mehrheit warben. Dabei ging es selbstverständlich um politische Entscheide, aber eben auch darum, Konkurrenten auszustechen und als derjenige zu reüssieren, dem der demos folgt. Doch anders als bei Prominenzrollen, die als Polisämter institutionalisiert waren, war der Auftritt als Demagoge an keinerlei institutionalisierte Rollen gebunden: Demagoge war, wer als Demagoge auftrat, und über Erfolg oder Misserfolg entschied einzig seine Fähigkeit, den demos zu überzeugen.16 Das eröffnete Karrierefelder im Rahmen der Polis, die Prominenz und vor allem hohen politischen Einfluss versprachen, aber weitgehend unabhängig von den alten politischen Ehrenämtern funktionierten. Diese Skizze soll keine erschöpfende Abhandlung der athenischen Demokratie im fünften Jahrhundert darstellen, sondern zwei m. E. zentrale Veränderungen im Vergleich zur Archaik ins Rampenlicht rücken: Erstens wird die Polis Athen durch das mit den kleisthenischen Reformen und erst recht mit dem Seereich mobilisierbaren Machtpotential in einer Art und Weise attraktiv, dass alternative Felder des Prestigeerwerbs an Bedeutung verlieren. Der ältere Miltiades scheint seinen Kolonisten- und Eroberungszug nach Thrakien noch weitgehend auf eigene Faust organisiert zu haben und wurde folgerichtig auch zum Herrscher über das eroberte Gebiet.17 Sein Neffe, der jüngere Miltiades, dagegen ließ sich nach dem Sieg bei Marathon eine beachtliche Flotte, Truppen und Geldmittel von den Athenern stellen für eine Expedition, die ebenfalls ganz seinen eigenen Zielen folgte: Er habe, so Herodot, den Athenern nur versprochen, sie reich zu machen, aber nicht erklärt, gegen wen er ziehen wollte.18 Die enormen Machtmittel, welche die Polis aufbieten konnte (Herodot spricht von siebzig Schiffen), übertrafen alles, was man ‚privat‘ organisieren konnte, und ließen es attraktiv erscheinen, im Rahmen der Polis zu agieren. Miltiades zeigt allerdings auch die Kehrseite. Als die Expedition sich als Fehlschlag erwies, verurteilte ihn der demos auf Betreiben seiner politischen Rivalen zu einer ruinösen Geldbuße und erwog gar die Todesstrafe.19 Dies führt zum zweiten Punkt, der als Veränderung hervorzuheben ist: Machtpolitik im Rahmen der Polis zu betreiben, war ein Hochrisikospiel. Es gab viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren, und die Stellung des Einzelnen war insti-

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Verwiesen sei hier lediglich auf den klassischen Aufsatz von Finley (1962). Hdt. 6,34–41. Dazu o. S. 319. Hdt. 6,132. Wohl am Weitesten ging Berve (1937) 92–101, der die Expedition als gänzlich ‚privates‘ Unternehmen des Miltiades gedeutet hat, für das er sich von den Athenern lediglich als ‚Vertragspartner‘ Truppen stellen ließ gegen klar vereinbarte Gegenleistungen – ausführlich zur Bewertung der Episode im Rahmen entstehender ‚Staatlichkeit‘ s. Link (2000). Hdt. 6,136; vgl. Ephoros FGrH 70 F 64 (= Schol. Ael. Arist. Or. 46 [W. Dindorf (ed.), Aristides. Bd. 3, Leipzig 1829, 515]); bei Nep. Milt. 7,6 und Cim. 1 sowie Plut. Kim. 4,4 stirbt Miltiades gar im Gefängnis. Zur Episode im Kontext veränderter Rahmenbedingungen aristokratischen Ruhmstrebens s. Stein-Hölkeskamp (1989) 189 f. und generell zur Glaubwürdigkeit der Geschichte und dem noch weitgehenden Fehlen einer außenpolitischen Strategie jenseits von Beutezügen Link (2000).

8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos

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tutionell kaum abgesichert. Misserfolg konnte, wie im Falle des Miltiades, sofort von Konkurrenten genutzt werden, um mit dem demos den Sturz eines ehemals dominierenden Rivalen zu betreiben. Dieser Aspekt des ‚Hochrisikospiels‘ zeigt sich besonders ausgeprägt beim Ostrakismos:20 Jedes Jahr, so die Athenaion politeia, führten die Athener in der sechsten Prytanie eine Volksabstimmung durch, ob eine Ostrakophorie stattfinden solle.21 Wurde positiv entschieden, so erfolgte (wohl zu einem späteren Zeitpunkt)22 die eigentliche Ostrakophorie, bei der man einen Politiker für zehn Jahre verbannen konnte, indem man seinen Namen auf eine Scherbe schrieb – wer die meisten Scherben auf sich vereinte, musste ins Exil. Damit das Verfahren gültig war, war allerdings ein Quorum von mindestens 6.000 Stimmen erforderlich.23 Der genaue Zeitpunkt der Einführung dieses politischen Instruments – ob durch Kleisthenes oder erst in den 480er Jahren – ist ebenso umstritten wie seine ursprüngliche Intention.24 Quellen ab dem vierten Jahrhundert sehen im

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Die Literatur ist umfangreich, verwiesen sei hier lediglich auf die Sammlung und Kommentierung der Ostrakismos-Testimonien in dem von Siewert (2002a) herausgegebenen Band sowie auf die neueren Behandlungen des Themas durch Forsdyke (2005), Mann (2007) 58–73 und den guten Überblick bei Heftner (2008). [Aristot.] Ath. pol. 43,5. Zum Verfahren generell s. Scheidel (2002) mit einer ausführlichen Besprechung der erhaltenen Quellen. Philochoros FGrH 328 F 30 (= Lexicon Rhetoricum Cantabrigiense, s. v. Ὀστρακισμοῦ τρόπος [K. Latte & H. Erbse (ed.), Lexica Graeca minora, Hildesheim 1965, 84]), der eine ausführliche Schilderung des Verfahrens bietet, schreibt vage von einem Zeitpunkt vor der 8. Prytanie; das würde aber bedeuten, dass im Falle eines positiven Entscheids in der Vorabstimmung für rund zwei Monate Ausnahmezustand herrschte und jeder prominente Politiker fürchten musste, dass ihn am Ende das Scherbengericht verbannen könnte, und entsprechend eifrig seine Anhänger mobilisierte und gegen seine Rivalen Stimmung machte. In diesem Zusammenhang sei auf die neue polnische (und mir daher nur begrenzt zugängliche) Studie von Węcowski (2018b) hingewiesen, der genau dies unterstreicht, indem er die Bedeutung der Vorabstimmung hervorhebt und betont, dass es i. d. R. allen führenden Akteuren darum gegangen sein muss, eine Ostrakophorie mit ihrem ungewissen Ausgang zu vermeiden, und dass der Beschluss für die Durchführung daher wohl die Ausnahme darstellte, die nur zustande kam, wenn die Kooperation im Vorfeld versagte. Die eigentliche Funktion des Ostrakismos bestünde somit nicht in seiner Durchführung (die ist eher ein ‚Betriebsunfall‘), sondern in der von ihm ausgehenden Gefahr, die im Normalfall ein Mindestmaß an Kooperation unter den führenden Politikern garantierte. Plut. Arist. 7,5 f.; die Angabe bei Philochoros FGrH 328 F 30, wonach der zu verbannende Kandidat 6.000 Stimmen auf sich vereinigen musste, wird i. d. R. verworfen, u. a. da [And.] 4,2 nahelegt, dass fest damit zu rechnen war, dass eine Verbannung erfolgte, was schwer vorstellbar ist, wenn ein Kandidat 6.000 Stimmen erreichen müsste; dazu Eder & Heftner (2002) 289; vgl. Scheidel (2002) 484. Die zentralen Quellen sind Androtion FGrH 324 F 6 (= Harpokration s. v. Ἴππαρχος), der meint, das Gesetzt sei unmittelbar vor der ersten Anwendung 488/7 erlassen worden, [Aristot.] Ath. pol. 22,1 dagegen nennt Kleisthenes als Urheber und sieht einen längeren Zeitraum zw. Einführung und erstmaliger Anwendung (ebd. 22,3). Zur Diskussion rund um Einführung und Intention s. den Überblick bei Siewert (2002b). Hervorzuheben ist in neuere Zeit die Deutung von Schmitz (2011) und Schmitz (2014b), wonach der Ostrakismos ursprünglich ein Verfahren im Areopag war, auf das sich Solons Stasis-Gesetz beziehe, mit dem Ziel, einen potentiellen Tyrannen zu verbannen; Kleisthenes habe dieses Verfahren dann aber in geänderter Form auf den Rat der 500 und danach auf die Volksversammlung übertragen – der Vorteil dieser Deutung ist, dass durch die stufenwei-

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Ostrakismos ein Mittel, um eine potentielle Tyrannis zu verhindern25 – dagegen wurde allerdings der Einwand erhoben, dass ein solches Verfahren kaum zweckdienlich sei, da ja eben gerade nicht der populärste und damit potentiell gefährlichste Politiker verbannt würde, sondern ein weniger populärer Rivale.26 Eine alternative Deutung moderner Historiker sieht daher im Ostrakismos eine Fortsetzung ‚adliger‘ Konkurrenz, aber in einem neuen institutionellen Rahmen: Akteure seien immer noch ‚Adlige‘, aber der demos sei nun die maßgebende Instanz, die mit einem ‚negativen Popularitätstest‘ den Konflikt entscheide und so politische Blockaden mit einem Richtungsentscheid löse oder gar eine drohende Stasis abwende.27 Die These setzt allerdings voraus, dass politische Richtungsentscheide auf Einzelpersonen reduzierbar und mit der Ostrakisierung von Einzelpersonen zu entscheiden seien – das entspricht zwar der Tendenz antiker Quellen, Geschichte zu personalisieren und damit Komplexität zu reduzieren,

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se Einführung sämtliche Widersprüche in der Überlieferung harmonisiert werden können, allerdings bleibt der Bezug zum Stasis-Gesetz Solons umstritten [vgl. etwa ablehnend Heftner (2012) 7–11 und Grote (2017)] und dass das Verfahren erst beim Rat angesiedelt war, ist einzig in einer spätbyzantinischen Quelle überliefert [vgl. zu dieser Quelle Text und Kommentar bei Keaney & Raubitschek (1972)]; letzteres ist ein sehr gewichtiger Einwand, denn wie Węcowski (2018a) sehr überzeugend gezeigt hat, ist diese spätbyzantinische Notiz eine aus einer ganzen Reihe spätbyzantinischer Spekulationen zum Ostrakismos, die Traditionen uminterpretieren, verfälschen und neu kombinieren – dass es sich hierbei um eine authentische Überlieferung handelt, die nur hier zu finden ist, ist daher höchst unwahrscheinlich. Erstmals explizit bei Androtion FGrH 324 F 6 (= Harpokration s. v. Ἴππαρχος) findet sich der Hinweis, der Ostrakismos habe sich urspr. gegen Anhänger der Peisistratiden gerichtet und habe sich aus der Erfahrung von Peisistratos’ Machtergreifung hergeleitet – ähnlich (vielleicht auf Androtion basierend): [Aristot.] Ath. pol. 22,3. Aristoteles differenziert stärker und sieht im Ostrakismos ein Mittel, herausragende Männer, die die Gleichheit der Bürger sprengen, zu entfernen (Aristot. Pol. 3,1284a 17–27; 3,1284b 15–25; 5,1308b 10–19), einzig Aristot. Pol. 5,1302b 15–21 spricht explizit davon, dass eine Alleinherrschaft verhindert werden sollte, wobei er den neutralen Begriff μοναρχία verwendet. Zur Kritik. s. u. a. Martin (1974) 25; Stein-Hölkeskamp (1989) 195; Mann (2007) 61 f. Besonders prägnant findet sich diese Deutung etwa bei Martin (1974) 25 f., der das Einsetzen des Ostrakismos in den 480er Jahren mit einer Verschärfung adliger Faktionskämpfe über die politischen Zielsetzungen hinsichtlich des Verhältnis’ zu Persien und des Flottenbaus, also einer konkreten inhaltlichen Richtungsentscheidung, in Verbindung bringt; in eine ähnliche Richtung geht Stein-Hölkeskamp (1989) 193–204; auch Forsdyke (2005) 149–147 deutet den Ostrakismos als Mittel, innerelitäre Konflikte zu lösen: Das Verfahren sei eine symbolisch-rituelle Zähmung aristokratischer „politics of expulsion“ gewesen. Richtungsentscheide sieht auch Schmitz (2011) 45–50 als maßgeblich an, kann aber durch seine These, das Verfahren habe erst im Rat stattgefunden (wo populäre Volksführer durchaus von ihren Peers verbannt werden könnten), die antike Deutung, es gehe um die Verhinderung einer Tyrannis, mit der modernen Interpretation versöhnen (ebd. 49). Das Problem der modernen Interpretation ist einerseits die Quellenlage: Aristot. Pol. 3,1284b 20– 22 hebt zwar hervor, dass der Ostrakismos als Mittel bei Parteikämpfen eingesetzt werden könne, sieht darin aber (wohl mit Hinblick auf die Ostrakisierung des Hyperbolos) eindeutig einen Missbrauch der Institution. Von den Quellen klassischer Zeit gibt ansonsten nur Theopomp FGrH 115 F 91 (= Schol. Aristoph. Vesp. 947c) einen Hinweis darauf, dass der Ostrakismos als Mittel für Parteikämpfe Verwendung fand. Andererseits ist in den meisten Fällen, in denen eine politische Richtungsentscheidung anstand, der Entscheid auf der Sachebene schon vor der Ostrakisierung des Vertreters der unterlegenen Position gefallen, s. dazu überzeugend Heftner (2012) 17–20.

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dürfte aber die politische Praxis nur bedingt (oder höchstens in ausgeprägten Krisensituationen) widerspiegeln. In der Regel wird man nicht bloß von zwei Akteuren und wohl auch nicht von starren Blöcken, sondern eher von situativ wechselnden Allianzen auszugehen haben, bei denen Ostrakophorien als politische Richtungsentscheide relativ wirkungslos bleiben mussten.28 In neuerer Zeit ist daher – vor allem unter dem Eindruck der Publikation und Auswertung der Ostraka – eine dritte Deutung hinzugekommen, nämlich dass der Ostrakismos der moralischen und politischen Überwachung der Führer durch das Volk diente. Hintergrund sind entsprechende Beischriften auf einzelnen Ostraka, die auf moralische Verfehlungen, Normtransgressionen oder Verrat, nicht aber innenpolitische Gegnerschaften oder Tyrannisaspirationen anspielen.29 So meint etwa Christian Mann: „Der Ostrakismos fungierte […] als Instrument zur Disziplinierung des herausragenden Einzelnen durch das Volk. Im Ostrakismos verdichtete sich der normative Druck, den der Demos auf die gesellschaftliche Eliten und politischen Führer ausübte.“30 Die Deutung kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie sich auf zeitgenössisches Quellenmaterial stützt, aber an sich ist das genau die Deutung, die auch die antiken literarischen Quellen geben: Denn dass die „demonstrative Zurschaustellung sozialer Überlegenheit“ geahndet wurde und der Ostrakismos daher ein „Instrument der Demokratie“ sei, wie Mann aus den Ostraka-Beischriften folgert,31 liegt so weit nicht von den Aussagen Aristoteles’ entfernt, wonach Demokratien durch den Ostrakismos Gleichheit herstellen würden, indem sie jene Leute verbannten, die an Einfluss, Reichtum, Freunden oder sonstigen Machtmitteln zu sehr herausragten.32 Zentral am Ostrakismos ist auf jeden Fall die Unsicherheit, die das Verfahren für jene mit sich brachte, die besonders einflussreich und entsprechend exponiert waren – und zwar eine bewusst institutionalisierte Unsicherheit, die den Charakter von Machtpolitik als Hochrisikospiel gezielt verschärfte. Bei allen Deutungsvorschlägen

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Die Auswertung der erhaltenen Ostraka durch Brenne (2001) legt denn auch nahe, dass sich die Stimmen bei einzelnen Ostrakophorien z. T. auf ein relativ breites Kandidatenfeld aufteilen konnten, also keine Richtungsentscheidung zwischen zwei klar personalisierbaren politischen Alternativen vorlagen. Zu den inhaltlichen Kriterien, die aus den Ostraka ableitbar sind, s. zusammenfassend Brenne (2002) 155–166 sowie die detaillierte Auswertung der Ostraka bei Brenne (2001). Der ausführliche Katalog der Ostraka vom Kerameikos liegt jetzt vor bei Brenne (2018). Mann (2007) 73; allg. Mann (2007) 65–73; in dieselbe Richtung geht Siewert (2002b). Mann (2007) 73. Aristot. Pol. 3,1284a 17–22: διὸ καὶ τίθενται τὸν ὀστρακισμὸν αἱ δημοκρατούμεναι πόλεις, διὰ τὴν τοιαύτην αἰτίαν· αὗται γὰρ δὴ δοκοῦσι διώκειν τὴν ἰσότητα μάλιστα πάντων, ὥστε τοὺς δοκοῦντας ὑπερέχειν δυνάμει διὰ πλοῦτον ἢ πολυφιλίαν ἤ τινα ἄλλην πολιτικὴν ἰσχὺν ὠστράκιζον καὶ μεθίστασαν ἐκ τῆς πόλεως χρόνους ὡρισμένους. Vgl. Aristot. Pol. 5,1308b 16–19: καὶ μάλιστα μὲν πειρᾶσθαι τοῖς νόμοις οὕτω ῥυθμίζειν ὥστε μηδένα ἐγγίγνεσθαι πολὺ ὑπερέχοντα δυνάμει μήτε φίλων μήτε χρημάτων, εἰ δὲ μή, ἀποδημητικὰς ποιεῖσθαι τὰς παραστάσεις αὐτῶν. Dass Gleichheit und die Verbannung herausragender Einzelner allerdings nicht per se ein ‚demokratisches‘ Postulat war, sondern auch in anderen Verfassungen, namentlich Oligarchien eingefordert wird, macht Aristot. Pol. 5,1308b 10–19 deutlich.

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bleibt jedoch das Problem, dass nicht gänzlich klar ist, weshalb der demos, der doch in vielen Punkten regelmäßig mitentscheiden durfte, ein solches Instrument benötigte, sei es, um einen Tyrannen zu verhindern, einen aristokratischen Richtungsstreit zu entscheiden oder um den Einfluss eines Politikers grundsätzlich zurückzubinden. Dieses Problem löst sich auf, wenn man berücksichtigt, dass der demos in einer Volksversammlung keineswegs immer aus denselben Leuten bestand. Der demos waren die Anwesenden, und das dürften, trotz der integrierenden Wirkung der kleisthenischen Reformen, bei alltäglichen Geschäften primär die Bewohner des Zentralorts gewesen sein. Der Ostrakismos allerdings war kein alltägliches Geschäft. Wie Detlef Lotze argumentiert hat, ist davon auszugehen, dass sich der demos bei einer Ostrakophorie in einer anderen Zusammensetzung versammelte als normal und sich dadurch andere Mehrheitsverhältnisse ergaben.33 Damit muss die moderne Kritik hinterfragt werden, die der antiken Deutung des Ostrakismos als Mittel zur Verhinderung einer Tyrannis (beziehungsweise einer monarchia, wie Aristoteles meint) die Plausibilität abspricht, da das Volk eben gerade nicht den populärsten und damit mächtigsten Politiker verbanne, sondern seinen zweitmächtigsten Rivalen (und damit einer Alleinherrschaft eher den Weg ebne, als sie verhindere). Eine höhere Mobilisierung, insbesondere der ländlichen Bevölkerung, die sonst nur selten im Zentrum anwesend war, kann sehr wohl erklären, weshalb auch für Politiker, die normalerweise die Volksversammlung dominierten (und so gesehen durchaus als monarchos erscheinen konnten), eine Ostrakophorie dennoch eine sehr reale Gefahr darstellte. Diese Hypothese lässt sich durch zwei Schlaglichter auf das Verfahren erhärten. Plutarch überliefert in seiner Vita des Aristides eine Anekdote, die klar darauf hinweist, dass zu einer Ostrakophorie Personen kamen, die mit der städtischen Politik so unvertraut waren, dass sie die Personen, um die es ging, nur vom Hörensagen kannten. Denn dem Aristides, der den Spitznamen ‚der Gerechte‘ trug, sei Folgendes widerfahren: Es wird erzählt, dass damals, als die Ostraka beschrieben wurden, einer von den Schriftunkundigen und gänzlich Bäurischen dem Aristides, wie einem gewöhnlichen Mann, sein Ostrakon gab und ihn bat, dass er „Aristides“ draufschreibe. Als er staunte und fragte, ob Aristides ihm irgendein Leid zugefügt habe, sagte jener, ‚keines, ich kenne den Menschen nicht, aber es stört mich, ihn überall den „Gerechten“ genannt zu hören.‘34

Der Clou der Anekdote liegt dann natürlich darin, dass der ‚gerechte‘ Aristides tatsächlich seinen Namen auf die Tonscherbe schreibt und so zu seiner eigenen Ostrakisierung beiträgt.

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Lotze (1997) 92; vgl. auch Forsdyke (2005) 162 f. Plut. Arist. 7,7 (eigene Übers.): Γραφομένων οὖν τότε τῶν ὀστράκων, λέγεταί τιναm τῶν ἀγραμμάτων καὶ παντελῶς ἀγροίκων ἀναδόντα τῷ Ἀριστείδῃ τὸ ὄστρακον ὡς ἑνὶ τῶν τυχόντων παρακαλεῖν, ὅπως Ἀριστείδην ἐγγράψειε. τοῦ δὲ θαυμάσαντος καὶ πυθομένου μή τι κακὸν αὐτὸν Ἀριστείδης πεποίηκεν, ‚οὐδέν’ εἰπεῖν, ‚οὐδὲ γινώσκω τὸν ἄνθρωπον, ἀλλ’ ἐνοχλοῦμαι πανταχοῦ τὸν Δίκαιον ἀκούων‘.

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Als kaiserzeitlicher Autor mit stark moralischem Duktus galt Plutarch lange Zeit als wenig verlässliche Quelle, doch in den letzten Jahren setzte eine Rehabilitierung ein. Dabei wird einerseits auf die ‚guten‘ Quellen verwiesen, die Plutarch zum Teil benutzte.35 Andererseits wird unter den Vorzeichen der neuen Kulturgeschichte das Desinteresse des Biographen an politischer Ereignisgeschichte und Verfassungsfragen nicht mehr als Nachteil gesehen, sondern im Gegenteil als besondere Stärke hervorgehoben, da die zahlreichen Anekdoten und Klatschgeschichten einen Einblick in die Sitten, Werte und Selbststilisierungen athenischer Politiker geben, die in anderen Quellen fehlen.36 Skepsis ist dennoch angezeigt, denn längst nicht für alle Geschichten gibt Plutarch Quellen an (so etwa bei der vorliegenden Anekdote) und vieles mag wohl eher generelle Moralvorstellungen des vierten Jahrhunderts oder späterer Zeiten widerspiegeln. Trotzdem zeigt sich in einigen Fällen, wie etwa bei den noch zu besprechenden Anekdoten über die Eintritte prominenter Athener in die Politik, eine hohe innere Stringenz zwischen den einzelnen Viten, die in dieser Form spezifisch für das fünfte Jahrhundert zu sein scheint. In anderen Fällen wiederum mag man zwar den Quellenwert mit guten Gründen bezweifeln, aber die strukturellen Bedingungen, vor denen die Geschichten Sinn machen, dennoch als heuristisch wertvoll ansehen. Die Anekdote um Aristides ist genau ein solcher Fall: Hier bietet Plutarch einen Einblick in die Dynamik vormoderner Versammlungsdemokratien, die als strukturelles Merkmal noch zu seiner Zeit Aktualität besessen haben muss, aber sehr wohl auch auf Informationen aus dem fünften (oder zumindest vierten) Jahrhundert beruhen könnte. Demnach ist zu erwarten, dass bei einer wichtigen Versammlung, wie eben bei einer Ostrakophorie, sich Personen einfinden, die sonst nicht am politischen Geschehen teilnehmen. Diese Personen sind auch näher charakterisiert, denn der ignorante Aristides-Hasser wird als einer von den „gänzlich Bäurischen“ bezeichnet und es ist nicht abwegig, darin eine klar umrissene Gruppe zu sehen. Die abwertende Bezeichnung „bäurisch“ hat dabei nebst der sozialen vor allem eine geographische Dimension. Denn natürlich waren es die nicht stadtsässigen „bäurischen“ Bewohner aus dem Umland, die nur in Ausnahmefällen zur Volksversammlung kamen und dort entsprechend auffielen. Der Umstand, dass der Ostrakismos (wahrscheinlich) in der achten Prytanie, das heißt im März durchgeführt wurde, einer Zeit, in der wenig landwirtschaftliche Arbeit anfiel, dürfte einer breiten Partizipation der Landbevölkerung entgegengekommen sein.37 Nicht zuletzt zeigt die Anekdote aber auch, welche Gefahr einem Politiker von dieser Gruppe drohte: Was Aristides vorgehalten wird, ist kein transgressives Verhalten, sondern schlicht seine Bekanntheit, die weit über die Stadtgrenzen hinausreicht. Das passt

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Zu nennen sind hier die teils wörtlich zitierten Passagen von Lyrikern und Komödien des fünften Jahrhunderts, aber auch die nur schemenhaft fassbaren Werke von Ion von Chios (FGrH 392) und Stesimbrotos von Thasos (FGrH 107), die Plutarch zumindest indirekt zitiert; s. Anm. u. Mann (2007) 34–37 und v. a. Schmitt Pantel (2009) spez. 175–196, vgl. auch Schmitt Pantel (2012). Forsdyke (2005) 162 f.

