Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preussen 9783110865769, 3110865769

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Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preussen
 9783110865769, 3110865769

Table of contents :
EINFÜHRUNG von Otto Büsch
VORWORT des Verfassers
EINFÜHRUNG. Zu Forschungsstand, Methodenproblemen und Untersuchungsziel
ERSTER TEIL. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment in Brandenburg-Preußen
1. KAPITEL: Schule in der ständischen Gesellschaft als Gegenstand vergleichender typologisierender Betrachtung – sozialgeschichtliche Voraussetzungen
2. KAPITEL: Pietismus und Aufklärung als Bildungsprogramme unter dem preußischen Absolutismus – geistesgeschichtliche Voraussetzungen
3. KAPITEL: Kirchenregiment und Schule – ein Kontinuitätsproblem in der frühen Neuzeit
Landesherrliches Kirchenregiment und Schule seit dem 16. Jahrhundert
Das Oberschulkollegium und die „Verstaatlichung“ der Schulen
Schule und geistliche Aufsichtsfunktion seit dem 16. Jahrhundert
Patronatsstruktur und Staatskompromiß im Alten Preußen
4. KAPITEL: Staatsanspruch und Schulregiment in Brandenburg-Preußen
Schulregiment und Staatsbildung
Schule und Politik im Zeitalter der Krise
ZWEITER TEIL. Schule im absolutistischen Staat vornehmlich in Berlin-Brandenburg
1. KAPITEL: Schule und Herrschaft von der Reformation bis zum 18. Jahrhundert
Stadt und Schule seit der Reformation
Landschule und Kirchenzucht bis 1700
Land und Schuldichte im 18. Jahrhundert
Schule und Landesherrschaft im Alten Preußen
2. KAPITEL: Rekrutierung und Besoldung der Lehrer als Grundprobleme der Schulwirklichkeit
Bildung und Status des Stadtschullehrers
Nebenerwerb und „Schulberuf“ im dörflichen Nexus
Absoluter Staat und Schulfinanzierung
Die Besoldungslage des Landlehrers am Ende des Alten Preußen
Exkurs: Invalidenversorgung und Schule im Widerstreit von Konsistorial- und Kammerkollegien
3. KAPITEL: Entstehung und Wirkung organisierter Lehrerbildung
Die anarchische Form der Qualifikation
Privatinstitut und Staatsanstalt – die Anfänge organisierter Lehrerbildung
Ausbreitung und Funktion der Seminare bis 1806
Exkurs: Die selektive Aufklärung in Preußen am Beispiel der Prüfungs- und Bestallungspraxis
4. KAPITEL: Normvermittlung und Lehrinhalt: Schulbücher und ihre Verbreitung im Alten Preußen
Der Katechismus als Lehrbuch für das Volk
Der revolutionäre Rochow: Der „Kinderfreund“ und der Staat
Woellner und der Katechismusstreit
Staat und Gelehrtenschule am Beispiel der Lehrbuchfrage
5. KAPITEL: Staatsinteresse und landesherrliche Praxis im Bereich der dörflichen Schule
Das Grundproblem des Schulbesuchs oder der Wechsel von Sommer- und Winterschule
„Staatsverwaltung“ und Landschulbau im 18. Jahrhundert
Der Schulmeister im dörflichen Kräftegefüge
Exkurs: Dorfschule und Seidenbau im Auftrag des Staates
6. KAPITEL: Der Staat als Ordnungsmacht? Die Stadtschule im Preußen des 18. Jahrhunderts
Schultyp und „Schulpolitik“ im Alten Preußen
Schulreform als Modernisierungsphänomen in brandenburgischen Städten
7. KAPITEL: Staat, Merkantilinteresse und Schule in Preußen
Real- und Handelsschulen als Gegenstand privater und korporativer Initiative
Die Industrieschule als Regionalphänomen
8. KAPITEL: Schulische „Freiräume“ als Charakteristika des preußischen Absolutismus
Die Winkelschule als Schule ohne Staat
Hauslehrererziehung als Massenphänomen des 18. Jahrhunderts
„Privatunterricht“ als Typ des Freiraums an Schulen
Exkurs: Das Charakteristikum der Mädchenbildung im Alten Preußen
ERGEBNISSE. Die Schule als Verfassungsphänomen im absolutistischen Staat
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
Ungedruckte Quellen
Gedruckte Quellen
Literatur
NAMEN- UND SACHREGISTER

Citation preview

VERÖFFENTLICHUNGEN DER

H I S T O R I S C H E N KOMMISSION ZU BERLIN

BAND 62

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1985

WOLFGANG NEUGEBAUER

A B S O L U T I S T I S C H E R STAAT UND SCHULWIRKLICHKEIT IN BRANDENBURG-PREUSSEN

Mit einer Einführung

von

OTTO BÜSCH

W G DE

Walter de Gruyter

· Berlin • New 1985

York

G e d r u c k t m i t U n t e r s t ü t z u n g des F ö r d e r u n g s - und Beihilfefonds W i s s e n s c h a f t der V G W o r t G m b H , München. Die S c h r i f t e n r e i h e d e r H i s t o r i s c h e n K o m m i s s i o n zu Berlin erscheint m i t U n t e r s t ü t z u n g des Senators f ü r W i s s e n s c h a f t u n d F o r s c h u n g , Berlin.

Lektorat

der

Schriftenreihe

Christian Schädlich

CIP-Kurztitelaufnähme

der Deutschen Bibliothek

N e u g e b a u e r , Wolfgang: Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in BrandenburgPreussen / Wolfgang Neugebauer. Mit e. Eint, von O t t o Büsch. Berlin ; New York : de Gruyter, 1985. (Veröffentlichungen der Historischen Konimission zu Berlin ; Bd. 62) ISBN 3-11-009820-9 NE: Historische Kommission : Veröffentlichungen der Historischen ...

G e d r u c k t auf a l t e r u n g s b e s t ä n d i g e m Papier (säurefrei — p H 7, neutral)

@ 1985 bei W a l t e r de G r u y t e r & C o . , Berlin 30 P r i n t e d in G e r m a n y Alle R e c h t e des N a c h d r u c k s , d e r p h o t o m e c h a n i s c h e n Wiedergabe, d e r H e r s t e l l u n g v o n M i k r o f i l m e n — auch auszugsweise — v o r b e h a l t e n . S a t z u n d U m b r u c h : H i s t o r i s c h e K o m m i s s i o n zu Berlin D r u c k : W e r n e r H i l d e b r a n d , Berlin 65 E i n b a n d : L ü d e r i t z & Bauer, Berlin 61

EINFÜHRUNG Mit der Veröffentlichung des Werkes von Wolfgang Neugebauer — einer am Fachbereich Geschichtswissenschaften/Friedrich-MeineckeInstitut der Freien Universität Berlin mit dem Prädikat summa cum laude ausgezeichneten Doktorschrift — über das Verhältnis von absolutistischem Staat und Schulwirklichkeit im alten Preußen setzt die Historische Kommission zu Berlin eine Reihe von Publikationen zur preußischen Sozial-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte fort, mit der sie ihren Beitrag zu einer modernen Revision des Preußenbildes in der neueren Geschichte zu leisten wünscht. Der Autor der vorliegenden Studie ist in bezug auf Themen der brandenburgisch-preußischen Geschichte im allgemeinen und solchen bildungs- und sozialgeschichtlicher Art im besonderen in historischen Fachkreisen längst kein Unbekannter mehr. Seit dem Erscheinen seines bereits oft zitierten Aufsatzes zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert, 1 der in einer von ihm selbst mitherausgegebenen dreibändigen Anthologie zur „Modernen Preußischen Geschichte 1648—1947" in erweiterter und überarbeiteter Fassung wieder publiziert ist,2 brachte der Autor Aufsatzstudien zur Schulgeschichte preußischer Städte ebenso wie des Gesamtstaates heraus.3 Einen ständegeschichtlichen Zugang zum Verständnis der altpreußischen Zeit verschaffte er sich mit seiner Untersuchung über die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahr-

Wolfgang Neugebauer, Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in vergleichender Sicht, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 26 (1977), S. 86—128. 2 O t t o Büsch/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte 1648— 1947. Eine Anthologie, Bd. 2 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 52/2), Berlin-New York 1981, S. 541—597. 1

3 Wolfgang Neugebauer, Schule und Stadtentwicklung. 2112 Jahrhunderte Schulwirklichkeit in der Residenz und Großstadt Charlottenburg, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 103—143; ders., Schule und Industrialisierung im Norden Berlins, in: Karl Schwarz (Hrsg.), Berlin. Von der

VI

Einführung

hundert. 4 Schon vor Abfassung und Vorlage seiner hier folgenden großen Arbeit hat der Verfasser somit geradewegs auf die in ihr nun vorgelegten Forschungsergebnisse hinzielende Vorstudien geleistet. In seiner Untersuchung geht der Verfasser vor allem der Fragestellung nach, welche Erkenntnisse das Schulregiment im alten Preußen für die Bestimmung von Charakter und Wirklichkeit des Ancien Regime im preußischen Staat des 17. und 18. Jahrhunderts, also die Schule als „Verfassungsphänomen im absolutistischen Staat" für Begriff und Realität dieses Staates vermittelt. Seine Arbeit stellt einen interdisziplinären Verbund von Methoden und Ergebnissen der Schulgeschichtsschreibung, der Historischen Pädagogik und der historisch-soziologischen wie verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichen Absolutismusforschung her und schlägt thematisch wie methodisch eine neue Brücke zwischen den genannten Disziplinen, die sich gemeinsam unter anderem die genauere Abgrenzung zwischen der politischen Wirksamkeit von organisiertem Ständetum und Staatswesen in der „absoluten" Monarchie — hier im Ausschnitt der Schulgeschichte als Sozial- und Verfassungsgeschichte — zum Ziel gesetzt haben. Mit der dargelegten Originalität ihrer Fragestellung, dem in reichem Maße ausgewerteten ungedruckten Archiv- und gedruckten Quellenmaterial und ihren ganz neuen Ergebnissen gibt diese Arbeit Auskunft darüber, welche Funktion die schulische Ausbildung für die verschiedenen Schichten der preußischen Gesellschaft, insbesondere für die agrarischen Unterschichten, im 17. und 18. Jahrhundert bis zur preußischen Reformzeit hatte und welche Leistungen die Schule in der vorindustriellen Zeit während des Ancien Regime erbringen konnte. Am Beispiel der brandenburgisch-preußischen Verhältnisse vor der Reformzeit wird

Residenzstadt zur Industriemetropole, gen zum preußischen Ostdeutschlands,

Schuledikt

Bd. 1, Berlin 1981, S. 553—562; ders.,

von 1717, in: Jahrbuch

Bd. 31 (1982), S. 155—176. Siehe noch ders., Truppenchef

im Alten Preußen.

Das preußische Garnison-

Bemerkun-

für die Geschichte Mittel-

und Regimentsschulwesen

vor 1806...,

Eckart Henning/Werner Vogel (Hrsg.), Festschrift der Landesgeschichtlichen gung für die Mark

Brandenburg

zu ihrem hundertjährigen

Bestehen...,

und

und Schule in:

Vereini-

Berlin 1984,

S. 227—263. 4

Wolfgang Neugebauer, Die Stände in Magdeburg,

Halberstadt

und 18. Jahrhundert,

in: Peter Baumgart (Hrsg.), Ständetum

Brandenburg-Preußen.

Ergebnisse einer internationalen

Fachtagung

und Minden im 17.

und Staatsbildung

in

(= Veröffentlichun-

gen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 55), Berlin-New Y o r k 1983, S. 1 7 0 — 207.

Einführung

VII

der Zustand des Schulwesens, erstmals mit besonderer Ausführlichkeit des niederen Schulwesens, in Stadt und Land analysiert und einerseits dem Schulregiment des absolutistisch regierten Staates gegenübergestellt; andererseits bringt der A u t o r durch klare Schlußfolgerungen aus dem von ihm vorgelegten sozialgeschichtlichen Beweismaterial Licht in die verfassungsgeschichtlich bedeutsame Frage, wie weit und warum die absolutistische Herrschaft ihr Interesse fast nur der Ausbildung gesellschaftlicher Eliten und den höheren Schulen widmete und auf dem Gebiet des niederen Schulwesens überwiegend unwirksam blieb — jedenfalls in dem Sinne, daß über die Schulbildung keine Aktivierung der niederen Stände für Herrscher und Staat stattfand. I m Zuge der Neubestimmung des Zeitpunktes, zu dem die traditionalen Strukturen des frühneuzeitlichen Schulwesens im Prozeß der „modernen Staatsbildung" in neuerer Zeit abgelöst wurden, kann der A u t o r der historischen Pädagogik ebenso wie der Schulgeschichtsschreibung vorhalten, daß sie die Herausbildung eines „frühmodernen Staates" bis j e t z t offenbar ungeprüft auch in die Entwicklung des Schulwesens hineininterpretiert hätten. Als Interpretation des Verfassers wird deutlich, daß er das Klischee von der „Untertanenschule" des 18. Jahrhunderts als „Herrschaftsmittel" des Absolutismus in Frage stellen und an seine Stelle die Erkenntnis der Schul Wirklichkeit

setzen

will, die ihm weitgehend als eine Domäne der ständischen „Gesellschaft" im absolutistischen Staat erscheint. Wolfgang Neugebauer greift damit die von Gerhard Oestreich, Dietrich Gerhard, Rudolf Vierhaus, Kurt von Raumer, Peter Baumgart und anderen seit zwei bis drei Jahrzehnten erhobene und inzwischen vielfältig gestützte These von der ständischen und strukturellen Beschränkung absolutistischer Herrschaft erstmals konsequent für das Gebiet des Schulwesens und vor allem für den von der Literatur bisher hinsichtlich der Schulrealität nicht schlüssig behandelten Bereich des niederen Schulwesens auf. E r ersetzt das in der älteren und neueren historisch-pädagogischen Forschung noch bestehende A x i o m von dem notwendig gegebenen engen Bezug von Schule und Staat durch die These von der Schule als Instrument der „Sozialdisziplinierung aus lokalem Impuls", aus dezentraler Eigeninitiative ständischer Schichten und Institutionen im Staat des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Verbindung der Ergebnisse der Schulgeschichtsschreibung mit den modernen Erkenntnissen der Absolutismusforschung lassen die hier vorliegende Studie zu jenem Brückenschlag zwischen den genannten Bereichen werden, der durch seine verfassungs- und insbesondere herrschaftsgeschichtlichen Ergebnisse

VIII

Einführung

nun auch den W e g für die weiterführende Erforschung der hier in Frage stehenden bedeutenden Epoche der europäischen Geschichte zu ebnen helfen vermag.

Die Historische Kommission zu Berlin, der A u t o r und der unterzeichnete Betreuer dieser Studie wissen sich einer Reihe von Institutionen und Persönlichkeiten des wissenschaftlichen Lebens und der Ö f fentlichen Hand zu tiefem Dank für ihre Hilfe bei der Erarbeitung dieser Untersuchung verpflichtet. Dem A u t o r hat die mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen eines parallelen Projekts ermöglichte Benutzung des Geh. Staatsarchivs in BerlinDahlem, des Archivs des Konsistoriums in Berlin (West), des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf und des Staatsarchivs Münster — entsprechende Archive in der D D R blieben dem Autor t r o t z mehrerer Bemühungen leider verschlossen — dazu verholfen, jene außerordentlich umfangreiche Sammlung von Aktenstücken anzulegen, von der das Quellenverzeichnis dieser Arbeit eine Andeutung vermittelt. Im Ergebnis dieser Sammlung wird die Herausgabe eines mit einem ausführlichen Kommentarteil versehenen Aktenbandes zum altpreußischen Elementarschulwesens in der Art der Editionen der ,Acta Borussica' möglich sein, eines Bandes, der im Manuskript bereits vorliegt und dessen Erscheinen bevorsteht. D e m Dank des Autors für die Hilfe, die er seitens der Beamten der genannten Archive erhalten hat, schließen sich die Historische Kommission und der Unterzeichnete mit Nachdruck an. — D i e Drucklegung des vorliegenden voluminösen Bandes wurde in großzügiger Weise von der „Verwertungsgesellschaft W o r t " , München, finanziell unterstützt; dieser Institution ebenso wie dem Verlag Walter de Gruyter, Berlin-New Y o r k , der das W e r k mit besonderem Entgegenkommen aufgenommen hat, fühlen Autor und Betreuer sich dankbar verbunden. — Im Hause der Historischen K o m mission zu Berlin haben sich der Leiter des Lektorats, Christian Schädlich, und die Mitarbeiterinnen der Herstellungsabteilung, besonders Frau Barbara Davideit, um die technische Betreuung der Drucklegung verdient gemacht. — Alle an der Schaffung und Betreuung dieser Studie Beteiligten bitten ihre Bemühungen um diese Darlegung eines nur scheinbar abgeschlossenen Kapitels der Bildungsgeschichte unserer Vergangenheit als einen Beitrag anzunehmen, der dabei mithelfen soll,

IX

Einführung

die V o r a u s s e t z u n g e n der geistig-politischen E x i s t e n z unserer Gegenwart immer aufs N e u e zu überdenken.

Berlin-Nikolassee (im ,Mittelhof), im April 198J

Im Auftrage der Historischen Kommission zu Berlin Prof. Dr. Otto

Büsch

Leiter der Sektion für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und des Beirats für Preußenforschung

INHALT

von O t t o Büsch des Verfassers

V XVII

EINFÜHRUNG VORWORT

EINFÜHRUNG

Zu Forschungsstand, Methodenproblemen und Untersuchungsziel

1

ERSTER TEIL

1.

Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment in Brandenburg-Preußen

35

ι : Schule in der ständischen Gesellschaft als G e g e n s t a n d vergleichender typologisierender Betrachtung — sozialgeschichtliche V o r a u s s e t z u n g e n . . .

37

RAPITI

2. KAIMTKIPietismus und A u f k l ä r u n g als B i l d u n g s p r o g r a m m e unter d e m preußischen A b s o l u t i s m u s — geistesgeschichtliche V o r a u s s e t z u n g e n

48

L: K i r c h e n r e g i m e n t und Schule — ein K o n t i n u i t ä t s p r o b l e m in der frühen N e u z e i t

65

3. RAPITI

Landesherrliches K i r c h e n r e g i m e n t und Schule seit d e m 16. J a h r h u n dert

66

Das O b e r s c h u l k o l l e g i u m und die „Verstaatlichung" der Schulen

102

Schule und geistliche A u f s i c h t s f u n k t i o n seit dem 16. J a h r h u n d e r t P a t r o n a t s s t r u k t u r und S t a a t s k o m p r o m i ß im A l t e n Preußen

120 134

4 . RAPI I

ι Ι : Staatsanspruch und Schulregiment in Brandenburg-Preußen

168

Schulregiment und Staatsbildung

169

Schule und Politik im Zeitalter der Krise

189

XII

Inhalt ZWEITER TEIL

Schule im absolutistischen Staat vornehmlich in Berlin-Brandenburg 1. KAPITEL:

2.

Schule und Herrschaft von der Reformation bis zum

209 18.

Jahrhun-

dert

211

Stadt und Schule seit der Reformation Landschule und Kirchenzucht bis 1700 Land und Schuldichte im 18. Jahrhundert Schule und Landesherrschaft im Alten Preußen

211 228 255 279

Rekrutierung und Besoldung der Lehrer als Grundprobleme der Schulwirklichkeit

302

KAPITEL:

Bildung und Status des Stadtschullehrers Nebenerwerb und „Schulberuf" im dörflichen Nexus Absoluter Staat und Schulfinanzierung Die Besoldungslage des Landlehrers am Ende des Alten Preußen Exkurs: Invalidenversorgung und Schule im Widerstreit von Konsistorialund Kammerkollegien 3. KAPITEL:

Entstehung und Wirkung organisierter Lehrerbildung

Die anarchische Form der Qualifikation Privatinstitut und Staatsanstalt — die Anfänge organisierter Lehrerbildung Ausbreitung und Funktion der Seminare bis 1806 Exkurs: Die selektive Aufklärung in Preußen am Beispiel der Priifungs- und Bestallungspraxis

302 317 332 346 352 364

364 372 396 423

Normvermittlung und Lehrinhalt: Schulbücher und ihre Verbreitung im Alten Preußen

434

Der Katechismus als Lehrbuch für das Volk Der revolutionäre Rochow: Der „Kinderfreund" und der Staat Woellner und der Katechismusstreit Staat und Gelehrtenschule am Beispiel der Lehrbuchfrage

435 444 454 460

Staatsinteresse und landesherrliche Praxis im Bereich der dörflichen Schule

468

Das Grundproblem des Schulbesuchs oder der Wechsel von Sommer- und Winterschule „Staatsverwaltung" und Landschulbau im 18. Jahrhundert Der Schulmeister im dörflichen Kräftegefüge Exkurs: Dorfschule und Seidenbau im Auftrag des Staates

468 482 496 507

4. KAPITEL:

5.

KAPITEL:

Inhalt 6.

Der Staat als Ordnungsmacht? Die Stadtschule im Preußen des 18. Jahrhunderts

KAPITEL:

Schultyp und „Schulpolitik" im Alten Preußen Schulreform als Modernisierungsphänomen in brandenburgischen Städten 7.

8.

XIII

KAPITEL:

Staat, Merkantilinteresse und Schule in Preußen

511 511 539 553

Real- und Handelsschulen als Gegenstand privater und korporativer Initiative Die Industrieschule als Regionalphänomen

554 568

Schulische „Freiräume" als Charakteristika des preußischen Absolutismus

581

Die Winkelschule als Schule ohne Staat Hauslehrererziehung als Massenphänomen des 18. Jahrhunderts „Privatunterricht" als Typ des Freiraums an Schulen Exkurs: Das Charakteristikum der Mädchenbildung im Alten Preußen . . . .

581 601 613 619

KAPITEL:

ERGEBNISSE

Die Schule als Verfassungsphänomen im absolutistischen Staat

Q U E L L E N - U N D LITERATURVERZEICHNIS

625

635

Ungedruckte Quellen Gedruckte Quellen Literatur

635 636 656

N A M E N - UND SACHREGISTER

692

TABELLEN U N D K A R T E N TABELLE 1: Umfang der kurmärkischen Inspektionen TABELLE 2: Anteil der Dorfschulen königlichen Patronats 1799 (nach Krug) TABELLE 3: Schuldichte in der Inspektion Müncheberg 1737 TABELLE 4: Schuldichte auf dem platten Lande der Kurmark seit 1746 TABELLE 5: Zunahme der Schulmeisterstellen auf Dörfern in regionaler Differenzierung (Kurmark) TABELLE 6: Verteilung der Küster und Schullehrer auf dem Lande 1801/03 in der Mark Brandenburg TABELLE 7: Königliche Patronatsorte mit „Laufschulmeistern" auf dem Lande (Kurmark) TABELLE 8: Schuldichte (Land) in Pommern 1777/1782 TABELLE 9: Schuldichte in Preußen um 1805 TABELLE 10: Verbleib der Rektoren an der Catharinen-Schule Salzwedel TABELLE 11: Jährliche Besoldung von 223 Lehrern an den preußischen Gelehrtenschulen im Jahre 1796 TABELLE 12: Einnahmen der Lehrer am Lyzeum zu Frankfurt a. 0 TABELLE 13: Nebenerwerb bzw. berufliche Rekrutierung von 432 brandenburgischen Küstern und Landschulmeistern (1668—1806) TABELLE 13 a: Nebenerwerb und berufliche Rekrutierung von 232 brandenburgischen Küstern und Landschulmeistern (1780—1806) TABELLE 14: Nebenerwerb neumärkischer Landschullehrer (10/11 Inspektionen) 1770, 1799, 1805 TABELLE 15: Jährliches „Gehalt" der Küster und Schulhalter königlichen Patronats in der Inspektion Zossen (1798) TABELLE 16: Etat der Oberschulkasse 1804/1805 TABELLE 17: Einkommensniveau (Ertrag pro Jahr) lutherischer Landküster und Schulmeister der Kurmark 1774 und 1800 TABELLE 18: Einkommensniveau der kurmärkischen Landschullehrer im Jahre 1800 nach Patronatszugehörigkeit TABELLE 19: „Classifications-Tableau" der von der Spezial-Kirchen und Schulkommission ressortierenden ostpreußischen Dorfschulen im Jahre 1800 TABELLE 20: Niveau der Einkünfte von Stadt- und Landschulen königlichen Patronats im Jahre 1790 TABELLE 21: Ausstoß und Abgangsstruktur des Berliner Schullehrer- und Küsterseminars 1788—1799 TABELLE 22: Seminaristisch ausgebildete Landschullehrer in 11 von 13 neumärkischen Inspektionen 1799 und 1805 TABELLE 23: Ländliche Orte königlichen Patronats in der Kurmark mit Schulmeistern ohne Schulhaus (1805)

128 138 261 263 265 269 272 275 277 305 310 311 322 323 326 329 342 347 349 351 351 390 410 486

Tabellen und Karten TABELLE 24: Gesamtfrequenz des Joachimsthalschen Gymnasiums 1607 bis 1804 TABELLE 25: Gesamtfrequenz des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums 1681 bis 1806 TABELLE 26: „Numerus der jetzigen Schul-Jugend bei der Stadt Fürstenwalde, und wie viel davon in jeder Classe sitzen" (1751) TABELLE 27: Sozialstruktur der schulfähigen Kinder in Lebus 1779 TABELLE 28: Die Leinenspinnschulen Schlesiens 1766 und 1804 bzw. 1805/06 TABELLE 29: Quantitative Bedeutung der Winkelschulen in ausgewählten brandenburg-preußischen Städten KARTE 1: Verteilung der Küster und Schullehrer auf dem Lande der Mark Brandenburg 1801/1803 KARTE 2: Schuldichte in Preußen um 1805 (Mittlere und östliche Provinzen)

XV

520 521 531 534 577 594

270 278

VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin im Jahre 1983 als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Dr. phil. angenommen; zur Drucklegung mußte der Anmerkungsapparat einer Kürzung unterzogen werden. Für wichtige Anregungen — nicht zuletzt zur Textgestaltung — bin ich den beiden Hauptgutachtern, Herrn Prof. Dr. Otto Büsch und Herrn Prof. Dr. Hans-Dietrich Loock, zu besonderem Dank verpflichtet. Dieses Buch ist nicht nur das Resultat mehrjähriger Arbeit des Verfassers. Es wäre nicht geschrieben worden ohne die Schulung, die ich am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin erfahren durfte. Dieses Institut und seine Dozenten legten die Fundamente für diese Studie. Mein Dank gilt insbesondere Prof. Dr. Otto Büsch, der mir zunächst in den Jahren 1978 bis 1980 an der Historischen Kommission zu Berlin die Gelegenheit eröffnete, mich mit der preußischen Geschichte intensiv zu befassen und als dessen Mitarbeiter ich sodann an das FriedrichMeinecke-Institut zurückkehren durfte. Otto Büsch verdanke ich wichtige konzeptionelle Anregungen und fruchtbar-bohrende Fragen bei grundsätzlichen Diskussionen. Erinnert sei zugleich an Prof. Dr. Friedrich Zipfel, der — einst Assistent von Carl Hinrichs — im Frühjahr 1978 allzu früh verstarb und der noch meine erste Beschäftigung mit der älteren preußischen Bildungsgeschichte angeregt hat. Wichtige Gespräche und Diskussionen führte ich mit Dr. Felix Escher, Prof. Dr. Gerd Heinrich, Prof. Dr. Ilja Mieck und Prof. Dr. Stefi Jersch-Wenzel (alle Berlin) sowie mit Prof. Dr. Anton Schindling (jetzt Osnabrück). Zu danken habe ich den Archiven und Bibliotheken, aus deren Beständen ich schöpfen durfte. An erster Stelle ist hier das Geheime Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, zu nennen, dessen zuständige Betreuer, Herr Archivdirektor Dr. Werner Vogel und Herr Winfrid Bliß mich mit Rat und Tat unterstützten. Was aber wäre ein Doktorand ohne die vielen verdienstvollen Helfer in Magazinen und Leihstellen, die mich über Jahre klaglos ertrugen? Dies

XVIII

Vorwort

gilt auch für die tapfer standhaltende Fernleihstelle der Staatsbibliothek Berlin. Wenn dieses Buch in der traditionsreichen blauen Reihe der Historischen Kommission zu Berlin erscheinen darf, so empfinde ich dies als eine Auszeichnung und das um so mehr, als sich mit dem Verlag Walter de Gruyter ein Haus zur Veröffentlichung dieser Schrift bereitfand, das selbst Verlagsgeschichte gemacht hat und als Traditionsträger der im 18. Jahrhundert begründeten Berliner Realschulbuchhandlung auch in einer weiteren, inhaltlichen Beziehung zu der hier behandelten Materie steht. Hervorzuheben bleibt, daß die Verwertungsgemeinschaft Wort mit einem großzügigen Druckkostenzuschuß die Publikation ermöglichte. Die Drucklegung des Bandes erfolgte unter ungewöhnlichem Zeitdruck. Wenn dennoch dieses Buch in einer unter den heutigen technischen und finanziellen Rahmenbedingungen relativ kurzen Zeit nach Abschluß des Manuskriptes erscheint, so ist dies in besonderem Maße den Mitarbeitern der Historischen Kommission zu Berlin zu danken, an erster Stelle Herrn Christian Schädlich, der in bewährter Weise die Lektoratsarbeiten übernahm und die Masse der Herstellungsarbeiten leitete, sodann Frau Barbara Davideit, Frau Heide Masuch und Frau Kerstin Behmeleit, die in kritischen Situationen zur Stelle waren. Herr Karsten Bremer hat bei Umbruch und graphischer Gestaltung eine unentbehrliche Unterstützung geboten. Schließlich möchte ich dieses Vorwort nicht ohne einen schlichten Dank an meine Frau schließen: Dank für Kritik, für Hilfe und für so manchen Verzicht. Berlin-Wilmersdorf, im Mai 1985

Wolfgang

Neugebauer

EINFÜHRUNG

Zu Forschungsstand, Methodenproblemen und Untersuchungsziel

D i e neuere A b s o l u t i s m u s f o r s c h u n g h a t in den l e t z t e n J a h r z e h n t e n das traditionelle Bild v o m f r ü h m o d e r n e n „ S t a a t " einer intensiven U b e r p r ü f u n g u n t e r z o g e n . I m Z e n t r u m steht das Bestreben, L e b e n u n d S t r u k t u r e n u n t e r h a l b der R e g i e r u n g s - und der h o h e n V e r w a l t u n g s ebene z u erfassen u n d z u r e i c h e n d z u erhellen. 1 Die oft u n t e r s c h ä t z t e B e d e u t u n g und W i r k s a m k e i t i n t e r m e d i ä r e r G e w a l t e n , der Stände, der M a g i s t r a t e und ländlichen H e r r s c h a f t e n unterhalb der A k t i o n s e b e n e der absolutistischen B ü r o k r a t i e , wird hervorgehoben, o h n e daß d a m i t der älteren sozial- und verfassungsgeschichtlichen F o r s c h u n g , wie sie

Vgl. zu diesen aktuellen Forschungsfragen den Aufsatz von Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Ders., Geist und Gestalt des friihmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179—197, hier S. 183 f.,S. 186; grundlegend auch für die neueste Diskussion der Beitrag von Kurt von Raumer, Absoluter Staat, korporative Autonomie, persönliche Freiheit (zuerst 1957), in: Walther Hubatsch (Hrsg.), Absolutismus (= Wege der Forschung, Bd. 314), Darmstadt 1973, S. 152—201, besonders S. 162, S. 166, S. 170, S. 178; siehe ebenso Dietrich Gerhard, Regionalismus und ständisches Wesen als ein Grundthema europäischer Geschichte (zuerst 1952), in: Ders., Alte und neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 10), Göttingen 1962, S. 13—39, hier S. 16f., S. 33, S. 37; für diese neuen Forschungsinteressen ist charakteristisch der von Dietrich Gerhard herausgegebene Sammelband Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 27), 2. Aufl., Göttingen 1974; zuletzt Klaus Malettke, Fragestellungen und Aufgaben der neueren Absolutismusforschung in Frankreich und Deutschland, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 30 (1979), S. 140—157, besonders S. 141 f., S. 150; für Fragestellungen und methodische Prämissen der jetzt auf diesem Arbeitsgebiet einsetzenden Forschung in der D D R siehe Klaus Vetter, Die Stände im absolutistischen Preußen. Ein Beitrag zur Absolutismus-Diskussion, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 24 (1976), S. 1290—1306, besonders S. 1304 ff. 1

Einführung

2

etwa m i t den N a m e n G u s t a v v o n Schmoller, O t t o H i n t z e o d e r F r i t z H ä r t u n g verknüpft ist, ihr h o h e r W e r t a b g e s p r o c h e n wird. 2 S c h r a n k e n und G r e n z e n landesherrlicher G e w a l t , das „ N i c h t a b s o l u t i s t i s c h e im A b s o l u t i s m u s " ( G e r h a r d O e s t r e i c h / P e t e r B a u m g a r t ) t r e t e n in den Blick und führen z u r F r a g e nach d e m eigenständigen C h a r a k t e r der „ a b s o l u t e n " M o n a r c h i e , d e m Zweifel an der A n w e n d b a r k e i t einer auf den m o d e r n e n S t a a t b e z o g e n e n entwicklungsgeschichtlichen Perspektive und z u Bedenken, o b m i t T e r m i n o l o g i e u n d Vorstellungswelt des 19. und gar 2 0 . J a h r h u n d e r t s eben diese Phase der „ S t a a t s b i l d u n g " zutreffend analysiert werden kann. S o w a r n t D i e t r i c h G e r h a r d v o r der „ N e i g u n g , d e n m o d e r n e n S t a a t v o r z u d a t i e r e n " 3 und „die zielstrebige E n t w i c k l u n g z u r M o d e r n e hin ü b e r s t a r k h e r a u s z u a r b e i t e n " . 4

Neue

Man denke etwa an die „Acta-Borussica"-Schule. Es sei hier auf die einschlägigen Titel verwiesen in der Auswahlbibliographie zur preußischen Geschichte, in: Otto Büsch/ Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte 1648—1947. Eine A nthologie, Bd. 3 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 52/3. Forschungen zur Preußischen Geschichte), Berlin-New York 1981, S. 1712—1723; daß gerade Otto Hintze auch Bedeutendes und Wegweisendes für die Erforschung ständischer Institutionen geleistet hat, sei ausdrücklich betont. ' Dietrich Gerhard, Ständische Vertretungen-und Land, in: Festschrift für Hermann Heimpel, Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 36/1), Göttingen 1971, S. 447—472, wieder in: Ders., Gesammelte Aufsätze (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 54), Göttingen 1977, S. 13—37, hier das Zitat S. 35; S. 34 f. zum Problem der Terminologie (im Anschluß an Otto Brunner); G. Oestreich, Strukturprobleme..., S. 183, und Peter Baumgart, Die Epochen der preußischen Monarchie im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 6 (1979), S. 287—316, wieder in: Otto Büsch (Hrsg.), Das Preußenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 50. Forschungen zur Preußischen Geschichte), Berlin-New York 1981, S. 65—96, hier das Zitat S. 75. * D. Gerhard, Regionalismus..., S. 38, am Beispiel Frankreichs. Im Sinne dieser Argumente vgl. auch Stephan Skalweit, Das Zeitalter des Absolutismus als Forschungsproblem, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Bd. 35 (1961), S. 298—315, hier S. 307; Otto Brunner, Freiheitsrechte in der altständischenGesellschaft, in: Aus Verfassung- und Landesgeschichte. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theodor Mayer, dargebracht von seinen Freunden und Schülern, Bd. 1, Konstanz 1945, S. 293—303, wieder in: Ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2., vermehrte Aufl., Göttingen 1968, S. 187—198, S. 196 f. Wenn im Verlauf der vorliegenden Untersuchung des Verhältnisses von Schule und landesherrlicher Gewalt in Brandenburg-Preußen das Wort „Staat" in der Regel in Anführungszeichen gesetzt wird, so soll damit jederzeit daran erinnert werden, die nur relative Brauchbarkeit des Staatsbegriffs für frühneuzeitliche Herrschaftsformen zu berücksichtigen. 2

Zw Forschungsstand,

Metbodenproblemen

und Untersuchungsziel

3

Forschungsergebnisse lassen in diesen Themenfeldern eine gründliche Revision bisher unangefochtener Lehrmeinungen erwarten.5 Prägt mithin bereits die Erkenntnis der Grenzen des Absolutismus verstärkt das historische Urteil, so bedarf auch das Verhältnis von Landesherrn und Untertan erneut einer detaillierten Untersuchung. Schon 1938 wies Wilhelm Mommsen darauf hin, daß der absolutistische Staat, anders als der der Französischen Revolution und des 19. Jahrhunderts, nicht „in alle Fragen des täglichen Lebens eingegriffen" habe, daß das private Leben weithin vom Staat unberührt geblieben ist, und Rudolf Vierhaus betont in seiner Abhandlung über Ständewesen und Staatsverwaltung in Deutschland im späteren 18. Jahrhundert, daß „breite Zonen des sozialen Lebens dem unmittelbaren Zugriff der landesherrlichen Gewalt entzogen blieben" .6

An diesem Problem, den Berührungslinien von „Staat" und Untertan im Zeitalter der absolutistischen Regierungsformen, setzt die vorliegende Untersuchung ein: Die Schule als eine unmittelbar den Untertan berührende Einrichtung ist hier als einer der möglichen Punkte dieses Aufeinandertreffens zum Gegenstand der Betrachtung gewählt worden. Diese so (zunächst allgemein) umschriebene Themenstellung trifft freilich auf einen nicht günstigen Forschungsstand zur realen Beschaffenheit gerade der Schulen, die dem Untertan der altpreußischen Monarchie zur Verfügung standen. Hatte schon Johann Gustav Droysen vor mehr als einem Jahrhundert gefordert, das Landschulwesen der einzelnen preußischen Provinzen einer genaueren Erforschung zu unterziehen,7 so ist die Erhellung der Schulwirklichkeit im 18. Jahrhun5 Vgl. in diesem Sinne den Sammelband von Peter Baumgart (Hrsg.), Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ein Tagungsbericht (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 55), Berlin 1983. 6 In: Ders./Manfred Botzenhart (Hrsg.), Dauer und Wandel der Geschichte. Aspekte europäischer Vergangenheit. Festgabe für Kurt von Raumer zum IS. Dezember 1965 (= Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung, Bd. 9), Münster (1966), S. 337—360, hier S. 348, vgl. S. 340; Wilhelm Mommsen, Zur Beurteilung des Absolutismus, in: Historische Zeitschrift, Bd. 158 (1938), S. 52—76, wieder in: W . Hubatsch (Hrsg.), Absolutismus..., S. 65—93, hier S. 69.

Joh(ann) Gust(av) Droysen, Friedrich Wilhelm I. König von Preußen, Bd. 2 (= Geschichte der Preußischen Politik, Teil 4, Bd. 3), (2. Aufl.), Leipzig 1869, S. 419, Anm. 2, im Anschluß an Ausführungen über Ostpreußen; vgl. damit die jüngst formu7

4

Einführung

dert noch immer ein Desiderat der Geschichtswissenschaft. Es sei hier nur auf die Feststellung Peter Lundgreens verwiesen, daß „ein großer Mangel an empirischen Untersuchungen des Bildungswesens" bestehe (1971), oder auf die Klage von Peter Martin Roeder, „daß die Vergangenheit schulischer Bildungsinstitutionen — vor allem, was ihre ,Realgestalt' angeht — noch ein einigermaßen unerschlossenes Arbeitsfeld darstellt" 8 — Aussagen, die für zahlreiche gleichlautende hier stehen mögen. 9 Dabei ist unstrittig, daß gerade in den letzten beiden Jahrzehnten die schulgeschichtliche Forschung mit großer Energie nicht zuletzt seitens der Historischen Pädagogik vorangetrieben worden ist. Die Werke von Wilhelm Roessler, Manfred Heinemann oder auch das in der D D R

lierte Forderung einer „weitere[n] regionalgeschichtliche[n] Erschließung im Bereich der Schulgeschichte" von Manfred Heinemann/Wilhelm Rüter, Landschulreform als Gesellschaftsinitiative. Philip von der Reck, fohann Friedrich Wilberg und die Tätigkeit der „ Gesellschaft der Freunde der Lehrer und Kinder in der Grafschaft Mark" (1789—1815) (= Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 11), Göttingen 1975, S. 8; ebenso schon Eduard Spranger, Zur Geschichte der deutschen Volksschule. Unveränderte Neuauflage. Mit einem Nachwort von Wilhelm Flitner, Heidelberg 1971, S. 11 (zuerst 1944/1949). 8 Peter Lundgreen, Schulbildung und Frühindustrialisierung in Berlin/Preußen. Eine Einführung in den historischen und systematischen Zusammenhang von Schule und Wirtschaft, in: O t t o Büsch (Hrsg.), Untersuchungen zur Geschichte der frühen Industrialisierung vornehmlich im Wirtschaftsraum Berlin-Brandenburg (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 6. Publikationen zur Geschichte der Industrialisierung), Berlin 1971, S. 562—610, hier S. 563; P. M. Roeder u. a., Überlegungen zur Schulforschung, Stuttgart 1977, S. 106. ' Es sei hier in Auswahl verwiesen auf Achim Leschinsky/Peter Martin Roeder, Schule im historischen Prozeß. Zum Wechselverhältnis von institutioneller Erziehung und gesellschaftlicher Entwicklung (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Bildungs-forschung), Stuttgart 1976, u. a. S. 78, mit Hinweis auf Quellenverluste im 2. Weltkrieg; Hans Eckhard Lubrich, Geistliche Schulaufsicht und Religionsunterricht in MindenRavensberg 1754—1894 (= Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte. Neue Folge der Beihefte zum Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte, Bd. 3), Bielefeld 1977, S. 5, der freilich für die Zeit bis 1806 (a.a.O., S. 1—30) — bei spärlicher Nutzung der Akten — seinem Anspruch auf Untersuchung der „Schulwirklichkeit" nicht gerecht wird; für das 19. Jahrhundert kennzeichnet eine ausreichende Kenntnis schulischer „Realität" als „Forschungsdesiderat... der historischen Pädagogik" Christiane Schiersmann, Zur Sozialgeschichte der preußischen Provinzialgewerbeschulen im W.Jahrhundert (= Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 8), Weinheim-Basel 1979, S. 8.

Zu Forschungsstand,

Methodenproblemen

und Untersuchungsziel

5

entstandene Buch von Helmut König markieren hier wichtige Fortschritte in der thesengeleiteten Auswertung publizierten Materials beziehungsweise zeitgenössischen Schrifttums. 10 Die zutreffende Klage, man wisse trotz aller bisherigen schulgeschichtlichen Forschung zu wenig über die Schulwirklichkeit, deutet jedoch auf die Berechtigung etwa der Kritik Thomas Nipperdeys, Roessler erliege der Versuchung, „die Wirklichkeit idealistisch zu verkürzen", oder der Feststellung von Leschinsky und Roeder, die verschiedenen „Einwände gegen einige zentrale Thesen neuerer Arbeiten" belegten „eine entscheidende Schwäche auch noch der jüngsten schulgeschichtlichen Literatur, daß die gesellschaftlich-historische Realität im allgemeinen nur recht unzureichend aufgehellt wird". 11 Diese Mónita lassen sich durchaus allgemeiner aus der Historiographie zur (preußischen) Schulgeschichte erklären. Es ist unbestritten und vielbeklagt, daß die lange tradierte ideengeschichtliche Behandlung dieses Untersuchungsfeldes, zu der sich etwa Eduard Spranger klar bekannte, bis in die Gegenwart nachwirkt und in der Entwicklung der letzten hundert Jahre wichtige Forschungskraft absorbiert hat. 12 So bemängelt Hans-Georg Herrlitz 13 zu 10

Wilhelm Roessler, Die Entstehung des modernen Erziehungswesens in Deutschland, Stuttgart 1961 (dazu die Rezension von Thomas Nipperdey, Geschichte der Erziehung, allgemeine Geschichte, historische Anthropologie. Bemerkungen zu Wilhelm Roessler..., in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, Bd. 216 [1964], S. 249—272, die folgenden Ausführungen nach S. 251, S. 263); Manfred Heinemann, Schule im Vorfeld der Verwaltung. Die Entwicklung der preußischen Unterrichtsverwaltung 1771—1800 (= Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im 19. Jahrhundert, Bd. 8), Göttingen 1974 (dazu die für den hier diskutierten Forschungsstand einschlägige Kritik von A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 491 f.); Helmut König, Zur Geschichte der Nationalerziehung in Deutschland im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts (= Monumenta Paedogogica, Bd. 1), Berlin [Ost] 1960. Die Diskussion dieser Studien im Detail muß der folgenden Darstellung selbst vorbehalten bleiben. 11

A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 16. Das Bekenntnis zur „geistesgeschichtlichen Seite" der Schulgeschichte findet sich expressis verbis bei E. Spranger, Zur Geschichte..., S. 9 (Vorwort); ferner Dietfried Krause-Vilmar, Materialien zur Sozialgeschichte der Erziehung. Über die A rbeit der „ Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte" (1890—1938), in: Zeitschrift für Pädagogik, Bd. 18 (1972), S. 357—372, hier S. 357; zum Problem siehe ferner Wilhelm Roessler, Zur Geschichte des Bildungswesens, in: Pädagogische Rundschau, Bd. 18 (1964), S. 1000—1014, hier S. 1005; sehr treffend auch die Bemerkungen bei Carl-Ludwig Furck, Das pädagogische Problem der Leistung in der Schule, Weinheim/Bergstr. 1961 (auch zum Forschungsstand über die tatsächliche Beschaffenheit der Schulen). Julius Krämer, Erziehung als Antwort auf die soziale Frage (= Beiträge zur Erziehungswissenschaft), Ratingen bei Düsseldorf 1963, S. 9 f.; daß diese schwerpunktmäßige Bearbei12

6

Einführung

R e c h t die „ V o r a u s s e t z u n g eines ideengeschichtlich reduzierten Begriffs v o n Erziehungswirklichkeit, der die E n t s t e h u n g s - und V e r ä n d e r u n g s z u s a m m e n h ä n g e zwischen Pädagogik und Politik, E r z i e h u n g und Gesellschaft s y s t e m a t i s c h vernachlässigte. Die k o n k r e t e G e s c h i c h t lichkeit pädagogischer Begriffe, P r a k t i k e n und Institutionen, das heißt ihre situationsbedingte u n d klassenspezifische B e d e u t u n g in einem historisch e r s t zu e r m i t t e l n d e n Z u s a m m e n h a n g v o n F a k t e n , P r o b l e m e n u n d Interessen — diese G e s c h i c h t l i c h k e i t wurde unterschlagen und d a m i t n i c h t n u r historische E r k e n n t n i s schlechthin, sondern gerade a u c h die E i n s i c h t e r s c h w e r t , daß u n d wie gegenwärtige Verhältnisse v o n M e n s c h e n g e m a c h t und p r a k t i s c h z u verändern sind". E s bleibt f e s t z u h a l t e n , daß diese F e s t s t e l l u n g , die ein P r o g r a m m einer neuen Schulgeschichtsschreibung beinhaltet, mutatis

mutandis

a u c h für die

einschlägigen A r b e i t e n in der D D R gilt. S o k o n s t a t i e r t E r n s t K r e t z s c h m a r für diese F o r s c h u n g , daß sie sich „bisher im wesentlichen auf die G e s c h i c h t e der pädagogischen Ideen und auf die W ü r d i g u n g hervorragender einzelner P ä d a g o g e n b e s c h r ä n k t h a t " . 1 4

tung der pädagogischen Konzeptionen und Erziehungs-Theorien, so notwendig und berechtigt ihre Beachtung im Kontext einer Geschichte der faktischen Bildungswelt selbstverständlich war und ist, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrer Disproportionalität bedauert wurde, zeigt der Artikel von K(arl) Knabe, Gesellschaft für deutsche Erziehung- und Schulgeschichte, in: W(ilhelm) Rein (Hrsg.), Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik, Bd. 3, 2. Aufl., Langensalza 1905, S. 532—538, hier S. 534: „Eine Geschichte der pädagogischen Wirklichkeit in der Vergangenheit, d. h. dessen, was eigentlich war, konnte bisher nur in sehr geringem Masse gegeben werden, meistens geben deshalb die Geschichten der Pädagogik nur eine Geschichte von Pädagogen, der pädagogischen Systeme, Theorien und Methoden, meist herrscht Biographisches und Systematisches vor." Dieser Satz beschreibt im Prinzip auch die heutige Problematik der gängigen überblicksartigen „Geschichten der Erziehung" oder der „Geschichten der Pädagogik"; streckenweise darüber hinausführend ist nützlich die Darstellung von Hermann Weimer, Geschichte der Pädagogik, 18., neubarb. Aufl. von Walter Schöler (= Sammlung Göschen, Bd. 2080), Berlin-New York 1976, allerdings mit Mängeln gerade bei der Darstellung der Probleme für den preußischen Raum. 13 In seiner Arbeit Studium als Standesprivileg. Die Entstehung des Maturitätsproblems im 18. Jahrhundert. Lehrplan- und gesellschaftsgeschichtliche Untersuchungen (= Fischer Athenäum Taschenbücher Erziehungswissenschaft, Bd. 3005), Frankfurt a. M. 1973, S. 7 — eine der wenigen schul- und erziehungsgeschichtlichen Studien der letzten drei Jahrzehnte, die für das 18. Jahrhundert im preußischen Bereich auch auf ungedrucktem Material aufbaut. 14 Ernst Kretzschmar, Zur örtlichen Schulgeschichtsschreibung in der Deutschen Demokratischen Republik — Überlegungen zur Erarbeitung und Veröffentlichung wissenschaftlicher Darstellungen der geschichtlichen Entwicklung einzelner Schulen, in: Jahrbuch

Zu Forschungsstand,

Metbodenproblemen

und

Untersuchungsziel

7

Gewiß, die damit angesprochenen Methodenprobleme sind bekannt, wie die angeführten Belege aufweisen, und dennoch zeigt die Betrachtung selbst modern erscheinender Studien bisweilen ein beachtliches Maß traditionell-geistesgeschichtlicher Elemente. 15 Es bleibt zu prüfen, ob und inwieweit überhaupt aus (pädagogischen) Literarquellen Aussagen zu Schulrealität und Bildungswirklichkeit wie über das Agieren des Landesherrn und seiner Kollegien in diesem Bereich getroffen werden können, ob die daraus zu ziehenden Ergebnisse nicht auf allzu indirekten Informationen basieren, ob nicht bereits aus der für den Untersuchungsgegenstand inadäquaten Quellenbasis „ideen"- und „geistesgeschichtliche" Komponenten das Resultat der Forschung beeinflussen, wo dies auf Grund der gestellten historischen Frage (Droysen) nicht der Fall sein darf. 16 für Erziehungs- und Schulgeschichte, 11. Jg. (1971), S. 255—294, hier S. 263. Diese Aussage darf auch auf die repräsentative Darstellung und Dokumentation unter marxistischen Prämissen aus der D D R bezogen werden: Karl-Heinz Günther u. a., Geschichte der Erziehung, 11. Aufl., Berlin [Ost] 1973; ders. u. a. (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Erziehung, 7. Aufl., Berlin [Ost] 1975. Auch in diesen Publikationen ist — wie in den entsprechenden älteren und neueren westdeutschen Gesamtdarstellungen (z. B. Fritz Blättner, Geschichte der Pädagogik, 13. Aufl., durchges. und erw. von Hans-Georg Herrlitz, Heidelberg 1968) — die konventionelle Interpretation der „Geschichte der Erziehung" aus den hochgelegenen pädagogisch-programmatischen literarischen [!] Quellen die herrschende Methode. Eine vertiefte Einsicht in die Erziehungsrealitäten vermitteln sie nicht (selbst beachtenswerte Ansätze, wie die auch auf thüringisches Archivmaterial fundierte Studie von Rudolf Menzel, Die Anfänge der Volksschule in Deutschland. Dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der mitteldeutschen protestantischen Territorien [= Diskussionbeiträge zu Fragen der Pädagogik, Heft 13], Berlin [Ost] 1958, finden bei Günther u. a. nur marginal Beachtung). Diesen Befund bestätigt der Beitrag von Gerda Mundorf, Forschungen zur Schul- und Erziehungsgeschichte, in: Historische Forschungen in der DDR 1960—1970. Analysen und Berichte. Zum XIII. Internationalen Historikerkongreß in Moskau 1970, Berlin [Ost] 1970, S. 210—233, hier S. 230—233. Auch H. König, Zur Geschichte der Nationalerziehung..., behandelt die pädagogische Lehre (vgl. a.a.O., S. 9), nicht aber die Rezeption der Nationalerziehungskonzepte in den Schulen vor Ort. Es sei beispielsweise hingewiesen auf Helga Michalsky, Bildungspolitik und Bildungsreform in Preußen. Die Bedeutung des Unterrichtswesens als Faktor sozialen und politischen Wandels beim Übergang von der ständischen zur bürgerlich-liberalen Gesellschaft (= Beltz Forschungsberichte), Weinheim-Basel 1978; der Verfasser hat sich mit dieser Schrift in einer Rezension (in:/ahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 28 [1979], S. 344 ff.) auseinandergesetzt; darauf sei hier verwiesen. 15

16 Dies bedeutet bei inadäquater Materialgrundlage zur Analyse der Schulwirklichkeit ein Defizit an Quellenkritik. Es bleibt zu prüfen, ob hierin die zu Recht bemängelte unzureichende Rezeption erziehungsgeschichtlicher Studien durch die „allgemeine Ge-

Einführung

δ

Die Historische Pädagogik ist in den letzten Jahren verstärkt bemüht, die methodischen Prämissen zu überprüfen — der Diskussionsprozeß ist in vollem Gange. Sie hat dabei die in den letzten fünfzehn Jahren umkämpften Bildungsreformprojekte als Stimulans geschichtlichen Interesses nie verleugnet. Christa Berg zum Beispiel beabsichtigt eine „Aufhellung gegenwärtiger Schulprobleme an der Volksschule Preußens (1872—1900)" ,17 und damit ist auch in nuce das Programm der aus dieser Schule hervorgehenden oder von ihr inspirierten Arbeiten zum 18. Jahrhundert formuliert. Der neueren bildungsgeschichtlichen Literatur gehe es nicht darum, „im Sinne antiquarischer Historiographie die Vergangenheit um ihrer selbst willen zu rekonstruieren. Im eingestandenen aktuellen Interesse soll die historische Betrachtung vielmehr in der Regel grundlegende und insoweit generalisierbare Einsichten in den Zusammenhang von Schulsystem und sozialen, ökonomischen und politischen Momenten des gesellschaftlichen Verbandes ermöglichen." 18 Diese Feststellung von Leschinsky und Roeder wird bestätigt durch entsprechende meist einleitende Passagen der repräsentativen neueren Studien. 19 Es soll nur an Friedrich Paulsen und sein schichte" eine Begründung findet; vgl. T h . Nipperdey, Geschichte der

Erziehung...,

S. 249 f.; siehe auch zu dem Problem Karl-Ernst Jeismann, Das preußische

Gymnasium

in Staat und Gesellschaft. Die Entstehung des Gymnasiums als Schule des Staates und der Gebildeten, 1787—1817 17

(= Industrielle Welt, Bd. 15), Stuttgart 1974, S. 18.

Christa Berg, Die Okkupation der Schule. Eine Studie zur A ufhellung

Schulprobleme an der Volksschule Preußens (1872—1900), 18

So die treffende Charakterisierung der Intentionen historisch-pädagogischen

Schrifttums bei A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., "

gegenwärtiger

Heidelberg 1973.

Ζ. Β. M. Heinemann, Schule im Vorfeld...,

der, Schule...,

S. 488.

S. 11—18; A. Leschinsky/P. M. Roe-

S. 17—32, S. 450—478; K.-E. Jeismann, Das preußische

S. 13 ff., und ders., Das Erziehungswesen

Gymnasium...,

in seiner Bedeutung für die Entwicklung

des

modernen Staates und der bürgerlichen Gesellschaft, in: Westfälische Forschungen, Bd. 24 (1972), S. 64—76; ferner sei verwiesen auf Bernd Rademacher, Zentralisierung Dezentralisierung.

Zur Genese der Schulverwaltung

und

in der Konstitutionsphase der bürger-

lichen Gesellschaft (= Erlanger pädagogische Studien), Bad Heilbrunn/Obb. 1978, S. 7 — 20, z. B. S. 17, wo sich der Verfasser auf „die Empfehlung der Bildungskommission" beruft, die „historische Genese" der bestehenden institutionellen Regelungen zur Verwaltung des Schulwesens" zu erhellen; H . Michalsky, Bildungspolitik...,

S. 23—38,

S. 41 ( „ . . . ein empirischer Beitrag zur Reformproblematik..."), S. 271—285; so auch die dem historischen Materialismus verpflichtete Arbeit von Susanne Godefroid u. a., Bürgerliche Ideologie und Bildungspolitik. des

18. Jahrhunderts

bis zur

Das Bildungswesen in Preußen vom Ausgang

bürgerlichen

Revolution

materialistische Analyse seiner Entstehungsbedingungen

1848/49.

Eine

historisch-

(= edition 2000 — theorie und

praktische kritik, Bd. 14), Glessen 1974 (zu Methode und Materialgrundlage dieser

Zu Forschungsstand,

Methodenproblemen

und

9

Untersuchungsziel

noch immer unersetztes Werk erinnert werden, um zu belegen, daß diese Verknüpfung von Schulgeschichte und bildungspolitischem Engagement an sich kein Novum historisch-pädagogischer Arbeit der letzten Jahre ist. 20 Dieses Vorgehen der Historischen Pädagogik ist als legitim anzusehen, wenn sie diese ihre, auf ihr spezifisches Erkenntnisinteresse ausgerichteten Prämissen offenlegt und unter diesen vorgegebenen Voraussetzungen das Material überprüft, benutzt und so zu weiterführenden Thesen zu gelangen sucht. Im Sinne der eingangs referierten Fragestellungen der modernen Absolutismusforschung ist aber als methodisches Problem zu beachten, ob bei einer letzthin direkt gegenwartsbezogenen Ausgangsfrage der Gefahr begegnet werden kann, Terminologie und Kriterien der Staatlichkeit und Gesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts in eine Realität zu transponieren, deren Traditionali tat und Prägung durch beharrlich fortwirkende alteuropäische Strukturelemente mehr und mehr in den Sichtkreis der Forschung tritt. 21 Anthropologie und Sozialpsychologie haben die Qualität der Zäsur aufgezeigt, die der Ubergang zum „ Industrialisme" für Bewußtsein und Denkform des Menschen mit sich gebracht hat. 22 Für den

Schrift siehe die Besprechung von H o r s t Möller, in: Jahrbuch für die Geschichte M ittelBd. 25 [1976], S. 270 f.). In einem weiteren Sinne geht es Heinz-

und Ostdeutschlands,

Joachim Heydorn/ Gernot Koneffke, Studien der Bildung,

Bd. 1: Zur Pädagogik

zur Sozialgeschichte

der Philosophie

und

List Taschenbücher Wissenschaft.

der Aufklärung(=

Erziehungswissenschaft, Bd. 1666), München 1973 (S. 5) „um die Rekonstruktion des Pädagogikbegriffs aus dem praktischen Interesse der Gegenwart". 20

und

Friedrich Paulsen, Geschichte Universitäten

Rücksicht

vom

Ausgang

auf den klassischen

des gelehrten

Unterrichts

des Mittelalters

Unterricht,

auf den deutschen

bis zur Gegenwart.

Mit

Schulen besonderer

2 Bde, 2. Aufl., Leipzig 1896/97; 3., erw. Aufl.,

hrsg. von Rudolf Lehmann, 2 Bde, Leipzig (Bd. 2: Berlin-Leipzig) 1919—1921; Friedrich Paulsen, Das deutsche Bildungswesen

in seiner geschichtlichen

Entwicklung

(= Aus Natur

und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen, Bd. 100), Leipzig 1906; zu Paulsens Position vgl. Fritz Blättner, Der Historiker Paulsen und seine Kritiker,

in: Zeitschrift

für Pädagogik,

S. 118, S. 122 ff.; Carl-Ludwig Furck, Probleme A.a.O.,

Friedrich

9. Jg. (1963), S. 113—130, bes.

einer Geschichte

der Pädagogik,

in:

S. 262—279, hier S. 274 f. In diesem Zusammenhang sei auch auf die bildungs-

politische Zielrichtung der „Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte" hingewiesen, siehe dazu den Artikel von K. Knabe, Gesellschaft..., 21

S. 532 f.

Vgl. die oben bei Anm. 3 und 4 zitierten Warnungen vor einer Rückdatierung des

„modernen Staates". 22

Es sei verwiesen auf Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter.

logische Probleme

der industriellen

Gesellschaft

Sozialpsycho-

(= rowohlts deutsche enzyklopädie),

104—106. Tausend, Hamburg 1976, bes. S. 7Qff.

10

Einführung

Bereich der Schulgeschichte bleibt es einer eingehenden Prüfung wert, wie lange und in welchen Bereichen traditionelle E l e m e n t e überwogen, seit wann und in welcher Stärke V o r s t e l l u n g e n u n d K a t e g o r i e n , die seit d e m 19. J a h r h u n d e r t selbstverständlich wurden, anwendbar sind. 2 3 E s sei an den g r o ß e n Angriff O t t o Brunners auf eine v o n juristischer Seite geprägte R e c h t s - und Verfassungsgeschichte erinnert, die auf G r u n d ihres p r a k t i s c h - g e g e n w a r t s b e z o g e n e n Interesses scheinbar allgemeingültige Begriffe wie S t a a t , V e r w a l t u n g und Gesellschaft b e n u t z t e , die e r s t im 19. J a h r h u n d e r t ihren spezifischen Inhalt erhielten. 2 4 E s gilt a u c h im R a h m e n dieser Studie B r u n n e r s F o r d e r u n g n a c h einer T e r m i nologie z u b e a c h t e n , die „so weit als m ö g l i c h den Quellen selbst entn o m m e n sei, so daß der Sinn dieser Quellen m i t Hilfe dieser Begriffe richtig g e d e u t e t werden k a n n " . 2 5 H i e r t r i t t j e d o c h das P r o b l e m auf, das m e t h o d i s c h e P o s t u l a t m i t d e m v o r h a n d e n e n Material in Einklang z u

23 Es sei hier die Frage offengelassen, ob nicht schon in Begriffen wie „Verwaltung", „Schulpflicht", „Schulpolitik" modern-staatliche Vorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts mitsprechen. Das Problem der Terminologie wird auch für das 18. Jahrhundert erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Die Historische Pädagogik hat diese terminologischen Methodenfragen für den Begriff der „Volksschule" diskutiert, siehe Wilhelm Flitner, Die vier Quellen des Volksschulgedankens (= Erziehungswissenschaftliche Bücherei. Reihe 2, Geschichte der Bildung), 5. Aufl., Stuttgart 1963, S. 20—22, S. 25; E. Spranger, Zur Geschichte..., S. 11 f., S. 32; auch schon ders., Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bildungswesens (= Die großen Erzieher. Ihre Persönlichkeit und ihre Systeme, Bd. 4), Berlin 1910, S. 10; zu Spranger vgl. R. Menzel, Die Anfänge..., S. 5—9; zu diesem Problem schon C. Nohle, Artikel: Deutsches Knabenschulwesen, seine Geschichte, in: W(ilhelm) Rein (Hrsg.), Encyklopädisches Handbuch..., Bd. 2,2. Aufl., Langensalza 1904, S. 67. Auf die Verwendbarkeit der Begriffe „Schulpolitik" und „Schulverwaltung" wird zurückzukommen sein. 24 Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter (= Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtsforschung und Archivwissenschaft in Wien, Bd. 1), 3., ergänzte Aufl., Wien 1943,S. 136 f., S. 139 f., S. 175 u. ö.jfernerist Dietrich Gerhards Warnung voreinerzu sehr von entwicklungsgeschichtlichen Perspektiven geprägten Sicht zu beachten, D. Gerhard, Ständische Vertretungen und Land..., S. 14, S. 34ff. 25 Geprägt und exemplifiziert an der Frage des Baues mittelalterlicher Verbände, das Zitat bei O. Brunner, Land und Herrschaft..., S. 187. Brunner hebt zugleich hervor, daß moderne Begriffe nicht völlig entbehrt werden können, sie müßten aber „in ihrer geschichtlichen Bedingtheit" erkannt werden. Dies sei die Aufgabe des Historikers, der sich auf die historischen „Fachwissenschaften" zu stützen habe, die aber „zuerst der Gegenwart dienen"; deshalb seien „ihre Begriffe nicht einfach zu übernehmen" (diese Zitate a.a.O., S. 187 f.); ferner, im Anschluß an O. Brunner, etwa D. Gerhard, Ständische Vertretungen und Land..., S. 35.

Zw Forschungsstand,

Metbodenproblemen

und Untersuchungsziel

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bringen. Es liegen für die höheren und gymnasialen Schulen Publikationen und Editionen in überdurchschnittlichem Umfang vor, und diese Forschungslage hat sich in den letzten Jahren weiter verbessert; es sei nur auf die inhaltsreiche und quellengestützte Studie von Karl-Ernst Jeismann verwiesen.26 Von großer Bedeutung als Material bleiben die zum Teil aus heute verlorenen Schularchiven schöpfenden, meist anläßlich bestimmter Jubiläen erschienenen Anstaltsgeschichten, die für Gymnasien in beachtlichem Umfange vorliegen und — bei aller auch hier anzuwendenden Kritik — wichtige Informationen liefern.27 Der schlechte Forschungsstand zur Schulwirklichkeit in Preußen unterhalb der Gelehrtenschule ist an der außerordentlich heterogenen Literaturlage ablesbar. Hier ist allenfalls die „Schulpolitik" von der älteren Literatur an Hand der Akten und des zeitgenössischen Schrifttums systematischer bearbeitet worden. So sind zum Beispiel die einschlägigen Titel von Vollmer, Clausnitzer, Heubaum und Paul Schwartz zu

K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium... (wie Anm. 16). Auf die älteren, aber immer noch wertvollen Werke von Friedrich Paulsen wurde oben Anm. 20 hingewiesen. Auch Jeismanns Arbeit zeigt den Wert der kommentierten Edition von Paul Schwartz, Die Gelehrtenschulen Preußens unter dem Oberschulkollegium (1787—1806) und das Abiturientenexamen, 3 Bde (= Monumenta Germaniae Paedagogica, Bde 46, 48, 50), Berlin 1910—1912, zum Charakter als Quellenwerk: Bd. 1, S. V (Vorwort); die Biographie von Conrad Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz und Preußens höheres Schulwesen im Zeitalter Friedrichs des Großen, 2., vermehrte Aufl., Straßburg 1886, benutzte wichtiges Material und muß weiterhin verglichen werden; ebenso Alfred Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, 1. (einziger) Bd.: Bis zum Beginn der allgemeinen Unterrichtsreform unter Friedrich dem Großen 1763ff. Das Zeitalter der Standes- und Berufserziehung, Neudruck der Ausgabe Berlin 1905, Aalen 1973; siehe auch die Anm. 13 genannte Studie von H.-G. Herrlitz, Studium als Standesprivileg... (1973). 26

27 Derartige Schulgeschichten gibt es, wenn auch in schwächerer Qualität, für städtische Anstalten unterhalb des Gelehrtenschulniveaus. Hier seien exemplarisch für die Berliner Gymnasien genannt: Erich Wetzel, Die Geschichte des Königl. Joachimsthalschen Gymnasiums 1607—1907 (= Festschrift zum dreihundertjährigen Jubiläum des Königl. Joachimsthalschen Gymnasiums am 24. August 1907, 1. Teil), Halle a. S. 1907; Julius Heidemann, Geschichte des Grauen Klosters zu Berlin, Berlin 1874; A(ugust) C(arl) Müller, Geschichte des Friedrichs-Werderschen Gymnasiums zu Berlin, Berlin 1881, und Johannes Ferber, 1681—1931. Zweihundertfünfzig Jahre Friedrichs-Werdersches Gymnasium zu Berlin, Berlin 1931; siehe auch die Festschrift zur Hundertjahr-Feier des Königlichen Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums zu Berlin am 8. M ai 1897, o. O. (1897); G. Schulze, Bericht über das Königliche Französische Gymnasium in den Jahren 1689—1889, in: Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestehens des Königlichen Französischen Gymnasiums. Herausgegeben vom Direktor und dem Lehrerkollegium, Berlin 1890, S. 1—134.