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zur prosopographischen Auswertung der Ostraka durch Stefan Brenne, der zu dem Ergebnis gelangte, dass Personen aus prominenten Familien (er spricht von „Geburtsadel“) von der Ostrakophorie besonders betroffen waren und unter diesen wiederum Personen, „die sich zugleich durch ihren Reichtum, ihre gesellschaftliche Führungsrolle und politische Aktivität hervortaten.“38 Besonders hervorzuheben ist eine Scherbe gegen Themistokles, die ihn „wegen der Ehre“ ([τ]ιμ|ε ς` hέν¢ε|κα) verbannt.39 Der Ostrakismos richtet sich also nicht gegen einen ‚Adel‘ als Gruppe und auch nicht per se gegen eine als ‚adlig‘ konnotierte Lebensweise (das ‚aristokratische‘ Auftreten eines Alkibiades und seine offenkundige Popularität ließen sich dann nur schwer erklären), sondern generell gegen Einzelfiguren, deren Prominenz als zu dominant empfunden wurde – egal, worauf diese Prominenz beruhte. Dass die vom Ostrakismos Gefährdeten darin primär ‚Neid‘ erblicken, passt zu dieser Deutung.40 Der Ostrakismos kann daher als eine Fortsetzung der Zentrum-Peripherie-Differenz unter den neuen Bedingungen der kleisthenischen Ordnung gesehen werden: Die sporadische Mobilisierung der Bürger aus der Peripherie trug dazu bei, dass Politiker, die sonst im Zentrum dominierten, nicht nur keine Mehrheit mehr hatten, sondern darüber hinaus aufgrund ihrer über das Zentrum hinausreichenden Bekanntheit von der Ostrakisierung besonders bedroht waren. Der Rat mit seinen über ganz Attika verteilten Mitgliedern könnte dabei ebenfalls eine Rolle spielen: Schließlich waren es die Ratsmitglieder, die Volksversammlungen vorbereiteten und den Einfluss, den Demagogen an sämtlichen Polis-Institutionen vorbei auf Volksversammlungen nehmen konnten, direkt miterlebten. Dass Bouleuten die ländliche Bevölkerung ihrer Heimatdemen anlässlich eines Ostrakismos gegen zu dominant empfundene Demagogen im städtischen Zentrum zu mobilisieren suchten, ist als Hypothese zumindest denkbar – und eine solche Mobilisierung würde umso besser funktionieren, je höher die tatsächliche Bekanntheit des ‚Opfers‘ war. Bezeichnenderweise funktionierte der Ostrakismos denn auch just in dem Moment nicht mehr richtig, als diese Zentrum-Peripherie-Differenz an Bedeutung verlor.

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Brenne (2001) 410. Bezeichnend scheint mir dabei – und hier liegt ein leichter Unterschied zur Deutung Manns und Siewerts –, dass (übermäßige) Prominenz grundsätzlich zur Gefährdung führt, unabhängig, ob damit konkrete Moralverstöße oder ein aus moderner Sicht als ‚aristokratisch‘ konnotierter Lebenswandel verbunden ist; das Gleichheitspostulat, das antike Quellen hervorheben, sollte hier wohl ernst genommen werden; vgl. ähnlich Heftner (2008) 102–104. Brenne (2002) 130 f. (T 1/146) = Brenne (2018) Nr. 8463. Neid (φθόνος) als zentrales Motiv beim Ostrakismos begegnet bereits in der ersten literarischen Quelle zum Ostrakismos, nämlich Pind. P. 7,19 in Bezug auf die Ostrakisierung des Megakles. Demetrios von Phaleron FGrH 228 F 43 (= Plut. Arist. 1,2) sah ebenfalls den Neid des Volkes gegen die Angehörigen großer Häuser als zentral an. Dass dies die Sicht der Elite und somit das zeitgenössische Gegenstück zu den Beischriften auf den Ostraka darstelle, betonen u. a. Brenne (2002) 166 und Heftner (2012) 102; zur zentralen Bedeutung von Neid im Zusammenhang mit dem Ostrakismos bei Plutarch s. Schmitt Pantel (2009) 76–84 und Schmitt Pantel (2012) 136.

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Die letzte Ostrakophorie fand im Jahr 416 statt41 und traf Hyperbolos, einen Demagogen, der zwar nicht unbekannt war, aber eindeutig im Schatten von Alkibiades und Nikias, den beiden dominierenden Figuren dieser Zeit, stand. Die antiken Quellen sind sich denn auch einig, dass es hier den Falschen getroffen habe. Plutarch zitiert gleich zweimal einen Vers des Komödiendichters Platon, der wohl aus einem kurz nach 416 verfassten Stück stammt und wo in Hinblick auf Hyperbolos erklärt wird: Und so geschah ihm dies wegen seines Charakters zu Recht, wegen seiner Sklavenmale aber zu Unrecht, denn nicht für solche Leute wurde die Scherbe erfunden.42

Dies deckt sich mit Thukydides, der Hyperbolos’ Ostrakismos nicht einmal erwähnt, aber bei seiner Ermordung 411 im samischen Exil ausführt, er sei ein „elender Mensch“ gewesen, den die Athener nicht aus Furcht vor seiner Macht oder seinem Ansehen ostrakisiert hätten, sondern wegen seiner Schlechtigkeit und weil er eine Schande für die Polis sei.43 Die Beschimpfung des Hyperbolos als „elend“ (μοχθηρός) und „nieder“ (πονηρός) zeugen von einer Diffamierung in sozialen Kategorien, die sich auch in diversen Komödien wiederfindet. Solcher Spott ist jedoch zu relativieren: Prominent war die Familie dieses Politikers sicherlich nicht, doch er muss reich gewesen sein und hatte eine rhetorische Ausbildung genossen; der sozioökonomische Aufstieg der Familie muss sich also bereits mindestens eine Generation vorher vollzogen haben und als politischer Akteur ist er (obschon ihn Thukydides gezielt zu marginalisieren versucht) durchaus fassbar und wohl auch nicht ganz unbedeutend.44 Komödienspott sollte daher als Quelle für den tatsächlichen sozialen Status nicht überbewertet werden, er ist aber ein klares Indiz dafür, dass Hyperbolos – sicherlich auch wegen seines

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Zur Datierungsfrage s. Heftner (2000) 34 f. mit Anm. 10. Plato Comicus F 203 PCG (= Plut. Alk. 13,9; Nik. 11,7) (Übers. Grimanis & Heftner): καίτοι πέπραγε τῶν τρόπων μὲν ἄξια, / αὑτοῦ δὲ καὶ τῶν στιγμάτων ἀνάξια· / οὐ γὰρ τοιούτων οὕνεκ’ ὄστραχ’ εὑρέθη. Zum Fragment und der wahrscheinlichen Datierung ins Jahr 415 s. P. Grimanis & H. Heftner, in: Siewert (2002a) 227–239 (T 12). Thuk. 8,73,3: […] Ὑπέρβολόν τέ τινα τῶν Ἀθηναίων, μοχθηρὸν ἄνθρωπον, ὠστρακισμένον οὐ διὰ δυνάμεως καὶ ἀξιώματος φόβον, ἀλλὰ διὰ πονηρίαν καὶ αἰσχύνην τῆς πόλεως […]. Dazu S. Brenne, in: Siewert (2002a) 258–270 (T 16). Zu Hyperbolos s. Mann (2007) 232–234 sowie Camon (1961) mit den entspr. Quellenbelegen. Die fremdländische oder gar sklavische Herkunft, die in den Komödien (nicht nur bei Plato Comicus) vorgebracht wird, wird durch das Patronym auf den erhaltenen Ostraka zweifelsfrei widerlegt, der Spott bei Aristoph. Nub. 876, dass selbst Hyperbolos (über dessen Aussprache sich Aristophanes offenbar lustig macht) für den Preis von einem Talent rhetorische Fertigkeiten lernen konnte, zeigt erstens, dass er eine entsprechende Ausbildung genossen hatte, was aber zweitens impliziert, dass der Vater bereits über die Mittel und Beziehungen verfügte, um seinem Sohn eine solche ‚standesgemäße‘ Ausbildung zu ermöglichen. Politisch fassbar ist Hyperbolos nicht nur in der Komödie als Vertreter einer aggressiven Kriegspolitik, sondern auch auf zwei Inschriften als Antragsteller von Volksbeschlüssen: IG I3 82 (aus dem Jahr 421/20, wobei Hyperbolos’ Name teilweise ergänzt ist) und IG I3 85 (aus dem Jahr 418/17).

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

politischen Stils45 – bekannt und kontrovers war. Doch obschon exponiert, scheinen ihn seine Zeitgenossen nicht als besonders angesehen und auch nicht als in einem gefährlichen Sinne mächtig angesehen zu haben, und die Reaktionen auf seine Ostrakisierung zeigen, dass man genau darin ein Problem sah. Plutarch erklärt den ‚falschen‘ Ausgang der Ostrakophorie mit einem Geheimabkommen, das Alkibiades und Nikias geschlossen hätten.46 Eine zeitnah verfasste, fiktive Rede, die unter dem Namen Andokides überliefert ist und den Ostrakismos des Hyperbolos zum Thema hat, erwähnt Hetairien und ‚Mitverschwörer‘; es kursierten also schon bald nach dem Ereignis ‚Verschwörungstheorien‘, auf die Plutarch wohl zurückgreifen konnte.47 Die neuere Forschung ist allerdings sehr skeptisch, ob diese Erklärung zutreffend ist, und tendiert dazu, darin eine nachträgliche konstruierte Erklärung für ein so nicht erwartetes Ergebnis zu sehen.48 Allerdings zeigt der Ostrakismos des Hyperbolos genau jenes Problem, das moderne Interpretatoren gegen antike Vorstellungen, der Ostrakismos diene dazu, den Mächtigsten zu verbannen, ins Feld führen: Der mächtigste und bekannteste Politiker wird eben gerade nicht verbannt und auch nicht der zweitmächtigste, sondern ein exponierter und kontroverser Demagoge der zweiten Reihe. Der Ostrakismos des Hyperbolos ist also nicht per se überraschend und erklärungsbedürftig, erklärungsbedürftig ist eher, weshalb das Ergebnis für die Zeitgenossen überraschend war und weshalb vorherige Ostrakophorien anders verliefen. Betrachtet man diese Ostrakophorie vor dem Hintergrund der Zentrum-Peripherie-Problematik Athens, so bietet sich zumindest partiell eine Erklärung an. Die spartanischen Einfälle in Attika hatten dazu geführt, dass ein größerer Teil der Landbevölkerung in die Stadt floh – eine Veränderung der bisherigen Lebensweise, deren einschneidenden Charakter Thukydides deutlich hervorhebt.49 Auch wenn das sicher nicht die gesamte Bevölkerung Attikas betraf und auch wenn die regelmäßigen Einfälle der Lakedaimonier nach dem Nikiasfrieden vorläufig endeten, so wird Flucht in die Stadt doch dazu geführt haben, dass große Teile der Landbevölkerung über längere Zeit im Zentrum präsent waren und viele Demagogen aus eigener Anschauung kannten. Das unberechenbare Moment früherer Ostrakismos-Verfahren gerade für besonders herausragende und dominierende Politiker, das, so die hier vertretene These, darin bestand, dass die sonst nicht im Zentrum anwesenden Bewohner der Peripherie sich einfanden und zu anderen Mehrheitsverhältnissen führen konnten, fiel weg. Po45 46 47 48 49

Zu den „new politicians“ und versch. Stilisierungen s. u. Kap. 8.2 und 8.3. Plut. Nik. 11; Alk. 13; knapp erwähnt auch bei Plut. Arist. 7,3 f. [And.] 4,4 erklärt, dass bei einem Ostrakismos hetairoi und Mitverschwörer (συνωμότοι) von Vorteil seien. Zu diesem Zeugnis s. B. Eder & H. Heftner, in: Siewert (2002a) 277–301 (Vorbemerkungen und T 18). Hierzu grundlegend Heftner (2000); Zweifel am Geheimbund äußern auch Forsdyke (2005) 171–175 und Mann (2007) 239. Thuk. 2,14–17.

8.1 Veränderte Modi der Konkurrenz und das Problem des heterogenen demos

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puläre Politiker waren damit weniger gefährdet und kontroverse Figuren der zweiten Garde wie Hyperbolos gerieten in den Blick. Dieser längere Exkurs sollte vor allem davor warnen, im demos eine homogene Entität zu sehen, die einen klaren demokratischen Kompass hatte und von seinen Führern konsequent ein entsprechendes Verhalten einforderte. Das demokratische Athen veränderte durchaus die Spielregeln der Konkurrenz, allerdings ist die Gemengelage komplex. Dass ‚der demos‘ ‚den Adel‘ abschaffte oder gängelte, ist eine zu simplifizierende Deutung. Im Gegenteil kann man mit Blick auf die Archontenwahl sogar davon sprechen, dass die Verteilung von Ehre auf eine größere Gruppe, die alle vor dem Los gleich waren, den ‚adelnden‘ Charakter der oberen Zensusklassen verstärkte: Die Notwendigkeit, jährlich 100 Kandidaten für ein Losverfahren zu stellen, garantierte deutlich mehr Personen als bisher, für das Archontat in Betracht gezogen zu werden – der Konnex von Amtsfähigkeit und Zugehörigkeit zu den dafür in Frage kommenden Zensusklassen wurde dadurch unterstrichen, die über Landbesitz und Vermögen definierte soziale Stellung also fester an einen institutionell abgesicherten Anspruch auf Ehren in der Polis geknüpft, wobei die Konkurrenz um diese Ehren (zumindest bis zur Ausweitung der Wählbarkeit auch auf die Klasse der Zeugiten)50 deutlich eingeschränkt wurde. Demgegenüber standen aber die neuen Möglichkeiten, mit und in der Volksversammlung oder über das neu eingerichtete Strategenamt Machtpolitik in ganz neuen Dimensionen zu betreiben. Dabei legte das Strategenamt den Inhabern vergleichsweise wenig institutionelle Schranken auf und die Rolle des Demagogen war gänzlich informeller Natur. Das eröffnete Handlungsspielräume, barg aber gleichzeitig hohe Risiken, da das dauernde Werben um Mehrheiten bei einem in seiner Zusammensetzung keineswegs konstanten demos die zwingende Grundlage einer solchen Politik war, die ansonsten kaum über institutionell abgesicherte Machtinstrumente verfügte. Entsprechend aufgewertet wurde die Rolle des demos als ‚dritte Instanz‘, die es zu gewinnen galt. Die enormen Möglichkeiten, die die Polis Athen mit seinem Seereich bot, machten es gerade für besonders herausragende und ehrgeizige Akteure attraktiv, ihr gesamtes Prestige in diesem Feld der Konkurrenz zu konzentrieren und sich den dort herrschenden Spielregeln zu unterwerfen. Das führte zu sehr bewusst ausgestalteten Formen öffentlichkeitswirksamen Auftretens, die auf die Diskussion um ‚Adeligkeit‘ einen entscheidenden Einfluss ausüben sollten. 50

[Aristot.] Ath. pol. 26,2 – dass dadurch das Amt entwertet wurde, kann ich nur bedingt nachvollziehen: Die Vorauswahl wurde explizit nicht abgeschafft, es kann also keine Rede davon sein, dass Zeugiten (was immer noch eine relativ exklusive Gruppe ist) buchstäblich ‚wahllos‘ zum Archontat zugelassen wurden. Was sich primär änderte, war die Konkurrenz im Rahmen der Vorauswahl, die erheblich verschärft wurde – über die Gründe (Öffnung eines attraktiven Amtes für die Zeugiten?, Ausweitung des Kandidatenpools für ein eher unattraktives Amt, für das sich aus den beiden oberen Klassen zu wenig Bewerber fanden?, Bedeutungsverlust der agrarisch orientierten Zensusklassen in Hinblick auf die Zunahme beweglicher Geldvermögen, die in dieser Definition von Reichtum nicht mehr erfasst wurden?) lässt sich nur spekulieren.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems? Das Primat politischer Gleichheit im demokratischen Athen bei gleichzeitiger sozialer Ungleichheit hat modernen Interpretatoren Kopfschmerzen bereitet. So sprach Christian Meier von einer „Abspaltung der politischen Ordnung von der gesellschaftlichen“ und Christian Mann versuchte, die Demokratie im Rahmen der Luhmann’schen Systemtheorie als ausdifferenziertes „politisches Funktionssystem in der Umwelt einer stratifizierten Gesellschaft“ zu deuten.51 Noch weiter ging Oliver Grote in zwei 2016 veröffentlichten Aufsätzen, in denen er die Polisentwicklung seit der Archaik als eine zunehmende funktionale Ausdifferenzierung von operativ geschlossenen Systemen deutet – ein Prozess, der in der athenischen Demokratie gegipfelt habe, die in Grotes Modell weitgehend einer modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft entspricht.52 Für eine Ausdifferenzierung des Politischen als ein System mit eigenen Regeln, das sich klar von einer anders gearteten Umwelt abgrenzt, gibt es in der Tat einige Indizien. Dazu gehört der bereits besprochene Ostrakismos, der sich gegen Personen richtet, die durch ihre Macht, die Zahl ihrer Freunde und ihr überlegenes Prestige die in politicis geforderte Gleichheit zu sprengen drohten.53 Dazu gehört aber auch die gut greifbare Vorstellung, dass die Politik einen eigenen Bereich bildet, in den man durch einen bewussten Entscheid eintritt und der einen dann mit besonderen Anforderungen konfrontiert. Dies wird in der Rede des Pseudo-Andokides gegen Alkibiades deutlich, die auf die Gefahren hinweist, die ein politisches Engagement mit sich bringt, aber gleichzeitig suggeriert, dass ein ‚Privatleben‘ abseits der Politik eine denkbare Alternative wäre.54 Dementsprechend ist der Eintritt in die Politik ein bewusster Akt, der auch entsprechend inszeniert werden konnte. In den Biographien Plutarchs bildet der erste Auftritt vor dem demos beziehungsweise der Entscheid, politisch tätig zu werden, denn auch einen wichtigen Einschnitt in den Viten angehender Politiker im klassischen Athen.55 51 52 53 54

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Meier (1980) 151; Mann (2008) 6. Grote (2016b) und Grote (2016c). S.o S. 341–349; zum Ostrakismos als Indiz für eine Ausdifferenzierung des politischen Systems s. Mann (2008) 27 und ähnlich Mann (2007) 68–73. [And.] 4,1 f., wo die Gefahren, die der Sprecher durch sein politisches Engagement auf sich genommen hat, kontrastiert werden mit οἱ τῶν ἰδίων ἐπιμελουμένοι, die gefahrlos leben, aber die Polis nicht mächtiger machen. Auch wenn die Rede als solche fiktiv ist, muss diese Darstellung Plausibilität besessen haben; zur Datierung der Schrift in die Zeit zwischen 403 und 395 s. B. Eder und H. Heftner, in: Siewert (2002a) 277–282 (Vorbemerkungen zu T 18–21). Connor (1971) 175–198 hat diverse Indizien für einen angeblichen Rückzug der alten Elite aus der Politik gesammelt – die These als solche ist sicherlich überspitzt und so nicht haltbar, doch die von Connor versammelten Quellen zeigen, dass die bei Andokides fassbare Idee, der Eintritt in die Politik sei ein bewusster Akt, auf den man auch verzichten kann, kein isoliertes Zeugnis ist. Literarisch besonders raffiniert ausgestaltet ist dies bei Plut. Alk. 10,1 f., wo der erste Auftritt des Alkibiades vor der Volksversammlung mit einem Austausch von Liebesgeschenken einhergeht, also der Beziehung gleich zu Beginn eine erotische Dimension verliehen und damit das Leitmotiv

8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems?

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Besonders deutlich wird der bewusst inszenierte Eintritt in die Politik bei Perikles, der sich, laut Plutarch, als junger Mann scheute, vor den demos zu treten, weil er dem Tyrannen Peisistratos ähnelte, darüber hinaus reich war, eine illustre Abstammung vorweisen konnte und einflussreiche Freunde hatte. Daher habe er eine Ostrakisierung gefürchtet und keine politischen Dinge betrieben (τῶν μὲν πολιτικῶν οὐδὲν ἔπραττεν).56 Als der Entschluss dann gefallen war, doch politisch tätig zu werden, habe er seine Lebensweise umgehend geändert: Fortan habe man ihn nur noch entweder zum Bouleuterion oder zur Agora gehen sehen, Gastmähler und die damit einhergehende Geselligkeit mied er demonstrativ.57 Auch Themistokles soll, als er von Ehrgeiz getrieben beschloss, in die Politik zu gehen, Einladungen zu Trinkgelagen abgelehnt haben, so dass seine Freunde sich über den geänderten Lebenswandel (τὸν βίον μεταβολήν) wunderten.58 Von Nikias berichtet der Biograph ähnliches: Auch er habe, aufgrund seiner politischen Tätigkeit, da er Sykophanten fürchtete, auf den Besuch von Gastmählern und geselligen Umgang verzichtet.59 Kleon schließlich kündigte seinen Freunden demonstrativ die Freundschaft auf, als er den Schritt in die Politik unternahm.60 Die strukturellen Ähnlichkeiten im geschilderten Verhalten der Protagonisten (das ansonsten von Plutarch sehr unterschiedlich beurteilt wird) und der Umstand, dass dies keineswegs ein Spezifikum von Pluarchs Biographien ist, sondern sich auf die Viten athenischer Politiker des fünften Jahrhunderts beschränkt, sprechen dafür, dass es sich dabei tatsächlich um eine damals gelebte Praxis gehandelt haben dürfte.61 Christian Mann hat diese Anekdoten in Anschluss an W. Robert Connor unter dem Aspekt des ‚Freundschaftsverzichts‘ analysiert und daraus auf die Autonomie des politischen Systems geschlossen, in dem Freundschaften als dysfunktional angesehen wurden, da sie die Loyalität des Politikers gegenüber dem demos kompromittierten.62 Wer in die Politik ging, das legen diese Anekdoten nahe, konnte durch eine demonstrativ

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von Anziehung und Verführung vorweggenommen wird, das Alkibiades und den demos fortan verbindet; vgl. Schmitt Pantel (2009) 9 f. Zum Eintritt in die Politik bei Plutarch ausführlich Schmitt Pantel (2009) 37–41 und Schmitt Pantel (2012) 126–128. Plut. Per. 7,1–2. Plut. Per. 7,5. Plut. Them. 3,4. Plut. Nik. 5,1. Plut. praec. ger. reip. 13 (= mor. 806f). Schmitt Pantel (2009) 39 f.; Mann (2007) 107 f.; sowie allg. zum Quellenwert von Plutarchs Anekdoten Mann (2007) 34–37 und Schmitt Pantel (2009) 175–196. Mann (2007) 104–108 und 119–123 zur Interpretation des Befunds. Themistokles fehlt bei Manns Beispielen, dafür erwähnt er den verbalen Freundschaftsverzicht von Aristides (Plut. Arist 2; vgl. praec. ger. reip. 13 = mor. 807a–b), der allerdings nicht mit dem Eintritt in die Politik verbunden ist, sowie die bei Ael. VH 11,9 überlieferte, ebenfalls nicht klar kontextualisierbare Geschichte, wonach Ephialtes ein Geldgeschenk abgelehnt habe, um nicht in einer moralischen Schuld zu stehen. Mann richtet sich dabei gegen Connor (1971) 91 ff., der den Freundschaftsverzicht Kleons als Bruch mit dem bisherigen politischen Stil interpretiert.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

veränderte Lebensweise und ein Kappen bisher gepflegter Freundschaftsverbindungen eine positive ‚imago‘ als unkorrumpierbarer Freund des demos erlangen. Allerdings stehen der Vorstellung von Politik als ausdifferenziertem, operativ geschlossenem System auch einige gewichtige Einwände entgegen. Der offensichtlichste ist, dass die Akteure auf der politischen Bühne zwar in vielen Fällen ihren Reichtum und ihre Freunde nicht demonstrativ zur Schau stellten, aber bezeichnenderweise eben gerade nicht arm und ohne Freunde waren. Es handelt sich stets um Angehörige einer ökonomisch potenten und vernetzten Oberschicht. Ökonomische Aufsteiger wird es gegeben haben (wohl auch in erheblichem Maße), doch klassische ‚Tellerwäscher-Karrieren‘ fehlen: Die ‚new politicians‘ ab den 420er Jahren waren nicht aus dem Nichts gekommen.63 Hyperbolos hatte entgegen anderslautender Anschuldigungen einen Vater mit einem guten athenischen Namen und muss eine rhetorische Ausbildung genossen haben64 und von Kleon, der als unaristokratischer Gerber verspottet wurde, wissen wir durch einen Zufallsfund, dass sein Vater Leiturgien übernommen hatte.65 Der ökonomische Aufstieg der entsprechenden Familien muss sich also schon mindestens eine Generation vor dem Eintritt dieser Figuren in die Politik vollzogen haben – Reichtum und Abkömmlichkeit, aber auch eine Sozialisierung unter den Bedingungen von Reichtum und Abkömmlichkeit bildeten weiterhin die Voraussetzungen für eine politische Karriere. Politik im klassischen Athen kann also durchaus als eigenes Feld der Konkurrenz aufgefasst werden, das über eigene Regeln verfügte und in das man bewusst eintreten musste, doch war dieses System weder geschlossen noch sozial blind gegenüber dem Ansehen der Person, sondern setzte für politische „Prominenzrollen“ – ganz im Sinne Luhmanns – „durchgehende Prominenz“ voraus.66 Aloys Winterling sprach in Hinblick auf ähnliche Verhältnisse in der römischen Republik von der „sozialen Integration der Politik“, da die Funktionsweise des politischen Systems nicht aus sich selbst heraus erklärbar ist, sondern auf die gesellschaftliche Stratifikation verweist.67 Pauline Schmitt Pantel hat den Eintritt in das politische Leben und den Umgang mit sozialer Prominenz und Reichtum denn auch ganz anders gedeutet als Mann, nämlich als „ma63

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Vgl. Connor (1971) 151–163. Der Aufstieg scheint sich (etwa bei Nikias oder Kleon) über drei Generationen zu vollziehen: Der Vater erwirtschaftet das Vermögen, der Sohn steigt prominent in die Politik ein, aber erst die Enkel heiraten in Familien, die schon über längere Zeit Prominenz besaßen. Zur Unsicherheit rund um die Eheverbindungen von Kleon s. freilich Bourriot (1982). Zu Hyperbolos s. Mann (2007) 232–234 sowie o. S. 347. Anm. 44. IG II2 2318,34 nennt Kleainetos aus der Phyle Pandionis als Choregen – eine Identifizierung mit dem Vater Kleons ist aufgrund der Seltenheit des Namens nahezu zwingend; vgl. Davies (1971) 318 f. zu Kleons Herkunft und spez. zur Inschrift Millis & Olson (2012) 8; generell zu Kleons Familienverhältnissen und Nachkommenschaft s. Bourriot (1982) mit einer Kritik an den spekulativen Rekonstruktionen bei Davies (was freilich nur die Eheverbindungen und Kinder, nicht aber die Herkunft betrifft). Luhmann (1987) 170; dazu o. S. 210 f. Winterling (2001) 108.

8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems?

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nifestations de la vie sociale et politique qui mettaient en lumière les différences économique et sociales et l’aspect inégalitaire du système civique“, und führte weiter aus: „Ils rappellent d’une certaine manière la persistance de ces pratiques depuis le monde aristocratique archaïque jusqu’au monde des notables des cités hellénistiques.“68 Das, was sich ändere, sei vor allem die Art, wie man seine überlegenen Ressourcen einsetze und wie dies bewertet würde – die gesellschaftliche Struktur als solche dagegen bleibe relativ konstant. Es soll hier nicht behauptet werden, dass sich gar nichts änderte – die Unterschiede sind durchaus markant –, doch sollte das fünfte Jahrhundert nicht in einen zu starken Kontrast zur vorhergehenden Zeit gestellt werden. Wie in dieser Arbeit dargelegt, lassen sich auch in der Archaik verschiedene Felder der Konkurrenz erkennen, die über jeweils eigene Regeln und eine – wenn auch prekäre – Autonomie verfügten.69 Die Vorstellung, dass das klassische Athen hier etwas grundsätzlich Neues sei, beruht in erster Linie auf einer zu statischen Vorstellung eines geschlossenen archaischen ‚Adels‘. Wenn man diese Vorstellung verabschiedet, so überwiegen gerade in dem Bereich, der als ‚neu‘ angesehen wird, die Kontinuitäten: Politik bildet ein weiteres Feld der Konkurrenz neben anderen. Wie bereits bei Homer begegnen auch hier Forderungen seitens der Konkurrenten, die Autonomie des Feldes zu respektieren und ‚sachfremdes‘ Prestige außen vor zu lassen – genau diese Forderungen sind das, was Christian Mann als Indiz für eine Ausdifferenzierung nimmt. Bis zu einem gewissen Grad sind sie das auch, aber gerade das stellt eben keinen grundlegenden Bruch zur Archaik dar. Wenn man in dieser Hinsicht Kontinuität konstatiert, so fallen Diskontinuitäten in anderen Bereichen auf. Neu am demokratischen Athen sind drei Aspekte. Da in der Großpolis Athen die geographische Stadt-Land Differenz politisch weitgehend aufgehoben war, gewannen – dies die erste wesentliche Neuerung – andere Formen der Differenzierung an Bedeutung. Dies ist einerseits eine Verlagerung der Zentrum-Peripherie-Differenzierung auf die abhängigen Orte des Seereichs, denen die Athener als Kollektiv privilegiert gegenüberstanden. Es war das Überlegenheitsbewusstsein gegenüber diesen abhängigen und tributpflichtigen Poleis der Peripherie, das die Athener verband und ein Gefühl von Gleichheit trotz fortbestehender Ungleichheit lebensweltlich plausibel erscheinen ließ.70 Andererseits gewann dadurch das athenische Bürgerrecht an Bedeutung: Das perikleische Bürgerrechtsgesetz von 451/50, wonach nur Bürger sein konnte, wer sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits von

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Schmitt Pantel (2009) 55. S. o. Kap. 5. So beschwört etwa Perikles bei Thuk. 2,63 f. wortgewaltig das Bild einer Polis, die stolz ist auf ihre Herrschaft und deshalb auch in Erinnerung bleiben werde, weil „keine anderen Hellenen über so viele Hellenen geherrscht haben wie wir“ (Thuk. 2,64,8), gleichzeitig aber durch diese ungerechte Tyrannis zur Schicksalsgemeinschaft wird, die gezwungen ist, die Herrschaft über die Unterdrückten aufrechtzuerhalten, um nicht der Rache der Unterdrückten anheim zu fallen.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

Bürgern abstammte, stellte hier eine wesentliche Neuerung dar.71 Das Gesetz wird gerne als anti-aristokratisch gedeutet, da damit überregionale Heiraten unterbunden wurden. Doch sollte dieser Aspekt nicht überbewertet werden – viel entscheidender scheint mir zu sein, dass dadurch das Einheiraten reicher Metöken in die Bürgerschaft verunmöglicht wurde.72 Das führte dazu, dass eine sozioökonomisch durchaus potente Gruppe im Zentrum des Seereiches durch rechtliche Schranken diskriminiert und ausgegrenzt wurde. Gleichzeitig wurde dadurch einfacheren Athenern die Möglichkeit genommen, ihren privilegierten rechtlichen Status durch lukrative Heiraten mit reichen Metöken-Töchtern zu Geld zu machen. Die Maßnahme ist also keineswegs allein gegen Heiratspraktiken der Oberschicht gerichtet, sie verstärkt aber die bereits durch die machtpolitische Attraktivität des Seereichs gegebene Tendenz, das eigene Handeln ganz als Bürger auf Bürger auszurichten und die Polis Athen und ihre mit rechtlichen Formen klar definierte Bürgerschaft zum zentralen Handlungsfeld werden zu lassen. Zweitens bot, wie bereits im vorhergehenden Kapitel argumentiert wurde, das Seereich einen Handlungsraum, der in dieser Form erst entstand und der andere Felder der Konkurrenz – unter rein machtpolitischen Aspekten – zunehmend unattraktiv erscheinen ließ. Auch wenn wir über die Verhältnisse im Athen des sechsten Jahrhunderts sehr wenig wissen, so lässt sich doch mit relativ hoher Sicherheit sagen, dass das politisch geeinte und breit mobilisierbare Attika nach den kleisthenischen Reformen nicht nur die Bedingungen, unter denen politisches Handeln möglich war, sondern vor allem auch die Möglichkeiten, was man mit Politik erreichen konnte, grundsätzlich veränderte. ‚Herrschaft‘ bedeutete im Athen des fünften Jahrhunderts etwas gänzlich anderes als noch im sechsten. Statt von einer Ausdifferenzierung sollte man daher eher von einer Neuschöpfung sprechen – Politik in der Volksversammlung und das neue Amt der Strategie stellten ein neues Feld der Konkurrenz dar, das weitgehend unabhängig von den traditionellen politischen Ehrenämtern existierte und durch die darüber mobilisierbaren Ressourcen und erst recht durch das Seereich ab den Perserkriegen zunehmend an Attraktivität gewann. Der ältere Miltiades konnte im sechsten Jahrhundert noch nach Thrakien entweichen, dort seine eigene Herrschaft begründen und sich so eine valable Alternative zu Athen erschließen.73 Der Versuch des Alkibiades, sich nach seiner Verbannung aus Athen knapp 150 Jahre später in Thrakien ebenfalls eine eigene Machtbasis zu errichten, ist dagegen nur ein kümmerlicher Abglanz

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[Aristot.] Ath. pol. 26,4. Vgl. Chambers (1990) 263–265 und Rhodes (1993) 331–335. Gegen die These, das Gesetz habe sich gegen ‚Adlige‘ wie Kimon gerichtet, die aus polisübergreifenden Heiraten hervorgegangen waren, spricht, dass es keinerlei Indizien für eine rückwirkende Geltung gibt. Die prägnant von Busolt (1893–1904) Bd. 3.1 (1897) 337–339 formulierte These, das Gesetz habe sich vor allem gegen Metöken gerichtet, wird von Chambers (1990) 264 und Rhodes (1993) 334 weitgehend übernommen. Hdt. 6,34–41. S. o. S. 319.

8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems?

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dessen, was er als Kommandeur der Athener an Machtmitteln zur Verfügung hatte.74 Das hat eine stabilisierende Wirkung: Die ‚Spielregeln‘ der Polis gewannen an Verbindlichkeit75 und eine radikale Devianz wie bei Hippokleides war nur noch unter hohen Folgekosten möglich. Das führt zum dritten Punkt, der einen Kontinuitätsbruch oder zumindest eine Neuerung markiert: Die Rolle der Volksversammlung als primäre Bühne oberschichtsinterner Konkurrenz führte zu einer massiven Bedeutungssteigerung des demos als ‚dritter Instanz‘, um deren Gunst sich die Konkurrenten bemühen mussten, wenn sie im Rahmen der Polis agieren wollten. Die schiere Größe der Polis Athen, die definitiv keine face-to-face-Gesellschaft mehr darstellte, in der jeder jeden kennt, machte den demos jedoch zu einer unberechenbaren Größe. Diese Unberechenbarkeit wurde noch gesteigert, wenn man die fluktuierende Zusammensetzung der Volksversammlung in Rechnung stellt, wie ich das beim Ostrakismos ausgeführt habe. Man kann das fünfte Jahrhundert daher auch als eine Zeit des Experimentierens betrachten, wo verschiedene Akteure versuchten, sich gegenüber dieser unberechenbaren, anonymen Masse möglichst erfolgreich zu inszenieren. Christian Mann sprach in diesem Zusammenhang von ‚imago‘ – ein Begriff, den Gunnar Seelentag für die römischen Kaiser eingeführt hat, um das aus Selbst- und Fremddarstellungen entworfene Bild dieser Herrscher zu beschreiben.76 Dass diese ‚imago‘ durchaus heterogen sein kann, hat Seelentag in Bezug auf Kaiser Traian treffend herausgearbeitet. Doch während es für die römischen Kaiser nicht ganz einfach war, den Erwartungshaltungen, die an sie herangetragen wurden, gerecht zu werden, da auf verschiedene, teils widersprüchliche Erwartungen Rücksicht genommen werden musste, so stellte sich das Problem für athenische Politiker beim Versuch, sich eine positive ‚imago‘ zu geben, in ganz anderer Form: Da die keineswegs homogene Volksversammlung ein neues Feld der Konkurrenz darstellte, war nicht eindeutig klar, welche Erwartungshaltung die ‚dritte Instanz‘ hatte und welche Formen des Auftretens erfolgversprechend waren und welche nicht. Dass man auch Erfolg haben konnte, wenn man sich nicht als bescheidener Diener des demos gab, nicht auf die Teilnahme an Gastmählern verzichtete, sondern im Gegenteil seinen extravaganten Lebensstil bewusst inszenierte und edle Abstammung sowie sportliche Erfolge zum Bestandteil der eigenen ‚imago‘ machte, zeigt die Figur des Alkibiades.77 Bei Christian Mann markiert Alkibiades einen Bruch mit der bisherigen 74

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Bei Xen. hell. 1,5,17 verschwindet Alkibiades denn auch buchstäblich aus der Geschichte, taucht lediglich kurz als Mahner vor Aigospotamoi auf (hell. 2,1,25 f.) und wird als Verbannter unter den 30 Tyrannen kurz erwähnt (hell. 2,3,24); ein ausführlicheres Narrativ über Alkibiades’ letzte Jahre und sein Ende in Thrakien bietet Plut. Alk. 36–39. Diesen Aspekt hebt nachdrücklich Stein-Hölkeskamp (1989) 205–230; 236 f. hervor; vgl. auch Stein-Hölkeskamp (2014). Mann (2007) 31 f. Zum Konzept der ‚imago‘ in Bezug auf das Principat s. Seelentag (2004) spez. 12–40. Dazu ausführlich Mann (2007) 205–229.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

politischen Praxis: Indem er sein Sozialprestige zum Gegenstand seiner politischen ‚imago‘ gemacht habe, habe Alkibiades die bisher geltende Trennung von Politik und Gesellschaft aufgehoben.78 Allerdings zeigt der Umstand, dass er damit Erfolg hatte, dass diese Trennung so strikt eben nicht war, sondern primär durch die Praxis der Akteure konstruiert wurde und nicht zwingend den Erwartungshaltung des demos entsprach, der offenbar durchaus bereit war, einem Alkibiades zu folgen. Alkibiades ist denn auch nicht gänzlich alleine mit seiner Art der Selbststilisierung. Kimons Eintritt in die Politik erfolgte ebenfalls nicht mit einem demonstrativen Freundschaftsverzicht, sondern mit einem nicht minder theatralischen Akt unter Einbezug seiner Freunde: Plutarch schildert, wie Kimon vor der Evakuierung Athens und der anschließenden Seeschlacht bei Salamis mit seinen hetairoi durch den Kerameikos auf die Akropolis zog und dort sein Pferdezaumzeug der Athena weihte, um zu demonstrieren, dass die Polis jetzt nicht die Stärke von Reitern, sondern Männer für den Seekampf brauche.79 Auch in der Folgezeit hielt er mit der Inszenierung seiner Ressourcen nicht zurück: Seine Großzügigkeit war legendär. Plutarch überliefert einen Ausspruch des Sophisten Gorgias, der meinte, „Kimon habe Geld erworben, damit er es nutzen kann, und er nutzte es, damit man ihn ehrt.“80 Die Art, wie Kimon sein Geld nutzte, war durchaus spektakulär: Er habe die Zäune um seine Grundstücke entfernen lassen, damit alle Zugang zu den Feldfrüchten hätten, bei ihm zuhause hätte jeder zum Essen kommen können, der wollte – oder zumindest jeder aus seiner Deme – und vor allem habe Kimon sich von jungen Männern begleiten lassen, die ihre feinen Kleider mit denjenigen armer älterer Bürger getauscht hätten und zudem Geld mitführten, das sie großzügig verteilten.81 Dass die Großzügigkeit Kimons Teil seiner ‚imago‘ war und ihm nicht zum Nachteil gereichte, belegt Plutarch mit einem Zitat des Komödiendichters Kratinos. Dort erklärt ein unbekannter Sprecher, wie er gehofft habe, mit Kimon, dem göttlichen Mann, dem gastfreundlichsten und besten von allen Hellenen bis an sein Lebensende zu feiern – eine Hoffnung, die durch Kimons Tod zunichtegemacht worden sei.82 Dass man durch ostentativen Lebenswandel zum Stadtgespräch werden konnte, zeigt auch der jüngere Kallias, dessen üppige Gastmähler in den Kolakes, einer 421 auf78

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Mann leitet daraus weitreichende Konsequenzen ab: Der durch Alkibiades bewerkstelligte „Einbruch von Sozialstatus in das politische System“ wird als Bedingung der Möglichkeiten für die antidemokratischen Aktivitäten bis hin zum Umsturz von 412/11 gesehen, vgl. prägnant Mann (2007) 287–289. Plut. Kim. 5,2. Dazu Schmitt Pantel (2009) 40 f. Auch Connor (1971) 18–22 hebt die Kontinuitäten in der Großzügigkeit eines Kimon über Nikias hin zu Alkibiades hervor. Gorgias 82 B 20 DK (= Plut. Kim. 10,5) (eigene Übers.): Γοργίας μὲν ὁ Λεοντῖνός φησι τὸν Κίμωνα τὰ χρήματα κτᾶσθαι μὲν ὡς χρῷτο, χρᾶσθαι δ’ ὡς τιμῷτο. Zur sehr hypothetischen Datierung des Stücks in die Jahre um 430 s. PCG ad loc. Plut. Kim. 10,1–4. Vgl. [Aristot.] Ath. pol. 27,3. Kratinos F 1 PCG (= Plut. Kim. 10,4): κἀγὼ γὰρ ηὔχουν Μητρόβιος ὁ γραμματεὺς / σὺν ἀνδρὶ θείῳ καὶ φιλοξενωτάτῳ / καὶ πάντ’ ἀρίστῳ τῶν Πανελλήνων πρόμῳ / Κίμωνι λιπαρὸν γῆρας εὐωχούμενος / αἰῶνα πάντα συνδιατρίψειν. ὁ δὲ λιπὼν / βέβηκε πρότερος.

8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems?

357

geführten Komödie des Eupolis, Thema waren.83 Die erhaltenen Fragmente sprechen von den teuren Köstlichkeiten und Frauen, die es dort zu haben gab,84 und es ist wohl Kallias selbst, der in einem weiteren Fragment wie folgt charakterisiert wird: Der nach Gefälligkeiten duftet, in Tanzschritten einhergeht, Sesambrötchen scheißt und Äpfel hustet.85

Dass es sich dabei nicht um einen ‚erlernten‘ aristokratischen Habitus handelt, sondern zumindest teilweise um eine neue Form der Selbstinszenierung, legen sowohl Eupolis als auch Andokides nahe, die Kallias’ Vater einen deutlich weniger verschwenderischen, beziehungsweise geizigen Lebenswandel attestieren.86 In gewisser Hinsicht ist Kallias ein schlechtes Beispiel, da er (soweit wir wissen) während des Pelponnesischen Kriegs die große politische Bühne weitgehend mied, also den bewussten Schritt in die Politik nicht vollzog.87 Ob er das politische Hochrisikospiel scheute oder sich bewusst eine kompensatorische Form der Statusmanifestation durch demonstrativen Konsum zulegte, muss offen bleiben. Zentral ist, dass sein Lebenswandel ihn ins Gespräch brachte, also Aufmerksamkeit generierte. Nichts spricht dafür, dass ihm das geschadet hätte – im Gegenteil: In Xenophons Symposion, das dramaturgisch im Jahr 422 angesiedelt ist, versucht Sokrates, Kallias zu politischem Ehrgeiz anzuspornen, und lässt keinen Zweifel dran, dass die Polis sich ihm sofort zuwenden würde, wenn er denn nur wolle.88 Der ostentative Einsatz von persönlichem Reichtum war also nicht per se eine Strategie, die in der Demokratie zum Scheitern verurteilt war. Die weitverbreitete Vorstellung, Luxuskritik sei ‚demokratisch‘ und Luxusgesetze ein Merkmal von Demokratien, hält denn auch einer genauen Betrachtung nicht stand: Wie Rainer Bernhardt über83 84

85 86 87

88

Zu den Testimonien s. PCG V, 380 f. Generell zu Kallias s. Swoboda (1919). Eupolis F 160 PCG (= Athen. 7,328b); F 165 PCG (= Poll. 9,59); F 174 PCG (= Athen. 7,286b). Bei den goldenen und silbernen Objekten, die in F 162 PCG (= Poll. 9,90) aus dem Haus entwendet werden, wird es sich wohl um Symposiongeschirr handeln, was den ostentativ-luxuriösen Charakter der karikierten Gastmähler nochmals unterstreicht. Eupolis F 176 PCG (= Athen. 14,646f) (eigene Übers.): ὃς χαρίτων μὲν ὄζει, / καλλαβίδας δε βαίνει, / σησαμίδας δὲ χέζει, / μῆλα δὲ χρέμπτεται. Einen späteren Reflex von Kallias’ Ruf als Verschwender und Genussmensch bietet Athen. 12,536f–537c. Eupolis F 156 PCG (= Athen. 7,328e); And. 1,130 f. Connor (1971) 175–194 stellte die These auf, dass die etablierte Oberschicht sich als Reaktion auf den neuen Stil der „new politicians“ zunehmend aus der Politik zurückgezogen habe – die Quellenlage lässt eine solch weitreichende Interpretation allerdings nur bedingt zu. Auch bei Kallias ist keineswegs sicher, wie weit er politisch nicht in Erscheinung trat, was auch davon abhängt, wie man Politik definiert: Als Priester hatte er durchaus eine ‚politische Funktion‘, ferner ist er in Delphi inschriftlich als Festgesandter belegt [vgl. Davies (1971) 262] und Aristoph. Ran. 428–430 könnte auf eine militärische Rolle (wohl als Trierarch bei den Arginusen) anspielen. Xen. symp. 8,40.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

zeugend argumentiert hat, bot die Demokratie für (maßvollen) Luxus und öffentliche Prachtentfaltung ein vergleichsweise tolerantes Klima.89 Thukydides lässt Perikles in der Leichenrede explizit den Genuss der Güter des Seereichs als Merkmal der Demokratie preisen90 und kontrastiert die harte Askese der Spartaner mit der ungezwungenen Lebensweise der Athener, die ihren Gegnern dennoch in Tapferkeit nicht nachstunden.91 Radikale Luxuskritik ist denn auch gerade keine Forderung des demos, sondern potentieller Demokratiegegner, die das Ideal lakedaimonischer Kargheit hochhalten.92 Die Kritik an Alkibiades kam laut Plutarch nicht vom gemeinen Volk, sondern von den Angesehenen (ἔνδοξοι), also potentiellen Peers, die nicht mithalten konnten.93 Bezeichnenderweise änderte Alkibiades seinen extravaganten, ‚aristokratischen‘ Lebensstil im oligarchischen Sparta denn auch umgehend, ließ sich die Haare wachsen, badete nur noch kalt und aß grobes Brot und ‚Blutsuppe‘ – man habe nicht glauben können, so Plutarch, „dass dieser Mann je einen Koch in seinem Haus gehabt, einen Parfümeur auch nur angeschaut habe oder es ausgehalten habe, dass ihn ein milesischer Mantel berührte.“94 In Athen dagegen war ein anderes Verhalten opportuner: Plutarch berichtet, wie der junge Alkibiades einen angeblich siebzig Minen teuren Hund verstümmelte, nur damit die Athener darüber redeten – angeblich, um zu verhindern, dass sie über Schlimmeres sprächen.95 Wichtig ist jedoch die Handlung als solche: Demonstrativer Konsum generiert Aufmerksamkeit bei den Massen, was im demokratischen Athen – anders als in Sparta – ein politisches Kapital darstellte. Der gezielte Einsatz von Reichtum zur Steigerung der eigenen Popularität wurde im Rahmen der Demokratie also nicht gehemmt, sondern – anders als in einer auf aristokratische Gleichheit bedachten Oligarchie – durch die Notwendigkeit, um die Gunst und Aufmerksamkeit einer dritten Instanz zu werben, eher gefördert.96 Doch es war eben nicht die einzig mögliche Strategie. Perikles’ ‚imago‘ baute nicht auf seinem privaten Reichtum und entsprechender Freigiebigkeit auf, sondern beruhte darauf, dass er dem demos die Profite des Seereichs zuführte. Die Argumentation der Athenaion

89 90 91 92 93 94

95 96

Bernhardt (2003) 136–157. Thuk. 2,38. Thuk. 2,39,1. Bernhardt (2003) 149–156. Plut. Alk. 16,2. Vgl. Bernhardt (2003) 143 f. Plut. Alk. 23,3 (eigene Übers.): εὐδοκιμῶν δὲ δημοσίᾳ καὶ θαυμαζόμενος, οὐχ ἧττον ἰδίᾳ τοὺς πολλοὺς τότ’ ἐδημαγώγει καὶ κατεγοήτευε τῇ διαίτῃ λακωνίζων, ὥσθ’ ὁρῶντας ἐν χρῷ κουριῶντα καὶ ψυχρολουτοῦντα καὶ μάζῃ συνόντα καὶ ζωμῷ μέλανι χρώμενον, ἀπιστεῖν καὶ διαπορεῖν εἴ ποτε μάγειρον ἐπὶ τῆς οἰκίας οὗτος ὁ ἀνὴρ ἔσχεν ἢ προσέβλεψε μυρεψὸν ἢ Μιλησίας ἠνέσχετο θιγεῖν χλανίδος. Plut. Alk. 9. Die Interpretation von Mann (2008) 26–28, dass Reichtum aus dem ausdifferenzierten politischen System verbannt gewesen sei oder zumindest keinen unmittelbaren Nutzen brachte, scheint mir zu einseitig, auch wenn sicherlich zuzustimmen ist, dass der Verweis auf persönlichen Reichtum nicht die einzige erfolgsversprechende Strategie war; vgl. die differenzierteren, aber immer noch stark zugespitzten Ausführungen bei Mann (2007) 142–164.

8.2 ‚Ausdifferenzierung‘ des politischen Systems?

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politeia, dass Perikles Diäten nur deshalb eingeführt habe, weil er mit der Freigiebigkeit Kimons nicht mithalten konnte,97 ist wohl verkürzt: Auch Perikles war nicht arm. Aber dass die Stilisierung zum Diener des Volkes, der sich darum kümmert, alle an den Gewinnen des Seereichs teilhaben zu lassen, eine sehr wirksame Form der Selbstinszenierung sein konnte, die gerade in der Abgrenzung zu anderen Strategien an Profil gewann, ist durchaus plausibel. Dass Selbstinszenierungen antithetisch aufeinander Bezug nehmen konnten, berichtet Plutarch auch für Nikias: Da diesem die rhetorischen Fähigkeiten eines Perikles abgingen, er aber über großen Reichtum verfügte, habe er diesen in noch nie dagewesener Weise in besonders prachtvolle Choregien und Weihgeschenke investiert und so seinen Einfluss gegenüber Kleon behaupten können, der mit seinem vulgär-volkstümlichen Auftreten wiederum eine gänzlich andere Strategie verfolgte.98 Dass sich bereits früh unterschiedliche Formen der Selbststilisierungen in Hinblick auf paideia und Habitus fassen lassen – mit Kleons demonstrativer Abgrenzung von vornehmem Auftreten und distinguierter Bildung als ein besonders ausgeprägtes Extrem, das sich von ‚aristokratisch‘ auftretenden Politikern wie Perikles oder Nikias absetzt –, hat Christian Mann treffend herausgearbeitet.99 Es gibt also unterschiedliche Selbststilisierungen, die sich wechselseitig bedingen. Bei aller Unsicherheit der Quellenlage lässt sich denn auch eine zunehmende Steigerung propagieren. Der Luxuskonsum scheint bei Kallias eine neue Dimension erreicht zu haben, genauso wie Alkibiades’ Auftritt in Olympia mit gleich sieben Gespannen als präzedenzlos angesehen werden muss.100 Doch auch der inszenierte ‚Freundschaftsverzicht‘ wird ostentativer: Der Schritt von Perikles, der angeblich einfach nur keine Gastmähler mehr besuchte, zu Kleon, der seine Freunde öffentlichkeitswirksam versammelte, um ihnen die Freundschaft aufzukündigen (und damit gleichzeitig allen vor Augen führte, wie viele lukrative Verbindungen er theoretisch gehabt hätte), markiert eine deutliche Steigerung, auch wenn die Stoßrichtung der Inszenierung jeweils einer ähnlichen Logik folgt. Die besonders extravagante Selbststilisierung des Alkibiades ist also, da ist Mann Recht zu geben, in dieser Form extrem, aber sie ist kein gänzlich unerwarteter Einfall des Sozialen in das Politische und keine Wiederbelebung eines althergebrachten, durch die Demokratie verdrängten ‚aristokratischen‘ Habitus, sondern eine direkte Folge der sich wechselseitig hochschaukelnden Selbststilisierungen athenischer Politiker unter den Bedingungen der Demokratie. Die Konkurrenz um die Gunst des demos führte also zu einem Buhlen um Aufmerksamkeit und zu entsprechend markanten Selbststilisierungen der führenden Politiker. Doch diese Stilisierungen blieben nicht auf das Politische beschränkt blieben, sondern 97 98 99 100

[Aristot.] Ath. pol. 27,4. Plut. Nik. 3. Mann (2007) 165–183. Thuk. 6,16,2; vgl. ausführlich zur hippotrophia des Alkibiades Mann (2007) 219–221.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

umfassten die gesamte Lebensführung, die damit konsequent auf das Politische ausrichtetet wurde. Die These, wonach das Soziale aus dem Politischen verbannt wurde, kann man daher geradezu umkehren: Unter den Bedingungen der Demokratie wurde besonders intensiv über die moralischen Anforderungen an das Führungspersonal und den richtigen Umgang mit ökonomischem, sozialem und symbolischem Kapital gestritten. Das Soziale war, so gesehen, im Politischen in besonders ausgeprägter Weise präsent. Dies nicht zuletzt, weil die auf die Volksversammlung fixierte Polis gegenüber den konkurrierenden Feldern der Konkurrenz nun noch eindeutiger als in der Archaik eine Führungsrolle einnahm. Das Politische war daher weniger ein ausdifferenziertes System, das von der Gesellschaft isoliert war, als vielmehr das Leitsystem, auf das sich die übrigen Teilsysteme der Gesellschaft ausrichteten. Doch die konkurrierenden Formen der Selbstdarstellung zeigen, dass diese Ausrichtung noch nicht klar geregelt war und Raum für Interpretationen und Experimente zuließ. Es ist in dieser Konstellation, dass sich Selbstbeschreibungen und Denkfiguren ausbildeten, die das moderne Bild eines vermeintlich stabilen archaischen Adels ganz wesentlich prägen sollten, tatsächlich aber erst im Rahmen der Demokratie denkbar wurden. 8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie Christian Meier hat in Hinblick auf das fünfte Jahrhundert von einer Politisierung der Begriffswelt gesprochen und dies mit der europäischen ‚Sattelzeit‘ im 18. Jahrhundert verglichen.101 Diese gewandelte Begrifflichkeit beschränkte sich allerdings nicht nur auf die Politik. Es ist auffallend, dass sich just in jener Zeit auch diverse Begriffe etablierten, die in der Forschung gemeinhin mit einem archaischen ‚Adel‘ assoziiert werden, tatsächlich aber Neuschöpfungen des fünften Jahrhunderts sind.102 So taucht in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts der später so prägende Begriff kalos kagathos bei Herodot und in den Komödien der 420er Jahre erstmals auf.103 Bereits Walter Donlan hatte argumentiert, dass es sich bei den ‚Schönen und Guten‘ um eine begriffliche Neuschöpfung handelt, mit der ein in die Krise geratener ‚Adel‘ auf die neu entstandene Demokratie reagiert habe.104 Doch während Donlan diese Neuschöpfung zu Beginn