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Einführung

erwähnen.28 In diesen Arbeiten finden sich Nachrichten eingestreut, die einzelne Hinweise auf die tatsächliche Lage des Schulwesens mitteilen. Die Grundlage für ein Urteil oder auch nur einen vorläufigen Uberblick über Quantität und Qualität des niederen und höheren Schulwesens in den verschiedenen Teilen Preußens geben sie nicht. 29 Von recht unterFerdinand Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik unter Friedrich dem Großen (= Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. 56), Berlin 1918; auf dem Handeln des Landesherrn und seiner Instrumente liegt auch der Schwerpunkt seines Buches Friedrich Wilhelm I. und die Volksschule, Göttingen 1909; zu dieser bei Max Lehmann angefertigten Dissertation vgl. die Kritik von Wilhelm Stolze, Friedrich Wilhelm I. und die Volksschule, in: Historische Zeitschrift, Bd. 107 (1911), S. 81—92; von der Materialgrundlage her unverzichtbar: Eduard Clausnitzer, Zur Geschichte der preussischen Volksschule unter Friedrich dem Großen. Eine archivalische Studie, in: Die Deutsche Schule, Bd. 5 (1901), S. 342—366, S. 411—428; A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens. .. (wie Anm. 26); ders., Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs· (1798—1897), in: Monatsschrift für höhere Schulen, Bd. 1 (1902), S. 20—40, S. 111—122, S. 145—154, S. 209—220, S. 305—321; ders., Die Reformbestrebungen unter dem preussischen Minister Julius von Massow (1798—1807) auf dem Gebiete des höheren Bildungswesens, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, Bd. 14 (1904), S. 186—225. Paul Schwartz, Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule (1788—1798) (=Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd, 58), Berlin 1925 (dazu die wichtige Rezension von Fritz Härtung, in: Deutsche Literaturzeitung für Kritik der internationalen Wissenschaft, Bd. 46 [1925], S. 1578). Ernster zu nehmen als der Titel zunächst vermuten läßt: Konrad Fischer, Friedrich der Große als Erzieher seines Volkes. Ein Gedenkbuch zum 100. Jahrestag seines Todes, 17. August 1786, mit einem Vorwort von Joh. Chr. Gottlob Schumann, Trier 1886. 28

29 Dies gilt auch für die inzwischen veralteten Werke von Heppe und Fischer, deren Materialgrundlage im Detail oft nicht erkennbar ist, deren Neigung, Einzelfälle ungeprüft zu verallgemeinern, allerdings evident ist: Heinrich Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens, 5 Bde, Gotha 1858—1860, Neudruck: Hildesheim-New York 1971 ; Konrad Fischer, Geschichte des deutschen Volksschullehrerstandes, 2 Bde, Hannover 1892, Neudruck: Leipzig 1969. Beide bleiben als Material wichtig; in den Passagen zum 18. Jahrhundert unzulänglich, da nur den seinerzeitigen Wissensstand (mehr oder weniger gründlich) referierend: C(arl) Müller, Grundriß der Geschichte des preußischen Volksschulwesens. Für Seminaristen, Lehrer und Schulaufsichtsbeamte (= Der Bücherschatz des Lehrers. Wissenschaftliches Sammelwerk zur Vorbereitung und Weiterbildung, Bd. 7), 3. und 4. Aufl., Osterwieck/Harz-Leipzig 1913; überholt: Heinrich Lewin, Geschichte der Entwicklung der preußischen Volksschule und der Förderung der Volksbildung durch die Hohenzollern nebst den wichtigsten Schul-Ordnungen, Schul-Gesetzen, Erlassen und Verfügungen, Leipzig 1910; Fr. Keller, Geschichte des preußischen Volksschulwesens, Berlin 1873; Ernst Weyher, Abriß der geschichtlichen Entwicklung der preußischen Volksschule. Ein Wiederholungsbuch für Seminaristen und junge Lehrer, 6., verm. Aufl., Breslau 1918; diese Titel sind nur noch für Einzelfragen zu konsultieren. Die einleitenden, das 18. Jahrhundert behandelnden Passagen bei J(ohannes) Tews, Ein

Zu Forschungsstand, Methodenproblemen

und Untersuchungsziel

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schiedlicher Qualität sind Studien über das (niedere) Schulwesen verschiedener preußischer Provinzen im 18. Jahrhundert. Während die Untersuchung von Paul Schwartz über die Neumark um 1800 wichtige und für diese Provinz repräsentative Aussagen auf Grund der archivalischen Quellenlage um 1900 enthält, bleibt Schumanns Arbeit über das „Volksschulwesen in der Altmark" in einer oberflächlichen Übertragung der allgemeinen pädagogischen Ideengeschichte auf diese Landschaft bei vereinzelter Mitteilung konkreter Tatbestände stecken. 30 Stehen für Magdeburg und Halberstadt mit den Schriften von Danneil und Kehr wichtige ältere, wenn auch keineswegs mehr voll befriedigende Darstellungen zur Verfügung — für die kleine Provinz Halberstadt ist immerhin die ausgezeichnete, leider ungedruckte Dissertation von Walter Werner hinzugetreten 31 —, so haben in den letzten Jahrzehnten mehrere provinzbezogene Analysen, die zumeist von Historikern vorgelegt wurden, die Möglichkeit einer verstärkt vergleichenden Gesamtschau näher gebracht, 32 für die ferner eine reiche landesgeschichtliche Literatur vorliegt. Jahrhundert preußischer Schulgeschichte. Volksschule und Volksschullehrerstand in Preußen im 19. und 20. Jahrhundert, Leipzig 1914, S. 6—54, sind ebenfalls unergiebig. 30 Paul Schwartz, Die neumärkischen Schulen am Ausgang des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts (= Schriften des Vereins für Geschichte der Neumark, Heft 17), Landsberg a. W. 1905; Joh. Christ. Gottlob Schumann, Die Geschichte des Volksschulwesens in der Altmark und des Altmärkischen Schullehrer-Seminars zu GardelegenOsterburg im Zusammenhange mit der Altmärkischen Cultur- und Kirchengeschichte und der evangelischen Pädagogik, Halle 1871. 31 Friedrich Danneil, Geschichte des evangelischen Dorfschulwesens im Herzogtum Magdeburg. A us archivalischen und anderen Quellen, Halle 1876; C(arl) Kehr, Geschichte des Königl. Schullehrer-Seminars zu Haiherstadt. Festschrift zur Jubelfeier seines hundertjährigen Bestehens am 10. Juli 1878, Gotha 1878; jetzt Walter Werner, Die Entwicklung der Landschulen im Bistum-Fürstentum Halberstadt (1564—1806), 2 Bde, Phil. Diss., Halle-Wittenberg 1974 (Masch.) — eine vorzügliche materialreiche Studie auf der Grundlage der archivalischen Überlieferung; in den Ergebnissen kann sich der Verfasser nur teilweise Werners Thesen anschließen. 32 Für das 18. Jahrhundert sollen als Beispiele genannt werden: Fritz Terveen, Gesamtstaat und Rétablissement. Der Wiederaufbau des nördlichen Ostpreußen unter Friedrich Wilhelm 1.1714—1740 (= Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, Bd. 16), Göttingen 1954; Hartwig Notbohm, Das evangelische Kirchen- und Schulwesen in Ostpreußen während der Regierung Friedrichs des Großen (= Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 5), Heidelberg (1959); Ingeburg Charlotte Bussenius, Die preußische Verwaltung in Süd- und Neuostpreußen 1793—1806. Mit einem Geleitwort des Herausgebers (» Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 6), Heidelberg 1960, S. 253—257. Zu Halberstadt der Titel von Walter Werner (Anm. 31). Für Cleve-Mark siehe zuletzt M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform... (wie Anm. 7); Wilhelm Zimmermann, Die

Einführung

14

Auf dieser, von der älteren und neueren geschichts- und bildungsgeschichtlichen Forschung erarbeiteten Materialgrundlage bauen die neuen Beiträge zur preußischen Schul- und Bildungsgeschichte des 18. Jahrhunderts auf. Hier stellen die (das höhere Bildungswesen betrachtenden) Studien von Jeismann und Herrlitz, die auch Archivalien verwenden, oder die auf die breite zeitgenössische, besonders pädagogische Literatur bezogene Studie von Heinemann 33 Beispiele einer für dieses Schrifttum überdurchschnittlichen Quellennähe dar, ohne daß die Forderung einer intensiven Analyse der Schulwirklichkeit damit erfüllt worden sei. Quellenstudien für das niedere Schulwesen, für die breite Schicht der Land- und der (niederen) Stadtschulen liegen noch nicht in genügender Anzahl und Intensität der präsentierten Resultate vor. Geht das Urteil nicht fehl, so haben Achim Leschinsky und Peter Martin Roeder in ihrer Studie auf der Grundlage der bereits benannten älteren und neueren Literatur eine optimale Zusammenfassung des Bekannten als Resümee der jetzigen Kenntnis der realen Lage der Schulen im Preußen des 18. Jahrhunderts gegeben, 34 ohne daß von ihnen der Anspruch erhoben wurde, dieses Thema abschließend behandeln zu wollen. 35 Als interessant darf hervorgehoben werden, daß den Verfassern gerade dieses Bemühen um eine bilanzierende Darstellung der historischen Faktizität seitens der Historischen Pädagogik auch scharfe Kritik eingetragen hat, 36 der sich der Verfasser dieser Studie

Anfänge und der Aufbau des Lehrerbildung- und Volksschulwesens am Rhein um die Wende des 18. Jahrhunderts (1770—1826). Ein Beitrag zur Geschichte des rheinischen T . 1, Köln 1953, S. 2 0 4 — 2 3 6 : „Die Schulreform in den preußischen Gebie-

Schulwesens,

ten am Niederrhein: Kleve-Mark, Mörs und Geldern". 33 K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium...; H.-G. Herrlitz, Studium als Standesprivileg. ..; M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., hier das Quellenverzeichnis

S. 374—391. 34

A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule...,

S. 78—122. Vgl. jetzt auch die freilich für

die Zeit bis 1806 nur knappen Ausführungen von Anthony J . La Vopa,

Prussian

Schoolteachers. Profession and Office, 1763—1848, Chapel Hill 1980, S. 11—37, S. 166— 172. 35

A.a.O.,

S. 121: „Auch der vorstehende Uberblick reicht nicht aus, um ein anschau-

liches Bild vom Zustand des preußischen Schulwesens am Ende des 18. Jahrhunderts zu geben." 36 Albert Rang/Brita Rang-Dudzik, Anmerkungen und Überlegungen zu dem Buch von A. Leschinsky und P. M. Roeder: Schule im historischen Prozeß, in: Zeitschrift für

Pädagogik,

23. Jg. (1977), S. 6 2 5 — 6 3 6 , bemängeln a.a.O.,

S. 626, daß von Leschinsky

und Roeder „die Bedeutung der analytischen Funktion entfalteter Theorie bzw. eines reflektierten geschichtstheoretischen Vorverständnisses . . . , wenn nicht geleugnet, so

Zu Forschungsstand, Methodenproblemen und Untersuchungsziel

15

nicht anzuschließen vermag. Jedoch zeigen gerade die betreffenden Passagen des Werkes von Leschinsky und Roeder, wie begrenzt das Material ist, das bisher für die wirkliche Lage des niederen Schulwesens im 18. Jahrhundert zur Verfügung steht. Weiter bleibt im Anschluß an Dietrich Gerhards grundlegende Überlegungen zu fragen, ob nicht die „bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts oder noch in dies Jahrhundert hinein" wirkenden regionalistischen Strukturen bereits in der Anlage der Untersuchung selbst Berücksichtigung finden müssen. 37 Deshalb wurde für die vorliegende Studie der Weg gewählt, bei der Betrachtung der Schulwirklichkeit, der tatsächlichen Lage und Funktion der Schule „vor O r t " , eine Provinz, das brandenburgische Kerngebiet des preußischen Staates, in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen, um von hier aus die gewonnenen Ergebnisse komparativ zu überprüfen. Angesichts der referierten verhältnismäßig guten Forschungslage zum höheren und gymnasialen Schulwesen sollen hier die ländlichen und niederen städtischen Schulen schwerpunktmäßig das Thema sein. Dabei ist festzustellen, daß die vorliegenden gedruckten Quellen eine solche Untersuchung nicht zulassen. Weder ältere noch neuere Quellensammlungen zur — im weitesten Sinne — Erziehungsgeschichte präsentieren Material aus der Schule; vielmehr liegt hier die ausschließliche Wahl auf der Wiedergabe von Aussagen der zeitgenössischen pädagogischen Theorie — allenfalls werden programmatische Überlegungen etwa des Ministers von Zedlitz zum Abdruck gebracht, deren doch heruntergespielt" werde. Es folgt der Vorwurf des „Neopositivismus". Berechtigt scheinen dem Verfasser die von Rang und Rang-Dudzik geäußerten Zweifel an der Subsistenzkrisentheorie für das ausgehende 18. Jahrhundert (vgl. a.a.O., S. 629 und A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 231—283, S. 418, S. 490). Dem Verfasserscheinen hier die Ergebnisse von Hans-Heinrich Müller, Die Entwicklung der A nbauverhältnisse in der märkischen Landwirtschaft vor den Agrarreformen von 1807, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Jg. 1964, Tl. 1, Berlin [Ost] 1964, S. 213—244, nicht ausreichend berücksichtigt worden zu sein; siehe auch ders., Märkische Landwirtschaft vor den Agrarreformen von 1807. Entwicklungstendenzen des Ackerbaues in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Bezirksheimatmuseums Potsdam, Heft 13), Potsdam 1967, z. B. S. 71—83, zur Steigerung der Agrarproduktivität. D. Gerhard, Regionalismus und ständisches Wesen..das Zitat S. 15. Wie stark diese Überlegungen auch die neuere Ständeforschung beeinflussen, zeigt der Anm. 5 genannte Band. Daß dabei auch regionale Einheiten Beachtung finden müssen, die von bisherigen Grenzziehungen abstrahieren lassen, deutet der im Diskussionsbeitrag von Anton Schindling geprägte Begriff der „Adelslandschaft" an. A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 78, waren sich übrigens des Problems regionaler Unterschiedlichkeiten durchaus bewußt. 37

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Einführung

Quellenwert für die Schulgeschichte an Hand einer Untersuchung der Schulwirklichkeit zu überprüfen bleibt. 38 Dies gilt selbstverständlich um so mehr für Kompilationen von Schulreglements und Edikten. 39 Eine Sammlung, die wie die große Edition der Acta Borussica es für verschiedene Verwaltungsbereiche unternahm, Material für die Lage des Schulwesens und das Handeln des „Staats" diesem gegenüber zu liefern, existiert noch nicht. Die Reihe über Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung40 enthält im ganzen nur vereinzelte, hier

38 Vgl. die jüngst erschienenen Sammlungen von Ludwig Fertig (Hrsg.), Die Volksschule des Obrigkeitsstaates und ihre Kritiker. Texte zur politischen Funktion der Volksbildung im 18. und 19. Jahrhundert (= Texte zur Forschung, Bd. 30), Darmstadt 1979; Christa Berg, Staat und Schule oder Staatsschule? Stellungnahmen von Pädagogen und Schulpolitikern zu einem unerledigten Problem 1789—1889 (= Athenäum Taschenbuch Erziehungswissenschaft, Bd. 3158), Königstein/Ts. 1980; K.-H. Günther u. a. (Hrsg.), Quellen...; wichtiger ist die Sammlung von Eduard Clausnitzer, Die Volksschulpädagogik Friedrichs des Großen und der preußischen Unterrichtsverwaltung seiner Zeit (= Die pädagogischen Klassiker. Zur Einführung in ihr Leben und ihre Schriften, Bd. 7), Halle a. S. 1902, der im 3. Teil (S. 39—136) auch wichtige Stücke aus archivischer Uberlieferung mitteilt, u. a. mehrere Berichte von Provinzial-Regierungen und Konsistorien; überholt, da ihrerseits ausschließlich aus Editionen schöpfend, die Kompilation von Jürgen Bona Meyer (Hrsg.), Friedrich's des Großen Pädagogische Schriften und Äußerungen. Mit einer Abhandlung über Friedrich's des Großen Schulregiment nebst einer Sammlung der hauptsächlichsten Schulreglements, Reskripte und Erlasse übersetzt und herausgegeben (= H. Beyer' s Bibliothek pädagogischer Klassiker. Eine Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften älterer und neuerer Zeit, [Bd. 23]), Langensalza 1885; zum Neudruck in der Reihe Scriptor Reprints, Königstein/Ts. 1978, sei auf die Rezension des Verfassers im Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 29 (1980), S. 155 f., verwiesen (hier zur Quellenbasis dieser Sammlung). 39 Als Beispiele seien genannt: Ludwig von Rönne (Hrsg.), Das Unterrichtswesen des Preußischen Staates... (= Die Verfassung und Verwaltung des Preußischen Staates, 8. Theif, Bd. 2), hier insbesondere Bd. 1, Berlin 1854/55; Reinhold Vormbaum (Hrsg.), Evangelische Schulordnungen, Bd. 1—3, Gütersloh 1860—1864 (hier besonders Bd. 3: Die evangelischen Schulordnungen des achtzehnten Jahrhunderts)·, jetzt die knappe Sammlung von Leonhard Froese/Werner Krawietz (Bearb.), Deutsche Schulgesetzgebung, Bd. 1 : Brandenburg, Preußen und Deutsches Reich bis 1945 (= Kleine Pädagogische Texte, Bd. 37), Weinheim-Basel-Berlin 1968; sie alle ersetzen die Durchsicht der zeitgenössischen Ediktensammlung von Mylius, Grube, Quickmann, Korn und Scotti nicht. 40 Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hrsg. von der (Königlichen) Akademie der Wissenschaften; (Reihe:) Die Behördenorganisation und die allgemeine StaatsverfassungPreußens im 18. Jahrhundert, Bd. 1—16,Teil 1 und 2, bearb. von G(ustav) Schmoller/O(tto) Hintze u. a., Berlin (Bd. 16, Teil 1 und 2: Berlin-Hamburg) 1894—1982; künftig zitiert: A.B.B, mit Bandzahl. Zu den anderen ReVnen dieser AktensammVung siehe die Nnm. 2 xitiette .Auswahlbibliographie...,

Zu Forschungsstand,

Methodenproblemen

und Untersuchungsziel

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einschlägige S t ü c k e , ja es scheint, als h ä t t e n die H e r a u s g e b e r das Schulwesen b e w u ß t im wesentlichen ausgespart. 4 1 F ü r die G e b i e t e m i t einem stärkeren k a t h o l i s c h e n Konfessionsanteil steht immerhin in d e r Sammlung v o n M a x L e h m a n n und H e r m a n G r a n i e r wertvolles und reichhaltiges Material z u r Verfügung. 4 2

A n dieser Stelle m u ß t e für die gewählte T h e m e n s t e l l u n g die M a t e rialbeschaffung a n s e t z e n . 4 3 L a g nach Aussage v o n K a r l - E r n s t J e i s m a n n sein „ Q u e l l e n m a t e r i a l . . . auf einer verhältnismäßig h o h e n E b e n e ü b e r S. 1693 f. Als Beispiel sei auf die Ostpreußen betreffenden Stücke in A.B.B., Bd. 5, 2. Hälfte, Berlin 1912, S. 1047 f. (Register) für die Jahre 1736—1740 verwiesen; vgl. auch die Exempel bei Walther Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung (= Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 18), Köln-Berlin 1973, S. 274 f. 41 Vgl. die Notiz in: A.B.B., Bd. 13, Berlin 1932, S. 51, Anm. 1 an Nr. 27 (Kabinettsorder vom 1. April 1763): „Ein näheres Eingehen auf die Bestrebungen des Königs zur Hebung des Schulwesens ist nicht beabsichtigt." 42 Max Lehmann/Herman Granier (Hrsg.), Preußen und die Katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchivs, 9 Bde (= Publicationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven, Bde 1, 10, 13, 18, 24, 53, 56, 76, 77), Leipzig 1878—1902 (Bde 8 und 9 hrsg. von Herman Granier). Der Historischen Pädagogik ist diese Sammlung bisher offenbar entgangen. Irrig ist jedenfalls die Meinung von S. Godefroid u. a., Bürgerliche Ideologie..., S. 8, von einer guten Quellenerschließung. Zum Quellenmangel — gerade auch für die niederen Schulen — vgl. W. Roessler, Zur Geschichte..., S. 1002; Wilhelm Flitner, Nachwort, in: E. Spranger, Zur Geschichte..., S. 110f.; L. Fertig, Die Volksschule des Obrigkeitsstaates..., S. VII. 43 Eine Schul- oder Bildungsgeschichte der Mark Brandenburg (auch eine des 17. oder 18. Jahrhunderts) ist ein Forschungsdesiderat, vgl. Hans-Joachim Schreckenbach (Bearb.), Bibliographie zur Geschichte der Mark Brandenburg, Teil 1 —4 (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, Bd. 8—11), Weimar 1970—1974, hier: Bd. 1, S. 392— 396; der Beitrag von Richard Galle, Bildung, Wissenschaft und Erziehung, in: Ernst Friedel/ Robert Mielke (Hrsg.), Landeskunde der Provinz Brandenburg, Bd. 4: Die Kultur, Berlin 1916, S. 407—554, benutzte schon die zeitgenössische Literatur nur unzureichend und fehlerhaft. Zu Paul Schwartz und Schumann s. o. bei Anm. 30; wichtige Einzelbeiträge liegen von Friedrich Wienecke vor (siehe das Literaturverzeichnis); als nützliche Uberblicke sind zu benutzen: Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 5, Berlin 1969, S. 121—136 („7. Bildungswesen"), besonders S. 124—136; Gerd Heinrich, Brandenburg II. Reformation und Neuzeit, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 7, Berlin-New York 1980, S. 111—128; Georg Kotowski, Bildungswesen, in: Hans Herzfeld/Gerd Heinrich (Hrsg.), Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 25. Geschichte von Brandenburg und Berlin, Bd. 3), Berlin 1968, S. 515—555.

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einer Unzahl von weitgehend verlorenen oder kaum noch zu erreichenden Uberlieferungen der lokalen Instanzen", 44 so mußte es darum gehen, eben solche Akten möglichst niederer Provenienz zur Grundlage der Studie zu machen. Diese Archivalien fanden sich insbesondere in großer Fülle in der Repositur Provinz Brandenburg 2 Β des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem. 45 Es handelt sich dabei um einen umfangreichen Teilbestand der Abteilung für Kirchen- und Schulwesen in der Regierung Potsdam, die nach den preußischen Reformen die Bestände des Kurmärkischen und dann des Oberkonsistoriums aus dem (17. und) 18. Jahrhundert verwahrte. Neben wichtigen, bisher noch nicht benutzten, Brandenburg betreffenden Generalakten dieses seit 1750 jedoch für ganz Preußen zuständigen Kollegiums 46 handelt es sich bei der Masse des Materials um Speziai (Lokal)-Akten, in denen Schriften aus und Überlegungen des Konsistoriums beziehungsweise der Inspektoren über einzelne oder mehrere Dorf- und niedere Stadtschulen enthalten sind — Quellen, in denen Schulmeister und Lehrer, Ortsgeistliche und Gemeinden, Patrone und preußische Oberkonsistorialräte konkret handelnd beobachtet werden können. Ferner gingen in die Repositur 2 Β Akten des reformierten Kirchendirektoriums und Schulbauakten der Bauregistratur der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer ein, die auch diese Organe in unmittelbarer Konfrontation mit der Schulwirklichkeit zeigen und die die Repräsentativität der anzustrebenden Aussagen erhöhen. 47 Dieser Bestand wurde insbesondere ergänzt durch die Akten der brandenburgischen Repositur 40 (Kurmärkisches Konsistorium beziehungsweise Oberkonsistorium) und des Konsistorialarchivs der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg. 48 K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 31. Geheimes Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, Provinz Brandenburg, Repositur 2 B, Regierung Potsdam, Abteilung II: Kirchen- und Schulwesen (künftig zitiert: G. St. Α., Berlin Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, mit entsprechender Liegennummer). Zu dem Bestand vgl. die grobe Übersicht in: Hans Branig/Ruth Büß/Winfried Büß (Bearb.), Übersicht über die Bestände des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem, Teil 1, Köln-Berlin 1966, S. 16—37; zur Pr. Br. Rep. 40 (Kurmärkisches Konsistorium bzw. Oberkonsistorium) vgl. a.a.O., S. 73 f. Allein aus der Rep 2 Β wurden etwa 430 Bände und Faszikel durchgesehen. 44

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Vgl. die näheren Ausführungen unten im E R S T E N T E I L , D R I T T E S K A P I T E L . Dies gilt sowohl für die regionale Verteilung als auch für das Verhältnis StadtLand. Der Schwerpunkt in zeitlicher Hinsicht liegt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aber auch für die erste Hälfte sind die Akten ergiebig. 48 Archiv des Konsistoriums: Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg. Landes46

47

Zw Forschungsstand,

Methodenproblemen

und Untersuchungsziel

19

Diese Quellen über präzis in ihrem lokalen Kontext zu fassende Schulen und ihre Probleme eröffnen aber nicht nur einen bisher nicht zugänglichen Weg, die Realität „vor Ort" zu beleuchten und bisherige Vorstellungen zu überprüfen. Die Tatsache, daß diese Akten von dem Konsistorium in der Residenz Berlin-Kölln 49 und nach 1750 von dem den verschiedenen konsistorialen Landesbehörden übergeordneten Oberkonsistorium angelegt wurden, eröffnet die weitergehende Möglichkeit, führende Männer der preußischen „Schulverwaltung" des 18. Jahrhunderts in der Praxis ihrer Tätigkeit zu beobachten. Das Oberkonsistorium wurde nur formell vom kurmärkischen Konsistorium unterschieden; faktisch waren beide identisch, und sie besaßen auch „nur eine gemeinsame Registratur". 5 0 Es wird in der vorliegenden Studie noch näher zu betrachten sein, daß Oberkonsistorial- und Kirchenräte auch im Oberschulkollegium fast ausnahmslos und in zunehmendem Umfange das Personal stellten. 51 Für die Aussagekraft der vorliegenden Quellen ist jedoch schon jetzt festzustellen, daß auf Grund dieser vielfachen personellen Amterkombinationen die Akten auch über das Gründungsjahr des Oberschulkollegiums (1787) hinaus für die Praxis der obersten preußischen Schul-Räte von Bedeutung bleiben. Die Tatsache, daß die Mediatisierung landesherrlicher Schulmaßnahmen durch besondere Provinzialkonsistorien für die Mark Brandenburg insofern entfällt und solche Initiativen in der die Hauptkirchliches (künftig zitiert:) Archiv des Konsist., mit Bestandsangabe; vgl. Näheres über diese und andere benutzte Archivalien im QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS. 49 Eine wichtige Ergänzung für die zweite Hälfte des 16. und für das 17. Jahrhundert liegt vor in der Edition von Burckhard von Bonin (Hrsg.), Entscheidungen des Cöllnischen Konsistoriums Π41—1704. Nach der Sammlung des Konsistorialrats und Prohstes D. Franz Julius Lütkens mit Genehmigung des Evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg, Weimar 1926. Diese um 1700 entstandene Zusammenstellung (das Autograph hat sich im Archiv des Konsist. erhalten) ist, wohl wegen ihres rein kirchengeschichtlich erscheinenden Titels, von der Schulgeschichtsforschung bisher übersehen worden. Generell ist festzustellen, daß aus dem allgemeinen Satz, Schule sei im 18. Jahrhundert noch „Sache der Kirche" gewesen, doch die Folgerung gezogen werden muß, die reiche kirchengeschichtliche Literatur der verschiedenen preußischen Landesteile in die bildungsgeschichtlichen Untersuchungen einzubeziehen!

So ein Vermerk des Staatsarchivrates Reinhard Lüdicke (23. Febr. 1925) im Repertorium für Pr. Br. Rep. 40, Hauptregistratur, im G. St. Α., Berlin- Dahlem. 50

51

S i e h e u n t e n i m ERSTEN TEIL, DRITTES KAPITEL; v o r l ä u f i g sei v e r w i e s e n auf P.

Schwartz, Die Gelehrtenschulen..., Bd. 2, Berlin 1911, S. 359; August Gans, Das ökonomische M otiv in der preußischen Pädagogik des achtzehnten Jahrhunderts, Halle (Saale) 1930, S. 142, Anm. 1.

Einführung

20

Stadt u m g e b e n d e n L a n d s c h a f t bei geringeren H e m m n i s s e n , wie sie für andere P r o v i n z e n s c h o n aus der räumlichen E n t f e r n u n g z u r R e s i d e n z a u f t r e t e n m o c h t e n , auf die Schulwirklichkeit trafen, m a c h t das brandenburgische E x e m p e l z u einem interessanten Studienobjekt. Die g e n a n n t e n A k t e n sind wie jede andere Quelle m i t K r i t i k zu v e r w e r t e n . S o s t e h t z u v e r m u t e n , d a ß B a u a k t e n bei der K a m m e r im ü b e r d u r c h s c h n i t t l i c h e n U m f a n g e dann angelegt wurden, wenn die Baus u b s t a n z als u n t e r d u r c h s c h n i t t l i c h e r k a n n t wurde. E s m u ß ebenfalls der U m s t a n d Berücksichtigung finden, daß die K o n s i s t o r i a l a k t e n im 17. und 18. J a h r h u n d e r t , aber auch im Z w e i t e n W e l t k r i e g V e r l u s t e erlitten haben, so daß also n u r ein A u s s c h n i t t dieser Uberlieferung zur V e r f ü g u n g s t e h t . 5 2 A l s gravierend t r i t t der U m s t a n d hinzu, daß seit 1 9 4 5 a u c h die für das z u bearbeitende T h e m a einzusehenden A k t e n nicht nur in Berlin ( W e s t ) , sondern auch im Deutschen Merseburg

u n d im Staatsarchiv

Potsdam

Zentralarchiv

lagern. Diese blieben dem

Verfasser u n z u g ä n g l i c h . 5 3 S o m i t war die e r n e u t e D u r c h s i c h t der der älteren F o r s c h u n g als archivalische G r u n d l a g e dienenden A k t e n des

52 Für G. St. Α., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 40, vgl. H. Branig/R. Bliß/W. Bliß (Bearb.), Übersicht..., Teil 1, S. 152 (Kurmark: 75 %, Küstrin: 5 %). Die Visitationsakten des 16. Jahrhunderts, die sich bis 1945 im Konsistorialarchiv befanden, gingen 1945 verloren; so die Nachprüfungen des Verfassers; vgl. auch Frido Métsk, Der kurmärkischwendische Distrikt. Ein Beitrag zur Geschichte der Territorien Bärwalde, Beeskow, Storkow, Teupitz und Zossen unter besonderer Berücksichtigung des 16. bis 18. Jahrhunderts (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriftenreihe des Instituts für sorbische Volksforschung in Bautzen, Bd. 24), Bautzen 1965, S. 19 mit Anm. 55 und Anm. 262 auf S. 68. Zu den schon im 17. Jahrhundert eingetretenen Verlusten in der Registratur des Kurmärkischen Konsistoriums vgl. die Einleitung von B. von Bonin in dem Anm. 49 genannten Band, S. 5. Die Akten des 18. Jahrhunderts zeigen selbst Anzeichen unvollständiger Aktenverwahrung. Nach einem Registraturvermerk, in: Archiv des Konsist., Spezialia Berlin, Superintendentur Berlin Land II, Parochie Henningsdorf, Spec, s, Nr. 32 b, war zu diesem Zeitpunkt der Visitationsbericht der Berlinischen Inspektion aus dem Jahr 1749 nicht mehr aufzufinden; nach einer Angabe des Kirchenrates Bergius vom 9. Okt. 1803 (für ein Kommunikat an die Kammer), G. St. Α., Berlin Dahlem, Pr. Br. Rep. 2B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 1274 (Lindow) ist auch beim reformierten Kirchendirektorium „in dessen Registratur nicht alles gehörig gesammelt und geheftet worden".

Mehrere Anträge auf Benutzung blieben erfolglos. Deshalb war es nicht möglich, die zum Dahlemer Bestand Pr. Br. Rep. 2 Β gehörenden Potsdamer Akten (Pr. Br. Rep. 2 A) zu vergleichen; siehe dazu Lieselott Enders u. a. (Bearb.), Ubersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs (Staatsarchiv Potsdam), Teil 2 (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs [Staatsarchiv Potsdam], Bd. 5), Weimar 1%7, S. 165—187. 53

Zu Forschungsstand,

Methodenproblemen

und Untersuchungsziel

21

Geistlichen Departements und des Kultusministeriums nicht möglich.54 Ein glücklicher Umstand verhinderte es, daß allein die ältere Literatur als Spiegel der gesamtstaatlichen Akten zu benutzen war. Gunnar Thiele hat umfangreiche Abschriften, die er selbst nicht mehr ausgewertet hat, aus diesen und aus anderen, zum Teil nicht mehr existierenden Archiven angefertigt, die als Korrektiv für die nicht zugänglichen Bestände dienen können. 55 Die Thieleschen Kopien enthalten Stücke des Geistlichen Departements, des Kultusministeriums, aber auch reiches Material für verschiedene preußische Provinzen. Der Uberprüfung der brandenburgischen Verhältnisse auf ihre gesamtpreußische Repräsentativität diente ferner die Benutzung der bis 1979 in Göttingen, jetzt ebenfalls im Geheimen Staatsarchiv befindlichen Akten des Etatministeriums und der Kriegs- und Domänenkammer Königsberg sowie die Einsicht wichtiger Seminarakten des 18. Jahrhunderts. 56 Ferner wurden die Akten des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf und des Staatsarchivs Münster herangezogen. Auch bei einem ertragreichen Aktenbestand, der bis in die einzelnen Schulen hinabführt, mußte jedoch die Gefahr einer etatistischen Verengung der Ergebnisse beachtet werden. Hier hatte die reiche orts- und landesgeschichtliche Spezialliteratur, die auch aus lokalen Materialsammlungen schöpfen kann, als wichtige Ergänzung zu dienen. 57 Diese

54

Hier ist besonders die 1. Hauptabteilung, Rep. 47 (Geistliche Angelegenheiten) und die Rep. 76 (Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung) im Bestand der vor 1945 im G. St. Α., Berlin-Dahlem lagernden Akten zu nennen. Diese und andere zentrale Reposituren wurden aber ausgewertet ζ. B. von A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens... (etwaS. 349, S. 367, S. 381 f.); Heubaum machte aus diesen Materialien auch wichtige Feststellungen für den brandenburgischen Bereich; ebenso die Anm. 28 zitierten Studien von Vollmer und Clausnitzer. 55 Diese früher im Bundesarchiv Koblenz befindlichen Aktenabschriften liegen heute im G. St. Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabteilung, Rep. 92, Nachlaß Thiele (hier Abschriften aus den früheren Reposituren der 1. Hauptabteilung N r . 30,32,42,47,57,76, 89, 92, 96 und 199, aber auch aus dem Generaldirektorium u. a. Beständen). 56 Diese sind heute im G. St. Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabteilung, Rep. 76, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eingestellt. Für die Archive in Düsseldorf und Münster siehe die Aufstellung im Q U E L L E N - U N D L I T E R A T U R V E R Z E I C H N I S . 57 Neben der Titelsammlung von Hans-Joachim Schreckenbach (Bearb.), Bibliographie. .. (wie Anm. 43), Gerd Heinrich, Bibliographie zur Geschichte und Landeskunde der Mark Brandenburg, in: F(riedrich) W(ilhelm) A(ugust) Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg. Kritisch durchgesehene und verb. Neuausgabe von O t t o Büsch und Gerd Heinrich (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Uni-

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Einführung

erlaubte zugleich den Versuch, die (bezeichnenderweise!) in den unterdurchschnittlich erfaßten Dörfer und Mediatstädte des materialmäßig verstärkt zu erfassen.58 Die lokalgeschichtliche prüfung bisheriger Pauschalergebnisse mußte erreicht werden,

Akten Adels Überzumal

versität Berlin, Bd. 22. Neudrucke, Bd. 2), Berlin 1968, S. 1*—116*, besonders die Titel zu einzelnen Landschaften, Städten und Dörfern. Es muß hervorgehoben werden, daß in der D D R (E. Kretzschmar, Zur örtlichen Schulgeschichtsschreibung..., S. 263) durchaus erkannt worden ist, wie ertragreich ortsgeschichtliche Forschung für die Erarbeitung von Material zur Beantwortung zentraler Fragen ist. Wenn Bärbel Gafert, Höhere Bildung als Antiaufklärung. Entstehung und Bedeutung des preußischen Gymnasiums (= Campus Forschung, Bd. 122), Frankfurt am Main 1979, S. 13, meint, daß es „kaum Materialien über die Situation der städtischen Lateinschulen und über das Dorfschulwesen" gebe, so zeigen schon die genannten Bibliographien und die obigen Ausführungen zur archi vali sehen Lage, daß diese Auffassung irrig ist. Ebenso stößt auf Bedenken die Aussage von A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 78, über die Verluste im Zweiten Weltkrieg, wenn sie „ein Großteil des Materials" zum Zustand des Elementarschulwesens am Ende des 18. Jahrhunderts verloren glauben und „darum" allein auf der Basis älterer Literatur arbeiten (vgl. schon die Aussage von T h e o Dietrich/Job-Günter Klink [Hrsg.], Zur Geschichte der Volksschule, Bd. 1 /Volksschulordnungen 16. bis 18. Jahrhundert] [= Klinkhardts Pädagogische Quellentexte], Bad Heilbrunn/Obb. 1964, S. 167: die Quellensammlung beschränke sich für das 16. bis 18. Jahrhundert auf Schulordnungen. „Zur Charakterisierung der Schulwirklichkeit dieser knapp drei Jahrhunderte fehlen andere Quellen." Und: „Aus Anordnungen und Verfügungen kann aber die schulische Wirklichkeit gut erschlossen werden."). Zuletzt Joachim Gessinger, Sprache und Bürgertum. Zur Sozialgeschichte sprachlicher Verkehrsformen im Deutschland des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 33: „ . . . Verwaltungsakten sind nur bedingt als verläßliche Quellen zu verwerten, weil sie oft nur selektive oder legitimatorische Darstellungen enthalten." Gessinger, der Akten nicht benutzt, übersieht, daß — bei aller selbstverständlichen Quellenkritik — nicht zur Veröffentlichung bestimmte Akten gerade Beschwerden und Petitionen enthalten können, die mehr über die Schul- und Bildungswirklichkeit aussagen als (zeitgenössisch) publizierte Literarquellen. Mögen sie auch aus der untersuchten Zeit stammen, sie sind vermittelt durch die individuelle Position des schriftstellerisch begabten Verfassers. Insgesamt läßt sich in Teilen der neueren sozialwissenschaftlichen Literatur zur Bildungsgeschichte eine gewisse Quellenscheu nicht leugnen. Dies war geboten, da der Verfasser keinen Zugang zu dem Bestand im Staatsarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep. 37 (Adlige Herrschaften und Güter) hatte, siehe F. Beck/L. Enders, u. a. (Bearb.), Übersicht..., Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 4), Weimar 1964, S. 316—401; der parallele Bestand imG. St. Α., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 37 (Guts- und Familienarchive), vgl. H . Branig/R. Büß/ W . Bliß (Bearb.), Übersicht..., Bd. 1, S. 69—72, bot für die Studie nur wenige Informationen. 58

Zu Forschungsstand,

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die dorfgeschichtliche Literatur zeitlich erheblich weiter zurückreicht als die Akten der Konsistorialregistratur. 59

Der Vorteil größtmöglicher Nähe zum Forschungsobjekt im konkreten Einzelfall und damit die besondere Eignung der betrachteten Quelle steht freilich in einem reziproken Verhältnis zur Repräsentativität der jeweiligen singulären Aussage für die Schulwirklichkeit. Dieses Methodenproblem tritt um so stärker in den Blick, wenn mit Jeismann „Wirklichkeit" nicht (nur) als „die Summe alles Vorhandenen schlechthin, sondern als das Wirkende, das Mächtige, das die Geister der Zeit gefangennahm", zu umschreiben versucht wird. 60 Damit ist die Frage nach den Möglichkeiten und den Grenzen quantifizierender Aussagen für die Schulgeschichte des (17. und) 18. Jahrhunderts gestellt. Es muß mit Deutlichkeit gesagt werden, daß viele heute formulierte statistische Fragen an das Material, selbst wenn sie als solche auch schon um 1800 in einigen Fällen gestellt wurden, aus den vorliegenden Unterlagen nur partiell beantwortet werden können. 61 59 Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, daß Orthographie und Interpunktion — außer im Rahmen der Sorge für die Verständlichkeit des Zitates — nicht an den modernen Gebrauch angeglichen wurden, da auch das Wie der Schreibung etwas über das Bildungsniveau des Schreibenden aussagt, auf das hier geachtet werden muß. Aufgelöst wurden zeitübliche Wortkürzel und Münzsymbole, deren Reproduktion nicht sinnvoll erschien; vgl. E. Kretzschmar, Zur örtlichen Schulgeschichtsschreibung..., S. 289.

So — für die Jahre nach 1806/07 — Karl-Ernst Jeismann, „Nationalerziehung". Bemerkungen zum Verhältnis von Politik und Pädagogik in der Zeit der preußischen Reform 1806—1815, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 19 (1968), S. 203. 61 Es darf als signifikant bezeichnet werden, daß selbst Rektoren von Berliner Schulen sich nicht in der Lage sahen, Frequenzzahlen zu nennen oder Schülerlisten zu führen; siehe das Schulprogramm des Direktors Johann Joachim Bellermann am Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin, Einladung aller Beschützer, Gönner und Freunde des Schulwesens zu der öffentlichen Prüfung, welche auf dem Berlinisch Köllnischen Gymnasium ... 1804... gehalten werden soll..., Berlin 1804, S. 31 (die in der Regel umfangreichen Titel dieser Schulprogramme müssen im Apparat gekürzt zitiert werden; Bellermann stellt fest: „bei einer so weitläuftigen Anstalt, wo keine Woche vergeht, wo nicht einige kommen und andere abgehen, ist es schwerer, als man glauben sollte, die wirkliche Frequenz bestimmt anzugeben." Siehe auch die im A rchiv des Konsist. Spezialia Berlin, Militärkirchengemeinde (Alte Garnisonkirche), Schulkuratorium, liegende Akte „Ansetzung des Rektors, Vol II 1805—1818"; der zu monatlichen Berichten aufgeforderte Rektor der Garnisonschule Heinecke berichtet am 30. Juli 1805, daß es wegen des „sehr unregelmä60

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Einführung

D a s „ Z ä h l e n , s o f e r n die U m s t ä n d e es e r l a u b e n " , 6 2 m u ß a u c h hier als P r o g r a m m g e l t e n . W e n n J o h a n n e s T e w s die S t a t i s t i k als „eine j u n g e W i s s e n s c h a f t " c h a r a k t e r i s i e r t e , u m f e s t z u s t e l l e n , d a ß die „ U n t e r r i c h t s s t a t i s t i k . . . v o l l e n d s z u d e n j ü n g s t e n E r s c h e i n u n g e n auf d i e s e m G e b i e t e " g e h ö r e , so w i r d e r a u c h d u r c h A u s s a g e n d e r j ü n g s t e n F o r s c h u n g bestätigt.63 Eine systematische und fortgesetzte Erhebung von Daten z u m S c h u l w e s e n in P r e u ß e n ist e r s t i m 1 9 . J a h r h u n d e r t f e s t z u s t e l l e n , u n d s o m i t ist die E r f o r s c h u n g d e r S c h u l w i r k l i c h k e i t i m „ b ü r g e r l i c h e n " Zeitalter nur unter ganz anderen, grundverschiedenen methodischen u n d M a t e r i a l p r ä m i s s e n m ö g l i c h , als dies für das P r e u ß e n des 1 8 . J a h r h u n d e r t s d e r F a l l i s t . 6 4 D i e s e r q u a n t i f i z i e r e n d e A n s a t z ist in m e h r e r e n

ßigen Schulbesuch[s] der Kinder im Sommer" ihm unmöglich sei, „Schülerlisten" zu führen. Wohin sollten unregelmäßig erscheinende Kinder gerechnet werden? — Moderne Schulstatistik basiert auf modem-„anstaltlicher" Konsistenz der Schulen! " So William O. Aydelotte, Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft, zuerst in: American Historical Review, Bd. 71 (1966), S. 803—827; deutsche Fassung in: HansUlrich Wehler (Hrsg.), Geschichte und Soziologie (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 53), Köln 1972, S. 259—282, hier S. 259. 63 J(ohannes) Tews, Unterrichtsstatistik, in: W(ilhelm) Rein (Hrsg.), Encyklopädisches Handbuch..., Bd. 9, 2. Aufl., Langensalza 1909, S. 460—485, hier S. 460. Vgl. A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 122,S. 137,S. 156; H. G. Herrlitz, Studium als Standesprivileg..., S. 15; zum Fehlen der „statistischen Möglichkeiten" bei der Ermittlung von Lesegewohnheiten auf dem Lande im 18. Jahrhundert siehe Reinhard Wittmann, Der lesende Landmann. Zur Rezeption aufklärerischer ßemühungen durch die bäuerliche Bevölkerung im 18. Jahrhundert, in: Dan Berindei u. a. (Hrsg.), Der Bauer Mittel- und Osteuropas im sozioökonomischen Wandel des 18. und 19. Jahrhunderts. Beiträge zu seiner Lage und deren Widerspiegelung in der zeitgenössischen Publizistik und Literatur (= Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa, [Bd. 2]), Köln-Wien 1973, S. 142—196, hier S. 144. Nach Peter Flora, Historische Prozesse sozialer Mobilisierung, Urbanisierung und Alphabetisierung 1850—1965, in: Zeitschrift für Soziologie, Bd. 1 (1972), S. 86, reichen die entsprechenden in Arbeit befindlichen in- und ausländischen Datenbanken nur „bis weit in das 19. Jahrhundert" zurück; hier auch allgemein Hinweise auf die Grenzen der Quantifizierbarkeit; ders., Modernisierungsforschung. Zur empirischen Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung (= Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 20), Opladen 1974, S. 114. Zu den Problemen schulgeschichtlicher Quantifizierung im 19. Jahrhundert siehe C. Schiersmann, Zur Sozialgeschichte..., S. 150. 64 Zur Entwicklung der statistischen Erhebungen über das Unterrichtswesen seit der Begründung des „Statistischen Büros" in Preußen im Jahre 1805 ist auch künftig wichtig die Studie von Albert Erich Tredup, Statistik des deutschen Schulwesens. Historischmethodologische Untersuchung der Schulstatistik in den fünf größeren Bundesstaaten seit der Reichsgründung und der Reichsschulstatistik, in: Allgemeines Statistisches Archiv, Bd.

Lu Forschungsstand,

Methodenproblemen

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neueren Untersuchungen über Schule und ihre Funktion im Preußen des 19. Jahrhunderts mit fruchtbaren Ergebnissen angewandt worden. 65 Für das 18. Jahrhundert liegen nur sporadische Erhebungen vor, die einen Vergleich von verschiedenen Zeitebenen nur selten zulassen. Die Erstellung von Zeitreihen ist damit in der Regel ausgeschlossen. Erst seit 1750 wurde in der jährlich erhobenen „Historischen Tabelle" auf dem Lande auch die Zahl der Küster und Schulmeister erfragt — Begleiterscheinung einer generellen Ausweitung und Spezifizierung der ermittelten Berufs- und Personengruppen. 66 Als methodisches

17 (1923/24), S. 1—81, hier S. 13 f. Zur Entwicklung der Schulstatistik in Preußen und im gesamtdeutschen Vergleich S. 15—27; Peter Lundgreen, Quantifizierung in der Sozialgeschichte der Bildung, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 63 (1976), S. 431—453, hier S. 437—440; ferner auch die Festschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus zur Jahrhundertfeier seines Bestehens, Bd. 1, Teil 1, Berlin 1905, S. 119—124; J . Tews, Unterrichtsstatistik..., S. 461; die Zahlen bei (E.) Engel, Beiträge zur Geschichte und Statistik des Unterrichts, insbesondere des Volksschulunterrichts, im preußischen Staate, in: Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus, Bd. 9 (1869), S. 99—116, S. 153—211, setzen für die niederen Schulen 1822, für die höheren 1818 ein (a.a.O., S. 102—116, S. 187). 65 Siehe etwa die Arbeiten von Detlef K. Müller, Sozialstruktur und Schulsystem. A spekte zum Strukturwandel des Schulwesens im 19. J ahrhundert (= Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 7), Göttingen 1977; Peter Lundgreen, Bildung und Wirtschaftswachstum im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts. Methodische Ansätze, empirische Studien und internationale Vergleiche (= Historische und Pädagogische Studien, Bd. 5), Berlin 1973, z. B. S. 150—166; ders., Techniker in Preußen während der frühen Industrialisierung. Ausbildung und Berufsfeld einer entstehenden sozialen Gruppe (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 16. Publikationen zur Geschichte der Industrialisierung), Berlin 1975; vgl. P. Flora, Historische Prozesse..., S. 89—117, und ders., Modernisierungsforschung..., S. 124—140, S. 170—181. Für die Verbindung von historischer Wahlforschung und Schulgeschichte ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen auf Monika Wölk, Der preußische Volksschulabsolvent als Reichstagswähler 1871—1912. Ein Beitrag zur Historischen Wahlforschung in Deutschland. Mit einer Einführung von O t t o Büsch (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 28), Berlin 1980. 6 6 Dazu Hugo Klinckmüller, Die amtliche Statistik Preußens im vorigen Jahrhundert (= Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. d. S., Bd. 2, Heft 6), Jena 1880, S. 19, S. 25 f.; Klinckmüller erwähnt eine Schulstatistik in Preußen für das 18. Jahrhundert nicht. Zu sporadischen Einzelerhebungen vgl. das mit Vorsicht zu benutzende Buch von Otto Behre, Geschichte der Statistik in Brandenburg-Preußen bis zur Gründung des Königlichen Statistischen Bureaus, Berlin 1905, zur „Unterrichtsstatistik" S. 299—307. Zu den Aufnahmen bei Einsetzung des Oberschulkollegiums und unter dem Minister Massow (sie liegen heute in Merseburg) siehe die Ausführungen unten im E R S T E N T E I L , V I E R T E S

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Einführung

Postulat bleibt festzuhalten, den zulässigen Rahmen quantifizierender Aussagen zur preußischen Schulgeschichte auf gesamtstaatlicher, provinzieller und exemplarisch-lokaler Ebene so weit wie möglich auszuschöpfen und zeitlich zurückzuführen, auch wenn aufgrund der qualitativ und quantitativ grundverschiedenen Datenlage Ergebnisse, wie sie etwa für die Alphabetisationsentwicklung in Frankreich und England vorliegen, nicht erwartet werden können. 6 7 Für den in der vorliegenden Studie zentralen Begriff der Schulwirklichkeit bleibt die Frage nach der Repräsentativität des vorzutragenden Einzelfalles gleichwohl von konstitutiver Bedeutung. Hier ist neben ungedruckten Quellen die zeitgenössische Literatur erneut zu überprüfen. „Schulprogramme" einzelner Anstalten, zeitgenössische Städte-, aber auch Landesbeschreibungen bieten dafür wichtige und auch präzise Informationen.

Aus dem bisherigen Forschungsstand und der nun verfügbaren Quellenbasis ist schließlich das Untersuchungsziel der vorliegenden Studie, die zentrale Frage, abzuleiten. Wird einerseits, wie referiert, von Geschichtswissenschaft und Historischer Pädagogik die unzureichende Kenntnis der Schulwirklichkeit beklagt, fehlt es schlicht an quantitativ und qualitativ zureichendem Tatsachenmaterial, so ist es andererseits erstaunlich, daß die „Funktion" der Schule und ihre Stellung im absolutistischen „Staat" einwandfrei bestimmt zu sein scheint. Peter Lundgreen zum Beispiel hält es für naheliegend, die (niedere) Schule im Preußen Friedrich Wilhelms I. „als Institution im Dienste des Merkan-

bei Anm. 154—161; aus den vorliegenden Akten ergeben sich Zweifel hinsichtlich der Vollständigkeit und Einheitlichkeit dieses Tabellenmaterials. Zudem ist anzumerken, daß es schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Paul Schwartz, Die Gelehrtenscbulen..., Bd. 1,S. VII (Vorwort), auf Grund der Lückenhaftigkeit und Inhomogenität der Unterlagen selbst für das vergleichsweise gut dokumentierte höhere Schulwesen nicht möglich war, „statistische Zusammenstellungen und Berechnungen" zu erarbeiten. 67 Es seien als Beispiele erwähnt: François Furet/Jaques Ozouf, Lire et écrire. L'Alphabétisation des français de calvin à jules ferry (= Les éditions de minuit), Bd. 1, Paris 1977, z. B. S. 9 f., S. 13—62, auch zur Forschungsentwicklung auf Grund des vorliegenden Unterschriftenmaterials; Michael Fleury/Pierre Valmary, Les Progrès de L 'Instruction Elémentaire de Louis XIV à Napoléon III d'Après L'Enquête de Louis M angiolo (1877—1879), in: Population, 12. Jg. (1957), S. 71—92, bes. S. 72 f., S. 76, S. 82—89; für England siehe ζ. Β. Lawrence Stone, Literacy and Education in England 1640—1900, in: Past and Present, Bd. 42 (1969), S. 69—139. KAPITEL

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und Untersuchungsziel

27

tilismus z u begreifen, das heißt: als M i t t e l z u r ,Staatsbildung', vergleichbar den F u n k t i o n e n v o n Militär und V o l k s w i r t s c h a f t " . 6 8 A u c h hier wird, wie d e m Verfasser der vorliegenden Studie scheint, d e r grundsätzliche Zweifel an der V e r w e n d b a r k e i t des „ m o d e r n e n " Staatsbegriffs für die Z e i t des A b s o l u t i s m u s nicht genügend b e r ü c k s i c h t i g t . 6 9 Dies gilt auch für K a r l - E r n s t J e i s m a n n , der im G e g e n s a t z zu F r a n k r e i c h feststellt, daß „der spätabsolutistische preußische Staat das I n s t r u m e n t d e r E r z i e h u n g als politisches W e r k z e u g in die H a n d habe. 7 0

genommen"

F ü r J e i s m a n n s t e h t fest, daß „dieser S t a a t als letztes großes

L e b e n s g e b i e t nach M i l i t ä r und F i n a n z , J u s t i z und W i r t s c h a f t nun auch die Bildung in seinen reglementierenden und vereinheitlichenden Griff n a h m " . N a c h L e s c h i n s k y und R o e d e r „dürfte [es] nicht schwerfallen" z u belegen, „daß die staatliche Schulpolitik auf der E b e n e der elementaren L a n d - und S t a d t s c h u l e n d e r allgemeinen D u r c h s e t z u n g landesherrlicher Z e n t r a l g e w a l t gegenüber ständischen I n s t i t u t i o n e n diente", 7 1 und L u d w i g F e r t i g sieht „die E r r i c h t u n g eines funktionsfähigen Schul-

" Peter Lundgreen, Schulbildung und Frühindustrialisierung..., S. 566, im Zusammenhang mit der „Verordnung" von 1717, die das Landschulwesen betraf. In diesem Sinne spricht P. Lundgreen jüngst in seiner Sozialgeschichte der deutschen Schule im Überblick, Teil 1: 1770—1918 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe, Bd. 1460), Göttingen 1980, S. 26, von dem „Zusammenhang zwischen der Entstehung des modernen Staates und der Konstitutierung des Systems öffentlicher [sie!] Erziehung und Ausbildung" im Preußen des 18. Jahrhunderts. Wenn Lundgreen den Begriff „Staat" für das 18. Jahrhundert diskutiert, so verweist er auf die „Ablösung der landständischen Verfassung durch die absolutistische, und dieser Prozeß ist gleichbedeutend mit der Entstehung des ,modernen' Staates" (a.a.O., S. 27). Auch hier ist daran zu erinnern, daß die neuere Absolutismusforschung gerade das zähe Uberleben und Wirken ständischer Institute im „Absolutismus" erkennt (vgl. oben bei Anm. 2—5). Es bleibt zu überprüfen, ob das Bildungswesen in den Zusammenhang einer absolutistischen „Modernisierung von oben" (a.a.O., S. 29) gehört — was doch ein Hinunterreichen des Absolutismus an die einzelne Schule voraussetzen würde. 69 Neben den bisherigen Ausführungen sei hier verwiesen auf K. v. Raumer, Absoluter Staat..., S. 173; ders., Zum geschichtlichen Hintergrund und europäischen Kontext der preußischen Bildungsreform, in: Rudolf von Thadden/Hellmuth Weiss (Hrsg.), Das Vergangene und die Geschichte. Festschrift für Reinhard Wittram zum 70. Geburtstag, Göttingen 1973, S. 47. 70 K.-E. Jeismann, „ Nationalerziehung"..., S. 205, mit einem Verweis auf das Allgemeine Landrecht und die „Reformen" seit Zedlitz; das folgende Zitat ebda. 71 A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..S. 57; nach S. 67 sollten „auch die Schulen dazu beitragen, alle Einwohner in mehr oder weniger direkte Abhängigkeit von der zentralen Gewalt zu bringen". Vgl. auch S. 47f., S. 71; das folgende Zitat bei L. Fertig, Die Volksschule des Obrigkeitsstaates..., S. VIII f.

Einführung

28

wesens als M a c h t i n s t r u m e n t " d u r c h die in der „ E t a b l i e r u n g " befindliche „ T e r r i t o r i a l h e r r s c h a f t in der frühen N e u z e i t " — ein „ I n s t r u m e n t des sich konstituierenden T e r r i t o r i a l s t a a t s absolutistischer Prägung z u r I n t e g r a t i o n der M e n s c h e n in die politische O r d n u n g " . Diese T h e s e eines engen B e z o g e n s e i n s v o n „ S t a a t " und Schule im 18. J a h r h u n d e r t , die a u c h schon v o n der älteren L i t e r a t u r v e r t r e t e n wurde, kennzeichnet den S t a n d der gegenwärtigen Diskussion der schulgeschichtlichen und pädagogischen F o r s c h u n g . 7 2 Die U b e r p r ü f u n g der z i t i e r t e n A r g u m e n t a t i o n wird a u c h dann n o t wendig sein, wenn die I n d i e n s t n a h m e der Schule d u r c h den Absolutism u s , d u r c h den „ S t a a t " , in zeitgenössischen T e x t e n unmißverständlich f o r m u l i e r t wurde. Dies ist b e k a n n t l i c h in der T a t der Fall. S c h o n in der

72 Vgl. auch Karl Zenke, Pädagogik — Kritische Instanz der Bildungspolitik? Zur technischen und emanzipatorischen Relevanz der Erziehungswissenschaft (= List Taschenbücher Erziehungswissenschaft, Bd. 1664), München 1972, S. 52—54; C.-L. Furck, Das pädagogische Problem..., S. 25, dessen Ausführungen in dem Satz kulminieren: „Der Grundsatz, ,das Kind gehört dem Staat', den jede totalitäre Staatsform vertritt, war hier bereits vorweggenommen." Vgl. Andreas Flitner, Die politische Erziehung in Deutschland. Geschichte und Probleme 1750—1880, Tübingen 1957, S. 17; J . Gessinger, Sprache und Bürgertum..., S. 28, eine Parallelisierung von Schulpflicht und Wehrpflicht, S. 33. Hier ist auch die Grenze für die Brauchbarkeit des Bildes von der „Schule im Vorfeld der Verwaltung" (Heinemann) zu erkennen, wenn, wie bisher nicht geschehen, nicht die Präsenz des „Staates" in diesem „Vorfeld" konkret untersucht wird, und hier eröffnet sich der Forschung ein breites Aufgabenfeld. Vgl. auch C. Berg, Staat und Schule...., S. X ff., mit Bezug auf Heinemann und unter Hinweis auf die geringe Wirkung von Schulreglements, worauf sogleich die Stellung des Oberschulkollegiums als Behörde, die mit „Rigorosität [...] Schule und Erziehung zum Staatsgeschäft gemacht" habe, geschildert wird (a.a.O., S. XII; S. XIV wird nach Bemerkungen über Zedlitz für das Ende des 18. Jahrhunderts von „Institutionalisierung [sie!] der Staatsschule" gesprochen), siehe in diesem Sinne auch a.a.O., S. IX. Aus der älteren Literatur siehe schon Wilhelm Dilthey, Friedrich der Große und die deutsche Aufklärung, in: Ders., Studien zur Geschichte des deutschen Geistes (= Gesammelte Schriften, Bd. 3), Leipzig-Berlin 1927, S. 162, wo er vom „Machtstreben" der „Staaten" seit dem Altertum spricht und fortfährt: „Dieser preußische Staat war durch den Widerspruch, der zwischen seinen gewaltigen Aufgaben und seiner geringen natürlichen Macht bestand, mehr als jeder andere auf die Steigerung seiner inneren Kraft angewiesen; aus dieser harten Notwendigkeit entsprang auch die Fürsorge, die er früh dem Erziehungswesen zuwandte." Vgl. damit E. Spranger, Wilhelm von Humboldt..., S. 7, aber auch A. Gans, Das ökonomische Motiv..., S. 25f. Unbrauchbar und schon in der Entstehungszeit veraltet und unzulänglich bei unzureichender Materialbasis die Arbeit von Robert Stein, Die Schule als Staatsanstalt in Schulgeschichte und Staatslehre bis 1794, Phil. Diss., Leipzig (1905), Weida \90(>.

Zu Forschungsstand, „Instruction

Methodenproblemen

wegen der jährlichen

und Untersuchungsziel

Land-

Kirchen-

und

29

Schulen-

V i s i t a t i o n " v o m 1. M ä r z 1 7 6 4 heißt es, daß die G e m e i n d e n die K i n d e r in den Schuljahren so „ansehen m ü ß t e n , als wenn sie m e h r d e m S t a a t e denn ihnen z u g e h ö r t e n " , 7 3 u n d nach der bekannten P r o k l a m a t i o n des Allgemeinen

Landrechts

für die Preußischen

Staaten waren Schulen und

U n i v e r s i t ä t e n „ V e r a n s t a l t u n g e n des S t a a t s " . 7 4 Die

zeitgenössische

K a m e r a i - u n d Polizeiwissenschaft behandelte das Schulwesen als G e genstand ihres Gültigkeitsbereiches, so etwa, wenn J o h a n n H e i n r i c h G o t t l o b v o n J u s t i der „ R e g i e r u n g " auch die „ F ü r s o r g e für die W i s s e n schaften u n d [die] E r z i e h u n g der J u g e n d " zuschrieb, G e o r g H e i n r i c h B o r o w s k i das K i r c h e n - und Schulwesen in die „ C a m e r a l - V e r w a l t u n g des g e s a m m t e n L a n d e s - P o l i z e i w e s e n s in den Königlich Preußischen S t a a t e n " e i n o r d n e t e o d e r J o h a n n H e i n r i c h L u d w i g Bergius schlicht n o t i e r t e : „ D a s Schulwesen ist ein wichtiger G e g e n s t a n d der P o l i c e y . " 7 5 „ K i n d e r g e h ö r e n d e m Staate; der Staat will, daß sie e r z o g e n werden, und in der Schule lesen, schreiben, rechnen und richtig denken lernen

73 Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum. Oder Neue Sammlung Königl. Preußl. und Churfürstl. Brandenburgischer, sonderlich in der Chur- und Marek-Brandenburg, Wie auch anderen Provinzien ergangenen Ordnungen, Edicten, Mandaten Rescripte &c. &c. Vom Anfang des Jahrs 1751. und folgenden Zeiten..., 12 Bde, Berlin 1753—1822 (Titel gekürzt); hier Bd. 3, zu 1764, Nr. 13, Sp. 370; siehe a.a.O., Sp. 529, Nr. 88, Zirkular vom 20. Dezember 1764, betr. Prüfung und Approbation von Stadtschullehrern durch das Oberkonsistorium, nach dem der Befehl „auch in Erwägung der genauen Verbindung guter Schulen mit der Aufnahme des Staats" ergehe. 74 Zweiter Theil, 12. Titel („Von niederen und höheren Schulen"), § 1 ; in der Ausgabe von H. Rehbein/O. Reincke, Bd. 4: Teil II, Titel 9—20, 5. Aufl., Berlin 1894, S. 331. 75 Johann Heinrich Gottlob von Justi, Grundsätze der Policeywissenschaft in einem vernünftigen, auf den Endzweck der Policey gegründeten, Zusammenhange und zum Gebrauch Academischer Vorlesungen abgefasset, 3., verb. Aufl., hrsg. von Johann Beckmann, Göttingen 1782, Neudruck Frankfurt a. M. 1969, S. 252—262; Georg Heinrich Borowski, Abriß des praktischen Cameral- und Finanz-Wesens nach den Grundsätzen, Landesverfassungen und Landesgesetzen in den Königlich-Preußischen Staaten, oder Preußischen Cameral- und Finanz-Praxis, Bd. 2,3., verm. Aufl., Berlin 1805, S. IX—XI, das Zitat S. IX; Johann Heinrich Ludwig Bergius, Policey- und Cameral-Magazin in welchem nach alphabetischer Ordnung die vornehmsten und wichtigsten bey dem Policeyund Cameralwesen vorkommende Materien nach richtigen und vernünftigen Grundsätzen practisch abgehandelt und durch landesherrliche Gesetze und hin und wieder wirklich gemachte Einrichtungen erläutert werden, Bd. 8, Frankfurt am Mayn 1774, S. 85; vgl. für den österreichischen Bereich Joseph von Sonnenfels, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft, Teil 1, 3. Aufl., Wien 1770, S. 115, S. 121—127.

Einführung

30

sollen" 76 — dies forderte auch die pädagogische Theorie, insbesondere im ausgehenden 18. Jahrhundert. Friedrich Eberhard von Rochow ließ als Motiv anklingen, was um 1800 in Staatserziehungsplänen seine systematische Ausformulierung fand. 7 7 Zudem scheint der religiöse Charakter der Lehrinhalte gerade auch des niederen Schulwesens die „staatliche" „Funktion" der Schule außer Frage zu stellen. Die Schule gilt schon deshalb als „Herrschaftsmittel" des Absolutismus: Es ist die Untertanenschule des 18. Jahrhunderts. 7 8 Sie ist im Preußen des 18. Jahrhunderts nicht nur O r t der „Funktionalisierung der Erziehung im Interesse merkantilistischer Wirtschaftspolitik". Zugleich spricht Hartmut Titze von der „Beanspruchung der Schule und Kirche als bedeutende Hebel absolutistischer Machtförderung". 7 9 Die Schule 76 Friedrich Eberhard von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften, hrsg. von Fritz Jonasund Friedrich Wienecke, hier Bd. 4, Berlin 1910, S. 55, in einem Brief Rochows an Zedlitz Ende 1773. 77 Es möge an dieser Stelle genügen, auf Heinrich Bußhoff, Politikwissenschaft und Pädagogik. Studien über den Zusammenhang von Politik und Pädagogik (= Beiträge zur Politikwissenschaft, Bd. 4), Berlin 1968, S. 15—21 (insbesondere zu Stephani), zu verweisen; H. König, Zur Geschichte der Nationalerziehung..., S. 405—440; vgl. auch H. Weimer/W. Schöler, Geschichte..., S. 194 ff. Der Topos von der Staatsnützlichkeit der Schule taucht auch schon bei Seckendorff auf (siehe Kurt Wöhe, Geschichte der Leitung der preußischen Volksschule von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Phil. Diss., HalleWittenberg, Osterwieck/Harz 1933, S. 28 f.); vgl. Wilhelm Kahl, Die pädagogischen Ansichten in den Schriften deutscher Rechtsphilosophen und Nationalökonomen aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungsund Schulgeschichte, Bd. 16 (1906), S. 199—231, hier besonders S. 204f., S. 210f., S. 213 f., S. 221, S. 227; Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiös-soziale Reformbewegung, Göttingen 1971, S. 23 f., teilt eine Äußerung von August Hermann Francke aus dem Deutschen Zentralarchiv Merseburg mit, der um 1700 auf den Nutzen seiner Anstalten für den Staat, in denen der „Landes-Obrigkeit [...] getreue und erwünschte Untertanen" erzogen würden, hinweist. 78 Wenn von „Untertanenerziehung" auch für das 18. Jahrhundert (z.B. beiL. Fertig, Obrigkeit und Schule..., S. VII f.) gesprochen wird, so muß dieser Begriff allerdings auf zu unterscheidende Inhalte überprüft werden, etwa die Erziehung des Untertanen (im Sinne einer Erziehung der Einwohner eines Landes unter einem — monarchischen — Oberhaupt) und eine Erziehung zum Untertanen (d. h. einer staatlich initiierten und kontrollierten Schulung zu politischer Loyalität, wie sie das 19. und 20. Jahrhundert kennt). Deshalb ist wenig mit der Aussage, „die Schule hatte den Hauptanteil an der Umstrukturierung und der Kolonisierung von Bewußtsein zu leisten, in ihr wurde der Staatsbürger und Untertan gebildet und erzogen" (J. Gessinger, Sprache und Bürgertum. .., S. 14) anzufangen, zumal wenn die Praxis vor Ort ignoriert wird. 79

H a r t m u t T i t z e , Die Politisierung

der Erziehung.

Untersuchungen

über die

soziale

Zu Forschungsstand, Metbodenproblemen und Untersuchungsziel

31

habe im Preußen des 18. Jahrhunderts gerade hinsichtlich der Bauern, „auf denen die [!] steuerliche Last des Militärstaats" ruhte, eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen gehabt. „Der Erhaltung und Stärkung ihrer Leistungsfähigkeit für die ehrgeizige Machtpolitik des aufstrebenden Staats dienen die Schulen auf dem Lande, in denen die unter drückenden Verhältnissen lebende breite Masse der Bevölkerung durch die Fütterung mit Katechismusstoffen diszipliniert wurde." 80 Hier ist präziser zu unterscheiden zwischen der allgemein starken religiösen Prägung der alteuropäischen Welt, der generell der religiösen Bildung zugeschriebenen Wirkung für den „Staat" und der Frage, ob in dieser Hinsicht der Absolutismus eine Intensivierung angestrebt und bewirkt habe. Die religiöse Normvermittlung an sich besagt noch nichts über das spezifische Verhältnis von „Staat" und Schule in der Zeit absolutistischer Landesherrschaft, denn die Verbreitung der christlichen Lehre auch auf dem Lande ist nicht erst ein Anliegen des Fürstenstaates im 17. oder 18. Jahrhundert. 8 1 Der Schluß von religiösem Lehrinhalt auf eine staatlich-politische Funktion der Schule, etwa — wie bei Titze — im Sinne eines Faktors der Machtpolitik, bedarf deshalb einer differenzierteren empirischen Uberprüfung in der Schulrealität. Es geht um die spezifische Korrelation von Absolutismus und Schule — hier am Beispiel Preußens.

und politische Funktion der Erziehung von der Aufklärung bis zum Hochkapitalismus (= Fischer Athenäum Taschenbücher Erziehungswissenschaft, Bd. 3002), Frankfurt am Main 1973, die Zitate S. 36 f., auch zum Folgenden. 80 A.a.O., S. 37, wo Titze auch — ohne jeden Beleg — behauptet, daß die Schulen der Jahrhundertmitte „vom pietistischen Geist beherrscht" gewesen seien; diese These der Untertanen- und Gehorsamserziehung für Preußen im 18. Jahrhundert ist bislang unangefochten; siehe außer Titze die Ausführungen von Ludwig Fertig, Obrigkeit und Schule. Die Schulreform unter Herzog Ernst dem Frommen (1601—1675) und die Erziehung zur Brauchbarkeit im Zeitalter des Absolutismus, Neuburgweiler-Karlsruhe 1971, S. 177, S. 188.

Es sei hier für die kirchlichen Verhältnisse auf dem Lande unter mittelalterlichen Verhältnissen in der Mark Brandenburg beispielsweise verwiesen auf die Aufstellungen zum Pfarrnetz in der Diözese Brandenburg bei Fritz Curschmann, Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), Leipzig 1906, S. 394—477 („Register über Prokuration und subsidium charitativum"), oder Johannes Schultze, Die Prignitz. Aus der Geschichte einer märkischen Landschaft (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 8), Köln-Graz 1956, S. 87; auch Landküster sind (trotz problematischer Quellenlage) für die katholische Zeit nachweis81

32

Einführung

Es bleibt mithin als Forschungsziel zu bestimmen, wie das Verhältnis von absolutistischem „ S t a a t " und (insbesondere niederer) Schule sich in der Realität gestaltete, ob und in welchem Maße die Schule im Preußen des Absolutismus „staatsunmittelbar" gewesen ist. 8 2 Dies kann und muß geschehen auf der Grundlage des beschriebenen Materials unterer Provenienz, 8 3 aus dem das Aufeinandertreffen von „ S t a a t " und Schule erkennbar ist. In diesem Sinne ist die Untersuchung der Schulwirklichkeit — hier insbesondere im R a u m Berlin/Brandenburg — eine notwendige Vorstufe für die weitergehende Fragestellung, die sich an das Forschungsinteresse der allgemeinen Absolutismusforschung anschließt. Dies ist auch dann notwendig, wenn die vorliegende Studie in ihrem Anliegen, die Schulwirklichkeit näher zu beleuchten, deshalb aus Kreisen einer ausdrücklich systematisch, theoretisch und politisch orientierten „Historischen Pädagogik" eines „bornierten empirisch-faktographischen Charakter[s]" geziehen werden sollte, „der manche historische Untersuchung noch immer negativ auszeichnet". 8 4 Durch eine Untersuchung der Schule an H a n d von Quellen aus der Schule und nicht allein aus den Urteilen der Generalakten oder generalisierenden zeitgenössischen, publizistischen Wertungen über die Schule wird im Ergebnis auch ein Beitrag zur Uberprüfung der Tragfähigkeit von Begriffen, wie dem der „Sozialdisziplinierung", ermöglicht werden. 8 5 In diesem Sinne wäre — in Abgrenzung zur neueren schulgebar, siehe Wolfgang Ribbe/Johannes Schultze (Hrsg.), Das Landbuch des Klosters Zinna. Editio princeps (= Zisterzienser-Studien, Bd. 2, Studien zur europäischen Geschichte,Bd. 12), Berlin 1976, S. 38, S. 42, S. 50 u. ö. für das Grenzgebiet zu Magdeburg um Jüterbog. Die religiöse Begründung der Obrigkeit und die Lehre, daß „die Christen schuldig / der Obrigkeit unterthan / und ihren Gebotten und Gesetzen gehorsam zu seyn in allem, so ohne Sünde geschehen mag", ist jedenfalls nicht erst die Meinung absolutistischer Fürsten, sondern auch die der protestantischen Stände des 16. Jahrhunderts (das Zitat, das sich an die bekannte Stelle Rom. 13 Vers 1 anlehnt, aus der Augsburgischen Konfession in der Fassung von 1530/31, ebenso 1540/42 und 1577, vgl. den Druck bei [Christoph] Lehmann, Fortsetzung der Reichs-Handlungen...

Von dem

Land- und Religion-Frieden..., Franckfurt am Mayn 1709, S. 1074 f. [Titel gekürzt]). 82 Diese Formulierung in Anlehnung an Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (= Industrielle Welt, Bd. 7), 2. Aufl., Stuttgart 1974, S. 162. 83 Siehe oben bei Anm. 45 und 46. 84 Siehe die Ausführungen von A. Rang/B. Rang-Dudzik, Anmerkungen und Überlegungen ..., S. 625 (ohne Beispiele oder Belege). 85 Vgl. die grundlegenden programmatischen Ausführungen zum Begriff der „Sozial-

ïu Forschungsstand,

Methodenproblemen

und Untersuchungsziel

schichtlichen L i t e r a t u r und als letztes Erkenntnisinteresse —

33 das

T h e m a nicht m i t „Schulwirklichkeit am Beispiel P r e u ß e n s " , sondern m i t „der preußische A b s o l u t i s m u s a m Beispiel d e r Schule" z u formulieren. 8 6 E s geht d a r u m , den Z e i t p u n k t der Einbeziehung des Schulwesens in den P r o z e ß der Staatsbildung empirisch zu b e s t i m m e n , nicht aber die Staatsbildung in die Schule des 17. und 18. J a h r h u n d e r t s hineinzuinterpretieren. D a m i t ist die F r a g e nach d e r Periodisierung v o n S t a a t und Staatsschule und nach d e r A b l ö s u n g traditionaler S t r u k t u r e n gestellt. Sie will in diesem typologischen Bezug auch einen m e t h o d i s c h abgesic h e r t e n und deshalb zulässigen G e g e n w a r t s b e z u g geschichtlicher A n a lyse ermöglichen.

disziplinierung" von G. Oestreich, Strukturprobleme..., S. 187—196; für die Schulgeschichte hat jüngst P. Lundgreen, Sozialgeschichte..., S. 28, diesen Begriff übernommen, der daran anschließend „das Bildungswesen als Teil des Prozesses der inneren Staatsbildung erscheinen" läßt. 86 Die Themenstellung bedingt den Ausschluß von Bildungsinstituten, wie es die Ritterakademien waren, aus der vorliegenden Untersuchung; die spezifische soziale Herkunft der Zöglinge und die geringe quantitative Bedeutung lassen diese Anstalten für die formulierten Forschungsziele als ein wenig geeignetes Untersuchungsfeld erscheinen (vgl. aus der älteren Literatur ζ. Β. A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 31—33, S. 137—139,S. 299—303; Friedrich Debitsch, Die staatsbürgerliche Erziehung an den deutschen Ritterakademien [= Hallesche Pädagogische Studien, Heft 4], Osterwieck am Harz 1928; zuletzt Klaus Bleeck, Adelserziehung auf deutschen Ritterakademien. Die Lüneburger Adelsschulen, 2 Bde [= Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 89], Frankfurt am Main-Bern-Las Vegas 1977, hier die allgemeine Einleitung in Bd. 1, S. 11—33); dies gilt auch für die Schulen der jüdischen Minorität. Der zeitliche Rückgriff in das 16. und 17. Jahrhundert wird zur Überprüfung möglicher Traditionalität und Kontinuität der Phänomene auf Grund der Themenstellung unvermeidlich sein, ebenso wie die weitgehende Konzentration auf das niedere Schulwesen in Brandenburg-Preußen.