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Meier (1980) 275–325. Vgl. dazu allg. Donlan (1978). Hdt. 1,30,4 und dann eindeutig als Begriff für eine Oberschicht bei Hdt. 2,143,4. In der Komödie begegnet der Begriff bei Aristoph. Eq. 185; 227; 735; 738; Nub. 101; 797; Vesp. 1256; Lys. 1060; Ran. 728; 1236; Aristophanes F 205 PCG sowie bei Eupolis F 109 PCG und Kantharos F 5 PCG. Ein weiteres Zeugnis aus den 410er Jahren könnte Antiph. or. 1,14 darstellen (wenn es sich denn beim Autor tatsächlich um den Oligarchen von 411 handelt). Bei Thukydides begegnet der Terminus bei Thuk. 4,40,2 und 8,48,6. 104 Donlan (1973b). Dass dies Teil einer größeren ‚Propaganda‘-Offensive der „upper class“ gewesen sei, die dann vor allem im letzten Drittel des 5. Jhs. zu einer massiven Ausweitung des soziopo-

8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie

361

des fünften Jahrhunderts verortete, argumentierte Félix Bourriot in seiner umfassenden Monographie zu dem Thema für eine Entstehung des Begriffs erst in der zweiten Jahrhunderthälfte.105 Zentral sind für Bourriot – nebst dem auffallenden Fehlen des Begriffs in früheren Texten – Passagen bei Aristophanes, Thukydides und Platon, die relativ klar auf einen Neologismus hinweisen.106 Dass Euripides in den Herakliden um 430 von esthlos kagathos spricht oder in einem Fragment des Sophokles von eugenes kagathos die Rede ist, deutet ebenfalls darauf hin, dass die kanonische Zusammenziehung von ‚schön‘ und ‚gut‘ zu einem stehenden Begriff sich erst im Verlauf der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts ausbildete.107 Die ‚Schönen und Guten‘ sind denn auch nicht alleine. Weitere elitäre Kollektivbezeichnungen wie chrestoi oder beltistoi sind ebenfalls begriffliche Neuschöpfungen, die bei Pindar noch fehlen, dann aber in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts zu dominierenden Termini werden.108 Gleichzeitig treten neue, sozial abwertende Begriffe auf: Erstmals begegnet ab der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts der Begriff banausos als klar pejorative Bezeichnung für manuell Arbeitende,109 und ungefähr zeitgleich erklärt Herodot, dass die Griechen die Verachtung für manuelle Arbeit von fremden Völkern übernommen hätten, wobei die Verachtung für „Handwerker“ (χειροτέχναι) bei den Korinthern noch am geringsten ausgeprägt sei.110 Dies ist der frühste eindeutige Beleg in der antiken

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litischen Vokabulars führte, argumentiert Donlan (1978). Sehr umfassend zur Ausbildung einer aristokratischen ‚Ideologie‘ im fünften Jahrhundert argumentiert Fouchard (1997), dessen m. E. zu schematische Gegenüberstellung ‚aristokratischer‘ und ‚demokratischer‘ Ideologie und das weitgehende Ausklammern der sozialen Praxis seinen Ansatz jedoch von dem hier vorgetragenen grundsätzlich unterscheidet. Bourriot (1995). Bourriot (1995) Bd. 1, spez. 114–117. Besonders einschlägig sind Aristophanes F 205 PCG, wo der Terminus zusammen mit anderen Neubildungen verspottet wird, und Thuk. 8,48,6, der eine kritische Distanz zum Schlagwort der „sogenannten“ kaloikagathoi wahrt. Eur. Heracl. 298; Soph. F 298 (ed. Radt, Göttingen 1977) (= Stob. 3,8,5). Eine weitere Variante (σοφὸς κἀγαθός) bieten Aischyl. Sept. 295 und Euripides F 282,23 (ed. Nauck, Leipzig 1889) (= Athen. 10,413c–f). Die Bezeichnung χρηστός begegnet in einer sozial deutbaren Verwendung m. W. erstmals bei Bakchyl. epin. 10,49–51 (die Macht des Reichtums macht auch den ‚Unbrauchbaren‘ ‚brauchbar‘) und dann um die Jahrhundertmitte bei Sophokles (Ai. 1369). Danach wird der Terminus in der Komödie und in der pseudoxenophontischen Athenaion politeia zu einem eigentlichen Schlüsselbegriff; s. die Sammlung der einschlägigen Belegstellen bei Welskopf (1985) 1968 ff.; auch βέλτιστος begegnet erst in der zweiten Jahrhunderthälfte, dann aber relativ breit verteilt auf Tragödie, Komödie und Prosaschriften, s. Welskopf (1985) 407 ff. Erstmals begegnet der Wortstamm bei Soph. Ai. 1121, wo Teukros den Stolz auf seine Kunstfertigkeit mit dem Bogen damit rechtfertigt, dass es sich eben nicht um eine βαναύση τέχνη handle. Zur Verachtung manueller Arbeit als neues (wenn auch keineswegs universelles) Phänomen des 5. Jhs. s. Morawetz (2000) spez. 41–47 und in Anschluss daran auch Meier (2003) 48–65, die beide betonen, dass der neue Begriff des „Banausen“ sicherlich nicht zufällig ungefähr zeitgleich mit dem neuen Begriff des kalos kagathos entsteht. Von einer generellen Abwertung der Arbeit kann zwar nur begrenzt die Rede sein, aber es entstehen hier erstmals die Konzepte, die dann in den Polemiken des 4. Jhs. dominieren sollten, dazu allg. Morawetz (2000). Hdt. 2,167 (in diesem Kontext fällt kurz vorher auch der Begriff βαναυσία bei Hdt. 2,165).

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

Literatur für eine derartige Geringschätzung manueller Arbeit.111 Das bei Hesiod und Homer greifbare Arbeitsethos112 begegnet zwar auch bei den Lyrikern des sechsten Jahrhunderts in der Form nicht mehr, doch mit der offenen Verachtung manueller Arbeit erhält der müßige Lebenswandel der reichen Oberschicht ein zusätzliches Moment sozialer Distinktion. Dazu passt auch, dass anders als in der Archaik, wo oft von ‚Schlechten‘ (κακοί) die Rede ist, im fünften Jahrhundert die Bezeichnung poneroi an Bedeutung gewinnt – eine sozial konnotierte Verkommenheit, bei welcher der Verweis auf mühselige Arbeit (πόνος) zumindest unterschwellig mitschwingt. Der Terminus wird in den zeitgenössischen Komödien oft auf Politiker und Demagogen bezogen, denen die Zugehörigkeit zu den chrestoi und den kaloi kagathoi abgesprochen wird.113 Ebenfalls in dieser Zeit taucht in den Wespen des Aristophanes erstmals der Begriff neoploutos – ‚neureich‘ – auf: Der alte Philokleon, der sich beim Symposion nicht angemessen aufzuführen versteht, wird so betitelt.114 Ein Fragment des Komödiendichters Kratinos bringt die Variante neoploutoponeros in Verbindung mit einem Androkles, der wohl mit dem aus anderen Quellen bekannten Demagogen zu identifizieren ist.115 Der neue Begriff neoploutos impliziert, dass – anders als noch bei Hesiod – auf Reich-

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Ikonographisch abwertende Sklavendarstellungen auf Vasen, die hässliche Sklavenkörper, Zwerge und Krüppel als Gegenbild zum kaloskagathos inszenieren, begegnen schon früher, werden aber ebenfalls erst in der rotfigurigen Vasenmalerei ab dem ausgehenden 6. Jh. zu einem Thema; vgl. Stähli (2009) 30 f. und ausführlich zu Sklavenbildern Himmelmann (1971). Der Bezug zu manueller Arbeit ist dabei freilich vermengt mit dem niederen Status des Sklaven und daher nur bedingt mit dem Zeugnis Herodots vergleichbar. Handwerkerdarstellungen (v. a. auch Selbstdarstellungen in Form von Votivgaben) begegnen schon sehr früh und zeigen typische Merkmale, die von idealisierten Körperdarstellungen und -haltungen abweichen (Sitzhaltung mit gespreizten Beinen, herausgestrecktes Gesäß, entblößter Phallus), bezeichnenderweise werden diese Bilder aber ab der Parthenonzeit zurückgedrängt und freie Handwerker gleichen sich in der Selbstdarstellung hinsichtlich Haltung und Körperbild dem Bürgerideal an; vgl. Himmelmann (1994) 23–48; Himmelmann (ebd. 48) deutet dies mit Wandlungen in der religiösen Befindlichkeit, die „banausische Kennzeichnungen in der Selbstdarstellung unwesentlich werden ließen“ – das ist nicht auszuschließen, doch nahliegender scheint, dass Handwerk nicht mehr im gleichen Maß Prestige vermitteln konnte wie in der Zeit zuvor und man sich nach Möglichkeit an dem nun verbindlicher werdenden Leitbild des ‚schönen und guten‘ Bürgers orientierte. Zu Bildern von Handwerkern und Bauern, die im Kontext des Symposions als bewusster Kontrast zum demonstrativen Konsum der müßigen Zecher gesehen werden können, s. Filser (2017) 105–126. Vgl. o. Kap. 2.2.1. Die Bezeichnung πονηρός ist keine gänzliche Neuschöpfung, s. Welskopf (1985) 1677–1696. Die meisten archaischen Belege zielen jedoch generell auf die als elend empfundene conditio humana; eindeutig sozial konnotiert begegnet der Begriff vor dem 5. Jh. nur bei Anakreon F 388 PMG (= Athen. 12.533f–534a), um dann in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. zu einem eigentlichen Schlüsselbegriff zu werden. Zum Gegensatzpaar χρηστοί – πονηροί s. Rosenbloom (2004), der daraus einen eigentlichen Klassenkampf im späteren 5 Jh. zu rekonstruieren sucht (dabei aber m. E. den polemischen und in vielerlei Hinsicht willkürlichen Charakter dieser Selbst- und Fremdbezeichnungen unterschätzt). Aristoph. Vesp. 1309. Kratinos F 223 PCG. Zum Demagogen Androkles (PAA 128255) s. Konrad Kinzel, Androkles [3], in: DNP 1, 1996, 690.

8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie

363

tum eben nicht automatisch Tugend und Ehre folgt,116 sondern dass ‚Neureiche‘ mit einem Stigma behaftet sind oder, wie Aristoteles später schreiben sollte: Die Gewohnheit trennt diejenigen, die neu zu Besitz gekommen sind, von denen, die schon lang besitzen, denn die Neureichen besitzen sämtliche Übel in höherem Maß und leichter (weil neureich zu sein bedeutet, im Umgang mit Reichtum ungebildet zu sein).117

Der Spott der attischen Komödie über Demagogen, die als Gerbereibesitzer wie Kleon oder Lampenhersteller wie Hyperbolos zu Vermögen gekommen seien,118 legt nahe, dass die Verachtung für Neureiche im demokratischen Athen keineswegs nur auf eine kleine Schicht frustrierter Oligarchen beschränkt war, sondern dass man damit zustimmendes Lachen beim Theaterpublikum hervorrufen konnte. Dieser Befund ist im Einzelnen nicht neu. Die gängige Erklärung ist, darin eine Reaktion eines alten Adels auf den Aufstieg von Politikern neuen Typs zu sehen – eben jenen reich gewordenen Gewerbetreibenden wie Kleon oder Hyperbolos, die unter den neuen Bedingungen der Demokratie zu Ruhm und Ansehen gelangt seien. W. Robert Connor hat diese Figuren in einer einflussreichen Studie als „new politicians“ bezeichnet: Neureiche Aufsteiger, die einen neuen Politikstil praktizierten, sich anbiedernd mit einer dezidiert anti-elitären Haltung an den demos wandten – Kleon stellte dabei für Connor die Schlüsselfigur dar, mit der dieser neue Stil zum Durchbruch gelangt sei.119 Es wäre also eine erhöhte soziale Mobilität, gepaart mit einem neuen Politikstil, die zusammen zu einer verschärften Debatte über soziale Distinktion geführt hätten. Christian Mann hat sich allerdings mit einigen guten Argumenten gegen diese These gerichtet und die ‚new politicians‘ in eine weitgehende Kontinuität zur Politik der Pentekontaetie gestellt.120 Die bereits erörterte Praxis des demonstrativen Freundschaftsverzichts, aber auch die wohl nicht sonderlich illustre Abkunft früherer Politiker wie Themistokles, Aristides oder Ephialtes deuten in der Tat darauf hin, dass es zahlreiche Kontinuitäten gibt. Provokant stellt Mann daher fest, dass das Phänomen der „new politicians“ primär ein Phänomen der „new sources“ sei.121 Der eigentliche Clou von Manns revisionistischer Deutung ist es, das Conner’sche Narrativ umzukehren: Nicht die ‚new politicians‘ seien das eigentlich Neue, sondern Alkibiades und das 116 117

Hes. erg. 312 f. Aristot. Rh. 2,1391a 14–17 (eigene Übers.): διαφέρει δὲ τοῖς νεωστὶ κεκτημένοις καὶ τοῖς πάλαι τὰ ἤθη τῷ ἅπαντα μᾶλλον καὶ φαυλότερα τὰ κακὰ ἔχειν τοὺς νεοπλούτους (ὥσπερ γὰρ ἀπαιδευσία πλούτου ἐστὶ τὸ νεόπλουτον εἶναι). 118 Vgl. dazu ausführlich Connor (1971) 168–175. 119 Connor (1971) spez. 87–175. 120 Direkt zu Connor s. Mann (2007) 74–96; eine ausführliche Darlegung der weitgehenden Kontinuitäten von Sozialstatus und politischer Kultur von der Pentekontaetie bis zum Auftreten des Alkibiades bietet dann Mann (2007) 97–190. Die Kritik ist nicht gänzlich neu, bereits John K. Davies hat in seiner Rezension zu Connor in eine ähnliche Richtung argumentiert (Gnomon 47, 1975, 374–378). 121 Mann (2007) 24.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

von ihm verkörperte ‚alte‘ Modell, Politik mit einer dezidiert ‚aristokratisch‘ anmutenden ‚imago‘ zu betreiben. Mann ist sicher zuzustimmen, dass die ‚new politicians‘ keine gänzlich neue Schicht sind, die einen festgefügten alten ‚Adel‘ ablösten – weder ist soziale Mobilität etwas grundsätzlich Neues, noch markiert der Stil der ‚new politicians‘ einen völligen Bruch mit der bisherigen Praxis. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass sich die wahrgenommene Mobilität und damit verbunden das Bedürfnis nach Statusmanifestation ab den 430er Jahren intensivierten. Dafür sprechen nicht nur die Zunahme sozial distinguierenden Vokabulars und die zugespitzteren Formen der Selbststilisierung einzelner Politiker, sondern auch das Wiedereinsetzen eines aufwendigen Grabluxus ab ungefähr 430.122 Die Klagen des ‚alten Oligarchen‘ über die Luxusspeisen, welche die Athener dank des Seereichs nun hätten, und darüber, dass sich ihre Kleidung und Lebensweise mit jener der Barbaren vermische, deuten ebenfalls auf einen gesteigerten Luxuskonsum und die Wertschätzung exotischer Prestigegüter hin.123 Das alles warnt davor, die beobachteten Veränderungen einzig mit neuen Quellen – namentlich der Komödie – zu erklären. Denn demonstrativer Konsum ist eben gerade kein Zeichen einer gefestigten Adelsherrschaft, sondern im Gegenteil ein Indiz für erhöhte Mobilität und kompetitive Statusmanifestation.124 Die kaum zu quantifizierenden demographischen Verschiebungen, die sich durch Pest und Krieg ergaben, werden sicherlich ebenfalls nicht zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Strukturen beigetragen haben. Die unter den Bedingungen der Demokratie notwendige Stilisierung des eigenen Lebenswandels als Teil der eigenen ‚imago‘ schärfte dabei das Bewusstsein für Differenzen und führte vor allem auch dazu, dass diese Differenzen öffentlich inszeniert wurden. Die Abwertung einzelner Demagogen als neureiche poneroi und das gleichzeitige Betonen der eigenen sozialen Überlegenheit von Seiten derjenigen, die dies glaubhaft vertreten konnten, sind Teil dieser verschärften Konkurrenzsituation. Doch das sind Distinktionskategorien, die erst in dieser Zeit an Profil gewinnen, nicht Prärogative einer zuvor geschlossenen Schicht, die sich als Geburtsadel definiert hätte. Von diesen unterschiedlichen oberschichtsinternen Stilisierungen klar zu trennen ist das grundsätzliche Unbehagen gegenüber der Demokratie. Die zunehmende Bedeutungssteigerung des demos als ‚dritte Instanz‘ durch die nur schemenhaft greifbaren Reformen des Ephialtes und die Einführung von Diäten spielten dabei sicherlich eine Rolle. Die Vorstellung, dass ein sozial verachteter demos nur Leistungen einfordere 122 123

Die Erklärungen hierfür können freilich sehr unterschiedlich sein, vgl. Engels (1998) 113–119. [Xen.] Ath. pol. 2,7 f. Miller (1997) 188–217 führt weitere Belege für eine Zunahme (persischer) Orientalia im demokratischen Athen an (wobei Frauen eine besondere Rolle zukommt) und argumentiert für die Herausbildung einer „luxury culture“. 124 Vgl. die kulturvergleichende Analyse römischer Luxusdiskurse und -praktiken bei Wallace-Hadrill (2008) 316–355. Zur griechischen Luxuskritik, die ebenfalls nicht auf Sozialneid oder demokratisches Gleichheitsstreben zurückzuführen ist, sondern ein elitär-oligarchischer Diskurs ist, s. Bernhardt (2003).

8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie

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und die Angesehenen und Reichen ausnehme, ist im Pamphlet des ‚Alten Oligarchen‘ deutlich zu greifen.125 Vor dem Hermenfrevel 415 scheint es jedoch keine ernsthaften Versuche gegeben zu haben, die Demokratie als politische Ordnung tatsächlich herauszufordern.126 Auch scheint das Konzept, durch einen Umsturz nicht eine Tyrannis, sondern eine kollektive Herrschaft der Wenigen zu errichten, in dieser Form neu zu sein.127 Genauso neu war die Art der Durchführung, nämlich durch vorbereitende politische Morde und Einschüchterungen durch Hetairie-Verbände, die koordiniert vorgingen.128 Die angehenden ‚Oligarchen‘ traten also nicht als Einzelkämpfer auf, sondern als Gruppe, die dank ihrer Binnenkommunikation einen erheblichen Vorteil gegenüber dem unorganisierten demos hatte. Den geschlossen auftretenden Oligarchen hatte der führerlose demos denn auch tatsächlich nichts entgegenzusetzen, wie Thukydides eindrücklich ausführt: Volk allerdings und durch das Los zusammengesetzter Rat traten trotzdem noch regelmäßig zusammen; beraten wurde aber nichts, was von den Verschwörern nicht gebilligt worden war, nein, sogar die Redner kamen aus deren Reihen, und was gesagt werden sollte, war vorher von ihnen geprüft. Es widersprach auch keiner mehr von den anderen, weil man Angst hatte und sah, dass die Verschwörergruppe zahlreich war […] Der Glaube, die Gruppe der Verschwörer sei viel größer, als sie wirklich war, hatte ihnen jeden Mut genommen, und herausfinden konnten sie es nicht, weil sie dazu wegen der Größe der Stadt und der Unkenntnis untereinander nicht fähig waren.129

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Vgl. z. B. [Xen.] Ath. pol. 1,3 (die gefährlichen Ämter, an denen die Rettung der Stadt hängt, werden den Reichen überlassen, die Ämter mit Diäten dagegen will das Volk für sich); 1,13 (Reiche müssen bezahlen); 2,7–10 (Volk profitiert vom Reichtum des Seereichs). Lyttkens (2013) 52–69 argumentierte mit der ‚Neuen Institutionenökonomie‘, dass eine erhöhte Belastung der Reichen tendenziell dazu führe, dass diesen mehr Einfluss und Ehre eingeräumt werden müsse, und deutet in diesem Sinne den Umsturz von 411/12 als ein Aufbegehren der Reichen, die dann in der ‚gemäßigten‘, nach Lyttkens deutlich ‚elitäreren‘ Demokratie des 4. Jhs. auch entsprechend mehr Einfluss und Ehren erhalten hätten. Dazu Mann (2007) 244 ff. Dass das Gegenbild zur Demokratie und das, was Demokraten als Umsturz fürchten, nicht eine Oligarchie, sondern eine Tyrannis ist, betont Rhodes (2000) 129–131. Die Bedeutung von Hetairien und verschworenen Bünden (συνωμοσίαι) bei der Vorbereitung und Durchführung belegt Thuk. 8,54,4 und 8, 65 f.; zum Ablauf des Umsturzes allg. Thuk. 8,65–70. Mann (2007) 280–282 hebt die Neuheit dieses Vorgehens hervor und spricht von einem „massive[n] Einbruch des Sozialen in die politische Ordnung“ (ebd. 182). Zum Fehlen antidemokratischer Agitationen von Hetairien vor 415 s. ferner Mann (2007) 114–116, der zu Recht davor warnt, die Rolle dieser Verbände im oligarchischen Umsturz auf frühere Zeiten zurückzuprojizieren und daraus Kontinuitäten ‚archaischer‘ Politik abzuleiten. Thuk. 8,66,1–3 (Übers. M. Weißenberger): δῆμος μέντοι ὅμως ἔτι καὶ βουλὴ ἡ ἀπὸ τοῦ κυάμου ξυνελέγετο· ἐβούλευον δὲ οὐδὲν ὅτι μὴ τοῖς ξυνεστῶσι δοκοίη, ἀλλὰ καὶ οἱ λέγοντες ἐκ τούτων ἦσαν καὶ τὰ ῥηθησόμενα πρότερον αὐτοῖς προύσκεπτο. ἀντέλεγέ τε οὐδεὶς ἔτι τῶν ἄλλων, δεδιὼς καὶ ὁρῶν πολὺ τὸ ξυνεστηκός· […] καὶ τὸ ξυνεστηκὸς πολὺ πλέον ἡγούμενοι εἶναι ἢ ὅσον ἐτύγχανεν ὂν ἡσσῶντο ταῖς γνώμαις, καὶ ἐξευρεῖν αὐτὸ ἀδύνατοι ὄντες διὰ τὸ μέγεθος τῆς πόλεως καὶ διὰ τὴν ἀλλήλων ἀγνωσίαν οὐκ εἶχον [αὐτοὶ ἐξευρεῖν].

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

Der idealtypischen Vorstellung eines ‚Adels‘ kommt das sehr nahe: Es ist die Binnenkommunikation innerhalb der Gruppe, die den Machterhalt (beziehungsweise den Machtgewinn) und das ‚Obensein‘ absichert. Wie Thukydides deutlich macht, versammelte sich der demos und der Rat weiterhin, doch die Verschwörer konnten durch gezielte Absprachen im Vorfeld die Sprecherrollen monopolisieren, ohne dabei auf Widerstand von Seiten des ‚Volkes‘ zu stoßen.130 Die Bedingung hierfür war jedoch, wie Thukydides ebenfalls festhält, die Größe der Stadt und die gegenseitige Unbekanntheit der Bürger untereinander, die einerseits dazu führten, dass die tatsächliche Zahl der Verschwörer überschätzt wurde, und die andererseits einen koordinierten Widerstand seitens der unorganisierten Mehrheit faktisch verunmöglichte.131 Es ist also erst die Anonymität der geeinten Großpolis Athen, die es einer vergleichsweise kleinen Gruppe von ‚Adligen‘ erlaubte, durch ihre bessere Organisation und Binnenkommunikation als Gruppe einen entscheidenden Vorteil zu erlangen. Diese Anonymität machte zwar die Volksversammlung für den einzelnen Politiker unberechenbar, da Zusammensetzung und Stimmung nicht durchwegs vorhersehbar waren, doch für eine geeint auftretende Oberschicht war genau das die Grundvoraussetzung, um ihr überlegenes Organisations- und Informationspotential zur Geltung zu bringen. Gleichzeitig waren die Demokratie und die hohe Bedeutung der Volksversammlung überhaupt erst der Anlass, weshalb Anstrengungen für ein koordiniertes Vorgehen unternommen wurden – eine Koordination, die freilich sehr rasch wieder partikularer Konkurrenz wich, als die Macht beim neuen Rat der 400 lag und damit die Notwendigkeit eines koordinierten Vorgehens entfiel, während gleichzeitig mit dem Abfall der Flotte in Samos und den außenpolitischen Rückschlägen neue Spannungen auftraten. Auch wenn das koordinierte Vorgehen der ‚Oligarchen‘ 412/11 durchaus Züge eines idealtypischen ‚Adels‘ aufweist, so ist dies doch nicht zu verwechseln mit Vorstellungen eines ‚Erbadels‘ und hat auch nichts zu tun mit dem Unbehagen gegen neureiche Aufsteiger. Denn die Akteure waren keineswegs primär Vertreter alter Familien, sondern zu großen Teilen auch Personen, die relativ neu in die Oberschicht aufgestiegen waren.132 Die sozial aufgeladenen Selbst- und Fremdstilisierungen sind für eine Zuordnung zu den politischen Lagern also nur bedingt von Relevanz. Die prospographischen Untersuchungen von György Németh zu den Akteuren des zweiten oligarchischen Umsturzes 404/3 deuten, bei aller Unsicherheit des lückenhaften Quellenmaterials, gar darauf hin, dass die meisten der ‚Dreißig Tyrannen‘ zuvor politisch nicht prominent in Erscheinung getreten waren und – abgesehen von Kritias und

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Zum weiteren Kontext des Umsturzes und des Vorgehens s. Thuk. 8,65 f.; zur Rolle der Bürgerschaft beim Umsturz vgl. auch Nippel (1980) 84–98, spez. 92 f. zur Machtlosigkeit des führerlosen demos. Thuk. 8,66,1 f. Thuk. 8,66,3–5. Vgl. Rhodes (2000) 131–133 und Mann (2007) 276–278.