ERSTER TEIL

Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment in Brandenburg-Preußen

ERSTES KAPITEL

Schule in der ständischen Gesellschaft als Gegenstand vergleichender typologisierender Betrachtung — sozialgeschichtliche Voraussetzungen

Jede Untersuchung zum Schulwesen Preußens im 18. Jahrhundert muß berücksichtigen, daß der säkulare Zäsurcharakter der Jahre von etwa 1770 bis 1830 von der neueren Forschung erkannt und intensiv diskutiert worden ist. Im Zusammenhang der vorliegenden Studie sind die Ergebnisse dieser für Geschichtswissenschaft, Historische Pädagogik und speziell die Schulgeschichte zu Recht prägenden Erkenntnis deshalb von großer Bedeutung, weil die Einsicht, daß — in typologisierender Betrachtung — Schule in der ständischen „Gesellschaft" einen prinzipiell anderen Charakter, eine andere Funktion innehatte als später die Schule in einer sozial mobilen bürgerlichen und Industriegesellschaft, zugleich den Schluß hätte nahelegen können, beide „Typen" von Schule und Bildung von den benutzten Begriffen und Kategorien her nicht ungeprüft zu identifizieren. Die Erkenntnis von einer anderen, neuartigen sozialen Aufgabe der Schule kontrastiert in dieser Hinsicht mit der These einer staatlichen Funktion der Schule im Herrschaftsverband des Absolutismus per se. Es war Wilhelm Roessler, der in seinen Veröffentlichungen der Frage nachging „wie weit dem grundsätzlichen Wandel im kulturellen und sozialen Felde, welchen wir mit Beginn des Industriezeitalters bezeichnen, auch eine entscheidende Umstrukturierung im Erziehungsfelde entspricht". 1 Selbst wenn Roessler, nach der Formulierung von Tho-

1 Wilhelm Roessler, Zur Entstehung der Realschule, in: Bildung und Erziehung, Bd. 12 (1959), S. 479; grundsätzlich zu diesem Problemkreis: Ders., Die Entstehung des modernen Erziehungswesens..., und die Kritik von Thomas Nipperdey, Geschichte der Erziehung. .., insbesondere S. 260—264.

38

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

mas Nipperdey, faktisch weniger die sich wandelnde Erziehungsrealität als die Entstehung der ,,neue[n] Erziehungseinstellung" untersucht 2 und vorführt, müssen diese Ergebnisse als Impulse einer die weitere Forschung anregenden idealtypischen Gegenüberstellung vormoderner und moderner Schule doch in jedem Falle Beachtung finden. Die Darstellung prinzipieller Ungleichartigkeiten des modernen Erziehungswesens und desjenigen in der alteuropäischen Ordnung ging von den Ergebnissen der neueren Sozialgeschichte aus, die die Struktur der alteuropäischen Welt zu erhellen bemüht ist. Insbesondere O t t o Brunners Arbeiten über die Rolle des „ganzen Hauses" haben die Schul- und Erziehungsgeschichte geprägt. 3 Die Sozialform des „ganzen Hauses", im ländlichen und städtischen Bereich gleichermaßen charakteristisch für die vorindustrielle Traditionalität der Strukturen, ist gekennzeichnet durch eine innere Einheit und Geschlossenheit, die die „Trennung von Haushalt und Betrieb" nicht kannte. „Handwerksgesellen und Handlungsdiener leben im Haushalt ihres,Brotherrn', genauso wie das bäuerliche Gesinde". 4 Die Institution des „ganzen Hauses" zeigt, daß die Reduktion vor- und frühmoderner sozialer Umgangsformen auf eine allein oder primär wirtschaftliche Bestimmtheit die Lebenswirklichkeit Alteuropas nicht erfaßt. Der geradezu monarchischen Herr-

2

A.a.O.,

S. 258; Nipperdey weist hier auf die „Diskrepanz von neuer Einstellung und

Institution" bezüglich der neuen Schule hin, die bei Roessler nicht berücksichtigt werde. Die „Realität des neuen Erziehungswesens" werde bei Roessler nicht behandelt; vgl. oben die

EINFÜHRUNG

bei Anm. 10. Roessler schöpft ausschließlich aus literarischen

Quellen, doch bedingt die seltene spezifische Fähigkeit zu schriftstellerischer Produktion — zumal im 18. Jahrhundert — eine Begrenzung der Aussagekraft für die Lage der großen Bevölkerungsmehrheit. 3

Siehe insbesondere O t t o Brunner, Das „ Ganze Haus" und die alteuropäische

nomik",

in: Zeitschrift für Nationalökonomie,

der Verfassung-

„ Öko-

Bd. 13 (1958), wieder in: Oers., Neue

Wege

2., verm. Aufl., Göttingen 1968, S. 103—127, hier

und Sozialgeschichte,

besonders S. 104—106 (mit Hinweis auf die älteren Aussagen von Riehl), S. 109; zur Funktion des „Hauses" vgl. ders., Land und Herrschaft..., Landleben 1612—1688,

und europäischer

Geist.

Leben

und Werk

Helmhards

von

Adliges Hohberg

Salzburg 1949, S. 246 f.; diese Stellen auch zum Folgenden. Vgl. damit W .

Roessler, Die Entstehung

des modernen

Erziehungswesens...,

u n d T . Nipperdey, Geschichte der Erziehung..., chen Hintergrund..., 4

S. 292 ff., und ders., Wolf

besonders S. 8 f., S. 92,

S. 253; K. von Raumer, Zum

geschichtli-

S. 47.

O . Brunner, Das „ Ganze Haus"...,

S. 109; daß Lehrlinge und Gesellen „anfänglich

überall Mitglieder des Hauswesens des Meisters" waren, betonte auch bereits O t t o Gierke, Rechtsgeschichte

der deutschen Genossenschaft

recht, Bd. 1), Berlin 1868, S. 402.

(= Das deutsche Genossenschafts-

Schule in der ständischen

Gesellschaft

39

schaftsstellung des Hausvaters in der Familie5 entsprach die Position des Meisters gegenüber den in seinem Hause lebenden und arbeitenden Gesellen, die ebenfalls der ,,hausväterliche[n] Gewalt" des Hausherrn unterstanden. 6 In dieser Lebenswelt, die eine Trennung von Werkstatt und privater Familie im städtischen Bereich ebensowenig kannte wie auf dem Lande, hatte der Hausvater zugleich die christliche Verantwortung für die ihm untergebene Haus- und Arbeitsgemeinschaft. Haus und Zunft waren zugleich religiöse Einheiten — Lebensgemeinschaft war Normgemeinde. 7 Die alteuropäische Ökonomik, die „Lehre vom Oikos, vom Hause im umfassendsten Sinn, vom ,ganzen Haus'" Schloß, um mit O t t o Brunner zu sprechen, „als ein Komplex von Lehren" Ethik, Soziologie und Medizin, aber auch die Pädagogik ein.8 Dem entsprach die Zentral5 Zur Stellung des Vaters in der Familie siehe mit den hier gegebenen Beispielen im Detail G. Stephan, Die häusliche Erziehung in Deutschland während des achtzehnten Jahrhunderts, mit einem Vorwort von Karl Biedermann, Wiesbaden 1891, S. 128—135; Julius Hoffmann, Die „Hausväterliteratur" und die „Predigten über den christlichen Hausstand". Lehre vom Hause und Bildung für das häusliche Lehen im 16., 17. und 18. Jhdt. (= Göttinger Studien zur Pädagogik, Heft 37), Weinheim a. d. B.-Berlin 1959, S. 92; ferner Walter Werres, Die sozialgeschichtliche Begründung der modernen Landschule in Deutschland, Phil. Diss., Münster 1965, S. 64—67; zu der hier zu beachtenden hausväterlichen (Straf-)Gewalt und ihrer Einschränkung durch das Allgemeine Landrecht ist zu verweisen auf R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution..., S. 64 mit Anm. 41. 4 O. Brunner, Adliges Landleben..., S. 247; zur Parallelität der Beziehung VaterKind und Meister-Lehrling siehe Helmut Möller, Die kleinbürgerliche Familie im 18. Jahrhundert. Verhalten und Gruppenkultur (= Schriften zur Volksforschung, Bd. 3), Berlin 1969, S. 59. Zur Stellung des Lehrlings im Hause des Meisters und zum ständischen Erziehungstyp ist weiterhin wichtig Ernst Magdeburg, Die ständische Form der Handwerkererziehung, ihre Entwicklung und ihre Theorie, Phil. Diss., Göttingen 1938, S. 3 f. 7 Die Zunft als „religiöse Einheit" schon bei O. Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft..., S. 384 f.; vgl. auch E. Magdeburg, Die ständische Form der Handwerkererziehung. .., S. 9 ff.; aus der neueren handwerksgeschichtlichen Literatur sei auf die hierzu einschlägigen Passagen verwiesen bei Jürgen Bergmann, Das „Alte Handwerk" im Übergang. Zum Wandel von Struktur und Funktion des Handwerks im Berliner Wirtschaftsraum in vor- und frühindustrieller Zeit, in: O. Büsch (Hrsg.), Untersuchungen zur Geschichte der frühen Industrialisierung..., S. 224—269, hier S. 226—234, S. 243 f.; vgl. damit für das Land die Schilderung des bäuerlichen „geschlossene[n] Lebensraum[s]" im 18. Jahrhundert bei Günther Franz, Geschichte des deutschen Bauernstandes vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (= Deutsche Agrargeschichte, Bd. 5), 2., erg. und erw. Aufl., Stuttgart 1976, S. 234 f. 8

O. Brunner, Das „Ganze Haus"...,

S. 104—106; zum Erziehungsdenken in der

I. Absolutistischer

40

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

Stellung des Hauses mit seinen universellen Funktionen auch für die Erziehung und Bildung. Dies galt für das Kind wie für den Lehrling. „Im Einbezogensein in das geregelte Leben der Werkstatt, im Zusammenarbeiten mit Meister und Gesellen erfährt der Lehrling seine technische Ausbildung. Sie erfolgt in erster Linie praktisch; der junge Mensch arbeitet sich in seine Lebensaufgabe hinein. In der primitiven Funktionsfolge von Zusehen — Nachahmen — Helfen vollzieht sich der Erwerb der technischen Handgriffe und Fertigkeiten. Dabei steigt er von den einfachsten Arbeiten und Praktiken allmählich zur völligen Beherrschung der zünftigen Werkweisen empor." 9 Diese idealtypische Beschreibung trifft nicht allein die Situation des — familienfremden — Lehrlings. Auch dem Kind wurde ein bedeutender Teil der später schulischen Bildung und Erziehung im Verband des Hauses, das jedem Hausgenossen seinen spezifischen Platz zuwies, zuteil. Im Hause wurden lebenswichtige elementare Kenntnisse erlernt, bisweilen auch das Lesen; 10 die „vorrevolutionäre Erziehungswirklichkeit war nicht die Schulwirklichkeit, sondern die Wirklichkeit von Haus und Stand, in die der einzelne mithandelnd und mitahmend hineinwuchs". 11 Diese „Umgangserziehung" (Roessler) unter dem Regiment des Hausvaters, das schon früh mit- und nachahmende Einlernen in Leben und Arbeit des Hauses entsprach der Sozialordnung ständischer Stufung. Das Kind wuchs in den Stand der Eltern hinein — erziehungsgeschichtliches Pendant zu einer Welt vergleichsweise geringer sozialer Mobilität und starker ständischer Kontinuität. „Umgangserziehung" war „Erziehung zum Berufsstand", und „dieser statischen Ordnung der ständischen Welt entsprach es, daß die Erziehung des jungen Menschen

christlichen Hausväterliteratur siehe Rudolf Vierhaus, Artikel: Bildung, in: Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 512. 9 Das Zitat bei E. Magdeburg, Die ständische Form der Handwerkererziehung..., S. 4; siehe auch W. Roessler, Die Entstehung des modernen Erziehungswesens..., S. 58f. 10 So H. Möller, Die kleinbürgerliche Familie..., S. 48 f.; vgl. die Beispiele im Z W E I T E N T E I L , ACHTES KAPITEL, b e i A n m .

127.

So Thomas Nipperdey, Volksschule und Revolution im Vormärz. Eine zur Modernisierung II, in: Kurt Kluxen/Wolfgang J . Mommsen (Hrsg.), Ideologien und nationalstaatliche Ordnung. Festschrift für Theodor Schieder, 1968, S. 117—142, wieder in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte zur neueren Geschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. tingen 1976, S. 206—227, hier S. 207; so auch W. Roessler, Die Entstehung des Erziehungswesens..., S. 30, S. 340, daraus die folgenden Zitate. 11

Fallstudie Politische München Aufsätze 19), Götmodernen

Schule in der ständischen

Gesellschaft

41

b e s t i m m t w a r d u r c h das p ä d a g o g i s c h e P r i n z i p d e r , I m i t a t i o ' , d u r c h V o r l e b e n u n d N a c h a h m u n g , m i t d e m Ziele, die v o r g e l e b t e n u n d t r a d i e r t e n N o r m e n des r i c h t i g e n V e r h a l t e n s z u h a b i t u a l i s i e r e n u n d s p ä t e r selbst w i e d e r z u v e r t r e t e n " . 1 2 U n t e r d i e s e n V o r a u s s e t z u n g e n k o n n t e d e r Schule n u r die A u f g a b e verbleiben, als „ H i l f s i n s t i t u t i o n für die H a u s e r z i e h u n g " z u fungier e n , 1 3 die an dieser Stelle i h r e n spezifisch religiösen C h a r a k t e r als S u b s t i t u t e i n b r a c h t e . „ D i e K i r c h e n g e m e i n d e s c h u l e w a r eine das , g a n z e H a u s ' e r g ä n z e n d e I n s t i t u t i o n m i t d e m Ziel, die K i r c h e n m ü n d i g k e i t z u e r r e i c h e n , also z u r K o n f i r m a t i o n v o r z u b e r e i t e n . " 1 4 Dieses B e w u ß t s e i n v o n d e r E r z i e h u n g s - u n d B i l d u n g s f u n k t i o n des H a u s e s ist d e n n a u c h in z e i t g e n ö s s i s c h e n Q u e l l e n aus d e r M a r k B r a n d e n b u r g d u r c h a u s z u e r k e n n e n , w e n n es e t w a s c h o n i m V i s i t a t i o n s a b s c h i e d f ü r die A l t s t a d t S a l z w e d e l aus d e m J a h r 1 5 7 9 h e i ß t , d a ß die „ p r ä c e p t o r e n " sich d e r S c h u l e „ a n Stadt d e r e i t e r n als die v ä t e r d e r j u g e n d aufs t r e u l i c h s t e a n n e h m e n " s o l l t e n , 1 5 o d e r w e n n d e r D i r e k t o r des B e r l i n - K ö l l n i s c h e n

12 So Karlwilhelm Stratmann, Die Krise der Berufserziehung im 18. Jahrhundert als Ursprung pädagogischen Denkens (= Kölner Arbeiten zur Pädagogik), Ratingen bei Düsseldorf 1967, S. 11; siehe ähnlich auch Helmut Schelsky, Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft (= Weltbild und Erziehung, Bd. 20), Würzburg 1957, S. 12; vgl. auch die Anm. 3 genannten Stellen bei Roessler und Nipperdey. Ferner sei auf die Ausführungen zur Erziehungsfunktion der Familie im 18. Jahrhundert von G. Stephan, Die häusliche Erziehung..., S. 67—72 (auf Grund biographischen Materials), verwiesen, der auch auf die dadurch bedingten Unregelmäßigkeiten der Unterrichtung hinweist — wichtig, um eine romantisierende Verklärung vormoderner Erziehungswirklichkeit zu vermeiden (dazu auch K. Stratmann, Die Krise..., S. 17f.). 13 W. Roessler, Die Entstehung des modernen Erziehungswesens..., S. 65 (für städtische Schulen); in diesem Sinne generell T . Nipperdey, Volksschule und Revolution..., S. 207; M. Heinemann, Schule im Vorfeld der Verwaltung..., S. 142; K.-E. Jeismann, Das Erziehungswesen in seiner Bedeutung..., S. 68; diese Stellen auch zum Folgenden. 14 Neben und unabhängig von der Einweisung „in die ihrem Hause gemäßen Arbeitserfordernisse", so M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 78, Anm. 150; für Brandenburg in diesem Sinne Walter Wendland, Die praktische Wirksamkeit Berliner Geistlicher im Zeitalter der Aufklärung (1740—1786), in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, Bd. 11/12 (1914), S. 235 f. 15 Dieses frühe Zeugnis für eine der bedeutendsten märkischen Stadtschulen hinsichtlich der Funktion der Schule vom „type ancien" bei Emil Sehling (Hrsg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 3, Leipzig 1909 (vgl. damit den Text bei J . Müller/A. Parisius [Hrsg.], Die Abschiede der in den Jahren 1540—1542 in der Altmark gehaltenen ersten General-Kirchen-Visitation mit Berücksichtigung der in den Jahren 1551, 1578—79 und 1600 gehaltenen Visitationen. Im Auftrage des Altmärkischen Geschichtsvereins, Bd. 1, Heft 1—4, Magdeburg 1889—1898, S. 258f„ Anm. 2).

42

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment

Gymnasiums, der bekannte Geograph Anton Friedrich Biisching, sich als „Hausvater" seiner Anstalt bezeichnete. 16 Schulen seien, wie der Direktor der Ritterakademie in der Stadt Brandenburg im Jahre 1805 erklärte, „deshalb da, daß durch sie die Lücken ausgefüllt werden, die in der häuslichen oder in der Privat-Erziehung nicht ausgefüllt werden konnten". 1 7 So ist es zu erklären, daß allgemein eine geringere Bedeutung organisierter Bildung und Erziehung in der traditionellen ständischen Welt konstatiert wird. 18 Diesem Strukturtyp von Erziehung und Schule in der alteuropäischen Ständewelt wird die Funktion des Bildungswesens in einer industrialisierten Gesellschaft mit starker sozialer Mobilität gegenübergestellt, eine Typologie, die jedoch nicht im Sinne einer simplifizierenden Chronologie verstanden werden darf. Die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen", das Nebeneinander beider Erziehungsformen in der Phase des Ubergangs, 1 9 ist ebenso zu berücksichtigen wie Nipperdeys Forderung nach einer stärkeren Beleuchtung von Übergangsphänomenen an sich. 20 Auch die Schule der „Klassengesellschaft" (Schelsky) in der Industrialisierungswelt spiegelte die überkommene soziale GrupAnton Friedrich Büsching, Abhandlung von den Currentschülern. Mit einer geziemenden Einladung zu der öffentlichen Prüfung der Gymnasiasten und Schüler des vereinigten berlinischen und cölnischen Gymnasiums und desselben Schulen, Berlin 1791, S. 9. 17 J. D. Arnold, Vorschläge zur Beseitigung der Umstände, die der Nutzbarkeit ö f f e n t l i cher Schulen entgegenstehen..., Brandenburg 1805, S. 50 (Titel gekürzt). 18 Insbesondere in den unteren sozialen Schichten; vgl. in diesem Sinne H. Möller, Die kleinbürgerliche Familie..., S. 50. („Überhaupt waren viele kleinbürgerliche Eltern noch weit entfernt, in der Schulerziehung ein selbstverständliches Erfordernis zu sehen.") Schon Lorenz (von) Stein, Die Verwaltungslehre, (Teil 8) (= Die Innere Verwaltung. 2. Hauptgebiet. Das Bildungswesen, Teil 3, Heft 1), Stuttgart 1884, S. 7, stellte fest, „daß in der ständischen Welt die Beschränkung der Bildung zur Beschränkung des Bildungswesens wird". Ferner ist hinzuweisen auf Willy Strzelewicz/Hans-Dietrich Raapke/Wolfgang Schulenburg, Bildung und gesellschaftliches Bewußtsein. Eine mehrstuf i g e soziologische Untersuchung in Westdeutschland (= Göttinger Abhandlungen zur Soziologie, Bd. 10), Stuttgart 1966, S. 6; ebenso Rolf Engelsing, Zur politischen Bildung der deutschen Unterschichten 1789—1863, in: Historische Zeitschrift, Bd. 206 (1968), S. 337—369, ergänzter Abdruck in: Ders., Zur Sozialgeschichte der deutschen Mittel- und Unterschichten (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 4), Göttingen 1973, S. 155—179, S. 292—297, hier S. 155; Charles Birchenough, History of Elementary Education in England and Wales from 1800 to the Present, 3. Aufl., London 1938, S. 2, S. 5, weist für die von ihm betrachteten Gebiete ebenfalls auf die geringere Bedeutung der Bildung unter den Bedingungen ständischer sozialer Stufung hin. 19 W. Roessler, Die Entstehung des modernen Erziehungswesens..., S. 8. 20 Th. Nipperdey, Geschichte der Erziehung..., S. 259, S. 262. 16

Schule in der ständischen

Gesellschaft

43

pierung noch wider. 21 Die Schulpolitik des preußischen Staates im 19. Jahrhundert läßt bekanntlich wiederholt das Bemühen erkennen, das Bildungswesen als Instrument zur Aufrechterhaltung der tradierten sozialen Schichtung zu gebrauchen, soziale Mobilität nach Möglichkeit zu verhindern oder doch zu beschränken. 22 Die Herausbildung des modernen Erziehungswesens in Deutschland ist, so wird die schulgeschichtliche Forschung interpretiert werden dürfen, im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen, zeigt doch gerade die konservative preußische Volksschulpolitik zur Zeit des Aufstiegs der bürgerlichen Welt, daß die sozial mobilisierende Potenz des Schulwesens unter diesen modernen Bedingungen sehr wohl erkannt worden ist. So betrachtet, belegen letztlich selbst diese Ubergänge den Erkenntniswert der hier referierten Typologie. Für dieses Modell ist von zentraler Bedeutung der Gesellschafts- und der dadurch bewirkte grundlegende Funktionswandel des Bildungswesens im Ubergang zur bürgerlichen Gesellschaft, „eine kopernikanische Wendung" im Erziehungsfeld. 23 Die Auflösung der ständischen Gesellschaft bedingte die „Ablösung der Umgangserziehung der Geburtsstände durch die bewußte und planmäßige Erziehung zum persönlichen 21

H . Schelsky, Schule und Erziehung...,

S. 12, S. 14; siehe auch Heinrich Bußhoff,

Die preußische Volksschule als soziales Gebilde und politischer Bildungsfaktor in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Ein Bericht, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht,

Bd. 22 (1971), S. 385—396, besonders S. 385, S. 393 f. 22

Aus der zahlreichen Literatur vgl. M. Wölk, Der preußische

Volksschulabsol-

vent . . . , S. 92 ff., S. 125 u. ö.; Christa Berg, Volksschule im Abseits von Industrialisierung und „ Fortschritt". Über den Zusammenhang

von Bildung und Industrieentwicklung,

in:

Pädagogische Rundschau, Bd. 28 (1974), S. 394, S. 397; Michael Klöcker, Theodor Brüggemann (1796—1866)

— eine Studie zur preußischen Geschichte unter besonderer Berück-

sichtigung der Kultuspolitik

und des politischen Katholizismus (= Schriftenreihe zur

Geschichte und politischen Bildung, Bd. 17), Ratingen-Kastellaun 1975, S. 94—96, zum Vormärz besonders in den westlichen preußischen Provinzen; schließlich (insbesondere für die höhere Schulbildung) Lenore O'Boyle, Klassische Bildung und soziale Struktur in Deutschland zwischen 1800 und 1848, in: Historische Zeitschrift, Bd. 207 (1968), S. 584— 608, hier z. B. S. 592—599, S. 606 ff.; C. L. Furck, Das pädagogische Problem...,

S. 70 f.,

S. 74, S. 142 f. 23

W. Roessler, Die Entstehung des modernen Erziehungswesens...,

S. 342; zum „ab-

grundtiefen" Bruch der Lebenswelten im Ubergang von der ständischen zur „bürgerlichen" Gesellschaft siehe auch ζ. B. Gerhard Schulz, Die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft. Zur Genesis politischer Ideen und Begriffe, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft. Festschrift für Hans Rosenberg zum 65. Geburtstag, Berlin 1970, S. 3—65, hier S. 5 f. Siehe auch oben die EINFÜHRUNG bei Anm. 22.

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und

44

Schulregiment

Stande", eine Erziehung zu individueller geistiger Wendigkeit, zur Fähigkeit, gelöst aus der Tradition ständisch vorbestimmter sozialer und wirtschaftlicher Rollen, „sich in wechselnden Umständen und unter Menschen verschiedener Lebenskreise sinnentsprechend und zwanglos zu bewegen". 2 4 Angesichts des raschen und anhaltenden Wandels sollte Erziehung nicht mehr nur Tatsachenkenntnis und Einübung von Gewohnheiten vermitteln, sondern, „unabhängig von den überkommenen Mustern", zu „einer ausgedehnten und differenzierten Welt- und Menschenkenntnis" führen — eine Bildung, die der sozialen Mobilität der neuen Gesellschaft entsprach. Dies war die zwingende Konsequenz des Absterbens überkommener geburtsständischer „Institutionen" 2 5 wie der beschriebenen Sozialform des „ganzen Hauses". Wenn Wolfgang Zorn 2 6 noch um 1780 das soziale Gefüge des Ancien Regime in Mitteleuropa als auf der Einheit des „ganzen Hauses" aufgebaut beschreibt, so ist durch die neuere sozialgeschichtliche Forschung die „Auflösung der häuslichen Herrschaftsordnung" um 1800 und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eindringlich geschildert worden. 27 Helmut Schelsky hat diesen Prozeß im Anschluß an die Ergebnisse der Familiensoziologie beleuchtet: den „weitgehendefn] Funktionsverlust der Familie" im Ubergang der altständischen Agrarund Handwerkswelt zur modernen industriell-bürokratischen Gesellschaftsverfassung, die Trennung von Arbeits- und Familienleben sowie

24 Nach W. Roessler, Die Entstehung des modernen Erziehungswesens..., S. 340; das Folgende: Ders., Eigentümlichkeit und Bedeutsamkeit pädagogisch-historischer Forschung, in: Bildung und Erziehung, Bd. 12 (1959), S. 388 f. 25 Hier im Sinne von Arnold Gehlen, Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in

der Welt, 9. Aufl., Frankfurt am Main 1971, S. 79, S. 165. 26

In seinem Aufsatz: Sozialer Wandel in Mitteleuropa 1780—1840. Eine vergleichende

landesgeschichtliche

Untersuchung,

in: Peter Christian Ludz (Hrsg.), Soziologie

und

So-

zialgeschichte. Aspekte und Probleme (= Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 16), Opladen 1973, S. 3 4 3 — 3 5 6 , hier S. 353, wo er freilich auch auf die „allerdings sehr verschieden starken Einsprengungen von Frühindustrialismus" hinweist. 27

tion...,

Hier sei insbesondere auf R . Koselleck, Preußen zwischen Reform

und

Revolu-

S. 65 (Zitat), S. 6 6 — 7 0 , S. 128 ff., S. 132—142, verwiesen, der auch die Folgen

ζ. B. der Gewerbefreiheit für die hausväterliche Gewalt aufzeigt. Generell zum Problem auch W . Z o r n , Sozialer Landlehen...,

Wandel...,

S. 353 (für die Zeit um 1840); O . Brunner,

Adliges

S. 359 (Anm. zu S. 248); zum Verfall der Meisterlehre um 1800 siehe

Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Breisgau 1934, S. 315 f.

Bd. 3, Freiburg im

Schule in der ständischen

Gesellschaft

45

— dies ist hier das zentrale Faktum — die „Abgabe von Erziehungsfunktionen an den Staat" und an andere Institutionen außerhalb der Familie. 28 Dem Schulwesen wurde mit der Ausgliederung wichtiger Bildungsaufgaben aus dem Familienverband, aus der sich auflösenden Einheit des „ganzen Hauses", also eine völlig neuartige Funktion zuteil. Die Schule wurde der O r t zur Wahrnehmung eines ständig wichtiger werdenden Aufgabenkreises. „So wie Bildung neben oder anstelle der Tradition wichtig wird, so wird das öffentliche Bildungswesen bedeutsam neben der Familie." 29 Dies brachte zugleich eine soziale Aufwertung von Bildung überhaupt mit sich, wie auch die Voraussetzung zur Anhebung des Sozialprestiges derer, die nach „Aussonderung des Erzieherischen, der Lehre zu einem eigenen Sozialbereich" (Wolfram Fischer) diese Tätigkeiten übernahmen. 3 0 Für die im engeren Sinne berufliche Vorbildung entsprach diese Entwicklung dem Zug zu einer Schulung, die sich vom Prinzip der „Imitatio Majorum" löste und an die Stelle tradierter Wege der Kenntnisvermittlung die „planmäßige Unterrichtung" setzte. 31 Dieser Charakterwandel organisierter außerhäuslicher Bildung wurde aufmerksamen Beobachtern im 19. Jahrhundert schon früh offenbar. Im Prinzip hat schon der Oberregierungsrat im Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten Ludolph von Beckedorff die beiden Schul- und Erziehungstypen der alteuropäischen und der werdenden modernen bürgerlichen Welt zu unterscheiden gewußt. 32 In früheren Zeiten, so schrieb er, „galt als Grundsatz, daß die Erziehung der Kinder den Eltern gebühre und daß diese zu allernächst für die ihnen von G o t t anvertrauten Pfänder im Leiblichen wie im Geistigen zu sorgen verpflichtet seyen. Außerdem aber war für die Vorbereitung 28

H . Schelsky, Schule und Erziehung..., S. 31 f. W. Strzelewicz/H.-D. Raapke/W. Schulenburg, Bildung und gesellschaftliches Bewußtsein..., S. 7. 30 Neben den Stellend. d.O., S. 3—5, ist hier die Abhandlung zu nennen von Wolfram Fischer, Der Volksschullehrer. Zur Sozialgeschichte eines Berufsstandes, in: Soziale Welt, Bd. 12 (1961), S. 37—47, hier S. 37. 31 Siehe K. Stratmann, Die Krise der Berufserziehung..., S. 18f., S. 24, S. 33 f., zu den hier nicht aufzunehmenden Einzelheiten. 32 In dem (ohne Verfasserangabe) in den von Beckedorff herausgegebenen Jahrbüchern) des Preußischen Volks-Schul-Wesens, Bd. 2 (1825), S. 3—96, veröffentlichten Aufsatz: Zur Geschichte des Preußischen Volks-Schulwesens, hier S. 4 f., S. 7; daraus die folgenden Stellen. 29

46

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment

zu jedem einzelnen Berufe durch feste und vom H e r k o m m e n und von der Sitte bekräftigte Einrichtungen so vollständig gesorgt, daß die Schule nicht nöthig hatte, auf das künftige Standes- oder Berufs-Leben Rücksicht zu nehmen." Die Berufserziehung „in der häuslichen Verbindung der W e r k s t a t t " , die korporativen Bindungen, all das werde [1825!] „gewöhnlich nicht beachtet, wenn von dem Unterrichts- und Schulwesen jener Zeit die Rede ist". Dies beeinträchtige den Vergleich herrschender mit früheren Schulzuständen. Sprach Beckedorff damit zum einen die veränderte soziale Funktion der Schule an, so doch — mit der früher starken Rolle der Eltern im Bildungsprozeß — zugleich implizit das Verhältnis Staat — Familie — Schule. Deutlicher wurde Lorenz von Stein, als er das neue Prinzip, die „allgemeine Bildung", betrachtete. „Dadurch hebt sie von der ständischen Ordnung der Bildungsanstalten alles dasjenige auf, was ihnen ihren ständisch beschränkten Charakter gibt, und setzt an die Stelle des ständischen Princips im gesammten Lehrwesen dasjenige, das aus der N a t u r der staatsbürgerlichen Gesellschaft entspringt." 3 3 W e n n Wilhelm Roessler konstatiert, daß „das moderne Bildungswesen" Phänomen einer „Zeit des Ubergangs vom alteuropäischen, geburtsständisch-herrschaftlich geordneten Gemeinwesen zum modern verstandenen Staat mit seiner offenen Gesellschaftsstruktur" 3 4 wurde, so ist auch damit angedeutet, daß die Schule in der modernen W e l t nicht nur eine neue soziale, im Prinzip auf Mobilität angelegte Funktion wahrnimmt, sondern daß auch das Verhältnis von Staat und Schule an dieser Stelle menschlicher Entwicklung eine „kopernikanische Wendung" erfuhr. S o wichtig es ist, die Ergebnisse neuerer bildungsgeschichtlicher Forschung den künftigen Bemühungen zur Erklärung des „modernen Erziehungswesens" zu Grunde zu legen, so muß dennoch das verhältnismäßig hohe Abstraktions- und Verallgemeinerungsniveau der Aussagen beachtet werden. Als Aufgabe bleibt zu formulieren, daß — nachdem in der Literatur die neue soziale Funktion der Schule in der modernen W e l t beleuchtet wurde — der Versuch einer empirischen

31

L. von Stein, Die Verwaltungslehre

(Teil 8 ) . . . , S. 7.

W . Roessler, Zur Geschichte des Bildungswesens..S. 1003. Es sei an dieser"Stelle darauf hingewiesen, daß — wie obiges Zitat zeigt — der von A. Rang/B. Rang-Dudzik, Anmerkungen und Überlegungen..., S. 629, gegen Leschinskys und Roeders W o r t von 54

der „Subsistenzkrise" gestellte Topos des „Übergangs" sich bei Roessler bereits angewandt findet.

Schule in der ständischen Gesellschaft

47

Überprüfung des Einsetzens modern-staatlicher Verhältnisse im Bildungswesen sowie die Erhellung vormoderner Strukturen unternommen werden muß. Die insbesondere von Wilhelm Roessler geprägte sozialgeschichtliche Fragestellung nach der „Entstehung des modernen Erziehungswesens in Deutschland" ist in diesem Sinne gleichsam in die verfassungsgeschichtliche Dimension zu erweitern.

ZWEITES KAPITEL

Pietismus und Aufklärung als Bildungsprogramme unter dem preußischen Absolutismus — geistesgeschichtliche Voraussetzungen

So selbstverständlich die Beachtung des sozialen und wirtschaftlichen Kontextes in jeder Untersuchung des Bildungswesens im 17. und 18. Jahrhundert ist, so wird doch die rege zeitgenössische, auf die Erziehung bezogene theologische, philosophische und pädagogische Programmatik, die eine Veränderung des Schulwesens forderte, ebensowenig als Kausalfaktor außer acht gelassen werden dürfen. An dieser Stelle kann es freilich nur darum gehen, die für Brandenburg-Preußen charakteristischsten Erziehungskonzeptionen jener Zeit zu umreißen, um somit die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen für die Suche nach ihren tatsächlichen Spuren und die Grenzen ihrer Wirksamkeit in der Schulrealität.1 Denn soll nicht die ex post bewertete relative Modernität früherer Bildungsideen als entscheidendes Urteilskriterium dominieren, so kann nur die tatsächliche wirkungsgeschichtliche Relevanz, die reale Rezeption neuer Programmatik im zeitlichen Umfeld ihrer theoretischen Dominanz eine Aussage über Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit zulassen. Daß bei diesem Bemühen Erkenntnisse aus dem höheren nicht auf das niedere, auf das Elementarschulwesen übertragen werden dürfen, bedarf keiner weiteren Begründung. Die Betrachtung der pädagogisch-theoretischen Strömungen zur Zeit des Absolutismus in Brandenburg-Preußen erhält unter dem Frageschwerpunkt des Verhältnisses von „Staat" und Schulwirklichkeit ein besonderes Gewicht, ist doch die Möglichkeit direkter oder indirekter landesherrlicher Einwirkung auf die Schulstrukturen durch die 1

Dies wird für die Einzelheiten im

ZWEITEN T E I L

aufgegriffen werden müssen.

49

Pietismus und Aufklärung als Bildungsprogramme

Förderung der zeitgenössischen „Pädagogik" nicht von vornherein auszuschließen. U n t e r diesem Gesichtspunkt sind es insbesondere Pietismus und Aufklärung, die hier einer referierenden Charakterisierung bedürfen. Beiden Strömungen wird in der älteren und neueren Literatur ein prägender Einfluß auf das Schulwesen gerade in Brandenburg-Preußen zugesprochen. So hält Heinz-Joachim Heydorn ohne den Pietismus „die frühe Begründung des elementaren Schulwesens [für] undenkbar" ,2 eine These, deren Erhärtung auch in der älteren Literatur insbesondere Elisabeth Gloria für Preußen plausibel zu machen versuchte. 3 Nicht anders wird die Wirkung der deutschen Aufklärung bewertet, die — wieder nach Heydorn — „ein eindrucksvolles Bildungswesen geschaffen" habe4 und der eine umfassende Wirksamkeit „in allen Dingen des Unterrichtswesens" nachgesagt worden ist. 5 Die grundlegenden Arbeiten von Carl Hinrichs haben nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik wie auch in der D D R eine

2 Heinz-Joachim Heydorn, Uber den Widerspruch Frankfurt am Main 1970, S. 68.

von Bildung

und

Herrschaft,

Elisabeth Gloria, Der Pietismus als Förderer der Volksbildung und sein Einfluß auf die preußische Volksschule, Phil. Diss., Halle 1933 (= Hallesche pädagogische Studien, Heft 18), Osterwieck/Harz 1933, die auf S. 27 zu berichten weiß, daß die „Deutsche Schule" in Halle (an den Franckeschen Anstalten) „dann mehr oder weniger als Muster auf jene peußischen Volksschulen" eingewirkt habe; nach S. 89 ist die „Volksschule" eine „Schöpfung pietistischen Geistes" (derartige ungeprüfte und zweifelhafte Schlüsse auf „die preußische Volksschule" auch a.a.O., S. 36, S. 41, S. 56; S. 59: „Mit gutem Recht kann man wohl behaupten, daß durch den Pietismus die Grundlage der staatlichen Volksschule geschaffen wurde."). Gloria ist schon auf Grund ihrer Materialbasis 3

— außerordentlich hochgelegenen Quellen — nicht in der Lage, ihre Frage nach dem „Einfluß" des Pietismus auf die Schule zu bedienen. Die Bedeutung des halleschen Pietismus für die Entstehung „des preußischen Volksschulwesens" schätzt auch Klaus Deppermann, Die Pädagogik August Hermann Franckes und ihre Bedeutung für die Gegenwart, in: Die innere Mission, Bd. 53 (1963), S. 277 f., als entscheidend ein. 4

H.-J. Heydorn, Über den Widerspruch..S.

84.

So Friedrich Meyer, Die Idee des Volkes in den Volksschulreformen PreußenDeutschlands. Vom Ubergang der Kirchenschule zur Staatsschule 1736—94 bis zum ersten Durchbruch des völkischen Gedankens 1807—1819, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 27 (1937), S. 86; vgl. auch Paul Barth, Die Geschichte der Erziehung in soziologischer und geistesgeschichtlicher Beleuchtung, 5. und 6., durchges. Aufl., Leipzig 1925, S. 509; Rudolf Stadelmann/Wolfram Fischer, Die Bildungswelt des deutschen Handwerkers um 1800. Studien zur Soziologie des Kleinbürgers im Zeitalter Goethes, Berlin 1955, S. 185, charakterisieren die „deutsche Aufklärung geradezu als Volksbildungsbewegung des Rationalismus". 5

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intensive E r f o r s c h u n g des Pietismus hallescher P r ä g u n g in seiner W i r kung insbesondere auf B r a n d e n b u r g - P r e u ß e n angeregt. 6 H i n r i c h s war es, der ü b e r die ältere, p r i m ä r auf die kirchengeschichtliche B e d e u t u n g des Pietismus in B r a n d e n b u r g - P r e u ß e n abhebende F o r s c h u n g hinaus in dieser S t r ö m u n g im vollen A u s m a ß eine „politisch-soziale R e f o r m b e wegung des 18. J a h r h u n d e r t s " e r k a n n t e . 7 Die V e r w ü s t u n g e n und das Elend des Dreißigjährigen Krieges waren z u n ä c h s t das prägende Erlebnis, der A n l a ß einer prinzipiellen K r i t i k an der sich selbst genügenden lutherischen O r t h o d o x i e , die in ihrer ,,fleischliche[n] Sicherheit" den Z o r n G o t t e s h e r a u f b e s c h w o r e n habe. 8 A u g u s t H e r m a n n F r a n c k e , der

6 Siehe das Kapitel Die Begegnung mit der Reformbewegung des Pietismus in der — unvollendet gebliebenen — Biographie von Carl Hinrichs, Friedrieb Wilhelm I. König in Preußen. Eine Biographie. Jugend und Aufstieg, 2. Aufl., Hamburg 1943, S. 559—599, und zuletzt das postum erschienene Werk Preufientum und Pietismus...; aus der westdeutschen Literatur sei zunächst hervorgehoben Klaus Deppermann, Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.), Göttingen 1961; aus der beachtlichen in der DDR entstandenen Literatur zum halleschen Pietismus sei beispielsweise verwiesen auf den wichtigen Sammelband: A ugust Hermann Francke. Festreden und Kolloquium Uber den Bildungs- und Erziehungsgedanken bei August Hermann Francke aus Anlaß der 300. Wiederkehr seines Geburtstages 22. März 1963 (= MartinLuther-Universität. Hallesche Universitätsreden [N. F.], Bd. 9), Halle-Wittenberg 1964, hier ζ. B. der Aufsatz von H. Schwabe, Zur Klassenfrage im WerkA. H. Franckes, in: A.a.O., S. 26f., zur schroff kontroversen Beurteilung des Pietismus durch die Forschung der D D R in den 1950er und 1960er Jahren, die sich auf das in Halle befindliche Francke-Archiv stützen kann, siehe auch die Arbeiten von Hans Ahrbeck (ζ. B. sein Aufsatz Über die Erziehungs- und Unterrichtsreform Α. H. Franckes und ihre Grundlagen, in: 450Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 2, Halle-Wittenberg 1952, S. 77—93) und Rosemarie Ahrbeck-Wothge (etwa ihre Abhandlung Über August Hermann Franckes „ Lehrart", in: Jahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte, Bd. 3 [1963], S. 13—23); schließlich sei für die Pietismusforschung in der DDR verwiesen auf die Studie von Eduard Winter, Halle als Ausgangspunkt der Rußlandkunde im 18. Jahrhundert (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik, Nr. 2), Berlin [Ost] 1953. 7 So in seinem programmatischen Aufsatz Der Hallesche Pietismus als politisch-soziale Reformbewegung des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 2 (1953), S. 177—189, wieder in: Ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hrsg. von Gerhard Oestreich (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 10), Berlin 1964, S. 170—184; vgl. damit die ältere Darstellung von Albrecht Ritsehl, Geschichte des Pietismus, Bd. 2, Bonn 1884, S. 249—294, S. 385— 584, besonders S. 253 ff., S. 276ff.; zum Verhältnis von Pietismus und BrandenburgPreußen besonders S. 283—294. » Siehe dazu C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 560; H. Ahrbeck, Über die

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S c h ö p f e r der A n s t a l t e n in H a l l e 9 und P r o t a g o n i s t des „halleschen" Pietismus, fragte grundsätzlich nach den U r s a c h e n des V e r d e r b e n s in der W e l t . Kein Stand k o n n t e — so F r a n c k e — als schuldlos gelten, d o c h wies er d e m „ L e h r - S t a n d e " eine b e s o n d e r e V e r a n t w o r t u n g z u . „ E s ist aber m i t d e m V e r d e r b e n des L e h r - S t a n d e s gar etwas besonders, indem man dasselbe nicht allein als einen T h e i l des allgemeinen Verderbens anzusehen, sondern a u c h in demselben den G r u n d des V e r d e r b e n s a m allermeisten zu suchen h a t . " 1 0 Deshalb müsse die R e f o r m , die für F r a n c k e nicht n u r eine in D e u t s c h l a n d und E u r o p a wirkende, sondern die ganze W e l t umspannende, universale sein sollte, hier ansetzen. „ N u r wenn eine B e ß e r u n g g e s u c h t werden soll, m u ß sie nach der j e t z t a n g e z o g e n e n Anweisung Christi und seines A p o s t e l s v o m L e h r - S t a n d e angefangen werden, als welcher das Saltz der E r d e n seyn m u ß . " 1 1 Das Erziehungs- und Unterrichtsreform..., S. 79, und ders., Uber einige fortschrittliche Elemente in der Pädagogik August Hermann Franches, in: fahrbuch für Erziehungs- und Schulgeschichte, Bd. 3 (1963), S. 3—11, hier S. 5; zur Abgrenzung des Pietismus von der Scholastik der Orthodoxie vgl. jetzt Peter Menck, Die Erziehung der Jugend zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Nächsten. Begründung und Intentionen der Pädagogik August Hermann Franckes (= Aneignung und Begegnung), Wuppertal-RatingenDüsseldorf 1969, S. 11. 9 Zu den organisatorischen Anfängen und der Entwicklung der Franckeschen Anstalten siehe unten bei Anm. 15—40; neben der älteren, aber immer noch heranzuziehenden Biographie von Gustav Kramer, A ugust Hermann Francke. Ein Lebensbild, 2 Bde, Halle a. S. 1880—1882, siehe jetzt Erich Beyreuther, August Hermann Francke. Zeuge des lebendigen Gottes, 2. Aufl., Berlin [Ost] 1960. 10 So Francke in dem sogenannten „Großen Aufsatz" in der Edition von Otto Podczeck (Hrsg.), August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungsund Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der Grosse Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung (= Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse, Bd. 53, Heft 3), Berlin [Ost] 1962, S. 73; vgl. auch S. 71 zum Übel in den drei „Haupt-Stände[n]", dem „Regier-Stand, Hauß-Stand und Lehr-Stand". Siehe auch C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 47. 11 O. Podczeck (Hrsg.), August Hermann Franckes Schrift..., S. 75 (mit Verweis auf eine Stelle im Matthäus-Evangelium); siehe ebenso August Hermann Francke, Project zu einem Seminario universali oder A nlegung eines Pflanz-Gartens, in welchem man eine reale Verbeßerung in allen Ständen in und außerhalb Deutschlands, ja in Europa und allen übrigen Theilen der Welt zu gewarten, hrsg. von Otto Frick, Halle 1881, S. 9; es sei „der Grund alles Verderbens in dem höchst verderbten Lehrstande zu suchen" (dagegen dann das Seminarprojekt, a.a.O., S. 10ff., und S. 13 f. zum „Universal Seminario"); zum universalistischen Charakter in Franckes Programm siehe neben O. Podczecks einführenden Bemerkungen (August Hermann Franckes Schrift..., S. 9 f.) C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 1 ff.; ders., Der Hallesche Pietismus..., S. 176f.; zu den

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Verderben in der Welt müsse bekämpft werden, indem seine Quellen verstopft würden. „Eine solche Quelle ist die böse Aufferziehung der Jugend. Denn damit ist es so weit kommen, daß fast niemand mehr weiß, was zu einer recht Christlichen und gemeinen Wesen nützlichen Aufferziehung gehöre. Daher die Jugend insgemein rohe, wüst und wilde, und ohne alle wahre Erkenntniß und Furcht Gottes, ohne Zucht und Ermahnung des HErrn auffwächset." Aus dieser Argumentation folgte schließlich nichts weniger als die prinzipielle Forderung einer grundlegenden Reform der Schulen.12 Die zentrale Rolle einer umfassenden Reform des Bildungswesens ist ein Charakteristikum des halleschen Pietismus. Kirche und Schule — hier lag der Ansatzpunkt einer „wirklichen Reformation" (Carl Hinrichs). „Diese Einsicht sollte für den Pietismus eine fundamentale Bedeutung erhalten. Die zukünftige Bewegung wird eine pädagogische Bewegung sein, es beginnt die Zeit des Glaubens an die Allmacht der Schule und Erziehung." 13 Hatte die lutherische Orthodoxie für die Fundamentalreformation der als verderbt kritisierten Welt auf pädagogischem Wege keine Impulse zu geben vermocht, so sollte gerade auf diesem Felde nun die Offensive eines vertieften, aber weltoffenen Glaubens beginnen, nicht durch eine Renovation der Theologie und

praktischen Ausprägungen des universalistischen Programms des halleschen Pietismus vgl. E. Winter, Halle als Ausgangspunkt der deutschen Rußlandkunde... 12 O. Podczeck(Hrsg.), August Hermann Franckes Schrift..., S. 75 f., das Zitat S. 76; das Folgende nach S. 77 und S. 115. Zum Begriff des „Lehrstandes" bei Francke vgl. Wolf Oschlies, Die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franches (1663— 1727). Schule und Leben im Menschenbild des Hauptvertreters des halleschen Pietismus (= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 6), Witten 1969, S. 210 f., 215 (Lehrstand = Theologen) mit den Notizen unten im Z W E I T E N T E I L , D R I T T E S K A P I T E L in Anm. 29 ! 13 So die prägnante Formulierung von C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 9, vgl. a.a.O., S. 47, S. 54; zum Folgenden neben dems., Friedrich Wilhelm I , S. 560, S. 563, vgl. A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule im historischen Prozeß..., S. 372 f. Zum Bildungsproblem bei Francke siehe die neueren Studien von P. Menck, Die Erziehung..., besonders S. 22—25; Franz Hoffmann, Die Stellung Α. H. Franckes in der Geschichte der Pädagogik, in: August Hermann Francke. Das humanistische Erbe des großen Erziehers, Halle (1965), S. 9—18 (der S. 16 auf die utopische Überschätzung der Erziehung bei Francke hinweist), und ders., Α. H. Franckes Idee der „UniversalVerbesserung" und die Weltreformpläne des Comenius, in: August Hermann Francke. Festreden und Kolloquium..., S. 79—87, besonders S. 80; schließlich Gerhard Schmalenberg, Pietismus — Schule — Religionsunterricht. Die christliche Unterweisung im Spiegel der vom Pietismus bestimmten Schulordnungen des 18. Jahrhunderts (= Theologie und Wirklichkeit, Bd. 2), Bern-Frankfurt/M. 1974, zu Francke S. 101 f., S. 159.

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nicht durch eine neue originelle pädagogische Theorie, sondern durch tätige Reformpraxis. Mit Recht hat die Forschung den Aktivisten Francke dem eher kontemplativen Theologen des Pietismus Philipp Jakob Spener gegenübergestellt. 14 Zur Jahreswende 1691 auf 1692 wurde der junge Theologe August Hermann Francke als Pfarrer in den Herrschaftsbereich des brandenburgischen Kurfürsten berufen. Er erhielt die Pfarrstelle in der Gemeinde Glaucha vor Halle übertragen. 15 Sowohl August Hermann Francke selbst als auch die reiche Literatur über seine Aktivitäten haben die Anfänge der nach ihm benannten Anstalten in Halle detailliert beschrieben. Unstrittig ist, daß es Franckes ureigenste persönliche Initiative war, als er zu Ostern des Jahres 1695 den Anfang zu einer Armenschule im Pfarrhaus zu Glaucha machte. 16 Schon zu Pfingsten desselben Jahres begann hier auch der Unterricht im „Paedagogio" für Adlige und andere junge Leute, dessen Kosten ihre Eltern bestritten. Im Herbst traf Francke erste Maßnahmen in Richtung auf das berühmt gewordene Waisenhaus zu Halle. 17 Schließlich nannte er im Jahre 1705 14 Siehe C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 13; R. Ahrbeck-Wothge, Über August Hermann Franckes „Lehrart"..., S. 17; auch schon sehr drastisch Paul Grünberg, Philipp Jakob Spener, Bd. 1, Göttingen 1893, S. 327—329; zum Primat der Praxis (nicht aber dem Entwurf einer neuen Erziehungslehre) bei Francke vgl. ζ. Β. H . Ahrbeck, Über die Erziehungs- und Unterrichtsreform..., S. 84; F. Hofmann, Α. Η. Franckes Idee..., S. 87. 15 Einzelheiten bei E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 132—135; K. Deppermann, Der hallesche Pietismus..., S. 75; zur Lage in Glaucha bei Eintreffen Franckes vgl. die interessante Abhandlung von Erich Neuß, Das Glauchaische Elend 1692, in: August Hermann Francke. Das humanistische Erbe des großen Erziehers, (Halle) 1965, S. 19—27, besonders S. 23 ff., und G. Schmalenberg, Pietismus — Schule — Religionsunterricht..., S. 193f. Anm. 4. " Siehe die berühmt gewordene Schilderung bei August Hermann Francke, Segensvolle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes. Zur Beschämung des Unglaubens und Stärckung des Glaubens, entdecket durch eine wahrhafte und umständliche Nachricht von dem Waysen-Hause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle;.., 3. Aufl., Halle 1709 (Titel gekürzt), S. 7—15, auch zu den eingegangenen Spenden und zur weiteren Entwicklung; O . Podczeck (Hrsg.), August Hermann Franckes Schrift... S. 96; zu den hier nicht erneut auszuführenden Details siehe auch G. Kramer, August Hermann Francke..., Bd. 1, S. 162—169; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I , S. 563f.; ders., Preußentum und Pietismus..., S. 18ff.; K. Deppermann,

Der hallesche Pietismus..., S. 89; E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 183— 194; W. Oschlies, Die Arbeits- und Berufspädagogik..., S. 16,18,22; diese Stellen auch für die weiteren Ausführungen. 17 Α. H . Francke, Segens-volle Fußstapfen..., S. 10, S. 13 ff.

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nicht weniger als acht Schulen, die zu dem Waisenhaus gehörten. Dazu zählten neben dem Pädagogium die 1697 begründete Schule für „BürgerKinder", in der Knaben in den „fundamentis studiorum" präpariert wurden, und eine Schule für Bürgermädchen. Konnte August Hermann Francke 1698 nur auf zwei Armenschulen verweisen, so waren es 1709 schon vier, die seiner Obhut unterstanden 18 — „Seminaria für das gantze Land": „Denn da werden Christliche Hand-Wercks- und Handels-Leute, gute Schul-Meister, ja auch Christliche Prediger und RathsLeute zubereitet." 1 9 Im Mai 1698 konnten 101 Waisenkinder und 63 Teilnehmer am Pädagogium gezählt werden; insgesamt waren es 409 Schüler in den verschiedenen Anstalten. 20 Im Jahre 1704 bezifferte Francke deren Zahl bereits auf 850, und für 1706 sind bereits neun deutsche Schulen mit 708 Kindern und 32 Präceptoren und eine Gesamtzahl (inklusive der Waisenkinder) von 988 bezeugt. 2 1 Im Todesjahr August Hermann Franckes (1727) wurden in den „deutschen Schulen" nicht weniger als 1725 Kinder von 106 Lehrpersonen betreut; in den „lateinischen Schulen" waren es mehr als 400 Schüler sowie 35

O. Podczeck (Hrsg.), August Hermann Franckes Schrift..., S. 100; Α. H. Francke, Segens-voile Fußstapfen..., S. 19—22, S. 107 (das Zitat); bei G. Kramer, August Hermann Francke..., Bd. 1, S. 275 f., eine Tabelle der Anstalten Franckes nach dem Stand vom Dezember 1698. Zur Entwicklung der Anstalten in Halle siehe jetzt auch Ilse Tönnies, Die Arbeitswelt von Pietismus, ErweckungsbewegungundBrüdergemeine. Ideen und Institutionen. Zur religiös-sozialen Vorgeschichte des Industrialisierungszeitalters in Berlin und Mitteldeutschland, in: Jahrbuch für die Geschichte Mitt'el- und Ostdeutschlands, Bd. 21 (1972), S. 149 ff. " Α. H . Francke, Segens-voile Fußstapfen..., S. 107f. 20 E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 194 (Zahlen zum Mai 1698); G(ustav) Kramer, Artikel: Francke, August Hermann, in: K. A. Schmid (Hrsg.), Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens, bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten, hrsg. unter Mitwirkung der DD. Palmer, Wildermuth, Hauber, Bd. 4,2., verb. Aufl., Gotha 1878, S. 544, S. 552 zur quantitativen Entwicklung nach Franckes T o d und zum Sinken der Zahlen seit etwa 1770 (dazu auch die Vorbemerkung von Karl Richter in: A[ugust] H[ermann] Francke, Schriften über Erziehung undUnterricht, bearb. von Karl Richter [= Pädagogische Bibliothek. Eine Sammlung der wichtigsten pädagogischen Schriften älterer und neuerer Zeit], Berlin 1871, S. 380— 387). 21 Die Zahlen für 1704: C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 570; ders., Der Hallesche Pietismus..., S. 178; zu 1706: August Hermann Francke/Carl Hildebrand von Canstein, Die II. Fortsetzung der Wahrhaften und umständlichen Nachricht Vom Waysen-Hause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle, den 14. Novembris Anno 1706..., Halle 1709, S. 18f. (Titel gekürzt). 18

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Lehrer u n d I n s p e k t o r e n , im Pädagogium Regium wurden neben dem I n s p e k t o r u n d 27 U n t e r r i c h t e n d e n 82 Scholaren angetroffen, und im Waisenhaus waren es 134 Kinder, 2 2 insgesamt m e h r als 2300 Zöglinge. Dieses imposante Anstaltssystem, dessen Ausstrahlung und Bedeut u n g f ü r das Bildungswesen in Brandenburg-Preußen freilich nicht aus den beachtlichen Frequenzen in Halle erschlossen werden sollte, sondern in der preußischen Schulrealität empirisch zu ü b e r p r ü f e n bleibt, „war so gewissermaßen o h n e Z u t u n des Staates geschaffen worden", 2 3 m o c h t e auch die lokale N ä h e z u r Universität Halle die Beschaffung ausreichenden Lehrpersonals entschieden erleichtert haben. D a m i t war nicht ausgeschlossen, daß Francke den N u t z e n seiner Anstalten, seiner p r a k t i z i e r t e n Pädagogik, f ü r die „ H o h e Landesobrigkeit" wiederholt betonte 2 4 u n d seine Anstalten v o m K u r f ü r s t e n und aus dem Kreis seiner R ä t e und Minister gegen Angriffe geschützt wurden, an denen es nicht gefehlt hat. O r t h o d o x e Stadtgeistlichkeit und magdeburgische Landstände, opponierende Z ü n f t e und die sich sperrende A m t s k a m mer, sie alle haben m e h r als einmal Franckes Initiativen zu verhindern oder zu schwächen versucht und ihn veranlaßt, sich hilfesuchend an seine G ö n n e r am brandenburgischen H o f e zu wenden. 2 5 D a ß diese Beziehungen durchaus nicht in jedem Falle Francke die O b e r h a n d b e h a u p t e n ließen, zeigte die Episode der ihm kurzfristig übertragenen 22 Siehe zu 1727 K. Deppermann, Der hallesche Pietismus..., S. 90, hier auch zur Rekrutierung des Lehrpersonals aus den Studenten der Universität Halle; siehe auch G. Kramer, August Hermann Francke..., Bd. 2, S. 486; Theobald Ziegler, Geschichte der Pädagogik mit besonderer Rücksicht auf das höhere Schulwesen (= Handbuch der Erziehungs- und Unterrichtslehre für höhere Schulen, 1 Bd., 1. Abt.) 3., durchges. und erg. Aufl., München 1909, S. 198 f. " So C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 567. 24 Vgl. das in der E I N F Ü H R U N G , Anm. 77 mitgeteilte Zitat und ebenso Α. H . Francke, Segens-voile Fußstapfen..., S. 108 f.; die Landesobrigkeit werde so das Land leichter regieren können. 25 Vgl. zu den hier nicht erneut aufzunehmenden Details die Studie von K. Deppermann, Der hallesche Pietismus..., insbesondere S. 97 ff., S. 109—140; zur Hilfe aus Berlin S. 75, S. 81, S. 97 f., S. 100—110 u. ö., und das Kapitel über „Landständische Opposition gegen den Pietismus in den Provinzen Magdeburg-Halberstadt und Ostpreußen" in dem Werk von C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 216—300, insbesondere S. 217—231; E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 163ff., S. 205; unter Franckes Gönnern am brandenburg-preußischen Hof sei insbesondere der Minister Paul von Fuchs und ebenfalls der Freiherr Carl Hildebrand von Canstein genannt (zu letzterem ζ. B. Peter Schicketanz, Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen zu Philipp Jakob Spener [= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 1], Witten 1967, S. 36—47).

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A u f s i c h t s f u n k t i o n f ü r die Schulen der ganzen Provinz Magdeburg — hier siegte die ständische Resistenz des Landes. 2 6 Das Interesse des Landesherrn an der Konsolidierung der halleschen Anstalten wurde insbesondere in mehreren weitgehenden Privilegien Friedrichs III. (I.) manifestiert. 2 7 D o c h m u ß f ü r die direkte, z u m Beispiel finanzielle U n t e r s t ü t z u n g f ü r Francke durch seinen Landesherrn, sei es wie im Privileg von 1702 in der Zuweisung b e s t i m m t e r Strafgefälle oder — so 1698 — in dem Befehl, d a ß jede magdeburgische Kirche einen Reichstaler f ü r das Waisenhaus zu geben habe, in R e c h n u n g gestellt werden, daß neben dem kurfürstlich-königlichen Willen die zähe O p p o s i t i o n des Landes den u n m i t t e l b a r e n H a n d l u n g s - u n d Wirkungsspielraum Franckes bestimmte. Des R e c h t s auf E i n k ü n f t e aus den Kirchenkapitalien hat sich Francke „bey W a h r n e h m u n g der grossen Unwilligkeit bald anfangs begeben" müssen, 2 8 wie er denn noch in den b e r ü h m t e n „Segens-vollen F u ß s t a p f e n " (Ausgabe 1709) bei der Betrachtung des Privilegs des Jahres 1698 auch die G r e n z e n seines W e r t e s anerkannte. „Es lasset sich aber solches keines wegens dahin extendiren, als wenn die F ü h r u n g des gantzen W e r c k s eine andere Gestalt gewonnen hätte. D e n n erstlich sind die Privilegia [sic!] nicht so fort in einigen Schwang k o m m e n ; J a 26

Siehe K. Deppermann, Der hallesche Pietismus..., S. 82 Anm. 61, S. 124; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 227; Francke hatte bei einer Audienz am 9. September 1699 vom Kurfürsten die Aufsicht über alle Schulen im Herzogtum Magdeburg zugesagt bekommen. Auf den Protest des Landrates des Saalkreises, von Dieskau, wurde ihm diese Aufgabe wieder entzogen. 17 Zu den Privilegien von 1698,1702 und 1703 siehe a.a.O., S. 26—28, S. 58, S. 221; K. Deppermann, Der hallesche Pietismus..., S. 105, besonders zur Immediatstellung des Waisenhauses unter den Kurfürsten. Siehe auch E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 197; vgl. A. H . Francke, Segens-voile Fußstapfen..., S. 28f. mit Anm.; S. 121—131, S, 136—142, der Abdruck der Privilegien Friedrichs I. vom 19. September 1702 für die Franckeschen Anstalten und — separat — für das Pädagogium Regium (zur Leitung, Privileg für einen Buchladen, eine Druckerei, für eine Apotheke und Manufakturen, Verleihung der Akzisefreiheit, der Braugerechtigkeit u. a. m.); das erneuerte und vermehrte Privileg für die Anstalten in Glaucha vom 10. Mai 1713 in: Christian O t t o Mylius (Hrsg.), Continuatio Corporis Constitutionum Magdeburgicarum. Oder / Landes Ordnungen Mandata &'. Welche Im Hert/.ogthum Madeburg (!) und Grafschafft Mansfeld Magdeburgl. Hoheit / Ferner von Anno 1714 bis auf 1717 publiciret sind I samt einigen so vorhin ausgelassen worden, Magdeburg-Halle (1717) Nr. XIII, S. 59—67 (wo die Anstalten S. 60 „als ein Annexum unserer Universität zu Halle", aber unter der Direktion Franckes stehend bezeichnet werden). 28

So A. H . Francke,Segens-voile Fußstapfen..., S. 125 Anm. 2; zum ungebrochenen Widerstand der Amtskammern Magdeburgs und Haiberstadts gegen die Strafgelder siehe K. Deppermann, Der hallesche Pietismus..., S. 111—113.

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viele unter denenselben sind bis auf diese Stunde noch gar nicht brauchbar worden." 29 Francke handelte in diesem Sinne konsequent, wenn er nicht zu sicher auf den Schutz des Landesherrn und seine Unterstützung vertraute. Hier lag nur eine der materiellen Quellen für seinen umfangreichen Anstaltskomplex und seine über Brandenburg-Preußen weit hinausgreifenden weltmissionarischen Pläne. Der Kurfürst unterstützte die Anstalten in Glaucha mit Geldgeschenken und der Zusendung von Baumaterial, 30 doch stand der Monarch damit nicht allein. Aus ganz Deutschland gingen seit 1695 zahllose Spenden für Franckes Institute ein, insbesondere aus Kreisen des nord- und mitteldeutschen Adels und aus dem reichen Bürgertum. Die imposanten wirtschaftlichen Unternehmungen an Franckes Anstalten stabilisierten die wirtschaftliche Grundlage für die Arbeit an seinen Plänen. 31 August Hermann Francke war Realist im mehrfachen Wortsinn — in dem Streben zu unmittelbarer Reformtätigkeit, in der Schaffung von finanziellen Vorkehrungen für deren Absicherung, aber auch hinsichtlich der zeitbezogenen Gliederungsprinzipien der von ihm begründeten Bildungsinstitute. War Franckes Ziel das einer „Unterweisung und Erziehung aller Stände", 32 so ist doch zugleich in seiner Programmatik und faktischen Organisation die Erziehung und Bildung nach den drei Hauptständen separiert. Nach Ilse Tönnies kann das Pädagogium Regium dem Regierstand, die Lateinschule dem Lehrstand und die deutsche Schule dem „Hausstand" zugewiesen werden. Für das Verhältnis von Traditionalität und Ubergangscharakter in dem Werk August Hermann Franckes werden die von der neueren Forschung in der Bundesrepublik und in der D D R wiederholt für die praktische Arbeit 29

A. H . Francke, Segens-voile Fußstapfen..., S. 56f. Z. B.: P. Schicketanz, Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen..., S. 44. 31 Vgl. die umfangreichen Angaben zu eingegangenen Spenden bei A. H . Francke, Segens-volle Fußstapfen..., S. 11 ff., S. 15, S. 32ff., u. ö.; E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 183; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..S. 21; zu den umfangreichen wirtschaftlichen Unternehmungen, den „erwerbenden Anstalten" an den Hallischen Stiftungen Franckes z. B. a.a.O., S. 66—88. 32 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I , S. 563; zum Folgenden S. 566f.; ders., Der Hallesche Pietismus..., S. 174 f.; E. Beyreuther, August Hermann Francke..., S. 211 f., hier auch zu den Details (auch zu den jeweils vorgesehenen Lehrinhalten); zu Franckes Standesschema vgl. Anm. 10; ferner E. Spranger, Zur Geschichte..., S. 26; E. Gloria, Der Pietismus..., S. 13; I. Tönnies, Die Arbeitswelt..., S. 150—153, und die zu vergleichenden Mitteilungen von C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 24f. 30

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment

58

des halleschen Pietismus konstatierten „Tendenzen zur Einebnung der Standesunterschiede" 3 3 als wesentlich hervorgehoben werden können. Dabei hat sich Francke deutlich gegen eben den Vorwurf, Standesunterschiede einebnen zu wollen, verwahrt. In der Theorie hielt er an der lutherischen Ständelehre fest. D o c h ebenso wie der Pietismus in der Förderung eines alle Stände umfassenden christlichen Lebensideals sozialuniversalistisch die bestehenden Standesschranken in der Gemeinsamkeit der Konventikel, an denen sich Angehörige aller Stände beteiligten, zu sprengen tendierte, neigte dieses religiös-soziale Programm zur „Aufweichung der ständischen Grenzen" in der pädagogischen Praxis. 3 4 Die standesspezifischen Stufen der verschiedenen Anstaltsarten in Halle waren in der T a t keine unüberwindbaren Barrieren. Bei gegebener Befähigung sollten nicht nur Absolventen aus den höheren Ständen, sondern auch Zöglinge des Waisenhauses die Universität besuchen können; so wurde hier in der T a t verfahren. 35 „Und da sich unter denen Knaben einige gute Ingenia hervor gethan / hat man auch solche von den übrigen gesondert / und ihnen Praeceptores zugeordnet / die sie nicht allein im Schreiben und Rechnen[,] sondern auch in Sprachen und Wissenschaften /[...] informiret / wie es denn auch noch also bis auf diese Stunde fortgesetzet wird: Die übrigen Knaben aber / so nur zu Handwerkern erzogen werden[,] hat man nebst dem Grunde des Christenthums im Lesen und Schreiben und Rechnen informiret." 3 6 Damit war für begabte Waisenkinder das Universitätsstudium ebenso möglich, wie dieses den Absolventen des Pädagogiums als weiterer Bildungsgang zugewiesen wurde. Für die Aufnahme in die Lateinschule ließ Francke ebenfalls die Herkunft nicht als ausschließli-

33 So jüngst G. Heinrich, Brandenburg 11..., S. 116; in diesem Sinne ist ebenfalls zu nennen K. Deppermann, Die Pädagogik August Hermann Franches..., S. 286 f. 34 Siehe Rosemarie Ahrbeck-Wothge, Zur Frage der Arbeitserziehung und der Allgemeinbildung bei A. H. Francke, in: August Hermann Francke. Festreden und Kolloquium. .., S. 118, zum Folgenden S. 118 f.; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 178 ff.; zur Uberbrückung ständischer Schranken in pietistischen Erbauungszirkeln siehe auch Rolf Engelsing, Der Bürger als Leser. Lesergeschicbte in Deutschland 1500— 1800, Stuttgart 1974, S. 60; vgl. W. Oschlies, Die Arbeits- und Berufspädagogik..., S. 96. 35 So die Ausführungen im „Großen Aufsatz", O. Podczeck (Hrsg.), August mann Franckes Schrift..., S. 99.

Her-

So August Hermann Francke, Segens-voile Fußstapfen..., S. 23, zu den Kindern des Waisenhauses; zum Folgenden auch H. Ahrbeck, Uber die Erziehungs- und Unterrichtsreform. . ., S. 88. 36

Pietismus

und Aufklärung

als Bildungsprogramme

59

ches Kriterium gelten. 37 Von hundert Waisenknaben im Jahre 1704 wurde für 55 notiert, daß sie „studiren"; im Jahre 1706 waren es von 96 Knaben 60, die in einer besonderen Lateinschule mit einem dem Pädagogium entsprechenden Lehrplan zum Studium an der Universität vorbereitet wurden. 38 Für die bildungsgeschichtliche Stellung des halleschen Pietismus als einer auf praktische Wirksamkeit angelegten Reformbewegung sind diese Beobachtungen mit Recht von der neueren Forschung als wichtiges Charakteristikum herausgearbeitet worden. Somit ist unstrittig, daß die Bedeutung des Bildungswesens seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen in gleichsam programmatischer Weise angesprochen worden ist, mochte auch das „pädagogische Jahrhundert", das Wilhelm Roessler mit den Jahren von etwa 1770 bis 1830 ansetzt, 3 9 neue Quantitäten und Qualitäten des reformatorischen Impulses mit sich bringen. Dabei ist daraufhinzuweisen, daß der im 19. Jahrhundert stark betonte Gegensatz von Pietismus und Aufklärung nicht die vielfachen Ubergänge zwischen beiden Strömungen im 18. Jahrhundert verdecken darf, die Hinrichs vom Pietismus als ,,große[m] Eingangstor der deutschen Aufklärung" sprechen ließen, verwandt in dem diesseitsgerichteten Streben um die Vervollkommnung der Welt. 4 0 37

E. Beyreuther, August Hermann

58

Die Zahlen für 1704 bei R . Ahrbeck-Wothge, Zu Fragen der

Tranche...,

S. 190. Arbeitserziehung...,

S. 125 f. (für 1706 hier genannt 60 Studierende unter 95 Knaben); siehe zu 1706 K. Deppermann, Der Francke..., 39

hallesche Pietismus...,

S. 90; E. Beyreuther, August

Hermann

S. 190f.

Zur Datierung des „pädagogischen Jahrhunderts" siehe W . Roessler, Die Entste-

hung des modernen Erziehungswesens..., bewegung"

S. 3, S. 335, S. 345, S. 357; ders., Die

des deutschen Schulwesens als Gegenstand historischer Forschung,

und Erziehung,

„Eigen-

in: Bildung

Bd. 19 (1966), S. 103. Roessler weist darauf hin, daß das W o r t vom

pädagogischen Jahrhundert zeitgenössischen Ursprungs ist. Ahnlich wie Roessler setzt K. von Raumer, Zum geschichtlichen Hintergrund...,

S. 43, „das pädagogische Jahrhun-

dert [ . . . ] mindestens schon Mitte des 18. Jahrhunderts" an. 40

C . Hinrichs, Der Hallesche Pietismus...,

und ders., Preußentum

und Pietismus...,

Konstellation

der deutschen

Aufklärung,

französischen

und deutschen Aufklärung

S. 173 (hier auch das Zitat) und S. 181,

S. 11 f., S. 45; ebenso Werner Krauss, in: Ders., Perspektiven und andere Aufsätze,

und Probleme.