8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie

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Theramenes – auch nicht sonderlich wohlhabend waren.133 Németh spricht daher von einer „Oligarchie der Mittelmäßigen“.134 Dass gerade für Personen, die Mühe hatten, ihren Status zu wahren, rechtlich definierte Standesgrenzen und eine damit verbundene Einschränkung von Statuskonkurrenz attraktiv erscheinen musste, ist nicht unplausibel. Auch in der europäischen Moderne wurde – wenn auch unter ganz anderen Bedingungen – ständische Abgrenzung ganz wesentlich gerade von prekären adligen Existenzen zelebriert und bis zu einem gewissen Grad auch dadurch erst konstruiert.135 Herausragende, kompetitive Einzelfiguren, die gemeinhin als typische Vertreter des griechischen ‚Adels‘ angesehen werden, sind daher kaum als wirklich verbohrte Oligarchen anzutreffen.136 Xenophon bringt dies auf den Punkt, wenn er die Unterstützer des Alkibiades behaupten lässt, Alkibiades sei am oligarchischen Umsturz 412/11 nicht beteiligt gewesen: Auch hätten, so behaupteten sie, Männer seines Schlages keine Neuerungen nötig, so wenig wie einen Umsturz der bestehenden Verfassung; denn ihm habe es die Demokratie ermöglicht, seinen Altersgenossen gegenüber im Vorteil zu sein und hinter der älteren Generation nicht zurückzustehen […].137

Ob diese Rechtfertigung in Bezug auf Alkibiades stimmt, ist eine ganz andere Frage, entscheidend ist jedoch die Annahme, die ihr zugrunde liegt: Leute wie Alkibiades, die auch in einer Demokratie ‚oben‘ sind, haben (jenseits situativer Opportunität) kein besonders ausgeprägtes Interesse an einer Oligarchie. Auch wenn der oligarchische Umsturz keinen direkten kausalen und personellen Zusammenhang mit einem von der Demokratie entmachteten ‚alten Adel‘ hat, so taucht in dieser Zeit doch jenes Wort auf, das in der modernen Forschung in der Regel genau diesen Konnex von Herrschaft und altem Adel bezeichnet: aristokratia. Das Wort ist wie so viele soziale Begriffe eine Neuschöpfung und begegnet erstmals bei Thukydides in der ‚Pathologie des Krieges‘ als eine der Parolen der von Ehrgeiz getriebenen führenden Leute (προστάντες), die wahlweise entweder mit dem Schlagwort isonomia oder eben aristokratia den Bürgerkrieg befeuerten.138 Konkret zeitlich verortet wird der Begriff dann im Rahmen des oligarchischen Umsturzes in Athen 411: Zwar

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Németh (2006) spez. 137 f. zu politischen Ämtern und 157–166 zu den Vermögen. Németh (2006) 166. S. Malinowski (2003) 90–103 zum „Kult der Kargheit“, der für das Konzept von „Adeligkeit“ im deutschen Reich zentral war und gerade von den ökonomisch gebeutelten Kleinadligen als Strategie der Abgrenzung gegenüber reichen Großbürgern zelebriert wurde. Vgl. hierzu mit Hinblick auf den Umsturz 404/3 auch Rhodes (2000) 133–135. Xen. hell. 1,4,16 (Übers. G. Strasburger): οὐκ ἔφασαν δὲ τῶν οἵωνπερ αὐτὸς ὄντων εἶναι καινῶν δεῖσθαι πραγμάτων οὐδὲ μεταστάσεως· ὑπάρχειν γὰρ ἐκ τοῦ δήμου αὐτῷ μὲν τῶν τε ἡλικιωτῶν πλέον ἔχειν τῶν τε πρεσβυτέρων μὴ ἐλαττοῦσθαι […]. Der weitere Text ist verdorben, handelt aber eindeutig von Alkibiades’ Gegnern, denen das offenkundig nicht in gleichem Ausmaß vergönnt war. Thuk. 3,82,8.

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

spricht Thukydides stets von Oligarchie, doch an einer Stelle, nämlich in Hinblick auf die Verhältnisse in Thasos, spricht er davon, dass die Thasier die lakedaimonische eleuteria der athenischen aristokratia vorgezogen hätten – ein klares Indiz dafür, dass aristokratia das ‚propagandistische‘ Schlagwort der Oligarchen war, genauso wie die Freiheit der Bundesgenossen von Athen die Parole der Spartaner darstellte.139 Der Verdacht, dass es sich dabei um eine Neuschöpfung im Kontext des oligarchischen Umsturzes handelt, lässt sich empirisch erhärten. Denn in den vor 411 entstandenen Schriften fehlt der Terminus selbst dort, wo man ihn eigentlich fast zwingend erwarten müsste. In der berühmten Verfassungsdebatte bei Herodot ist von oligarchia (notabene die erste Belegstelle für diesen Terminus) und nicht von Aristokratie die Rede, obschon der Perser Megabyzos diese Verfassungsform positiv als eine Herrschaft der „besten Männer“ anpreist.140 Die zweite vor 411 entstandene Schrift, in der man das ‚propagandistische‘ Schlagwort aristokratia erwarten würde, ist die Athenaion politeia des ‚Alten Oligarchen‘.141 Anders als Thukydides benutzt diese demokratiekritische Schrift fast durchgängig positive (und ebenfalls relativ neue) Selbstbezeichnungen von Oligarchen wie chrestoi oder beltistoi,142 doch eine aristokratia kennt sie nicht, sondern spricht von einer „oligarchisch regierten Polis“ (πολὶς ὀλιγαρχουμένη).143 Das alles deutet m. E. klar darauf hin, dass der Begriff aristokratia erst im Zuge des oligarchischen Umsturzes von 411 geprägt wurde, um die Alternative zur Demokratie auf eine griffige Formel zu bringen. Die Vorstellung, dass die ursprüngliche archaische ‚Adelsherrschaft‘ eine ‚Aristokratie‘ gewesen sei, die klar von späteren ‚Oligarchien‘ zu trennen sei, stellt diese Begriffsgeschichte auf den Kopf.144 Die Parole der Oligarchen, wonach man nicht etwas Neues etablieren, sondern das Alte wiederherstellen wolle, suggeriert natürlich, dass es sich beim oligarchischen Umsturz um ein reaktionäres Projekt gehandelt habe, und beflügelte die moderne Vorstellung, wonach die aristokratia die ursprüngliche Verfassung der archaischen poleis gewesen sei.145 Doch das Argumentieren mit vermeintlicher Tradition diente in diesem 139

Thuk. 8,64,3. Zu Thukydides’ Sprachgebrauch s. Schulz (1981) 104–109, spez. 105 f. zur Parole der aristokratia; zur Freiheitsparole der Spartaner s. Raaflaub (1981) 215–217. 140 Hdt. 3,81. 141 Die Datierung der Schrift ist umstritten; da allerdings der Verfasser keine Alternative zur Demokratie sieht, favorisiert eine Mehrheit der Forschung eine Datierung klar vor dem oligarchischen Umsturz, wohl in der ersten Hälfte des Archidamischen Krieges – s. dazu die Diskussion bei Weber (2010) 20–25. 142 Zur Verwendung dieser Termini beim ‚Alten Oligarchen‘ s. Schulz (1981) 109. 143 [Xen.] Ath. pol. 2,20; zur sozialen Begrifflichkeit in dieser Schrift s. Schulz (1981) 109–111. 144 So etwa die einflussreiche Darstellung bei Burckhardt (2002) 135–139; dazu o. Kap. 4.3. Generell zur Ausbildung einer eigentlichen aristokratischen ‚Ideologie‘ erst im Verlauf des 5. und 4. Jhs. s. Fouchard (1997). 145 Die Bedeutung der patrios politeia als politische Parole ist gut untersucht, verwiesen sei hier nur auf den neueren Überblick von Rhodes (2011) sowie die beiden ‚klassischen‘ Arbeiten von Fuks (1953) und Ruschenbusch (1958). Die skeptische Position von Walters (1976), der argumentierte, dass die Oligarchen keinerlei Bezug zur Vergangenheit hergestellt hätten und erst Androtion und

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Falle nur dazu, das Neue zu rechtfertigen.146 Die vermeintliche Rückkehr zur patrios politeia, der ‚Verfassung der Väter‘, war in Tat und Wahrheit ein Aufbruch zu neuen Ufern. Die Deutungshoheit über die patrios politeia lag allerdings keineswegs einzig bei den Oligarchen: Die Demokraten beanspruchten genauso, für die alte Ordnung einzustehen, was sich besonders deutlich in der Einsetzung der anagrapheis zeigt, die ab 410 die alten Gesetze revidieren und neu aufzeichnen sollten. Dieser Kampf um die Deutung der patrios politeia ließ auch den Gesetzgeber Solon prominent werden, der in der Zeit davor kaum eine Rolle gespielt hatte, den nun aber beide Seiten zu vereinnahmen suchten.147 In einzelnen Fällen konnten dabei Vorstellungen von der guten Ordnung der Väter und eigene Selbststilisierungen zusammengehen. Von Kritias – einem der führenden Akteure im zweiten oligarchischen Umsturz von 404 – wird überliefert, dass er sich einer Verwandtschaft mit Solon gebrüstet habe, und seine Ausführungen zur athenischen Frühzeit in Platons Timaios stellt er als Familienüberlieferung dar, die direkt auf Solon zurückgehe.148 Dass Kleophon ihn in einer nicht näher zu datierenden Rede just mit Solons Versen, die angeblich seinen Großvater thematisierten, attackierte, hat vor diesem Hintergrund eine ganz besondere Spitze.149 In diesen Kontext passt auch die in der Athenaion politeia überlieferte Geschichte, wonach die jetzigen „Altreichen“ (παλαιοπλούτοι) ihren Reichtum Betrügereien im Zuge von Solons seisachtheia zu verdanken hätten; Plutarch nennt die Namen dieser ‚schlechten‘ Freunde Solons, die sich in ferner Vergangenheit das Vermögen ihrer Nachkommen erschwindelt hätten: Konon, Klinias und Hipponikos, die Vorfahren der im ausgehenden fünften Jahrhundert prominenten Figuren Konon, Alkibiades und Kallias, von denen zumindest erstere zeitweise politische Gegner des Kritias waren.150 Der Verdacht, dass es sich hierbei um

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die Historiographie des 4. Jhs. ihnen ein Argumentieren mit der patrios politeia zugeschrieben hätten, ist zu radikal; vgl. die Kritik bei Rhodes (2011) 16 f. Zur auch in anderen vormodernen Stadtgesellschaften verbreiteten Tendenz, Neuerungen „in der Maske des Alten“ zu verkaufen, s. die vergleichende Fallstudie von Müller & Ungern-Sternberg (2004). Zu Solon als Gründervater der Demokratie s. etwa Mossé (1979), die (deutlich skeptischer als Rhodes) die Überlieferung zu Solon als weitgehende Rekonstruktionen des 5. und v. a. des 4. Jhs. ansieht. Plat. Tim. 20d–e. Zu Kritias’ Anspruch, von Dropides, einem Verwandten (bzw. laut Diogenes Laertios einem Bruder) Solons abzustammen, s. Diog. Laert. 3,1,1; vgl. Plat. Charm. 155a; 157e. Aus den Angaben eine vernünftige Genealogie zu rekonstruieren, ist allerdings mehr als schwierig: s. Davies (1971) 322–326; deshalb allerdings den Kritias in Platons Schrift zum Großvater des Tyrannen zu erklären, wie Nails (2002) 106–108 vorschlägt, schafft mehr Probleme, als dass es löst. Dass Kritias sich auf γνώμαι berufen habe, die auf Dropides zurückgingen, der ein Jahr nach Solon Archon gewesen sei, überliefert Philostr. soph. 1,16. 501. Sämtliche Testimonien finden sich inzwischen von William S. Morison ediert und kommentiert unter Kritias BNJ 338A . Aristot. Rh. 1,1375b 31–34. [Aristot.] Ath. pol. 6,2; Plut. Sol. 15,7–9; vgl. Plut. praec. ger. reip. 13 (= mor. 807d–e).

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8. Die Demokratie des fünften Jahrhunderts und die Entstehung eines ‚Adels‘

den Reflex einer mit Solon argumentierenden Polemik des ausgehenden fünften Jahrhunderts handelt, möglicherweise gar um die ominöse Athenaion politeia des Kritias, liegt auf der Hand.151 In dieses geistige Klima passen auch die abstrakten philosophischen Utopien wohlgeordneter Verhältnisse in einer mythologischen Frühzeit, wo Eupatriden, Handwerker und Bauern jeweils getrennt gewesen seien.152 Die Verachtung für neureiche Aufsteiger, der Versuch, die Demokratie abzuschaffen und dies als Rückkehr zu einer vermeintlich althergebrachten politischen Ordnungen darzustellen, und die philosophischen Spekulationen über ständische Gliederungen in grauer Vorzeit sind getrennte Diskurse in jeweils eigenen Kontexten. Sie kommen jedoch, nimmt man sie zusammen, einem idealtypischen Konzept von ‚Adel‘ und ‚Adeligkeit‘ recht nahe. Die Person des Kritias, der (mit hoher Wahrscheinlichkeit) über ständisch geordnete Verhältnisse im Mythos spekulierte, sein Geschlecht bis mindestens in solonische Zeit zurückführte und aktiv am oligarchischen Umsturz beteiligt war, ist eine rare Erscheinung, in der alle drei Momente zusammenfinden. Daraus jedoch ein stimmiges historisches Narrativ zu machen, bei dem die ständisch geschlossene aristokratia eines alten Adels aufgebrochen wurde und neue Schichten ein bürgerlich-demokratisches Regiment errichteten, ist eine Projektion der Moderne. Die tatsächliche Entwicklung geht in eine ganz andere Richtung. Das Neue ist nicht das Aufbrechen eines Adelsregiments, sondern der zunehmende Bezug auf die Polis, der bereits im sechsten Jahrhundert deutlich erkennbar ist, aber im demokratischen Athen erheblich verstärkt wird. Dabei werden die vielfältigen Formen des Prestigeerwerbs zwar nicht direkt eingeschränkt, aber doch zunehmend auf die Polis mit dem demos als ‚dritte Instanz‘ bezogen und Geltungsfragen in diesem Rahmen verhandelt, wobei die Größe und die dadurch gegebene Anonymität des athenischen demos dieser Konkurrenz eine ganz besondere Ausprägung verleihen. Man kann das als eine ‚Verbürgerlichung‘ sehen, in dem Sinne, dass die Angehörigen der Oberschicht sich als Bürger auf Bürger ausrichten und ihre Prestige von Bürgern anerkannt wissen wollen – doch gerade dadurch werden Prestigehierarchien verbindlich und erst durch diese Verbindlichkeit werden Konzepte wie das einer Aristokratie überhaupt denkbar. Es sind die Konflikte im Athen des fünften Jahrhunderts, die massive Zunahme an sozial distinguierendem Vokabular, die Konzeptualisierung (sowie zumindest kurzfristig auch die Realisierung) aristokratischer Gegenentwürfe zur Demokratie und die Spekulationen über stabilere Verhältnisse in der Frühzeit, die den späteren Blick sowohl

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S. die Diskussion bei Rhodes (1993) 128 f.; den Bezug zu einer möglichen Athenaion politeia des Kritias machte v. a. Duemmler (1892) spez. 262–265 stark. Dafür spricht einiges: Nebst der Bezugnahme auf Solon polemisierte Kritias mit Themistokles und Kleon gegen zwei weitere historische Figuren, die sich unrechtmäßig bereicherten (Ael. VH 10,17 = Kritias 88 B 45 DK), und lobte den spartafreundlichen Kimon (Plut. Kim. 16 = Kritias 88 B 52 DK). S. o. S. 290–294.

8.3 Die Entstehung eines ‚Adels‘ im Rahmen der Demokratie

371

der Autoren des vierten Jahrhunderts als auch der modernen Forschung auf die Archaik ganz wesentlich prägten. Athen ist somit deutlich mehr als nur eine Fallstudie.

9. Zusammenfassung: Der griechische ‚Adel‘ in zweifach gebrochener Perspektive

War die archaische Zeit Griechenlands ein Zeitalter des Adels? Wenn man unter einem Adel eine Oberschicht versteht, deren (Ehr-)Vorrang weitgehend akzeptiert ist, so ist die Archaik, genauso wie die meisten anderen Epochen der Geschichte, selbstverständlich ein Zeitalter des Adels. In aller Regel impliziert die Verwendung des Adelsbegriffs jedoch deutlich mehr – nämlich eine stabile, meist auf Geburt beruhende Zugehörigkeit zu einer weitgehend abgeschlossenen Oberschicht. Zu Beginn dieser Arbeit wurde daher eine idealtypische Adelsdefinition vorgeschlagen, die ‚Adel‘ als eine Gruppe definiert, bei der 1.) die Zugehörigkeit zur Gruppe einen instrumentellen Vorteil für das ‚Obenbleiben‘ bringt, 2.) diese Zugehörigkeit, einmal erworben, nicht mehr ohne weiteres verloren geht, sondern von der individuellen Leistung weitgehend losgelöst adligen Personen zugeschrieben wird, so dass 3.) die Gruppenzugehörigkeit als solche zu einem symbolischen Kapital werden kann, das einen allfälligen Verlust etwa von ökonomischem Kapital zumindest teilweise ausgleichen und auf diese Weise das ‚Obenbleiben‘ zusätzlich absichern kann. Einen solchen Adel hat es im archaischen Griechenland nicht gegeben – das Konzept einer klar abgegrenzten ‚aristokratischen‘ Herrschaft sowie eine Vielzahl an sozial distinguierenden Begriffen entstehen gar erst im fünften Jahrhundert. Dass dennoch gerne von der Archaik als Zeitalter des Adels gesprochen wird, das von späteren – dementsprechend als ‚adelsfrei‘ zu denkenden – Zeiten abgesetzt wird, war der Ausgangspunkt dieser Arbeit. Das Ziel dabei war ein doppeltes: Einerseits sollte auf einer ‚realhistorischen Ebene‘ untersucht werden, welche Formen von sozialer Differenzierung sich im archaischen Griechenland beobachten und vor allem inwieweit sich Veränderungen und Entwicklungen nachvollziehen lassen. Dabei sollte – neueren Ansätzen folgend – der Fokus zwar durchaus auf Akteuren und Praktiken liegen, dieser performative Aspekt jedoch eng mit den strukturellen Rahmenbedingungen verknüpft werden, innerhalb derer soziales Handeln überhaupt möglich wird und die auch die Grenzen dieser Möglichkeiten markieren. Andererseits sollte auf einer ‚rezeptionsgeschichtlichen Ebene‘ der Frage nachgegangen werden, wie das

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wirkungsmächtige Bild von der Archaik als Zeitalter des Adels entstehen und bis weit in die gegenwärtige Forschung fortwirken konnte. Dabei liegt, das erklärt den Aufbau und die zeitlichen Grenzen dieser Arbeit, eine doppelt gebrochene Perspektive vor: Einerseits die im fünften Jahrhundert in Athen aufkommenden neuen (oder zumindest deutlich zugespitzten) Konzepte gesellschaftlicher Differenzierung und andererseits die Perspektive der Forschung seit dem 19. Jahrhundert, die aus ihrer eigenen Gegenwart heraus in der archaischen Zeit entweder ein überwundenes ancien régime erblickte oder aber einen idealisierten Adel, der als Gegenbild zu den Zumutungen der Moderne fungierte. Dass es im archaischen Griechenland eine Oberschicht gab, die sich durch Reichtum und einer damit einhergehenden höheren Abkömmlichkeit auszeichnete, steht außer Zweifel. Anhand der Epen Homers und Hesiods wurde aber gezeigt, wie stark diese Oberschicht im frühen siebten Jahrhundert durch bäuerliche Verhältnisse geprägt und wie prekär der doch sehr relative Reichtum in der Regel war. Die zentrale Differenz innerhalb der Gesellschaft lag, so die These, denn auch nicht zwischen wehrfähigen Bauern und einzelnen besonders reichen oikoi, sondern zwischen den unterschiedlich reichen Vorstehern vollbäuerlicher Haushalte, die über ein eigenes Gespann und damit über eine wenn auch prekäre Unabhängigkeit verfügten, und der großen Mehrheit der Bevölkerung, die als ‚Männer ohne Ochsen‘, Kleinbauern oder Tagelöhner in einer ökonomischen Abhängigkeit standen, die in kleinräumigen Nachbarschaftsverhältnissen entsprechend statusmindernd wirken musste. Der Vergleich zu frühneuzeitlichen Dorfgesellschaften, vor allem aber die athenischen Zensusklassen legen nahe, dass die Regimentsfähigkeit, das heißt die Fähigkeit, Ämter zu bekleiden, an den Status des Vollbauern gebunden war. Die Zulassung zu Ämtern – von denen es verhältnismäßig viele gab, was eine entsprechend breite Schicht an Regimentsfähigen voraussetzt – war wiederum ein eindeutiger Marker dafür, dass jemand als ‚ehrbar‘ galt und dementsprechend Ehrenstellungen bekleiden konnte. Bezeichnend ist freilich die geringe institutionelle Absicherung des ‚Obenseins‘: Der Verlust der ökonomischen Basis, das wird in den Epen mehrfach deutlich, führte automatisch auch zum Verlust des sozialen Status. Umgekehrt konnte Hesiod ganz selbstverständlich behaupten, dass auf Reichtum Tugend und Ehre folgen.1 Diese bäuerliche Oberschicht machte eine Entwicklung durch, die eng mit der Ausbildung städtischer Strukturen – sowohl im siedlungsgeographischen als auch im politischen Sinne – zusammenhing. Zumindest ab einer gewissen Größe ist eine Stadt immer auch ein Ort der Anonymität, wo (anders als im Dorf) nicht mehr jeder jeden kennt. Die bäuerliche Lebenswelt mit ihren ungeschriebenen Normen verlor dadurch an Verbindlichkeit, was zumindest einige der Gesetzeskodifikationen der archaischen Zeit erklärt. Vor allem aber musste unter diesen Bedingungen Status of-

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Hes. erg. 313.

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fensiver sichtbar gemacht werden, wie die Zunahme von Luxus und demonstrativem Konsum gerade in den stark urbanisierten Gebieten Ioniens zeigt. Damit gewinnt ein auf Distinktion bedachter Lebensstil an Bedeutung und gleichzeitig wird der simple Konnex von Reichtum und Ehre, wie er in den Epen begegnet, zunehmend problematisiert. So verschwindet materielle Entschädigung, die in den Epen noch direkt mit dem Ausüben öffentlicher Rollen einhergeht, zugunsten von Ämtern, die ehrenamtlich übernommen werden und für die man unter Umständen auch bereit war, ökonomische Unkosten in Kauf zu nehmen, da die darüber generierte Ehre als bedeutsamer angesehen wurde. Die zunehmend städtisch geprägte Gesellschaft des sechsten Jahrhunderts ist daher deutlich ‚adliger‘ als die bäuerliche Oberschicht des frühen siebten Jahrhunderts, dennoch kann auch in dieser Zeit nicht von einem eigentlichen Adel gesprochen werden. Dies hängt ebenfalls mit der Stadt zusammen, die eine Form der Differenzierung begünstigt, die einer flächendeckenden Stratifikation eher hinderlich ist, nämlich eine Unterscheidung in Zentrum und Peripherie. In verschiedenen Gebieten, so wurde argumentiert, lässt sich in der Archaik eine Stadt-Land-Differenz beobachten oder zumindest plausibel propagieren. Diese manifestiert sich in der privilegierten Stellung des städtischen Zentralorts gegenüber rechtlich diskriminierten Bevölkerungsschichten des Umlands oder abhängigen Orten der Peripherie. Die Differenz zeigt sich nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern vor allem auch performativ in luxuriöser städtischer Kleidung, die sich von ländlicher Felltracht absetzt, im demonstrativen Konsum, insbesondere dem in den Rahmen der Polis eingebundenen Symposion, sowie in der Partizipation an der Polis im politischen Sinn, was mit dem Tragen luxuriöser Kleidung und der Teilnahme an Symposien direkt verknüpft sein konnte. Man kann dies als Zentrum-Peripherie-Differenzierung ansehen, bei welcher das zentrale Distinktionsmerkmal nicht die Zugehörigkeit zu einer adligen Schicht, sondern die physische Anwesenheit im Zentrum im Gegensatz zum peripheren Umland ist. Damit ist die Stadt einer Adelsbildung zwar nicht diametral entgegengestellt, sie ist ihr aber auch nicht förderlich. Denn im städtischen Zentrum konzentriert sich auf engem Raum eine relativ heterogene Bevölkerung, die aber durch die gemeinsame Abgrenzung gegenüber dem Umland eine Einheit bildet. Während sich der Adel des europäischen Mittelalters gerade dadurch auszeichnete, dass er die in der Stadt angelegte Zentrum-Peripherie-Differenz überwinden konnte (oder die Stadt ganz mied), war dies in der Archaik nicht so eindeutig: Zwar gab es einzelne besonders herausragende Figuren, die überregionale Heiratsverbindungen und Gastfreundschaften pflegten, doch fehlten höfische Zentren oder adlige Landsitze eigenen Rechts, in denen eine Existenz jenseits der Polis möglich war. Die jeweilige Heimatpolis bildete den zentralen Bezugspunkt, weshalb die Option, die Zentrum-Peripherie-Differenz zu überwinden und sich jenseits der Polis Prestige und Machtressourcen anzueignen, nicht zu einer Stabilisierung eines ‚Adels‘, sondern im Gegenteil zu einer Destabilisierung der sich in den einzelnen Poleis ausbildenden Rangordnungen führte, die durch Impulse von außen andauernd herausgefordert wurden.

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Die Urbanisierung einer bäuerlich geprägten Oberschicht ist die eine große Entwicklung der archaischen Zeit. Sie erklärt sich aus der materiellen und lebensweltlichen Grundlage der Gesellschaft – sowohl ökonomisch wie siedlungsgeographisch – heraus und steckte die Rahmenbedingungen ab, vor denen menschliches Handeln überhaupt möglich wurde. Die konkreten Handlungsstrategien und -möglichkeiten der Akteure waren dann Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit. Hierzu war eine vertiefte Auseinandersetzung mit den traditionsbehafteten Konzepten einer archaischen ‚Adelskultur‘ notwendig. Besonders wirkungsmächtig war hier ein vor allem in der deutschen Geschichtsschreibung verbreitetes und auch nur aus den deutschen Rezeptionsbedingungen heraus erklärbares Modell eines panhellenischen Kulturadels, der sich primär jenseits der Polis verwirklicht und im Kern unpolitisch ist – ein antikes Pendant zum deutschen Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts. Diese anspruchsvolle Konzeption, welche die ‚Adelsgesellschaft‘ und den entstehenden Polis-‚Staat‘ als zwei getrennte Entitäten auffasst, hatte zur Folge, dass vielfach (und keineswegs nur auf die deutsche Forschung beschränkt) der archaische ‚Adel‘ als ein von der Polis losgelöstes, gesellschaftliches-kulturelles Phänomen betrachtet wird, das entsprechend pointiert von späteren, auf die Polis bezogenen ‚Oligarchien‘ abgesetzt wird. Die Genese dieser Denkfigur zu verstehen, ist wichtig, um sich von traditionellen Sichtweisen und ihren idealisierenden Anachronismen freimachen zu können. Der Exkurs in die Forschungsgeschichte erfolgte jedoch nicht nur in dekonstruktivistischer Absicht. Denn der deutsche Blick auf den griechischen ‚Kulturadel‘ hat – wenn man ihn von seinen Anachronismen befreit – durchaus heuristisches Potential, weil er anders als antike Konzeptionen von ‚Aristokratie‘ und ‚Oligarchie‘, die darin eine auf die jeweilige Polis bezogene Herrschaft sahen, den Blick auf Handlungsräume jenseits der Polis lenkt. Auf dieser Prämisse baute die weitere Argumentation der Arbeit auf, die argumentierte, dass die Handlungslogiken archaischer Akteure von verschiedenen ‚Feldern der Konkurrenz‘ und sich verändernder Handlungsstrategien geprägt waren. Die Archaik zeichnet sich, wie schon viele Arbeiten hervorgehoben haben, durch eine breite Palette ‚adelnder‘ Qualitäten aus, was die Ausbildung eines einheitlichen Konzepts von ‚Adeligkeit‘ weitgehend verhinderte und den fehlenden ‚Corpsgeist‘ der Oberschicht ebenso erklärt wie die fehlende ideologische Schließung gegenüber neureichen Aufsteigern. Traditionellerweise wird diese fehlende Geschlossenheit mit dem ‚agonalen‘ Geist des griechischen Adels erklärt, der zu einem ausgeprägten Wettbewerbsdenken und einer Fokussierung auf das Individuum führe. Allerdings ist dieses ‚Agonale‘ nicht naturgegeben, sondern muss historisch erklärt werden. Mit dem Blick auf die sozialen Felder, in denen sich Konkurrenz vollzieht, wurde ein solcher Erklärungsansatz geboten. Dabei wurde deutlich, dass sich bereits in den homerischen Epen verschiedene Felder der Konkurrenz fassen lassen, in denen nach jeweils eigenen Regeln um unterschiedliche Formen von Prestige konkurriert wurde. Der Anspruch homerischer Helden, ‚immer der Beste zu sein‘, zeugt dabei vor allem von einem Dilemma: Man hatte sich in all diesen Feldern zu bewähren, was de facto ein Anspruch

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war, dem kein Held gerecht werden konnte. Einzelne Akteure sind daher bemüht, einen objektiven Wettbewerb zu unterbinden und ‚sachfremdes‘ Prestige geltend zu machen, um sich einem echten Wettbewerb zu entziehen. Dies wiederum provoziert den Widerstand potentiell aussichtsreicherer Konkurrenten, die auf der Autonomie des jeweiligen Feldes der Konkurrenz beharren. Es handelt sich dabei um eine Geltungskonkurrenz, da die gesamtgesellschaftliche Geltung verschiedener Formen von Prestige (Herkunft, Tapferkeit, Rednergabe, sportliche Vortrefflichkeit etc.) zwar eingefordert wird, aber mit Rekurs auf die Autonomie der jeweiligen Felder der Konkurrenz stets angefochten werden kann. Das bedeutet aber umgekehrt, dass eine Niederlage in einem Feld der Konkurrenz nicht automatisch den sozialen Tod zur Folge hat, sondern dass weitere Felder der Konkurrenz als Alternative zur Verfügung stehen und es für einzelne Akteure rational sein kann, als ‚schlechte Verlierer‘ in scheinbar deviant anmutender Attitüde die gesamtgesellschaftliche Geltung des Prestiges ihrer Konkurrenten zu hinterfragen. Die auffallende Radikalität, mit der archaische Lyriker dem Prestige, das andere anderswo nach anderen Regeln errungen haben, die Geltung absprechen, ist eine logische Folge dieser Konstellation. Dabei handelt es sich weder um einen Konflikt zwischen ‚adligen‘ und ‚bürgerlichen‘ Werten, noch um den Konflikt zwischen einem alten Adel und einem aufsteigenden Bürgertum, sondern um eine rationale Strategie innerhalb eines oberschichtinternen Konkurrenzkampfs. Die Folge davon war jedoch, dass die Ausbildung eines einheitlichen Konzepts von ‚Adeligkeit‘ massiv erschwert wurde. Zwar gibt es eine ökonomisch definierte Oberschicht und die Zahl prestigeträchtiger Praktiken ist nicht beliebig, doch einen eindeutigen symbolischen Marker, der allgemeingültig die Zugehörigkeit zu einem ‚Adel‘ signalisieren würde, gibt es eben gerade nicht. Einer sozialen Mobilität – nach oben wie nach unten – wird daher wenig entgegengestellt und der eigene Status muss fortwährend unter Beweis gestellt werden. Entwicklungen sind allerdings klar feststellbar. Denn zumindest in zwei zentralen Feldern lassen sich Institutionalisierungsprozesse nachzeichnen. Dies betrifft einerseits die Konkurrenz um Ämter und Ehren in der Polis und andererseits die panhellenischen Agone. Dabei wurden sowohl Ämter – beziehungsweise die Amtsfähigkeit – wie auch sportliche Siege zu institutionell abgesicherten, versachlichten Formen von Prestige. Das begünstigte die Ausbildung einer ‚Honoratiorenherrschaft‘ im Sinne Max Webers, die zwar – soweit feststellbar – meist an Grundbesitz gebunden blieb, also weiterhin stark ökonomisch determiniert war, aber doch das Potential zu einer stärkeren Abschließung im Sinne eines ‚Adels‘ barg. Während die Amtsfähigkeit somit zu einem zentralen Marker für die Zugehörigkeit zur jeweiligen städtischen Oberschicht wurde, bildeten sportliche Siege eine davon unabhängige Form von Prestige – deren ‚Überführung‘ in die Polis ebenfalls Teil eines Institutionalisierungsprozesses war, bei dem schließlich klar geregelt wurde, welche Ehren einem siegreichen Athleten zustanden. Einer Stabilisierung der Oberschicht musste das nicht zwingend dienlich sein, wurde doch dadurch klar anerkannt, dass verschiedene Qualitäten ‚adeln‘ konn-

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ten. Doch die bei Homer noch weitgehend unsystematisch nebeneinander stehenden Praktiken des Prestigeerwerbs mit ihren jeweiligen ‚Partiell-Besten‘ wurden zunehmend in einen institutionellen Rahmen gefasst und auf die einzelnen Poleis als zentraler Lebens- und Wirkungsraum der um Prestige konkurrierenden Akteure bezogen. In diesem Zusammenhang kommt dem im dritten Teil dieser Arbeit untersuchten ‚Sonderfall‘ Athen eine besondere Rolle zu. Während sich in der archaischen Zeit Konflikte beobachten lassen, wie sie auch andernorts begegnen – der Umgang mit der Zentrum-Peripherie-Problematik, Versuche, den Bürgerstatus institutionell abzusichern, die destabilisierende Wirkung von polisübergreifenden Prestige- und Machtressourcen –, verändern sich im fünften Jahrhundert die Rahmenbedingungen: Mit dem Seereich und dem durch die kleisthenischen Reformen in das Zentrum integrierten ausgesprochen großen Territorium Attikas wurde eine neue Situation geschaffen. Die machtpolitischen Möglichkeiten, welche die Polis Athen ehrgeizigen Akteuren bot, machte ein Handeln im Rahmen der Polis und nach ihren Regeln in nahezu alternativloser Weise attraktiv. Die Bedingungen der Demokratie mit der zunehmenden Bedeutungssteigerung der Volksversammlung führten jedoch zu einer verschärften und vor allem permanenten Konkurrenz um die Gunst des demos. Dies hatte drei Entwicklungen zur Folge: Erstens eine Zuspitzung öffentlichkeitswirksamer Selbststilisierungen, zweitens einen aristokratischen Gegenentwurf zur Demokratie und drittens eine Rückprojektion dieses Gegenentwurfs auf eine idealisierte Vergangenheit sowie utopische Spekulationen über ordentliche und stabile Gesellschaftsorganisationen einer mythologischen Frühzeit. Der Kampf um Aufmerksamkeit gegenüber einem weitgehend anonymen demos führte zu einer Ausprägung gegensätzlicher Selbststilisierungen, wobei sowohl der demonstrative Verzicht auf die Inszenierung sozialer Überlegenheit als auch die genau gegenteilige Strategie erfolgreich sein konnten. Das ist bis zu einem gewissen Grad eine Fortsetzung der Geltungskonkurrenz unterschiedlicher Formen von Prestige, die nun aber öffentlichkeitswirksam in der auf den athenischen demos konzentrierten Konkurrenzsituation ausgetragen und zugespitzt wurde. Ferner ist aufgrund der ökonomischen Möglichkeiten des Seereichs, aber auch der Verluste durch Krieg und Pest mit einer erhöhten sozialen Mobilität zu rechnen – die Zunahme an demonstrativem Konsum und der Komödienspott über neureiche Aufsteiger deuten jedenfalls klar auf eine intensivierte Statuskonkurrenz hin, welche die durch die politischen Verhältnisse bedingten Selbststilisierungen zusätzlich beflügelte. Dementsprechend kommen in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts eine ganze Reihe sozialer Termini auf, die elitäre Überlegenheitsansprüche und damit neue Formen der sozialen Differenzierung auf den Begriff bringen. Diese Termini sind jedoch primär ein neues Mittel im oberschichtsinternen Konkurrenzkampf und nicht so sehr Ausdruck einer grundlegenden strukturellen Umwälzung der Gesellschaft oder gar der Verdrängung eines ehemals stabilen ‚Adels‘ durch ein mental gänzlich anders gepoltes ‚Bürgertum‘. Davon zu trennen ist die zweite wesentliche Neuerung, nämlich der Versuch, ab 415 ein

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‚aristokratisches‘ Gegenmodell zur Demokratie zu entwerfen und umzusetzen – das Konzept einer ‚Aristokratie‘ ist also keine archaische Herrschaftsform, sondern in der später geläufigen Form erst unter den Bedingungen der Demokratie überhaupt denkbar geworden. Auch in Bezug auf die Praxis kann der Umsturz von 412/11 mit dem gezielten Einsatz gut organisierter Hetairien, die durch ein koordiniertes Vorgehen eine unorganisierte Mehrheit marginalisieren konnten, als Neuerung angesehen werden, bei der die Oberschicht genau jenen Zusammenhalt an den Tag legte, der einem idealtypisch definierten Adel auf instrumenteller Ebene das ‚Obensein‘ sichert, den die in der Regel nach einer Tyrannis, nicht aber nach kollektiver Herrschaft strebenden Akteure der Archaik aber vermissen lassen. Damit verflochten, aber nicht direkt kausal zu verbinden ist die dritte Neuerung, nämlich das Bemühen, neue Verhältnisse mit einem Rekurs auf eine vermeintlich bessere Vergangenheit zu rechtfertigen sowie gelehrte Spekulationen über ständisch geordnete Verhältnisse einer mythologischen Frühzeit. Das sind die Ingredienzen, aus denen die moderne Forschung das Bild eines stabilen, ständischen ‚Adels‘ entwerfen konnte, der im Verlauf der Archaik aufgebrochen und durch ein neues Bürgertum ersetzt wurde. In Athen zeigt sich dieses Narrativ besonders ausgeprägt in dem Mythos um eine vorsolonische Eupatriden-Herrschaft, die aus verstreuten antiken Zeugnissen in direkter Analogie zum römischen Ständekampf konstruiert wurde und durch die Erfahrung der europäischen Neuzeit zusätzliche Plausibilität erhielt. Der archaische ‚Adel‘ unterliegt somit gleichsam einer doppelten Brechung: Die erste Brechung erfolgt durch die Begriffe, Konzepte und Vergangenheitskonstruktionen in der Antike selbst, die zweite Brechung dann durch die moderne Forschung, die diese verstreuten Zeugnisse systematisiert und daraus ein analog zum neuzeitlichen Europa konzipiertes ancien régime für die Archaik entwarf, das diese Zeit als Epoche des Adels im Kontrast zur bürgerlichen Demokratie der Klassik erscheinen ließ. Das hier vorgeschlagene Modell zielt auf eine nüchternere Beschreibung. Die agrarisch bedingte Stratifikation der Gesellschaft zu Beginn des siebten Jahrhunderts, bei der ökonomischer Gewinn und Verlust sehr unmittelbar auf den gesellschaftlichen Status durchschlägt, wird im Verlauf der Archaik zunehmend komplexer, wobei der Stadtbezug für die Transformation der Oberschicht eine entscheidende Rolle spielt. Dies nicht nur, weil unter den siedlungsgeographischen Bedingungen von relativer Größe und Dichte andere Differenzierungsstrategien notwendig werden als in überschaubaren face-to-face-Gesellschaften, sondern auch, weil das Denken in Zentrum-Peripherie-Differenzierungen andere Implikationen für die Konstruktion von Ungleichheit und gesellschaftlicher Differenz birgt, als die Unterscheidung in ‚Adel‘ und ‚Nicht-Adel‘. Was die konkreten Handlungsstrategien betrifft, so ist weder von einer idealisierenden homogenen ‚Adelskultur‘ auszugehen, noch sind Praktiken völlig losgelöst von den sozialen Feldern und ihren überindividuellen Logiken zu denken. Die Betrachtung von Konkurrenz nicht als ein den Griechen immanentes ‚Agonales‘, sondern als ein soziologisch zu erklärendes Konkurrenzverhalten schärft den Blick auf

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diese verschiedenen sozialen Felder, in denen Konkurrenz stattfindet und die gerade durch ihre Vielzahl eine stabile Prestigehierarchie und eine Einschränkung der Konkurrenz erschweren. Die sich ausbildenden Poleis und der sich ebenfalls entwickelnde panhellenische Raum sind dabei nicht als Gegensätze zu sehen, sondern als parallele Prozesse der Institutionalisierung. Dieses Modell greift neue Ansätze auf, die Status als rein performativ betrachten, fokussiert aber auf die gesellschaftlichen Strukturen oder eben ‚Felder‘, die solche performativen Akte überhaupt erst wirkungsmächtig werden lassen und gleichzeitig auch die Grenzen des Möglichen markieren. Hier sind Entwicklungen auszumachen, die dazu führen, dass die griechische Oberschicht am Ende der Archaik nicht durch ein ‚Bürgertum‘ abgelöst wird, sondern im Gegenteil deutlich ‚adliger‘ erscheint als noch im siebten Jahrhundert. Ökonomische Potenz war nicht mehr so unmittelbar durchschlagend wie noch in den Epen, doch auch in der Klassik, wo man sich über ‚Neureiche‘ mokierte und idealisierende Vorstellungen einer alten Eupatriden-Herrschaft entwickelte, war man sich in einem Punkt einig: „Arme Eupatriden“, so der Komödiendichter Alexis, „sieht niemand!“2

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Alexis F 94 PCG (= Athen. 4,159d) (eigene Übers.): πένητας δ’ εὐπάτριδας οὐδεὶς ὁρᾶι.

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Register

422

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Stellenregister a) Literarische Quellen Ailianos (Aelianus) NA 12,40: 219 VH 4,22: 149 9,25: 123 9,32: 219 10,17: 370 11,9: 351 13,24: 333 Aischylos Sept. 295: 361 Alexis (PCG) F 94: 290, 379 Alkaios (L-P) F 48: 157 F 67: 236, 284 F 69: 157 F 70: 284 F 72: 284 F 75: 236, 284 F 106: 236, 284 F 130b: 140 F 130b 1–9: 133, 234, 317 F 130b 7: 131 F 318: 143 F 348: 236, 284 F 350: 157 F 360: 153 F 360,2: 86 F 429: 284 Alkman (PMG) F 1,67 f.: 143 F 16: 143 Anakreon Fragmente (PMG)

F 371: 132 F 371,2: 131 F 388: 134, 362 F 481: 144

735: 360 738: 360 1325: 149 1331: 149

Epigrammata (D) F 106: 132 F 106,4: 131

Lys. 1060: 360 1150–1156: 135

Andokides 1,16: 17 1,130f: 357

Nub. 101: 360 797: 360 876: 347 984–986: 149

[Andokides] 4,1 f.: 350 4,2: 341 4,4: 348 Androtion (FGrH 324) F 6: 341 f. Apollodor bibl. 1,8,5 f.: 80 Archilochos (W) F 13: 133 F 13,1: 131 F 109,1: 131 F 114: 193 F 133: 133 F 133,1: 131 F 170,1: 131 F 172: 133 F 172,4: 131 Aristophanes Eccl. 724: 136 Eq. 185: 360 227: 360

Ran. 428–430: 357 728: 360 1236: 360 Vesp. 1256: 360 1309: 362 Fragmente (PCG) F 205: 360 f. Schol. Aristoph. Eccl. 724: 136 Schol. Aristoph. Lys. 273: 329 619: 137 Aristophanes von Byzanz (Slater) F 5: 257 Aristoteles Pol. 1,1252a: 94 1,1252b 10–35: 118 2,1267b 22–37: 292

423

Stellenregister

2,1268a 16–1268b 4: 293 2,1268b 39–41: 98 2,1272a 7: 232 2,1274a 15–21: 72, 281 2,1274a 18–21: 66, 72 3,1284a 17–22: 343 3,1284a 17–27: 342 3,1284b 15–25: 342 3,1284b 20–22: 342 3,1285a 29–1285b 1: 312 4,1289b 33–40: 153, 233 4,1293a 1–7: 91 4,1297b 16–28: 21 5,1302b 15–21: 342 5,1303a 6–8: 128 5,1305a 18–21: 123 5,1308b 10–19: 342 f. 5,1308b 16–19: 343 5,1311a 13–15: 123 6,1317b 35–38: 90 6,1319b 19–27: 331 7,1327b 11–14: 127 Rh. 1,1365a 26 f.: 257 1,1367b 19: 257 1,1367b 20: 257 1,1375b 31–34: 369 2,1391a 14–17: 363 Fragmente (Rose): F 384: 280, 290 F 385: 280, 291 F 516: 122 F 558: 124, 152, 302 F 583: 233 F 586: 127 F 611,20: 122, 124 F 611,58: 98 F 611,64: 122 [Aristoteles] Ath. pol. F 2 (Chambers): 280, 291 F 3 (Chambers): 280, 290 2–3: 296 2,2: 306

4: 296 4,4: 304 5,1: 304 5,3: 300 6,1: 305 6,2: 369 7,3: 66, 233, 281 7,3 f.: 72, 281 7,4: 72 f., 233 8,1: 337 8,4: 301 9,1: 305 12,4: 308 13,2: 291, 315 13,4: 313 13,5: 313, 328, 334 14–19: 311 14,1: 318 14,4: 319 15: 319 15,1: 319 15,2: 319 15,2 f.: 124 15,3: 319 16,3–5: 123 16,5: 318 16,10: 295, 303 17,4: 319 19: 320 19,3: 285, 317 20 f.: 323 20,1: 323, 327, 334 20,2 f.: 324 20,3: 324, 329 20,3 f.: 324 20,4: 327 21,1: 328 21,2: 334 21,3: 331 21,4: 334 22,1: 341 22,2: 338 22,3: 342 22,5: 337 26,2: 337, 349 26,4: 354 27,3: 356

27,4: 359 43,5: 341 61,1: 338 62,3: 337 oikon. 1,1343a: 94 1,1343a 20–23: 94 Asios (Bernabé) F 13: 149 F 13,1–6: 148 Athenaios 2,263d–e: 127 6,258f–259f: 123 6,273b–c: 190 8,348a–b: 124, 152, 302 9,382b: 255 12,512c: 149 12,536f–537c: 357 12,540e–541a: 149 14,628c–d: 191 14,659d–660e: 255 Bakchylides epin. 10,49–51: 361 Charon von Lampsakos (FGrH 262) F 1: 233 Cicero leg. 2,63: 316 rep. 6,2: 139 Deinarchos 1,71: 338 Demetrios von Phaleron (FGrH 228) F 43: 346

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Register

Diodor 8,19: 190 9,2,5: 269 9,20,1–3: 311 10,26: 127 11,54,1: 118 12,9,5: 253 12,9,6: 253

Eupolis (PCG) F 109: 360 F 156: 357 F 160: 357 F 162: 357 F 165: 357 F 174: 357 F 176: 357

Diogenes Laertios 1,49: 311 1,55: 268 f. 1,56: 269 1,75: 18 1,81: 18, 284 1,98: 122 1,105: 18 3,1,1: 369

Euripides Alc. 920: 286

Diogenianos paroemine 7,21: 16 Dion Chrysostomos 7, 107: 123 25,3: 123 Dionysios von Halikarnassos ant. 2,8,1 f.: 276, 291 2,26,3: 109 Diphilios (PCG) F 31: 92 Duris von Samos (FGrH 76) F 60: 148 F 75: 284 Ephoros (FGrH 70) F 29: 127 F 64: 340 F 149: 232 F 179: 122

Andr. 2: 99 153: 99 873: 99 Heracl. 298: 361 Hipp. 152: 286 1283: 286 Fragmente (Nauck) F 282,23: 361 Eusebios von Caesarea Chron. Ol. 53,3: 17, 192 Eustathios ad Hom. Il. 1,598: 16 ad Hom. Od. 19,28: 307 Gaius dig. 47,22,4: 229 Galen Thrasyb. 33: 267

Gorgias (DK) 82 B 20: 356 Hellanikos (FGrH 4) F 22: 17, 192 F 170a: 289 Herakleides (FHG II) F 5 p. 213: 122, 124 F 28 p. 220: 98 F 32 p. 222: 122 Herakleitos (DK) 22 B 121: 225 Hermippos (PCG) F 16: 16 Hermogenes inv. 2,4,22–25: 262 2,4,26–34: 262 Herodot 1,14: 249 1,29–32: 18 1,30,4: 360 1,59–64: 311 1,59,3: 313 1,59,5: 318 1,60,1: 317 1,60,2: 319 1,60,3–5: 319 1,61: 124 1,61,1 f.: 319 1,61,2: 317 1,61,3 f.: 319 1,61,3–64: 319 1,64: 124 1,64,1: 319 1,64,2: 319 1,64,3: 134 1,155: 135, 291 2,143,4: 360 2,160: 247 2,165: 361 2,167: 361

425

Stellenregister

3,81: 368 3,123,1: 220 3,140,5: 220 3,142–143: 220, 236 3,142–149: 220 3,142,5: 154 3,148: 154, 221 4,125: 155 4,161,3: 84, 88, 126 5,22: 250 5,30,1: 146 5,55–65: 311 5,62–65: 320 5,62,2: 317 5,62,2–63,1: 247 5,66: 328 5,66–78: 323 5,66,1: 134, 323 5,66,2: 323 5,67 f.: 331 5,69: 331 5,70–72,1: 324 5,70,1: 327 5,71: 252 5,72–73,1: 324 5,72,1: 324 5,72,4: 329 5,73: 332 5,74,1: 329 5,77: 234, 334 5,77,2: 146, 153, 233 5,78: 335 5,92: 235 5,92,ε2: 134 5,92,η1: 134 5,94,1: 319 5,102,3: 254 6,34–38: 90 6,34–41: 319, 340, 354 6,83: 127, 129 6,91,1: 146 6,100: 234 6,100,1: 153, 233 6,103: 219 f. 6,103,1–2: 220 6,103,3: 220, 251 6,121: 333

6,125: 18 6,128–130: 13, 189 6,131: 190 6,131,2: 17 6,132: 340 6,136: 340 7,155: 127 7,155,2: 233 7,156,2: 146 8,26: 87 8,47: 254 8,59,1: 262 Hesiod erg. 17–26: 58 23–26: 206 27–32: 55 30–41: 78 37: 76 f. 38 f.: 83 185–188: 108 235 f.: 155 298–302: 62 298–316: 58 312 f.: 86, 363 313: 207,373 331 f.: 108 341: 77 363: 62 368 f.: 62 370: 97 375 f.: 67 376 f.: 107 380: 107 393–400: 62 404: 62 405: 95 f. 405 f.: 93 406: 95 f., 111 420–436: 66 436–440: 66 441–447: 94, 103 448–454: 66 453 f.: 66 455–458: 66 469–471: 103

498–501: 58, 62 519–523: 68, 72, 101, 111 536–546: 150 559 f.: 62, 95 589: 98 602: 96 602 f.: 66 618–649: 76 633: 155 633 f.: 76 634: 155 634–640: 108 635 f.: 155 635–640: 76 652–662: 241 656–659: 98 663–668: 259 695–706: 105 700: 66 703 f.: 62 760–764: 68 theog. 435–438: 242 603–612: 105 606 f.: 109 Fragmente (Most) F 23,37: 99 F 69,21: 99 Hesychios s. v. κατωνάκη (κ 1887 Latte): 137 Hippias von Elis (FGrH 6) F 2: 243 Hippias von Erythrai (FGrH 421) F 1: 123, 140 Hipponax (W) F 128: 99

426 Homer Il. 1,11 ff.: 85 1,69: 196 1,91: 217 1,113–115: 104 1,115: 57 1,161 f.: 85 1,178: 217 1,186 f.: 217 1,231 f.: 212 1,244: 217 1,259: 215 1,280 f.: 217 1,281: 217 1,412: 217 1,490: 197 2,50 f.: 84 2,188–206: 84 2,192: 84 2,194: 84 2,202: 198 2,211–277: 79 2,220: 80 2,220f: 80 2,270: 81 2,370: 197 2,408: 84 2,546–556: 316 2,565 f.: 201 2,577: 217 2,580: 217 2,615–624: 241 2,716–728: 105 2,727: 105 2,751: 55 2,763–767: 202 2,773–775: 242, 266 2,791: 131 3,10–14: 61 3,17: 146 3,39: 204 3,39–51: 68 3,105–110: 215 3,175: 107 3,422: 57 4,220–421: 82

Register

4,225: 197 4,259: 85 4,261–263: 63 4,322: 215 4,322 f.: 215 4,343–346: 63 4,370–400: 212 4,387–390: 242 4,389: 242 4,399 f.: 216 4,400: 198 4,433–436: 61 4,499: 105 5,9 f.: 85, 196 5,49–58: 195 5,59–68: 195 5,69–71: 106 5,69 f.: 105 5,69–75: 196 5,76–78: 196 5,77 f.: 85 5,92: 55 5,152–158: 109 5,271: 56 5,369: 56 5,734 f.: 57 5,787: 204 5,800 f.: 216 5,801: 204 6,20–28: 201 6,76: 196 6,142: 63 6,194 f.: 83 6,208: 195 6,286–311: 105 6,289: 57 6,298–300: 85 6,313–315: 57 6,324: 57 6,441–445: 68 6,490–492: 57 6,523–525: 68 7,219–272: 205 7,221: 205 8,61 f.: 63 8,49 f.: 56 8,162: 85