Tur Zur

Neuwied-Berlin 1965,

S. 143—265, hier S. 2 2 3 — 2 2 6 ; so auch schon A. Ritsehl, Geschichte...,

Bd. 2, S. 572f.,

S. 578; dazu und zur weiteren Entwicklung in das 19. Jahrhundert siehe auch Hajo Holborn, Der deutsche Idealismus

in sozialgeschichtlicher

Beleuchtung,

in:

Historische

Zeitschrift, Bd. 174 (1952), S. 3 5 9 — 3 8 4 , wieder in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte

(= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 10. Ge-

schichte), 4. Aufl., Köln 1973, S. 85—108, hier S. 94, S. 97.

60

I. Absolutistischer

Staat,

Ständegesellschaft

und

Schulregiment

Rudolf Vierhaus wies darauf hin, daß die Begriffe „Aufklärung" und „Erziehung" geradezu synonym seien.41 Der Aufklärung als „lehrhafteste!/] Geistesströmung des Abendlandes" (Valjavec) schien die Uberzeugung unanfechtbar, daß der Mensch formbar, bildbar und eines prinzipiellen Fortschritts fähig sei. Bildung und Erziehung galten als die Werkzeuge für die Schaffung einer vollkommeneren Welt. 42 Aufklärungsidee war pädagogisches Programm. Es entstand geradezu ein „neuer Glaube an die Macht der Erziehung",43 der sich zunehmend Gehör zu verschaffen versuchte. Dabei galt als Grundsatz der universalistische Gedanke, daß Aufklärung allen Menschen zu Teil werden müsse und nicht etwa auf einen Stand zu beschränken sei. Dies bedeutete für die pädagogische Programmatik, daß die Forderung verbesserter Bildung im Prinzip alle Stände als Adressaten ansah,44 also eine 41 Rudolf Vierhaus, Deutschland im 18. Jahrhundert: soziales Gefüge, politische Verfassung, geistige Bewegung, in: Lessing und die Zeit der Aufklärung. Vorträge gehalten auf der Tagung der Joachim Jungius Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg am 10. und 11. Oktober 1967 (= Veröffentlichungen der Joachim Jungius Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg), Göttingen 1968, S. 12—29, wieder in: Franklin Kopitzsch (Hrsg.), Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland. Zwölf A ufsätze (= Nymphenburger Texte zur Wissenschaft, Bd. 24), München 1976, S. 173—191, hier S. 188. 42 Fritz Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, Wien-München 1961, S. 259 f.; jetzt Horst Müller, Aufklärung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 15), Berlin 1974, S. 48; Paul Hazard, Die Herrschaft der Vernunft. Das europäische Denken im 18. Jahrhundert. La Pensée Européenne au XVIIIe siècle de Montesquieu à Lessing, aus dem Französischen übersetzt von Harriet Wegener und Karl Linnebach, Hamburg 1949, S. 272—284; siehe aus der pädagogischen Literatur z. B. Theodor Ballauff/Klaus Schaller, Pädagogik. Eine Geschichte der Bildung und Erziehung, Band 2: Vom 16. bis 19. Jahrhundert (= Orbis Academicus. Problemgeschichten der Wissenschaft in Dokumenten und Darstellungen, Bd. 1/12), Freiburg-München 1970, S. 349—368; Elisabeth Heimpel-Michel, Die Aufklärung. Eine historisch-systematische Untersuchung (= Göttinger Studien zur Pädagogik, Heft 7), Langensalza 1928, S. 19 f.; Jonas Cohn, Die Pädagogik der Aufklärung und des deutschen Idealismus, in: Herman Nohl/Ludwig Pallat (Hrsg.), Handbuch der Pädagogik, Bd. 1, Langensalza-BerlinLeipzig 1933, Neudruck Weinheim/Bergstraße 1966, S. 246—301, hier S. 247—253; für die Forschung in der D D R : K.-H. Günther u. a., Geschichte..., S. 138; auf den utilitaristischen Grundzug der Aufklärungspädagogik, dem Anliegen, Erziehung zur Nützlichkeit und Produktivität zu verbreiten, weist betont z. B. H. König, Zur Geschichte der Nationalerziehung..., S. 55—59, hin. 43 So Fritz Blättner, Geschichte der Pädagogik..., S. 84; in diesem Sinne auch die Charakterisierung bei Albert Reble, Geschichte der Pädagogik, 11., durchges. u. erw. Aufl., Stuttgart 1971, S. 135: „Die Aufklärung ist ganz enthusiasmiert von dem Gedanken, alle Menschen durch Belehrung zu verbessern und sie geistig mündig z.u machen." 44 Siehe dazu H. Möller, Aufklärung in Preußen..., S. 246 ff.

Pietismus und Aufklärung

als Bildungsprogramme

61

„gewisse Grundbildung" auch für die unteren sozialen Schichten forderte. 45 Gleichwohl wäre es verfehlt, der Aufklärung zu unterstellen, ständische Differenzierungen nicht mehr gekannt und respektiert zu haben. Es wird ausführlicher darzustellen sein, daß die Vertreter des Aufklärungsgedankens innerhalb der preußischen Beamtenschaft Bildung strikt als Standesbildung verstanden wissen wollten. 46 Und dennoch wird der Ubergangs-, aber auch Zäsurcharakter der Jahrzehnte um 1800 dadurch gekennzeichnet, daß in dieser Zeit — auch im preußischen Bereich — das Prinzip der Standesgrenze in Erziehung und Bildung erstmals kontrovers diskutiert worden ist. Der Philanthropinismus 47 als Pädagogik der (späten) Aufklärung anerkannte, wie vielfach beschrieben worden ist, grundsätzlich das ständische Stufungsprinzip auch in der Bildung. 48 Die theoretische Bedeutung eines Friedrich Eberhard von Rochow wird jedoch nicht zuletzt darin bestimmt werden können, daß er das ständische Stufenkonzept nicht mehr ungeschmälert beibehielt, und gerade dies sollte ihn in eine grundsätzliche Differenz zu dem ebenfalls der Aufklärung verpflichteten Minister von Zedlitz versetzen. 49 45

H . K ö n i g , Zur Geschichte der Nationalerziehung...,

A. Reble, Geschichte..., Lebensformen,

S. 61, S. 69, S. I l l , S. 481; vgl.

S. 132, und Wilhelm Flitner, Geschichte der

abendländischen

München 1967, S. 270 f.

78—81, Anm. 148—150.

46

Vgl. unten im VIERTEN KAPITEL, bei Anm.

47

Z u m Philanthropinismus sei grundsätzlich hingewiesen auf Walter Schöler, Der

Philanthropismus

als Erziehungsbewegung,

in: Beiträge zur Geschichte des

mus. Vorträge auf dem wissenschaftlichen Kolloquium und 20. Dezember

Philanthropis-

über den Philanthropismus

am 19.

1956 in Dessau (= Pädagogik, Beiheft 3), Berlin [ O s t ] 1957, S. 6 — 2 2 ,

hier S. 19; Alfred R ä c h , Sachwörterbuch 1964, S. 204; A Reble, Geschichte...,

zur deutschen Erziehungsgeschichte,

Weinheim

S. 154 f., und P. Barth, Die Geschichte der Erzie-

hung. .., S. 497 Anm. 6; neben dem insgesamt wichtigen W e r k von H . König, Zur Geschichte der Nationalerziehung...,

siehe speziell zum Ursprung dieser pädagogischen

Richtung aus der älteren Literatur A(ugust) Pinloche, Geschichte des

Philanthropinis-

mus. Preisgekrönt von der Académie Française. Deutsche Bearbeitung von J . Rauschenfels und A. Pinloche, 2. Aufl., Leipzig 1914. 49

Dazu sei verwiesen auf K . - E . Jeismann, Das preußische Gymnasium...,

Fertig, Obrigkeit und Schule...,

S. 79; L.

S. 186; J . Gessinger, Sprache und Bürgertum...,

Werner Wagener, Die Standes- und Berufserziehung

in der Pädagogik der

S. 59;

Philanthropini-

sten, Diss., Handels-Hochschule Leipzig 1936, S. 17ff. 49

O t t o Gerlach, Die Idee der Nationalerziehung

Volksschule, Hauptvertreter

Bd. 1: Die Nationalerziehung

in der Geschichte der

im 18. Jahrhundert,

preußischen

dargestellt an

ihrem

Rochow, Langensalza-Berlin-Leipzig 1932, S. 134, S. 136; wichtig wei-

terhin Ernst Schäfer, Friedrich Eberhard

von Rochow. Ein Bild seines Lebens und

Wir-

62

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

Die personell-quantitative Breitenwirkung Rochows ist, wie zu belegen sein wird, der der pietistischen Zentralanstalten nicht entfernt gleichzusetzen. Rochows eigene praktische Tätigkeit konzentrierte sich — neben der literarischen — auf die unmittelbare Verbesserung der Schulen in den wenigen zu seinem brandenburgischen Besitz Reckahn gehörenden weiteren Dörfern, nämlich Krahne und Göttin mit den um 1800 ferner zu dieser Herrschaft gehörenden Vorwerken Brükkermark, Mesdunk und Rotscherlinde. 49 " Die Einflußnahme Rochows auf die Schulgeschichte auch nur seiner Heimatprovinz bleibt zu überprüfen. Hier ist zunächst auf Friedrich Eberhard von Rochows pädagogisches Programm hinzuweisen. Auch für Rochow stand außer Frage, daß „alle Menschen" an der Aufklärung teilhaben sollten. Dabei hätten Ackerleute und Handwerker eine für ihren künftigen Beruf angemessene, nicht aber eine gelehrte Bildung zu erhalten; aber „es gehört zu den allgemeinen Rechten der Menschheit, daß, wer vernünftig geboren wurde, mithin ein freies Glied der menschlichen Gesellschaft sein könnte, ja auch verständig werde".50 Schullehrer hätten „denken zu lehren", und für Rochow stand fest, daß Schulunterricht „kein Vorrecht gewisser Stände sei, sondern als allgemeines Menschenrecht auch dem Geringsten und Ärmsten mitgeteilt werden".51 „Alle Kinder brauchen Unterricht und Ausbildung, um verständige Menschen zu wer-

kens, Gütersloh 1906, S. 65f.; W. Werres, Die sozialgeschichtliche Begründung..., S. 225—229; A. Flitner, Die politische Erziehung..., S. 23; daß Rochow — trotz seiner weitreichenden Forderungen für die Bildung des Menschen — an der ständischen Stufung festhielt, betonte Fritz Jonas, Lebensbild. Friedrich Eberhard von Rochow, in: Ders./Friedrich Wienecke (Hrsg.), Friedrich Eberhard von Rochows sämtliche pädagogische Schriften, Bd. 4, Berlin 1910, S. 422, S. 431. Zur Diskussion um die „Nationalerziehungspläne" in Preußen um 1800 sei summarisch verwiesen auf H. König, Zur Geschichte der Nationalerziehung..., S. 273—316, zu den Schriften von Zedlitz, Massow, Zöllner u. a. 4 , i Siehe zunächst Hans-Dietrich Kahl/Gerd Heinrich, Artikel: Reckahn, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Berlin und Brandenburg (= Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, Bd. 10), Stuttgart 1973, S. 335 f. (mit Literatur); zu Rochows Dorfschulen siehe zuletzt M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 111—123; A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 344—406, neben der reichen älteren Literatur. 50 Friedrich Eberhard von Rochow, Handbuch in katechetischer Form für Lehrer, die aufklären wollen und dürfen, 2., verb. Aufl., Halle 1789, in: Ders., Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 2, Berlin 1908, S. 1—30, hier S. 13, S. 19f. 51 Ders., Uber Lehre, deren Wert und darauf zu gründende Wertschätzung des Lehrers, in: Der deutsche Schulfreund, Bd. 7 (1804), S. 1—13, wieder in: Ders., Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 3, Berlin 1909, S. 208; die Sperrung im Original.

Pietismus und Aufklärung als Bildungsprogramme

63

den, tüchtig zu guten Werken [ . . . ] . Nicht alle Kinder brauchen Gelehrte zu werden [ . . . ] " ; derer bedürfe der Staat nur in geringer Zahl. 52 Schule und Bildung für alle Stände, nicht aber gleiche Bildung für alle, das war Rochows Programm; die „Erste Schule" sollten aber „alle Kinder" zu besuchen haben. Seine Meinung, daß alle Stände an der Bildung teilhaben sollten, ist das für die pädagogische Diskussion im Preußen des Ancien Regime charakteristische Datum. 53 Die Protagonisten der aufgeklärten Bildungsidee wurden auch in Preußen nicht müde, eine grundlegende Verbesserung des Schulwesens zu fordern. Bekannt ist gleichfalls, daß die Männer der in Preußen mit Schulsachen befaßten Kollegien mit dem neuen pädagogischen Schrifttum vertraut gewesen sind. 54 Die neuere und die ältere Forschung hat wiederholt den Minister von Zedlitz als einen wenn auch gemäßigten Vertreter der Aufklärungsideen geschildert. 55 Die starke Beachtung der neuen Erziehungstheorien in der jüngsten Forschung 56 entbindet jedoch nicht von der Aufgabe, ihre Bedeutung in der Verbreitung empirisch zu überprüfen, die Einwirkung von Aufklärung und Pietismus auf die herrschenden Schulzustände vor O r t zu beleuchten, und dies um so mehr, als die Erziehungstheorie — gerade auch die dazu geleisteten Beiträge aus Brandenburg-Preußen — zunehmend die unteren Stände in die Programmatik einbezog. Erst die Untersuchung der bestehenden Schulzustände insbesondere in dem quantitativ dominanten niederen Schulwesen, die Frage nach den Einwirkungen der pädagogischen Lehre

52 Ders., Versuch eines allgemeinen Schulplans, in: A.a.O., S. 188—193, hier S. 189 (Zuerst in: Neue Berlinische Monatsschrift, Bd. 3 [1800], S. 163—172). 55 Siehe zur Infragestellung einer strikt ständischen Bildungskonzeption bei Rochow aus der älteren und neueren Literatur insbesondere O. Gerlach, Die Idee der Nationalerziehung. .., S. 29ff., S. 104; A. Gans, Das ökonomische Motiv..., S. 95, S. 100; H.-J. Heydorn, Über den Widerspruch..., S. 89; W . Werres, Die sozialgeschichtliche Begründung. .., S. 230 mit Anm. 38, und S. 231.

Neben der allgemeinen Notiz bei F. Valjavec, Geschichte..., S. 259, sei für die in Preußen verbreitete Propaganda im Sinne des Philanthropinismus verwiesen auf den Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai, H. Möller, Aufklärung in Preußen..., S. 52 f.; zur Rezeption in der „Verwaltung" siehe K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 76f., S. 80. 54

F. Paulsen, Das deutsche Bildungswesen..., S. 82f.; F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 301, die beide auf der Biographie von C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., fußen; jüngst z. B. M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 83, S. 147 mit Anm. 157. 55

56 Z. B. a.a.O., S. 111—151; H. König, Zur Geschichte der S. 200—208; A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 344—406.

Nationalerziehung...,

64

I. Absolutistischer

Staat,

Ständegesellschaft

und

Schulregiment

und eventuelle praktische und wirksame Resultate würden zum Beispiel die Aussage zulassen, daß Friedrich Eberhard von Rochow „zum Begründer des modernen evangelischen Dorfschulwesens" geworden sei.57 Die übliche Betrachtung seiner Schriften oder Maßnahmen im Bereich der eigenen Gutsherrschaft besagen nichts über die darüber hinausgehende Breitenwirkung. Horst Möllers Hinweis auf den für die Aufklärung diagnostizierbaren „Gegensatz von Theorie und Praxis" 5 8 gerade bezüglich des Bildungsproblems verdient stärkere Beachtung.

F. Valjavec, Geschichte..S. 260; ebenso W. Werres, Die sozialgeschichtliche Begründung. .., S. 222: „Als Begründer der modernen Landschule ist Rochow in die Geschichte der Pädagogik eingegangen." 58 H. Möller, Aufklärung in Preußen..., S. 304. Die darin enthaltene Warnung vor einer Uberschätzung der faktischen Verbreitung neuer Erziehungstheorien gilt mutatis mutandis auch für den Pietismus. Voreilig ist, schon von den beachtlichen Studentenoder Schülerzahlen in Halle auf die Verbreitung der neuen Ideen in ganz Preußen zu schließen. Erst die regionale, auf landesgeschichtliche Methoden gestützte Überprüfung dieser potentiellen Einflüsse auf die Schulwirklichkeit würde ein fundiertes Urteil zulassen, für das bisher jedoch zu wenige Vorstudien vorhanden sind. 57

DRITTES KAPITEL

Kirchenregiment und Schule — ein Kontinuitätsproblem in der frühen Neuzeit

Soll das Verhältnis von absolutistischem „Staat" und Schulwirklichkeit einer Analyse unterzogen werden, so ist es unumgänglich, die Entwicklung und den Charakter der landesherrlichen Organe zu betrachten, die sich mit den Schulen im Lande befaßten. Eine solche Untersuchung wird nur dann zu ausreichenden Resultaten gelangen können, wenn die Instrumente des landesherrlichen Schulregiments einerseits auf tiefreichende Kontinuitäten oder Kontinuitätsbrüche in der Zeit des aufsteigenden Absolutismus überprüft werden und andererseits die Stellung dieser landesherrlichen Institute im Kontext des brandenburgisch-preußischen Verwaltungsapparates betrachtet, nicht aber von diesem isoliert behandelt wird. Es versteht sich dabei von selbst, daß diese Untersuchung gleichsam des „Organbaues" des landesherrlichen Schulregiments auch nicht losgelöst von der sozialen und Verfassungsstruktur des Landes durchgeführt werden kann. Mithin ist es unverzichtbar, auch die unter den hohen Kollegien wirkenden Kräfte bereits an dieser Stelle der vorliegenden Studie in das Bild einzubeziehen und ihre Wirkung zu erkennen. Unbefriedigend bliebe es, geistliche Schulaufsicht und Patronatsstrukturen lediglich zu erwähnen; sie bedürfen einer gleichrangigen Behandlung im Zusammenhang mit dem landesherrlichen Kirchen- und Schulregiment. Erst aus der Gesamtheit dieser Faktoren wird eine zureichende Beschreibung dessen gewonnen werden können, was die vorliegende Literatur mit „Schul"- oder „Unterrichtsverwaltung" zu umschreiben sucht. 1

1 Unter diesen Prämissen muß die Thematik erneut angegangen werden. Aus der neueren Literatur ist insbesondere auf M. Heinemann, Schule im Vorfeld... (vgl. oben

66

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und

Landesherrliches Kirchenregiment seit dem 16. Jahrhundert

Schulregiment

und Schule

Jede verwaltungsgeschichtliche Untersuchung zur Epoche des preußischen Absolutismus hat von der Entstehung eines neuen Verwaltungs- und Beamtentyps auszugehen, der für die „allgemeine Staatsverwaltung" des 18. Jahrhunderts charakteristisch und von fundamentaler Bedeutung wurde. Die verfassungsgeschichtliche Forschung ist der Frage nach den Wurzeln dieser Verwaltung nachgegangen und fand sie in den Kriegskommissaren2 des 17. Jahrhunderts, die, ursprüngdie E I N F Ü H R U N G bei Anm. 10) hinzuweisen, dessen Anliegen es aber nicht war, eine Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Schulwesens vorzulegen, sondern der insbesondere das Verhältnis von „Unterrichtsverwaltung" und pädagogischer Diskussion beleuchten will: Für Heinemann ist dabei „die Entwicklung der bürgerlichen Schultheorie" (a.a.O., S. 17), die er 1800 als abgeschlossen ansieht und der er im „Gespräch" (ζ. B. a.a.O., S. 88) von Schultheorie und ihrer Rezeption im „Vorfeld der Verwaltung" nachgeht, von zentralem Interesse, vgl. a.a.O., S. 15ff.; siehe auch ders., Die Bildungsverwaltung am Ende einer Epoche, in: Zeitschrift für Pädagogik, Bd. 18 (1972), S. 339—356, hier S. 342—346; dagegen haben A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 491 f., auf die Wirkungsschwäche der „Schulprogramme" verwiesen und Heinemanns Darstellung von einem, wie sie interpretieren, „planvoll von Stufe zu Stufe seinem Ziel zustrebenden Prozeß öffentlicher Willensbildung" abgelehnt; ähnlich die Kritik von H. Michalsky, Bildungspolitik..., S. 124. In der Tat bietet Heinemann für die alltägliche Praxis der „Unterrichtsverwaltung" wenig repräsentatives Material. Für die hier zu gebende Darstellung muß die weit zurückreichende Traditionalität der mit dem Schulwesen befaßten landesherrlichen Organe bis zu den preußischen Reformen stärker beachtet werden, die die Bedeutung der Jahre 1770—1800/1806 als Entstehungsphase der neuen „Verwaltungs"-Strukturen relativiert. Die tiefreichenden Kontinuitäten werden auch von Werner Hindahl, Die Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen der geistlichen Aufsicht über die öffentlichen Volksschulen in den Brandenburgisch-Preußischen Staaten vom 17. bis 19. Jahrhundert, Jur. Diss. (Masch.), 1959, entscheidend unterschätzt; über den bisherigen Forschungsstand führt nicht hinaus die Arbeit von B. Rademacher, Zentralisierung und Dezentralisierung...; Kurt Wöhe, Geschichte der Leitung. .., lieferte ebenfalls keine Darstellung der verfassungs-und verwaltungsgeschichtlichen Stellung des Schulwesens im Kontext der Behördenbildung im Preußen des 17. und 18. Jahrhunderts; die Schulaufsicht wird von ihm nicht beachtet, das Oberkonsistorium wird mit wenigen Bemerkungen übergangen (a.a.O., S. 37), auf die Patronatsverhältnisse nimmt Wöhe nur beiläufig Bezug (a.a.O., S. 32). 2 Grundlegend nach wie vor Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte. Eine vergleichende Studie, in: Historische Aufsätze. Karl Zeumer zum sechzigsten Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, Weimar 1910, S. 493—528, wieder in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte (= Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1), 3., durchges. Aufl., Göttingen 1970, S. 242—274, hier besonders S. 242—246, S. 250,

Kirchenregiment

und

Schule

67

lieh allein mit militärischen Aufgaben befaßt, mehr und mehr die Grundlagen und zum Beispiel finanziellen Voraussetzungen f ü r den A u f b a u des miles perpetuus selbst in ihren verwaltenden Griff nahmen. 3 Diese Kommissariatsbehörden, „Hauptinstrumente zur Zertrümmerung des alten ständischen Staats und zum A u f b a u des neuen absolutistischen Militärstaats" ( O t t o Hintze), waren die „maßgebenden Vertreter" jener jüngeren Beamten- und Behördenschicht, die die preußische Verwaltungsorganisation des 18. Jahrhunderts kennzeichnete, und die mit der Begründung des Generaldirektoriums (1722/23) und der Kriegs- und Domänenkammern eine dauerhafte und wirkungsvolle Form erhielt. 4 Diesem jüngeren Verwaltungstyp, der im Preußen des

S. 272—274; Gerhard Oestreich, Die verfassungspolitische

Deutschland Staates.

vom 16. his 18. Jahrhundert,

Ausgewählte

Aufsätze,

Situation

der Monarchie

in: Ders., Geist und Gestalt des

in

frühmodernen

Berlin 1969, S. 253—276, besonders S. 272; aus der

großen älteren Spezialliteratur sei verwiesen auf Kurt Breysig, Die Organisation

der

brandenburgischen

Kommissariate

zur

Brandenburgischen

und Preußischen

in der Zeit von 1660 bis 1697, in: Forschungen Geschichte,

Bd. 5 (1892), S. 135—156, besonders

S. 135—138, S. 145—152, S. 154 ff.; C u r t Jany, Geschichte der Königlich Preußischen Armee bis zum Jahre 1807, Bd. 1,Berlin 1928, S. 153 f f . , S . 244, S. 308 f . , S . 535—539 u.

ö.; Gustav Schmoller, Preußische

Verfassungs-,

Verwaltungs-

und Finanzgeschichte,

Ber-

lin 1921, S. 86—92, S. 151—155; aus der neueren Forschung siehe Francis L. Carsten, Die Entstehung Preußens, Köln-Berlin 1968, S. 1 6 2 f . , S . 171,S. 173,S. 181—184 u . ö . ;

Hans Rosenberg, Bureaucracy,

Aristocracy

and Autocracy.

The Prussian

Experience

1660—1815, 2. Aufl. (= Beacon Paperback, Bd. 223), Boston 1966, S. 35, S. 51, S. 55 ff., S. 117, S. 141. Die Kriegskommissare blieben also in Brandenburg-Preußen nicht, wie ζ. Β. in Osterreich, Bayern, Sachsen und anderen Ländern festgestellt werden kann, auf Aufgaben der Militärverwaltung beschränkt, siehe a.a.O., S. 37; siehe auch Wolfgang Neuge3

bauer, Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in vergleichender Sicht, zuerst in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 26 (1977), S. 86—128, erw. Fassung in: O t t o Büsch/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte..., Bd. 2, S. 541—597, hierS. 545—549 (auch zuMischund Ubergangsformen im 17. Jahrhundert). 4 O. Hintze, Der Commissarius..., S. 245, hierauch die Zitate; ders., Der preußische

Militär- und Beamtenstaat Aufsätze,

im 18. Jahrhundert,

zuerst in: Ders., Historische

und

politische

Bd. 1 (= Deutsche Bücherei, No 94/95), Berlin (1909), S. 179—191, wieder in:

Ders., Regierung

und Verwaltung.

Gesammelte

Abhandlungen

zur Staats-, Rechts- und

Sozialgeschichte Preußens, hrsg. und eingeh von Gerhard Oestreich (= Gesammelte Abhandlungen, Bd. 3), 2., durchges. Aufl., Göttingen 1967, S. 419—428, besonders

S. 421—427; Hans Haussherr, Verwaltungseinheit 17. bis zum Beginn

Deutsche

des 19. Jahrhunderts,

Verfassungsgeschichte

und Ressorttrennung

vom Ende des

Berlin [Ost] 1953, S. 5—10; Fritz Härtung,

vom 15. Jahrhundert

bis zur Gegenwart,

gart 1969, S. 109 f., S. 114 ff.; Richard Dietrich, Kleine Geschichte

9. Aufl., Stutt-

Preußens,

Berlin 1966,

68

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

1 8 . J a h r h u n d e r t s die P o l i z e i - u n d F i n a n z s a c h e n b e a r b e i t e t e , w i r d in d e r v e r f a s s u n g s - u n d v e r w a l t u n g s g e s c h i c h t l i c h e n L i t e r a t u r für das 1 7 . u n d 1 8 . J a h r h u n d e r t „die ä l t e r e S c h i c h t , wie sie a m k l a r s t e n in d e n P r o v i n z i a l r e g i e r u n g e n sich d a r s t e l l t " , e n t g e g e n g e s e t z t , jenes „ B e a m t e n t u m " , das „ n o c h d e r t e r r i t o r i a l e n , s t ä n d i s c h e n E p o c h e des S t a a t s l e b e n s " z u gerechnet wird.5 Hinsichtlich der im Folgenden aufzuwerfenden Frage, inwieweit d e r A b s o l u t i s m u s f ü r die B i l d u n g s g e s c h i c h t e eine Z ä s u r b e d e u t e t e , ist es w i c h t i g f e s t z u h a l t e n , d a ß — z u n ä c h s t allgemein f o r m u liert — diese R e g i e r u n g s k o l l e g i e n die A u f s i c h t ü b e r K i r c h e n u n d S c h u len i m 1 8 . J a h r h u n d e r t b e h a u p t e t e n . 5 » F ü r das S c h u l w e s e n g a l t , d a ß das G e n e r a l d i r e k t o r i u m u n d z u m Beispiel die d e m s e l b e n u n t e r g e b e n e k u r m ä r k i s c h e K r i e g s - u n d D o m ä n e n k a m m e r i m P r i n z i p m i t S c h u l s a c h e n n u r d a n n b e f a ß t w a r e n , w e n n es sich u m S c h u l b a u f r a g e n in k ö n i g l i c h e n P a t r o n a t s o r t e n h a n d e l t e . 6 D a s s c h l o ß g l e i c h w o h l in d e r P r a x i s n i c h t aus, d a ß diese B e h ö r d e n ü b e r die s o d e f i n i e r t e n Z u s t ä n d i g k e i t s g r e n z e n hinaus t ä t i g w u r d e n . E s wird a u c h f ü r die k u r m ä r k i s c h e K a m m e r a u f z u z e i g e n sein, d a ß ihr V e r h a l t e n

S. 39 f., S. 70; diese Stellen auch zu den unter den Kammern stehenden Steuerräten für die Städte und zu den halbständischen Landräten. 5 O. Hintze, Der Commissarius..., S. 245; zur Beschränkung der provinzialen Regierungskollegien durch die Kommissariate auf die juristischen und die geistlichen Angelegenheiten siehe ders., Einleitende Darstellung der Behördenorganisation und allgemeinen Verwaltung in Preußen beim Regierungsantritt Friedrichs II. (= Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, 6. Bd., 1. Hälfte), Berlin 1901, S. 15; ders., Der preußische Militär- und Beamtenstaat..., S. 420, S. 422; F. Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte..., S. 105, S. 112—115; Eberhard Schmidt, Rechtsentwicklung in Preußen. Mit einem Nachwort zum unveränderten Neudruck, Nachdruck der 2. Aufl., Berlin 1929, Darmstadt 1961, S. 14, S. 20. 5a Dazu bleibt von grundsätzlicher Bedeutung O. Hintze, Preußens Entwicklung zum Rechtsstaat, zuerst in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 32 (1920), S. 385—451, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung..., S. 97—163, hier S. 114, mit der Feststellung: es waren ihnen [den Regierungen, — der Verfasser —] diejenigen Verwaltungsbefugnisse geblieben, die ohne großen Schaden noch weiterhin im Geiste der alten territorialständischen Ordnung zur Ausübung gebracht werden konnten, während ihnen alle die Gegenstände entzogen waren, auf deren Verwaltung der absolutistische Militärstaat ein besonderes Gewicht legen mußte." So ζ. B. Domänen, Regalien, Steuern, Polizei im weiteren Sinne. 6 Siehe die Instruktion für das Generaldirektorium vom 20. Dezember 1722, in: A.B.B., Bd. 3, Berlin 1901, Nr. 280, S. 614; zur kurmärkischen Kammer siehe die Beschreibung ihres Wirkungskreises bei F. Beck/L. Enders u. a. (Bearb.), Übersicht über die Bestände..., T e U l , S . 52.

Kirchenregiment

und Schule

69

sie in bisweilen heftige K o m p e t e n z k o n f l i k t e verwickelte, deren A u s gang durchaus r e c h t ungewiß sein k o n n t e . 7 Die Kollegien, die sich während des 18. J a h r h u n d e r t s im eigentlichen Sinne u m die städtischen und ländlichen Schulen z u k ü m m e r n h a t t e n , g e h ö r e n einer B e h ö r d e n s c h i c h t an, deren E n t w i c k l u n g bis in das 18. J a h r h u n d e r t hier detailliert b e t r a c h t e t werden m u ß , deren U r s p r u n g aber in die Z e i t der „ A u s p r ä g u n g des landesherrlichen Kirchenregim e n t s " , 8 in das 16. J a h r h u n d e r t , z u r ü c k w e i s t . W e n n auch die landesherrliche E i n f l u ß n a h m e auf die K i r c h e in der M a r k Brandenburg bereits in der M i t t e des 15. J a h r h u n d e r t s z u n a h m , 9 so wird d o c h die m i t d e m Konfessionswechsel des J a h r e s 1 5 3 9 einsetzende E n t w i c k l u n g für die vorliegende U n t e r s u c h u n g als das entscheidende D a t u m gelten müssen. E s ist wiederholt v o n der älteren und neueren F o r s c h u n g hervorgeh o b e n w o r d e n , daß m i t der R e f o r m a t i o n ein deutlicher „ M a c h t z u -

Siehe oben im Z W E I T E N T E I L , Z W E I T E S K A P I T E L und F Ü N F T E S K A P I T E L . Vgl. auch A.B.B. Bd. 13, Nr. 303, S. 598 f., Kommunikat des Ministers von Münchhausen an das Generaldirektorium, Berlin, 27. Mai 1765, mit einer Beschwerde über Übergriffe der Kammern, die hinsichtlich des Schulwesens „Beistand" zu leisten, nicht aber „Aufsicht" auszuüben hätten. Siehe auch Staatsarchiv Münster, Kriegs- und Domänenkammer Hamm. Nr. 780 (Schulverbesserungen 1787), Extrakt eines in Anwesenheit des Ministers Heinitz aufgenommenen Protokolls vom 14. September 1787: das „Collegium" solle auf die Verbesserung der Schulen in den Städten und auf dem platten Lande achten, „wenn gleich auch solches nicht zu ihrem sondern zum Ressort der Regierung gehöre". 7

8 So jetzt Rudolf von Thadden, Kirche im Schatten des Staates. Zur Problematik der evangelischen Kirche in der preußischen Geschichte, in: Hans-Jürgen Puhle/Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Preußen im Rückblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Göttingen 1980, S. 146—175, hier S. 148; vgl. Otto Hintze, Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments in Preußen, zuerst in: Historische Zeitschrift, Bd. 97 (1906), S. 67—118, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung..., S. 56—96,hierS. 61 f.; siehe auch zu dem angesprochenen Problem Emil Zehner, Die Entwicklung des landesherrlichen Kirchenregiments im Staatskirchentum Brandenburg-Preußens, rechtshistorisch und rechtsdogmatisch dargestellt, Jur. Diss., Köln 1939, S. 17 (zu dieser Studie siehe die kritischen Bemerkungen von Gerd Heinrich, Forschungen zur Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Literaturbericht über die Jahre 1941—1956, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 9/10 [1961], S. 344); die angegebenen Stellen auch zum Folgenden. 9 Zu der in das 15. Jahrhundert zurückweisenden Entwicklung einer entscheidenden Zunahme landesherrlicher Befugnisse gegenüber den kirchlichen Institutionen (ζ. B. die Privilegien von 1447, Präsentation der Bischöfe) vgl. O. Hintze, Die Epochen..., S. 57; Heinrich von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg, Weimar 1846, S. 21 f.; Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, Berlin 1963, S. 71 f.

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wachs für die fürstliche Gewalt" verbunden war. 10 Und dennoch: Eine allzu stringent entwicklungsgeschichtliche Interpretation in Richtung auf den modernen Staat, der ständische Positionen gebrochen habe, verzerrt gerade für die Folgen der Reformation hinsichtlich des Schulwesens die historischen Dimensionen. 11 Eine allein auf den landesherrlichen Gewinn an Einfluß abhebende Deutung übersieht die Tatsache, daß ständische Einwirkungen auf den geistlichen Bereich im 16. und 17. Jahrhundert durchaus nachzuweisen sind. Die brandenburgischen Stände neigten — mit Ausnahme der Prälatenkurie — zur Reformation, und sie haben die Kirchenordnung von 1540 (die auch auf die Schulen Bezug nahm) ausdrücklich gutgeheißen. 12 Sie haben auch „möglicherweise" Vertreter zur Visitation entsandt; 13 in jedem Falle 10 So G. Oestreich, Die verfassungspolitische Situation der Monarchie..., S. 270; in diesem Sinne ist ebenfalls zu nennen G. Heinrich, Brandenburg / / . . . , S. 113; R. von Thadden, Kirche im Schatten..., S. 148; allgemein K. von Raumer, Absoluter Staat..., S. 185. 11 Vgl. zu dem diskutierten Themenkomplex die Darstellung und Interpretation von A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 41, wo die Verfasser im Kirchenregiment ein Mittel zum „Durchdringen landesherrlicher Willensentscheidungen im allgemeinen durch die spezifische, lokal verankerte Herrschaftskompetenz des Adels" sehen und dies in Zusammenhang mit den Vorgängen in Brandenburg um 1540 bringen; vgl. a.a.O., S. 58, wo die „Schulgesetzgebung" seit der Reformation als Element der „Bemühungen der politischen Zentralgewalt" (!) gedeutet wird, „ihre Ziele gegenüber partikularen Gewalten und Privilegien durchzusetzen und damit deren traditionelle Grundlagen allmählich abzubauen." Vgl. auch P. Lundgreen, Schule, Universität und sozialer Wandel. Neuere Literatur zur Sozialgeschichte der Bildung, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 17 (1977), S. 521 f., zu Leschinsky und Roeder; P. Lundgreen, Sozialgeschichte der deutschen Schule..., S. 22f., hat sich dieser Position angeschlossen. 12 Siehe aus der umfangreichen Literatur: Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 4, Berlin 1964, S. 29; Willy Hoppe, Luther und die Mark Brandenburg, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 1 (1950), S. 49—55, wieder in: Ders., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Herbert Ludat, Köln-Graz 1965, S. 288—308, hier S. 302, 305; Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgischen Politik bis zum Westfälischen Frieden von 1648 (= Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, Bd. 1), 2. Aufl., Stuttgart-Berlin 1913, S. 234; Victor Herold, Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation in der Mark Brandenburg 1540—1545. Darstellung auf aktenmäßiger Grundlage, Teil 1, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, Bd. 20 (1925), S. 37 f. Zur Kirchenordnung von 1540 siehe

d e n ZWEITEN Τ κ η . , ERSTES KAPITEL, b e i A n m .

6.

So die vorsichtige Formulierung von Herold a.a.O., S. 48; „etliche Deputirte der Landstände" bei der Visitation im Jahre 1541 laut Samuel Buchholtz, Versuch einer Geschichte der Churmarck Brandenburg von der ersten Erscheinung der deutschen Sennonen an bis auf jetzige Zeit, Teil 3, Berlin 1767, S. 367. 13

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und

Schule

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lassen sich f ü r v e r s c h i e d e n e L a n d s c h a f t e n d e r K u r m a r k r i t t e r s c h a f t l i c h e V e r t r e t e r bei d e r V i s i t a t i o n n a c h w e i s e n , die a b e r v o m L a n d e s h e r r n h i n z u g e z o g e n w o r d e n z u sein s c h e i n e n . 1 4 U n m i ß v e r s t ä n d l i c h h e i ß t es in d e r V i s i t a t i o n s - u n d K o n s i s t o r i a l o r d n u n g des J a h r e s 1 5 7 3 , d a ß K u r f ü r s t J o a c h i m II. „ h i e u o r e t z l i c h e m a h l , auff a n s u c h e n S. G . L a n d t s c h a f f t , die K i r c h e n , P f a r r e r , G e i s t l i c h e n v n d S c h u l e n , d u r c h S. G . v e r o r d n e t e V i s i t a t o r e s visitiern v n d b e s u c h e n , v n d d a r i n n e n allerhand C h r i s t l i c h e v n d g u t e V e r o r d n u n g t h u n l a s s e n " . 1 5 D i e P r ä p o n d e r a n z des L a n d e s h e r r n in d e n B e l a n g e n des K i r c h e n r e g i m e n t s Schloß a u c h n i c h t aus, d a ß die S t ä n d e ihrerseits K i r c h e n - u n d S c h u l f r a g e n a n g e s p r o c h e n h a b e n . J o a c h i m II. bewilligte 1 5 4 0 d e n S t ä d t e n f ü r ihr E n t g e g e n k o m m e n g e g e n ü b e r seinen S t e u e r f o r d e r u n g e n u n t e r a n d e r e m , „das die s t e t t [ . . . ] a u c h die schulen m i t g e s c h i c k t e n s c h u l m e i s t e r n selbs v o r s e hen

mugen,

doch

das

dieselbig

sich

unser

ordenung

gemeß

hal-

t e n [ . . . ] " . 1 6 I m J a h r e 1 5 4 9 w a r e n es w i e d e r u m die S t ä d t e , die d e n K u r f ü r s t e n u m eine K i r c h e n - u n d S c h u l v i s i t a t i o n e r s u c h t e n . 1 7 N i c h t anders

V. Herold, Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation..., S. 59 ff., in Ruppin der Hauptmann Kurt von Rohr; siehe auch die Einleitung von Victor Herold (Hrsg.), Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -Register des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Zweiter Band: Das Land Ruppin. Inspektionen Neuruppin, Wusterhausen, Gransee und Zehdenick. Aus dem Nachlaß von Victor Herold, hrsg. von Gerhard Zimmermann, bearb. von Gerd Heinrich (= Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 6, Quellenwerke Bd. 2), Berlin 1963, S. 1 f.; hier wird auch der Landeshauptmann Hunhard von Zerbst bei der Visitation von 1581 erwähnt. 14

Die Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 im Abdruck bei Christian O t t o Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum, Oder Königl. Preußis. und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marek Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Mandata, Rescripta e.c...., Teil 1, BerlinHalle (1737), 1. Abt., Nr. 7, Sp. 273 (Titel gekürzt); nach Sp. 274 f. sollten die Visitationen alle zehn Jahre wiederholt werden, und dazu waren auch die Amtleute „oder vom Adel" hinzuzuziehen; vier Wochen im voraus sollten „zuforderst die Patronen und Lehnsherrn der Kirchen" zur Visitation beschieden werden. 15

16 Walter Friedensburg (Hrsg.), Kurmärkische Ständeakten aus der Regierungszeit Kurfürst joachims II., Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg [Bd. 19, Teil 1]), München-Leipzig 1913, Nr. 16, S. 83, auch zu den Pfarrern, unter Verweis auf das „jus patronatus"; siehe dazu aus der Literatur Georg Winter, Die märkischen Stände zur Zeit ihrer höchsten Blüte 1540—ISSO. Eine archivalische Studie, in: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde, Bd. 19 (1882), S. 258, zur Reformation in Brandenburg, wo es — freilich etwas pauschal — heißt: „Jetzt erlangen die Städte im Allgemeinen das Recht, ihre Pfarrer und Schulmeister selbst zu wählen." 17

W. Friedensburg (Hrsg.), Kurmärkische

Ständeakten..,

Bd. 1, Nr. 155, S. 431 f.,

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Schulregiment

waren es in dem — noch separaten — Herzogtum Preußen die Landstände, die im 16. Jahrhundert auf eine Verbesserung der Schulen drängten. 18 Mochten sie auch keinen förmlichen Anteil am landesherrlichen Kirchenregiment haben, so wurden doch auch um 1600 Religionsfragen als Landsachen in ständischen Verhandlungen erörtert. 1 9 Ist mithin die Interpretation der reformatorischen Ergebnisse für die Mark Brandenburg des 16. Jahrhunderts in einem zu stark auf die landesherrliche Seite abhebenden Sinn problematisch, so muß für den Ausgangspunkt einer Betrachtung der Entstehungsumstände der Kirchen- und Schulkollegien ferner berücksichtigt werden, daß insbesondere seit dem Ubertritt der märkischen Hohenzollern zum Calvinismus Luthertum und ständische Opposition eine enge Verbindung eingegangen sind. 20 So hat sich, mit den Worten O t t o Hintzes, „die Kirchenverfassung der lutherischen Lande als das stärkste Bollwerk ständisch-particularistischer Neigungen und als das schwerste Hindernis einer staatlichen Verschmelzung der Territorien erwiesen. Diese Kirchenverfassung war, trotz ihrer ursprünglich monarchischen Organisation, im Grunde jetzt doch mehr ständisch als fürstlich; sie hing mit der alten territorialen Landesverfassung unauflöslich zusammen." 21

Gesamtbeschwerden der kurmärkischen Städte vom 17. August 1549; a.a.O., Nr. 18, S. 97, zu Verhandlungen zwischen Kurfürst und Ständen über die geistlichen Güter, 1540. 18 Siehe zu den Einzelheiten Jürgen Petersohn, Wissenschaftspflege und gelehrte Bildung im Herzogtum Preußen im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 11 (1962), S. 85—87. " Vgl. zu den Verhandlungen von 1572 und zur Vorgeschichte der Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 ζ. B. Adolf Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung dargestellt im Wirken seiner Landesfürsten und obersten Justizbeamten, Bd. 1, Berlin 1888, S. 222; Martin Lackner, Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten (= Untersuchungen zur Kirchengeschichte, Bd. 8), Witten 1973, S. 55 f., und — zu 1615 — Helmuth Croon, Die kurmärkischen Landstände 1571—1616 (= Brandenburgische Ständeakten, Bd. 1. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Hauptstadt Berlin, Bd. IX,1), Berlin 1938, S. 193; V. Herold, Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation..., S. 61, glaubt nach 1540 einen sich entwickelnden ständischen Einfluß auf Kirchen-, Patronats- und Schulsachen feststellen zu können. 20 Es sei verwiesen auf O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 51; ders., Kalvinismus und Staatsraison in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift, Bd. 144 (1931 ), S. 229—286, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung..., S. 255—312, hier S. 263 f., S. 299; ders., Die Epochen..., S. 67; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 176. 21 So O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 51 ff.; Stände und Konsistorium im

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und

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D i e N ä h e z u d e n S t ä n d e n k a n n a u c h o h n e d e r e n E i n f l u ß auf das P e r s o n a l d i e s e r K o l l e g i e n b e o b a c h t e t w e r d e n , so, w e n n w ä h r e n d d e r Verhandlungen zwischen brandenburgischem Kurfürsten und Ständen 1 6 0 1 / 0 2 das K o n s i s t o r i u m d e r K u r m a r k es w a r , das in e i n e m S c h r e i b e n an dieselben „ d a r a u f a u f m e r k s a m " m a c h t e , „ d a ß in d e n landesherrlichen Präpositionen der Concordienformel nicht ausdrücklich Erwähn u n g g e s c h e h e " ( D r o y s e n ) , u m d a m i t d e n H i n w e i s z u v e r b i n d e n , d a ß es a m H o f u n d i m L a n d e viele L e u t e gäbe, die d e n C a l v i n i s m u s e i n d r i n g e n lassen w o l l t e n . 2 2 D a z u p a ß t e die A n t w o r t d e r S t ä n d e , w e n n sie feststellt e n , „ d a s C o n s i s t o r i u m s c h e i n e m e h r seine eigene als des L a n d e s h e r r n Sache zu vertreten"! D i e E i n r i c h t u n g dieses K o n s i s t o r i u m s , das n a c h d e m K o n f e s s i o n s w e c h s e l des J a h r e s 1 5 3 9 a u c h in d e r K u r m a r k b e g r ü n d e t

wurde,23

datiert von 1543.24 Vormals den Bischöfen zustehende K o m p e t e n z e n w a r e n es z u n ä c h s t , die d i e s e m K o l l e g i u m ü b e r t r a g e n w u r d e n , s o die A u f s i c h t ü b e r die G e i s t l i c h e n , die E i n h a l t u n g d e r Z e r e m o n i e n , ü b e r den Z u s t a n d v o n K i r c h e n u n d d e r e n B a u l i c h k e i t e n ; das K o n s i s t o r i u m ü b t e die G e r i c h t s b a r k e i t in K i r c h e n - u n d E h e s a c h e n a u s , 2 5 sollte n a c h

16. Jahrhundert: Bernhard Landmesser, Die Stände der Kurmark Brandenburg unter Joachim II. (1535—1571), Rechts- und Staatswiss. Diss., Kiel 1929, Borna-Leipzig 1929, S. 269, S. 277, der den landesherrlichen Charakter des Konsistoriums stark unterstreicht und die Tatsache hervorhebt, daß die Stände auf die Zusammensetzung des Konsistoriums keinen Einfluß gehabt hätten; ist dies auch richtig, so unterschätzt er insgesamt doch den Einfluß der Stände in geistlichen Angelegenheiten. 22 So die Mitteilungen von Joh(ann) Gust(av) Droysen, Geschichte der Preußischen Politik. Zweiter Theil: Die territoriale Zeit, 2. Abt., 2. Aufl., Leipzig 1870, S. 391; das Folgende ein von Droysen gegebenes Aktenzitat. 25 Ein Uberblick über die Entwicklung der Konsistorialverfassung in den protestantischen Territorien bei Emil Sehling, Geschichte der protestantischen Kirchenverfassung (= Grundriß der Geschichtswissenschaft, Bd. 2, 8. Abschnitt), Leipzig 1907, S. 21—28; Karl Müller, Die Anfänge der Konsistorialverfassung im lutherischen Deutschland, in: Historische Zeitschrift, Bd. 102 (1909), S. 1—30, zu Brandenburg S. 14. 24 Grundlegend: Martin Haß, Die ältesten Entwürfe einer Konsistorialordnung für die Kurmark Brandenburg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 27(1914), S. 1—54, hier S. 6, S. 16, auch zum Folgenden; zu der Arbeit von Haß ist hinzuzuziehen Friedrich Meusel, Zur Entstehung der Konsistorialordnung von 1543, in: A.a.O., S. 546 f.; demnach ist der Abdruck bei Haß a.a.O., S. 15—23 als die älteste Konsistorialordnung (vom 22. April 1543) erwiesen; für die Entwicklung im Herrschaftsbereich des Hans von Küstrin sei summarisch verwiesen auf Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 4, Berlin 1964, S. 102—104.

Der Abdruck bei M. Haß, Die ältesten Entwürfe..., S. 16—22, auch zur besonderen Stellung des Bischofs von Brandenburg, an den neben dem Landesherrn gegen 25

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und

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den Bestimmungen des Jahres 1543 aber auch die Schulen beaufsichtigen. Es hatte aus vier oder fünf Personen zu bestehen, denen ein Gerichtsschreiber und ein Bote als weiteres Personal zugewiesen wurden, 2 6 eine N o r m , die sich für die Mitglieder, die „ Assessoren", und ihre Aufgabe ganz ähnlich in der Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 findet. 2 7 Die Konsistorialräte rekrutierten sich seit dem 16. Jahrhundert aus Theologen und Juristen, und daran sollte sich auch im 17. und 18. Jahrhundert nichts ändern. 2 8 Für die eingangs formulierte Konsistorialentscheidungen appelliert werden konnte (auf die Haltung der Bischöfe von Havelberg und Lebus kann hier nicht näher eingegangen werden); für den Amtsbereich wichtig auch Julius Heidemann, Die Reformation in der Mark Brandenburg, Berlin 1889, S. 261 f., hier auch zur partiellen Sonderstellung von Altmark und Prignitz und zum Generalsuperintendenten in Stendal; Paul Steinmüller, Einführung der Reformation in die Kurmark Brandenburg durch f oachim II. (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 20. Jahrgang, 3. Stück), Halle a. S. 1903, S. 98; zur Funktion des Konsistoriums als geistliches Gericht vgl. Karl Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums von seiner Gründung bis zum Regierungsantritt des Kurfürsten Johann Sigismund 1543—1608, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte, 38. Jg. (1963), S. 65, S. 67 f.; V. Herold, Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation..., S. 58; vgl. generell, aber auch zu Brandenburg, K. Müller, Die Anfänge..., S. 11 f. 26

Der Druck bei M. Haß, Die ältesten Entwürfe..S.

17.

C. O . Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., 1. Teil, 1. Abt., Nr. 7, Sp. 321, wo auch auf die „Consistorial Ordnung" Joachims II. hingewiesen wird; Sp. 323: Zuständigkeit für Lehr- und Ehesachen, Einhaltung der Visitationsbestimmungen, Sakramente und Zeremonien, Wahrung der Rechte von Kirchen und Schulen u. a. m.; siehe ferner E. Zehner, Die Entwicklung..., S. 86 f., auch zur Aufhebung der gerichtlichen Konsistorialbefugnisse im 18. Jahrhundert. 27

28 Zum 16. Jahrhundert neben K. Themel, Die Mitglieder..S. 69—73, H . von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung..., S. 60 f.; für die Zeit vor der Auflösung des „Oberkonsistoriums" (1809) ist heranzuziehen die wichtige Arbeit von Karl Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums vom Regierungsantritt des Kurfürsten Johann Sigismund 1608 bis zur Aufhebung des Königlichen Preußischen Oberkonsistoriums 1809, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte, 41. Jg. (1966), S. 95 f.; auf die Tätigkeit von Konsistorialassessoren (ders., Die Mitglieder... 1543—1608..., S. 76ff., S. 81 f., S. 86f.) als Visitations/feomwMdre braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden; diese sind von dem oben bei Anm. 2—4 skizzierten Ursprung der Verwaltung neueren Typs, dem Kriegskommissariat, deutlich zu unterscheiden. Deshalb kann O . Hintze, DerCommissarius..., S. 258, auch die Verbindung von Konsistorien und Visitationskommissionen hervorheben (zu Kommissaren in vorabsolutistischer Zeit auch W. Neugebauer, Zur neueren Deutung ..., S. 547 f.). Für die hier diskutierte Problematik ist es darum unerheblich, wenn Victor Herold, Das Cöllnische Konsistorium im 16. Jahrhundert, in: Forschungen zur Brandenburgischen und PreußischenGeschichte, Bd. 53 (1941), S. 17 f., anfangs im Konsistorium einen kommissarischen Teil des Kammergerichts sehen wollte; dem hat Karl

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und Schule

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Kontinuitätsproblematik bleibt zunächst festzustellen, daß diese Konsistorialordnung von 1573, „die endgültige Verfassung der märkischen Kirche", 29 auch während des 17. und 18. Jahrhunderts Geltung behielt.30 Mit der Feststellung des institutionsgeschichtlichen Ursprungs der Konsistorialverfassung in der Mark Brandenburg ist freilich nur eine wesentliche Voraussetzung für die Beantwortung der Frage nach den Anfängen derjenigen Kollegien, die sich im 18. Jahrhundert mit den Schulen befaßten, gegeben. Hinzuzutreten hat eine nähere Bestimmung des Zeitpunktes, seit dem das kurbrandenburgische Konsistorium zu Kölln tatsächlich in Schulangelegenheiten tätig geworden ist. Schon anläßlich der ersten reformatorischen Visitation wurden in den einzelnen kurbrandenburgischen Städten auch die Schulen untersucht und ihre Verfassung normiert.31 Die Beantwortung der Frage nach dem Einsetzen der Konsistorialtätigkeit im Sinne des landesherrlichen Schulregiments wird freilich durch die problematische Quellenlage nachdrücklich behindert. Die Sammlung von Konsistorialentscheidungen, die der Propst und Konsistorialrat Franz Julius Lütkens um 1700 anlegte, ist eine nicht vollständige Kompilation, die zudem nur

Themel, Die Mitglieder... 1543—1608..., S. 71 ff., mit überzeugenden Argumenten widersprochen; nach seinen Ausführungen ist der Charakter des Konsistoriums 1543 bis (mindestens) 1566 nicht als weltliches, sondern als geistliches Organ dadurch belegt, daß der Generalsuperintendent den Vorsitz führte; vgl. auch a.a.O., S. 90, S. 93f., zur Datierung der geistlichen Leitung auch über 1566 hinaus; deshalb Themeis Aussage, a.a.O., S. 72: „Die Bezeichnung staatliches Konsistorium' (Herold) ist für die Frühzeit der märkischen Reformation eine historische Unmöglichkeit." Siehe auch schon die treffenden Bemerkungen bei Karl Rieker, Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands in ihrer geschichtlichen Entwicklung his zur Gegenwart, Leipzig 1893, S. 168. 29 So V. Herold, DasCöllnische Konsistorium..., S. 23,derS. 23 f. auch auf die starke Anlehnung dieser Fassung an die Konsistorialordnung von 1543 hinweist (auf die Neubearbeitungen von 1551 und 1561 sei hier nur hingewiesen); wie Herold auch E. Zehner, Die Entwicklung..., S. 86. 30 Siehe Friedrich Holtze, Die Brandenburgische Konsistorialordnung von 1573 und ihre Kirchenhaupflicht (= Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 39), Berlin 1904, S. 123ff.; G. Heinrich, Brandenburg II..., S. 113; siehe auch schon S. Buchholtz, Versuch einer Geschichte..., Tl. 3, S. 482, der 1767 zur Konsistorialordnung von 1573 notierte, daß sie „noch heutiges tages in ihrer ganzen Kraft bestehet". 31 H. von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung..., S. 56 f.; J. Heidemann, Die Reformation..., S. 236, S. 242 f.; P. Steinmüller, Einführung der Reformation..., S. 82—97.

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und

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wenig Material aus der Zeit v o r 1 5 8 0 mitteilt. 3 2 Es ist mithin nur möglich festzustellen, w a n n nach dieser A u s w a h l der terminus

a quo

spätestens anzusetzen ist, ohne daß die konsistoriale Tätigkeit in Schulsachen f ü r einen f r ü h e r e n Z e i t p u n k t völlig ausgeschlossen werden kann. Die v o n L ü t k e n s zusammengestellten Konsistorialentscheidungen lassen jedenfalls die T ä t i g k e i t des Köllnischen K o n s i s t o r i u m s in S t a d t s c h u l f r a g e n schon im 16. J a h r h u n d e r t deutlich erkennen. 3 3 Mag dies angesichts der Visitationspraxis des 1 6 . J a h r h u n d e r t s noch nicht v e r w u n d e r n , so ist die T a t s a c h e v o n u m so g r ö ß e r e m Interesse, daß die ersten eindeutigen Erwähnungen v o n Landschulen in dem genannten Konsistorialmaterial schon bald nach 1 6 0 0 einsetzen ( 1 6 1 2 , 1 6 2 1 , 1 6 2 2 ) , u m dann f ü r die zweite H ä l f t e des 17. J a h r h u n d e r t s zahlreich zu werden. 3 4 H i e r also, und nicht im Brandenburg-Preußen der absolutistischen Epoche sind die A n f ä n g e landesherrlicher Betätigung im Bereich des Schulwesens in den S t ä d t e n und auf dem Lande zu suchen, 3 5 ein Befund, der in der A n a l y s e der V i s i t a t i o n e n des 16. und 17. J a h r h u n derts erneut aufscheinen wird.

32 Zur Sammlung von Lütkens siehe V. Herold, Das Cöllnische Konsistorium..., S. 14; siehe auch das chronologische Verzeichnis bei B. von Bonin (Hrsg.), Entscheidungen des Cöllnischen Konsistoriums..., S. 599. 33 A.a.O., S. 326 (Mohrin 1598), S. 375 (Potsdam 1592), S. 350 (Neuwedell 1589), S. 488 (Teltow 1586); für die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts liegen zahlreichere Erwähnungen vor. Auch das in der Mitte des 16. Jahrhunderts für eine kurze Zeit bestehende Konsistorium der Altmark hat sich, wie für das Jahr 1554 belegt ist, mit Schulsachen beschäftigt, siehe L(udwig) Götze, Das Altmärkische Konsistorium der Reformationszeit, in: Vierzehnter Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte und Industrie, Jg. 1864, S. 48 f. 34 B. von Bonin (Hrsg.), Entscheidungen des Cöllnischen Konsistoriums..., S. 485 f. (1612 zu Sükow und Dergenthin in der Prignitz), S. 289 ([Neu-]Langerwisch in der Zauche), S. 397 (auf dem Gut [sdorf] Friesack 1622); für die Zeit nach 1650 siehe α. α. Ο., S. 127, S. 137 f., S. 251, S. 289, u. ö.; auf die Visitation von 1600/01 und die Erwähnung von Landschulen in diesem Zusammenhang wird im Z W E I T E N T E I L , E R S T E S K A P I T E L im Detail zurückzukommen sein. 35 Nur wenn diese Anfänge landesherrlicher Konsistorialtätigkeit im Bereich des städtischen und ländlichen Schulwesens um 1600 ignoriert werden, kann die Entwicklung im ausgehenden 18. Jahrhundert als etwas völlig Neuartiges herausgestellt werden, wie es ζ. Β. H. Michalsky, Bildungspolitik und Bildungsreform..., S. 39 f., tut, wenn sie ebda, entsprechend von der „Institutionalisierung" der Schule in ihrem Verhältnis zum „Staat" für das ausgehende 18. Jahrhundert spricht (vgl. die von Michalsky gegebenen Begriffserklärungen); siehe auch Manfred Heinemann, Nebenwirkungen der Bildungsplanungauf die Bildungspolitik. Dargestellt an der preußischen Unterrichtsverwaltung, in: Bildung und Erziehung, Bd. 23 (1970), S. 46, der mit der Begründung des Oberschulkol-

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und

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Schule

Für die im 16. Jahrhundert entstandenen konsistorialen Organe des Schulregiments traten auch durch die Entwicklung der brandenburgischen Behördenorganisation im frühen 17. Jahrhundert keine grundsätzlichen Veränderungen ein. Der im Jahre 1604 — aus außenpolitischem Anlaß — begründete Geheime Rat besaß, obwohl er auch innerbrandenburgische Aufgaben wahrzunehmen hatte, keinerlei Befugnisse für die Kirchen und Schulen. 3 6 „Wofern aber in Religionssachen Mißhelligkeitten oder dergleichen etwas einfihle und in den geheimbten Rath kehme, sollen unsern geheimbte Rath sich dessen nicht anmaßen, sondern solches alsovorth in unser geistlich Consistorium weißen, do dan alle dieselbe Sachen inhalts unser Consistoriall- und andere dergleichen Ordnung [ . . . ] zu Billichkeitt sollenn entscheiden und erörtern werdenn", heißt es in der Geheimen Ratsordnung vom Dezember 1604. 3 7 Nachdem in der Folge des Konfessionswechsels Johann Sigismunds im Jahre 1614 ein Kirchenrat begründet und dem Geheimen Rat zur Seite gestellt worden war, sich jener aber nur in den wenigen Jahren bis 1618 zu halten vermochte, erhielt der Geheime R a t nun auch Befugnisse im geistlichen Bereich. 38 Der Geheime Rat wurde mit Perlegiums (1787) „jene erste Phase eines beginnenden Verwaltungseinflusses beendet" sieht, „in der seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts versucht worden war, durch erste Verwaltungsmaßnahmen reglementierend in die vormoderne Bildungsorganisation einzugreifen". 36

Siehe dazu die Ausführungen von O . Hintze, Die Epochen...,

S. 77; aus der

Literatur zur Geschichte des Geheimen Rates siehe schon Christ. August Ludwig

Klaproth/Carl Wilhelm Cosmar, Der Königl. Preußische und Churfürstl.

Brandenburgi-

sche Wirklich Geheime Staats-Rath an seinem zweihundertjährigen Stiftungstage den i ten Januar 1805, Berlin 1805, S. 90 f.; Martin Schulz, Geschichte des brandenburgischen Geheimen Ratskollegiums in den Jahren 1604—1608 (= Historische Studien, Heft 276), Berlin 1935, Neudruck Vaduz 1965, S. 17f.; Fritz Härtung, Studien

zur Geschichte

preußischen Verwaltung, in: Oers., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte

der

Auf-

sätze, Berlin 1961, S. 186. 37

Nach dem Druck bei Melle Klinkenborg (Hrsg.), Acta Brandenburgica.

Branden-

burgische Regierungsakten seit der Begründung des Geheimen Rates, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, Bd. III/l), Berlin 1927, S. 9 4 f . 38

Z u dieser Episode der Jahre vor 1618 siehe O. Hintze, Die Epochen...,

auch zum Folgenden; M. Lackner, Die Kirchenpolitik...,

S. 77 f.;

S. 53 f.; auch für diese frühe

Entwicklung siehe Gerhard Oestreich, Der brandenburg-preußische

Geheime

Rat

vom

Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis zur Neuordnung im Jahre 1651. Eine behördengeschichtliche

Studie (« Berliner Studien zur neueren Geschichte, Heft 1 ), Würzburg-

Aumühle 1937, S. 11 ; siehe auch S(iegfried) Isaacsohn, Geschichte

tenthums vom Anfang des 15. Jahrhunderts Neudruck Aalen 1962, S. 61 f.

des preußischen

Beam-

bis auf die Gegenwart, Bd. 2, Berlin 1878,

78

I. Absolutistischer

Staat,

Ständegesellschaft

und

Schulregiment

sonalfragen, mit der Bestellung von Pfarrern und Inspektoren befaßt; Appellationen bei Konsistorialentscheidungen konnten im 17. Jahrhundert an den Geheimen Rat gerichtet werden. Seit 1620 sieht Gerhard Oestreich den Geheimen Rat nun auch mit Schul- und Erziehungsfragen befaßt, 39 doch behielt das Konsistorium zu Kölln eine starke Position mit konkurrierender Kompetenz für das brandenburgische Schulwesen. 40 In der Mitte des 17. Jahrhunderts schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, eine vom Konsistorium separate Instanz für die Schulen der Kurmark Brandenburg zu schaffen. Johann Raue, Mitarbeiter des Comenius in Danzig und der Pädagogik eines Ratke 41 verpflichtet, sollte — wie es schien — nun eine besondere Rolle zuteil werden. Dieser Vertreter der reformerischen Pädagogik in der Mitte des 17. Jahrhunderts und Sohn des Diakons an der Berliner Nikolaikirche suchte zunächst den Kurfürsten von Sachsen zu gewinnen, um seine Projekte zu verwirklichen. 42 Nachdem diese Bestrebungen erfolglos geblieben waren, wandte sich Raue an den Kurfürsten von Brandenburg, um seinen Reformplänen eine erfolgversprechende Realisierungschance zu verschaffen. 43 Von diesem zur Darlegung seines Programms aufgefordert, legte Raue im Januar des Jahres 1654 dem Großen Kurfürsten den Gedanken einer vom Konsistorium getrennten Instanz für das Schulwesen dar — in diesem Vorschlag kulminierten geradezu die pädagogischen Forderungen Raues. 44 Die Folge war seine am 26. Juli 1654 G. Oestreich, Der brandenburg-preußische Gebeime Rat..., S. 96 f. Siehe die Quellenstellen in Anm. 34 und G. Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat..., S. 97; M. Lackner, Die Kirchenpolitik..S. 115 f., beide Studien auch zum Folgenden. 41 Vgl. zu Francke und Comenius: G. Kramer, Franche..., Bd. 1, S. 6—11. 42 A. Gans, Das ökonomische Motiv..., S. 3 f.; A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 53 ff.; K. Wohe, Geschichte der Leitung..., S. 22. 43 Neben den in Anm. 42 erwähnten Stellen siehe schon Leopold von Orlich, Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst. Nach bisher noch ungekannten Originalhandschriften, Berlin-Posen-Bromberg 1836, S. 304; grundlegend für die Person Raues nach wie vor: August Ziel,/ohann Raues „ Schulverbesserung". Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik des 17. Jahrhunderts (= Programm des Königl. Gymnasiums zu Dresden-Neustadt 1886), Dresden 1886, hier S. 1 f., S. 10 f.; für seine Danziger Zeit bleibt zentral Walther Faber, Johann Raue. Quellenstudien über den Comeniuskreis und das Danziger Geistesleben im Zeitalter des Barock, Phil. Diss., Gießen 1928; zu den Pläne Raues, die er dem Kurfürsten von Sachsen vortrug, siehe: Zufällige Anmerckungen Von allerhand zum Schul-Wesen und Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen, Andres Stück, Berlin 1716, S. 45—54, 3. Stück, Berlin 1716, S. 143—160 (Inhaltsangaben der Projekte). 44 Siehe die zum Oberschulkollegium Parallelen ziehenden Ausführungen von A. 39

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und

Schule

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ausgesprochene Ernennung zum „General-Inspector aller Schuelen unserer Chur-Marck" ,45 Zu der Einsetzung eines Kollegiums von „Schulräte[n]" und der gleichfalls in Raues Ernennungsurkunde angekündigten Publikation einer Schulordnung 46 kam es jedoch ebensowenig wie zu seiner quellenmäßig greifbaren Tätigkeit als General-Schulinspektor. Die Literatur führte dies auf die Opposition der brandenburgischen Stände zurück, die zu den erforderlichen finanziellen Bewilligungen nicht bereit gewesen seien, sowie auf das Verhalten sowohl des Rektors am Gymnasium zum Grauen Kloster als auch des pommerschen Generalsuperintendenten, die beide in ihrer opponierenden Haltung verharrten. 47 Nach den Ergebnissen von Walther Faber wird die Tatsache, daß von Raues Tätigkeit als Generalschulinspektor nichts ermittelt werden konnte, nicht zuletzt darauf zurückgeführt werden müssen, daß er 1655 bis 1657 an seinem vorherigen Amtsort Danzig festgehalten wurde, 48 so daß er schon dadurch an der Tätigkeit in Berlin gehindert war, bevor er sodann im Jahre 1659 die Leitung der kurfürstlichen Bibliothek übernahm. Die Traditionalität der landesherrlichen Instrumente, die auf das Schulwesen trafen, blieb also ungebrochen. Konsistorium und Gehei-

Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 55; Wilhelm Kahl, Zur Geschichte der Schulaufsicht. Gesammelte Aufsätze, Leipzig-Berlin 1913, S. 89 £.; ebenso ders., Zur Geschichte der Schulaufsicht im XVII. Jahrhundert, in: Monatsblätter für die Schulaufsicht, Bd. 6 (1905), S. 68; A. Ziel, Johann Raues „Schulverbesserung"..., S. 11. 45 Ebda., und W. Kahl, Zur Geschichte der Schulaufsicht im XVII. Jahrhundert..., S. 68 f. 46 Siehe den Abdruck von Raues Ernennungsurkunde bei A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 349f.; dazu auch B. Rademacher, Zentralisierung und Dezentralisierung..., S. 40. 47 Siehe A. Ziel, Johann Raues „Schulverbesserung"..., S. 11 f.; A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 56; K. Wöhe, Geschichte der Leitung..., S. 24. 48 Die gut belegten Mitteilungen von W. Faber, Johann Raue..., S. 233 mit Anm. 183, hat die Forschung bisher übersehen. Danzig konnte Raue wegen des brandenburgisch-polnischen Krieges erst 1657 verlassen; er war also schon dadurch nicht in der Lage, in der entscheidenden Zeit unmittelbar nach seiner Ernennung von 1654 sich eine zureichende Position in Brandenburg aufzubauen; seine Ernennung zum Leiter der kurfürstlichen Bibliothek findet sich gedruckt bei O t t o Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rats aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Bd. 5 (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 80), Leipzig 1907, N r . 467, S. 520 (Verfügung vom 30. April 1659); siehe auch Hans Prutz, Preußische Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 1900, S. 113.

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mer Rat waren und blieben die obersten Schulinstanzen der Mark Brandenburg. „Das Konsistorium war" — mit den Worten von Gerhard Oestreich — „gleich den anderen märkischen Kollegien, wenn nicht ausdrücklich, so doch implicite, der obersten Behörde untergeordnet." 4 9 Die Befassung mit Kirchen- und Schulsachen blieb aber ein marginales Tätigkeitsfeld des Geheimen Rates. Auch die Ratsordnung von 1651 kannte kein Departement für geistliche Angelegenheiten. 50 Gleichwohl wurde im ausgehenden 17. Jahrhundert der Geheime Rat auch zunehmend in bisher konsistorialen Aufgabenbereichen tätig, ohne daß aber um 1700 neben der Korrespondenz zwischen Geheimem Rat und Konsistorium ein immediater Verkehr zwischen diesem und dem Landesherrn aufgehört hätte — deutliches Zeichen dafür, daß das Konsistorium zu Kölln durchaus eine eigenständige Bedeutung neben dem Geheimen Rat zu behaupten vermocht hatte. 5 1 War im Rat auch um 1650 noch kein eigenes Departement für Kirchen- und Schulsachen vorgesehen, so sind doch im ausgehenden 17. Jahrhundert die ersten Anzeichen für die Herausbildung eines solchen Ressorts im Verband der obersten, nun gesamtstaatlichen Behörde zu erkennen. Der Minister Paul von Fuchs, bekannt als Gönner des halleschen Pietismus, scheint am Ende des 17. Jahrhunderts als erster Geheimer R a t die geistlichen Angelegenheiten auf Dauer bearbeitet zu haben. 52 Fuchs

G. Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat..., S. 90. Siehe die auch für das 17. Jahrhundert ertragreiche Arbeit von Ernst Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium vor hundert Jahren, Stuttgart-Berlin 1918, S. 4; vgl. den gültigen Abdruck der Geheimen Rats-Ordnung vom 4. Dezember 1651 bei O. Meinardus (Hrsg.), Protokolle und Relationen..., Bd. 4 (= Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 66), Leipzig 1896, S. 394—398. 51 Dies in Distanzierung zu der Darstellung von O. Hintze, Die Epochen..., S. 78, der die Konsistorien zu sehr in den Schatten des Geheimen Rates stellt; ebenso Reinhold A(ugust) Dorwart, Church Organization in Brandenburg-Prussia from the Reformation to 1740, in: TheHavard Theological Review, Bd. 31 (1938), S. 275—290, hier S. 289. Der Aktenband im G. St. Α., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 40, Hauptregistratur, Nr. 1773 (Generalia, Visitationen) weist für die Jahrzehnte vor und nach 1700 immediaten Schriftwechsel zwischen Kurfürst und Konsistorium auf. Siehe in diesem Sinne auch die wichtige Studie von Burkhard von Bonin, Die Versuche märkischer Kirchenrechtsreform im 17. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, Bd. 22 (1927), S. 229f., der für die Zeit um 1670 vom Konsistorium als dem Kurfürsten persönlich unterstellt spricht; das Konsistorium habe über die Unterstellung unter den Geheimen Rat bei Abwesenheit des Kurfürsten beraten. 49 50

Zu Paul von Fuchs vgl. oben Z W E I T E S K A P I T E L , Anm. 2 5 ; zu seiner Bedeutung für die Entwicklung der geistlichen Behördenorganisation vgl. O. Hintze, Die Epochen..., 52

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war seit 1 6 9 5 nicht n u r Präsident des Köllnischen K o n s i s t o r i u m s , er h a t t e a u c h die geistlichen Angelegenheiten aller brandenburgischpreußischen P r o v i n z e n w a h r z u n e h m e n . 5 3 Seine W i r k s a m k e i t ist nicht n u r für die geistlichen F r a g e n der K u r m a r k deutlich z u belegen, sondern auch in der S o r g e für Schulsachen der N e u m a r k , M a g d e b u r g s und O s t p r e u ß e n s präzis nachweisbar, 5 4 wiewohl eine neuerliche und detailliertere U n t e r s u c h u n g seiner T ä t i g k e i t erwünscht wäre. F u c h s ' N a c h folger wurde wenige J a h r e n a c h seinem T o d e ( 1 7 0 4 ) M a r q u a r d Ludwig v o n P r i n t z e n , der 1 7 0 7 die S o r g e für die Universitäten ü b e r n a h m und 1 7 0 9 m i t d e m Präsidium des K o n s i s t o r i u m s zu Berlin-Kölln b e t r a u t wurde. A u c h v o n P r i n t z e n s geistesgeschichtliche E i n o r d n u n g bleibt zu b e a c h t e n , h a t t e er d o c h beim älteren C o c c e j i studiert. D e m Pietismus stand P r i n t z e n allerdings sehr viel kühler gegenüber, als das für Paul v o n F u c h s bekannt ist. 5 5 P r i n t z e n , federführend im G e h e i m e n R a t für die geistlichen Angele-

S. 78; R. A. Dorwart, Church Organization..., S. 289 (auch zum Folgenden); ferner C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 24. 53 Wichtig weiterhin F. von Salpius, Paul von Fuchs, ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann vor zweihundert Jahren. Biographischer Essay, Leipzig 1877, hier S. 121 f.; siehe jetzt Gerhard Oestreich, Paul Frhr. von Fuchs, in: Neue deutsche Biographie, Bd. 5, Berlin 1961, S. 682 f.; nach wie vor ist heranzuziehen Hugo Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Auf Grund archivalischer Quellen, Berlin 1894, S. 230. Siehe F. von Salpius, Paul von Fuchs..., S. 123,135 (für Magdeburg); zur Neumark ist hinzuweisen auf Paul Schwartz, Ein streitbarer Schul- und Gottesmann, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 10 (1920), S. 78; für Königsberg (Pr.) siehe G. St. Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 13 (Ostpreußen 1700—1797), Relation W. Sandens an von Fuchs vom 26. Januar 1701 (zur Schule des Holzkämmerers Gehr); Emil Hollack/Friedr(ich) Tromnau, Geschichte des Schulwesens der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Königsberg i. Pr. mit besonderer Berücksichtigung der niedern Schulen. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Altpreußens, Königsberg i. Pr. 1899, S. 225 f. 54

Zu von Printzen — auch für ihn wäre eine eingehendere Untersuchung erwünscht — ist zu verweisen auf (Wilhelm) Naudé, Marquard Ludwig von Printzen, in: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 26, Leipzig 1888, Neudruck Berlin 1970, S. 596, S. 598 f.; C. A. L. Klaproth/C. W. Cosmar, Der Königl. Preußische und Churfürstl. Brandenburgische wirklich Geheime Staats-Rath..., S. 395 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 584, S. 598, auch zu Printzens Stellung zum Pietismus. Zu dem unbedeutenden Intermezzo der Jahre 1704 bis 1709, in denen Daniel Ludolf Freiherrr von Danckelmann als Konsistorialpräsident fungierte, siehe K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 bis ... 1809..., S. 78; Hinrichs nennt Printzen als den Nachfolger von Fuchs. 55

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Schulregiment

genheiten, erfuhr i m J a h r e 1 7 1 3 eine neuerliche A n r e i c h e r u n g seiner Z u s t ä n d i g k e i t e n . 5 6 E r ü b e r n a h m die L e i t u n g des a m 10. Juli 1 7 1 3 eingesetzten evangelisch-reformierten K i r c h e n d i r e k t o r i u m s , der o b e r sten K i r c h e n - und Schulinstanz für die deutschen R e f o r m i e r t e n in den preußischen P r o v i n z e n m i t A u s n a h m e v o n Kleve, M a r k und R a v e n s b e r g . 5 7 U n t e r d e m K i r c h e n d i r e k t o r i u m , das sich neben d e m Präsident e n aus den G e h e i m e n R ä t e n r e f o r m i e r t e r Konfession und vier weiteren K i r c h e n r ä t e n z u s a m m e n s e t z t e , 5 8 standen keinerlei den lutherischen Provinzialkonsistorien e n t s p r e c h e n d e Kollegien. Die Verfassung der r e f o r m i e r t e n K i r c h e wies also einen deutlich zentralistischen G r u n d c h a r a k t e r auf. 5 9 Allerdings ä n d e r t e die E i n s e t z u n g des K i r c h e n d i r e k t o riums n i c h t s an der d i r e k t e n Z u o r d n u n g einiger besonders b e d e u t e n d e r r e f o r m i e r t e r Schulen z u m G e h e i m e n R a t beziehungsweise z u m K ö n i g . D a z u z ä h l t e im 18. J a h r h u n d e r t b e s o n d e r s das J o a c h i m s t h a l s c h e G y m -

56 So wurde von Printzen ζ. B. 1710 Präsident der Akademie der Wissenschaften und 1711 Direktor des Oranienburger Waisenhauses, 1722 Präsident des Ober-Collegium Medicum siehe S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenthums..., Bd. 2, S. 306, Bd. 3, Berlin 1884, S. 358, Anm. 1; R. A. Dowart, Church Organization..., S. 289; Printzen starb 1725. 57 Zur Datierung siehe neben H. von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung. .., S. 219—222, die reformierte „Inspections-Presbyterial-Classical-Gymnasien- und Schulordnung" vom 24. Oktober 1713, in: C. O. Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., Bd. 1, 1. Abt. Nr. 83, Sp. 447; zur Kompetenzbeschreibung ist zu vergleichen (Johann Heinrich Friedrich Ulrich), Ueber den Religionszustand in den preußischen Staaten seit der Regierung Friedrichs des Grossen. In einer Reihe von Briefen, Bd. 2, Leipzig 1778, S. 65—76; S. Isaacsohn, Geschichte..., Bd. 3, S. 347; ferner R. A. Dorwart, The Administrative Reforms of Frederick William I. of Prussia, Harvard-Cambridge 1953, Neudruck Westport/Connecticut 1971, S. 102 mit Anm. 12 auf S. 234; ders., Church Organization..., S. 286f.; O. Hintze, Die Epochen..., S. 80. 58 Zur Zusammensetzung des reformierten Kirchendirektoriums siehe die Mitteilungen bei H. von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung..., S. 220. 59 Zu der angesprochenen Problematik und zu den Kompetenzen siehe E. Müsebeck, Das preußische Kultusministerium..., S. 4; das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1798, Berlin o. J., S. 255 f., nennt die Inspektoren reformierter Konfession in der Kurmark, in der Neumark, in Magdeburg-Halberstadt, Minden, Pommern, Ostpreußen, Westpreußen und Schlesien als direkt unter dem Kirchendirektorium stehend, während die in Tecklenburg und Lingen der dortigen Regierung subordiniert waren wie die ostfriesischen Inspektoren dem dortigen Konsistorium; ebda, auch zu den besonderen Verhältnissen in Süd- und Neuostpreußen; siehe auch Georges Pariset, L'Etat et les Eglises en Prusse sous Frédéric-Guillaume 1er (1713— 1740), Paris 1897, S. 139.

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und

Schule

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nasium in Berlin. 60 Die französisch-reformierten Kirchen und Schulen blieben gleichfalls einem besonderen Kollegium vorbehalten, dem im Jahre 1701 aus der „Commission Ecclésiastique" (seit 1694) hervorgegangenen französischen Oberkonsistorium mit Kompetenzen für die Französisch-Reformierten „im ganzen Lande" (Ulrich). 61 Neben dem lutherisch-kurbrandenburgischen und den beiden reformierten konsistorialen Kollegien ist für die Militärgemeinden und -schulen das seit 1692 bestehende „Consistorial- oder Geistliche Feld-Kriegs-Gerichte" zu berücksichtigen; im Jahre 1711 erging das Reglement für das neue Militärkonsistorium. 62 Dieses vierte Konsistorialkollegium in der Residenz wurde als einziges nicht in die Personalunion einbezogen, wie sie für die drei anderen geistlichen Organe in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beobachtet werden kann. 63 Eine Neubildung in der obersten Leitung des landesherrlichen Kirchen- und Schulregiments deutete sich an. Kurmärkisches Konsistorium, reformiertes Kirchendirektorium und französisches Oberkonsistorium unterstanden dem Geheimen Rat,

Siehe in diesem Sinne J . H. F. Ulrich, Ueberden Religionszustand..., Bd. 2, S. 68 f., wo ebenfalls die „Realschule in Breslau" genannt wird; Conrad Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts. In drei Bänden, Bd. 2, Berlin 1885, S. 130. " Es sei aus Raumgründen für dieses Phänomen summarisch verwiesen auf J . H. F. Ulrich, Ueber den Religionszustand..., Bd. 2, S. 107 ff.; für die Überführung der „Commission" in die Funktion eines Konsistoriums siehe das Patent vom 26. Juli 1701, in: (Christian Otto) Mylius (Hrsg.), Receuil des Edits, Ordonnances, Reglements, et Rescripts. .., Berlin 1750 (Titel gekürzt), Nr. 48, Sp. 191 — 194; sieheG. Pariset, L'Etat..., S. 135 f., auch zu den Grenzen dieser Zentralität; siehe ebenfalls (Magnus Friedrich von Bassewitz), Die Kurmark Brandenburg, ihr Zustand und ihre Verwaltung unmittelbar vor dem Ausbruche des französischen Krieges im Oktober 1806. Von einem ehemaligen höheren Staatsbeamten, Leipzig 1847, S. 126 f.; Ed(uard) Muret, Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde..., Berlin 1885 (Titel gekürzt), S. 24f. 60

Dazu und zu der Militärkonsistorialordnung von 1750 siehe aus der Literatur: H. von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung..., S. 229 ff.; C. Jany, Geschichte. .., Bd. 1, S. 751 f., Bd. 2, Berlin 1928, S. 217f.; siehe auch Friedrich Wienecke, Das preußische Garnisonschulwesen (= Beiträge zur Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in Preußen, Bd. 14. Beihefte zu den Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte), Berlin 1907, S. 27; zur Lage nach der Einrichtung des Oberschulkollegiums siehe A. Gans, Das ökonomische Motiv..., S. 117. 62

63 G. Pariset, L'Etat...,S. sterium ..., S. 5.

134 f., S. 13 7 f.; E. Müsebeck, Das Preußische

Kultusmini-

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und

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faktisch wurde jedoch die anfallende Arbeit in diesen geistlichen Kollegien mit ihrem gemeinsam präsidierenden Minister und den jeweiligen Räten geleistet. Alle drei Konsistorialorgane korrespondierten auch direkt mit dem König. 6 4 Nach dem T o d e Printzens im Jahre 1725 wurde sein Nachfolger Friedrich Ernst Freiherr von Cnyphausen zum „Direktor aller geistlichen und Kirchensachen" ernannt; damit waren ihm auch die Schulfragen zur Bearbeitung überwiesen. 65 Cnyphausen erhielt im Jahre 1730 für das kurbrandenburgische Konsistorium in dem bisherigen Legationsrat Friedrich von Reichenbach einen Vizepräsidenten zur Seite gestellt, ein Vorgang, der von der älteren verfassungsgeschichtlichen Forschung als bedeutsam herausgestellt worden ist, denn nach O t t o Hintzes Ausführungen sollte diese Ernennung nicht nur für die Kirchen- und Schulsachen dieser einen Provinz Folgen zeitigen. „An dieser Stelle, deren Inhaber nicht zum Geh. Rath gehörte und keinerlei andere amtliche Functionen auszuüben hatte, concentrirte sich naturgemäß die Leitung der geistlichen Angelegenheiten", 66 und dies, zumal der zum Konsistorialpräsidenten ernannte Justizminister von Cocceji nach dem Sturz Cnyphausens Reichenbach die Leitung dieser Ressorts weitgehend überließ. Es lag in der Logik der Entwicklung, wenn Reichenbach, wie es in einer Kabinettsorder an Cocceji vom 12. November 1736 hieß, „die Charge eines Zweiten Präsidenten bei Dero Consistorio und denen übrigen Collegiis, bei welchen er stehet", 6 7 übertragen erhielt. O t t o Hintze sprach sich dafür aus, die Berufung Reichenbachs im Jahre 1730 als Zeitpunkt für die Begründung des Geistlichen Departements anzusetzen, obwohl er dasselbe erst im Jahre 1736 zum ersten Male namentlich nachzuweisen in der Lage war. Werner Hindahl hebt hervor, daß es dieses Departement noch nicht im 17. Jahrhundert,

64 G. Pariset, L'Etat..., S. 138; vgl. damit F. Beck/L. Enders u. a. (Bearb.), Übersicht. .., Tl. 1, S. 45, zur Unterstellung des Konsistoriums unter den Geheimen Rat. 65 E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 5, auch zum Folgenden; K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 bis ... 1809..., S. 79 (jedoch mit falschen Datierungen); R. A. Dorwart, Church Organization..., S. 290. 66 O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 135, der S. 139 Anm. 2 Reichenbach auch als Präsident des reformierten Kirchendirektoriums nennt; zum Folgenden E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 5; S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenthums..., Bd. 3, S. 348, S. 351 f. 67 A.B.B., Bd. 5, 2. Hälfte, Nr. 110, S. 166.

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und Schule

85

s o n d e r n e r s t „seit e t w a 1 7 3 6 " gegeben habe. 6 8 Als entscheidend bleibt festzuhalten, daß die E n t w i c k l u n g z u m Geistlichen D e p a r t e m e n t im G r u n d e in das 17. J a h r h u n d e r t z u r ü c k r e i c h t u n d in den J a h r e n 1 7 3 0 bis 1 7 3 6 ihren A b s c h l u ß fand. Jedenfalls ist es in o s t p r e u ß i s c h e n A k t e n nicht erst — so die bisherige L i t e r a t u r — 1 7 3 6 , sondern schon Anfang 1735 bezeugt.69 Freilich m u ß a u c h diese E n t w i c k l u n g z u m „ D e p a r t e m e n t der Geistlichen S a c h e n " 7 0 in den Z u s a m m e n h a n g der allgemeinen b r a n d e n b u r gisch-preußischen V e r w a l t u n g s g e s c h i c h t e in den J a h r z e h n t e n v o r und nach 1 7 0 0 gestellt werden. Die F o r s c h u n g h a t den P r o z e ß der K o m p e t e n z m i n d e r u n g und -Verlagerung v o m G e h e i m e n R a t hin z u den neuen K o m m i s s a r i a t s - und K a m m e r b e h ö r d e n eindringlich geschildert. Generalkriegskommissariat und Generalfinanzdirektorium, dann das G e n e raldirektorium, aber auch das Kabinettsministerium, sie alle übernahmen wichtige F u n k t i o n e n der L a n d e s v e r w a l t u n g und der A u ß e n p o l i tik, so daß, n a c h H e r a u s l ö s e n eben dieser R e s s o r t s aus d e m V e r b a n d des G e h e i m e n R a t e s , dieser in der Arbeitspraxis nur n o c h die J u s t i z - , Kirchen- und Schulsachen behielt. 7 1 H i n t z e u n d M ü s e b e c k haben d e u t -

O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 136 mit Anm. 1, plädiert dafür, als Gründungsdatum des Geistlichen Departements die Anstellung Reichenbachs (19. Mai 1730) anzusehen, gegen Parisets Wahl des Jahres 1736; als ersten ihm bekannten Zeitpunkt für den Gebrauch des Titels „Departement der geistlichen Sachen" gibt Hintze den 1. März 1736 an; ebenso E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 5, und B. Rademacher, Zentralisierung und Dezentralisierung..., S. 41, der die hier referierte Vorgeschichte ignoriert. W. Hindahl, Die Entwicklung..., S. 55 ff., auch er gibt als Datum der Erstnennung den 1. März 1736 an. 68

69 G. St. Α., Berlin Dahlem, 20. Hauptabteilung, Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen, Tit. 38a, Nr. 115 (Salzburger Emigranten), ein Reskript Friedrich Wilhelms I. (Ausf.) „An die Preußische Regierung", datiert Berlin, 17. Februar 1735, erwähnt „Unser hiesiges Departement der Geistlichen Affairen" ; ebda, auch Stücke vom 4. Februar 1735 in dieser Sache. Vgl. auch das (Hintze bekannte) Stück in Anm. 74. 70 So die offizielle Bezeichnung im ausgehenden 18. Jahrhundert, siehe das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., 1798, S. 254. 71 Siehe Carl Hinrichs, Die preußische Zentralverwaltung in den Anfängen Friedrich Wilhelms I., in: Richard Dietrich/Gerhard Oestreich (Hrsg.), Forschungen zu Staat und Verfassung. Festschrift für Fritz Härtung, Berlin 1958, S. 247—267, wieder in: Ders., Preußen als historisches Problem..., S. 138—160, hier S. 148, auch zur Funktion „des alten Geheimen Rates als der Vollversammlung sämtlicher Staatsminister", ferner 5. 151; F. Härtung, Studien..., S. 189f.; Ludwig Tümpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609—1806)

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lieh hervorgehoben, daß auch nach der Ernennung des Geheimen Rates Christian von Brand (Brandt) 72 zum Minister allein für die geistlichen Angelegenheiten eine völlige Trennung von den Justizsachen nicht eingetreten ist. 73 Die Anordnung, daß die beiden Pröpste zu Berlin und Kölln, Roloff und Reinbeck, dem „Ministre", welchem der König „die Direction derer Geistlichen und Kirchen allergnädigst anvertrauet" habe, bei der Bestellung der Prediger und Überwachung der „Provincial-Consistoria" in ihrer Praxis der Kandidatenprüfung 74 zur Hand zu gehen hätten, führte — nicht zuletzt wegen ihrer starken sonstigen Arbeitslast — nicht zu einer verstärkten Abgrenzung dieses Departements gegenüber dem übrigen Teilrudiment des Geheimen Rates. 75 Ihre Berufung bewährte sich nicht, 76 so daß nach Roloff und Reinbeck — wie es scheint — keine Nachfolger für diese ihre Funktion berufen wurden. Dies erklärt die für das Geistliche Departement charakteristische und bekannte Klage des späteren Ministers von Zedlitz, die „Direction" des Schulwesens hänge praktisch von einem Minister allein ab, „und weder ein Rath noch andre Mitarbeiter sind ihm zur Hülfe gegeben worden" Γ Das über den Konsistorialkollegien stehende

(= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Heft 124), Breslau 1915, Neudruck Aalen 1965, S. 237; E. Schmidt, Rechtsentwicklung..., S. 15; W . Neugebauer, Zur neueren Deutung..., S. 553. 72 A.B.B., Bd. 5 , 2 . Hälfte, Nr. 194, S. 318, S. 325; Brand war zuvor u. a. Gesandter in Wien. 73 O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 136f.; E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 5. 74 C. O. Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., 1. Teil, 1. Abt., Nr. 126, Sp. 559 f., Dekret Friedrich Wilhelms I. an den Minister von Cocceji und an von Reichenbach, vom 18. April 1733. 75 Ihre Ernennung wird in der Literatur als Berufung von Räten in das Geistliche Departement gedeutet, E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 5; vorsichtiger O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 136. 76 Siehe A.B.B., Bd. 8, Berlin 1906, Nr. 159, S. 404, mit Anm. 1, Gutachten des Pfarrers Baumgarten (Friedrichswerdersche und Dorotheenstädtische Kirche), 19. Mai 1749. 77 (Karl Abraham Freiherr von) Zedlitz, Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens in den Königlichen Landen, in: Berlinische Monatsschrift, Bd. 10(1787), S. 97—116; hier S. 99; siehe aus der Literatur, M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 153; die hiervon Heinemann behauptete Konzentration der Konsistorien vor allem auf Kirchensachen kann in dieser Schärfe nicht aufrecht erhalten werden, vgl. vorläufig oben bei Anm. 33/34 und die Bestandsbeschreibung in der E I N F Ü H R U N G bei Anm. 45—56 (die Masse des Materials besteht aus Konsistorialakten!).

Kirchenregiment

87

und Schule

Geistliche Departement war also praktisch ein Einmannbetrieb, und schon daraus könnten Schlüsse in bezug auf das fortbestehende Schwergewicht der überkommenen Konsistorien gezogen werden. Zudem ist für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts die Personalunion von justizministerieller Funktion und der Aufgabe als Minister für das Schul- und Kirchenwesen wiederhergestellt und nicht wieder aufgehoben worden. 78 Daran sollte sich auch nichts ändern, als am 31. Oktober 1763 Friedrich der Große die Separierung des Geistlichen- vom Justizdepartement befahl. Der für die alleinige Bearbeitung der Kirchen und Schulsachen vorgesehene Minister von Danckelmann — er hatte bisher auch als Justizminister fungiert — schied schon 1764 aus Altersgründen aus dem Amt, ohne daß für ihn ein geeigneter Nachfolger zur Verfügung stand. Jedenfalls blieb der Anlauf zur Schaffung eines völlig eigenständigen Geistlichen Departements insofern erfolglos, als die personelle Verschränkung mit Justizsachen bestehen blieb. Als entscheidende Neuerung des Jahres 1764 ist jedoch festzuhalten, daß es seitdem zwei zugleich mit juristischen Aufgaben betraute geistliche Minister gab. In diesem Jahr übernahm Joachim Ludwig von Dorville das reformierte Geistliche Departement und Ernst Friedemann von Münchhausen das lutherische, 7 9 das auch die Interessen der katholischen Konfession wahrnahm. 80 Der reformierte Minister im Geistli78

Siehe O . Hintze, Einleitende Darstellung...,

Kultusministerium...,

länder, Artikel: Ernst Friedemann Biographie,

S. 137; E. Miisebeck, Das

Preußische

S. 6 (zu Karl Ludolph von Danckelmann, bis 1764); Ernst FriedFreiherr von Münchhausen,

in: Allgemeine

Deutsche

Bd. 22, Leipzig 1885, Neudruck Berlin 1970, S. 727 f.; Franz Wiedemann,

Karl Ahraham Freiherr von Zedlitz, in: Friedrich Andreae/Max Hippe/Paul Knötel/Otfried Schwarzer (Hrsg.), Schlesier des 18. und 19. Jahrhunderts

(= Schlesische Lebensbil-

der, Bd. 2), Breslau 1926, S. 39; zu Woellner und Massow siehe neben dem in Anm, 59 zitierten Handbuch..., Kammergerichts.

Jg. 1798, S. 193, Friedrich Holtze, 500 Jahre

Berlin 1913, S. 173 ff.; K . - E . Jeismann, Das preußische Gymnasium..., 79

E. Miisebeck, Das Preußische Kultusministerium...,

S. 196 f. (dagegen

S. 242); A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens...,

Rademacher, Zentralisierung...,

Kleistpark,

S. 426.

S. 6 f., auch zu den jeweiligen

juristischen Arbeitsbereichen; W . Hubatsch, Friedrich der Große..., a.a.O.,

Geschichte des

Festschrift zur Feier seines Einzuges in das neue Heim am

S. 337f.; B.

S. 43, überbetont den Aspekt der Trennung des Geist-

lichen vom Justizdepartement. Auf die kurzfristige Aussonderung der Universitäts- und Gymnasialsachen in den Jahren 1747 bis 1749, die auch Heubaum anspricht, sei an dieser Stelle allgemein hingewiesen, vgl. dazu J(ohann) D(avid) E(rdmann) Preuß, Die Lehensgeschichte des großen Königs Friedrich von Preußen. Ein Buch fürJedermann,

2. Ausgabe,

Bd. 2, Berlin 1837, S. 65. 80

Conrad Rethwisch, Das höhere Schulwesen in Preußen

hunderts, in: Preußische Jahrbücher,

Bd. 43 (1879), S. 118.

um die Mitte des 18. Jahr-

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment

88

chen Departement leitete das Kirchendirektorium, während die lutherischen Minister im Departement der geistlichen Angelegenheiten durchweg als Präsidenten des Berliner (Ober-)Konsistoriums amtierten. 81 Die konsistorialen Landesorgane, die, wie zu zeigen ist, in verschiedenen brandenburgisch-preußischen Landen eng mit den Regierungskollegien verbunden waren und die O t t o Hintze gerade dem ständischen „ B e a m t e n " - T y p zuordnete, 8 2 bildeten weiterhin die regionale Unterkonstruktion jener personell denkbar schwach ausgestatteten „Departements", die weit ab vom provinzialen Leben — in einer W e l t ohne die technischen Kommunikationsmittel (auch nur) des 19. Jahrhunderts — von Berlin aus die verschiedenen Provinzen „verwalten" sollten. Diese der territorialen Tradition verhafteten Kollegien waren im ganzen 18. Jahrhundert die unmittelbar mit dem Kirchen- und Schulwesen zusammentreffenden Organe. Die lutherischen Provinzialkonsistorien standen auch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch unverbunden nebeneinander, 83 ohne die für die Reformierten vorhandenen gesamtstaatlichen Kollegien. Schon für die Neumark bestand eine eigene konsistoriale Instanz, die von Karl Themel in das späte 17. Jahrhundert gesetzt wird, aber wohl schon aus dem späten 16. Jahrhundert, aus der Zeit des Hans von Küstrin stammt und nach der neuerlichen Vereinigung mit der Kurmark dem Konsistorium zu Kölln allein die Jurisdiktion in Glaubenssachen abtreten mußte. 8 4 Unstrittig ist, daß schon im 16. Jahrhundert die Regierung in Küstrin auch die Kirchensachen zu bearbeiten hatte, und selbst um 1800 war das Konsi-

Vgl. C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 2, S. 191, siehe auch S. 274; vgl. ferner die Aufstellung bei Rudolf von Thadden, Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen (= Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 32), Berlin 1959, S. 239, und dazu die Tabellen bei W . Hubatsch, Friedrich der Große..., S. 242; ferner K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 bis... 1809..., S. 87, S. 91 f., und das Anm. 59 zitierte Handbuch..., für 1798, S. 254. 81

Vgl. oben bei Anm. 5; in diesem Sinne auch W. Hubatsch, Friedrich der S. 29. 82

83

E. Miisebeck, Das Preußische Kultusministerium...,

Große...,

S. 4 f.

Siehe die Ausführungen von Karl Themel, Die Entstehung der Kirchenkreise in der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 22 (1971), S. 23; F. Beck/L. Enders u. a. (Bearb.), Übersicht..., Teil 1, S. 45, S. 416; E. Sehling (Hrsg.), Die evangelischen Kirchenordnungen..., Bd. 3, S. 17f. 84

Kirchenregiment

und

89

Schule

s t o r i u m d e r N e u m a r k n i c h t s a n d e r e s als d a s u m g e i s t l i c h e R ä t e e r w e i terte Regierungskollegium.85 N a c h d e m Anfall v o n P o m m e r n , M a g d e burg, H a l b e r s t a d t und M i n d e n an B r a n d e n b u r g im Verlauf des 17. J a h r h u n d e r t s w u r d e n a u c h hier K o n s i s t o r i e n geschaffen.86 In M a g d e b u r g wird z w a r s c h o n u n t e r d e m A d m i n i s t r a t o r A u g u s t ein K o n s i s t o r i u m e r w ä h n t , d o c h g e h t dieses K o l l e g i u m n a c h d e m Anfall an B r a n d e n b u r g ( 1 6 8 0 ) a u f e i n e k u r f ü r s t l i c h e N e u s c h ö p f u n g z u r ü c k . D a ß diese M a ß n a h m e in d e m o r t h o d o x l u t h e r i s c h e n , v o r m a l s g e i s t l i c h e n T e r r i t o rium den ständischen W ü n s c h e n nicht entsprach, kann nicht verwund e r n . D o c h ist es w i c h t i g h e r v o r z u h e b e n , d a ß dieses K o n s i s t o r i u m , d a s der auch schon v o r 1 6 8 0 bestehenden, „durchaus

ständefreundlichen

Regierung angegliedert" wurde87 und auch im 18. J a h r h u n d e r t d i e s e r v e r b u n d e n b l i e b , o b e r s t e S c h u l i n s t a n z in d e r P r o v i n z

mit

war.88

85 Für das neumärkische Konsistorium Anfang des 18. Jahrhunderts siehe K. Themel, Die Entstehung der Kirchenkreise..., S. 23: Regierungsmitglieder und der Superintendent von Küstrin; für das Ende des 18. Jahrhunderts siehe P(eter) J(ohann) G . Hoffmann, Topographie der Neumark nach ihrem gegenwärtigen statistischen und kirchlichen Zustande für Cameral- und Justiz-Bediente, auch Kirchen-Inspectoren und Prediger entworfen, Züllichau 1802, S. 8; ferner auch hier das Anm. 59 zitierte Handbuch.. .für 1798..., S. 260; vgl. damit O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 369 für 1740.

Allgemein siehe Hugo Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms..., S. 272, S. 280, S. 285; C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 1, Berlin 1884, S. 432 f., auch zum Konsistorium in Ravensberg (1647—1653). Zum magdeburgischen Konsistorium in vorbrandenburgischer Zeit: Julius Opel, Die Vereinigung des Herzogthums Magdeburg mit Kurbrandenburg. Festschrift zur Erinnerung an die zweihundertjährige Vereinigung, hrsg. im Namen der Historischen Commission der Provinz Sachsen, Halle a. S. 1880, S. 13. 86

87 Hanns Gringmuth, Die Behördenorganisation im Herzogtum Magdeburg. Ihre Entwicklung und Eingliederung in den brandenburgisch-preußischen Staat, Phil. Diss., Halle-Wittenberg 1934, S. 11 f., das Zitat S. 13, zum Folgenden S. 83 f.; ferner M. Lackner, Die Kirchenpolitik..., S. 194,S. 198,S. 200 f.; O . Hintze, Einleitende Darstellung. .., S. 405; mehrere schon unter dem Administrator wirkende Räte der Regierung wurden vom Kurfürsten übernommen. Vorsitzender des Konsistoriums war zeitweise der aus einer der bedeutendsten Adelsfamilien Magdeburgs stammende Gustav Adolf von der Schulenburg zu Emden; siehe zu diesen Zusammenhängen Wolfgang Neugebauer, Die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 55), Berlin 1983, S. 179. 88 Zu Zusammensetzung und Aufgabenfeld des Konsistoriums zu Magdeburg siehe Carl Ludwig Oesfeld, Topographische Beschreibung des Herzogthums Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld Magdeburgischer Hoheit, Berlin 1780, S. 93; (Johann Heinrich Friedrich Ulrich), Bemerkungen eines Reisenden durch die königlichen preußischen Staa-

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Staat,

Ständegesellschaft

und

Schulregiment

A u c h in H a l b e r s t a d t l ä ß t das nach d e m Ü b e r g a n g an B r a n d e n b u r g M i t t e des 1 7 . J a h r h u n d e r t s e n t s t a n d e n e K o n s i s t o r i u m eine enge Beziehung z u r R e g i e r u n g des L a n d e s e r k e n n e n , eine Feststellung, die ebenfalls die M i n d e n e r V e r h ä l t n i s s e c h a r a k t e r i s i e r t , w o das gesamte Regier u n g s k o l l e g i u m d e m K o n s i s t o r i u m a n g e h ö r t e , in d e m f e r n e r geistliche „Assessoren" w i r k t e n . 8 9 In K l e v e w u r d e n die Schul- und K i r c h e n s a c h e n allein v o n der Regierung b e s o r g t . 9 0 K o m p l i z i e r t e r gestaltete sich die O r g a n i s a t i o n s e n t w i c k l u n g K i r c h e n - u n d S c h u l k o l l e g i e n in

Ostpreußen.91

der

In dieser P r o v i n z haben

ten, Bd. 1 (= Bemerkungen eines Reisenden durch Deutschland, Frankreich, England und Holland in Briefen an seine Freunde, Teil 4), Altenburg 1779, S. 230. 89 Zum Halberstädter Konsistorium siehe die behördengeschichtlichen Bemerkungen von Berent Schwineköper (Bearb.), Gesamtübersicht über die Bestände des Landeshauptarcbivs Magdeburg, Bd. 2 (= Quellen zur Geschichte Sachsen-Anhalts, Bd. 3), Halle (Saale) 1955, S. 57, der seit 1653 das „Konsistorium von der Regierung abgetrennt" sieht, als Mitglieder aber den Statthalter bzw. später den Regierungspräsidenten, mehrere Regierungsräte und geistliche Beisitzer nennt; als erweiterte Regierung wird das Halberstädter Konsistorium von O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 428, bezeichnet. Zu Minden neben a.a.O., S. 442: Karl Spannagel, Minden und Ravensberg unter brandenburgisch-preußischer Herrschaft von 1648 bis 1719, Hannover-Leipzig 1894, S. 121 f., und das Anm. 59 zitierte Handbuch..., S. 265 (zu 1798). 90 A.a.O., S. 261; Anton Friderich Büsching, Neue Erdbeschreibung Dritter Theil, welcher das deutsche Reich nach seiner gegenwärtigen Staatsverfassung enthält, 5., verb. Aufl., Hamburg 1771, S. 650; zu den besonderen Verhältnissen bei den Reformierten vgl. M. Lackner, Die Kirchenpolitik..., S. 224 f.; zu dem für Kleve und Mark neben den landesherrlichen Organen zu beachtenden synodalen Element in der evangelischen Kirchenverfassung, gerade in seiner Bedeutung auch für das Schulwesen, siehe M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 68, und C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 1, S. 433. 91 Auch in Pommern hat die Konsistorialverfassung ihren Ursprung im 16. Jahrhundert, hier also ebenfalls in vorbrandenburgischer Zeit, siehe Martin Wehrmann, Geschichte von Pommern, Bd. 2 (= Allgemeine Staatengeschichte, 3. Abt.: Deutsche Landesgeschichten, 5. Werk, 2. Bd.), Gotha 1900, S. 42, S. 57; es läßt sich die personelle Verzahnung der Konsistorien zu Stettin und (seit 1747) zu Köslin beobachten mit der Regierung zu Stettin bzw. mit dem Hofgericht zu Köslin (vgl. das Anm. 59 zitierte Handbuch..., Jg. 1798, S. 268 f.), obwohl bei dem erstgenannten Kollegium die Zahl der nur im Konsistorium amtierenden Räte die der Regierungsmitglieder weit überwog (8 zu 4 mit dem Regierungspräsidenten, der zugleich das Konsistorium leitete); gleichwohl betonte Ludewig Wilhelm Brüggemann, Ausführliche Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes des Königl. Preußischen Herzogthums Vor- und Hinterpommern, Teil 1, Stettin 1779, S. LXXXV, die Unabhängigkeit des Konsistoriums zu Stettin von der Regierung; zu den Kompetenzen siehe die Detailbeschreibung S. LXXXV f.; ferner ist für die Ressortverhältnisse in Pommern auf den Auszug aus einem Bericht der Pommerschen Regierung und des Pommerschen Konsistoriums zu Stettin über die Verfassung der

Kirckenregiment und Schule

91

die u n t e r Friedrich Wilhelm I. initiierten Retablissementsmaßnahmen auch institutionelle Folgen gehabt, die sich nur hier und in keiner anderen Provinz Brandenburg-Preußens finden. Die im J a h r e 1 7 3 2 v o m König als I n s t r u m e n t der von ihm forcierten Wiederaufbaumaßnahmen insbesondere für Litauen eingesetzte „Perpetuierliche Kirchenund Schulkommission" 9 2 h a t t e nun wichtige Aufgaben wahrzunehmen, während die beiden 1 5 8 7 begründeten Konsistorien 9 3 n u r n o c h für die Schulen in den sogenannten Kirchdörfern verantwortlich blieben, die von den normalen Dorfschulen unterschieden wurden. 9 4 Gleichfalls wurden die Gelehrtenschulen den Konsistorien belassen, 95 die unter

Schulanstalten im Herzogthum Pommern, in: Annalen des Preußischen Schul- und Kirchenwesens, Bd. 2 (1801), S. 69—114 (aus dem Jahre 1787), zu verweisen, nach dem für das Schulwesen die Kriegs- und Domänenkammer „nicht die mindeste Concurrenz" (S. 70) hatte. 92 Sie bestand zunächst aus dem Etatsminister von Kunheim, dem Oberappellations-, Hof- und Kriminalrat von Sonnentag sowie dem Königsberger Pfarrer und Professor Franz Albert Schultz, dem streitbaren Vorkämpfer des Pietismus in Ostpreußen, siehe F. Terveen, Gesamtstaat und Rétablissement..., S. 100; ders., Das Rétablissement Ostpreußens im 18. Jahrhundert, in: (Hermann Conrad [Hrsg.]), Deutsche Ostsiedlung in Mittelalter und Neuzeit (= Studien zum Deutschtum im Osten, Heft 8), Köln-Wien 1971, S. 176; zu Schultz siehe C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 265ff.; Walther Hubatsch, Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, Bd. 1, Göttingen 1968, S. 187; zur weiteren personellen Entwicklung, auch zur Heranziehung des Ministers von Bülow für Litauen, siehe neben Terveen O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 309. 93 Vgl. S. Isaacsohn, Geschichte des Preußischen Beamtenthums..., Bd. 2, S. 234 (zum 17. Jahrhundert), in Königsberg das Samländische und das Pomesarische Konsistorium zu Saalfeld standen unter dem (ostpreußischen) Etats-Ministerium; seit 1751 bestand nur noch das Samländische, siehe W. Hubatsch, Geschichte der evangelischen Kirche..., S. 173, S. 220 f.; zu ihrer Begründung 1587 — gegen den Widerstand der Stände — siehe Bruno Schumacher, Geschichte Ost- und Westpreußens, 6., durchges. Aufl., Würzburg 1977, S. 161; A(nton) F(riedrich) Büsching, Grosse Erdbeschreibung. Zweiter Band. Schweden und Preußen, Troppau 1784, S. 309. Zum Etats-Ministerium sei verwiesen auf Otto Hintze, Staat und Gesellschaft unter dem ersten König, in: Hohenzollern-Jahrbuch, Bd. 4 (1900), S. 269—335, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung..., S. 331—418, hierS. 332 f. 94 Zu den eigentümlichen Parochialverhältnissen in Ostpreußen, die Dutzende von Dörfern einer Kirche zuordneten, vgl. F. Vollmer, Friedrich Wilhelm /...., S. 21 ff.; F. Terveen, Gesamtstaat und Rétablissement..., S. 83 f.; Siedlungsverhältnisse und Parochialstrukturen beeinflussen, wie schon an diesem Beispiel erkennbar ist, direkt oder indirekt die Schulverhältnisse auf dem Lande. 95 Paul Schwartz, Die Schulen der Provinz Ostpreußen unter dem Oberschulkollegium 1787—1806, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 21

92

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

dem ostpreußischen Regierungskollegium standen. Die Kirchen- und Schulkommission hatte die eigentlichen Landschulen und die übrigen Stadtschulen in ihrem Verantwortungsbereich. „Zu unserm Ressort", so berichtete die Kommission im Jahre 1799, „gehören durchaus keine sogenannten Gelehrten [!], aber alle und jede auf dem platten Lande (die Kirch-Dorfschulen ausgenommen) [,] ferner die Mädchen oder Küster auch Hospital oder deutsche Schulen in den kleinen Städten, OstPreußens und Litthauens, folglich alle diejenigen ErziehungsAnstalten, welche man im eigentlichen Verstände Bürger- oder Volksschulen benennen kann." 9 6 Im Sinne der übergeordneten Fragestellung nach der Stelle in der provinzialen Behördenorganisation, der die Organe des Schulregiments im 18. Jahrhundert angegliedert waren, bleibt festzuhalten, daß die perpetuierliche- oder Spezial-Kirchen- und Schulkommission „als ein Sonderannex" des Etats-Ministeriums anzusehen ist. 97 Dieses aber ging auf die alte, im 16. Jahrhundert begründete Oberratsstube zurück, die freilich zu Beginn des 18. Jahrhunderts — in den Jahren von 1706 bis 1710/12 — nun als formeller Teil des Berliner Geheimen Ratskollegiums einen neuen und schärfer landesherrlichen Charakter angenommen hatte. 9 8 Ostpreußen fügt sich mithin als Son(1931), S. 54 f., auch zum Folgenden und zur unsystematischen Kompetenzabgrenzung bei den Elementarschulen. G. St. Α., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabteilung, Staatsarchiv Königsberg, Rep. 5, Kriegs- und Domänenkammer Königsberg, Tit. 22 I, Nr. 1, Vol. 4 (Landschulen), Bericht des Konsistoriums zu Königsberg vom 23. Februar 1764, über seine Zuständigkeit im ländlichen Bereich; zum Verhältnis zur „Regierung" siehe A. F. Büsching, Grosse Erdbeschreibung... Schweden und Preußen..., S. 324; siehe auch Anm. 93; allgemein ist zu vergleichen H. Notbohm, Das evangelische Kirchen- und Schulwesen..., S. 146. 96 G. St. Α., Berlin Dahlem, 20. Hauptabt., Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen Tit. 42 a. Nr. 50 a (Oberschulkollegium 1787—1800), Bericht der Speziai Kirchenund Schul-Kommission an das Etats-Ministerium, 6. März 1799; a.a.O., ein abschriftlicher Bericht des ostpreußischen Konsistoriums vom 10. November 1800, nach dem niedere städtische Schulen von der Kommission ressortierten; ferner ist für diese Frage neben der Anm. 95 gegebenen Stelle von Schwartz, der auch auf Konflikte zwischen Kommission und Konsistorium hinweist, heranzuziehen: Dan(iel) Heinr(ich) Arnoldt, Kurzgefaßte Kirchengeschichte des Königreichs Preußen, Königsberg 1769, S. 698, S. 700. 97 So F. Terveen, Gesamtstaat und Rétablissement..., S. 161 f. 98 Zu den hier nicht im Detail zu schildernden Veränderungen Anfang des 18. Jahrhunderts siehe insbesondere O. Hintze, Staat und Gesellschaft..., S. 332 ff.; und L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 121 f., der auch darauf hinweist, daß die rigide Umwandlung der Oberratsstube in das Etats-Ministerium in keiner anderen Provinz ein Pendant findet; für die Oberratsstube im 16. Jahrhundert siehe neben B. Schumacher, Geschichte. .., S. 144 (auch zu Entwicklungssträngen aus der Ordenszeit), "Walther Hu-

Kirchenregiment

und Schule

93

derfall gleichwohl in das G e s a m t b i l d der m i t K i r c h e und Schule befaßten Stellen ein, wie es für die v o r 1 7 4 0 zu B r a n d e n b u r g - P r e u ß e n g e h ö renden T e r r i t o r i e n g e w o n n e n werden kann: das Bild der engen V e r z a h nung v o n Konsistorial- und Regierungskollegien — jener Verwaltungsschicht älteren T y p s ( H i n t z e ) — mit T r a d i t i o n und K o n t i n u i t ä t bis in das 16. o d e r z u m i n d e s t 17. J a h r h u n d e r t . Die I n s t r u m e n t e für das Schulwesen der einzelnen P r o v i n z e n , so wie sie im 18. J a h r h u n d e r t bestanden, s t a m m t e n in der S u b s t a n z aus vorabsolutistischer Z e i t . Die verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche F o r s c h u n g h a t wied e r h o l t darauf hingewiesen, d a ß in die v o n Friedrich d e m G r o ß e n o k k u p i e r t e n schlesischen und westpreußischen G e b i e t e " die Verwalt u n g s o r g a n i s a t i o n altpreußischen Z u s c h n i t t s r e c h t u n v e r m i t t e l t übertragen w u r d e . 1 0 0 N e u s c h ö p f u n g e n waren auch die O b e r a m t s r e g i e r u n batsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Deutschordensmeister und Herzog in Preußen 1490—1568 (= Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 8), Heidelberg I960, S. 192 ff.; siehe diese Titel mit der dort angegebenen Literatur auch zur starken Stellung der Stände im (Ost-)Preußen des 16. und 17. Jahrhunderts. " Für das 1744 angefallene Ostfriesland sind bekanntlich wesentlich stärkere Traditionen aus vorpreußischer Zeit, wie ζ. B. eine außerordentlich bedeutende Position der Stände in der Steuerverwaltung, zu berücksichtigen (z. B. L. Tümpel, Die Entstehung. .., S. 176—181); für das Konsistorium zu Aurich, zuständig für die ostfriesischen Stadt- und Landschulen, und zu den unter dem Berliner reformierten Kirchendirektorium stehenden reformierten Schulen dieser Provinz sei an dieser Stelle verwiesen auf (Friedrich Ludwig Joseph Fischbach), Historische politisch-geographisch-statistisch und militärische Bey träge, die Königlich-Preußische und benachbarte Staaten betreffend, Teil 1, Berlin 1781, S. 158. Z. B. L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 170, S. 183; W. Hubatsch, Friedrich der Große..., S. 72, S. 183; Max Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1 (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 83), Leipzig 1909, S. 78; siehe für die westpreußische Regierung Marienwerder als zuständig für das Schulwesen: A.a.O., S. 86, S. 114f.; so auch aus der topographischen Litratur A(ugust) C(arl) Holsche, Geographie und Statistik von West- Süd und Neu-Preußen. Nebst einer kurzen Geschichte des Königreichs Polen bis zu dessen Zertheilung, Bd. 3, Berlin 1807, S. 213; J . Grüner, Das Schulwesen des Netzedistrikts zur Zeit Friedrichs des Großen (1772—1786). Ein Beitrag zur Schul- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Breslau 1904, S. 3; W. Hindahl, Die Entwicklung..., S. 49, weist darauf hin, daß es in Westpreußen kein Konsistorium neben der Regierung gegeben habe; und dennoch kennt das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., z. B. Jahrgang 1798, S. 272, ein solches: Es ist die Regierung plus der erste und der zweite Prediger zu Marienwerder ! Vgl. Ludwig von Baczko, Handbuch der Geschichte, Erdbeschreibung und Statistik Preußens, Bd. 2, 2. Abt., Königsberg-Leipzig 1803, S. 47f., zu den Kompetenzen für die katholischen Schulen (Aufsicht des Bischofs von Ermland über die katholischen Gymnasien); ebda., zur Bestallung von Landschullehrern, die aus dem königlichen Schulfond besoldet wurden. 100

94

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und

Schulregiment

g e n , die in Breslau, G l o g a u u n d O p p e l n (diese 1 7 5 6 n a c h Brieg v e r l e g t ) 1742/43 e i n g e r i c h t e t w u r d e n . I h r P e r s o n a l r e k r u t i e r t e sich — in b e z e i c h n e n d e m U n t e r s c h i e d z u den K r i e g s - u n d D o m ä n e n k a m m e r n



f a s t a u s s c h l i e ß l i c h aus d i e s e r P r o v i n z . 1 0 1 M i t den O b e r a m t s r e g i e r u n g e n waren O b e r k o n s i s t o r i e n k o m b i n i e r t , o d e r genauer: sie waren m i t i h n e n n a h e z u i d e n t i s c h , d e n n es w u r d e n z u den K o n s i s t o r i a l s i t z u n g e n lediglich ein o d e r zwei G e i s t l i c h e h i n z u g e z o g e n . D i e s e O b e r k o n s i s t o r i e n h a t t e n die S o r g e f ü r das evangelische S c h u l w e s e n in Schlesien. 1 0 2 K o m p l i z i e r t e r g e s t a l t e t e n sich n a t u r g e m ä ß die K o m p e t e n z r e g e l u n g e n h i n s i c h t l i c h d e r k a t h o l i s c h e n S c h u l e n , b e s t a n d d o c h auch n a c h 1 7 4 0 das v o m B r e s l a u e r F ü r s t b i s c h o f g e l e i t e t e G e n e r a l - V i k a r i a t s a m t f o r t , das w e i t e r h i n A u f s i c h t s f u n k t i o n e n ü b e r das S c h u l w e s e n dieser K o n f e s s i o n b e w a h r t e . 1 0 3 H a n d e l t e es sich u m die A n s e t z u n g v o n S c h u l e n u n d L e h r e r n o d e r u m finanzielle F r a g e n , k o n k u r r i e r t e n die b e i d e n K r i e g s u n d D o m ä n e n k a m m e r n in B r e s l a u u n d G l o g a u , die b e k a n n t l i c h n i c h t unter dem Generaldirektorium, sondern unter einem dem K ö n i g imm e d i a t e n S t a a t s m i n i s t e r s t a n d e n , u n d dieser M i n i s t e r w i r k t e i m B e r e i c h

Anton Friedrich Büsching, Neue Erdbeschreibung. Vierter Theil, welcher die Vereinigten Niederlande, die Eidgenossenschaft samt denen derselben zugewandten Orten, Schlesien und Glatz enthält, Hamburg 1760, S. 686; L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 175; W. Hubatsch, Friedrich der Große..., S. 77, zu den Oberkonsistorien: A.a.O., S. 78; W. Hindahl, Die Entwicklung..., S. 47 f.; für das Ende des 18. Jahrhunderts das Anm. 59 zitierte Handbuch..., Jahrgang 1798, S. 273 f.; eine größere Anzahl zusätzlicher Räte erwähnt dagegen S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenthums..., Bd. 3, S. 222. 102 A(lois) M. Kosler, Die Preußische Volksschulpolitik in Oberschlesien 1742—1848 (= Einzelschriften zur Schlesischen Geschichte, Bd. 3), Breslau 1929, S. 6; vgl. C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 2, S. 272. 103 Außer der Notiz von S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenthums..., Bd. 3, S. 222, vor allem Α. M. Kosler, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 6 f. (auch zum Folgenden); die Aussagen zum General-Vikariatsamt gelten bis 1801; danach die „Fürstbischöfliche Schulen-Commission der Breslauer Diözes", a.a.O., S. 104f.; hier auch zu der nach 1800 für Schlesien begründeten „Schuldirektion" neben der Kammer; auch zwei katholische Geistliche hatten in der Direktion Sitz und Stimme, a.a.O., S. 102 f., S. 123; zu den Befugnissen der Kammern auch die Nachricht von der Verbesserung der römisch-katholischen Schulen im Herzogthum Schlesien und der Grafschaft Glatz..., in: Allgemeine Bibliothek für das Schul- und Erziehungswesen in Deutschland, Bd. 4 (1776), S. 239; (Karl George Friedrich von) Hoym, Zur Geschichte und über die Verfassung des katholischen Schulwesens in Schlesien, aus einem Immediatbericht des Schlesischen Finanzdepartements, in: Annalen des Preußischen Schul- und Kirchenwesens, Bd. 1 (1800), S. 503 (auch zum Folgenden). 101

Kirchenregiment

und

Schule

95

des katholischen Schul- und Kirchenwesens m i t , e t w a wenn es u m V e r h a n d l u n g e n m i t d e m Breslauer F ü r s t b i s c h o f ging, d o c h war „der H a u p t s a c h e n a c h " ( G r ü n h a g e n ) der besondere schlesische J u s t i z m i n i ster (bis 1 7 9 4 ) für die katholischen Schulen zuständig. 1 0 4 Die verwaltungsgeschichtliche Sonderstellung Schlesiens ist wie für die katholischen, so auch für die lutherischen Kirchen- und Schulinstanzen evid e n t : D i e schlesischen „drey O b e r c o n s i s t o r i a " standen direkt u n t e r d e m Geistlichen D e p a r t e m e n t in Berlin, nicht aber u n t e r dem

Oberkon-

sistorium.105 A n g e s i c h t s d e r wahrhaft geringen Personalstärke und A u s s t a t t u n g des Geistlichen D e p a r t e m e n t s zeigt sich die R i c h t i g k e i t d e r F e s t s t e l lung O t t o H i n t z e s , d a ß erst m i t d e r Schaffung des O b e r k o n s i s t o r i u m s in Berlin, also im J a h r e 1 7 5 0 , ein „fest organisiertes collegialisches O r g a n f ü r die H a u p t m a s s e d e r G e s c h ä f t e des Geistlichen D e p a r t e m e n t s , die lutherischen K i r c h e n s a c h e n , . . . geschaffen w o r d e n " ist. 1 0 6 Die tatsächliche Veranlassung z u r E i n r i c h t u n g des O b e r k o n s i s t o r i u m s ging aber allem A n s c h e i n nach n i c h t auf den U m s t a n d d e r an sich unglücklichen K o n s t r u k t i o n der m i t d e m Kirchen- und Schulwesen

Zu der eigentümlichen Stellung Schlesiens in der preußischen Kammerorganisation siehe allgemein H. Haussherr, Verwaltungseinheit..., S. 128 f.; W. Neugebauer, Zur neueren Deutung..., S. 555; der Provinzialminister und das katholische Schulwesen: L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 174; vgl. auch C(olmar) Grünhagen, Das schlesische Schulwesen unter Friedrich Wilhelm II., in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens, Bd. 34(1900), S. 1 f., nachS. 23 hatten laut einer Verordnung vom 9. November 1789 die Landräte im Breslauer Departement auch für das katholische Schulwesen zu sorgen. Zu den Aufgaben des schlesischen Justizministers und der Kompetenzgrenze zum Provinzialminister siehe jetzt ζ. Β. A.B.B., Bd. 16, Teil 2, Nr. 463, S. 598 f. (Instruktion für den Justizminister von Danckelmann vom 24. März 1780). 104

105 M. F. G. Leonhardi, Erdbeschreibung der Preußischen Monarchie, Bd. 1, Halle 1791, S. 242. Siehe auch mit Deutlichkeit das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., Jahrgang 1798, S. 272; E. Clausnitzer, Zur Geschichte..., S. 343; L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 238. Daraus erklärt sich auch der eigentümliche Titel schlesischer „Ober"-Konsistorien, C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 2, S. 272 f., vgl. auch S. 191; die Deutsch-Reformierten unterstanden jedoch dem Kirchendirektorium, a.a.O., S. 274. 106 O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 139; die Forderung einer solchen Instanz taucht schon mit Verweis auf das Kirchendirektorium in einer Eingabe der Pröpste Porst und Reinbeck, des Feldpropstes Gedike und des Predigers Roloff vom 31. Dezember 1722 auf, siehe Wilhelm Stolze, Ein Beitrag zur Unionspolitik Friedrich Wilhelms /., in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, 6. Jg. (1908), S. 64 f. mit Anm.3; siehe zu vor 1750 einsetzenden Zentralisierungstendenzen G. Pariset, L'Etat..., S. 135 f.

1. Absolutistischer

96

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

befaßten Organe zurück und auch nicht auf den kurz aufeinander folgenden T o d der Präsidenten von Brand und von Reichenbach 1749/50. Vielmehr dürften die 1748 einsetzenden Beratungen zur Schaffung einer obersten konsistorialen Instanz auf die Tatsache zurückzuführen sein, daß infolge der von Cocceji betriebenen Justizreform den Konsistorien die geistliche Gerichtsbarkeit — eines ihrer wesentlichsten Aufgabenfelder — entzogen wurde. 107 Von Cocceji scheinen denn auch die entscheidenden Impulse zur Neuorganisation des Berliner Konsistoriums ausgegangen zu sein. 108 In den Beratungen, die bis in das Jahr 1750 geführt wurden, trat dann auch die Notwendigkeit einer dem reformierten Kirchendirektorium vergleichbaren Stelle für die lutherische Konfession, die den verschiedenen Provinzialkonsistorien übergeordnet sein sollte, mit Deutlichkeit hervor. Diese Überlegungen mündeten in die „Instruction vor das über alle Königliche Lande errichtete Lutherische Ober-Consistorium", die am 4. Oktober 1750 erging. 109 Neben der Führung von „Aufsicht und Direction" über die Provinzialkonsistorien sollte das Oberkonsistorium die auch bisher vom Konsistorium zu Berlin wahrgenommenen kurmärkischen Aufgaben erfüllen. Hatte in der seit 1748 geführten Diskussion über die dem Oberkonsistorium zu übertragenden Arbeitsbereiche auch die Sorge für das Schulwesen eine entscheidende

107

So A.B.B.,

Bd. 7, Berlin 1904, S. 548 Anm. 2, mit Hinweis auf den Codex

Fridericianus von 1748; in diesem Sinne auch A.B.B., 108

Bd. 8, S. 394 Anm. 1.

Siehe das Gutachten des Propstes und Konsistorialrates Johann Peter Süßmilch

vom 20. Mai 1748 für Cocceji, A.B.B.,

Bd. 7, Nr. 400, S. 548—552, nach dem Cocceji

auch auf das Vorbild des „Dresdenschen Ober-Consistorii" verwies; ebenso ging Süßmilchs Gutachten von 1749 (vor dem 19. Mai), A.B.B.,

Bd. 8, N r . 158, S. 394—403 auf

einen Befehl Coccejis zurück; ebenso die Denkschrift des Predigers Baumgarten (ebenfalls vor dem 19. Mai), a.a.O.,

N r . 159, S. 403—425, hier besonders S. 403; S. 404ff.

wird auf die vorteilhafte Einrichtung des Kirchendirektoriums hingewiesen mit seinen gesamtstaatlichen Befugnissen; das Geistliche Departement reiche nicht aus (auch hier der Hinweis auf das Dresdener Vorbild). Siehe zu den Verhandlungen weiter a.a. O., Nr. 376 und 377, S. 739—745, N r . 381, S. 749f. (Kabinettsorder an Cocceji, 26. Mai 1750: Billigung des eingereichten Planes; vgl. damit E . Müsebeck, Das Preußische

Kultusmini-

sterium..., S. 6, und neuerdings Hubert C. Johnson, Frederick the Great and his Officials, New Haven-London 1975, S. 126 f.) 109 (Christian Otto Mylius [Hrsg.]), Corporis Constitutionum Marchicarum Continuatio

IV...,

Berlin-Halle 1751, Nr. 106, Sp. 291—298 (Titel gekürzt); vgl. aus der

Literatur W . Hubatsch, Friedrich

der Große...,

S. 204; A. Heubaum, Geschichte

deutschen Bildungswesens..., S. 311 f.; H. von Mühler, Geschichte der Kirchenverfassung..., S. 232ff.

des

evangelischen

Kirchenregiment und Schule

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Rolle gespielt, 110 so fand dies in der Instruktion gleichfalls seinen deutlichen Niederschlag. „Das Ober-Consistorium muß auch auf die Schulen, insonderheit in der Chur-Marck, acht haben, damit dieselbe mit tüchtigen Schul-Meistern besetzet, und die Jugend wohl angeführet werde." 111 Ein Kontinuitätselement zwischen kurmärkischem Konsistorium vor 1750 und dem Oberkonsistorium wird aber nicht allein in der Übertragung der von jenem zuvor besorgten Aufgaben — die, wie gezeigt, schon seit dem 16. beziehungsweise frühen 17. Jahrhundert auch die Stadt- und sodann die Landschulen umschlossen — erkannt werden dürfen. Waren im Jahre 1750 — unabhängig von der Entstehung des Oberkonsistoriums — auf Grund mehrerer Todesfälle im bisherigen Personalbestand Neuberufungen unabwendbar, so wurden andererseits vier bisherige kurmärkische Konsistorialräte übernommen, 112 die neben den beiden nun ernannten Präsidenten des Oberkonsistoriums drei neuberufene Räte zu Kollegen erhielten. 113 Die schon

110 Es sei auf die Anm. 108 zitierten Stücke verwiesen; insbesondere wurden wichtige Beiträge von Süßmilch (A.B.B., Bd. 7, S. 548—552; Bd. 8, S. 394—396, S. 399) und Baumgarten (a.a.O., S. 407) geleistet; vgl. aus der Literatur F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 19f.; auf eine erneute Detailbetrachtung an dieser Stelle darf verzichtet werden. 111 (C. O. Mylius [Hrsg.]), Corporis Constitutionum Marchicarum Continuatio IV..., Sp. 292 (§ 7), mit der anschließenden Bestimmung: „Zu welchem Ende das Ober-Consistorium ein zulängliches Reglement sowohl vor die Provincial-Consistoria, als die Chur-Marck projectiren muß, da dann zugleich reguliret werden soll, wie weit die adeliche Patroni und Beamten bey Bestellung derer Schulmeister und Küster concurriren müssen." A.a.O., Sp. 294 f.: Regierungen sollen als zuständige Justizkollegien den Konsistorien von Klagen gegen Prediger und Schullehrer Mitteilung machen; letztere sollen an das Oberkonsistorium berichten. 112 Es waren dies die Konsistorialräte Mirdelius, Süßmilch, Irwing und Sack, siehe zu den Details K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 his... 1809..., S. 83, S. 88. 113 Die „Erstbesetzung" des Oberkonsistoriums ist in der Instruktion angegeben (C. O. Mylius [Hrsg.]), Corporis Constitutionum Marchicarum Continuatio IV..., Sp. 291 : danach wurden zu Präsidenten bestellt (1) der Minister von Danckelmann und (2) Dietrich Hermann von der Schulenburg, ferner als weitere Räte der Propst Johann Ulrich Christian Koppen, der schon mehrfach genannte Pfarrer Nathanaël Baumgarten und Johann Julius Hecker, Prediger an der Dreifaltigkeitskirche. Vgl. zur Berufung der einzelnen Mitglieder des Oberkonsistoriums A.B.B., Bd. 9, Berlin 1907, Nr. 14, S. 45— 58: „Verhandlungen wegen des Ober-Konsistoriums. 17. August bis 5. October 1750." Nach A. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung..., Bd. 2, S. 222, war Danckelmann auch schon in der kurzen Zeit nach dem Tode Brands Präsident des kurmärkischen Konsistoriums.

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für das k u r m ä r k i s c h e K o n s i s t o r i u m b e o b a c h t e t e Personalunion der Stelle eines (lutherischen) Ministers im Geistlichen D e p a r t e m e n t und d e r P o s i t i o n des (ersten) Präsidenten w u r d e u n t e r d e m O b e r k o n s i s t o rium gleichfalls f o r t g e s e t z t . 1 1 4 Die B e g r ü n d u n g des O b e r k o n s i s t o r i u m s b e d e u t e t e auch für die gleichsam p r o g r a m m a t i s c h - r e l i g i ö s e Prägung des Berliner K o n s i s t o rialkollegiums keinen B r u c h . V o r und nach 1 7 5 0 war der pietistische Einschlag d o m i n a n t . W u r d e schon Philipp J a k o b Spener m i t seiner Berufung nach Berlin im J a h r e 1 6 9 1 zugleich auch als K o n s i s t o r i a l r a t bestellt, war d e r Konsistorialpräsident v o n F u c h s einer der wichtigsten V e r t r e t e r der pietistischen R i c h t u n g a m Berliner H o f , so ist d e r starke Einfluß d e r v o n der halleschen R i c h t u n g geprägten T h e o l o g e n z u r Z e i t F r i e d r i c h W i l h e l m s I. in d e r P e r s o n des Spener-Schülers J o h a n n P o r s t o d e r des P r o p s t e s Michael R o l o f f , eines Schülers A u g u s t H e r m a n n

114 Siehe S. Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtenthums..., Bd. 3, S. 351, der — analog zu der bei Anm. 106 zitierten Äußerung Otto Hintzes — darauf hinweist, daß durch diese (praktisch auch vorher bestehende) Personalunion der Funktion des Ministers im Geistlichen Departement und der Leitung der geistlichen Kollegien (also hier: Oberkonsistorium) die Grenzen der verschiedenen innegehabten Ämter verwischt wurden; ferner M. F. G. Leonhardi, Erdbeschreibung..., Bd. 1, S. 242; ferner Anton Friedrich Biisching, Erdbeschreibung. Achter Theil, der den ober-sächsischen Kreis enthält, 7. Aufl., Hamburg 1791, S. 241; siehe gleichfalls A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 312. Diese Feststellungen sind von besonderem Interesse, da neuerdings von Manfred Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 153f., die Bedeutung des Oberschulkollegiums (seit 1787) gerade damit begründet worden ist, daß die Konsistorien primär die „Verwaltung der Kirchensachen" betrieben hätten, und der „Chef des Schuldepartements" gar nicht dazu gekommen sei, Akten anzulegen, wie sich dies „in den anderen [!] Verwaltungszweigen schon durchgesetzt hatte" (S. 153); „Zedlitz fehlte die Möglichkeit, eine Registratur zu bilden" (S. 154), während nun mit dem Oberschulkollegium sowohl dazu als auch zu kollegialer Beratung Gelegenheit geschaffen worden sei (siehe auch a.a.O., S. 368); aber „Instruktionen und Reskripte" (ebda.) gab es auch schon im 17. Jahrhundert und eine durchaus nicht nur in Einzelfällen (vgl. a.a.O., S. 153) erfolgte Aktenbildung ebenfalls. Der geistliche Minister führte Akten (Rep. 47: „Geistliches Departement"), und ferner stand ihm die Konsistorialregistratur zur Verfügung — denn er war ja Konsistorialpräsident vor und nach 1750 (vgl. bei Anm. 114), und seine Hand findet sich denn auch häufig auf den Stücken. Schon im Konsistorium wurde unter den Räten kollegial beraten, und daß die Maßnahmen nach 1787 wirkungsvoller waren als die zuvor, bedürfte eines Beweises, der wohl nicht leicht zu erbringen ist

— zumal bei dem eigentümlichen, noch zu betrachtenden Schicksal des Oberschulkollegiums. Heinemann unterschätzt die verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichen Kontinuitäten vor 1750 und über 1787 hinaus — seit Zedlitz wandelt sich das Programm; Programm ohne Durchsetzung aber bleibt (wenn nicht Ideologie, so doch) Theorie.

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Franckes, aber auch in Porsts Nachfolger Johann Gustav Reinbeck zu erkennen. 115 Im Jahre 1742 wurde Johann Peter Süßmilch, der berühmte Verfasser demographischer Schriften, die in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen sind, als Propst und Konsistorialrat nach Berlin berufen. Süßmilch war seit 1724 Schüler der lateinischen Schule des Waisenhauses in Halle, wo er auch noch an der Universität unter anderem bei Francke, Breithaupt und Lange Theologie hörte. 116 Ein weiterer Schüler August Hermann Franckes wurde sodann mit der Begründung des Oberkonsistoriums berufen, und dieser Oberkonsistorialrat wird als der markanteste und wirkungskräftigste Vertreter des halleschen Pietismus in der preußischen Bildungsgeschichte des 18. Jahrhunderts neben Francke selbst angesprochen werden dürfen. Es war Johann Julius Hecker, zuvor Prediger und Inspektor an dem nach halleschem Vorbild begründeten Militärwaisenhaus in Potsdam, der 1739 an der eben errichteten Dreifaltigkeitskirche in Berlin nicht zuletzt als Schulorganisator wirkte 117 und der auch aus diesem Grunde

1,5 P. Grünberg, Spener..., Bd. 1, S. 264, nach dem Spener insbesondere die Inspektion der Schulen in den Landgemeinden wahrzunehmen hatte; zu Spener im Konsistorium ferner K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums ... 1608 bis.. .1809..., S. 74; zu von Fuchs siehe d.d.O., S. 78 und oben bei Anm, 55; zum Folgenden bei Themel a. a. O., S. 8 0 f . , S . 83 f.; vgl. damit C. Hinrichs, Preuße ntum und Pietismus..., S. 91 ff. (zu Porst), S. 102 (Roloff), S. 411 (Reinbeck); zu Reinbeck sei auch verwiesen auf Ph. Georg von Reinbeck, Leben und Wirken des Dr. Th. Johann Gustav Reinbeck, weil. Königlich Preußischer Consistorialrath, Probst zu Köln an der Spree, Beichtvater der beiden Königinnen Sophia Dorothea und Elisabeth Christine von Preußen ec. Nach Urkunden und Familien-Nachrichten hundert Jahre nach seinem Tode mitgetheilt. Ein Beitrag zur Lebens- und Charakter-Geschichte der Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. von Preußen, Stuttgart 1842, S. 36 f.; danach habe Friedrich Wilhelm I. wichtige Religionsfragen mit Reinbeck persönlich beraten; Reinbeck vermittelte die spätere Rückberufung Christian Wolffs nach dem Tode des Königs (C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 419). 116 Johann Christian Förster, Lebensbeschreibung Hrn. Johann Peter Süßmilchs, in: Nova acta historico-ecclesiastica. Oder Sammlung zu den neuesten Kirchengeschichten, Bd. 11 (1771/72), S. 480, S. 482; Fritz Krüger, Johann Peter Süßmilch, Zeuge einer Epoche. Anläßlich seines 200. Todestages, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 64. Jg. (1968), S. 135 f.; siehe auch die Festschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus..., Bd. 1, S. 1 f. 117 Vorläufig sei verwiesen auf Hugo Gotthard B\oth, Johann Julius Hecker (1707— 1768). Seine „Universalschule" und seine Stellung zu Pietismus und Absolutismus, in: Jahrbuch des Vereins für Westfälische Kirchengeschichte, Bd. 61 (1968), S. 63—129, hier besonders S. 74, S. 78; wichtig weiterhin: A. Wiedemann, Johann Julius Heckers pädagogisches Verdienst (= Wissenschaftliche Beilage zu dem Jahresbericht der Realschule zu

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1750 in das Oberkonsistorium berufen wurde. 118 Hecker kamen die Vertreter des Pietismus in der Zeit der herrschenden rationalistischen Theologie an Profil und Rang nicht mehr gleich, auch wird bei ihnen die Grenze zur Orthodoxie nicht mehr deutlich. Dies gilt zumindest für Johann Esaias Silberschlag, der nach Johann Julius Heckers T o d e (1768) sein Nachfolger an der Dreifaltigkeitskirche und Oberkonsistorialrat werden sollte. 119 Ferner sind hier zu nennen die von Woellner neu berufenen Oberkonsistorialräte Hermes, Hillmer und Woltersdorf. 120 Plauen i. V. Ostern 1900), Plauen i. V. 1900, zu dem Werdegang Heckers S. 6 f., der 1707 in Werden (Ruhr) geboren, 1726 noch bei Francke hörte, 1728 Mitglied in Franckes Seminarium selectum wurde und seit 1729 am Pädagogium als Lehrer wirkte; ebda, auch zu Heckers frühen naturwissenschaftlichen Studien; ferner G. Kramer, August Hermann Francke..., Bd. 2, S. 455, und Walter Wendland, Siebenhundert Jahre Kirchengeschichte Berlins (= Berlinische Forschungen. Texte und Untersuchungen im Auftrage der Gesellschaft der Freunde der Deutschen Akademie, Bd. 3), Berlin-Leipzig 1930, S. 62 f.; zu Hecker allgemein bleibt heranzuziehen: Friedrich Wienecke, Zum Gedächtnis Johann Julius Heckers, in: Brandenburgia, Jg. 16 (1907/08), S. 470—480. 118 Süßmilch brachte Hecker erstmals ins Gespräch in seinem Gutachten aus dem Jahre 1749 (vor dem 19. Mai); der König kenne Hecker persönlich. Süßmilch erwähnte auch Heckers Schulanstalten, A.B.B., Bd. 8, Nr. 158, S. 394 ff. 119 So sieht Paul Schwartz, Die beiden Opfer des Preußischen Religionsediktes vom 9. Juli 1788. J. E. Schulz in Gielsdorf und K. W. Brumbey in Berlin, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, Bd. 27 (1932), S. 106, in Silberschlags „Berufung in das Oberkonsistorium ein Zugeständnis an den Pietismus"; ebenso z. B. W . Wendland, Siebenhundert Jahre..., S. 129 f., und Ludwig Geiger, Berlin 1688—1840. Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt, Bd. 1, Berlin 1892, S. 338; dagegen sieht Paul Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 193, in Silberschlag ebenso einen Vertreter der Orthodoxie wie Ernst Kaeber, Geistige Strömungen in Berlin zur Zeit Friedrichs des Großen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 54 (1943), S. 276; auch Silberschlag war bezeichnenderweise Theologe und Naturwissenschaftler, weshalb er auch später im Oberbaudepartement wirkte; vgl. zu seiner Biographie: Johann Esaias S Überschlag's Leben, von ihm selbst beschrieben, Berlin 1792, und Siegfried Lommatzsch, Geschichte der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin. Im Zusammenhang der Berliner Kirchengeschichte dargestellt. Festschrift zum Hundertundfünfzigsten Jubiläum der Kirche, Berlin 1889, S. 44—49, auch zu seiner Stellung zwischen Pietismus und „rechtgläubigem Luthertum" (S. 44) und zu seiner Berufung in das Oberkonsistorium, S. 46. 120 Sie waren von den routinemäßigen Sitzungen befreit und sollten lediglich bei den Prüfungen von Predigtamtskandidaten tätig werden, siehe C(olmar) Grünhagen, Der Kampf gegen die „Aufklärung" unter Friedrich Wilhelm II. mit besonderer Rücksicht auf Schlesien, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens, Bd. 27 (1893), S. 20 f.; zu ihrer theologischen Einordnung vgl. W. Wendland, Siebenhundert Jahre..., S. 131 f.; K . Themei, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsisto-

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Ihnen stand jedoch im letzten Jahrhundertdrittel eine starke G r u p p e von rationalistischen T h e o l o g e n im Oberkonsistorium

gegenüber,

darunter nun auch in die höchste preußische Konsistorialinstanz berufene Gymnasialdirektoren, eine v o n Zeitgenossen durchaus bemerkte Neuerung. A n erster Stelle sind die Direktoren A n t o n Friedrich Büsching (seit 1 7 6 7 ) — bekannt als bedeutender Geograph — und Friedrich Gedike (seit 1 7 8 4 ) zu erwähnen, 1 2 1 die auf Kollegen wie die Pröpste J o h a n n J o a c h i m Spalding und Wilhelm A b r a h a m Teller sowie auf den gleichfalls dem Rationalismus zuzurechnenden Hofprediger August Friedrich Sack trafen. 1 2 2 Gegen das Ubergewicht der Rationalisten

riums... 1608 bis... 1809..., S. 94 f.; und P. Schwanz, Der erste Kulturkampf..., S. 33 f.; der Neffe J. J. Heckers, Andreas Jakob Hecker, wird dem Umkreis der Orthodoxie zugerechnet, P. Schwartz, Die beiden Opfer..., in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, Bd. 28 (1933), S. 97; Hecker wurde nach Silberschlags Tod — 1791 — Oberkonsistorialrat. 121 Vgl. W. Wendland, Siebenhundert Jahre..., S. 147 f.; K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 bis... 1809..., S. 92; für Gedike korrekter Herbert Schmitt, Friedrich Gedike. Gymnasialdirektor und erster preußischer Oberschulrat im friderizianischen Zeitalter, Phil. Diss., Halle-Wittenberg 1937, S. 47 (vgl. Harald Scholtz, Friedrich Gedike [1754—1803]. Ein Wegbereiter der preußischen Reform des Bildungswesens, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 13/14 [1965], S. 129), beide Arbeiten auch zu dem an dieser Stelle nicht erneut darzustellenden Verhältnis Gedikes zu Philanthropinismus und Neuhumanismus; Gedike und Büsching hatten Theologie studiert, letzterer war zuvor für kurze Zeit Schüler der Lateinschule am Waisenhause zu Glaucha bei Halle (Anton Friderich Büsching, Eigene Lebensgeschichte in vier Stücken, Halle 1789, S. 65 ff.); zu der Berufung von Schulmännern in das Oberkonsistorium als ein Novum siehe ders., Geschichte des Berlinischen Gymnasii im Grauen Kloster. Nebst einer Einladung zum Jubelfest desselben, Berlin 1774, S. 17. Der Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Johann Heinrich Ludwig Meierotto, wurde 1786 Rat im reformierten Kirchendirektorium, vgl. die Schrift: Zum Andenken des Rectors und Professors Joh. Heinr. Ludw. Meierotto..., Berlin 1801, S. 33 (Titel gekürzt). 122 Siehe so die Einordnung in der kirchengeschichtlichen Literatur bei K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 bis... 1809..., S. 85, S. 89 f.; für Sack, der schon 1740 Konsistorialrat wurde und 1786 starb, vgl. auch R. v. Thadden, Die brandenburg-preußischen Hofprediger..., S. 216ff., und W. Wendland, Siebenhundert Jahre..., S. 143 f.; zu Teller als Berliner Aufklärer wie Mitglied von Montagsklub und Mittwochsgesellschaft siehe H. Möller, Aufklärung in Preußen..., S. 175—178; über ihn auch die Briefe über Berlin. Erste Sammlung, Landau 1798, S. 34; siehe ferner die Uberblicke bei P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 22—29, und W. Wendland, Die praktische Wirksamkeit..., in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, Bd. 9/10 (1913), S. 331—368, auch zu Irwing, A. F. W. Sack, Diterich.