8,185–190: 56 8,283 f.: 106 8,284: 105 8,304 f.: 110 9,34–36: 212 9,37–39: 204, 211 f. 9,38: 58 9,52–78: 212 9,54: 197, 215 9,57: 215 9,57–62: 197 9,63 f.: 215 9,128: 57 9,132–134: 103 9,146: 98 9,160: 204 9,201–220: 58 9,270: 57 9,275 f.: 103 9,288: 98 9,312 f.: 205 9,318–320: 58, 205 9,336–343: 104 9,381–384: 50 9,390: 57 9,392: 205 9,393–400: 104 9,440 f.: 197 9,447–484: 109 9,449–452: 104 9,450–452: 109 9,459–461: 68, 109 9,464–470: 109 9,574–580: 83 9,575: 85 9,664–668: 103 9,666–668: 94 10,23: 146 10,29: 146 10,177: 146 10,234–239: 205, 239 10,237–239: 211 10,314–316: 86 10,316: 204 10,319–327: 86 10,332: 86 10,334: 146

427

Stellenregister

10,351–353: 61 11,36 f.: 51 11,67–69: 61 11,85 f.: 84 11,101–103: 106 11,102 f.: 105 11,104–106: 57 11,127: 106 11,242: 131 11,243–245: 98 11,244 f.: 100 11,489 f.: 105 11,558–562: 61 11,624–627: 197 11,632–637: 52 11,698–701: 88 11,698–702: 51, 242 11,784: 195 11,786–789: 216 12,17–33: 51 12,88–90: 200 12,210–215: 198 12,213: 198 12,283: 55 12,310–314: 63 12,310–328: 204 12,311: 85 12,313 f.: 83 12,325: 197 12,421–423: 61 13,23: 56 13,34–38: 56 13,270: 197 13,313 f.: 202 13,322: 63 13,365–369: 98 13,377–382: 98 13,432: 57 13,533: 131 13,694–697: 105 13,703–708: 61 13,726–734: 198 13,731: 196 13,769: 204 14,110–113: 215 14,126–127: 215 14,155: 197

14,376–382: 206 15,187–193: 77 15,283 f.: 197 15,284: 215 15,333–336: 105 15,339: 131 15,558: 131 15,641: 216 16,178: 98 16,190: 98 16,329: 55 16,604 f.: 85, 196 16,737 f.: 105 17,142: 204 17,225 f.: 64 17,279 f.: 203 17,549: 55 17,657–664: 61 18,105 f.: 198 18,161 f.: 61 18,251: 198 18,251 f.: 198 18,310–313: 199, 212 18,420: 57 18,503: 84 18,503–508: 83 18,505: 84 18,550–560: 83 18,593: 98 19,133: 59 19,217–219: 215 19,297–299: 104 19,317–319: 198 20,164–174: 61 20,178–198: 216 20,184–186: 83 20,188–190: 57 20,213–241: 216 20,410: 196 20,495–497: 61 21,35–38: 57 21,282 f.: 61 21,441–457: 67 22,48: 110 22,99–105: 199 22,99–110: 69, 210 22,106 f.: 200

22,159 f.: 147 22,159–164: 242 22,162–164: 241 22,429: 131 22,472: 98 23,257–897: 241 23,263: 57 23,265 f.: 64 23,289: 202 23,373–397: 202 23,448–498: 202 23,534–538: 260 23,534–565: 65 23,536–538: 202, 212 23,539–544: 212 23,542: 203 23,566–613: 65 23,587–589: 215 23,615–624: 260 23,629–645: 241 23,654: 64 23,657–699: 201 23,668–671: 197 23,705: 57, 97 23,759–776: 202 23,832–835: 65 23,836–849: 201 23,840: 201 23,844–847: 65 23,856–883: 202 23,890–892: 203, 260 24,247–280: 56 24,250: 131 24,261: 196 24,262: 78 24,486–489: 81 24,732–734: 59 Od. 1,189–193: 118 1,356–358: 57 1,392 f.: 83 1,394 f.: 84 1,430: 101 1,430–434: 97 1,432: 104 1,432 f.: 103

428 2,6 f.: 84 2,14: 85 2,15–24: 55 2,22: 55 2,26 f.: 84 2,42–46: 78 2,117: 57 2,127: 55 f. 2,196: 98 2,230–234: 78 2,252: 55 2,318–320: 90 3,82: 79 3,278: 316 3,475–478: 56 4,8 f.: 100 4,12 f.: 107 4,22–38: 58 4,26–29: 64 4,125–127: 50 4,314: 79 4,318: 55 4,634–637: 64 4,642–644: 75 4,643 f.: 96 4,683: 57 4,687–693: 78 5,8–12: 78 5,61–74: 57 6,259: 55 6,291–294: 83 7,4–6: 56 7,63–68: 107 7,103–111: 57 7,108–111: 57 7,131: 131 7,293 f.: 215 8,1–45: 78 8,100–255: 241 8,101–103: 242 8,115–117: 204 8,124: 61 8,145–164: 86 8,159–164: 204 8,166–177: 204 8,169–173: 197 8,240–253: 242

Register

8,246–253: 197 8,318: 98 8,493: 201 9,122–124: 63 9,197 f.: 85 10,222 f.: 57 10,224: 131 10,348 ff.: 102 11,184–186: 81, 83 11,282: 98 11,289 f.: 98 11,489: 77 11,489–491: 67 11,494–503: 81 11,523: 201 11,550 f.: 203 13,7–15: 64, 78 13,8: 85 13,31–35: 57, 62 13,192: 131 13,222 f.: 57 13,259–268: 78 13,267–270: 57 13,272: 101 13,278: 101 13,289: 57 14,64: 95 14,80 f.: 62 14,199–234: 76, 217 14,199 ff.: 106 14,200–203: 106 14,202: 97 14,208–210: 77, 106 14,211: 77, 106 14,222: 55 14,222–228: 58, 156 14,235–239: 89 14,239: 68 14,249–251: 63, 82 14,272: 59 14,288–297: 101 14,344: 55 14,449: 102 15,187–193: 77 15,218: 57 15,313–333: 71 15,319 f.: 59

15,324: 59 15,333 f.: 72 15,403–484: 77 15,415–483: 101 15,428 f.: 97 15,505: 55 15,506 f.: 63, 82 16,140: 55 16,144: 55 16,286–289: 76 16,314: 55 16,426–429: 79 17,206: 131 17,226–228: 57 17,299: 83 17,320–324: 59 17,441: 59 18,3 f.: 204 18,84–87: 97 18,362–364: 57 18,288: 55 f. 18,357–361: 67 18,366–375: 58 18,376–380: 58 19,71–79: 77 19,197: 64 19,514: 57 20,72: 57 20,378 f.: 57 21,239: 57 21,275–329: 200 21,314–317: 216 21,321 f.: 216 21,321–329: 200 21,323–329: 69 21,331–342: 201 21,335: 216 21,350: 57 21,385: 57 22,421–423: 57 23,189–201: 57 24,17 f.: 203 24,85–94: 241 24,205–212: 57 24,206 f.: 108 24,226–257: 57 24,227–231: 150

429

Stellenregister

24,278 f.: 57 24,365–371: 150 24,388: 55 Schol. bT Hom. Il. 2,212: 80 Hybrias aus Kreta (PMG) F 909: 156 Iohannes Philoponos 89,8: 292 Isokrates or. 16,25; 288 16,33: 265 Iulian or. 6,2: 16 Iulius Africanus (Walraff) F 65 p. 200: 255 F 65 p. 204: 255 Jātakam 32: 15, 191 f. Kallistratos (FGrH 348) F 4: 127 Kantharos (PCG) F 5: 360 Klearchos (Wehrli) F 44: 149 Klei(to)demos von Athen (FGrH 323) F 13: 149 Kratinos (PCG) F 1: 356 F 223: 362

Kritias (DK) 88 B 30: 292 88 B 45: 370 88 B 52: 370 Lexeis Rhetorikai s. v. Γλαῦκος (Bekker p. 227): 255 Libanios epist. 1545,5: 16 Livius 6,35,1–5: 278 7,42,2: 278 Lukian apol. 15: 16 Herc. 8: 16 philopatr. 29: 16

Milt. 7,6: 340 Pausanias (Lexikograph) Attic. s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (ο 42 Erbse): 16 Pausanias (Periget) 1,14,7: 316 1,28,1: 252 2,18,6: 107 5,12,5: 249 5,8,7: 51 6,2,6: 254 6,3,11: 254 6,4,11: 251 6,7,4: 220, 251 6,7,5: 252 6,8,6: 329 6,10,1–3: 255 6,13,1: 254 6,18,6: 254 8,27,1: 128 10,7,5: 88

Markellinos vit. Thuk. 3: 16 f., 192

Pherekydes (FGrH 3) F 2: 17, 192 F 123: 80

Menaichmos von Sikyon (FGrH 131) F 1: 129, 137

Philochoros (FGrH 328) F 20b: 280 F 30: 341

Mimnermos (W) F 7: 131, 193

Philodemos IX, 8,35–49: 94

MyronvonPriene(FGrH106) F 2: 138

Philostratos gymn. 5: 244 13: 255 20: 255 43: 255

Nikolaos von Damaskus (FGrH 90) F 58: 122, 124 Nepos Cim. 1: 340

soph. 1,16. 501: 369

430 Phokylides (G-P) F 3: 193, 215 F 5: 131

Register

Phrynichos eclogae 164: 16 342: 16

P. 1,68: 131 1,84: 131, 133 2,82: 131 f. 3,70 f.: 131 f. 3,71: 131 3,94: 99 4,78: 131 f. 4,117: 131 4,279: 131, 133 7,10: 131 f. 7,19: 346 8,81–87: 263 9,93: 131 f. 11,28: 131

Phylarchos (FGrH 81) F 8: 127

Plato Comicus (PCG) F 203: 347

Pindar I. 2,17 f.: 86 2,37: 131, 133 3&4,3: 131, 133 3&4,79: 131, 133 7,29: 131 f.

Platon Alk. 1,121a: 289

N. 2,24: 131 8,14: 131 8,38: 131, 133 10,23–48: 246 11,17: 131–133

Kritias 110c: 292

Photios lex. s. v. Ὀργεῶνες (ο 344 Porson): 229 s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδηι (ο 363 Porson): 16

O. 3,12: 250 5,14: 131 f. 5,16: 131 6,7: 131, 133 7,81–88: 246 7,90: 131 f. 9,10: 99 9,84–99: 246 12: 251 13,2: 131 13,2 f.: 132 13,107–113: 246

Charm. 155a: 369 157e: 369

leg. 4,776c–d: 127 Tim. 20d–e: 369 24a–b: 292 Plutarch Alk. 1,1: 289 9: 358 10,1 f.: 350 13: 348 16,2: 358 23,3: 358 36–39: 355

am. prol. 2 (= mor. 493e): 112 Arist. 2: 351 7,3 f.: 348 7,5 f.: 341 7,7: 344 Cat. mai. 5,4: 219 Dion 34: 318 Her. mal. 21 (= mor. 859c–d): 331 33 (= mor. 867b): 16 Kim. 4,4: 340 5,2: 356 10,1–4: 356 16: 370 Lyk. 6,1: 228 8: 240 Nik. 3: 359 5,1: 351 11: 348 Num. 1,6: 243 Pel. 23,4: 66 Per. 7,1–2: 351 7,5: 351 praec. ger. reip. 13 (= mor. 806f): 351

431

Stellenregister

13 (= mor. 807a–b): 351 13 (= mor. 807d–e): 369

Polybios 12,5,6 f.: 236

qu. Gr. 1 (= mor. 291e): 138 57 (= mor. 303e–304c): 233, 235, 291

Poseidonios (FGrH 87) F 8: 127

Sol. 6: 112 12,1–3: 252 13,4: 306 f. 14,3: 300 15,2: 305 15,7–9: 369 18,1: 72 18,1 f.: 66, 72, 281 19: 301 19,2: 302 23,3: 268 f. 30: 311 Thes. 13: 316 25: 118, 290 32,1: 118 Them. 3,4: 351 [Plutarch] Vitae X Or. 2 (= mor. 834b): 289

Proklos chr. 178–184: 80 Quintus von Smyrna 1,722–781: 80 Sappho (L-P) F 5,14: 131 F 39: 143 F 57: 141 f. F 58,25: 139 F 98a: 143 F 98a 1–4: 142 F 98b: 143 F 98b 1–3: 142 F 98b 8–9: 143 F 132: 142 F 210: 143 P.Sapph.Obbink 1–20: 155 Scholien zu Aischines orat. 3,189: 255 Semonides (W) F 7,57–70: 111

Polemon (FHG III) F 49 p. 130 f.: 288 f.

Simonides (FGE) F 41: 257

Pollux 3,83: 128 7,68: 137 7,151: 307 8,40: 112 8,111: 277 8,129,6–130: 73 8,132: 66

Sokrates von Argos (FGrH 310): F 6: 127 Solon Lyrik (W) F 1–13: 295 F 1–3: 306 F 3: 306 F 4: 299

F 4,1–25: 299 F 4,5–8: 87, 153 F 4,6: 131, 300 F 4,7: 303 F 4,7 f.: 300 F 4,9–13: 300 F 4,11: 87 F 4,17 ff.: 301 F 4,17–19: 301 F 4,18–20: 311 F 4,23–25: 304, 307 F 4a: 306 F 4b: 300 F 5: 322 F 5,1: 312 F 5,3: 303 F 6: 303, 305 F 6,1: 303 F 6,3 f.: 87 F 9: 301, 305, 311 F 9,3: 303 F 9,3 f.: 303 F 10: 133, 311 F 10,1: 131 F 11: 301, 305, 311 F 15: 87, 153, 194 F 32: 312 F 32–37: 295 F 33: 312 F 34: 312 F 34,7–9: 308 F 34,9: 303 F 36: 302, 307 f. F 36,1 f.: 330, 339 F 36,8–15: 304 F 36,9 f.: 303 F 36,16: 312 F 36,18: 303 F 36,18–20: 298 F 36,20–22: 303 F 36,20–23: 312 F 37,4: 303 F 37,8 f.: 308 Gesetze (Ruschenbusch bzw. Leão & Rhodes) F 5a: 237, 295, 301, 316

432 F 22/1 (Leão & Rhodes): 309 F 26: 309 F 30a: 310 F 31a–b: 310 F 37a: 295, 303 F 50a–b: 112, 309 F 51/1 (Leão & Rhodes): 281 F 57: 112, 309 F 57/a (Leão & Rhodes): 112, 309 F 48a–b: 112, 309 F 66/1d–g (Leão & Rhodes): 92 F 67: 307 F 69a–c: 305 F 70: 309 F 72a: 316 F 74a–e: 310 F 74/g (Leão & Rhodes): 310 F 74/f (Leão & Rhodes): 310 F 74/1a–c (Leão & Rhodes): 72, 281 F 75: 309 F 76a: 229 F 76b: 229 F 78a–c: 92 F 89/1a (Leão & Rhodes): 268 F 89/1b (Leão & Rhodes): 268 F 89/1c (Leão & Rhodes): 269 F 143a: 268 F 143b: 268 F 143c: 269 F 148a–e: 92 Sophokles Ai. 1121: 361 1369: 361 El. 162: 286 859: 286 1081: 286

Register

Ion 1073: 286 Iph. A. 177: 286 1077: 286 Fragmente (Radt) F 298: 361 Strabon 8,3,2: 118 8,7,1: 291 12,3,4: 127 13,2,3: 157 Suda s. v. Γλαῦκος Καρύστιος (γ 281 Adler): 255 s. v. κατωνάκη (κ 1114 Adler): 137 s. v. Ὀργεῶνες (o 511 Adler): 229 s. v. Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (ο 978 Adler): 16 s. v. Πιττακός (π 1659 Adler): 284 s. v. Συβαριτικαῖς (σ 1271 Adler): 233 Synagoge lexeon chresimon s. v. Γλαῦκος Καρύστιος (Bekker p. 332): 255 Theognis 1,19–30: 120 1,19–254: 120 1,24: 131, 133 1,41: 131 1,41 f.: 132, 153, 300 1,53–56: 121 1,53–68: 193 1,61: 131 1,61–68: 132 1,153 f.: 87 1,173–180: 153

1,175–180: 155 1,183–196: 194 1,191: 131 1,191 f.: 132 1,193: 284 1,232 f.: 193 1,267–270: 153 1,283: 131 1,283–286: 132 1,309–312: 147 1,315–318: 87, 153, 194 1,341–350: 234 1,367: 131, 133 1,455: 131 1,523–526: 153 1,621 f.: 153 1,665 f.: 193 1,667–670: 153 1,699 f.: 153 1,739: 131, 133 1,749: 131 1,751: 87 1,795 f.: 193 1,835: 87 1,891–894: 120 1,928–930: 153 1,937: 131 1,1061 f.: 153 1,1082a: 131 1,1082a–b: 132, 153 1,1103 f.: 120 1,1117 f.: 153, 193 1,1174: 87 1,1184a: 131, 133 Theopompos (FGrH 115) F 91: 342 F 117: 139 F 176: 129, 137 Thukydides 1,6,3: 149 1,20: 320 1,116,1: 339 1,126: 252 2,13,1: 339

433

Stellenregister

2,14–17: 348 2,15: 118, 316 2,38: 358 2,39,1: 358 2,63 f.: 353 2,64,8: 353 3,82,8: 367 4,40,2: 360 4,107,3: 284 5,50,4: 262 6,16,2: 359 6,53,3–59: 320 6,54,5: 321 6,59,3: 321 8,21: 233 f., 291 8,48,6: 360 f. 8,54,4: 365 8,64,3: 368 8,65 f.: 365 f. 8,65–70: 365 8,66,1 f.: 366 8,66,1–3: 365 8,66,3–5: 366 8,73,3: 347 Timaios (FGrH 566) F 8: 127, 233 F 9: 190

F 11a: 124 F 157: 94

5,2,7: 154 5,3,9: 128

Tyrtaios (W) F 4: 228 F 12: 133, 193 F 12,1–4: 269 f. F 12,39: 131

Lak. pol. 15,3: 84; 88

Xanthos der Lyder (FGrH 765) F 7: 286

oec. 1,17: 290

Xenophanes (W) F 2: 133, 193, 218 f. F 2,1–11: 270 F 2,6: 131 F 3: 139, 153 Xenophon hell. 1,4,10: 339 1,4,16: 367 1,5,17: 355 1,5,19: 252 2,1,25 f.: 355 2,3,24: 355 5,2,4 f.: 51

mem. 2,8,3: 97

symp. 8,40: 289 [Xenophon] Ath. pol. 1,3: 338, 365 1,10: 149 1,13: 365 2,7 f.: 364 2,7–10: 365 2,10: 266 2,20: 368 Zenobios 5,31:16

b) Nichtliterarische Quellen ARV2 6: 16 AVI 3450: 16 BrU 2: 247, 250, 261 6: 247, 250 CEG 265: 254 394: 269 432: 196

DAA 6: 283 76: 254 326: 17 330: 283, 321 Gagarin & Perlman Dr1: 223, 231 ICret 1,9,1: 232 IEph 2005: 266

IG I3 82: 347 I3 85: 347 I3 104: 237, 280, 295, 298, 301 I3 104 Z 18 f.: 237 I3 104 Z 27 f.: 316 I3 244 C Z 16: 316 I3 507: 17, 245 I3 510: 321 I3 508: 245 I3 590: 283, 321 I3 618: 283 I3 823: 254 I3 1031: 322, 327

434 I3 1194bis: 315 I3 1234: 283 I3 1386: 260 I3 1516: 282 II2 2311: 260 II2 2318 Z 34: 352 IX 1,867: 267 IX 12 717: 238 IX 12 717 B Z 10–17: 238 IX 12 3,609: 238 IX 12 3,609 A Z 6–9: 238 XII 9,296: 282 IvOl 2: 250 Koerner 11: 237 f., 295, 301 11 Z 27 f.: 316 37: 250 47: 238 61: 302 78 B Z 3–8: 312 79: 312 90: 223, 231 f.

Register

Meiggs & Lewis 2: 223, 231 4: 267 6: 322, 327 8: 302 13: 238 30 B Z 3–8: 312 86: 237, 295, 301 86 Z 27 f.: 316 Minon 5: 247, 250, 261 20: 250 NIO 2: 247, 250, 261 3: 250 Nomima 1.02: 237 f., 295, 301 1.02 Z 27 f.: 316 1.34: 267 1.44: 238 1.53: 238 1.62: 302

1.81: 223, 231 f. 1.104 B Z 3–8: 312 1.105: 312 Ostraka (Brenne 2018) 1781: 286 1781–1787: 286 8463: 346 Papyri P.Berol. 21107: 95 P.Oxy. 1233 fr. 11: 157 P.Oxy. 1800 fr. 1: 142 P.Rylands 18 (= BNJ 105 F 1): 332 P.Sapph.Obbink 1–20: 155 SEG 19.698: 139 26.1137: 155 29.414: 251 48.370: 155 58.1302: 266

Ortsregister

435

Ortsregister Achaia (nicht mythisch): 281 Ägypten: 247, 281 – Theben: s. dort Aigina: 146, 155, 246 Aigospotamoi: 355 Aitolien: 13, 83 Albanien: 113 Amerika: 33 Anatolien/Kleinasien: 60, 145, 176, 249, 333 Arginusen: 357 Argolis: 118 Argos: 15, 127–129, 244, 246, 249, 257, 319, 331 Arkadien: 246, 248 Aschkelon: 157 Asien: 254 Askra: 76, 78, 108, 111, 155, 241 Athen: 13, 16 f., 20, 22, 24–28, 33, 42, 52, 66 f., 70, 72–74, 90, 105, 108 f., 112, 118, 120, 122 f., 125 f., 129 f., 134–137, 142, 147, 149, 152 f., 166, 175 f., 187, 190–193, 195, 220, 233, 235–237, 240 f., 246 f., 251 f., 254, 257 f., 264–266, 271, 275–283, 285–288, 290–307, 309, 311–321, 323 f., 327, 329 f., 332–340, 345, 348–356, 358 f., 363 f., 366–371, 373, 377 f. – Agora: 321 – Akropolis: 17, 145, 245, 252, 254, 283, 317 f., 321, 324, 329, 356 – Chora: 108, 118, 122, 317, 333 (s. auch Attika) – Kerameikos: 219, 283, 343, 356 Attika: 164, 281, 304, 306 f., 309 f., 314–317, 323 f., 326, 328, 333–336, 346, 348, 354, 377 – Eleusis: 309, 329 – Hagnus: 316 – Leipsydrion: 285, 317, 333 – Marathon: 220, 333, 340 – Nekropole bei Paleo Faliro: 252 – Nordwest-Attika: 316 – Pallene: 316 – Skambonidai: 316 – Südattika: 315 f. Azoria: 116 Babylon: 51, 157 Baselbiet: 66, 74 Bern: 152

Boiotien: 118, 241, 262, 281 – Askra: s. dort – Plataiai: s. dort – Theben: s. dort Buprasion: 241 Byblos: 98 Byzanz: 127 Cerveteri: 108 Chaleion: 238 Chalkis: 146, 153, 233 f., 241, 334 Chersones: 89 Chios: 301 f. Delphi: 154, 156, 174 f., 177, 246 f., 249, 254, 259, 270, 319, 329, 357 Deutschland: 29, 31, 34, 59, 163, 168–174, 177, 181, 184 f., 248, 375 – Deutsches Reich: 33, 170, 367 – Norddeutschland: 39 – Sachsen: 31 f. – Westphalen: 66, 74 – Wirtemberg: 77 Dreros: 223, 231 f. Elis: 51, 88, 118, 126, 152, 241 f., 244 f., 247 – Buprasion: s. dort England: 163 f., 169, 173 f., 258 Ephesos: 225, 254, 264 Epidauros: 138 Eretria: 13, 282, 317 Erythrai: 122 f., 140 Etrurien: 155, 249 – Cerveteri: s. dort – Gravisca: s. dort Euböa: 108, 241, 259, 283, 285 f., 334 – Chalkis: s. dort – Eretria: s. dort – Lefkandi: s. dort Florenz: 278 Frankreich: 33 f., 38, 59, 102, 163 f., 167–169, 173 f., 323 Gortyn: 112, 126 Gravisca: 155 Habsburger Monarchie: 29 – Niederöstreich: 30 Herakleia am Pontos: 127 Himera: 251

436

Register

Indien: 15 f., 28, 189, 191 f. Ionien: 145, 149, 176, 180, 240 ,306, 331, 333, 374 Italien: 13, 248, 278 Ithaka: 64, 72, 81, 84 f., 108, 131 Kamarina: 254, 265 Kardia: 233 Karystos: 254 Kaulonia: 254 Keos: 118 Kephallenia: 122 f. Kolophon: 120, 139, 142, 150, 153 Korinth: 13, 122 f., 235, 247, 281, 320 – Isthmos: 245 Korkyra: 267 Kreta: 57, 64, 76, 78, 106, 126–128, 147, 156, 167, 225 f., 228, 232, 239, 241, 254 Kroton: 15, 253 f., 265 Kydonia: 127 Kyme (Aiolis): 76, 155 Kyrene: 84, 88, 126 Lampsakos: 321 Lefkandi: 227 – Heroon von Lefkandi: 227 Lesbos: 80, 133, 141, 236, 283 f., 317 – Mytilene: s. dort Lokris: 238 – Chaleion: s. dort – Naupaktos: s. dort – Oiantheia: s. dort Lydien: 15, 89, 117, 135, 139 f., 143–145, 149, 240, 249, 286 – Eupatria: 286 – Sardis: s. dort Magnesia: 120 Makedonien: 166, 249, 262 Mantineia: 51, 154 Megara: 120, 129, 246, 252, 309 Megara Hyblaia: 116, 146 Melanesien: 36 Mesopotamien: 51 Methone: 52 f. Milet: 249, 254, 292, 312, 358 – Chora: 108, 118 – Heilige Strasse nach Didyma: 146 – Kokkinolakka: 146 Mytilene: 143, 284 Naher Osten: 25, 50 f., 157

Naupaktos: 237–238 Naxos: 124 f., 146, 302, 319, 321 Nemea: 245 f., 270 Oiantheia: 238, 267 Olympia: 13 f., 19, 51, 87, 89, 154, 168, 174, 179, 218, 220, 242–253, 255, 259–262, 266, 268–271, 359 – Heratempel/Heraion: 244–246 – Pelopion: 244, 246 Palästina: 157 – Aschkelon: s. dort Pellene: 246 Peloponnes: 13, 118, 249, 332 Pergamon: 332 Persien: 156, 253, 332, 342, 364 Phrygien: 249 Pisa/Pisatis: 218 f., 244 f., 270 Plataiai: 165 Pylos: 75, 79, 89 f., 241 Rhodos: 220, 246, 251 Rom: 37–39, 67, 93, 108 f., 119, 147 162, 167, 172, 217, 232, 248, 267, 276, 278 f., 287, 294, 320, 322, 339, 352, 355, 364, 378 Salamis: 254, 256, 260, 306, 331, 356 Samos: 148 f., 154 f., 220 f., 233–236, 240, 291, 347, 366 – Heraion: 142, 145, 148 – Kap Phoneas: 145 Sardis: 143, 332 Scheria: 131 Sikyon: 13–15, 17, 22, 113, 129, 137 f., 179, 189, 190–192, 218, 246, 320, 331 f. Sizilien: 249 Smyrna: 120, 249 Sparta: 37, 63, 79, 84, 88, 100, 107, 112, 126–128, 138, 147, 154, 167, 221, 228, 239 f., 251, 262, 293, 324, 328, 331 f., 348, 358 – Lakonien: 127 f., 152, 358, 368 – Periökenstädte: 88, 126 Süditalien/Unteritalien: 190, 249 Sybaris: 190, 233, 253, 269 Syrakus: 127, 131, 145, 233, 254, 291, 318 Tegea: 257 Teos: 312 Thasos: 368 Theben in Ägypten: 50 f. Theben in Boiotien: 241, 246, 319