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kamen jedenfalls Silberschlag oder dann Andreas Jakob Hecker nicht mehr auf.123 Es war also durchaus nicht unberechtigt, wenn den Zeitgenossen das Oberkonsistorium als „Hort der Aufklärung" galt. 124 Spätestens seit dem Tode Johann Julius Heckers hat dieses Wort seine volle Berechtigung. Im Zusammenhang der vorliegenden Studie bleibt dieser Umstand festzuhalten — geistes- und verwaltungsgeschichtliche Faktoren treffen an dieser Stelle der Analyse aufeinander. Zugleich ist damit die Voraussetzung gegeben, nach den tieferreichenden Wirkungen von Pietismus und Aufklärung zu fragen, wobei die aufgezeigten traditionalen Organisationsstrukturen als beharrende Elemente in das Gesamtbild einzufügen sind. Das Oberschulkollegium

und die „ Verstaatlichung"

der Schulen

Programmatische Überlegungen und Grundsatzkritik ließen aufklärerischen Beobachtern schon vor 1800 die tradierte Form des organisierten Schulregiments als nicht mehr ausreichend erscheinen. Das Geistliche Departement als oberste Instanz für das Schulwesen in Brandenburg-Preußen war für die Masse der lutherischen Schulen identisch mit der einzelnen Person des Ministers; Räte und Subalternpersonal waren ihm nicht beigegeben, 125 was der 1771 bis 1788 amtierende Minister Karl Abraham Freiherr von Zedlitz lebhaft beklagte. Im Jahre 1784 hatte er sich Friedrich Gedike als Rat zur Bearbeitung der geplanten Schulverbesserungen erbeten und erhalten. „Ich allein, bin bey dem besten Willen nicht im Stande dieses zu bewürken, und es würde mir eine sehr grosse Hülfe seyn, wenn Ew. Majestät geruhen wollten, einen geschickten Paedagogen in das hiesige Consistorium zu setzen, welcher die Schulsachen mit mir bearbeiten, und diese Schulen von Zeit zu Zeit

12}

Vgl. Anm. 119 und 120.

P. Schwartz, Die beiden Opfer..., in: fahrbuch..., Bd. 28 (1932), S. 105; siehe in diesem Sinne auch Horst Möller, Wie aufgeklärt war Preußen?, in: Hans-Jürgen Puhle/Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Preußen im Rückblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Göttingen 1980, S. 184, der auf den Einfluß der neologischen Theologie im Oberkonsistorium hinwies. 125 Siehe K. A. Freiherr von Zedlitz, Vorschläge zur Verbesserung des Schulwesens..., S. 99 f.; vgl. bereits oben Anm. 77 und 78 im Zusammenhang mit der Betrachtung des Geistlichen Departements; dazu ferner B. Rademacher, Zentralisierung..., S. 48 f., und auch schon C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 184—187. 124

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revidiren würde", heißt es in einem vom König genehmigten Immediatbericht von Zedlitz aus diesem Jahre. 126 Zedlitz betrieb gerade in seiner späten Amtszeit eine Verwaltungspolitik, die — wäre sie erfolgreich gewesen — zu einem prinzipiellen Bruch mit der tradierten Konsistorialverfassung bezüglich der Bearbeitung der Schulsachen geführt haben würde. Nicht nur das Argument der notwendigen Kontinuität der Amtsführung wurde von Zedlitz für die Einsetzung einer für die Schulen speziell zuständigen Immediatbehörde, dem „Ober-Schulkollegium", 1 2 7 ins Feld geführt. Es waren mehr als nur pragmatisch-organisatorische Überlegungen, die Zedlitz leiteten. 128 Er zweifelte grundsätzlich an der Eignung der Konsistorien für die Wahrnehmung des Schulregiments. „ Ich wähne, daß wir mit unsern Konsistorien, wenn's auch Oberkonsistoria mit respektablen Präsidenten und auch mit verdienstvollen Predigern und Gelehrten besetzte Collegia sind, im Schulfach nicht weiter, wenigstens nicht merklich weiter kommen. Wenn diese Collegia die Dinge in ihrem Gang erhalten, auf Leben und Wandel der Prediger, auf Beibehaltung der Inventarien ec. ec. [ein] wachsames Auge haben ec. ec., da haben sie viel getan, und dünken sich, alles getan zu haben; zu mehrern Geschäften des bürgerlichen Lebens (und wirklich der Schulunterricht ist wahre Quintessenz bürgerlicher Geschäfte, der eigentliche Urstoff ihres Betriebs) sind die Leute nicht routiniert und nicht betriebsam genug." 129 Zedlitz 126

G. St. Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, NachlaßThiele, Nr. 7 (Kurmark 1768—1798), Immediatbericht von Zedlitz, 16. Januar 1784, mit zustimmendem Marginal des Königs. 127 So Κ. A. Freiherr von Zedlitz, Vorschläge zur Verbesserung..., S. 99; auf diese Stelle beziehen sich zunächst die obigen Ausführungen. Nach a.a.O., S. 97 f., handelt es sich bei diesem Aufsatz um einen Teilabdruck eines Immediatsberichtes von Zedlitz. 128 So wenn a.a.O., S. 99, Zedlitz hinsichtlich des Schulwesens argumentiert: „Die ohne das schon sehr beschäftigten Konsistoria sind von der Lokalität und von bürgerlichen Gewerben selten hinlänglich unterrichtet, und können nicht den nöthigen Beistand leisten, und den gehörigen Nachdruck geben, noch aus ihrem Standpunkte aus das Ganze übersehen." Dazu auch C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz

S. 185. 129 So Zedlitz in einem Brief an von Rochow vom 29. Oktober 1775, in: F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 4, S. 116; siehe auch a.a.O., S. 300, Rochows Brief an Stuve vom 24. März 1786, in dem sich Rochow für eine Trennung der Erziehungsfragen von den Konsistorialgeschäften und für die Einsetzung eines Kollegiums für das Bildungswesen aussprach; diese „Schulkommission" solle eine Immediatstellung erhalten. Vgl. M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 169—175; aus der Literatur zur Kritik an den Konsistorien ferner A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule im

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befand sich mit dieser — wohl nicht ganz vorurteilsfreien — Auffassung auf einer Linie, die in der zeitgenössischen Literatur und von Pädagogen des ausgehenden 18. Jahrhunderts prononciert vertreten wurde. Die Idee einer für Schulfragen zuständigen besonderen Instanz taucht allgemein und speziell für Preußen schon vor Zedlitz und deutlich vor der Begründung des Oberschulkollegiums auf. 130 In der älteren und neueren Forschung ist die Begründung des preußischen Oberschulkollegiums denn auch stark beachtet und intensiv beschrieben worden. 131 Die Instruktion des Oberschulkollegiums vom 22. Februar 1787 umgrenzte die Aufgaben dieses neuen Organs landesherrlichen Schulregiments. Das Oberschulkollegium sollte generell für Schulverbesserungen sorgen und sollte Informationen über die schulischen Zustände der verschiedenen preußischen Provinzen einziehen. 132 Seminare sollten zur Verbesserung der Lehrerbildung angelegt werden, jedoch sollten die Patronatsrechte, die Vokationsbefugnisse eingeschlossen, nicht tangiert werden. 133 Aber schon die Instruktion des Oberschulkollegiums selbst enthielt auch eindeutige Einschränkungen für den Wirkungsbereich dieser Instanz. Die Schulen der französischen

historischen Prozeß..., S. 49f.; ferner Heinrich Disselnkötter, Das Erziehungsideal Friedrichs des Grossen (= Königliches Gymnasium zu Wesel. Jahres-Bericht über das Schuljahr 1891—1892), Wesel 1892, S. 7. 130 Siehe B. Rademacher, Zentralisierung und Dezentralisierung..., S. 94 f.; daß sowohl nach der literarischen Diskussion als auch nach der Gründung des braunschweigischen Schuldirektoriums die Einsetzung eines Oberschulkollegiums in Preußen „gleichsam in der Luft lag", hob schon Wilhelm Kahl, Zur Geschichte der Schulaufsicht. Gesammelte Aufsätze, Leipzig-Berlin 1913, S. 115f., hervor (mit Verweis auf a.a.O., S. 93—115, S. 120); H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 33, S. 36f., S. 55f.; ferner als Einzelbeispiel der Aufsatz Ueher Berlin. Von einem Fremden. 22. und 23. Brief, in: Berlinische Monatsschrift, Bd. 4 (1784), S. 344 f. 131 Es sei generell und ohne die Details erneut vorzutragen, verwiesen auf M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 152—162; K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium. .., S. 78, S. 97—100; B. Rademacher, Zentralisierung..., S. 46f.; C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 186f.; A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 113f., P. Schwartz, Der erste Kulturkampf. .., S. 50—53; diese Stellen auch zum Folgenden. Die Instruktion für das Oberschulkollegium in: Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 8, Berlin 1787, Nr. 25, Sp. 617—622, Instruktion vom 22. Februar 1787, daraus auch die folgenden Zitate. 132 A.a.O., Sp. 619; das Oberschulkollegium sollte (siehe a.a.O., Sp. 620 f.) entweder selbst bei Verbesserungen tätig werden oder die Konsistorien in diesen Angelegenheiten agieren lassen. 133 A.a.O., Sp. 619f.

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Kolonie, die der Juden, aber auch die Militärschulen sollten nicht dem Oberschulkollegium unterstehen. 134 Die Schulen der Provinz Schlesien blieben der Aufsicht des Oberschulkollegiums ebenso entzogen wie die katholischen in den neu erworbenen Gebieten Neu- und Südostpreußens. 135 Wenn Enno Fooken feststellt, daß das Oberschulkollegium faktisch auf das lutherische Schulwesen in Preußen beschränkt geblieben sei, 136 so kann diese, die Bedeutung des neuen Organs tangierende Feststellung dadurch bestätigt werden, daß das reformierte Kirchendirektorium weitgehende Befugnisse für das Schulwesen dieser Konfession zu behalten vermochte. Dem bedeutenden Joachimsthalschen Gymnasium, das seit dem frühen 17. Jahrhundert als Eliteschule der preußischen Calvinisten fungierte, gelang ein erfolgreicher Einspruch gegen die Unterordnung unter das Oberschulkollegium, wie es auch dem Minister des (reformierten) Geistlichen Departements Dörnberg gelang, die Bestimmung zum Grundsatz zu erheben, „daß die reformirten Schulen nicht vom Ober-Schul-Collegio, sondern wie bisher vom Kirchen Direktio abhängen, jedoch gewisse Schullehrer bei ersterem künftighin geprüft werden sollen". 137 Eigene Diensträume wurden dem Oberschulkollegium nicht zugewiesen. Es tagte in den Räumen des A.a.O., Sp. 619; siehe auch A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 113; siehe ebenfalls J. Tews, Ein Jahrhundert..., S. 32; M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 159; C. Müller, Grundriß..., S. 83. 155 A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 113; E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 10; K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 98; siehe auch zu den Gebieten in Franken, die aber 1799 dem Oberschulkollegium unterstellt wurden, C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..Bd. 2, S. 366, und H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 57f.; zu Schlesien siehe Α. M. Kosler, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 80. 136 Enno Fooken, Die geistliche Schulaufsicht und ihre Kritiker im 18. Jahrhundert (= Probleme der Erziehung, Bd. 5), Wiesbaden-Dotzheim 1967, S. 131. 137 So eine „Verordnung" vom 21. November 1787, unterzeichnet von Dörnberg, in: Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 8, Nachtrag zu 1787, Nr. 4, Sp. 3007 f.; aus der Literatur: C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 2, S. 366; K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 98, diese Stelle auch zum Joachimsthalschen Gymnasium; ferner C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 188 f.; siehe bereits Martin Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen, Bd. 1, Leipzig 1880, S. 131f.;E. Wetzel, Die Geschichte des Königl. Joachimsthalschen Gymnasiums..., S. 110 f., der auch auf die Intervention des Visitators Merian hinweist; zur Sonderstellung des Joachimsthalschen Gymnasiums auch schon die inhaltsreiche Biographie des langjährigen Rektors dieser Schule von Friedrich Leopold Brunn (Hrsg.), Versuch einer LebensbeschreibungJ. H. L. Meierotto's..., Berlin 1802, S. 286 (Titel gekürzt). 154

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I. Absolutistischer

Staat,

Ständegesellschaft

und

Schulregiment

A r m e n d i r e k t o r i u m s im T u r m des D e u t s c h e n D o m e s , w o auch die R e g i s t r a t u r des O b e r s c h u l k o l l e g i u m s u n t e r g e b r a c h t war. D e n (im J a h r e 1 8 0 6 neben C h e f u n d Präsident acht) O b e r s c h u l r ä t e n w a r e n als Personal ein e x p e d i e r e n d e r S e k r e t ä r , ein K a l k u l a t o r , ein R e g i s t r a t o r u n d ein K a n z l i s t beigegeben. 1 3 8 Die finanzielle A u s s t a t t u n g des O b e r schulkollegiums w a r gleichfalls — gemessen an seiner überregionalen A u f g a b e n s t e l l u n g — d u r c h a u s d ü r f t i g . 1 3 9 Soll die verfassungs- und schulgeschichtliche B e d e u t u n g dieses neuen O r g a n s f ü r das V e r h ä l t n i s v o n „Staat" und Schule im späten preußischen A b s o l u t i s m u s z u t r e f f e n d u m s c h r i e b e n w e r d e n , so w i r d auch der U m s t a n d nicht u n t e r b e w e r t e t w e r d e n d ü r f e n , daß u n t e r d e m M i n i s t e r W o e l l n e r das O b e r s c h u l k o l l e g i u m nicht m e h r Majoritätsbeschlüsse fassen, s o n d e r n daß das V o t u m des „ C h e f s " , des geistlichen Ministers, also W o e l l n e r s , ausschlaggebend sein sollte, 1 4 0 eine Regelung, die bis in d e n D e z e m b e r 1 7 9 7 Bestand h a t t e u n d auch f ü r das O b e r k o n s i s t o r i u m galt. 138 Die Angaben aus dem Jahre 1806 (für das Personal) bei Johann Christian Gädicke, Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend. Enthaltend alles Merkwürdige und Wissenswerthe von dieser Königsstadt und deren Gegend. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde, Berlin 1806, S. 564; zum Tagungsort neben F. W. A. Bratring, Statistischtopographische Beschreibung..., Bd. 2, S. 174, aus der Literatur vor allem P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 56 mit Anm. 1; K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium.. S. 97, der als Personal einen Boten für 1787 nennt, ferner S. 99 mit Anm. 18 und S. 112. 139 Neben a.a.O., S. 99£.; C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 189 f., nennt als Bewilligung für 1787/88 13 000 Taler; für das nächste (Etats-)Jahr wurden rd. 23 000 Taler in Aussicht gestellt, wovon neben Zuschüssen an Gelehrtenschulen und Seminare auch die Gehälter des Oberschulkollegiums und seiner Subalternen zu begleichen waren; der Mangel an Finanzen und somit der Reisekosten grenzte die Visitationstätigkeit des neuen Organs merklich ein, siehe P. Schwartz, Der erste Kulturkampf. .., S. 303; M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 166 mit Anm. 53. 140 Abdruck des Reskriptes vom 5. März 1789, unterzeichnet (ad mandatum) Woellner, bei F. L. Brunn (Hrsg.), Versuch einer Lebensbeschreibung... Meierotto's..., S. 298; siehe zur Kabinettsorder vom 4. März 1789 P. Schwartz, Die beiden Opfer..., in: Jahrbuch..., Bd. 27(1932), S. 105; Woellner fungierte als Chef (so etwa die Bezeichnung im Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., Jahrgang 1798, S. 274); der (zweite) Oberkonsistorialpräsident von der Hagen wurde nach dem obigen Reskript zum Präsidenten des Oberschulkollegiums bestellt; H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 59 Anm. 183, nach dem sich aber Woellner primär den Kirchenfragen zuwandte und dem Oberschulkollegium „fast alle Geschäfte" überließ; A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 114; ferner auch Paul Bailleu, Johann Christoph Woellner, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 44, Leipzig 1898, S. 146— 158, wieder in: Ders., Preußischer Wille. Gesammelte Aufsätze, hrsg. und mit einem Nachruf versehen von Melle Klinkenborg, Berlin 1924, S. 149.

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und Schule

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Die Intentionen des Ministers von Zedlitz, „das Schulwesen ganz von dem Geistlichen Stande zu trennen", 1 4 1 und der organisatorische Versuch ihrer Realisierung mit dem Oberschulkollegium, das von den Konsistorien unabhängig sein sollte, dies alles ist von der Forschung als ein Eckdatum der preußisch-deutschen Bildungsgeschichte gewertet worden. „Die Gründung des Oberschulkollegiums in Preußen im Jahre 1787 markiert den Beginn einer modernen staatlichen Unterrichtsverwaltung", deren Tätigkeit deutlich in das 19. Jahrhundert verweise, stellt Karl-Ernst Jeismann fest. Aus seiner — entwicklungsgeschichtlich pointierten — Sicht war damit bereits der Weg eingeschlagen, „der zur Staatsunmittelbarkeit der Bildung führte". 1 4 2 Hartmut Titze erkennt im Oberschulkollegium „ein neues Organ, um den staatlichen Einfluß auf das Schulwesen konzentrierter regeln zu können", und Helmut König sieht in der Gründung des Jahres 1787 die Manifestation des Bemühens um die „Verstaatlichung des Schulwesens". Schon Adolf Trendelenburg beschrieb die Gründung des Oberschulkollegiums als ein Phänomen der Loslösung des Schulregiments von den Konsistorialkollegien, und die ältere Forschung hat diese auch weiterhin dominierende These durchweg vertreten. 1 4 3 Für die Frage nach fortwirkenden frühneuzeitlichen Kontinuitäten in der Zeit der absolutistischen Regierungsform in Brandenburg-Preußen ist aber festzustellen, daß eine starke Personalidentität der geistlichen Kollegien mit dem Ober-

141 Vgl. oben bei Anm. 127—129; die obigen Zitate aus dem anonym erschienenen Aufsatz Zedlitz, in: Berlinische Monatsschrift, Bd. 21 (1793), S. 537—561, hier S. 555 mit dem deutlichen Hinweis auf Zedlitz' Ziel, daß „das oberste Schulkollegium im Lande vom Oberkonsistorium unabhängig ist". 142 K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 26; zum Folgenden: H. Titze, Die Politisierung der Erziehung..., S. 40; H. König, Zur Geschichte der Nationalerziehung. .., S. 277-, a.a.O., S. 300: „Die Einrichtung dieser Institution war der Versuch, das Erziehungswesen unter die Oberaufsicht des preußischen Staates zu bekommen, wobei in der Praxis die gesamte Aufsicht allerdings doch wieder von Vertretern der Kirche [!] ausgeübt wurde." Siehe in diesem Sinne auch C. L. Furck, Das pädagogische Problem..., S. 48; S. Godefroid u. a., Bürgerliche Ideologie..., S. 77. 143 Siehe Adolf Trendelenburg, Friedrich der Grosse und sein Staatsminister Freiherr von Zedlitz. Eine Skizze aus dem preußischen Unterrichtswesen. (Vortrag vom 27. Januar 1859 in der Akademie der Wissenschaften), in: Ders., Kleine Schriften, Teil 1, Leipzig 1871, S. 157; siehe ferner etwa Th. Ziegler, Geschichte der Pädagogik..., S. 259; J. Tews, Ein Jahrhundert..., S. 33: „Mit der Errichtung des .Oberschulkollegiums' war die Trennung der Schule von der Kirche in der obersten Instanz vollzogen." So auch Arno Eisenhuth, Die Entwicklung der Schulgewalt und ihre Stellung im Verwaltungsrecht in Deutschland, Diss. (Masch.), Jena 1931, S. 36.

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schulkollegium schon für die frühe Phase seiner Existenz nachweisbar ist und daß faktisch bald in dem neuen Organ „doch dieselben Räte wie im Oberkonsistorium" saßen.144 Dies waren zunächst im Gründungsjahr neben dem Minister von Zedlitz, der zugleich erster Oberkonsistorialpräsident war, der schon genannte Oberkonsistorialrat Gedike, dem sich der Rat im reformierten Kirchendirektorium und Rektor des Joachimsthalschen Gymnasiums Meierotto zugesellte.145 Auch der neumärkische Konsistorialrat Steinbart wurde 1787 in das Oberschulkollegium berufen. Quantitativ dominierte das theologische Element, wenn auch Gedike, Meierotto und Steinbart zugleich als pädagogische Praktiker ausgewiesen waren. Auch Woellner war von Hause aus Theologe, und der Oberkonsistorialrat Irwing wurde kurz nach der Gründung des Oberschulkollegiums in dasselbe berufen. 146 Diese zunächst partielle personelle Deckung von Mitgliedschaft im Oberkonsistorium und der im Oberschulkollegium 147 nahm nicht nur unter Zedlitz' Nachfolger Woellner zu, 148 was angesichts seiner kirchenpolitischen 144 So E. Spranger, Wilhelm von Humboldt..., S. 70; zum Nebenamtscharakter der Tätigkeit im Oberschulkollegium siehe M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 165; P. Schwartz, Die Gelehrtenschulen..., Bd. 1, S. 7.

Zu Zedlitz als erstem Präsidenten des Oberkonsistoriums: K. Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums... 1608 bis .. .1809..., S. 90, ebda. auch zu dem zweiten Präsidenten von der Hagen, zu dessen Funktion im Oberschulkollegium seit 1789 auf das in Anm. 140 angezogene Stück zu verweisen ist; dies auch zum Folgenden; die Mitglieder des Oberschulkollegiums bei dessen Begründung sind in der Instruktion vom 22. Febr. 1787 in § 1 genannt, Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 8, Nr. 25. Sp. 617, hier auch zu Meierotto und Steinbart (zu letzterem siehe oben im 145

ZWEITEN TEIL, DRITTES KAPITEL b e i A n m . 1 2 5 — 1 3 7 ) ; f e r n e r wurden 1 7 8 7 e r n a n n t d e r

Geheime Finanzrat Woellner (auch er war studierter Theologe, P. Bailleu, Johann Christoph Woellner..., hier S. 138) und der Kanzler der Universität Halle von Hoffmann („der Hauptsache nach kameralistisch geschult", Gustav Friedrich] Hertzberg, Geschichte der Stadt Halle an der Saale von den Α η fangen bis zur Neuzeit. Nach den Quellen dargestellt, Bd. 3, Halle 1891, S. 271); diese Stellen auch zum Folgenden. K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 424, gibt als Berufungsjahr 1787 an; siehe auch die Anm. zur Instruktion vom 22. Februar im Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 8, Sp. 617, die angibt, daß Irwing „hiernächst" berufen wurde. Zur Geschäftsverteilung im Oberschulkollegium siehe C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 189 f.; P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 290; nach Schwartz hatte Gedike u. a. die Kurmark, Hecker u. a. die Neumark zu bearbeiten; Rethwisch nennt für 1787 eine Verteilung in Sachressorts. 147 Siehe auch E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 9; A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 112. 146

Vgl. Anm. 140; das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1794, Berlino. J., S. 218 f., S. 320, nennt die von Woellner berufenen Oberkon148

Kirchenregiment

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Position nicht verwundern könnte. Das Staatshandbuch verzeichnet im Jahrgang 1798 neben dem Chef Woellner und dem inzwischen zum Präsidenten des Oberschulkollegiums avancierten Irwing sechs O b e r schulräte; davon waren vier Oberkonsistorialräte 1 4 9 und die beiden anderen der Kirchenrat Meierotto und der Konsistorialrat Steinbart. Die Analyse für das J a h r 1806 zeigt, daß die Entwicklung zur personellen Identität von Oberschulkollegium und Oberkonsistorium nicht ein Spezifikum der Woellnerschen Amtszeit war, sondern vielmehr die Geschichte des Oberschulkollegiums — begründet unter aufklärerischem Vorzeichen eines Programms grundsätzlicher Trennung der Konsistorien von den Schulsachen — insgesamt kennzeichnet. V o n den zehn im H o f - und Staatshandbuch für 1806 aufgeführten Oberschulräten sind außer dem (neumärkischen) Konsistorialrat Steinbart alle zugleich auch als Oberkonsistorialräte genannt, nur der Oberkonsistorialrat Lamprecht — ein J u r i s t — trug von den Mitgliedern des Oberkonsistoriums den Oberschulratstitel nicht. 1 5 0 Schon diese Personalanalyse für die R ä t e in Oberschulkollegium und Oberkonsistorium widerlegt die Aussage des späteren Chefs des Oberschulkollegiums, von Massow, geschrieben im Jahre 1797, daß zwar „der vorgesetzte Minister für j e t z t eben die Person [sei], welche das Departement der Kirchenangelegenheiten hat, das Oberschulkollegium selbst aber ist ganz vom Oberkonsistorium getrennt". 1 5 1 sistorialräte Hermes, Hillmer und A. J. Hecker noch nicht als Oberschulräte, wie dies im Handbuch... für das Jahr 1795, Berlin o. J., S. 364 f., der Fall ist; nach P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 290, wurden sie am 1. April 1794 ernannt; ihre Ernennung zu Oberschulräten ging auf eine Kabinettsorder vom 27. März 1794 zurück, P. Bailleu, Johann Christoph Woellner..., S. 151. Vgl. auch J(ohann) D(avid) E(rdmann) Preuß, Zur Beurtheilungdes Staatsministers von Wöllner, in: Zeitschrift für PreußischeGeschichte und Landeskunde, Bd. 2 (1865), S. 770; Hermes und Hillmer schieden unter Massow wieder aus. M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 354. 149 Eben Gedike, Hillmer, Hermes und Hecker; dazu und zum Folgenden das Handbuch über den Königlich Preußischen H of und Staat. . ..Jahrgang 1798, S. 274f., S. 256f.; zu Steinbart in der Amtszeit Woellners sei verwiesen auf die Einzelheiten bei P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 294.

Siehe das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat auf das Jahr 1806, Berlin o. J., zum Oberschulkollegium S. 325, wo allerdings die Oberkonsistorialräte Niemeyer und Gröning nicht aufgeführt sind; ihre Namen finden sich unter der Rubrik des Oberkonsistoriums und hier auch mit dem Titel „Ob. Schulrath", S. 286. Niemeyer wurde durch Kabinettsorder vom 9. April 1804 als auswärtiges Mitglied bestellt, siehe A. Heubaum, Die Reformbestrebungen..., S. 207. 150

So (noch als Regierungspräsident in Pommern), (Julius Wilhelm Ernst) von Massow, Ideen zur Verbesserung des öffentlichen Schul- und Erziehungswesens mit beson151

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I. Absolutistischer

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Ständegesellschaft

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Schulregiment

Die Ambivalenz von aufklärerischer Programmatik und dennoch unüberwundener Tradition der Strukturen muß als entscheidende Urteilsgrundlage für das historische Phänomen des Oberschulkollegiums dienen. Der herrschenden, das Oberschulkollegium als modernstaatliche Unterrichtsverwaltungsbehörde interpretierenden Lehre152 dient jedoch der anerkannt unzureichende Apparat des neuen Kollegiums und die personelle Abhängigkeit vom Oberkonsistorium nicht als das entscheidende Datum. Diese personelle Deckung nahm bis zur Kongruenz beider Organe in den Jahren unmittelbar vor 1806 ununterbrochen zu. Nach dem Tode Irwings Ende 1801 übernahm der Präsident des Oberkonsistoriums von Scheve zugleich das Präsidium im Oberschulkollegium, so daß mit Scheve und Massow die personelle Identität in der Leitung von Oberkonsistorium und Oberschulkollegium hergestellt war.153 Dieser von der neueren weit weniger als von der älteren Forschung beachtete Umstand ist um so bemerkenswerter, als damit expressis verbis die Trennung der Schul- von den Kirchensachen vermieden werden sollte, und nur der gleichsam geschäftsordnungsmäßige Gedanke einer vorteilhafteren Beratung beider Materien in getrennter Form verhinderte die Vereinigung von Oberkonsistorium und

derer Rücksicht auf die Provinz Pommern, in: Annalen des Preußischen Schul- und Kirchenwesens, Bd. 1 (1800), hier S. 73; damit ist zugleich der Umstand angesprochen, daß mit der Begründung des Oberschulkollegiums die Schulsachen dem lutherischen Geistlichen Departement formell als entzogen gelten konnten (C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..., Bd. 2, S. 314, S. 366; M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg..., S. 120f., der auch auf die direkte Unterstellung des Oberschulkollegiums unter den Minister des lutherischen Geistlichen Departements hinweist). 152 Vgl. oben bei Anm. 142. 153 E. Müsebeck, Das preußische Kultusministerium..., S. 10, nach dem die Vereinigung beider Stellen „für immer" durch eine Kabinettsorder vom 31. Dezember 1801 durchgeführt wurde; siehe auch A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 115; vgl. auch den Teilabdruck der Kabinettsorder vom 31. Dezember 1801 an von Scheve bei Ludwig Wiese (Hrsg.), Das höhere Schulwesen in Preußen. Historisch-statistische Darstellung. Im Auftrage des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, (Bd. 1), Berlin 1864, S. 4, Anm. 2. H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 59, Anm. 183; ferner wurde das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., in den Jahrgängen 1801 bis 1806 herangezogen; siehe aus der neueren Literatur M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 354; die oben ausgeführte Entwicklung wird in der neueren Literatur meist gar nicht erwähnt (so etwa in der laut Titelblatt die „Genese der Schulverwaltung" untersuchenden Studie von B. Rademacher, Zentralisierung...).

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Oberschulkollegium, was einer förmlichen Aufhebung des letzteren hätte gleichkommen können. Fortan sollten aber, wie es hieß, „nach Belieben" die Schulsachen in diesem oder jenem Kollegium beraten werden können. 154 Im Jahre 1804 wurden sodann auf Vorschlag von Massows alle Oberkonsistorialräte zu Oberschulräten ernannt, „die gänzliche Vereinigung der kirchlichen und der Schulbehörde war somit herbeigeführt", 155 ohne daß freilich die letztere förmlich aufgehoben wurde; dies blieb der Jahreswende 1808/09 vorbehalten. 156 Die Geschichte des Oberschulkollegiums ist identisch mit dem Scheitern der organisatorischen Ideen des Aufklärers von Zedlitz. Die Schule war dem „Staat" durchaus nicht näher gerückt. In der Provinzialebene ist das Programm einer Trennung von Kirchen- und Schulinstanzen noch schneller zusammengebrochen. Zedlitz' Schriftwechsel mit verschiedenen Provinzialkollegien beweist eindeutig, daß nach seinem Willen „bey einem jeden Provinzial Consistorium eine eigene SchulCommission" errichtet werden sollte, „wozu außer einem oder ein paar Rathen des Collegiums noch ein oder ein paar geschickte Rektoren oder allenfalls ein Geistlicher von bekannter Geschicklichkeit in den Schulwissenschaften zugezogen werden könnten.. .". 1 5 7 Woellner hat E. Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium..., S. 10. So A. Heubaum, Die Reformbestrebungen..., S. 216; P. Schwartz, Die Gelehrtenschulen ..., Bd. 2, S. 359; F. Meyer, Die Idee des Volkes..., S. 111 ; H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 59, Anm. 183; Anlaß war der kurz aufeinanderfolgende Tod der Oberkonsistorialräte Zöllner und Teller. 156 Ebda., und K. E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 211. 157 G. St. Α., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabteilung, Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen, Tit. 42 a, Nr. 56 (Provinzial-Schulen-Commission), Reskript des Oberschulkollegiums an das Etats-Ministerium, Ausf., unterschrieben von Zedlitz (ad mandatum), 4. März 1788, mit dem Befehl zu Vorschlägen bezüglich Ostpreußens; bezeichnend auch der Bericht des Königsberger Konsistoriums vom 22. Mai 1788 an das Etats-Ministerium mit der Bemerkung, „daß die Errichtung einer neuen besonderen Schul Commission zu Beprüfung der anzusetzenden Schullehrer hier auf keine Weise nothwendig sey." Am 16. September bat das Konsistorium in einem Bericht an das Etats-Ministerium, als Provinzialschulkollegium bestellt zu werden. Zedlitz wiederholte seinen obigen Befehl andas Etats-Ministerium am 1. Juli (a.a.O., Reskript, Ausf.); auch Woellner befahl erneut am 2. September (a.a.O., Reskript, Ausf.) dem EtatsMinisterium, Vorschläge für eine einzurichtende „Provinzial-Schul-Commission" zu unterbreiten; Woellner hatte sich also von dieser Konzeption anfangs durchaus nicht abgewandt. Für Ostpreußen vgl. auch zu diesen Fragen E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte des Schulwesens..., S. 383, nach denen am 1. Juli 1788 tatsächlich in Königsberg eine „Schulkommission zur Beprüfung der Stadtlehrer" gegründet wurde (was nach dem oben angegebenen Reskript Zedlitz' vom selben Tage unwahrscheinlich ist). Mit Hol154

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I. Absolutistischer

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Schulregiment

anfänglich diesen Plan weiterverfolgt, wie die ostpreußischen Akten zeigen. 1 5 8 Die entscheidende A n t w o r t auf die offene Frage nach der künftigen Zuständigkeit auf der Provinzebene wurde in dem Zirkular v o m 14. O k t o b e r 1 7 8 8 gegeben. Die Konsistorien erhielten, wie es im kurbrandenburgischen Falle hieß, die „Eigenschaft und das Geschäfte eines Schulkollegiums für den Bezirk E u r e r P r o v i n z " , 1 5 9 das bedeutet also, die Konsistorialorgane wurden zu Provinzialschulkollegien ernannt, nicht aber solche neben den vorhandenen Konsistorien erricht e t . So findet sich z u m Beispiel auch in dem an das K o n s i s t o r i u m zu Minden gesandten E x e m p l a r die an Deutlichkeit nicht zu übertreffende Formulierung, daß dieses Kollegium die „Bearbeitung der Schulsachen, so wie ihr solche bisher verwaltet h a b t " , behalten solle. 1 6 0 Daher lag es in der N a t u r der Sache, daß in den umfangreichen und präzisen H o f und Staatshandbüchern die Provinzialschulkollegien nicht gesondert aufgeführt worden sind. U n t e r der Rubrik „Provinzial-Schulcollegia" findet sich allein der summarische Vermerk: „Bestehen aus den Mitgliedern der Provinzial-Consistorien." 1 6 1 F ü r die K u r m a r k ergibt sich lack und Tromnau auf den Bericht des Konsistoriums vom 16. September 1788 dessen Ernennung zum Provinzialschulkollegium zurückzuführen, ist wohl irrig, da der EtatsMinister v. d. Groeben das Schriftstück erst am 23. Oktober bearbeitet und vorläufig ad acta geschrieben hat mit der Resolution: „diese acta bleiben vor der Hand bey mir liegen". Entsprechende Reskripte vom 4. März (s. o.) an die Regierung in Mörs und an das Konsistorium zu Minden, siehe im Staatsarchiv Münster, Minden-Ravensberg, Konsistorium III, 4 (Provinzial-Schul-Commission), mit diversen Vorschlägen für eine Kommission; zu Mörs: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Reg. Mörs III a, Generalia Nr. 401 (Oberschulkollegium). 158 Siehe die Anm. 157 zitierte Korrespondenz. 159 Archiv des Konsist., Generalia Κ I, Nr. 19 I, Abschrift des Zirkulars vom 14. Oktober 1788 an das „kurmärkische Oberkonsistorium"; für andere Provinzen ist heranzuziehen: G. St. Α., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabt., Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen, Tit. 42 a, Nr, 56 (Provinzial-Schulen-Commission), Zirkular vom 14. Oktober 1788, an das ostpreußische Konsistorium (Kopie), dazu auch E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte..., S. 262; Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Reg. Mörs III a, Generalia, Nr. 40 I (Oberschulkollegium); siehe auch A. Heubaum, Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 113 mit Anm. 4, auch zur Sonderstellung von Schlesien, Neuostpreußen und Südpreußen sowie den fränkischen Gebieten (zu diesem Zeitpunkt). 160 Zirkularreskript vom 14. Oktober an das Konsistorium zu Minden, das als Schulkollegium der Provinz eingesetzt wurde, Ausf. mit Unterschrift Woellners, Staatsarchiv Münster, Minden-Ravensberg, Konsistorium III, 4 (Provinzial-Schul-Commission). 161 So ζ. B. das Handbuch über den Königlich Preußischen Hofund Staat.. ..Jahrgang 1798, S. 275; vgl. lediglich a. a. O., S. 279 zu Ostpreußen (Etats-Ministerium und Konsistorium; daneben die „Special-Kirchen- und Schulcommission") und im Jahrgang für

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der bemerkenswerte Befund, daß einerseits das Oberkonsistorium zum Provinzialschulkollegium ernannt wurde 162 und dennoch das mit jenem doch noch gar nicht identische Oberschulkollegium schon im ersten Hof- und Staatshandbuch aus dem Jahre 1794 zugleich als Provinzialschulkollegium firmierte: Schon zu diesem Zeitpunkt begann die Trennungslinie zwischen beiden Institutionen zu verschwimmen. 163 Die Entwicklung, die auf der Provinzebene den Plan einer separaten Bearbeitung der Schul- und Kirchensachen zunichte machte, war durchaus nicht nur eine Erscheinung der Amtszeit Woellners. Auch seinem Amtsnachfolger, dem Minister Julius von Massow, schien „wenigstens in den Provinzen und an den einzelnen Orten, ein abgesondertes Erziehungsdepartement weder nothwendig noch nützlich zu sein, vielmehr schädlich". 164 Diese Position wird um so mehr Beachtung finden müssen, als seit 1796 und auch noch unter Massow aus einer preußischen Provinz eine beachtenswerte Initiative zur Begründung einer besonderen provinzialen Schulkommission hervorging. Es war die „Gesellschaft der Freunde der Lehrer und Kinder in der Grafschaft Mark", die für ihre Provinz ein besonderes Provinzial-Schulkollegium zu erlangen bemüht war. 165 Die Verhandlungen und Beratungen unter 1806, S. 325 und 331; siehe aus der Literatur ferner M. Heinemann, Schule

feld. .., S. 160, S. 169, und ebenso P. Schwartz, Die Gelehrtenschulen...,

im

Vor-

Bd. 1, S. 136

(auch zur Nebenamtlichkeit der Dienstführung auf provinzialer Ebene); vgl. für Magdeburg M. F. G. Leonhardi, Erdbeschreibung...,

Bd. 4, Teil 1, Halle 1796, S. 58; zu Mörs:

Hermann Keussen sen./Hermann Keussen jun., Beiträge

zur Geschichte

Crefelds

und des

Niederrheins, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere die alte Erzdiözese

Köln, Bd. 63 (1896), S. 76; das für Westpreußen von Paul Schwartz, Die

Schulen der Provinz Westpreußen unter dem Oberschulkollegium 1787—1806, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 16 (1926), S. 56, für 1787/88 angegebene besondere Provinzialschulkollegium hat nicht auf Dauer bestanden; das zeigt eine Durchsicht der Staatshandbücher; die Regierung Marienwerder war in Westpreußen Provinzialschulkollegium, siehe L. von Baczko, Handbuch...,

Bd. 2, Teil 2,

S. 47. Konsistorien und Provinzialschulkollegien in Pommern und der Neumark: M.

Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens...,

Bd. 1, S. 228.

162

Siehe das in Anm. 159 zitierte Aktenstück aus dem Konsistorialarchiv.

163

Siehe das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat auf das Jahr

1794, Berlin o. J . , S. 320: „In der Kurmarck ist das Ober-Schul-Kollegium zugleich das Provinzial-Schul-Kollegium." Siehe auch M. F. von Bassewitz, Die Kurmark

burg..., 144

Branden-

S. 120 ff.

J . W . E. von Massow, Ideen zur Verbesserung...,

S. 94; laut S. 76 Anm. niederge-

schrieben im Sommer 1797 (also noch vor seiner Ernennung zum Minister) als erster Pommerscher Regierungspräsident. 165

Siehe das „Pro Memoria", unterzeichnet vom Landrat Senft von Pilsach (einem

114

I. Absolutistischer Staat, Ständegesellschaft und Schulregiment

Mitwirkung der Kriegs- und Domänenkammer erstreckten sich über mehrere Jahre. Obwohl die kleve-märkischen Stände sich zur Geldbewilligung bereit erklärten, scheiterte das Vorhaben. Beachtenswerterweise war es das Oberschulkollegium, das 1801 eine besondere „perpetuelle Schul Commission für die Grafschaft Mark" ablehnte, da sie — wie sie argumentierte — eine Vermehrung der Zahl der Behörden scheute. Vergeblich hatte sich das Generaldirektorium für eine besondere Provinzialschulkommission ausgesprochen. 166 Mit der bloßen Ernennung der Provinzialkonsistorien zu Provinzialschulkollegien war aber mehr geschehen als nur das Festhalten an dem vor 1 7 8 7 / 8 8 bestehenden status quo. In einer Kabinettsorder vom 8.

Mitglied der „Gesellschaft") vom 29. Juni 1796, in: Staatsarchiv Münster, Kriegs- und Domänenkammer Hamm, Nr. 781 (Schulen der Grafschaft Mark 1796), mit detaillierten Vorschlägen; siehe in diesem Bande auch das Protokoll vom 20. und 21. Oktober 1796, danach sollte das Provinzialschulkollegium aus 32 Mitgliedern bestehen, darunter Räte der Regierung, der Kammer, Vertreter der Stände, aber auch der „Gesellschaft der Freunde" ; auf eine Darlegung der Einzelheiten dieser Bemühungen kann an dieser Stelle angesichts des ausgezeichneten Forschungsstandes verzichtet werden, jetzt insbesondere M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform als Gesellschaftsinitiative..., S. 83 ff., S. 89 (zu der von der „Gesellschaft" gewünschten Unterstellung des Provinzial- unter das Oberschulkollegium), S. 92—97 (zu den Verhandlungen). Ferner Karl Ernst Jeismann, Tendenzen zur Verbesserung des Schulwesens in der Grafschaft Mark 1798—1848. Ein Beitrag zur Problematik der preußischen Reform- und Restaurationszeit. Kurt von Raumer zum 70. Geburtstag in Dankbarkeit gewidmet, in: Westfälische Forschungen, Bd. 22 (1969/70), S. 90 f., auch zu den Bewilligungen der Stände zu diesem Zweck; nach diesen beiden Studien dann B. Rademacher, Zentralisierung..., S. 81; auch die ältere Forschung hat sich mit dieser Initiative befaßt: Wilhelm Meiners, Das Volksschulwesen in Mark und Cleve unter Steins Verwaltung (1787—1804), in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, Bd. 16(1906),S. 117—121,auch hier zur Hilfsbereitschaft der Stände; dazu auch Fritz Klein, Das niedere Schul- und Seminarwesen der Grafschaft Mark 1775—1825. Ein Beitrag zur Geschichte der Lehrerbildung in Preußen, Dortmund 1925, S. 14 f. Staatsarchiv Münster, Kriegs- und Domänenkammer Hamm, Nr. 782 (Schulsachen 1799—1805), Abschrift des Kommunikats des Oberschulkollegiums vom 31. März 1801 an den Minister im Generaldirektorium Heinitz; a.a.O., eine Kopie des Kommunikats des Generaldirektoriums vom 20. April 1801 an das Oberschulkollegium; in diesem Bande auch weitere Korrespondenzen — das Generaldirektorium konnte sich nicht durchsetzen. Daneben aus der Literatur: M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform. .., S. 97, S. 100, S. 103 (Massow); Κ. E. Jeismann, Tendenzen..., S. 92; danach war es besonders Meierotto, der den Plan verwarf — aus Kostengründen (siehe aber die Bewilligungsbereitschaft der Stände!); Jeismann erwähnt auch Gedike und Massow mit ablehnenden Voten; ferner W . Meiners, Das Volksschulwesen in Mark und Cleve..., S. 120 f. 166

Kirchenregiment

und Schule

115

Februar 1763 an den Etatsminister von Danckelmann war v o m König b e s t i m m t worden, „daß vorerst in allen Meinen A m t e r n und A m t s d ö r fern der K u r m a r k die Bestellung derer Dorffschulmeistere nicht weiter von denen Beamten und die dergleichen sonst ernannt haben, geschehen, sondern daß die K a m m e r sich dergleichen selbst unterziehe". 1 6 7 E b e n diese K o m p e t e n z wurde nun im J a h r e 1 7 8 8 der kurmärkischen K a m m e r wieder g e n o m m e n und dem O b e r k o n s i s t o r i u m unter dem T i t e l eines Provinzialschulkollegiums übertragen. 1 6 8 D a m i t hatte auf provinzialer Ebene die Ernennung der Provinzialschulkollegien im J a h r 1 7 8 8 eine Stärkung des Konsistorialeinflusses im Bereich des Schulwesens e r b r a c h t , denn entsprechende Zirkulare ergingen auch an alle anderen Kriegs- und D o m ä n e n k a m m e r n mit dem Hinweis auf die Amtsbefugnisse des neuen Oberschulkollegiums. 1 6 9 In den entsprechenden Zirkularen des Generaldirektoriums aus dem H e r b s t des Jahres 1 7 8 8 wurde immer das Oberschulkollegium als neue Stelle, die die Schulmeister künftig berufen werde, genannt. 1 7 0 Faktisch aber entledigte sich das Oberschulkollegium großer Teile dieses T ä t i g keitsfeldes dadurch, daß in eben dem Zirkularreskript vom 14. O k t o b e r

167 Es folgen Anweisungen zur Prüfung der Dorfschullehrer durch den Oberkonsistorialrat Hecker, A.B.B., Bd. 12, Berlin 1926, Nr. 410, S. 620f.; auf den tatsächlichen Einfluß der Pächter vor und nach dieser Kabinettsorder wird zurückzukommen sein. 168 So das in Anm. 159 zitierte Stück vom 14. Oktober 1788, das auf analoge Kabinettsordern zurückgeht; ein entsprechendes Zirkular an alle Inspektoren der Kurmark (in: Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 8, Nr. 75 zu 1788, Sp. 2271—2274, vgl. Nr. 86 zu 1789, Sp. 2777); die Besetzung der Stelle geschah durch das Oberkonsistorium, die Vokation sollte von den Ämtern erteilt (wohl im Sinne von: expediert) werden, der Kammer verblieb nur ein Bestätigungsrecht. 169 A.a.O., Nr. 65 zu 1788, „Circularean sämmtliche Cammern", vom30. September 1788, Sp. 2227 f. (aus dem Generaldirektorium vgl. auch a.a.O., Nr. 80, Sp. 2277f., Zirkular vom 4. November 1788); die dem zugrunde liegende Kabinettsorder an Woellner vom 27. September und das Kabinettsdekret an das Generaldirektorium vom selben Tage, abschriftlich z. B. im Bestand Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Reg. Mörs III a Generalia (Oberschulkollegium); siehe auch G. St. Α., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabt., Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen, Tit. 42 a, Nr. 56 (Provinzial-Schulkollegium). Vgl. die Interpretation bei M. Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens. .., Bd. 1, S. 228 mit Anm. 3. 170 In den in Anm. 169 genannten Zirkularen vom 30. September 1788 und 4. November 1788; die Instruktion vom 22. Februar 1787, in: Novum Corpus Constitutionum ..., Bd. 8, Nr. 25 zu 1787, Sp. 619 f., hatte statuiert, daß künftig alle städtischen oder aus königlichen Mitteln bezahlten sog. Gnadenschulstellen ausschließlich nach Prüfung durch das Oberschulkollegium oder durch dessen Beauftragte besetzt werden dürften.

116

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

1 7 8 8 , in d e m die K o n s i s t o r i e n z u P r o v i n z i a l s c h u l k o l l e g i e n

ernannt

w u r d e n , g e r a d e die — w i e z u z e i g e n sein w i r d — z a h l r e i c h e n s c h l e c h t bezahlten Stellen könglichen P a t r o n a t s den Provinzialinstanzen

zur

selbständigen Besetzung überlassen wurden. Das Konsistorium

zu

M i n d e n w u r d e e b e n s o w i e z u m B e i s p i e l die R e g i e r u n g in M ö r s o d e r d a s o s t p r e u ß i s c h e K o n s i s t o r i u m a n g e w i e s e n , n u r die k ö n i g l i c h e n S t e l l e n m i t e i n e m f i x i e r t e n ( j ä h r l i c h e n ) E r t r a g v o n 6 0 T a l e r n u n d m e h r ausschließlich n a c h d e r e i n z u h o l e n d e n A p p r o b a t i o n des O b e r s c h u l k o l l e giums künftig zu besetzen.171 W a r hier sowieso n u r von den königlic h e n , n i c h t a b e r v o n a d l i g e n o d e r s t i f t i s c h e n P a t r o n a t s s t e l l e n die R e d e , so w u r d e m i t der finanziellen A u s g r e n z u n g der geringer besoldeten Stellen d e r W i r k u n g s b e r e i c h des O b e r s c h u l k o l l e g i u m s

entscheidend

e i n g e e n g t , u n d dies n i c h t n u r in d e n drei g e n a n n t e n P r o v i n z e n ; dieses Z i r k u l a r e r g i n g a n alle L a n d e s k o n s i s t o r i e n , u n d f ü r die K u r m a r k w u r d e d i e s e S c h w e l l e s o g a r a u f 1 2 0 T a l e r f e s t g e s e t z t . 1 7 2 Z e i t l i c h parallel m i t d e r personellen und institutionellen A u f g a b e des eigenständigen C h a r a k t e r s d e s O b e r s c h u l k o l l e g i u m s ging d e r w e i t e r e A b b a u d e s v o n dies e m w a h r g e n o m m e n e n T ä t i g k e i t s - u n d A u f s i c h t s b e r e i c h e s . „ W i r find e n j e d o c h a u s b e w e g e n d e n U r s a c h e n f ü r g u t " — s o h i e ß es in e i n e m

171 Siehe das in Anm. 159 und 160 an mehreren Stellen nachgewiesene Zirkularreskript vom 14. Oktober 1788; ferner H . Keussen sen./H. Keussen jun., Beiträge..., S. 76; mit falschem Datum auch bei P. Schwartz, Die Schulen der Provinz Ostpreußen ..., S. 60; ohne der eingehenden Untersuchung der Gehaltsverhältnisse an dieser Stelle vorgreifen zu können, sei doch für Ostpreußen schon hier Ludwig Ernst Borowski, Neue Preußische Kirchenregistratur, die neuen Verordnungen und Einrichtungen in Kirchen- und Schulsachen im Königreiche Preußen enthaltend. Nebst einigen zur Kirchengeschichte Preußens gehörigen Aufsätzen, Königsberg 1789, S. 191, zitiert, nach dem die ostpreußischen Landschulmeister „an den mehresten Orten" ca. 10 Taler Gehalt bezögen; mag diese Angabe selbst zu gering angeschlagen sein, so beleuchtet sie doch die Auswirkungen der Sechzig-Taler-Grenze nach den obigen Bestimmungen. 172 G. St. Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabtlg., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 2 (Generaba 1788—1799), Zirkular an alle Landeskonsistorien, Berlin 14. Oktober 1788 (ad mandatum), Abschrift aus Rep. 47; Absolventen der Seminare sollten bevorzugt werden. Auch zu städtischen Patronatsstellen sollte nach dieser Verfügung den Provinzialschulkollegien präsentiert werden. Probelektion und schriftliche Prüfungsarbeiten wurden erforderlich, letztere hatten mit einem Gutachten an das Oberschulkollegium eingesandt zu werden, welches danach entschied. In der Neumark galt jedoch die Sechzig-Taler-Grenze, siehe J . P. G. Hoffmann, Topographie der Neumark..., S. 8. Siehe auch die bemerkenswerten Schilderungen zum Prüfungsgang im Oberkonsistorium und Oberschulkollegium bei Friedrich Gedike, Gesammlete Schulschriften..., Bd. 2, Berlin 1795, S. 90—98, zu der hier diskutierten Problematik S. 98.

Kirchenregiment und Schule

117

von Massow unterzeichneten Zirkular an alle Konsistorien beziehungsweise Regierungskollegien vom 8. März 1803 mit Bezugnahme auf das Zirkular vom 14. O k t o b e r 1788 — , „diese Verfügung hierdurch dahin näher zu bestimmen, dass von jetzt an den Consistorien und Provinzial-Schul-Kollegien, es überlassen bleiben soll, nicht nur die sämtliche in ihrer Provinz vacant werdenden Land-Schullehrer-Stellen, sondern auch die Schullehrer-Stellen in kleinen Städten, zu welchen blos ein Unstudierter erforderlich ist, selbst zu besetzen, und nur über die Wiederbesetzung solcher Schullehrer-Stellen, zu welchen ein Litteratus erforderlich ist, mit Einsendung der Prüfungs-Arbeiten des vorgeschlagenen Subjects an Unser Ober-Schul-Collegium künftig berichtet werden soll". A m Ende des Jahres hatte lediglich über alle vorgenommenen Stellenbesetzungen Bericht erstattet zu werden. 1 7 3 Auch unter Massow wurde die Selbständigkeit der Provinzialkonsistorien noch dadurch vermehrt, „daß den Provinzial-Collegien mehrere Berichterstattungen erspart worden sind". 1 7 4 D e r Verfasser dieser W o r t e , der Oberkonsistorial- und Oberschulrat Zöllner, resümierte treffend das Ergebnis der Bemühungen von Zedlitz, „das Schulwesen ganz von den kirchlichen Anstalten zu trennen". „Sobald aber das Ober-SchulCollegium den praktischen Geschäftsgang einleitete, sah es sich genöthigt, die alte Ordnung der Dinge wiederherzustellen und nicht nur die Consistoria, unter dem Namen der Provinzial-Schul-Collegien, sondern auch die Inspectoren und Prediger, wie es sonst gewesen war, alle speciellen Schulangelegenheiten bearbeiten zu lassen." 1 7 5 Zedlitz' Programm war auf dem Felde der Organisationsreform des landesherrlichen Schulregiments vollständig gescheitert. U n d dennoch: Ansätze einer „ V o r r e f o r m " , wie sie O t t o H i n t z e für

173

G. St. Α., Berlin-Dahlem,

1. Hauptabt., Rep. 92, NachlaßThiele, N r . 4 (Generalia

1803—1805), Zirkularreskript an alle Konsistorien bzw. Regierungen und — zu diesem Zeitpunkt — an die Kammern in Bialystock, Plock und Ansbach vom 8. März 1803 (Abschrift aus Rep. 92); siehe dieses Reskript in Ausf. (des Oberschulkollegiums) an das Etats-Ministerium Königsberg, in: G. St. Α.,

Berlin

Dahlem,

20. Hauptabt., Etats-

Ministerium Königsberg, Schulsachen, T i t . 42 a, Nr. 56 (Provinzial-Schulen-Commission); Ausfertigung vom 8. März an das Konsistorium zu Minden, in: Münster,

Staatsarchiv

Minden-Ravensberg, Konsistorium III, 4 (Provinzial-Schul-Kommission).

174 So Joh(ann) Friedr(ich) Zöllner, Ideen über National-Erziehungbesonders sicht auf die Königl. Preußischen Staaten, Teil 1, Berlin 1804, S. 328. 175

A.a.O.,

S. 327).

S. 326f.; dies habe „nicht in dem ursprünglichen Plane gelegen"

in Rück(a.a.O.,

118

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

verschiedene Felder der Verfassungs- und Sozialstruktur des Alten Preußen eindrucksvoll analysierte, 1 7 6 haben auch die institutionelle Anbindung des Schulwesens an die Staatsverwaltung neuen T y p s schon v o r 1 8 0 6 / 0 7 eingeleitet. W u r d e mit der Neuorganisation auch der Provinzialverwaltung im J a h r e 1808 das Armenwesen, die Kirchen- und die Schulaufsicht in die K o m p e t e n z der aus den Kriegs- und D o m ä n e n kammern hervorgegangenen neuen Regierungen gelegt, 1 7 7 so war diese R e f o r m schon vor J e n a und Auerstedt in mehreren Provinzen vollzogen worden. In der 1 7 9 3 annektierten Provinz Südpreußen wurden die katholischen Schulen d e m „Finanzdepartement a n v e r t r a u e t " , 1 7 8 das heißt, sie standen unter den Kriegs- und D o m ä n e n k a m m e r n dieser P r o v i n z und diese wiederum u n t e r dem Generaldirektorium. Die evangelischen Kirchen und Schulen unterstanden Konsistorien, die bei den südpreußischen Regierungen eingerichtet wurden. 1 7 9 Die entschei176 Otto Hintze, Preußische Reformbestrebungen vor 1806, in: Historische Zeitschrift, Bd. 76(1896), S. 413—443, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung..., S. 504—529. 177 Siehe R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution..., S. 158; F. Härtung, Studien..., S. 230f.; G. Schmoller, Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte, Berlin 1921, S. 179 f. 178 (Wilhelm Anton) von Klewitz, Geschichte und Darstellung des Südpreußischen Schulwesens, in: Neue Berlinische Monatsschrift, Bd. 14 (1805), S. 161. 179 Jürgen Bona Meyer, Friedrich's des Großen Schulregiment, in: Ders. (Hrsg.), Friedrich's des Großen Pädagogische Schriften..., S. 79; Otto Heike, Die Provinz Südpreußen. Preußische Aufbau- und Verwaltungsarbeit im Warthe- und Weichselgebiet 1793— 1806 (= Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas, Bd. 12), Marburg-(Lahn) 1953, S. 52f.; Max Kolbe, Das Südpreußische Posener Schullehrer-Seminar, in: Festschrift zur Feier des 100jährigen Bestehens des PosenRawitscher Königlichen Schullehrer-Seminars 17. bis 19. Oktober 1904, Rawitsch 1904, S. 7; grundlegend jetzt I. C. Bussenius, Die preußische Verwaltung..., hier S. 255 mit Anm. 2, auch zur Frage der Existenz der in den Staatshandbüchern erwähnten Konsistorien, die unter dem Geistlichen Departement und dem Oberschulkollegium standen (ebda, auch zu Klewitz als Bearbeiter der Schulsachen im südpreußischen Provinzialdepartement); siehe zu den Konsistorialkollegien in Südpreußen auch A. C. Holsche, Geographie und Statistik..., Bd. 2, S. 265, zu den katholischen Ressortverhältnissen S. 540. Auf die Episode der an die frühere polnische Verfassung anschließenden südpreußischen Edukationskommission, die aber nicht in Aktion trat, siehe zusammenfassend I. C. Bussenius, Die preußische Verwaltung..., S. 257ff.; ihre Instruktion bei M. Lehmann (Hrsg.), Preußen und die katholische Kirche..., Bd. 7, Leipzig 1894, Nr. 439, S. 576—579, datiert 3. Mai 1797; aus der Literatur sei verwiesen auf Paul Schwartz, Die preußische Schulpolitik in den Provinzen Südpreußen und Neuostpreußen (1795—1806), in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 1 (1911), S. 156 f.; die frühere polnische Gesetzgebung wurde auf preußischer Seite durchaus positiv bewertet, doch ihre mangeVnde Realisierung kritisiert, siehe in diesem Sinne W. A. von Kie-witz, Geschichte und Darstellung..., S. 161.

Kirchenregiment

119

und Schule

dende Neuerung, die das Schulwesen in den Kompetenzbereich der Verwaltungsorgane neuen Typs, der Kriegs- und Domänenkammern, also der späteren „Regierungen" des 19. und 20. Jahrhunderts, legte, gelangte zuerst mit dem neuostpreußischen Ressortreglement vom 3. März 1797 zum Durchbruch. Nach durchaus grundsätzlichen, nicht speziell auf das Schulwesen bezogenen Überlegungen, wurden im Zuge einer generellen Neubestimmung der Grenzen zwischen J u s t i z und Verwaltung nunmehr in dieser Provinz den Kriegs- und Domänenkammern die geistlichen- und die Schulsachen übertragen. 1 8 0 Diese hatten nun für die Schulen aller Konfessionen

zu sorgen. An den Kam-

mern

„Geistliche

wurde zu diesem

Commission"

gebildet. 181

Zweck je eine

und

Schul-

Das Ressortreglement von 1803 für die ange-

fallenen Entschädigungsländer war sodann nur „eine ziemlich wörtliche Wiederholung des neuostpreußischen von 1797". 1 8 2 Mit dem ostpreußischen Ressortreglement vom 21. Juni 1804 wurde dann erstmals in einer „alten" Provinz im Zuge der strikteren Trennung von Justiz und Verwaltung den Kammern die „Direction und Aufsicht über alle Schulund Erziehungsanstalten und die dabey angestellten Lehrer" übertragen. 183 Am 1. September desselben Jahres wurde, wie auch die neuere Siehe Walther Hubatsch (Hrsg.), Urkunden und Akten zur Geschichte der preußischen Verwaltung in Südpreußen und Neuostpreußen 1975—1806, bearb. von Ingeburg Charlotte Bussenius, Frankfurt am Main-Bonn 1961, Nr. 185, S. 331 f.; Reglement vom 3. März 1797 (Regest); siehe zur Vorgeschichte O. Hintze, Preußens Entwicklung zum Rechtsstaat..., S. 141 ff., vgl. S. 161; L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 250; siehe auch Kurt von Raumer, Friedrich Leopold von Schrötter und der Aufbau Neu-Ostpreußens, in: Historische Zeitschrift, Bd. 163 (1941), S. 298. 180

181 Siehe das Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., Jahrgang für 1798, S. 96 (Kammer Bialystock), danach bestand die Kommission aus Räten der Kammer, zwei aus der Regierung und einem Fiskal; ferner (auch zur Kammer in Plock) I. C. Bussenius, Die preußische Verwaltung..., S. 268; W. Hubatsch (Hrsg.), Urkunden und Akten..., Nr. 340, S. 446 (Bericht Schrötters vom 13. September 1797) und Anm. 1, ferner Nr. 364, S. 479; August Gans, Das neuostpreußische Lehrerseminar in Lyck. (Ein Beitrag zur Geschichte der Kulturpolitik der alten preußischen Monarchie), in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 28 (1938), S. 57.

O. Hintze, Preußens Entwicklung zum Rechtsstaat..., S. 149. So das „Reglement über die Vertheilung der Geschäfte zwischen den LandesCollegien in Ost-Preußen und Litthauen" vom 21. Juni 1804, in: Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 11, Nr. 31 zu 1804, Sp. 2603—2628, hier Sp. 2609 ff.; Sp. 2611 zur besonderen Stellung der Königsberger Kammer in Schulsachen; aus der Literatur siehe C. Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts..Bd. 2, S. 363; zur Entstehung und Bedeutung dieses Reglements ist zu vergleichen O. Hintze, Preußische Reformbestrebungen..., S. 523 ff.; L. Tümpel, Die Entstehung..., S. 250f.; W. Neuge182

183

120

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

Schulgeschichtsforschung für die Grafschaft Mark hervorgehoben hat, diese Regelung in den westlichen Gebieten, im Bereich der Kriegs- und Domänenkammer Hamm, eingeführt. 184 Wenngleich bei Ausbruch des Krieges im Jahre 1806 an der Formulierung eines Ressortreglements für Westpreußen noch gearbeitet wurde, so war doch schon vor Jena und Auerstedt die Übertragung auch der Schulangelegenheiten an die neuen Verwaltungsorgane wohl eingeleitet, aber erst in einigen Provinzen abgeschlossen. 185 Die Überlegungen über eine grundsätzliche Reform der preußischen Behördenorganisation, die schon vor der Reorganisation durch den Freiherrn vom Stein eine intensive Diskussion in der preußischen Bürokratie bestimmten, hatte nur in den genannten Provinzen zu einem grundsätzlichen Bruch mit der Tradition geführt, die in den brandenburgischen Zentralregionen des preußischen Staates auch im Jahre 1806 durch die bis in das 16. Jahrhundert zurückreichende Kontinuität der Konsistorialkollegien gekennzeichnet war. Schule

und geistliche

seit dem 16.

Aufsichtsfunktion

Jahrhundert

Das Verhältnis von Schule und absolutistischem „Staat" ist durch eine Untersuchung der zentralen oder provinzialen Organe landesherrlichen Schulregiments allein nicht zureichend zu bestimmen. Für die Frage nach dem Zäsurcharakter des preußischen Absolutismus für die Bildungsgeschichte oder dem Fortwirken traditionaler Strukturen ist die von dem Oberkonsistorial- und Oberschulrat Zöllner attestierte ungeschmälerte Wirksamkeit der Inspektoren und Prediger in Schulangelegenheiten 186 von um so größerer Bedeutung, als das formulierte Problem nicht nur institutionell, sondern auch unter Berücksichtigung des Grundproblems der Herrschaftsintensität landesherrlicher Gewalt in der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts beantwortet werden muß. 187 bauer, Zur neueren Deutung..., S. 560; aus der kirchengeschichtlichen Literatur siehe K. Rieker, Die rechtliche Stellung..., S. 322. 184 Siehe die detaillierten Ausführungen von M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 37 Anm. 104, S. 163; Κ. E. Jeismann, Tendenzen..., S. 90, S. 92; siehe auch schon W . Meiners, Das Volksschulwesen in Mark und Cleve..., S. 115; und F. Klein, Das niedere Schul- und Seminarwesen..., S. 17, S. 43. 185 L.Tümpel, Die Entstehung..., S. 251; vgl. damit O. Hintze, Preußische Reformbestrebungen. .., S. 525 mit Anm. 2; die Typologie Hintzes oben bei Anm. 5 und Anm. 5a. Siehe oben bei Anm. 175. is? V g l . die oben bei A n m . 142 zitierten Stellungnahmen z u m Verhältnis von „Staat" 186

Kirchenregiment

und

Schule

121

S c h o n im 16. J a h r h u n d e r t sollten u n t e r h a l b des K o n s i s t o r i u m s zu Kölln „Inspectorn"

„ a u f f alle P f a r r e r , K i r c h e n v n d S c h u l d i e n e r

in

vnsern Landen . . . sehen". Die Visitations- und Konsistorialordnung v o n 1 5 7 3 b e s t i m m t e gleichfalls, d a ß „ d i e P f a r r e r in v n s e r n H a u p t s t e d t e n jedes O r t h s , z u I n s p e c t o r n d e r n e h i s t v m b l i e g e n d e n F l e c k e v n d D o r f fer v e r o r d e n t w e r d e n " sollten.188 V i c t o r H e r o l d hat insbesondere in s e i n e r E d i t i o n d e r K i r c h e n v i s i t a t i o n s a b s c h i e d e u n d - R e g i s t e r , die i m 16. u n d 17. J a h r h u n d e r t für die P r i g n i t z erstellt w u r d e n , darauf hinweisen k ö n n e n , d a ß in v e r s c h i e d e n e n F ä l l e n s c h o n i m 1 6 . J a h r h u n d e r t die D ö r f e r s o z u I n s p e k t i o n e n z u s a m m e n g e f a ß t e r s c h e i n e n , wie sie d a n n bis in d a s 1 8 . J a h r h u n d e r t k i r c h l i c h u n v e r ä n d e r t o r g a n i s i e r t b l i e b e n . 1 8 9 und Schule am Beispiel des Oberschulkollegiums. Es bleibt der grundsätzliche Zweifel, ob die „Verstaatlichung der Schule" aus der Untersuchung von Institutionen, mögen sie in der Residenz oder in einem zentralen Provinzort ansässig gewesen sein, beziehungsweise aus der Betrachtung ihrer Befehle und Verfügungen auch nur annäherungsweise erschlossen werden kann. Die empirische Erhellung des tatsächlichen Aufeinandertreffens von landesherrlicher Gewalt und Schule muß die bisherigen Lehrmeinungen überprüfen und gegebenenfalls korrigieren helfen. Der orts- und landesgeschichtlichen Forschung eröffnet sich zumal bei der schwierigen Quellenlage damit ein fruchtbares Arbeitsfeld. íes £)j e Visitations- und Konsistorialordnung von 1573 in dem Druck bei C. O . Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., Teil 1, Nr. 7, Sp. 281, mit der Überschrift „Von den Inspectorn (,) so an stat der Superintendenten verordent"; die Inspektoren sollten jährlich „alle Pfarrer, Kirchendiener vnd Schulmeister, in ihrer Reuir gelegen, Visitiren." Nach Sp. 283 sollten die Inspektoren entweder an die Visitatoren oder direkt an das Konsistorium berichten; siehe ferner H . von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung..., S. 87; auf die Entwicklung der Generalsuperintendenten kann hier nicht näher eingegangen werden, vgl. für das frühe 18. Jahrhundert G. Pariset, L'Etat..., S. 152, S. 154. 189 Siehe Victor Herold (Hrsg.), Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -Register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Bd. 1: Die Prignitz (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, Bd. 4), Berlin 1928—1931, S. 381 f. (Inspektion Perleberg); a.a.O., S. 217, S. 511, weist Herold darauf hin, daß die im 16. Jahrhundert erscheinenden Inspektionen Putlitz und Lenzen schon früher als „Terra Putlitz" und „Terra Lenzen" gefaßt werden können; siehe weiter S. 69 f. Zur Kontinuität des Kirchenkreises Wusterhausen seit der ersten Visitation von 1541 siehe dens. (Hrsg.), Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede..., Bd. 2, S. 233, zu Wusterhausen, der aber diesen Fall als selten kennzeichnet; ferner, auch zu den Inspektionsbezirken in Anknüpfung an die „Sedes" in vorreformatorischer Zeit, sowohl a.a.O., Bd. 1, S. 681 (Wittstock), als auch insgesamt K. Themel, Die Entstehung der Kirchenkreise..., passim; Friedrich Holtze, Geschichte der Mark Brandenburg (= Tübinger Studien für Schwäbische und Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 3, Heft 1), Tübingen 1912, S. 51; V. Herold, Das Cöllnische Konsistorium..., S. 33 f.; siehe auch E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen..., Bd. 3, S. 14.