Ortsregister

Thessalien: 13, 127, 143, 293 Thourioi: 251 Thrakien: 270, 284, 319, 340, 354 f. – Chersones: s. dort – Methone: s. dort – Rhaikleos: 319 Thurgau: 278

437

Tiryns: 129 Troia: 47, 59, 61, 67 f., 78 f., 89, 131, 195 f., 199– 201, 204, 236, 242 – Berg Ida: 57 Westgriechische Kolonien: 116 Zypern: 255

438

Register

Personen- und Sachregister Ackerbürger/Ackerbürgerstadt: 116 f., 119, 138, 150 Adel als Idealtypus: 35–40, 42, 59, 71, 89, 157, 186, 224, 294, 366, 370, 372, 378 Adeligkeit: 31–34, 36–40, 77, 191, 213–215, 221, 239, 349, 367, 370, 375 f. Agariste von Sikyon: 13 f., 17, 27, 113, 179, 185, 189 Agonalität/das Agonale/agonales: 14, 41, 162 f., 168, 174, 177–181, 183–185, 187, 195, 209, 224 f., 248, 256, 375, 378 Agora: – als Platzanlage: 115 – Bedeutung als Platz bzw. Versammlung: 140 – in Athen: 282, 321, 351 – in den Epen: 55, 78, 83–85, 197–200, 202, 204 f., 210–212, 215, 228, 233 f. – in Kolophon: 139 f., 142, 149 – in Mytilene: 133, 234 – in Syrakus: 318 Aisymneten: 175, 312 Alexander I von Makedonien: 249 f. Alexander III von Makedonien: 166 Alkaios von Lesbos: 50, 86, 133, 140 f., 143, 157, 234, 236, 283 f., 317 Alkibiades von Athen: 262, 265 f., 288–290, 339, 346–348, 350 f., 354–356, 358 f., 363, 367, 369 Alkmeon von Athen: 15, 18 Alkmeoniden von Athen: 14, 16–18, 134, 166, 189 f., 247, 252, 285, 288, 290, 313–317, 319, 322 f., 327, 332 f. Alphabet: 52 Ältestenräte: 37 – Geronten: 63 f., 83–85, 228 – Spartanische Geursia: 229 Amateur (Sportler): 88, 255 f., 258, 263 f. Anakreontische Vasen: 135, 145, 149 Antigonos I Monophthalmos: 332 Apella von Sparta: 229 Archilochs: 30, 50, 80, 131 f., 193 Archon/Archontat: – in Athen: 17, 28, 192, 279, 294 f., 309, 321 f., 327–329, 337–339, 349, 369 – 10 Archonten von 579/8: 291–294, 315 – Archontenliste: 321 f., 327 – in Delphi: 156

Areopag von Athen: 93, 280, 301 f., 326, 329 f., 333, 341 Aristides von Athen: 344 f., 351, 363 aristokratia: 367 f., 370 „Ascribed“ vs. „achieved status“: 37, 203, 270 astos: 112, 130–134, 139 f., 148, 152–154, 218, 220 f., 236, 300–304, 315 Athenaion politeia (Quellenwert): 295–297 Attalos I von Pergamon: 332 Autonome Intelligenz: s. Freie Intelligenz Austerität: 167, 239 f. (s. auch Kargheit) Bakchiaden von Korinth: 235 Banause/banausos: 60, 361 f. Banketthäuser: 148 basileus (in den Epen): 63, 78, 80 f., 83 f., 89, 196, 204 f. Bastard/nothos: 93, 105–112, 155 f., 195 f., 217, 236, 309 beltistoi: 361, 368 Berner Twingherrnstreit: 152 Berve, Helmut: 19 f., 182–184, 209, 235, 340 Big man: 23, 36, 71, 78, 82, 100, 125, 227, 230, 302 Big man/big man-Gesellschaft: 23, 71, 82, 200 (s. auch Gesellschaft) Bourgeoisie: 22, 24, 187, 192, 276 Bourdieu, Pierre: 27, 33 f., 38, 88, 90, 191, 210 (s. auch Habitus, Kapital) Branchiden von Milet: 146 Burckhardt, Jacob: 14, 163, 168, 174, 177–182, 183–185, 187, 209, 256, 368 Bürgerin (Rolle im Kult): 105, 142 (s. auch Priesterin) Chairion von Athen: 282–287 Charismatische Elite: 34 – Erbcharisma: 38 chrestoi: 361 f., 368 Corpus Theognideum (zum Corpus): 120 Curtius, Ernst: 168, 174–178, 180, 183, 209 Damasias von Athen: 291 f. „Dark Ages“: 23 f., 48–50, 100, 115, 217, 226–228, 282, 316 Datierung der homerischen Epen: 50–54

Personen- und Sachregister

Demetrios I Poliorketes: 332 Demonstrativer Konsum: 26, 39, 62, 146 f., 153, 239 f., 243, 357 f., 362, 364, 374, 377 Devianz: 18 f., 28, 42, 187, 191 f., 195, 218, 355 Diagoras von Rhodos: 246, 251 diapsephismos: 328, 333 Dicke (pachees): 146 Dionysios I von Syrakus: 254 Dionysios II von Syrakus: 318 dmoes: 59, 75, 96 f. Dorieus von Rhodos: 220, 251 f. Drakon von Athen: 237, 275, 280, 295 f., 298 Duruy, Victor: 168 Elitetheorie: 33, 37 Ephialtes von Athen: 73, 338 f., 351, 363 f. Erbrecht: – Anerbrecht: 74, 75, 77 – Erbtöchter: 281 – Realteilung: 67, 74 f., 77, 82, 107 – testamentarische Verfügung: 109 Ergoteles von Himera/Knossos: 251 Eualkides von Eretria: 253, 256 eugeneia: 132, 193 f., 215, 288 Eupatriden von Athen: 22, 27, 42, 235, 275–294, 311, 315, 370, 378 f. Französische Revolution: 323 Freie Intelligenz: 175 Fustel de Coulanges, Numa Denis: 167 f. Gastfreundschaftsbeziehungen: 14, 19, 100, 154, 221, 268, 319, 327, 329, 336, 374 Geld: 24, 86–92, 153 f., 157, 194, 253, 264, 266, 300, 319, 340, 349, 351, 354, 356 – Brautgeld: s. Heirat Gelon von Syrakus: 254 f. Geneleos-Gruppe: 145 f. genos: 22, 132, 166, 214–216, 226, 288–290 (s. auch Geschlechterstadt) Geomoren/geomoroi: 233–235, 240, 290 f., 315 – in Samos: 233–235, 240, 291 – in Syrakus: 233, 291 Geschlechterspezifische Arbeitsteilung: 97, 102 f. Geschlechterstadt/Stammesstaat: 22 f., 161, 226 (s. auch genos)

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Gesellschaft: – face-to-face-Gesellschaft: 91, 337, 355, 378 – face-to-face-Strukturen: 116 f. – funktional differenziert: 31–33, 39, 186, 207 f., 210, 261, 350 – segmentär: 23, 36 f., 82, 85, 115 f., 151, 186 (s. auch big man-Gesellschaft) – stratifiziert: 23, 32 f. 36, 39, 85, 113, 186, 208, 211, 213, 227, 230, 350 (s. auch Stratifikation) Gesellschaftsbegriff: 21, 164–166, 181 f., 185 Gesellschaftsnation: 184 Glaukos von Karystos: 254 f., 265 gnesios: 105, 112, 302 Grab der ‚rich lady‘: 72, 281 f. Große Rhetra Spartas: 228 Grote, George: 164–167, 169, 178 f. Gyges von Lydien: 249 Gymnasion: 13, 242, 261, 266 gymnetes in Argos: 128 f. Habitus: 31, 33 f., 139, 357, 359 (s. auch Bourdieu) Handel: 52, 76, 86, 91 f., 149, 155, 180, 192, 229 – Händler: 73, 101, 111, 155 f., 204 Handwerker: 73, 195 f., 201, 291 f., 294, 309, 361 f., 370 (s. auch Banause) Heirat/Heiratspraktiken: 14 f., 17, 48, 56, 76 f., 98, 100 f., 103 f., 106 f., 110–113, 124, 179, 189 f., 200, 234–236, 253, 284, 319, 352, 354, 374 (s. auch Hochzeit der Agraiste) – hedna/Brautgeld: 98–110, 112–113 – Mitgift: 98–100, 112–114 – überregionale Heiraten: 14, 100, 107, 113, 190, 236, 284, 319, 354, 374 hektemoroi in Attika: 129, 296, 304–308 Hellanodiken: 250 Heloten: 126–128, 138 Heraklit von Ephesos: 225, 240 Herolde (bei Homer): 58, 84–86 Herrschaftsfremde Verbandsverwaltung: 226 Hetairien: 147 f., 323, 330, 348, 365, 378 Heuss, Alfred: 19–22, 24, 29 f., 161 f., 175, 182– 184, 223, 227, 248 Hieron I von Syrakus: 131, 254 hippeis: 21, 73, 153, 233, 337 hippobatei in Chalkis: 146, 153, 233 f. Hippodamos von Milet: 292 f.

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Register

Hippokleides von Athen: 13–19, 28–30, 42, 189–192, 218, 355 Hippotrophie/Pferdezucht: 153, 180, 233, 239, 259, 265 Hochzeit der Agariste: 13–19, 27, 113, 179, 185, 189–192 (s. auch Agariste, Heirat) Hofübergabe/Übergabe der Hausgewalt: 77, 92, 108 f. Honoratioren: 153, 224, 226, 231, 234, 236 f., 240 f., 258, 285, 303, 325, 327, 329, 330, 376 – Definition: 226 Hoplitenrevolution/Phalanx: 21 f., 162, 185, 266 Humboldt, Wilhelm von: 171–173, 175 f., 180 f. Hybrias der Kreter: 156 Hyperbolos von Athen: 342, 347–349, 352, 362 f. Ionischer Aufstand: 165, 253, 256 Isagoras von Athen: 323–330, 332–335, 339 Isthmien: 245–247, 268, 270 Iterationsverbot: 223, 225, 231 f., 338 Kakopatride: 236, 283, 286 f. Kallias (III) von Athen: 289, 356 f., 359, 369 kaloikagathoi/kalos kagathos: 128, 360–362 Kalokagathie: 179–181, 203 Kapital: – kulturell: 39 – ökonomisch: 39, 88, 90, 258, 264 f., 372 – sozial: 39, 88, 264 – symbolisch: 34, 36, 38–40, 71, 77, 88–90, 214, 258, 267, 279, 360, 372 Kargheit: 39, 358, 367 (s. auch Austerität) Kartell: 209, 226, 231, 234 (s. auch Konkurrenz) Kaste: – Priesterkaste: 146 – Adelskaste: 236 – Eupatriden als „Kaste“: 275, 277, 280, 283, 285, 290, 292, 315 katonake: 129, 135–137 – katonakophoroi: 129, 136–138 Keryken von Athen: 289 (s. auch genos) Kimon d. Ä. von Athen: 219–221, 251, 253, 320 Kimon d. J. von Athen: 190, 338, 354, 356, 359, 370 Klassenkampf: 25, 74, 79, 193 f., 305, 309, 362 Kleanaktiden von Lesbos: 142 Kleinbauer/kleinbäuerlich: 66, 71, 73, 307, 373

Kleisthenes von Athen: 22, 189, 252, 310, 314, 318, 322–333, 335, 339, 341 Kleisthenes von Sikyon: 13–15, 17 f., 22, 28, 30, 113, 179, 189, 191, 331 f. Kleomenes I von Sparta: 127, 221, 323–330, 332 Kleomrotos von Sybaris: 269 Kleon von Athen: 351 f., 359, 363, 370 kleros/Landlos: 76 f., 81, 83, 95, 106, 108, 240 Kolonien/Kolonisation: 51, 108, 116, 127, 248, 315, 319, 340 – Klerurchie: 334 – „Kolonialer Mensch“: 180 Kommensalität/kommensale Praktiken: 116, 142, 147, 227, 239 f. (s. auch Symposion) Kommunalismus (in der Frühen Neuzeit): 75, 226 konipodes: s. Staubfüßler Konkurrenz: (s. auch Agonalität, Kartell) – Geltungskonkurrenz: 42, 82, 186, 194, 210, 221, 223, 271, 376 f. – Normenkonkurrenz: 26, 28 – Konkurrenzmodell nach Simmel: 207–209 (s. auch Simmel) – „Dritte Instanz“: 207, 209, 212, 218, 336, 339, 349, 355, 358, 364, 370 Koren des Cheramyes: 141 f. korynephoroi: 128 f. Kosmos von Dreros: 223, 231 f. Kritias von Athen: 292 f., 366, 369 f. Kroisos von Lydien: 15, 18 Kulturnation: 169, 173, 184 Kylon von Athen: 252 f., 256, 265, 295 f., 315 Kylonischer Frevel: 252, 290, 295, 316, 324 Kypseliden von Korinth: 13, 16, 120, 250, 320 Kypselos von Korinth: 134, 250 Landknappheit: 108 (s. auch Überbevölkerung) Lelantischer Krieg: 53, 120 Lichas von Sparta: 240, 262 Luhmann, Niklas: 23, 31–34, 36–38, 151, 186, 207 f., 210 f., 271, 350, 352 (s. auch Systemtheorie) Luxus: – Grabluxus: 240, 315, 364 – Kleiderluxus: 140, 147–150, 153 (s. auch Lydisierende Tracht, Purpur)

Personen- und Sachregister

– Luxuskonsum: 359, 364 (s. auch Demonstrativer Konsum) – Luxuskritik: 139, 162, 357 f., 364 – Luxusspeise: 62, 364 Lydisierende Tracht/Mode: 135 f., 139 f., 143–140 Lykurg von Athen: 313 f. Lykurg von Sparta: 84, 88, 240 Maiandrios von Samos: 154, 220 f., 236 Mantelkouroi: 145 f. Megakles von Athen, Sohn des Alkmeon: 14 f., 17–19, 189, 313 f., 317–319 Megakles von Athen, Sohn des Hippokrates: 346 Menekrates von Oiantheia: 267 f. Menschenmangel: 306, 309, 334 Metöken (in Athen): 126, 149, 241, 309, 354 Midas von Phrygien: 249 Milon von Kroton: 15, 253 f., 265 Miltiades d. Ä. von Athen: 89 f., 340, 354 Miltiades d. J. von Athen: 20, 149, 220, 332, 340 f. Misogynie: 67, 96, 99, 111 Muße/müßig: 24, 55 f., 60, 62, 75, 92, 97, 138, 259, 264, 362 Nacktheit antiker Athleten: 261 Negative Privilegierung: 234, 278–280, 287 Nemeen: 245 f., 270 Neoevolutionismus: 23 f., 54, 227, 243 Nestorbecher: 52 „Neuer Streit um Troia“: 47 Neuhumanismus: 169–175, 178, 181 f., 187 Neureiche/neureich: 18, 22, 28, 120, 152, 192 f., 275, 279, 284, 362–364, 366, 370, 375, 377, 379 – neoploutos: 362–364 „New politicians“: 348, 352, 357, 363 f. Nikias von Athen: 347 f., 351 f., 356, 359 Nobilität (Rom): 267, 276, 339 Nomos agamiou: 112 nomos argias: 91, 93 „Okzidentale Stadt“: 151, 226 Olympiasieg/Olympionike: 38, 87 f., 218, 239, 249, 251–255, 257, 262, 265 f., 268–271, 320, 329

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Olympionikengesetz Solons: 269, 271 Olympionikenliste: 243, 249, 255 Olympische Spiele: 13 f., 19, 51, 87–89, 168, 179, 218, 220, 242 f., 245, 249 f., 255 f., 259 f., 262, 268, 270, 359 Orthagoniden von Sikyon: 320 Ostrakismos: 333, 341–350, 355 Päderastie: 310, 350 f. pachees: s. Dicke Panathenäen: 17, 192, 245, 260 Panathenäische Preisamphoren: 17, 245 patrios politeia: 292 f., 368 f. Peisirodos von Rhodos: 220, 251 Peisistratos von Athen: 15, 52, 73, 110, 123 f., 134, 137, 180, 219–221, 286, 298, 311–314, 316–322, 328 f., 351 Peisistratiden von Athen: 251, 285, 317, 320 f., 326–330, 333, 342 Peloponnesischer Bund: 331 f. Peloponnesischer Krieg: 251 f., 266, 313 Penesten in Thessalien: 127 f. Penthiliden von Lesbos: 284 Periander von Korinth: 122, 124, 134 Perikles von Athen: 17, 24, 190, 252, 264, 338 f., 351, 353, 358 f. periodos: 245, 249, 266, 270 Periöken: – in der Argolis: 127–129 – in Elis: 126, 152 – in Herakleia: 127 – auf Kreta: 126, 128 – in Kyrene: 126 – in Lakonien: 84, 88, 126, 128, 152 Perserkriege: 19 f., 248, 252, 254, 336, 354 Phaÿllos von Kroton: 253 f., 256 Pheidon von Argos: 15, 244 Philaiden von Athen: 17 f., 190, 219, 319 f., 322 Philipp V von Makedonien: 332 Phylenreform: – in Athen: 22, 126, 152 f., 315, 318, 323–328, 330–336 – in Kyrene: 126 – in Sikyon: 22, 331f Pittakos von Lesbos: 18, 133, 236, 283 f. 286 Plutarch (Quellenwert): 138, 235, 345 Polykrates von Samos: 149, 220, 236

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Register

Polymestor von Milet: 249, 255 poneros: 362, 364 Popularklage: 91 Priester: 85, 146, 175, 196, 211, 220, 228, 236, 255, 280, 289, 291, 357 Priesterin: 85, 145 (s. auch Bürgerin) Prominenzrolle: 208, 210 f., 221, 225 f., 240, 254, 256, 258, 264 f., 340, 352 Proxenie: 267 f. – Proxenos: 238, 247, 267 f. Purpur: 123, 139 f., 142 Pythien: 88, 245, 253, 259, 270, 329 Rat der 400 von Athen: – Rat von 411: 301, 366 – Solonischer Rat.: 301 f., 325 f., 330 Rat der 500 von Athen: 325 f., 334, 341, 346, 365 f. Rat von Chios: 301 f. Regimentsfähigkeit: 72, 132, 153, 224, 226, 232– 235, 239 f., 301–303, 309 f., 322, 325, 337 f., 373 Religion/religiös: 142, 166–168, 174, 177, 246, 286, 290, 362 (s. auch Priester) Rügebrauch: 56, 79, 92, 125 Ruf: 68, 89, 109, 200, 259, 357 Sappho von Lesbos: 50, 139, 141–143, 155 Schiller, Friedrich von: 170 seisachtheia: 302, 306 f., 309, 369 Simmel, Georg: 29–31, 33 f., 40, 42, 59, 207–211, 213, 218, 225, 234, 278 f., 339 Sklaven/Sklaverei: 57, 59, 62, 67, 94, 96 f., 101 f., 110 f., 122, 124, 126–129, 220, 231, 253, 304–306, 309 f., 347, 362 – Sklaventracht: 135, 137, 149 f. (s. auch gymnetes, kanonakophoroi, korynephoroi, Staubfüßler) Söldner/Söldnerwesen: 50, 155–157, 248, 285, 319, 329 Solon von Athen: 18, 22, 72, 86, 92, 109, 112 f., 131–133, 180, 194, 229, 268 f., 275–277, 279– 282, 287, 291–312, 315 f., 322, 330, 334, 339, 341 f., 369 f. Sostratos von Aigina: 155 Soziale Schließung/Abschließung: 37, 39 f., 213 f., 221, 235, 375 f. Staatlichkeit: 23, 48, 91, 162, 183, 186, 227, 312, 323, 340

Staatsbegriff: 21, 186 Ständekampf: – in Griechenland: 161, 193, 276 – in Rom: 39, 276, 278 f., 294, 378 Stasis-Gesetz Solons: 341 f. Stasis: 124, 129, 215, 251, 284, 286, 301, 303, 311, 314–318, 324, 328 f., 333, 335, 342 Staubfüßler in Epidauros: 138 Strategen-Amt: 253, 338 f., 349, 354 Stratifikation: 23, 33, 36 f., 40, 76, 128, 138, 150 f., 157, 210 f., 352, 374, 378 (s. auch Gesellschaft) Symposion: 18, 70, 125, 135, 140, 142, 146–149, 162, 185 f., 230, 233, 240, 304, 357, 362, 374 (s. auch Kommensalität) Synoikia: 316 Synoikismos: 118, 129 f., 291, 316 Systemtheorie: 186, 271, 350 (s. auch Luhmann) Telestagoras von Naxos: 124 f., 152, 302 temenos: 63, 83–85, 88, 91 Themistokles von Athen: 262, 346, 351, 363, 370 Theten: 66 f., 71–73, 75, 96 f., 233, 325 (s. auch Zensusklassen) Thersites-Episode: 79–81, 86, 204 Timesitheos von Delphi: 329 Trainer von Athleten: 255, 263 f., 266 f. Tyrtaios von Sparta: 131, 193, 228, 268, 270 f. Überbevölkerung: 306 (s. auch Landknappheit) Unterbäuerliche Schicht: 65 f., 71, 74 f. Urbanisierung: 41, 82, 91, 115 f., 118 f., 125, 153, 375 Veblen, Thorstein: 26, 39, 56 (s. auch Demonstrativer Konsum) Vollbauer, vollbäuerlich: 24, 65–68, 70–76, 78, 82, 89, 97, 110, 214, 232, 259, 373 Weber, Max: 22, 34 f., 37, 81, 89, 91, 116, 119, 151, 161, 224, 226 f., 230 f., 236, 278 f., 376 Whibley, Leonard: 25, 166 f., 192 Xenophanes von Kolophon: 131, 139 f., 146, 149, 193, 218 f., 270 f.

Personen- und Sachregister

Zensusklassen (in Athen): 66 f., 72–74, 90, 153, 233, 236, 269, 275, 280 f., 283, 291 f., 302 f., 310, 325, 337 f., 349, 373 – hippeis: s. dort – Pentakosiomedimnoi: 72 f., 281 f., 337 – Theten (als Zensusklasse): 67, 72, 233, 325 (s. auch Theten)

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– Zeugiten: 66, 72–74, 240, 337, 349 Zentrum-Peripherie-Differenzierung: 37, 41, 119 f., 122, 128, 151–154, 157, 284, 308, 310, 315, 318, 320, 326, 346, 348

historia



einzelschriften

Herausgegeben von Kai Brodersen (federführend), Christelle Fischer-Bovet, Mischa Meier, Sabine Panzram, Henriette van der Blom und Hans van Wees.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0341–0056

247. Giovanni Marginesu Callia l’Ateniese Metamorfosi di un’élite, 421–371 a. C. 2016. 200 S., geb. ISBN 978-3-515-11552-0 248. Simon Strauß Von Mommsen zu Gelzer? Die Konzeption römisch-republikanischer Gesellschaft in Staatsrecht und Nobilität 2017. 264 S., geb. ISBN 978-3-515-11851-4 249. Florian Sittig Psychopathen in Purpur Julisch-claudischer Caesarenwahnsinn und die Konstruktion historischer Realität 2018. 576 S., geb. ISBN 978-3-515-11969-6 250. Katharina Knäpper HIEROS KAI ASYLOS Territoriale Asylie im Hellenismus in ihrem historischen Kontext 2018. 348 S., geb. ISBN 978-3-515-11992-4 251. Frank Daubner Makedonien nach den Königen (168 v. Chr. – 14 n. Chr.) 2018. 357 S. mit 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12038-8 252. Nils Steffensen Nachdenken über Rom Literarische Konstruktionen der römischen Geschichte in der Formierungsphase des Principats 2018. 575 S., geb. ISBN 978-3-515-12136-1 253. Stefanie Holder Bildung im kaiserzeitlichen Alexandria 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. 2020. 517 S., geb. ISBN 978-3-515-12063-0 254. David Rafferty Provincial Allocations in Rome

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123–52 BCE 2019. 243 S. mit 2 Abb. und 2 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12119-4 Frank Ursin Freiheit, Herrschaft, Widerstand Griechische Erinnerungskultur in der Hohen Kaiserzeit (1.–3. Jahrhundert n. Chr.) 2019. 340 S. mit 11 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12163-7 Cristina Rosillo-López (Hg.) Communicating Public Opinion in the Roman Republic 2019. 304 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12172-9 Rafał Matuszewski Räume der Reputation Zur bürgerlichen Kommunikation im Athen des 4. Jahrhunderts v. Chr. 2019. 375 S. mit 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12233-7 Henning Börm Mordende Mitbürger Stasis und Bürgerkrieg in griechischen Poleis des Hellenismus 2019. 362 S., geb. ISBN 978-3-515-12311-2 Konrad Petzold Die großen Taten der kleinen Leute im Alten Rom 2019. 338 S., geb. ISBN 978-3-515-12215-3 Michele Bellomo Il comando militare a Roma nell’età delle guerre puniche (264–201 a. C.) 2019. 277 S. mit 6 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12384-6 Karen Piepenbrink Die „Rhetorik“ des Aristoteles und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 2020. 244 S., geb. ISBN 978-3-515-12564-2 in Vorbereitung

War die griechische Archaik ein Zeitalter des Adels? Jan Meister unterzieht diese zentrale Frage einer kritischen Neuevaluation, indem er den Adelsbegriff als analytisches Instrument verwendet, um die sich wandelnden Strategien des ‚Obenbleibens‘ archaischer Eliten genauer zu fassen. Er analysiert dabei die Transformation einer bäuerlichen Oberschicht hin zu stadtsässigen Honoratioren, deren Differenzierungsstrategie nebst Schichtung auf der räumlichen Unterscheidung von Zentrum und Peripherie beruhte. Meister bereitet das problematische Konzept einer einheitlichen ‚agonalen Adelskultur‘ der Archaik forschungs-

ISBN 978-3-515-12715-8

9 783515 127158

geschichtlich auf und ersetzt es durch ein dynamisches Modell, bei dem die Konkurrenz archaischer Eliten gerade dadurch bestimmt wurde, dass ein einheitliches Konzept von ‚Adeligkeit‘ fehlte. Das eröffnet neue Perspektiven auf die Strategien einzelner Akteure in Wechselwirkung mit sich verändernden institutionellen Rahmenbedingungen. Am Fallbeispiel Athen wird schließlich dargelegt, wie unter den Bedingungen der Demokratie verstärkt Vorstellungen von ‚Adeligkeit‘ propagiert wurden, die dann in der modernen Forschung die Konzeption der Archaik als Epoche des Adels begünstigen.

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