122

/. Absolutistischer

Staat,

Ständegesellschaft

und

Schulregiment

F ü r das G e b i e t des b r a n d e n b u r g i s c h e n Bistumssprengeis stellte G e b a u e r eine w e i t g e h e n d e K o n t i n u i t ä t der „kirchlichen V e r w a l t u n g s d i strikte" v o n d e r v o r r e f o r m a t o r i s c h e n Z e i t bis in das 20. J a h r h u n d e r t f e s t . 1 9 0 Sicher ist, d a ß die Einteilung der I n s p e k t i o n e n z u Beginn des 1 8 . J a h r h u n d e r t s die V e r h ä l t n i s s e z u r Z e i t der G e n e r a l v i s i t a t i o n des J a h r e s 1 6 0 0 widerspiegelt. In d e r ganzen M a r k Brandenburg sind u m 1 7 0 0 6 5 I n s p e k t i o n s b e z i r k e f e s t z u s t e l l e n . Ein R e g i s t e r in d e r Boninschen S a m m l u n g gibt f ü r die K u r m a r k 51 an. 1 9 1 W a r im gesamten 1 8 . J a h r h u n d e r t „die K i r c h e n k r e i s - K o n s t a n z in der N e u m a r k ungebrochen" , 1 9 2 so sind in d e r K u r m a r k in dieser Zeit einige regionale V e r ä n d e r u n g e n eingetreten, so e t w a in der Einrichtung der Inspektion W e r d e r ( 1 7 1 8 ) o d e r — gleichfalls u n t e r Friedrich W i l h e l m I. — in der S c h a f f u n g der I n s p e k t i o n e n K ö n i g s W u s t e r h a u s e n u n d Fehrbellin. 1 9 3 U m 1 8 0 0 w e r den in d e n H o f s t a a t s h a n d b ü c h e r n 5 6 lutherische I n s p e k t i o n e n in der K u r m a r k und 13 I n s p e k t i o n e n in der N e u m a r k ausgewiesen. 1 9 4 A u c h in der M a r k B r a n d e n b u r g blieb also die S t r u k t u r der K i r c h e n und S c h u l a u f s i c h t u n t e r h a l b d e r Konsistorialkollegien u n v e r ä n d e r t in

1,0 Joh. H. Gebauer, Die Entstehung der Diözese Dom-Brandenburg, in: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte, 4. Jg. (1907), S. 110. 191 Siehe Gerd Heinrich, Kirchen und Konfessionen um 1800 (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Lieferung 55. Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin), Begleittext, Berlin-New York 1977, (S. 3); B. von Bonin (Hrsg.), Entscheidungen..., S. 578—598. 1,2 So G. Heinrich, Kirchen und Konfessionen..., (S. 5), wo zugleich auf die siedlungsbedingte Teilung der Inspektion Landsberg a. d. W. und auf eine Veränderung des Kirchenkreises Friedeberg hingewiesen wird. 195 Neben a.a.O., (S. 4), siehe Friedrich Gustav Lisco, Zur Kirchengeschichte Berlins. Ein geschichtlich-statistischer Beitrag, Berlin 1857, S. 147 ff. (auch zur 1718 geschaffenen reformierten Inspektion); ferner G. Pariset, L'Etat..., S. 157, S. 158 zur lutherischen Inspektionsgliederung der gesamten Monarchie. 1,4 So das H andbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat..., Jahrgang 1798, S. 259—261; die Zahl für die Kur- und Neumark ebenso bei A. F. Büsching, Erdbeschreibung. Achter Theil..., S. 241; außerdem neben der reformierten Dom- und der Parochialkirche in Berlin 5 reformierte Inspektionen (zu ihrer Einrichtung 1713 siehe C. Bornhak, Geschichte..., Bd. 2, S. 131 f.; zur Synodalverfassung a.a.O., S. 130) und 41 deutschreformierte Prediger; leicht abweichend davon M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg. .., S. 118 mit Anm. 1 (60 lutherische Inspektionen in der Kurmark), hier wird ζ. B. die Stadt- und die Landinspektion Berlin unterschieden. F. W. A. Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung..., S. 187 Anm. (59 Inspektionen); nach Bratring und der Topographie von P. J. G. Hoffmann zählt G. Heinrich, Kirchen und Konfessionen..., (S. 5), und ders., Brandenburg II..., S. 118, 71 (lutherische) Inspektionen in der Mark Brandenburg insgesamt.

123

Kirchenregiment und Schule

der Verfassung, wie sie sich in den deutschen protestantischen Territorien ganz allgemein im 16. Jahrhundert ausgebildet hatte. 1 9 5 In Pommern lassen sich gleichfalls Inspektoren (unter der Amtsbezeichnung eines Präpositus) schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts erkennen; in Ostpreußen war der Titel eines Erzpriesters weit verbreitet. 1 9 6 Im Herzogtum Magdeburg wurden Inspektoren unmittelbar nach dem Anfall an Brandenburg, nämlich 1681, eingesetzt, doch war dies keineswegs die Regel; in Halberstadt scheinen Inspektionen erst 1738/39 eingerichtet worden zu sein. 197 Es darf als bemerkenswert bezeichnet werden, daß die Ernennung eigener Schulinspektoren im Oberkonsistorium des 18. Jahrhunderts durchaus erwogen worden ist. Anton Friedrich Biisching wies kurz nach seiner Berufung in dieses Kollegium auf den zu erwartenden Nutzen hin, „wenn man in jeder Provinz einen tüchtigen Mann zum Landschulen Inspector verordnete", der jede Schule jährlich einige Male zu besuchen und über bedeutendere Beobachtungen an das jeweilige Provinzialkonsistorium zu berichten haben sollte. 198 Von dem tradierten T y p der Beaufsichtigung der Kirchen und des Schulwesens durch zu Inspektoren ernannte Prediger wurde aber zunächst allein in Schlesien partiell abgewichen — in dieser Provinz kam es tatsächlich für die katholischen Schulen zu einer Neuerung. Es seien, so hieß es am 30. Oktober 1765 in einem Immediatbericht des Ministers von Schlabren-

195

Vgl. E. Sehling, Geschichte

1.6

Siehe Christian Friedrich Wutstrack, Kunze

Beschreibung

der protestantischen

von dem königlich-preußischen

Kirchenverfassung...,

S. 28—30.

historisch-geographisch-statistische

Herzogthume

Vor- und

Hinterpommern,

Stettin 1793, S. 252, seit 1650 sei die Bezeichnung Inspektor üblich geworden; zu Ostpreußen: neben dem Handbuch

über den Königlich

Preußischen

Hof und

Jahrgang 1798, S. 271 (26 Inspektionen) die Angabe bei A. F. Büsching, Große schreibung. Handbuch..., 1.7

Zweiter

Band...,

Staat..., Erdbe-

S. 310, der 1784 24 Inspektionen zählt; L. von Baczko,

Bd. 2, 2. Abt., S. 19, nennt 1803 23.

Siehe zu Magdeburg F. Danneil, Geschichte des evangelischen

S. 74 f.; C. L. Oesfeld, Topographische

Beschreibung..

Halberstadt siehe W . Werner, Die Entwicklung...,

Dorfschulwesens

.,S. 95, nennt 18 Inspektionen; zu Bd. 1, S. 69 f.; zur Ernennung von

Inspektoren in Westpreußen siehe den „Ministerialerlaß an das Oberhof- und Landesgericht Marienwerder" vom 17. Mai 1773 (nach einem von Zedlitz gezeichneten Konzept) bei M. Bär, Westpreußen...,

Bd. 2 (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchi-

ven, Bd. 84), Leipzig 1909, N r . 196, S. 197—199, hier S. 198. 1.8

G.St.

Α., Berlin-Dahlem,

Pr. Br. Rep. 2 B., Abt. II, Generalia Nr. 3822 (Entwick-

lung der Landschulen), Denkschrift Büschings vom 21. November 1767; J . J . Hecker stimmte dem am 22. Februar 1768 unter Hinweis auf einen von ihm 1764 gemachten Vorschlag gleichen Inhalts bei; vgl. dazu bei Anm. 212.

124

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

dorff, „in jedem Kreise Schul-Inspectores bestellt, welche von denen Mängel zuforderst an das General-Vicariat-Amt referiren; und wann dieses seinen Bericht an mich davon abgestattet, so werden solche redressiret". 199 Das schlesische Reglement für die katholischen Schulen vom 3. November 1765 sprach von „noch besonders zu bestellenden Schul-Inspectores". 200 Nach der Mitteilung von Franz Volkmer sind bis 1766 die 25 Ernennungen in der Tat nachweisbar. Faktisch wurden jedoch wiederum die „Schulinspektoren" „aus den höheren Geistlichen genommen". 201 Auch das neue Schulreglement von 1801 scheint in dieser Beziehung keine grundsätzlichen Veränderungen bewirkt zu haben, mochte auch ausdrücklich die Trennbarkeit der Funktionen von Erzpriester und Schulinspektor betont worden sein.202 Entschiedene Neuerungen sind vor 1806/07 immerhin im Bereich der Kriegs- und Domänenkammer zu Hamm in der Ernennung von Schulkommissaren und in der Einrichtung von eigenen Schulaufsichtsbezirken zu registrieren sowie in der Bestellung der Direktoren der beiden jüngst begründeten südpreußischen Seminare zu Posen und Lowicz zu „Visitatorfen] der Dorf- und Stadtschulen" mit dem Auftrage, jährlich ein Fünftel der Schulen zu „besuchen" .203 Werner Hindahl hat, freilich ohne die Entstehung der Inspektorats-

199

Abdruck des Berichtes bei M. Lehmann (Hrsg.), Preußen und die katholische Kirche..., Bd. 4, Nr. 254, S. 255; zu der angesprochenen Problematik zuletzt: E. Fooken, Die geistliche Schulaufsicht..., S. 125. 200 Benutzt wurde der mit der Korn'schen Sammlung verglichene Abdruck bei L. von Rönne (Hrsg.), Das Unterrichts-Wesen..., S. 140; zum Folgenden siehe (Franz) Volkmer, Johann Ignaz von Felbiger und seine Schulreform. Ein Beitrag zur Geschichte der Pädagogik des 18. Jahrhunderts, Habelschwerdt 1890, S. 31. 201 So mit aller Deutlichkeit die im Jahre 1776 erschienene Nachricht von der Verbesserung der römisch-katholischen Schulen im Herzogthum Schlesien und der Grafschaft Glatz..., S. 239; siehe dazu ferner Johann Ignatz von Felbinger, Kleine Schulschriften. Nebst einer ausführlichen Nachricht von den Umständen und dem Erfolge der Verbesserung der katholischen Land- und Stadt-Trivialschulen in Schlesien und Glatz, BambergWürzburg 1772, S. 487; Felbiger nennt die 25 schlesischen Schulinspektoren, sie alle sind Kleriker verschiedener Grade mit Ausnahme des Seminarinspektors zu Ratibor, bei dem dies nicht erkennbar ist. 202 Dies wird aus den Ausführungen von Α. M. Kosler, Die Preußische Volksschulpolitik. .., S. 107, geschlossen werden dürfen. 203 So die Mitteilung aus dem Jahre 1805 bei W. A. von Klewitz, Geschichte und Darstellung..., S. 189 f.; zu Westfalen mit der Jahresangabe 1805/06 siehe M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform als Gesellschaftsinitiative..., S. 107f., S. 111 f.; Κ. E. Jeismann, Tendenzen..., S. 92, der die Schulkommissariate mit dem Jahr 1804 ansetzt.

Kirchenregiment

und

Schule

125

Verfassung im 16. Jahrhundert zu übersehen, in der „Kreisschulaufsicht" der Inspektoren bereits eine, wie er sagte, „staatliche Angelegenheit" zu erkennen geglaubt. Die Inspektoren oder, wie sie seit 1806 bezeichnet wurden, 204 Superintendenten seien „nicht mehr kirchliche, sondern Staatsbeamte" gewesen.205 Richtig ist, daß in verschiedenen Provinzen Brandenburg-Preußens im 18. Jahrhundert für die Tätigkeit der Inspektoren Bestimmungen ergingen, so daß für die ganze Monarchie Verfügungen über ihre Pflichten und Obliegenheiten existierten. 206 Von besonderer Bedeutung für ihre Funktion bei den Kirchenvisitationen war etwa die Instruktion vom 5. März und das Reglement vom 6. Mai 1715 zunächst für die Kurmark, die auch in der zweiten Jahrhunderthälfte galten; 207 jährlich, bei mehr als 15 Predigern in der Inspektion aber alle zwei sowie bei mehr als 30 Kirchdörfern alle drei Jahre sollten diese visitiert werden. Die Inspektoren hatten nicht nur Kirchen und Schulen zu überprüfen, sondern sie sollten die Schulbedienten examinieren und den Konsistorien ebenso über Vakanzen berichten wie über schadhafte Pfarr- und Schulgebäude. 208 Nach der revidierten Kirchenordnung für das Herzogtum Magdeburg hatten die Inspektoren ganz allgemein auf dem Lande für den Schulbesuch zu sorgen, die Eltern zu ermahnen und zusammen mit der Obrigkeit

204

Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 12, Nr. 117 zu 1806, Sp. 739 f., Zirkular vom 28. August 1806: Vereinheitlichung der bisher in den verschiedenen Provinzen gebräuchlichen Titel. 205 W. Hindahl, Die Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen..., S. 39. 206 Siehe ζ. B. a.a.O., S. 37 ff. zu Generallandschulreglement und Allgemeinem Landrecht. 207 Abdruck in: C. O . Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., Teil 1,1. Abt., N r . 90, Sp. 513—522, zu Fragen nach Schulbauten und Schuleinkünften im Winter und im Sommer (Sp. 520); Nr. 91, Sp. 521—524, auch zu Frequenz und technischen Einzelheiten; bezeichnenderweise wurden hier die Schulen nicht erwähnt, die Visitation ist hier ganz Kirchenvisitation. Zur Fortgeltung siehe J. H . F. Ulrich, Ueher den Religionszustand..., Bd. 1, Leipzig 1778, S. 253 ff., S. 267 ff. Ein beide Stücke zusammenfassendes Edikt erging am 27. Juni 1715 für Magdeburg, siehe C. O . Mylius (Hrsg.), Continuatio Corporis Constitutionum Magdeburgicarum..., N r . 71, S. 160— 171, mit einer auf die Magdeburger Kirchenordnung Bezug nehmenden Ergänzung (a.a.O., S. 171-180). 208 Aus verschiedenen Stücken, vgl. z. B. C. O . Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., Teil 1, 2. Abt., Nr. 137, Sp. 267f., Verordnung vom 15. Dezember 1736 (unter Bezugnahme auf die Verordnung vom 30. September 1718, α. α. Ο., N r . 118 Sp. 226—236); Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 4, N r . 3 zu 1766, Sp. 51 f., Verordnung vom 2. Januar 1766, und a.a.O., N r . 64 zu 1770, Sp. 7387f., Zirkular

126

I. Absolutistischer

Staat, Ständegesellschaft

und

Schulregiment

„zulänglichen Zwang" anzuwenden sowie gegebenenfalls an Regierung und Konsistorium zu berichten. 209 Sowohl die „geistliche Schulaufsicht" der Inspektoren als auch die Sorge der Ortspfarrer für die Schulen ihrer Sprengel210 traf schon im 18. Jahrhundert eine zunehmend stärker werdende Fundamentalkritik. 211 Allerdings sollte zwischen tatsächlichem individuellem Versäumen von Amtspflichten seitens der Geistlichen und dem traditionalen Strukturcharakter der Inspektorats- und der Pfarrverfassung bezüglich ihrer Verbindung mit dem Schulwesen klar unterschieden werden. Die landesherrlichen Verfügungen des 18. Jahrhunderts hatten an der im 16. Jahrhundert entstandenen lokalen Kirchen- und Schulorganisation grundsätzlich nichts geändert, mochte auch die „staatliche" Normgevom 6. September 1766; a.a.O., Bd. 3, Nachtrag Nr. 62, Sp. 1327f., Zirkular vom 28. Februar 1760, an alle Inspektoren der Kurmark (Prüfung und Probelektion der Küster und Schulmeister). Für Pommern wurde laut Instruktion vom 15. September 1736 alle drei Jahre eine Spezial-Kirchenvisitation gehalten, bei der auch nach den Schulen zu fragen war(L. von Rönne [Hrsg.], Das Unterrichts-Wesen..., S. 126 f., gilt für Stadt und Land). Vgl. zu alledem O. Hintze, Einleitende Darstellung..., S. 217; siehe auch im ZWEITEN T E I L , D R I T T E S KAPITEL, A n m .

247.

Revidirte und nach denen neuern Königlichen Edicten, Mandaten und Rescripten eingerichtete und vermehrte Kirchen-Ordnung im Hertzogthum Magdeburg, wie auch in der Grafschaft Manßfeld Magdeburgischer Hoheit, sammt einem vollständigen Anhange. .., Magdeburg 1739, S. 225 f. (Kap. 32, § 4), siehe ferner S. 223 ff. 210 Es sei an dieser Stelle summarisch verwiesen auf den Auszug aller bisher ergangenen Königl. Preußl. und Kurfürstl. Brandenburgischen Geseze, Befeie und Verordnungen, Welche die Schulen; so wol Gymnasia, als auch niedrige Stadt- und Dorf; Lateinische und Teutsche, öffentliche und besondere Schulen; Sammt den in denselben Lehrenden und Lernenden und das Schulwesen insgemein betreffen..., Berlin 1764, S. 9f., S. 86—90; siehe ferner zu „Aufsicht und Direction" der „gemeinen Schulen" das Allgemeine Landrecht..., 2. Teil, 12. Titel, § 12—15, in der Ausgabe von H. Rehbein/O. Reincke, Bd. 4, 5., verb. Aufl., Berlin 1894, S. 333 zu Ortsobrigkeit und Ortsgeistlichkeit; zur „Schulinspektion" des Pfarrers schon im 16. Jahrhundert hinsichtlich der Stadtschule siehe Beate Fröhner, Der evangelische Pfarrstand in der Mark Brandenburg 1540—1600, in: Wichmann Jahrbuch für Kirchengeschichte im Bistum Berlin, Bd. 19/20 (1965/66), S. 27 f.; siehe ferner H. von Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung..., S. 87; J . H. F. Ulrich, Ueber den Religionszustand..Bd. 3, Leipzig 1779, S. 346. 211 Grundsätzlich jetzt E. Fooken, Die Geistliche Schulaufsicht und ihre Kritiker..., zu den Angriffen besonders S. 153—200; M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 175 f., S. 184; Karl Erlinghagen, Die Säkularisierung der deutschen Schule, Hannover-BerlinDarmstadt-Dortmund 1972, S. 37. Zum Problem der Schulaufsicht im 19. Jahrhundert vgl. Eugene N. Anderson, The Prussian Volksschule in the Nineteenth Century, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Entstehung und Wandel der moderen Gesellschaft. Festschrift für Hans Rosenberg zum 65. Geburtstag, Berlin 1970, S. 269 u. 276. 2(22,5) 10 6 30 1 1 3 1

19 •(18,4) 13 1 20 1 2 1

2 2

2

32

27

3 4

(28,3) (53,3)

17. 600

Keine Angaben für 1770. Wie Anm. 1 inklusive Soldin.

1 1 1 21 587

328

II. Schule

im absolutistischen

Staat

nichtschulischer Tätigkeit materiell besser ausgestattet. Dies aber bed e u t e t e , d a ß f ü r die b e s s e r d o t i e r t e n K ü s t e r s t e l l e n a u c h die A u s s i c h t , e i n e n g u t e n M a n n z u i h r e r B e s e t z u n g z u e r h a l t e n , w e i t g r ö ß e r w a r , als für Schulstellen e t w a auf Filialen, für die d e r K ü s t e r des M u t t e r d o r f e s m i t z u s o r g e n h a t t e u n d f ü r die e r d a n n a u c h die

entsprechenden

G e b ü h r e n e i n z i e h e n k o n n t e . D e s h a l b w a r „ a m d ü r f t i g s t e n [ . . . ] in d e r R e g e l f ü r die S c h u l e n auf den Filialen g e s o r g t " , eben

„vornehmlich

d a r u m , weil d e r S c h u l h a l t e r bei d e n F i l i a l g e m e i n d e n selten

zugleich

K ü s t e r ist, u n d d a h e r aller d e r b e s t i m m t e n u n d zufälligen E i n n a h m e n e n t b e h r e n m u ß , die an d e n K ü s t e r d i e n s t geknüpft sind".82 N i c h t der Schulmeister, sondern vielmehr der Küster war der bessere Lehrer.83 Die Verknüpfung

des

Küsteramtes

mit dem

Schulamt

war

gleichsam eine N o t w e n d i g k e i t , u m den Standard ländlichen

also

Unter-

r i c h t s n i c h t s i n k e n z u l a s s e n . A m B e i s p i e l d e r I n s p e k t i o n Z o s s e n sei d a s unterschiedliche

Einkommensniveau

von

(auch

schulehaltenden)

K ü s t e r n und Schulmeistern auf d e m L a n d e exemplifiziert

(TABELLE

15).84 82

F. Gedike, Beantwortung

der Frage: Haben wir zu wenige oder zu viele

Schulen?...,

S. 6; auch sei auf den Filialen die Aufsicht der Pfarrer sehr viel geringer; siehe ebda,

die

bemerkenswerte Aussage, „daß eine Schule, die ihrem Lehrer kaum 10 Thaler einträgt, beinahe so gut als gar keine ist", da von dem entsprechenden Schulmeister nur wenige Kenntnisse erwartet und verlangt werden könnten; siehe G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

Pr.

Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 4517 (Müncheberg), Visitationsbericht des Inspektors Winter vom 3. März 1783 zu der schlechten Qualität der Schulmeister auf den Filialdörfern auf Grund der geringen Besoldung; vgl. zu der diskutierten Problematik a.a.O.,

Rep. 40, Reg. Bezirk Potsdam, Nr. 1581 (Werbellin), Bericht des

Propstes Calov vom 6. Dezember 1785; weiter F. S. G . Sack, Ueber die

Verbesserung...,

S. 18. 83

Vgl. dazu L. A. Baumann, Ueber die Mängel...,

Wünsche

und Vorschläge,

betreffend...,

die Verbesserung

S. 85; Friedrich Herzberg,

der Landschulen

und

Ideen,

Landküsterseminarien

Berlin 1793, S. 29; siehe auch den Bericht des Inspektors Milo zu Frank-

furt a. O . , vom 25. Januar 1766, G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II,

Spezialakten Kurmark, Nr. 4183 (Einsendung der Frankfurter Schulkataloge), zur Ablieferung der Schulkataloge: „Indessen haben die Catalogi der Küster etwas hierinnen zum voraus, weil die meisten Schuldiener, so keine Küster sind, auch die Geschicklichkeit im Schreiben nicht besitzen, die jene haben, und mehrentheils in höchstkümmerlichen Umständen leben, wie es die Catalogi ausweisen . . . " Zu den Problemen bei der Besetzung schlecht dotierter Schulmeisterstellen und zu den bisweilen mehrjährigen Vakanzen vgl. Nr. 916 (Senftenhütte), Bericht des Predigers Eichstädt vom 11. Sept. 1776; R . Schmidt, Die Amtsdörfer..., 84

S. 131.

Nach den 1798 von dem Inspektor K. F. Bauer, Etwas

Dorfschulmeister...,

über die Einkünfte

der

S. 698, mitgeteilten Zahlen; unter „Gehalt" wird hier verstanden

das Korndeputat (umgerechnet in Geldwert), andere Naturalien, „Schullohn und Acci-

Rekrutierung

und Besoldung der Lehrer

329

TABELLE 1 5

Jährliches „ Gehalt" der Küster und Schulhalter königlichen in der Inspektion

Patronats

Zossen

(1798)

Küster

Gehalt 13—20 T i r .



20—25 T i r .



Schulhalter 11 5

30—40 Tir.

1

40—50 Tir.

4

50—60 T i r .

2



80 T i r .

1



100 T i r .

21

-

Γ

1

Davon einer mit einem sog. Gnadengehalt aus königlichen Mitteln.

2

Dabei „aus einer besonderen Kasse 74 T h l r . " .

Die Unmöglichkeit, vom Schulamt allein zu leben, war dem Zossener Inspektor Bauer ebenso bekannt, 85 wie über die materielle Lage der Landschullehrer beziehungsweise auch der unterrichtenden Küster im Kreise der Berliner Oberkonsistorial- und dann Oberschulräte keine Illusionen herrschten und auch nicht herrschen konnten. 86 Dabei ist zu berücksichtigen, daß in Zahlen wie den in TABELLE 15 die Einnahmen in Geldwerte um- und eingerechnet worden sind, die tatsächlich aber in verschiedenen Naturalien gegeben wurden, wie denn überhaupt die Einnahmen der Landschullehrer — wie die der Lehrer in den Städten — neben der festen Besoldung und dem Schulgeld auch Naturalien und Nutzungen (neben den bezeichneten Küstergebühren) umfaßten. 87

dentien"; Wohnung, Garten und „andere Emolumente" (welche?) wurden nicht eingerechnet. Neben den tabellarisierten 27 königlichen Dorfschulmeisterstellen gab es in der Inspektion Zossen 5 Landschulen nichtköniglichen Patronats, a.a.O., S. 695 f. 85

Bauer a.a.O., S. 706: „Nur wenige möchten im Stande seyn, sich von den Einkünf-

ten ihres Amtes zu ernähren; traurig ists also, wenn Männer solche Stellen übernehmen, die nichts nebenbei verdienen können." 16

Vgl. z. B. den Aufsatz von Johann Julius Hecker aus dem Jahre 1751 bei E.

Clausnitzer (Hrsg.), Die Volksschulpädagogik..., von Zedlitz erste Vorlesung..., 87

S. 39; siehe ferner: Des Herrn Baron

S. 7 (1781); J . F. Zöllner, Ideen...,

S. 298.

Vgl. als zeitgenössische Schilderung neben a.a.O., S. 292, das schon zitierte Zosse-

ner Beispiel K. F. Bauer, Etwas Uber die Einkünfte...,

S. 696; S. 699: neun Küster und

acht Schulmeister erhielten als Teil ihres Einkommens Brote; zu weiteren Naturalabga-

330

II. Schule im absolutistischen Staat

Dabei kann die Tatsache vielfach überprüft und belegt werden, daß das eigentliche Schulgeld nur einen kleinen Teil der Einnahmen des ländlichen Lehrpersonals ausmachte, 88 wobei daran zu erinnern ist, daß mit dem Satz von sechs Pfennigen pro Kind und Woche, den auch das Generallandschulreglement proklamierte, ein sehr viel älteres Maß lediglich weiter gelten sollte, 89 wie überhaupt auch auf dem Lande eine starke Konstanz der Normen auch dann festgestellt werden kann, wenn es sich um Regelungen der materiellen Ausstattung der Küster beziehungsweise Schulmeister handelte. Dies bedeutete zum Beispiel im Falle des neumärkischen Dorfes Storkow, daß hier auch noch im Jahre 1786 die Matrikel des Jahres 1600 als Richtschnur galt, 90 in Pommern laut Wutstrack (1793) „nach 100jährigen Matrikeln (welche auf unsere Zeiten gar nicht mehr passen) äußerst geringe Einkünfte" den Kirchenund Schulbediensteten gezahlt wurden 91 oder in Ostpreußen die 1736 einmal festgesetzten Lehrereinkommen in den folgenden Jahrzehnten fortgalten, 92 aller auch im ostdeutschen Raum zu beobachtenden Preisben (zu Eigenverbrauch oder zum Verkauf) a.a.O., S. 700ff.; Ferdinand Beier, Aus vergilbten Blättern. Geschichte von Pankow, 2. Aufl., Berlin 1922, S. 69; Egon Dahlenburg, Birkenwerder

1359—1955. Aufzeichnungen und Betrachtungen zur 600jährigen

Geschichte einer märkischen Gemeinde, (Velten) 1955, S. 72. 88 Statistiken, die Landschullehrereinkommen der Mark Brandenburg oder ihrer Einzellandschaften in den Bestandteilen der erfaßten „Gehälter" ausweisen, liegen in dem verfügbaren Material nicht vor. Doch lassen zahlreich überlieferte Einzelfälle, die im Befund übereinstimmen, den Schluß plausibel erscheinen, daß die von A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule im historischen Prozeß..., S. 134, Anm. 7, aufgestellte Behauptung, das Schulgeld habe eine „Rolle als Haupteinnahmequelle für den Lehrer" gespielt, jedenfalls für die brandenburgischen Verhältnisse nicht zutrifft; wenn etwa im Falle der Schulstelle zu Herzfelde im Amt Rüdersdorf 1777 ausdrücklich festgestellt wurde, daß „die accidentien [d. h. die Gebühren für Taufen, Trauungen usw., — der Verf.] und das Schulgeld auch von keiner Bedeutung sind" (G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 597 [Herzfelde], Bericht des Inspektors Hanses vom 22. August 1777), so wird dieser Bericht durch zahlreiche Einkommensverzeichnisse bestätigt, die hier nicht im einzelnen nachgewiesen werden können. 89 Siehe oben im E R S T E N T E I L , V I E R T E S K A P I T E L bei Anm. 5 3 und im Z W E I T E N T E I L ,

ERSTES KAPITEL b e i A n m .

185 und

186.

G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 4394 (Storkow), Vermerk des jüngeren Irwing vom Anfang 1786 zum Dorf Storkow (Amt Frauendorf, Kreis Sternberg): „Nach der Matricul de 1600/: eine neuere ist nicht vorhanden/: giebt der Küster zu Storkow dem Schulmeister daselbst [!] 4 Schfl. Roggen für lauten..." " So im Jahre 1793 C. F. Wutstrack, Kurze historisch-geographisch-statistische Beschreibung. .., S. 256f., Anm. 382. 93 So nach einem aus dem Jahre 1787 stammenden Aufsatz P. Schwanz, Die Schulen der Provinz Ostpreußen..., S. 57. 90

Rekrutierung

und Besoldung der

Lehrer

331

S c h w a n k u n g e n ( u n d in d e r S u m m e : T e u e r u n g e n ) 9 3 u n g e a c h t e t . D a s h i e ß f e r n e r , d a ß die S c h u l m e i s t e r b e s o l d u n g d e m — q u e l l e n m ä ß i g freilich s c h w e r z u e r h e l l e n d e n — d ö r f l i c h e n E i n k o m m e n s n i v e a u d e r ländlic h e n U n t e r s c h i c h t z u g e o r d n e t w u r d e . In d e r I n s p e k t i o n Z o s s e n (vgl. TABELLE 1 5 ) galt s c h o n 1 7 6 4 als ü b l i c h , d a ß ein S c h u l m e i s t e r v o n d e n 2 4 T a l e r n u n d 4 G r o s c h e n , die j ä h r l i c h z w a n z i g S c h u l k i n d e r z a h l e n sollt e n , n i c h t leben k ö n n e ; selbst ein A c k e r k n e c h t e r h i e l t z u dieser Z e i t u m Z o s s e n ü b l i c h e r w e i s e n i c h t n u r 1 6 bis 2 0 T a l e r , s o n d e r n a u c h 2 4 E l l e n L e i n w a n d , freie K o s t , M i e t g e l d u n d a n d e r e L e i s t u n g e n , eine g l ü c k l i c h ü b e r l i e f e r t e M i t t e i l u n g , die i m m e r h i n e i n e n l o k a l e n V e r g l e i c h z u l ä ß t . 9 4 G e r a d e kleine G e m e i n d e n w a r e n a b e r a u c h n u r m i t M ü h e in d e r L a g e , ü b e r h a u p t einen S c h u l m e i s t e r z u b e z a h l e n , 9 5 d e n n sie w a r e n die e i g e n t lichen m a t e r i e l l e n T r ä g e r d e r ö r t l i c h e n S c h u l e . 9 6 D a r a u s f o l g t e , d a ß die S c h u l h a l t e r a u c h auf d e m L a n d e n i c h t n u r v o m P a t r o n a t s h e r r n , s o n d e r n z u g l e i c h v o n d e n D o r f b e w o h n e r n im h o h e n G r a d e a b h ä n g i g war e n , was b e d e u t e t e , d a ß d e m B e m ü h e n , n i c h t v o l l s t ä n d i g

gezahltes

S c h u l g e l d 9 7 e i n z u t r e i b e n , in d e r R e a l i t ä t sehr e n g e G r e n z e n g e z o g e n

93 Vgl. die Grafik bei Wilhelm Abel, Landwirtschaft 1648—1800, in: Hermann Aubin/Wolfgang Zorn (Hrsg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1971, Neudruck Stuttgart 1978, S. 524, insbesondere für die Zeit bis 1770 und sodann nach 1790; zum Verfall des Geldwertes im Siebenjährigen Krieg und zu den entgegengerichteten Maßnahmen in den 1760er Jahren vgl. H. Krüger, Zur Geschichte der Manufakturen..., S. 330; Stephan Skalweit, Die Berliner Wirtschaftskrise von 1763 und ihre H intergründe (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 34), Stuttgart 1937, S. 39, S. 44. 94 Bericht des Inspektors Ribbach zu Zossen an das Oberkonsistorium vom 21. Dezember 1764, G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Generalia Nr. 3822 (Einrichtung der Landschulen); die freie Kost der Ackerknechte wurde einem Wert von 12 Scheffeln Roggen gleichgesetzt, während der Schulmeister (neben dem Schulgeld) nur 5—8 Scheffel „und etwa 12 bis 16Metzen roher Kochspeise" erhielt. Vgl. auch L. A. Baumann, Ueher die Mängel..., S. 76, der den Stundenlohn von Tagelöhnern als über dem der Schulmeister liegend bezeichnete. 95 Vgl. so noch für das 19. Jahrhundert generell G. Kotowski, Bildungswesen..., S. 519; ferner P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 52 f., mit Hinweis auf die Probleme kinderreicher Familien; vgl. auch A. J . La Vopa, Prussian Schoolteachers..., S. 35. 96 Vgl. grundsätzlich M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 171; siehe auch die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts..., T . 2,12. Titel §§ 29, 34 (in der Ausgabe von H. Rehbein/O. Reincke [Hrsg.], Allgemeines Landrecht..., Bd. 4, S. 335 f.). S. 335 f.). 97 Siehe die farbige Schilderung von Anton Friderich Büsching, Beschreibung seiner Reise von Berlin nach Kyritz in der Prignitz, welche er vom 26sten September bis zum 2ten October 1779 verrichtet hat, Leipzig 1780, S. 51; zahlreiche Belege in den Akten bestäti-

332

II. Schule im absolutistischen

Staat

waren. 98 Die Zusammensetzung der Schulmeistereinkünfte mit ihren beachtlichen Naturalanteilen tat ein weiteres, die Einnahmen für die Gebenden manipulierbar zu machen und das insbesondere, wenn die Maße der Naturaldeputate nicht zweifelsfrei feststanden." So korrespondierte die durch landesherrliche Reglements unberührte Unsicherheit und unzureichende Höhe der ländlichen Lehrereinkünfte auch noch um 1800 direkt mit dem Zwang zur Rekrutierung der Schulmeister aus dem „Neben"-Erwerb gewährenden Landhandwerk. Absoluter

Staat und

Schulfinanzierung

Konnte der landesherrlichen Gewalt mitnichten die Bedeutung als entscheidender Faktor für Verbreitung und Dichte der Landschule in Brandenburg-Preußen zugebilligt werden, so bleibt die Frage einer gesonderten Beantwortung zu unterziehen, ob und mit welchen eventuell strukturbildenden Ergebnissen der frühmoderne preußische „Staat" in die für die Schulwirklichkeit gleichfalls grundlegende qualitative Beschaffenheit eingriff, soweit diese durch die materielle Ausstattung der (Dorf-)Schulstellen bedingt war, ob und in welchem Grade also der preußische Absolutismus auf die finanzielle Infrastruktur der ländlichen Schulen Einfluß nahm. Insofern besitzen Phänomene einer Sonderförderung 100 für konfes-

gen dieses Bild. P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 52 f., gibt an, daß im Jahre 1798 von den schulpflichtigen Kindern des Kreises Ziillichau rund 1014 Taler Schulgeld hätten gezahlt werden müssen; tatsächlich seien aber nur 260 Taler eingekommen. "" Ebda.; vgl. auch die aus eigener Anschauung formulierten Ausführungen des Landpfarrers J. F. Dahlenburg, Ueber die Reformation..., S. 37, der darauf hinwies, daß Landschulhalter auch berechtigt seien, für Kinder das Schulgeld zu fordern, die nicht zur Schule gekommen seien, „aber ich mögte ihm nicht rathen, von diesem Rechte Gebrauch zu machen". m Siehe K. F. Bauer, Etwas über die Einkünfte..., S. 698; A. J. La Vopa, Prussian Schoolteachers..., S. 19; siehe auch F. Vollmer, Friedrich Wilhelm I...., S. 127 mit Anm. 5; vgl. ferner G.St. Α., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 297 (Löhme), Bericht des Inspektors Merzdorf vom 13. März 1768, zur Verkürzung der Naturaleinkünfte des Küsters durch das Amt trotz Verordnungen von Kammer und Oberkonsistorium; für eine adlige Stelle siehe Nr. 730 (Criewen), Bericht des Inspektors Vogel vom 16. Dezember 1804, und andere Stücke. 100 Vgl. zu den Schulen auf Berg- und Hüttenwerken (Rüdersdorf, Himmelstädt usw.) als einem Sonderbereich die Studie von Heinz Helmert, Das Bildungswesen auf den fiskalischen Berg- und Hüttenwerken in Preußen am Ausgang des XVIII. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des Berufsbildungswesens (= Studien zur Geschichte der

Rekrutierung und Besoldung der Lehrer

333

sionelle Minoritäten nur einen entsprechend beschränkten Beweiswert. Dies gilt für den 1696 geschaffenen reformierten „Möns Pietatis", eine landesherrliche Stiftung von 100 000 Reichstalern, deren Zinsen für die geistliche Versorgung der reformierten Konfessionsangehörigen auch der Kurmark bestimmt waren und ihren „Schul-Dienern" zugute kommen sollten 101 und auch kamen. 102 Allerdings gab es um 1800 in der ganzen Kurmark überhaupt nur 46 deutsch-reformierte Schulen. 1021 Im gleichen Sinne sind die unter besonderen Konditionen arbeitenden Schulen der französischen Kolonie zu erwähnen. 103 Davon sind gleichsam typologisch solche Finanzierungsfälle zu unterscheiden, die sich auf das (Land-)Schulwesen einer Region, zum Beispiel einer Provinz, richteten, wie dies für den von Friedrich Wilhelm I. für Ostpreußen bestimmten Fonds von 5 0 0 0 0 Talern zu sagen ist, der gleichfalls unter der Bezeichnung eines „Möns Pietatis" geführt wurde. 104 Bei den ostpreußischen Retablissementsarbeiten war festge-

Berufsausbildung,Heft4), Berlin [Ost] 1955, insbesondere S. 8 6 f . , S . 94 f., S. 102—107, Stellen, aus denen eine intensive Sorge sowohl des Bergwerks- und Hüttendepartements als auch der Berg- und Hüttenämter für die Schulen auf den Werken hervorgeht. Siehe die „Stiftung des Montis Pietatis" vom 24. Dez. 1696, gedruckt bei C. O. Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..T. 6, Abt. 1, Nr. 198, Sp. 633—640, besonders Sp. 636; Odebrecht, Das Directorium Montis Pietatis in Berlin, in: Märkische Forschungen, Bd. 8 (1863), S. 237—240, hier S. 239 f.; W. Wendland, Siebenhundert Jahre..., S. 103. 101

Siehe die Beispiele für Zahlungen aus dem reformierten Möns Pietatis an reformierte Schulmeister in dem Band: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Generalia, Nr. 897 (Historische Nachrichten von den reformierten Kirchen und Schulen); es waren nur Zuschüsse neben den auch weiter zu entrichtenden Abgaben von Schulgeld, Akzidenzien usw. für den Schulmeister. 102a ρ v Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg..., S. 339. 102

Dazu C. Ancillon, Geschichte der Niederlassung..., S. 26; vgl. für die Residenz und das finanzielle Engagement des Kurfürsten G. Schulze, Bericht..., S. 5; Reinhold Michelly, Das Französische Gymnasium in Geschichte und Gegenwart, in: Festschrift zur Feier des 275jährigen Bestehens des Französischen Gymnasiums Collège Français fondé en 1689, Berlin 1965, S. 20 f. 103

104 Nach einem Kommunikat des ostpreußischen Etats-Ministeriums vom 20. Dezember 1735 an den Tribunalrat Wahrt (G.St.A., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabt., Staatsarchiv Königsberg, Rep. 5, Kriegs- und Domänenkammer Königsberg, T i t . 22 I, Nr. 2, Vol. 2 [Schulverbesserungen]) sollte für den Fonds — zu diesem Zeitpunkt war noch von 40 000 Talern die Rede — ein „Project, etwa nach dem Fuß des Waysenhauses" oder wie es sonst am besten sei, entworfen werden; die Korrespondenzen in T i t . 22 I, Nr. 1, Vol. 2 (Landschulen 1735—37), zeigen, daß die Fundation des 1696 gestifteten (reformierten) Möns Pietatis den Ausarbeitungen zugrunde gelegt wurde, wie sie sodann zu

334

II. Schule im absolutistischen Staat

stellt worden, daß für die laufende Unterstützung von Schulmeistern in armen Gemeinden 300 Taler (jährlich) erfordert würden, und es war „dabey in Vorschlag gebracht worden solche auff den Etat mit anzusetzen, Weilen Sie [das heißt die königliche Majestät — der Verf.] aber nicht gewillt, der Cassen mit solchen ausgaben zu beschweren, die dahin nicht gehören [!!], und dennoch den großen unglauben und Finsternüß, darin die Jugend aida stecket, gar woll erkennen, und höchst nöthig finden, auff Mittel und Wege zu dencken, dieselbe aus solcher Finsternüß heraus zu reißen", sollten die Zinsen des ausgesetzten Kapitals, das entsprechend zu verleihen war, für diesen Zweck verwendet werden; so reskribierte Friedrich Wilhelm I. am 18. November 1735, zugleich Einblick gewährend in die Stellung des Schulwesens in der Fiskalsystematik dieser Zeit. 105 Insbesondere die Schulmeister in den litauischen und polnischen Amtern, „wo die Bauern wegen armuth wenig oder nichts beytragen können", sollten jährlich 30 Taler „Tractament" erhalten. 106 Durch die Möglichkeit eines Verleihs zu 5 % konnte das Stammkapital sogar noch leicht vermehrt werden.107 Zudem waren freilich in unterschiedlicher Höhe, nach Ostpreußen zum Zwecke des Landschulbaus Beiträge aus den Kirchenmitteln der

der „Fundation" des Möns Pietatis vom 21. Februar 1737 führten (ein gedrucktes Exemplar: A.a.O.,

Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen T i t . 42a, N r . 696 [Möns

Pietatis 1736—1799]); vgl. dazu F. Terveen, Gesamtstaat

und

Rétablissement...,

S. I l l ff., auch zum Folgenden. 105

G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

20. Hauptabt., Staatsarchiv Königsberg, Rep. 5, Kriegs-

und Domänenkammer Königsberg, T i t . 22 I, N r . 2, Vol. 2 (Schulverbesserungen), Reskript an Lesgewang, Kunheim und Bülow sowie die Speziai- Kirchen- und SchulKommission; auch in diesem Stück wurde noch von 4 0 0 0 0 Talern ausgegangen, die, zu 5 % angelegt, jährlich immerhin 2000 Taler zur Verfügung gestellt hätten. Nach T i t . 22 I, N r . 1, Vol. 2 (Landschulen 1735—37) wurden die 5 0 0 0 0 Taler „aus dem neuen T r e s o r " genommen (Reskript vom 24. Februar 1736 und andere Stücke). 106

Dekret des Königs vom 29. Juli 1736 an den Minister Görne und das Etats-

Ministerium, in den zuletzt genannten Akten liegend, a.a.O.; Ausführungen Terveens (Anm. 104) F. Vollmer, Friedrich Heubaum, Geschichte

des deutschen Bildungswesens...,

wesen im Königreich

Preußen...,

siehe auch neben den

Wilhelm

/ . . . . , S. 76; A.

S. 167; A. Keil, Das

Volksschul-

S. 204, S. 215ff.; eine Tabelle der ostpreußischen

Dorfschulen, die aus dem Möns Pietatis unterstützt wurden, mit dem jeweiligen Anteil: S. 221—244; vgl. auch oben ZWEITER TEIL, ERSTES KAPITEL, Anm. 258.

A.a.O., 107

Nicht unterschriebener Vermerk (wohl aus dem Jahre 1751), in: G.St.A.,

Dahlem,

Berlin-

20. Hauptabt., Etats-Ministerium Königsberg, T i t . 42a, Nr. 698 (Möns Pieta-

tis 1737—1757); danach war das Kapital bis 1744 auf 5 2 0 0 0 Taler, bis 1750 auf 5 2 3 6 6 Taler angestiegen.

Rekrutierung und Besoldung der Lehrer

335

verschiedenen preußischen Provinzen geflossen. 108 Um so bemerkenswerter ist das Faktum, daß in der Kurmark durchaus Gelder der königlichen Patronatskirchen vorhanden waren und diese auch proportional zu den ostpreußischen Schulbaumaßnahmen herangezogen wurden, nicht aber zu einer vergleichbaren Verwendung in Brandenburg selbst. Dabei gehörten den 512 königlichen Patronatskirchen im Jahre 1722 unter Abzug aller Schulden ein Kapital von 90 000 Talern, wie auch dem König berichtet worden ist. 109 In den folgenden Jahrzehnten stieg diese Zahl noch entschieden an, wie zum Beispiel ein Immediatbericht des kurmärkischen Amtskirchen-Revenüen-Direktoriums vom 31. Dezember 1751 zeigt, konnte doch dem König mitgeteilt werden, daß nun 132800 Taler leihweise ausgetan seien, ferner 10999 Taler an „baarem Bestände" vorhanden wären und im Durchschnitt der letzten sechs Jahre jährlich ein Uberschuß von 2290 Talern verfügbar gewesen sei. 110 Es fehlte denn auch nicht an Überlegungen und Vorschlägen, die Geldüberschüsse der Amtskirchen für Schulzwecke einzusetzen. 111 Erst um die Jahrhundertwende wurde jedoch nach eingehenden Beratungen, an denen das kurmärkische Amtskirchen-Revenüen-Direktorium und das Oberkonsistorium beteiligt waren, gegen die Bedenken des Geistlichen Departements, das sich auf das Allgemeine

108

V g l . o b e n i m ZWEITEN T E I L , E R S T E S K A P I T E L , A n m . 2 5 8 .

G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Generalis Nr. 3610 (Amtskirchen-Revenüen-Direktorium), Immediatbericht vom 18. Mai 1722 (Konzept) und Ausfertigung eines Reskripts Friedrich Wilhelms I. vom 6. Juni 1722 „An das hiesige Consistorium". 110 Siehe a.a.O., den Band Generalia Nr. 898 (Amtskirchen-Revenüen-Direktorium); diese Summen schließen natürlich nicht aus, daß es auch zahlreiche unbemittelte Kirchen in der Kurmark gab, die keinen Anteil an den Geldern, die vom RevenüenDirektorium verwaltet wurden, hatten. Die Bestände des Amtskirchen-RevenüenDirektoriums der Neumark wuchsen von 1758 bis 1806 von 23 850 Talern Kapital auf 74 389 Taler an; gleichwohl galten die entstehenden Einnahmen als nicht dem Bedarf entsprechend, siehe das Kontobuch des neumärkischen Amtskirchen-RevenüenDirektoriums: G.St.A.nJjfrlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 3 B, Regierung Frankfurt/Oder, Abt. II, Generalia, Nr. 17. im

" ' So der Inspektor Horn zu Angermünde am 9. Oktober 1765 (Bericht an das Oberkonsistorium) zu den Möglichkeiten bezüglich der Amtskirchen: „dieselben haben reichliche und große Capitalia, in Berlin, beim Kirchen Rev: Directorio: und werden jährlich stark vermehret. Mit einem Theil von fallenden Interessen [d. h. Zinsen, — der Verf.] könnte allen armen Kindern freye Schule verschafft werden: und wie wären diese Revenües beßer anzuwenden?" G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 736 (Chorin).

336

II. Schule im absolutistischen Staat

Landrecht berief, 112 mit königlicher Genehmigung vom 22. Februar 1806 eine Summe von 2000 Talern für die Verbesserung der besonders schlechten Schulmeisterstellen bereitgestellt und offenbar auch noch ausgezahlt. 113 Die Notwendigkeit eines finanziellen Engagements des Landesherrn in Schulsachen wurde aber nicht erst im ausgehenden 18. Jahrhundert in den Berliner Kollegien durchaus anerkannt. Der Oberkonsistorialrat Johann Peter Süßmilch hoffte schon anläßlich der Beratungen über die Anwendung des Generallandschulreglements, es werde sich der König „bewegen laßen [,] dem Beyspiel, Dero in Gott ruhenden Hrren Vaters Maj. zu folgen, der sich durch die in Preussen und Litthauen etablierte Schulen, und denen dazu hergegebenen Fonds einen unsterblichen Ruhm und Segen erworben hat. Sollten aber die nötigen Kosten versaget werden, so sehe nicht wohl ein, wie durch bloße Verordnungen ohne ein Wunderwerk der gute Zweck könne erreichet werden." 114 Tatsächlich blieb es zunächst allein bei Verordnungen, die den Mangel besser zu verteilen geeignet sein sollten, nicht aber ihn bekämpften. 115 Erst mit dem Beginn der 1770er Jahre ist das Einsetzen landesherrlicher Finanzmittel für das Landschulwesen 116 der Kurmark auch außer-

"2 A.a.O., GeneraliaNr. 384 (Verbesserung der Schulstellen) Reskript Massows vom 29. Juli 1805, mit Hinweis auf die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts, nach denen die Hausväter und hilfweise die „Amtsherrschaften" heranzuziehen seien; einen Antrag auf 2000 Taler wolle er aber angesichts der kurmärkischen Gewohnheit, Kirchenmittel für Schulen zu verwenden, stellen. Nach den Stücken a.a.O. Denkschrift Süßmilchs vom 28. April 1764, G.St.A., Berlin-Dahlem, B, Abt. II, Generalia Nr. 3822 (Einrichtung der Landschulen). 114

Pr. Br. Rep. 2

Vgl. im Νovum Corpus Constitutionum..., Bd. 3, Supplement Nr. 83, Sp. 1377 f., Zirkular vom 1. November 1764: Bei Abgang eines Küsters in einem Materdorf solle von seinem Gehalt den Lehrern in den Filialen, „in so weit als es thunlich befunden wird", etwas zugelegt werden; sieher ferner a.a.O., Bd. 6, Nachtrag Nr. 1, Sp. 3125 f., Reskript an Regierung und Konsistorium der Neumark vom 17. August 1765; als Anwendungsfall: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 5316 (Zühlsdorf), diverse Stücke aus den Jahren 1764—1766 (Ansetzung eines Schulmeisters auf der Filiale Zühlsdorf). 115

1 " Bewilligung in den 1760er Jahren für städtische Schulen wurden nicht aus königlichen Kassen, sondern mit Genehmigung des Königs aus den Kämmereimitteln der jeweiligen Stadt gespeist, siehe die Beispiele bei Anton Friederich Büsching, Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, insonderheit gelehrter Männer. Fünfter Theil, der den Charakter Friedrichs des zweyten, Königs von Preußen enthält, Halle 1788, S. 89.

Rekrutierung

und Besoldung

der

Lehrer

337

halb von Kolonisationsprojekten 117 zu erkennen. Von einem im Jahre 1771 bei der kurmärkischen Städtekasse vorhandenen Uberschuß von 100000 Talern, der zum Zwecke landwirtschaftlicher Verbesserungen verliehen werden sollte, ließ der König die zu erwartenden Zinsen für Landschulmeisterbesoldungen bestimmen. 118 Mit den erhofften 4000 Talern im Jahr war freilich angesichts der Gesamtzahl ländlicher Schulstellen ein tiefgreifender Effekt nicht zu erwarten. 119 Die Literatur hat mehrfach geschildert, wie nach ersten Überlegungen Zedlitz', die Gelder für Zuschüsse zur Aufbesserung besonders schlecht dotierter Stellen zu verwenden, schließlich die Entscheidung zugunsten einer Ausstattung weniger, aber mit 120 Talern vergleichweise gut bezahlter Schullehrerdienste fiel, wie sie dann als Landgnadenschulen in die Bildungsgeschichte eingegangen sind. 120 Diese Gnadenschulen sollten insbesondere in regionaler Konzentration bei Berlin und in der Nähe des von Rochowschen Dorfes Reckahn angelegt werden, wofür zunächst die Dörfer Friedrichshagen, Marzahn und Rixdorf, ferner Gettin, Lehnin, Gohlitz und Damsdorf, aber auch die Stadt Joachimsthal ausgewählt wurden. 121 Damit ist zugleich angezeigt, daß die Landgnaden-

117

V g l . i m ZWEITEN T E I L , ERSTES KAPITEL, A n m .

291.

" 8 Siehe dazu aus der älteren und neueren Literatur J . D . E. Preuß, Friedrich Große...,

Bd. 3, S. 115, und auch schon A. F. Biisching, Beyträge...,

Vollmer, Die preußische gnadenschulen

S. 145 f.; Friedrich Wienecke, Die

Volksschulpolitik...,

der Kurmark,

in: Brandenburgia,

" * Vgl. M. Heinemann, Schule im Vorfeld..S.

Geschichte...,

Land-

Bd. 14 (1905/06), S. 312. 141, S. 143; siehe auch den Brief

Zedlitz' an Rochow vom 23. Februar 1773, in: F. E. von Rochow, Sämtliche Schriften...,

der

S. 89; ferner F.

pädagogische

Bd. 4, S. 39; zur Höhe der einkommenden Zinsen auch E. Clausnitzer, Zur S. 417 mit Anm. 3; F. Vollmer, Die preußische

Volksschulpolitik...,

S. 146 f., der auch auf Erstattung aus dem Extraordinarium bei Zinsausfall hinweist. 120

Siehe im einzelnen: G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß

Thiele, Nr. 1 (Generalia 1643—1787), Immediatbericht Zedlitz' vom 29. O k t o b e r 1773 (Abschrift aus Rep. 76, alt) und a.a.O., das Kommunikat Zedlitz' an Dörnberg vom 15. April 1774; aus der Literatur: M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., mer, Die preußische

Volksschulpolitik...,

len. .., in: Brandenburgia,

S. 144f.; F. Voll-

S. 147 f.; F. Wienecke, Die

Bd. 14 (1905/06), S. 314; E . Clausnitzer, Zur

S. 417; F. Wienecke, Die Landgnadenschulen,

in: Schulblatt...,

LandgnadenschuGeschichte...,

S. 260, wies daraufhin,

daß bei der Anhebung von Schulstellen auf 120 Taler die vorhandenen Einkünfte angerechnet wurden; Schulgeld erhielten die Gnadenschullehrer nicht mehr. 121

Siehe den in Anm. 120 zitierten Immediatbericht von Zedlitz, 29. O k t o b e r 1773;

ferner F. Vollmer, Die preußische Wienecke, Die Landgnadenschulen...,

Volksschulpolitik...,

S. 147 f., S. 157 f.; vgl. auch F.

in: Brandenburgia...,

S. 314, auch zu den aus

dem spärlichen Zinseingang entstandenen Schwierigkeiten; ders., Die

Landgnadenschu-

338

II. Schule im absolutistischen

Staat

schulen auch in Städten angelegt wurden, wie denn die ohnehin beschränkten Mittel noch den Schulen in Charlottenburg und in Lebus zugute kamen, die in schulischer Hinsicht von Zedlitz den Landschulen gleichgestellt wurden. 122 Andererseits konnten die dörflichen Gnadenschulen mit 120 Talern nicht in dem Maße ausgestattet werden, daß damit der Effekt in jedem Falle über die Beschaffenheit üblicher Landschulen hinausging. Probleme mit dem Schulbesuch sind auch für Gnadenschulen bezeugt, und die Rekrutierung von Gnadenschulmeistern aus dem Landhandwerk erlaubt gleichfalls das Urteil, 1 2 3 daß die Landgnadenschulen der Kurmark einen wesentlichen Wandel der lokalen Schulrealität nicht zu bewirken vermochten. Als entscheidender Umstand ist festzuhalten, daß noch um 1800 der Anteil der Gnadenschulstellen in Brandenburg, gemessen an der Gesamtzahl auch nur der Dorfschulen (vgl. TABELLE 4 ) , verschwindend gering geblieben ist. Nach den Ermittlungen Friedrich Wieneckes konnten in der Kurmark 1788 44 Landgnadenschulen und 1796 47 Gnadenschulmeister auf Stellen königlichen sowie neun auf anderen Patronatsstellen gezählt werden. 124 War ihr Wert als „Musterschulhalter" doch recht begrenzt,

len..., in: Schulblatt..., S. 260 mitS. 265, zur Aufnahme von Reckahn in die Zahl der mit Gnadenstellen unterstützten Orte. Zu der den Gnadenschulmeistern erteilten Instruktion siehe O. Gerlach, Die Idee der Nationalerziehung..., S. 90, entworfen vom Oberkonsistorialrat Teller im Sinne der pädagogischen Konzeption von Rochows; auch F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..Bd. 3, S. 18 mit Anm. 2, S. 37—56 (Abdruck). 122 Siehe Wolfgang Neugebauer, Schule und Stadtentwicklung. Zweieinhalb Jahrhunderte Schulwirklichkeit in der Residenz- und Großstadt Charlottenburg, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Von der Residenz zurCity. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 108 mit Anm. 18; G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 3302 (Lebus), verschiedene Stücke von 1779/80 zur Ansetzung eines zweiten Lehrers zu 120 Talern in Lebus aus Mitteln des Oberkonsistoriums. 123 Vgl. a.a.O., Nr. 3300 (Neu-Lebus), Bericht des Gnadenschulmeisters Reichmeister zur (Amtskolonie) Neu-Lebus vom 24. Januar 1796 an das Oberkonsistorium (zum schlechten Schulbesuch im Sommer); in diesem Band auch ein Bericht des Lebuser Predigers Baumann vom 17. Juni 1786 an das Oberkonsistorium, in dem ausdrücklich festgestellt wird, daß der Schulhalter von den 120 Talern „an diesem überaus theuren Orte . . . nicht subsistiren" könne; Nr. 831 (Kalkgrund und Grünheide), Bericht des Inspektors Hanses vom 26. Oktober 1795; W. Feige, Rings um die Dorfaue..., S. 111; vgl. den positiv geschilderten Fall aus der Inspektion Zossen bei K. F. Bauer, Einige Gedanken..., S. 33. 124 F. Wienecke, Die Landgnadenschulen..., in: Brandenburgia..., Bd. 14 (1905/06), S. 315; vgl. auch die Tabelle a.a.O., S. 315—317, wonach 58 Gnadenschulen nachzuweisen sind; vgl. ders., Die Landgnadenschulen..., in: Schulblatt..., S. 265 (57 Gnaden-

Rekrutierung

und Besoldung der

Lehrer

339

so sind sie i n s g e s a m t in B r a n d e n b u r g s c h o n a n g e s i c h t s i h r e r g e r i n g e n V e r b r e i t u n g „ z u einer B e d e u t u n g [ . . . ] nie g e l a n g t . " 1 2 5 D i e s e s z u n ä c h s t an d e n V e r h ä l t n i s s e n einer R e g i o n o r i e n t i e r t e U r t e i l wird sich a u c h für die w e s t p r e u ß i s c h e n G n a d e n s c h u l e n b e s t ä t i g e n lassen, die aus e i n e m K a p i t a l v o n 2 0 0 0 0 0 T a l e r n gespeist

wurden.126

O b w o h l die jährlich z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e n r u n d 1 0 0 0 0 T a l e r in dieser P r o v i n z in G n a d e n g e h ä l t e r n v o n 6 0 T a l e r n a u s g e g e b e n w u r d e n , blieb die v o n K r u g 1 7 9 9 m i t 1 4 6 b e z i f f e r t e 1 2 7 A n z a h l dieser Stellen in W e s t p r e u ß e n inklusive d e m N e t z e d i s t r i k t d o c h , g e m e s s e n an d e r G e samtzahl der rund 1200 Landschulen,128 wenn auch von größerer Relev a n z als in d e r K u r m a r k , s o d o c h v o n u n t e r g e o r d n e t e r B e d e u t u n g . I n s b e s o n d e r e m u ß a b e r bei d e n G n a d e n g e h ä l t e r n v o n 6 0 T a l e r n in R e c h n u n g gestellt w e r d e n , d a ß v o n einer B e s o l d u n g in dieser H ö h e ein w i r k u n g s v o l l e r E i n g r i f f in die lokale S c h u l w i r k l i c h k e i t k a u m e r w a r t e t w e r d e n d u r f t e . D a a u c h in W e s t p r e u ß e n die S c h u l m e i s t e r , die das G e h a l t v o n 6 0 T a l e r n b e z o g e n , kein Schulgeld m e h r e r h i e l t e n „ u n d n i c h t e i n m a l alle m i t 6 0 R t h l r , a n g e s e t z t w a r e n , [ k o n n t e n diese] n i c h t

schulstellen für 1796); Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 5, Berlin 1969, S. 133 f. F. Wienecke, Die Landgnadenschulen..., in: Schulblatt..., S. 266. 126 Siehe zu den Details, auch zu dem späteren Ankauf zweier Güter von den 200000 Talern, Güter mit einem jährlichen Ertrag von 10460 Talern (so. L. Krug, Über die Verbesserung..., S. 232), von denen die Gnadengehälter zu 60 Taler bezahlt wurden: M. Bär, Westpreußen..., Bd. 1, S. 552—557, auch zu den gezahlen Bauzuschüssen aus eingesparten Lehrergehältern, und weiter A.B.B., Bd. 16, Teil 1, Nr. 248, S. 281 f. (Instruktion für den Minister von Gaudi, 22. Dezember 1775); wichtige Stücke zu den westpreußischen Gnadenschulen bei M. Lehmann (Hrsg.), Preußen und die katholische Kirche..., Bd. 5, Nr. 326, S. 246 ff. (Bericht der westpreußischen Kriegs- und Domänenkammer vom 16. Dezember 1777), Nr. 360, S. 274 f. (Bericht der Kammer vom 29. Dezember 1778), Nr. 366, S. 285 (Verfügung des Generaldirektoriums vom 12. Februar 1779), Bd. 7, Nr. 568, S. 710 (Kabinettsorder an den Geheimen Finanzrat von Brenckenhoff, 6. Okt. 1774); zum geringen Anteil der Ausgaben für Schulen im Vergleich mit den Gesamtaufwendungen für Westpreußen siehe A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule..., S. 115. 127 L. Krug, Über die Verbesserung..., S. 232: 126 im Distrikt Marienwerder, 20 im Netzedistrikt; im (zur Königsberger Kammer gehörenden) Ermland zählte Krug 18 Gnadenschulstellen zu 60 Talern. 128 Vgl. oben Ταβιι ι κ 9; A. C. von Holsche, Geographie und Statistik..., Bd. 3, S. 89f., gibt für Westpreußen 1805 (vgl. a.a.O., S. VI) und den Netzedistrikt 1190 Landschulen an; davon werden nur 60 katholische und 67 protestantische Schulen als Gnadenstellen ausgewiesen. Zur unzureichenden Zahl der Gnadenschulen vgl. J. Grüner, Das Schulwesen des Netzedistrikts..., S. 113.

340

II. Schule im absolutistischen

Staat

davon leben und suchten sich daher andere Nahrungszweige, die mit ihrem Amte wenig verträglich waren", wußte die westpreußische Regierung im Jahre 1787 zu berichten. 129 Die Armut der Gemeinden und einschneidende Qualitätsprobleme hinsichtlich der Schulmeister selbst ließen trotz des finanziellen Engagements des Landesherrn einen nachweisbar erheblichen Wandel in der Schulwirklichkeit Westpreußens nicht eintreten. 130 In Pommern, für dessen Schulen Friedrich der Große 1777 Zinseinkünfte von jährlich 4652 Talern angewiesen hatte, konnten bis zum Jahre 1800 86 Gnadenschulstellen 131 eingerichtet werden, die mit 40 bis 80 Talern besoldet wurden, so daß die mehrfach belegte Tatsache, daß diese Stellen von „Professionisten" bevorzugt wurden, ebenfalls nicht verwundern kann. 132 Das Instrument der Landgnadenschulen war offenbar grundsätzlich nicht in der Lage, die tradierten Rekrutierungsmechanismen des dörflichen Lehrpersonals zurückzudrängen. Diese Gnadenschulstellen blieben auf die genannten mittleren und östlichen Provinzen beschränkt. In den westlichen Gebieten Preußens ist bislang nur die Schule in Overdyck (Grafschaft Mark) als Gnadenschulsteile nachgewiesen worden, 133 und die vergleichsweise starken Schulfonds für Neuost- und Südpreußen gingen nicht auf Fondsstiftungen aus landesherrlichen Mitteln zurück. Vielmehr bildeten die Gelder des schon in polnischer Zeit eingezogenen Jesuitenvermögens

l2 ' Bericht vom 6. November 1787, mitgeteilt bei M. Lehmann (Hrsg.), Preußen und die katholische Kirche..., Bd. 6, N r . 160, S. 172; mit der Klage über den finanziellen Mangel verband die Regierung den Vorschlag, die Anzahl der Schulmeisterstellen zu vermindern. 1.0 Vgl. ζ. B. a.a.O., N r . 169, S. 180, Bericht des Oberschulkollegiums an das Geistliche Departement vom 27. November 1787; aus der Literatur: P. Schwartz, Die Schulen der Provinz Westpreußen..., S. 53 f., S. 59; J. Grüner, Das Schulwesen des Netzedistrikts . . . , S. 113; J.-P. Ravens, Staat und katholische Kirche..., S. 58. 1.1 Diese Angabe nach F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 1, S. 326, Anm. 3 (vgl. Anm. 128); in dem Auszug aus einem Bericht der Pommerschen Regierung und des Pommerschen Konsistoriums..., S. 108, werden im Jahre 1787 83 lutherische „und drei reformierte Gnadenschulen" gezählt. 1.2

Siehe J. D. E. Preuß, Die Lebensgeschichte..., Bd. 2, S. 72; L. Krug, Über die Verbesserung..., S. 232; C. F. Wutstrack, Kurze historisch-geographisch-statistische Beschreibung. .., S. 261 mit Anm. 387; zu weiteren finanziellen Hilfen für die pommerschen Schulen (auch für Stadt- und Militärschulen sowie 1780 Gelder zum Bau von 49 Schulhäusern) F. Koch, Der Fürst und die Schule..., S. 57. 1,1 M. H e i n e m a n n / W . Rüter, Landschulreform als Gesellschaftsinitiative. .., S. 37 ff.

Rekrutierung

und Besoldung der

Lehrer

341

in diesen Provinzen die finanzielle Substanz, 134 so daß für das höhere und niedere Schulwesen im Etatsjahr 1806/07 über 100000 Taler für beide Verwaltungsgebiete projektiert wurden, zu denen weitere landesherrliche, nicht unerhebliche Schulbaugelder traten. 135 Daß diese Anstrengungen vor dem Zusammenbruch der preußischen Verwaltung in den durch die zweite und dritte Teilung Polens erworbenen Gebieten nicht mehr zu einer auch nur näherungsweise den Verhältnissen in den anderen preußischen Provinzen entsprechenden Dichte führten, muß aber für das wirkungsgeschichtlich bestimmte Urteil über die Bedeutung der Schulfinanzierung in diesen Regionen beachtet werden. 136 Mit Summen, wie sie für Süd- und Neuostpreußen auf Grund der spezifischen provinzialen (letztlich:) Konfessionsstrukturen zur Verfügung standen, konnten sich auch die landesherrlichen Mittel, die seit der Begründung des Oberschulkollegiums für das (niedere) Schulwesen zusätzlich verausgabt wurden, in keinem Falle messen. Der Etat des Oberschulkollegiums betrug zunächst ganze 13000 Taler, 1 3 7 wenn auch eine Erhöhung in Aussicht gestellt worden ist; für das Rechnungsjahr 1804/05 wies er dann insgesamt 20 465 Taler aus. TABELLE 16 gibt die Aufgliederung des Etats in seinen einzelnen Hauptposten an. 138 Zu berücksichtigen bleibt, daß diese Gelder im Prinzip für das Schulwesen der ganzen preußischen Monarchie bestimmt waren. T a t sächlich ist bei der Verteilung der Gelder höchst ungleichmäßig verfahren worden. Bassewitz, 139 der „zu Besoldungen für das Oberschulkollegium und sonstigen Bedürfnissen desselben" sogar 7739 Taler angibt, 134 Zu den Einzelheiten sei verwiesen auf I. Bussenius, Die preußische Verwaltung..., S. 259, S. 269f.; O. Heike, Die Provinz Südpreußen..., S. 54; J.-P. Ravens, Staat und katholische Kirche..S. 136, S. 141, S. 148 (zu Westpreußen seit 1800); zu den Anstrengungen für die Vermehrung der Fonds a. a. O., S. 138 und zur Verteilung der Gelder in der Anwendung auf das höhere und niedere Bildungswesen. Zu einem Zuschuß für den südpreußischen Schulfonds aus landesherrlichen Mitteln a.a.O., S. 139. 135 Ebda.; I. Bussenius, Die preußische Verwaltung..., S. 262; O. Konopka, Die Schulpolitik Südpreußens..., S. 65 f.; W. A. von Klewitz, Über die preußische Verwaltung..., S. 29, S. 37. 136

V g l . TABELLE

9.

Siehe oben im E R S T E N T E I L , D R I T T E S K A P I T E L , Anm. 1 3 9 ; K . - E . Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 99; M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 166 mit Anm. 5 3 . 138 Nach: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 4 (Generalia 1803—1805), Abschrift aus Rep. 92 (Massow); siehe auch M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg..., S. 240 Anm. 139 Ebda. Nach M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 106 Anm. 178, läßt sich seit 1798 eine Zahlung des Oberschulkollegiums für bedürftige Lehrer in Kleve137

342

II. Schule im absolutistischen

Staat

TABELLE 1 6

Etat der Oberschulkasse

1804/1805

Ausgabeart I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.

Besoldung des Oberschulkollegiums1 Universitäten Städtische Schulen Schullehrerseminare Landschullehrer Besoldungen und Zulagen (unbest. Zeit) Zinsen Bürobedarf Extraordinaria für Schulverbesserungen

Summe der Ausgaben

1

Taler

Groschen

5620 1770 2845 5498 2316 276 20 162 1957

4

20

20465

Inklusive der Subalternen

wies d a r a u f hin, d a ß v o n d e n v e r b l e i b e n d e n M i t t e l n des O b e r s c h u l k o l l e g i u m s m i t 4 4 4 5 T a l e r n 4 G r o s c h e n r u n d ein D r i t t e l d e r f ü r die P r o v i n z e n b e s t i m m t e n M i t t e l allein auf die K u r m a r k entfielen, eine A n g a b e , die sich bei e i n e m G e s c h ä f t s b e d a r f v o n r u n d 5 7 8 2 T a l e r n (vgl. TABELLE

16) nur unwesentlich verminderte. Diese S u m m e dürfte aber

z u m T e i l nicht z u s ä t z l i c h z u d e n s c h o n b e t r a c h t e t e n G n a d e n s c h u l m i t t e l n e i n g e s e t z t w o r d e n sein. V i e l m e h r ist die ( b e g r e n z t e ) V e r m e h r u n g d e r k u r m ä r k i s c h e n G n a d e n s c h u l s t e l l e n im s p ä t e n 1 8 . J a h r h u n d e r t a u c h aus M i t t e l n des O b e r s c h u l k o l l e g i u m s gespeist w o r d e n . 1 4 0 W ä h r e n d im letzten J a h r h u n d e r t d r i t t e l für einzelne städtische Schulen v e r m e h r t k ö n i g l i c h e S o n d e r z u w e n d u n g e n bisweilen e r h e b l i c h e n

Mark von 80 Talern nachweisen, die 1803 auf 100 Taler erhöht wurden; nach a.a.O., S. 101 gab es rund 200 Landschulen in der Grafschaft Mark; vgl. ferner oben ΤΛΒΙΠ.Κ 9; zu den unbedeutenden Zahlungen für Halberstadt siehe W. Werner, Die Entwicklung der Landschulen..., Bd. 1, S. 189, Bd. 2, S. 144 Anni. 987. 140 Siehe Friedrich Herzberg, Einige Gedanken über die zweckmäßige Bildung der Landschullehrer in Seminarien..., Berlin 1789, S. 27 (Titel gekürzt). Ein „Verzeichnis derjenigen Kurmärkischen Schullehrer [,] welche aus der Ober Schul Kasse ein Gehalt oder eine Gehalts Zulage erhalten" (undatiert, um 1800), G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76, (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Bd. 2029], gibt 47 Lehrer an (8 städtische und 39 ländliche), denen zwischen 2 und 120 Taler gezahlt wurden.

Rekrutierung

und Besoldung

der

Lehrer

343

Umfangs, insbesondere wenn bauliche Maßnahmen notwendig waren, zu bemerken sind,141 blieben die Zahlen für die Masse der Landschulen denkbar begrenzt, wie auch aus der aufgezeigten geringen Verbreitung von Gnadenschulen geschlossen werden kann. Die zusätzlichen Mittelbewilligungen aus der Zeit um 1800 wiesen einen deutlich unsystematischen Charakter auf und standen in einem krassen Mißverhältnis zu den ambitionierten Reformkonzepten Massows, für die der König größere Summen aufzubringen abgelehnt hatte. 142 Friedrich Wilhelm II. bewilligte 1796 2000 Taler aus Lotteriemitteln zur Unterstützung armer Lehrer sowie Landküster, 143 und Friedrich Wilhelm III. wies Ende 1798 aus der kurmärkischen Städtekasse rund 6000 Taler für die Schulen der Kurmark an, von denen aber 3000 Taler für Stadtschulen zu verwenden waren. 144 Eine weitere Finanzquelle, die durch ein könig-

141

Siehe als Beispiele derartiger von Fall zu Fall gewährter Geldgeschenke die Anweisung von 3000 Talern für den Neubau des Lyzeums zu Neustadt Brandenburg (1788), M. W . H e f f t e r , Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg..., S. 404 ff.; Bewilligung von 5353 Talern 9 Groschen für einen Schulneubau in Treuenbrietzen: C. N . Pischon, Urkundliche Geschichte der kurmärkischen Stadt Treuenbrietzen..., S. 222 (dazu sodann eine gleichgroße Summe aus der Kämmerei, der Kirchenkasse und aus einer Umlage auf die Bürgerschaft); Anweisung von 17445 Talern durch Friedrich Wilhelm III. für Schulbaumaßnahmen der Parochialkirchengemeinde, Nachricht von dem Bau der Schulhäuser bei der hiesigen Reformirten Parochial-Kirche und von der feierlichen Legung des Grundsteins der neuen Häuser, nebst den dabei gehaltenen Reden, Berlin 1799, S. 5; 1799 bewilligte Friedrich Wilhelm III. 300 Taler für die Verbesserung der kurmärkischen Stadtschulen, insbesondere zur Anschaffung von Inventar (Landkarten, mathematischen und physikalischen Geräten u. a. m.), P. Schwartz, Die Gelehrtenschulen. .., Bd. 1, S. 49f.; siehe auch August Hermann Niemeyer, Ansichten der deutschen Pädagogik und ihrer Geschichte im achtzehnten Jahrhundert. Nebst fortgesetzter Nachricht von den Ereignissen und Veränderungen im Königl. Pädagogium seit drey Jahren, Halle 1801, S. 75; zu den Mitteln, die Friedrich Wilhelm I. für den Schulneubau in Potsdam bewilligte, siehe R. Boschan, Das Bildungswesen..., S. 20 ff., S. 36 ff. Zu den wiederholten Spenden des Ministers Hertzberg für städtische Schulen siehe Friedrich Herzberg, A uch ein Wort über den verewigten G rafen von Hertzberg und Seine Verdienste um das vaterländische Schulwesen.. ., Berlin 1795, S. 24 ff., S. 36 (Titel gekürzt); J. D. E. Preuß, Die Lebensgeschichte..., Bd. 2, S. 74. H

- Siehe im E R S T E N T E I L , V I E R T E S K A P I T E L , bei Anm. 1 6 3 und Anm. 1 6 4 . Friedrich Herzberg, Wie können die schlechten Landküster- oder Schulhalterstellen in der Churmark mit verhältnismäßig geringen Mitteln schier hinreichend, oder doch wenigstens nothdürftig verbessert werden?..., Berlin 1796, S. 15 (Titel gekürzt); vgl. zu einer Zahlung aus dem Lotteriefonds an die Lehrer der Kottbusser Stadtschule: P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 33. 144 A. H e u b a u m , Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 214; 141

344

II. Schule

im absolutistischen

Staat

liches D e k r e t v o m 2 5 . M ä r z 1 7 9 9 teilweise f ü r schulische Z w e c k e z u r V e r f ü g u n g gestellten T a b a k s o f f i z i a n t e n p e n s i o n s g e l d e r der einzelnen P r o v i n z e n , erwiesen sich als r e c h t unsichere Z u w e n d u n g , da sie nicht s o f o r t z u r V e r f ü g u n g s t a n d e n , s o n d e r n erst nach u n d nach m i t d e m T o d e i h r e r bisherigen E m p f ä n g e r f r e i w u r d e n . 1 4 5 Z u d e m h a t t e n in verschiedenen Provinzen· die S t ä n d e in dieser Sache ein Mitspracher e c h t , 1 4 6 das in der N e u m a r k s o w o h l v o n d e m S t ä d t e d i r e k t o r i u m als auch v o n der M e h r h e i t der K r e i s s t ä n d e z u r A b l e h n u n g wurde.147

benutzt

D e r V o r s c h l a g der neumärkischen Regierung aus d e m J a h r e

Ueber das Schulwesen in der Kurmark..., S. 34; M. Heinemann, Schule im Vorfeld der Verwaltung..., S. 357 mit Anm. 176; als Beispiel von Zahlungen „aus den Uberschüssen der Städte-Casse" siehe die verschiedenen Stücke aus dem Jahre 1804 im G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 1% (Marienwerder), zu mehreren Dörfern der Inspektion Bernau. In einem Kabinettsschreiben vom 25. März 1799 an Massow (Abschrift aus Rep. 76, in: 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 8 [Kurmark 1799—1805]) wird sogar davon gesprochen, daß von den Geldern (6058 Talern) der Städtekasse 4000 Taler für die Bürgerschulen der Kurmark verwandt werden sollten. 145 Siehe G.St.A., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabt. Staatsarchiv Königsberg, Rep. 5, Kriegs- und Domänenkammer Königsberg. Tit. 22 I, Nr. 15 (Tabaks-Salarienkasse), diverse Stücke aus dem Jahre 1799 sowie von 1804, hier auch eine Kopie des Dekrets Friedrich Wilhelms III. vom 25.3.1799 an das Generaldirektorium und an von Massow (K.-E. jeismznn, Das preußische Gymnasium..., S. 181 Anm. 17, nennt eine Kabinettsorder vom 26. März 1799); diese nach einem königlichen Dekret vom 21. April 1799 (in dem oben nachgewiesenen ostpreußischen Aktenband) nur für das platte Land zu verwendenden Gelder betrugen im Oktober 1804 für Ostpreußen 1539 Taler, aus denen eine besondere Schulkasse gebildet wurde, doch berieten die Kammern zu Königsberg und Gumbinnen auch über die Heranziehung für städtische Schulen; A. Heubaum, Die Geschichte des ersten preußischen Schulgesetzentwurfs..., S. 214 f.; ferner G.St.A., BerlinDahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 2 (Generalia 1788—1799): „Vorläufiger Bericht" Massows vom 16. März 1799 (Abschrift aus Rep. 76) und a.a.O., Nr. 8 (Kurmark 1799—1805), Kabinettsorder an von Massow vom 25. März 1799 (Abschrift aus Rep. 76). .146 So K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 191 Anm. 17. H7 Siehe die detaillierte Darstellung (auf der Grundlage der Akten des Provinzialständearchivs) bei P. Schwanz, Die neumärkischen Schulen..., S. 57—63, mit Zusammenfassungen der einzelnen kreisständischen Stellungnahmen; danach wiesen die Kreisstände den Plan ζ. T. zurück, weil die Lehrer schon „hinlänglich besoldet" würden (Kreis Arnswalde, a.a.O., S. 60), teils, weil bessere Schulbildung auf dem Lande nicht notwendig sei (Schivelbein, Kottbus, Züllichau, a.a.O., S. 61 ff.); siehe ebenfalls C. C. F. von Schmieden, Das Elementarund Bürgerschulwesen..., S. 7f.; nach Schmieden wurde 1803 ein Fonds gebildet in Höhe von 820 Talern, die gänzlich für Küstrin angewandt wurden. Anders als die neumärkischen Stände bewilligten die von Kleve und Mark Gehaltsaufbesserungen und Prämien für Lehrerstellen, siehe W. Meiners, Das Volksschulwesen..., S. 124 f. (1801: 730 Taler, 1802/3: 830 Taler).

Rekrutierung

und Besoldung

der

Lehrer

345

1805, die nunmehr in Höhe von 4871 Talern verfügbaren Tabaksoffiziantenpensionsgelder zur Aufbesserung von Lehrergehältern zu verwenden, lautete dahin, primär die städtischen Stellen höher zu dotieren sowie Landschulen mit weniger als 50 Talern mit einer Zulage von fünf bis zehn Talern zu versehen. Dieser Plan kam aber vor dem Kriegsausbruch nicht mehr zur Ausführung. 148 Soweit aus dem zugänglichen Material erkennbar ist, wurde lediglich in Ostpreußen unter Friedrich Wilhelm III. eine mehr als nur einige tausend Taler umfassende Finanzmasse für das Schulwesen der Provinz zur Verfügung gestellt, wobei freilich wiederum ein regionales Sonderphänomen zugrunde lag. Das von den ostpreußischen Ständen anläßlich der Huldigung im Jahre 1798 dem König traditionell übergebene Donativ — in diesem Falle rund 33 300 Taler — bestimmte der Monarch zu gleichen Teilen für das Stadt- und das Landschulwesen der Provinz. 149 Eine Intensivierung landesherrlicher Finanzzuweisungen für Schulzwecke und besonders für das Landschulwesen ist also zweifelsohne in den letzten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und bis 1806 durchaus festzustellen, wenngleich es schwer fällt, in den verschiedenen Förderungsmaßnahmen von höchst unterschiedlichem Umfang 150 und Sicherheit der Geldquellen eine Systematik auszumachen, 151 zumal in der betrachteten regionalen Prägung der Maßnahmen. Es kann nicht verwundern, daß zeitgenössische Schätzungen über die erforderliche Höhe für auch Resultate erbringende Finanzierungsvolumina weit über 148

P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 24, S. 63f.; vgl. C. C. F. von Schmieden, Das Elementar- und Bürgerschulwesen..., S. 8. P. Schwartz, Die Schulen der Provinz Ostpreußen..., S. 286f., nach dem allein 10 000 Taler für die Königsberger Schulen ausgegeben wurden und in anderen Städten mehrfach der Mißbrauch der Gelder für andere Zwecke festzustellen war; F. E. Keller, Geschichte..., S. 135. Nach einer Aufstellung Massows über Provinzialschulfonds vom November 1800, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, NachlaßThiele, Nr. 3 (Generalia 1800—1802), Abschrift aus Rep. 76, fehlte es zu diesem Zeitpunkt „aber noch an einem bestimmten Entschluß der Stände über die Verwendung", waren die gepflogenen Verhandlungen „noch nicht zum Resultat gediehen." 150

Siehe auch oben bei Anm. 113 zu der Anweisung von Geldern für die Kurmark aus Amtskirchenmitteln 1806; siehe ferner die Angaben bei M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg..., S. 240—244, allerdings mit unklaren Angaben hinsichtlich der Zuweisung (Stadt-Land) bzw. zur Herkunft aus den einzelnen gekennzeichneten Zuwendungen. 151 Vgl. A. Leschinsky/P. M. Roeder, Schule im historischen Prozeß..S. 118, siehe auchS. 9 5 f . , S . 116—119, S. 508 f., S. 514 zu der Grenze landesherrlicher Finanzvergaben für Schulsachen.

346

II. Schule im absolutistischen

Staat

dem zu liegen pflegten, was als tatsächliche Leistungen festzustellen ist. 152 Doch ersetzen diese Wünsche und Schätzungen nicht die ferner zu klärende Frage nach den ländlichen Einkommensstrukturen am Ende des Alten Preußen. Die Besoldungslage des Landlehrers am Ende des Alten

Preußen

Mehr noch als die bloße Feststellung eines begrenzt gesteigerten landesherrlichen Finanzengagements in den Jahrzehnten vor 1806 wird für die auf die Schulwirklichkeit gerichtete Fragestellung von entscheidendem Interesse sein müssen, ob und wenn ja, was die landesherrlichen Geldhilfen an dem strukturellen Grundcharakter der Besoldungslage ländlichen Lehrpersonals veränderten. Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst als wesentliche Hilfe festzustellen, daß im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erste statistische Aufnahmen der historischen Arbeit zur Verfügung stehen. Dabei ist für die Kurmark insbesondere eine Erhebung aus dem Jahre 1774 153 über die Einkünfte lutherischer Landschulmeister von Interesse sowie eine Aufstellung, die — zuerst 1800 publiziert 154 — den Zustand zu 152 Rochow hielt allein für die Kurmark 500 000 Taler für erforderlich, von denen die Hälfte als Kapital angelegt werden sollte, während 250 000 Taler für Schulbaumaßnahmen erfordert würden, F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 4, S. 37 (Brief Rochows an Zedlitz vom 24. Januar 1773), und M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 141 ff.; A. F. Büsching, Beyträge..., S. 88, berichtete, daß er (in den 1760er Jahren) als junger Oberkonsistorialrat allein für die Kurmark jährlich 100000 Taler für erforderlich gehalten habe; siehe ferner G. S. Steinbart, Vorschläge..S. 7 if.·, L. Krug, Uber die Verbesserung..., S. 229; siehe zu den Berechnungen der neumärkischen Regierung 1765 E. Clausnitzer, Zur Geschichte..., S. 416 Anm. 1. 151 Zuerst veröffentlicht bei Anton Friedrich Büsching, Beschreibung seiner Reise von Berlin über Potsdam nach Rekahn unweit Brandenburg, welcher er vom dritten bis achten Junius 1775 gethan hat, 2., verm. Aufl., Frankfurt-Leipzig 1780, S. 352, wo auch definitiv von „Einkünftefn]" der „Küster und Schulmeister" die Rede ist, vgl. dazu auch L. Krug, Über die Verbesserung..., S. 229; siehe J . D. E. Preuß, Die Lebensgeschichte..., Bd. 2, S. 73; ferner z. B. F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 3, S. 12 Anm. 2, und danach M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 147 Anm. 158, der wohl zutreffend die nur nach glatten Zehnergruppen angegebenen Zahlen auf die jeweilige vorherliegende Dekade bezieht; so auch oben in T A B U 1117. Wie Heinemann auch schon O. Behre, Geschichte der Statistik..., S. 303 (aber ohne Jahresangabe); neben den 1597 Küstern und Schulmeistern wurden die schon zitierten 163 Winterschulmeister (die laut A. F. Büsching, Beschreibung..., S. 352 „gar keinen Gehalt hatten") gezählt; diese werden, da sie offenbar auch 1800 nicht berücksichtigt wurden, nicht in die Tabelle aufgenommen. 154 Zuerst in dem Klassifikations-Tableau aller Schulen in der Kurmark, in den von

Rekrutierung

und Besoldung

der

347

Lehrer

Beginn des 19. Jahrhunderts widerspiegelt. U m einen Vergleich zwischen beiden Statistiken durchführen zu können, wird in TABELLE 17 ZU der jeweiligen Anzahl von Stellen einer Einkommensebene deren prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Stellen beigefügt. TABELLE

Einkommensniveau lutherischer

Landküster

17

(Ertrag

pro

und Schulmeister

1774 und

Jahr) der

1774

1800 Anzahl

Ertrags-

Kurmark

1800

Ertrags-

Anzahl

niveau

niveau bis 10 T i r .

295

18,5

184

bis 10 T i r .

10—20 T i r .

301

18,9

256

10—20 T i r .

20—40 T i r .

435

27,2

421

20—40 T i r .

40—60 T i r .

296

18,5

281

40—60 T i r .

60—80 T i r .

141

8,8

182

60—80 T i r .

80—100 T i r .

80

5.0

129

80—100 T i r .

über 100 T i r .

49

3.1

166·» 18

6

100—150 T i r . Ι 95

11,8

δ1597

Summe 1774

100

1648

150—180 T i r . 180—200 T i r . 200—250 T i r . Summe 1800

100

Der Vergleich beider Zeitlagen ergibt, daß zwar eine begrenzte An-

Friedrich Gedike herausgegebenen Annalen

des Preußischen

Schul- und

Kirchenwesens,

Bd. 1, H e f t 1 (1800), S. 35—38, darin die „Klassifikation der Dorfschulen nach ihrem Ertrage"; diese Angaben stimmen mit denen bei F. W . A. Bratring, topographische

Beschreibung...,

Statistisch-

Bd. 1, S. 187 Anm. überein, wo auch die Herausgeber

der Neuauflage auf Unstimmigkeiten in den Summen hinwiesen; da augenscheinlich die Daten bei M. F. von Bassewitz, Die Kurmark

Brandenburg...,

X I . Nachweisung, auf

derselben Erhebung beruhen, aber stimmig sind, wird hier mit dieser Statistik gearbeitet. Leider wird an keinem der Druckorte der genaue Erhebungszeitpunkt angegeben (Bassewitz: „zu Anfange des 19. Jahrhunderts"); es ist nicht völlig auszuschließen, daß die Angaben den Stand des Jahres 1798 oder 1799 widerspiegeln. Die Differenz der Zahl der Küster und Schulmeister 1800 in TABELLE 17 ZU denen in TABELLE 4 erklärt sich aus der dort miterfaßten (vergleichsweise geringen) Gruppe der reformierten Schulmeister (vgl. a.a.O.,

S. 338f.).

348

II. Schule im absolutistischen

Staat

hebung der Lehrergehälter festzustellen ist (die Gruppe der „Spitzenverdiener" über 100 Taler wuchs von 3,1 % auf einen Anteil von 11,8 % an der Gesamtzahl der Stellen in der Kurmark an), während in den unteren Niveauebenen eine spürbare Ausdünnung zu beobachten ist. Für die Frage nach der finanziellen Gesamtstruktur bleibt aber die Tatsache von Bedeutung, daß im Jahre 1800 nicht weniger als 69 % der Küster und Schulmeister 60 Taler und weniger Einnahmen hatte (1774: 83 %), und 52 % der Stellen bezogen 1800 sogar nur bis zu 40 Talern im Jahre (1774: 65 %), wie denn auch sowohl 1774 als auch 1800 unverändert die Gehaltsebene von 10 bis 60 Talern die stärksten Prozentgruppen ergibt. 155 Freilich wird es als problematisch bezeichnet werden dürfen, die Anhebungen — bei der aufgezeigten minimalen Höhe der landesherrlichen Finanzzuschüsse — in der Veränderung des Einkommensniveaus allein auf die Wirkungen landesherrlicher Finanzhilfen zu beziehen, die um 1800 mit 56 Gnadenschulen 156 den Anstieg auf 195 Stellen über 100 Taler in der gleichen Zeitebene nicht erklären können. Dies läßt auf Anhebungen durch Gemeinden oder Patronatsherren schließen, wie schon TABELLE 14 auf einen in Ansätzen erkennbaren Strukturwandel des Landschulwesens auch ohne den „Staat" (für die Neumark) hindeutete, ohne daß die traditionalen Prägungen ihre Dominanz eingebüßt hätten. TABELLE 18 veranschaulicht das Einkommensniveau der kurmärkischen Dorfschullehrer im Jahr 1800 in der Differenzierung von königlichen Stellen und solchen „privaten" (Bassewitz), also primär adligen Patronats. 157 Allein von den Stellen nichtköniglichen Patronats sind also 105 Stellen mit über 100 Talern dotiert gewesen, wenngleich der prozentuale Anteil dieser Stellen an der Masse „privater" Patronatsstellen mit 10 % hinter dem Vergleichsdatum bei den königlichen Landschulstellen ( 1 5 % ) liegt, wobei immer die geringere Gesamtzahl der landesherr-

155 Siehe auch die Interpretation aus dem Jahre 1805 von L. Krug, Betrachtungen über den Νational-Reichthum..., Bd. 2, S. 396: „Gegen die Tabelle von 1774, wo nur 49 Schullehrer über 100 Rthlr. hatten, gibt diese Tabelle von 1800 [!] schon erfreuliche Aussichten; aber man sieht doch, daß das Maximum bei diesem Stande immer nur als das Minimum bei dem Predigerstande anzusehen ist, denn welcher Prediger wird sich ietzt nicht über die Armseligkeit seiner Lage beklagen, wenn ihm sein Amt nur 250 Rthlr, einträgt! — "

Vgl. oben bei Anm. 124 und 140. Nach M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Datierung vgl. auch oben Anm. 154. 156

157

Brandenburg...,

X L Nachweisung; zur

Rekrutierung

und Besoldung der

TABELLE

Einkommensniveau

Ertragsniveau

Landschullehrer

Patronatszugehörigkeit

„Königlich"

unter 10 Tir. 10— 20 Tir. 20— 40 Tir. 40— 60 Tir. 60— 80 Tir. 80—100 Tir. 100—130 Tir. 130—150 Tir. 150—180 Tir. 180—200 Tir. 200—220 Tir. 220—250 Tir.

39" 87 » 152 94. 68 58 61 17 8 » 2

Summen

588

Total

18

der kurmärkischen

im Jahre 1800 nach

349

Lehrer

„Privat" 145 169 269 187 114 71 69 19 10 4 2 1

63%

15%



2.

' > 73% .

• - 10% .

1060 1648

liehen Patronate zu beachten ist. Umgekehrt liegt der Anteil der Privatpatronatsstellen, die mit nicht mehr als 60 Talern ausgestattet worden waren, auf adligen Stellen um 10 % höher als auf den königlichen Stellen (73 % zu 63 %). Gleichwohl zeigen diese Zahlen in summa, daß die adligen und anderen Privatpatronatsstellen doch nur graduell schlechter bezahlt wurden. 158 Zugleich ist aus der betrachteten Einkommensstatistik auch ein verfassungsgeschichtlich interessantes Resultat zu gewinnen, denn in jedem Falle zeigen TABELLE 17 und TABELLE 18, was es für die Kurmark bedeutete, wenn das Oberschulkollegium sich 1788 nur die Stellen mit 120 Talern und mehr für die approbierende Mitwirkung bei der Besetzung vorbehielt. 159 Für die Landschullehrerstellen auf den großen Adelsherrschaften der Altmark wird wiederum auf siedlungsstrukturbedingte Einflüsse zu achten sein, vgl. dazu oben 158

i m ZWEITEN T E I L , ERSTES KAPITEL, b e i A n m . 2 3 4 — 2 3 6 u n d d i e A n g a b e n z u r S t e l l e n a u s -

stattung in der Altmark: F. W. A. Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung..., Bd. 1, S. 241 ; danach zählten in dieser Landschaft von 337 Dorfschulen 282 zu denen, die 60 Taler und weniger erhielten (84 %); mehr als 100 Taler bezogen von den 337 Dorfschullehrern nur 15 (5 % ) . 159

S i e h e o b e n i m ERSTEN T E I L , DRITTES KAPITEL, b e i A n m . 1 7 1 u n d

172.

350

II. Schule im absolutistischen

Staat

Ebenso galt die Marke von 120 Talern als die Grenze, von der ab ein Schulmeister allein von seiner Stelle leben könne, 160 eine Angabe, die dadurch an Bedeutung gewinnt, daß in der Neumark des Jahres 1805 von 605 Landschullehrerstellen nur 104 mit einem Gehalt von 80 T a lern ausgestattet waren. 161 Daß auch diese Zahlen in ihren Größenordnungen nicht allein die brandenburgischen Verhältnisse bezeichnen, möge als ein Beispiel TABELLE 19 für Ostpreußen zeigen. 162 Aus diesen Zahlen folgt, daß um 1800 nur 12 % beziehungsweise 4 % mit Approbation des Oberschulkollegiums zu besetzen waren. 163 Nach einem freilich sehr viel weniger differenzierten Verzeichnis, das aus dem Jahre 1790 stammt, 164 kann sodann für die Mehrzahl der preußischen Provinzen TABELLE 20 für Stadt- und Landschulen königlichen Patronats zusammengestellt werden — so kann die Dominanz der Niveauklasse unter 100 Talern in allen erfaßten Landesteilen eindeutig quantifiziert werden. Die große Masse der Schulen lag also unter dem gleichsam als Existenzminimum angenommenen Richtsatz von 100/120 Talern. Alle landesherrlichen Mittelzuweisungen hatten daran nichts zu ändern vermocht und — so wird die Argumentation fortzuführen sein — konnten deshalb auch nicht den Zwang zum Nebenerwerb mit den bezeichneten Interdependenzen zur Rekrutierungstradition jahrhundertelanger Konsistenz lösen. Zudem wird aber die Tatsache als auffäl" ,0 Vgl. dazu den Bericht des Oberkonsistoriums vom 28. Februar 1799 zu den Verhandlungen von 1771, Ueber das Schulwesen in der Kurmark..., S. 3 f.; nähme man jetzt auch nur 100 Taler als Minimum an, würden nur für die königlichen Stellen der Kurmark jährlich 24000 Taler erforderlich sein (F. S. G. Sack, Ueber die Verbesserung..., S. 11, errechnete über 28 000 Taler). Ganz ähnlich ein Bericht des klevemärkischen Regierungspräsidenten von Rohr vom 10. November 1798, Kopie im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Kleve-Mark, Akten Nr. 1439 (Regierungspräsident von Rohr 1798); von Rohr berichtete, daß ein Landschullehrer 100 Taler benötigte, um ohne anderen Nebenerwerb leben zu können. "·' Nach C. C. F. von Schmieden, Das Elementar- und Bürgerschulwesen..., S. 8 f.; 341 Landschullehrer hatten 40 Taler und weniger, 60 unter 10 Talern; P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 63, gibt für 1805 618 Landschullehrer in der Neumark an, davon hätten 300 außer den Akzidenzien 50 Taler und mehr als Einnahme bezogen. 162 Nach G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 14 (Ostpreußen 1798—1805), Abschrift aus Rep. 92 (Massow); unbedeutende Additionsfehler in der Vorlage wurden korrigiert. 163

Wie Anm. 159.

G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 2 (Generalia 1788—1799), Abschrift aus Rep. 76. 164

Rekrutierung

351

und Besoldung der Lehrer

TABELLE 1 9

„ Classifications-Tableau" Speziai-Kirchenressortierenden

und

ostpreußischen im Jahre

Ertragsklasse

unter 10 10— 20 20— 40 40— 60 60— 80 80—100 100—130 130—150 150—180 180—200

der von der Schulkommission Dorfschulen

1800

Anzahl der Schulen königliches Patronat I adliges Patronat 41 • 6 7 . 10< 421 I 423 i 78' 10914 3 12% 3 1

Tir. Tir. Tir. Tir. Tir. Tir. Tir. Tir. Tir. Tir.

Summen

28 99 246 74 . 13 6

27 < 69'

466

1082 1548

Total

TABELLE 2 0

Niveau der Einkünfte von Stadt- und Landschulen königlichen Patronats im Jahr 1790

Provinz über 200 Tir. Kurmark Neumark Ostpreußen Westpreußen Vorpommern Hinterpommern Magdeburg Halberstadt Minden Schlesien (Glogauer Dep.) Ostfriesland

5 1 47 1 8 2 2 11 6 5

Einkünfte 100—200 Tir.

bis lOOTlr.

83 8 116 3 34 5 51 21 46 25 15

558 194 977 189 238 122 152 79 136 44 29

352

II. Schule im absolutistischen

Staat

lig festzuhalten sein, daß sowohl den friderizianischen Schulfinanzierungsmaßnahmen als auch denen seines Vaters oder seiner Nachfolger gänzlich jener systematische Zug abging, der das Vorgehen im josephinischen Osterreich kennzeichnet, wo bei der Aufstockung des Schulfonds unter anderem durch eine Verdoppelung der Grundsteuer für alle Grundbesitzer der deutschen Gebiete, die sich länger als sechs Monate außer Landes aufhielten, schon eine Vervielfältigung der zur Verfügung stehenden Summen (von 101067 Gulden 1781 auf 703 660 Gulden 1786) erreicht werden konnte. 165 Wurde unter Joseph II. durchaus eindrucksvoll mit großflächigen Gehaltsanhebungen der Dorfschulmeister begonnen, so zeigten sich doch auch in der Habsburgermonarchie die Grenzen absolutistischer Reformkraft. Das auf 130 Gulden festgesetzte Minimalgehalt der Dorfschullehrer ließ sich denn doch nicht erreichen. 166 Das österreichische Beispiel bestätigt so die Berechtigung der aus der preußischen Schulgeschichte des 18. Jahrhunderts abzuleitenden Warnung, dem „frühmodernen" absolutistischen „Staat" eine strukturbildende Kraft für das breite niedere Bildungswesen ungeprüft zuzuschreiben. Exkurs: Invalidenversorgung und Schule im Widerstreit von Konsistorial- und Kammerkollegien Auch in der preußischen Schulgeschichte gibt es augenscheinlich unausrottbare Legenden. Zu ihnen gehört das farbige Bild von dem zum Schulmeister ernannten Militärinvaliden, das in der älteren und neueren allgemeinen und bildungsgeschichtlichen Literatur zu einem Wesenszug (ländlicher) Schulwirklichkeit stilisiert worden ist und weiter stilisiert wird. 167 Es kann mithin nicht verwundern, daß auch in der 165 Siehe insbesondere die wertvolle Studie von Ernst Wangermann, Aufklärung und staatsbürgerliche Erziehung. Gottfried van Zwieten als Reformator des österreichischen Unterrichtswesens 1781—1791 (= Osterreich Archiv. Schriftenreihe des Instituts für Österreichkunde), München-Wien 1978, S. 57f.; vgl. auch Carl Freiherr von Hock/ Herrn. Ign. Bidermann, Der österreichische Staatsrath (1760—1848). Eine geschichtliche Studie, Wien 1879, S. 526. '«· E. Wangermann, Aufklärung..., S. 56, S. 58. 167 Siehe ζ. B. Robert Seidel, Friedrich der Große. „Der Heros der deutschen Volksbildung" und die Volksschule, Wien-Leipzig 1885, S. 108; F. Vollmer, Friedrich Wilhelm I. . . . , S. 110 (mit einzelnen Beispielen); F. Paulsen, Das deutsche Bildungswesen..., S. 89; zum Preußen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. siehe W. H . Bruford, The Organisation and the Rise of Prussia, in: J. O. Lindsay, The Old Regime 1713—1763

Rekrutierung

und Besoldung der

Lehrer

353

sich h i s t o r i s c h e r T h e m e n a n n e h m e n d e n P u b l i z i s t i k auf d e n T o p o s v o m s c h u l m e i s t e r n d e n Invaliden n i c h t v e r z i c h t e t w e r d e n m o c h t e . „ E i n p a a r t a u s e n d invalide U n t e r o f f i z i e r e d u r f t e n V o l k s s c h u l l e h r e r

werden",

h e i ß t es d e n n z u m Beispiel g a n z u n b e f a n g e n bei B e r n t E n g e l m a n n . 1 6 8 S c h w e r e r w i e g t , d a ß n a c h wie v o r a u c h in b e d e u t e n d e n D a r s t e l l u n g e n beziehungsweise

Handbuchbeiträgen

zur preußisch-deutschen

Ge-

s c h i c h t e d e m e h e m a l i g e n M i l i t ä r eine g r o ß e B e d e u t u n g f ü r die p r e u ß i schen S c h u l e n z u g e m e s s e n w u r d e u n d w i r d . 1 6 9 (= The New Cambridge Modern History, Bd. 7), Cambridge 1957, S. 306; aus der Literatur der D D R : H. König, Zur Geschichte der Nationalerziehung..., S. 284. 168 In seiner Schrift: Preußen. Land der unbegrenzten Möglichkeiten, München 1979, S. 119, bei der Besprechung der friderizianischen Zeit. Ahnlich hatten es unlängst die Interessenten der Berliner Preußenausstellung (1981) zu lernen: „Während Friedrich Wilhelm I. Lehrern aus handwerklichen Berufen (Schneidern, Leinewebern, Schmieden) den Vorzug gegeben hatte, verdankten die preußischen Volksschulen seinem Nachfolger einen mit unverwechselbarer Qualifikation ausgestatteten Lehrertypus, der von da an aus den preußischen Volksschulen nicht mehr wegzudenken war: den pensionierten Unteroffizier als Dorfschulmeister." Und: „Die Besetzung von Lehrerstellen mit ehemaligen Militärs ist nicht nur während des Absolutismus eine Grundkomponente staatlicher Schulpolitik gewesen." (So Peter Brandt [Bearb.], Zur Sozialgeschichte eines Staates. Eine Darstellung in Quellen, unter Mitwirkung von Thomas Hofmann und Reiner Zilkenat [= Preußen. Versuch einer Bilanz. Katalog in fünf Bänden, Bd. 3], Reinbek bei Hamburg-Berlin 1981, S. 165.) Siehe als Beispiele Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau 1937, S. 422; Hajo Holborn, Deutsche Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1: Das Zeitalter der Reformation und des Absolutismus, München-Wien 1970, S. 614; siehe sogar den sonst außerordentlich gründlichen Beitrag von Gerhard Oestreich, Das Reich — Habsburgische Monarchie — Brandenburg-Preußen von 1648 bis 1803, in: Fritz Wagner (Hrsg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der A ufklärung (= Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Theodor Schieder, Bd. 4), Stuttgart 1968, S. 460, bei der Besprechung des Generallandschulreglements und der Bedeutung Zedlitz': „Bald aber übernahmen in der Landschule invalide Unteroffiziere und Soldaten die Erziehung der Kinder." — Da die männliche Landbevölkerung generell kantonpflichtig war, kann es an dieser Stelle also nicht um die Frage gehen, ob ein Schulmeister jemals gedient hatte; es muß (ganz im Sinne der Formulierungen Oestreichs) präzis das Problem der Invaliden-Versorgung betrachtet werden. Übrigens scheinen Soldaten, die eine Anstellung als Küster oder Schulmeister in Aussicht hatten, allgemein leicht den Abschied erhalten zu haben (Beispiel: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B., Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 5277 [Rudow], Supplik des Küsters Jancke vom 14. Februar 1793 an das Oberkonsistorium); so auch für Halberstadt W. Werner, Die Entwicklung der Landschulen..., Bd. 1, S. 155; in der Altmark, so berichtet Κ. H. Schmidt, Nutzbarkeit des Predigtamtes..., S. 246, mußten dagegen (um 1800) die Schulmeister, die Soldaten waren, zweimal jährlich (Frühjahr und Herbst) zu den Regimentern.

354

II. Schule im absolutistischen Staat

Dagegen steht zunächst die Tatsache, daß in der grundsätzlich gehaltenen Kabinettsorder vom 17. Dezember 1729, 170 die Normen für die Verwendung ehemaliger Unteroffiziere im Zivildienst gab, zwar verschiedene Versorgungsmöglichkeiten genannt wurden, nicht aber die als Küster oder Schulmeister. Ferner hat schon die ältere Forschung darauf hingewiesen, daß ein königliches Zirkular vom 24. April 1758 zwar die Unterbringung von Invaliden auf ländlichen Küster- und Schulmeisterstellen verlangte, daß aber dieser Befehl nur für wenige Monate galt. Es waren die Konsistorial- beziehungsweise provinzialen Regierungskollegien, die hier opponierend die Oberhand behielten. Das Oberkonsistorium antwortete, daß nur Kanzleibotenstellen für Invaliden zur Verfügung stünden, das Konsistorium zu Halberstadt verwies auf die Stellung der Kirchenpatrone, die das Stellenbesetzungsrecht ausübten, sowie auf den Einfluß von Gemeinden und Predigern; auch könne man von einer solchen Stelle nicht leben. Ebenso abwehrend lautete die Stellungnahme des Konsistoriums von Ostfriesland, die der neumärkischen Regierung sowie der übrigen Provinzialorgane. 171 Nach den Ermittlungen von Eduard Schnackenburg waren es eben diese Einwendungen, die den Plan des Königs vorerst scheitern ließen, und tatsächlich korrigierte die Resolution vom 9. Juli 1758 das befehlsgemäße Verfahren dahingehend, daß das Zirkular vom 24. April nicht für Schulmeister und schulehaltende Küster gelten sollte, sondern nur für Stellen, für die „Invaliden die erforderliche Tüchtigkeit haben". 172 Diese Revision bedeutete einen beachtlichen Sieg der Konsistorial-

170 A.B.B., Bd. 4, 2. Hälfte, Nr. 320, S. 511 f.; die bei F. Vollmer, Friedrich Wilhelm I—, S. 110, mitgeteilte Entscheidung aus dem Jahre 1729 bezieht sich dagegen auf einen Einzelfall, bei dem ein alter Soldat um eine Küsterstelle als „Supplikant" aufgetreten war. 171 Diese Darstellung nach den einschlägigen und grundlegenden Untersuchungen von E(duard) Schnackenburg, Das Invaliden- und Versorgungswesen des brandenburgisch-preußischen Heeres bis zum Jahre 1806. Mit Benutzung archivalischer Urkunden dargestellt, Berlin 1889, hierS. 76f.;ders., Verwendung von Invaliden als Schulmeister in friderizianischer Zeit, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, Bd. 25 (1908), S. 15, auch zum Folgenden. 172 Resolution vom 9. Juli 1758 (unterzeichnet vom Minister von Danckelmann) an die Regierung von Pommern, veröffentlicht: Novum Corpus Constitutionum.... Bd. 2, Nr. 32 zu 1758, Sp. 303—306, Zitat: Sp. 305 f.; siehe schon L. Beckedorff, Zur Geschichte. .., S. 44; K. Fischer, Geschichte..., Bd. 1, S. 319; vgl. für die Zeit um 1763 H. Notbohm, Das evangelische Kirchen- und Schulwesen..., S. 152.

Rekrutierung und Besoldung der Lehrer

355

kollegien über die (fiskalischen) Versorgungsinteressen, das heißt aber nicht, daß nicht u n t e r U m s t ä n d e n auch ein Invalide eine Schulstelle erhalten k o n n t e ; 1 7 3 das praktizierte Verfahren ist aber von der 1 7 5 8 angestrebten systematischen Versorgung von Invaliden auf Küster- und Schulmeisterstellen deutlich zu unterscheiden. D e r Versuch, eine generelle A n o r d n u n g für die Versorgung von Invaliden mit ländlichen Lehrerstellen durchzusetzen, sollte aber nicht z u m letzten Mal gemacht worden sein, wobei an dieser Stelle die Frage ausgeklammert sei, wer im J a h r e 1 7 7 9 als U r h e b e r dieses Gedankens anzusehen war. 1 7 4 Entscheidend bleibt, daß in einem Kabinettsdekret v o m 3 1 . Juli dieses Jahres ausdrücklich befohlen wurde, daß des Lesens, Rechnens und Schreibens kundige Invaliden, die sich „zu Schulmeistern auf d e m L a n d e und sonsten gut schicken, [ . . . ] dazu, besonders an den O r t e n , w o H ö c h s t dieselben [d. h. der König — der Verf.] die Schulmeister salariren, employiret werden sollen". 1 7 5 Zugleich erhielt der Generalmajor von der Schulenburg, der im Generaldirektorium das Kriegsdepartement leitete, den Befehl, d e m Geistlichen D e p a r t e m e n t monatlich eine Liste der geeigneten Invaliden zu übersenden. 1 7 6

173

Siehe G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

Pr. Br. Rep. 2 B, A b t . II, Spezialakten Kurmark,

N r . 590 (Klosterfelde), mit diversen Stücken; der Invalide Danneberg war Küster in Klosterfelde 1771—1773 und wurde sodann wegen schlechten Lebenswandels aus dem A m t entfernt (er ging als zünftiger Schneider nach Biesenthal); Wilhelm Dürks, Ur-

kundliche Geschichte der Landgemeinde Henningsdorf (Henningsdorf und Niederneuendorf), Henningsdorf 1931, S. 91. 174

D e r Geheime Finanzrat von Brenckenhoff wird von Zedlitz in einem Brief vom 7.

August 1779 an Rochow (F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., S. 245) genannt; G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

Bd. 4,

1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele N r . 1

(Generalia 1643—1787), Immediatbericht Brenckenhoffs vom 26. Juli 1779 (unter Berufung auf eine königliche O r d e r vom 21. Juli); zu anderen Urheberschaftserklärungen: J . D . E. Preuß, Friedrich

der Große...,

Bd. 4, Berlin 1834, S. 486; C . Kehr, Die

Geschichte des Königl. Schullehrer-Seminars zu Halberstadt..., S. 10; J. Grüner, Das Schulwesen des Netzedistrikts..., S. 109; M. Bär, Westpreußen..., Bd. 1, S. 554. ' 7 5 Das Stück ist vollständig abgedruckt bei A. F. Büsching, Beyträge

zu der

Lebensge-

schichte. .., S. 96 f. 176

A.a.O.,

S. 9 5 f . , K a b i n e t t s o r d e r a n S c h u l e n b u r g v o m 3 1 . J u l i 1779, mit Verweis auf

den Bericht Brenckenhoffs (vgl. Anm. 174); E. Schnackenburg, Verwendungvon

Invali-

den. .., S. 15 f.; entsprechend ein Reskript des Generaldirektoriums an die kurmärkische Kammer vom 12. August 1779, Gustav August Heinrich Baron von L a m o t t e ,

Practische Beyträge zur Cameralwissenschaft für die Cameralisten in den preußischen Staaten, und besonders diejenigen, welche churmärkische Cameralsachen bearbeiten, Teil 3, Halle 1785, S. 639; a.a.O.,

S. 602 f., wird eine königliche Verordnung aus dem Jahre

1770 zur Invalidenversorgung zitiert, in der der Schulstellen aber noch nicht gedacht wurde.

356

II. Schule im absolutistischen Staat

N u n war freilich das Ergebnis nicht ein S t r o m T a u s e n d e r von Invaliden in ländliche Schulstellen in den verschiedenen preußischen Provinzen. Vielmehr ist seit fast zweihundert J a h r e n , seit Büschings 1 7 8 8 erschienener Lebensgeschichte Friedrichs II., bekannt, daß von 4 2 5 8 Invaliden 1 7 7 ganze 7 9 (also 1,9 % ) v o m Generaldirektorium für tüchtig befunden und dem Geistlichen D e p a r t e m e n t gemeldet worden sind. 1 7 8 A b e r auch diese 7 9 wurden nach weiteren Prüfungen durch das Konsistorium zu Stettin, die westpreußische K a m m e r und durch andere Provinzialkollegien durchaus nicht alle für tauglich befunden, ja es k o n n t e festgestellt werden, daß nicht einmal bei allen T ü c h t i g e n das Interesse zur Ü b e r n a h m e einer Schulstelle vorhanden war. 1 7 9 Diese Zahl der im J a h r e 1 7 7 9 auf Schulstellen gelangten Invaliden war also absolut und relativ, gemessen an der Gesamtzahl der Invaliden 1 8 0 als auch im Vergleich

mit der Zahl der Landschulen

in

B r a n d e n b u r g - P r e u ß e n (TABELLE 4 und TABELLE 9 ) verschwindend ge-

ring. Die in den TABELLEN 1 3 , 1 3 a und 14 zusammengefaßten Erhebungen bestätigen den Befund sowohl für das gesamte 18. J a h r h u n d e r t als auch für dessen letzte J a h r z e h n t e bei einem nur unbedeutenden A n stieg. 1 8 1 Kann diese Aussage angesichts der zitierten einschlägigen, So eindeutig die Summe der Zahlen bei A. F. Büsching, Beyträge...,

177

gleichfalls W . Hubatsch, Friedrich der Große...,

S. 97; siehe

S. 206f. Anm.

Neben den in Anm. 177 genannten Stellen siehe J . D. E. Preuß, Friedrich

178

Große...,

Bd. 3, S. 116; E. Schnackenburg, Verwendung

Clausnitzer, Zur Geschichte..., des Großen...,

S. 419 mit Anm. 2 und 3; R . Koser, Geschichte

Friedrichs

Bd. 3, S. 472.

' Siehe zu den Einzelheiten E. Clausnitzer, Zur Geschichte...,

17 )

und 3; F. Vollmer, Die preußische der Große..S.

der

S. 16; E.

von Invaliden...,

Volksschulpolitik...,

S. 419 mit Anm. 2

S. 220; W . Hubatsch,

Friedrich

132, S. 2 0 6 f . Anm.; keiner der zehn Anwärter, die von dem Stettiner

Konsistorium geprüft wurden, bestand; von den in Königsberg geprüften 15 waren 5 für fähig gehalten worden, aber nur 3 wurden angestellt. Zur ansteigenden Entwicklung der Invalidenzahlen vgl. E. Schnackenburg, Das

180

Invaliden181

S. 88.

und Versorgungswesen...,

Die vergleichsweise grobe Messungsmethode verbietet aus einer derart minimalen

Veränderung Schlüsse zu ziehen, zumal damit gerechnet werden muß, daß in der ortsgeschichtlichen Literatur ein Invalide überdurchschnittliche Beachtung fand, verglichen mit dem üblichen Landhandwerker: Fälle wie das vielzitierte Beispiel Friedrichshagen bei Berlin mit einer spektakulären Stellenbesetzung mit einem Invaliden per „Cabinetsbefehl" (vgl. aus der zu Friedrichshagen schon reichen zeitgenössischen Literatur: A. F. Büsching, Beyträge..., Lehen Manne,

Friedrichs

des Zweiten

S. 98 [1788]; nach Büsching sodann [Joseph Richter], Königs

von Preußen

skizziert

von einem

freymüthigen

Bd. 4, Amsterdam [richtig: Wien] 1789, S. 20, zum Falle Friedrichshagen mit

anknüpfenden Räsonnements zu Preußen als militärischem Staat!).

Rekrutierung und Besoldung der Lehrer

357

freilich in Teilen der L i t e r a t u r recht unzureichend rezipierten F o r schung nicht erstaunen, so wird sich für die Problemstellung der vorliegenden U n t e r s u c h u n g die Frage als ertragreich erweisen, warum

das

Interesse des preußischen Fiskal- und Militärstaates, die Schulstellen als Versorgungsquelle zu nutzen, nicht durchzudringen vermochte. Z u n ä c h s t ist festzuhalten, daß sich das O b e r k o n s i s t o r i u m formal durchaus an die mit d e m Kabinettsdekret v o m 31. Juli 1 7 7 9 gegebenen Verfahrensrichtlinien hielt, 1 8 2 wenn es (wie auch das reformierte Kirchendirektorium) d e m genannten Generalmajor von der Schulenburg beziehungsweise der kurmärkischen K a m m e r vakante Schulstellen zur Besetzung mit Invaliden anzeigte, wobei jedoch schon sehr bald das Problem auftrat, daß die unzureichende finanzielle Ausstattung der Schulstellen

den

Intentionen

der

Invaliden^morgwwg

entgegen-

wirkte. 1 8 3 Auffällig ist ferner, daß bei ansteigenden Invalidenzahlen 1 8 4 gleichwohl selbst von dem seit 1 7 8 0 die Invalidensachen bearbeitenden O b e r s t e n von C o l o n g in mehreren Fällen des Jahres 1 7 8 2 die A n t w o r t erging, daß e i n / « > eine Schulstelle sei.

185

geeigneter Invalide nicht vorhanden

A u f die entscheidende Erklärung weist aber eine Bemerkung des

182 A. F. Büsching, Beyträge zur der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen..., S. 96 f., mit dem Befehl bei der Ansetzung von Invaliden mit von der Schulenburg zu korrespondieren. 185 Siehe: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 925 (Oranienburg), Vermerk des Kirchenrates Lipten vom 25. August 1779 zur Neubesetzung der reformierten Schulstelle in Oranienburg, für die auch ein brauchbarer Anwärter vorhanden sei. „Allein nach dem neuen Rescript sollte nun bey d Herrn General Major von Schulenburg angefragt werden, ob ein Invalide vorhanden [,] der lesen, schreiben und rechnen, auch darin und im singen eines Liedes u Psalms die Kinder unterrichten kann, er müßte aber das Schneider oder ander nützlich Handwerk treiben, damit er unter dem Gehalt, welches nur in 24 rtl und einigen thalern Schulgeld bestehe, sich das übrige zum Unterhalt nöthige verdienen könne. Schwerlich wird sich einer finden..."; siehe ferner in dem Aktenband Nr. 4366 (Seefeld), Requisitationalschreiben des Oberkonsistoriums vom 10. Mai 1781 an die kurmärkische Kammer (Konz.): Anfrage zu der erledigten Schulstelle zu Seefeld und Zweinert, ob für diese ein auf der „Versorgungsliste" stehender Invalide vorhanden sei (nach den folgenden Aktenstücken aus dem Jahre 1781 erhielt ein Invalide diese Stelle); siehe auch Nr. 3349 (Müllrose), Kommunikat der kurmärkischen Kammer an das Oberkonsistorium vom 15. November 1781, zur Annahme eines (vorher geprüften) Invaliden als Kantor in Müllrose.

Vgl. Anm. 180. G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 4086 (Liepe), Kommunikat des Obersten von Colong an das Oberkonsistorium vom 7. Februar 1782; siehe auch Nr. 3296 (Neu Langsow), hier besonders ein Marginal von der Hagens vom 28. Februar 1782. 184 185

358

II. Schule im absolutistischen Staat

Oberkonsistorialrates A n t o n Friedrich Büsching hin, wenn er wenige J a h r e später berichtete, daß das Geistliche D e p a r t e m e n t und das O b e r konsistorium „gleich anfänglich, als das J a h r h u n d e r t der Invaliden seinen Anfang nehmen sollte, alles" getan hätten, was sie konnten, um „es zu verkürzen und weniger schädlich zu m a c h e n " ; in diesem Sinne sei mit dem Generaldirektorium und dessen Kriegsdepartement die vorherige Prüfung der Invaliden verabredet worden. 1 8 6 In der T a t läßt sich ein zähes Ringen des Oberkonsistoriums u m die Invalidenversorgung auf Schulstellen beweisen, wobei eben das Prüfungsrecht als wichtigste W a f f e dieses Kollegiums eingesetzt werden konnte. 1 8 7 Büsching ging sogar soweit zu fordern, daß jeder Invalide ein zweifaches Prüfungsverfahren d u r c h m a c h e n sollte, bei dem nicht nur die bloßen Kenntnisse, sondern auch die Fähigkeit z u m U n t e r r i c h t e n festgestellt werden sollte. 1 8 8 D e r W i d e r s t a n d des Oberkonsistoriums, das auch das Geistliche D e p a r t e m e n t in die Auseinandersetzungen einbezog, in dem es „bey Gelegenheit" der Stellenbesetzung auf der Fürstenwalder Amtskolonie über die „Differenzien" mit der K a m m e r bezüglich der „wegen der Invaliden Versorgung ergangenen Vorschrift e n " berichtete, war durchaus effektiv. 1 8 9 U m g e k e h r t wandte sich die

186 A. F. Büsching, Beyträge zu der Lebensgeschichte ... Friedrichs des zweyten..., Halle 1788, S. 98. 187 G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 3444 (Fürstenwalde), mit ausführlichen Korrespondenzen aus den Jahren 1783—1788 zur Besetzung der Gnadenschulstelle auf der Kolonie Fürstenwalde; das Oberkonsistorium unterstützte gegen die einen Invaliden bevorzugende Kammer einen Anwärter, der in Reckahn „Unterricht genommen" hatte (so von der Hagen am 2. Oktober 1783). Aus diesen Akten geht hervor, daß von Colong auch 1783 zunächst „auf der disjährigen Märkischen Inspections Liste keine solche Invaliden [,] welche sich zu Küster und Schulmeister Stellen qualifiziren", benannte (Kommunikat des Oberkonsistoriums an die kurmärkische Kammer vom 18. Dezember 1783). Zum Charakter der Auseinandersetzungen zwischen Oberkonsistorium und Kammer als Kompetenzkonflikt siehe das Kommunikat des Oberkonsistoriums vom 14. März 1784 (Konz.), in dem dieses darauf bestand, daß ihm in Frage kommende Invaliden zu melden seien; vorher die Kammer einzuschalten schaffe „Incovenientzen". 188 A.a.O., Bericht Büschings vom 18. Mai 1784 an das Oberkonsistorium; siehe auch schon Büschings Bericht vom 14. Januar 1783 im Falle der Schulmeisterstelle in Beerfelde (G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 3 B, Abt. II, Orte A—Z, Nr. 269 [Beerfelde]) mit grundsätzlichen Zweifeln an der Verwendbarkeit von Invaliden auf Schulstellen; eine seminaristische Vorbereitung solle für sie obligat gemacht werden. Büsching scheint sich im Oberkonsistorium in Invalidensachen besonders engagiert zu haben. ,8" G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 3444

Rekrutierung

und Besoldung

der

Lehrer

359

k u r m ä r k i s c h e K a m m e r s c h o n a m 5 . D e z e m b e r 1 7 8 0 an das G e n e r a l d i r e k t o r i u m m i t e i n e r M i t t e i l u n g ü b e r die S c h w i e r i g k e i t e n bei d e r U n t e r b r i n g u n g v o n I n v a l i d e n auf S c h u l s t e l l e n . S o w o h l die o h n e h i n u n g e n ü g e n d e Q u a l i t ä t d e r Invaliden als a u c h die geringe m a t e r i e l l e A t t r a k t i v i t ä t d e r S c h u l s t e l l e n w u r d e n als H e m m u n g s f a k t o r e n nannt.

190

offen be-

D a s O b e r k o n s i s t o r i u m p o c h t e seinerseits auf die e i n m a l v e r -

e i n b a r u n g s g e m ä ß e r h a l t e n e P r ü f u n g s k o m p e t e n z in I n v a l i d e n s a c h e n , w o b e i die I n t e r e s s e n dieses K o l l e g i u m s , Invaliden t u n l i c h s t v o n S c h u l stellen f e r n z u h a l t e n , m i t d e n e n v o n K a m m e r u n d G e n e r a l d i r e k t o r i u m n a c h m ö g l i c h s t z a h l r e i c h e n I n v a l i d e n v e r s o r g u n g e n a u f e i n a n d e r prallt e n . D i e „ C a m e r a l - C o l l e g i a " k o n n t e n sich dabei b e z e i c h n e n d e r w e i s e g e g e n das O b e r k o n s i s t o r i u m n i c h t d u r c h s e t z e n , wie L a m o t t e s c h o n 1 7 8 5 e r k e n n e n ließ. 1 9 1 S c h o n z u d i e s e m Z e i t p u n k t w a r also das P h ä n o m e n des I n v a l i d e n s c h u l m e i s t e r s w i r k s a m kanalisiert, w u r d e n d e r a r t i g e

(Fürstenwalde). Konzept des Berichts des Oberkonsistoriums an das Geistliche Departement vom 17. Juni 1784 (von der Hand von der Hagens), ferner insbesondere eine Aktennotiz von der Hagens vom 10. Juni 1784 zu dem vom Oberkonsistorium protegierten Anwärter auf die Schulstelle der Kolonie Fürstenwalde und der Taktik der Kammer: „Es ist dahero so wiederrechtlich als unerhört, daß die Cammer denselben gegenwärtig durch einen Invaliden zu verdrängen suchet und obgleich Zeithero verschiedene Invaliden examiniret worden, so sei doch keiner zu dergl. Stellen tüchtig gewesen." Das Oberkonsistorium setzte sich mit seinem Kandidaten durch; 1787/88 erhielt nach dem Tod des bisherigen Schulhalters ein von Gedike geprüft und für qualifiziert befundener Invalide die umkämpfte Stelle. Siehe auch den Fall Eggersdorf 1784, wo offenbar der Widerstand der Gemeinde den Ausschlag gab: A. Giertz, Bausteine zu einer Geschichte des Barnim..., Bd. 1, S. 811 f. Zur Haltung Zedlitz' in der Frage der Invalidenversorgung siehe F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 4, S. 287, S. 289. Siehe die Mitteilungen (offenbar aus der kurmärkischen Kammerregistratur) bei G. Α. H. Baron von Lamotte, Practische Beyträge zur Cameralwissenschaft..., Teil 3, S. 612, S. 639 f. 191 A.a.O., S. 642, mit der Feststellung: „So verschieden war der Gesichts-Punkt, aus welchem einer Seits die Cammeral-Collegia und anderer Seits das Ober-Consistorium die Sache betrachteten." Die Kameralkollegien suchten die Invalidenversorgung, das Oberschulkollegium konzentrierte seine Überlegungen „auf die zweckmäßigste Besetzung der Küster- und Schulmeister-Stellen". „Diese überwog die erstere." Vgl. F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 184f. und S. 232 zur Gefahr einer Heranziehung von Invaliden für Gnadenschulstellen, da diese auf Grund ihrer finanziellen Ausstattung noch am ehesten versorgungsgeeignet waren. Siehe die Ablehnung einer nur 36 Taler 12 Groschen einbringenden Stelle zu Liebenthal durch einen Invaliden: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 631 (Liebenthal), Bericht des Inspektors Gloerfeld vom 18. Mai 1800. 1,0

360

II. Schule im absolutistischen

Staat

S t e l l e n b e s e t z u n g e n s p a r s a m u n d n u r d a n n v o r g e n o m m e n , w e n n an d e r E i g n u n g des A n w ä r t e r s (nach den M a ß s t ä b e n der Z e i t ! ) kein Zweifel b e s t a n d , wie dies a u c h a u s d e n A k t e n zweifelsfrei als P r a x i s e n t n o m m e n w e r d e n k a n n . 1 9 2 H i n z u k a m , d a ß F r i e d r i c h I I . in e i n e r e i g e n w i l l i g e n U n t e r s c h e i d u n g v o n „ w a h r e n " I n v a l i d e n , die als v e r s o r g u n g s w ü r d i g a n z u s e h e n s e i e n , u n d s o l c h e n , u m die C o l o n g s i c h e r s t an z w e i t e r S t e l l e z u k ü m m e r n h a b e , 1 9 3 s e l b s t d a s R e s e r v o i r in F r a g e k o m m e n d e r Invaliden einschränkte. D e r z ä h e W i d e r s t a n d d e r m i t S c h u l s a c h e n b e f a ß t e n K o l l e g i e n , wie e r auch außerhalb der K u r m a r k beobachtet werden kann,194 anhaltende

1.2 Siehe a.a.O., Nr. 1359 (Melzow), Vermerk Meierottos vom 13. Dezember 1788 über die Ansetzung eines Invaliden in Melzow (Uckermark); ferner Nr. 1179 (AltLandsberg) mit verschiedenen Stücken aus dem Jahre 1789 zu Alt-Landsberg und Vielitz (zu letzterem ein Bericht Zöllners vom 17. Februar 1789); siehe auch das Reskript des Oberschulkollegiums an das Oberkonsistorium vom 22. Juli 1800 zur Ansetzung von drei Invaliden, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Nr. 1) [Nr. 2029]; Ablehnung wegen mangelnder Fähigkeit: a.a.O., Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 4184 (Frankfurt, Gubener Vorstadt), Stücke von 1798.

In dem Aktenband Nr. 3444 (Fürstenwalde) eine Abschrift der Kabinettsorder vom 15. Juni 1784 an den Obersten von Colong: „Mein lieber Obrister v. Colong. Nach Eurem Rappord von Gestern sind noch eine große Menge Invaliden zu versorgen, daß sind bey Mir nur wahre der Versorgung werthe Invaliden [,] welche in denen Kriegen besonders im 7jährigen blessiret sind. Was hingegen in Friedens Zeiten schwindsüchtig oder sonst Invalide geworden ist [,] verdienet nicht, daß man für deren Versorgung so sehr bekümmert ist, und dies mag Euch bey dieser Gelegenheit zu Eurer Direction und Vorzug der erstem nicht verhalten..."; siehe auch zu einer ähnlichen Kabinettsorder vom 3. November 1784 an Colong August Friedrich Hase, Handbuch zur Kenntnis des Preußischen Policey- und Kameralwesens, Bd. 1, Magdeburg 1794, S. 264. 1.3

1,-1 Siehe H . Notbohm, Das evangelische Kirchen- und Schulwesen in Ostpreußen S. 153; zu Halberstadt W . Werner, Die Entwicklung der Landschulen..., Bd. 1, S. 160, und zur Neumark 1801: P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 4 4 f . Uber die unbedeutende Verbreitung von Invaliden auf Schulstellen im Netzedistrikt berichtete J . Grüner, Das Schulwesen des Netzedistrikts..., S. 112; für Oberschlesien ist mit C. Grünhagen, Das schlesische Schulwesen..., S. 28, mit einer regionalen Konzentration von Invaliden auf Landschulstellen zu rechnen, siehe aber dagegen zur mangelnden Eignung von Invaliden zu Schulhalterdiensten und den daraus zu ziehenden Konsequenzen bei Stellenbesetzungen ein Reskript des Geistlichen Departements, unterzeichnet von Zedlitz, vom 7. Dezember 1780 (an Oberamtsregierung und Oberkonsistorium zu Breslau): Sammlung aller in dem souverainen Herzogthum Schlesien und dessen incorporirten Grafschaft Glatz... publicirten und ergangenen Ordnungen..., Bd. 17, Breslau 1786, Nr. 60, S. 122 f.; weiter die Verordnung der Regierung Kleve vom 23. November 1787: J . J . Scotti (Hrsg.), Sammlung der Gesetze..., Teil 4, Düsseldorf 1826, Nr. 2372, S. 2316.

Rekrutierung Konflikte

zwischen

und Besoldung

Kammer

und

361

der Lehrer

Oberkonsistorium

und

dessen

g r u n d s ä t z l i c h e r P r o t e s t g e g e n die B e s e t z u n g s p r a x i s d e r K a m m e r bei l ä n d l i c h e n S c h u l s t e l l e n 1 9 5 m ü n d e t e n u n t e r d e m n e u e n K ö n i g in die m i t d e r K a b i n e t t s o r d e r v o m 2 7 . S e p t e m b e r 1 7 8 8 an W o e l l n e r g e g e b e n e g e n e r e l l e W e i s u n g , n u r s o l c h e I n v a l i d e n „ a n z u n e h m e n , w e l c h e sich z u m U n t e r r i c h t e d e r J u g e n d s c h i c k e n " , die „ U n t a u g l i c h e n " a b e r z u r ü c k z u w e i s e n , „weil d i e H a u p t s a c h e h i e r m e h r a u f die V e r b e s s e r u n g d e r S c h u l e n , als auf die V e r s o r g u n g eines I n v a l i d e n a n k o m m e n m u ß , d e r , w e n n e r sich n i c h t z u m S c h u l m e i s t e r s c h i c k e t , n u r S c h a d e n a n r i c h t e t " . 1 9 6 D i e s e A n o r d n u n g in V e r b i n d u n g m i t d e r s c h o n b e t r a c h t e t e n K o m p e t e n z v e r l a g e r u n g von den K a m m e r n zu den Konsistorien bezieh u n g s w e i s e R e g i e r u n g e n 1 9 7 s t e l l t e e i n e n k o m p l e t t e n Sieg d e r geistlichen Kollegien dar. „ O b n u n g l e i c h die V e r s o r g u n g d e r I n v a l i d e n m i t C i v i l p o s t e n in d e r H i n s i c h t , d a ß sie d e m S t a a t e k e i n b a a r G e l d k o s t e t , v o r t h e i l h a f t u n d d a h e r z u b e f ö r d e r n ist; s o ist d o c h g r o ß e V o r s i c h t n ö t i g , d a ß diese

1,5 Unmittelbar vor der sogleich zu betrachtenden Kabinettsorder vom 27. September 1788 hatte die Frage der Schulstellenbesetzung im Dorfe Letschin (Amt Wollup) zu einem erneuten heftigen Zusammenstoße zwischen Oberkonsistorium und Kammer, die wiederum einen Invaliden bevorzugte, geführt; siehe die verschiedenen Stücke im G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 3313 [Letschin]). Nach einer Resolution von der Hagens vom 4. September 1788 sollte „wegen der von der ρ Cammer bishero geschehenen Anmassungen bei Besetzung der Küster-Stellen" an das Geistliche Departement berichtet werden. Irwing erhielt den Auftrag zur Abfassung des Berichtes; das Konzept trägt das Datum des 18. September 1788. Darin wurden Kompetenzüberschreitungen bei der Besetzung von Schulmeisterstellen auf Amtsdörfern grundsätzlich gerügt und u. a. auf den Fall Letschin verwiesen.

Abschrift im Archiv des Konsist., Generalia Κ I, Nr. 19 I; Druck: M. Lehmann (Hrsg.), Preußen und die katholische Kirche..., Bd. 6, Nr. 271, S. 322 f.; siehe auch das Requisitionalschreiben des Oberschulkollegiums an das Oberkriegskollegium vom 14. Oktober 1788, Abschrift aus Rep. 47, in: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 2 (Generalia 1788—1799): zunächst Prüfung der Invaliden durch Feld- oder Garnisonsprediger, danach erneute Prüfung durch das Oberschulkollegium. 196

1 , 7 Siehe oben im E R S T E N T E I L , D R I T T E S K A P I T E L , bei Anm. 167—169; entsprechend ein Kommunikat der kurmärkischen Kammer zum Fall Letschin vom 3. November 1788 an das Oberkonsistorium, G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 3313 (Letschin), mit Hinweis auf das „Directoral-Rescript vom 30ten Septbr:" (vgl. im E R S T E N T E I L , D R I T T E S K A P I T E L , Anm. 169) und der Feststellung, die Kammer habe „nicht mehr mit Besezzung der Küster- und Schulhalter-Stellen zu thun"; entsprechend sei in Letschin zu verfahren. Das Oberkonsistorium hatte sich mit seinem Kandidaten durchgesetzt.

362

II. Schule im absolutistischen

Staat

Versorgungsart nicht dem Staate ein größeres Uebel zuwege bringe, als sie abwenden soll. Aus dem Grunde sind auch die Schulmeisterstellen 198 [ . . . ] immer, einen kurzen Zeitraum unter der vorigen Regierung abgerechnet, zu den Invalidenversorgungsposten nicht gezählt worden", stellte August Friedrich Hase in seinem preußischen Polizei- und Kameralhandbuch 1794 fest. 1 9 9 Auch der erneut auf die Anstellung von Invaliden auf Kirchen- und Schulstellen drängenden Verordnung vom 18. Juni 180 1 2 0 0 folgte alsbald eine erfolgreiche Demarche von Massows mit dem Resultat, daß Invaliden nur in Ausnahmefällen und bei nachgewiesener Qualifikation mit Schulstellen zu versorgen seien. 201 Weiterhin hatten die konsistorialen Kollegien die Prüfungswaffe zur Verfügung. 202 Wenn mithin Leopold Krug im Jahre 1805 von der Versorgung invalider Soldaten mit „Zivildiensten" sagen konnte, daß sie „nicht mehr mit Schulstellen" erfolge, 2 0 3 so wird daraus zu schließen sein, daß der bei der Untersuchung der Rekrutierungsfelder ländlichen Lehrpersonals aufgewiesene generelle Befund, daß die Invaliden durchaus nicht die preußische Schulwirklichkeit charakterisierten und prägten, auch für die Jahre unmittelbar vor dem preußischen Zusammenbruch eine Bestätigung findet. Insgesamt waren die kurzen Zeiträume, in denen — theoretisch! — ein größeres Kontingent von Invaliden hätte in Schulstellen einrücken können, entschieden zu kurz, um die Bildungs-

Es folgt ein Verweis auf die Resolution vom 9. Juli 1758. A. F. Hase, Handbuch..., Bd. 1, S. 269. 200 Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 11, Nr. 34 zu 1801, Sp. 311 f. 201 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 3 (Generalia 1800—1802), Immediatbericht Massows vom 30. Oktober 1801 mit einem Vermerk auf dem Kopf des Stückes: „Approbirt". Massow verweist auf die Berichte „fast aller Provinzialregierungen"; in demselben Bericht weist Massow darauf hin, daß er in seinem Departement 52 Invaliden versorgt hätte. Diese sind freilich nicht mit Anstellungen als Schulmeister ohne weiteres zu identifizieren. Nachzuweisen ist die Invalidenversorgung auch auf Kastellan- und Kalfaktorenstellen (K. Fischer, Geschichte..., Bd. 1, S. 319f. Anm. 1). 202 G. H. Borowski, Ahriß des praktischen Cameral- und Finanz-Wesens..., Bd. 2, S. 689; siehe auch die Korrespondenzen aus dem Jahre 1803, Archiv d. Konsist., Spezialia Kurmark, Sup. Brandenburg-Stadt, Spec. III a, Nr. 3 I (Küster an der Johanniskirche); danach wußte das Oberkriegskollegium im April 1803 keinen qualifizierten Invaliden reformierter Konfession für die Küsterstelle an der Johanniskirche in Brandenburg (Havel) in Vorschlag zu bringen. 203 L. Krug, Abriß der neuesten Statistik..., S. 130. 1,8

199

Rekrutierung und Besoldung der Lehrer

363

realität in Preußen prägen zu können. Doch ist der Erkenntniswert dieser Problematik nicht nur in der Aussage zu finden, daß, entgegen der schon seit Büsching (1788) 2 0 4 vorhandenen Beweise, die Neigung, die Invaliden-Schulmeister als Randphänomen in anekdotenhafter Stilisierung zu einem Leitmotiv der Schulwirklichkeit zu erheben, zurückzuweisen ist. Vielmehr bleibt als verfassungsgeschichtliches Resultat aus dem jahrzehntelangen Ringen zwischen den Kammer- und den konsistorialen Kollegien festzuhalten, wie unsicher der Ausgang von Kraftproben zwischen den Organen der modernen kommissarischen Kammerverwaltung und den traditionsreichen geistlichen Kollegien sein konnte, und umgekehrt, als wie effektiv sich deren Widerstand selbst dann erwies, 205 wenn militärische und fiskalische Interessen umkämpft wurden. Das Durchsetzungs- und Beharrungsvermögen jener älteren Institutionenschicht im Kontext der Geschichte der preußischen Behördenorganisation darf als das eigentliche Ergebnis festgehalten werden.

204

Vgl. oben bei Anm. 177.

205

Vgl. zu der Fragestellung oben im

ERSTEN T E I L , DRITTES KAPITEL,

bei Anm.

6

und

7.

DRITTES KAPITEL

Entstehung und Wirkung organisierter Lehrerbildung

Die anarchische Form der

Qualifikation

Wurde in den vorhergehenden Kapiteln Entstehung, Verbreitung und materielle Ausstattung der Schulen in Stadt und Land sowie das Problem der Rekrutierung des schulischen Lehrpersonals untersucht, so wird die Frage nach den vorhandenen Wegen zum Erwerb des Wissens, das Schulmeister und Lehrer besaßen, im folgenden als dritter Hauptkomplex der Schulwirklichkeit zu betrachten sein. Dabei ist zunächst daran zu erinnern, daß in bezug auf das städtische Lehrpersonal die theologische, also eine universitätsgebundene Vorbildung, das Bild im Brandenburg-Preußen des 18. Jahrhunderts beherrschte; dies galt bis hinunter in die unteren Ränge. Es bleibt nun zu prüfen, welche Quellen zum Erwerb der erforderlichen Qualifikationen künftiger Schulmeister „unterhalb" des Theologen-Lehrers zu erkennen sind. Dieses Problem ist auch deshalb einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, weil der Kreis der Oberschul- und Oberkonsistorialräte, aber auch der reformierten Kirchenräte, große Zurückhaltung bei der Übertragung von Landschullehrerstellen an Studierte erkennen ließ, wobei deutlich Überlegungen im Sinne einer Aufrechterhaltung der ständischen Separation im Spiele gewesen sind.1

Siehe die Plural voten aus dem Jahre 1796: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, N r . 1190 (Marzahn), zur Frage der Bewerbung eines Studenten der Theologie um die reformierte Schulstelle zu Marzahn, ζ. B. das V o t u m Meierottos (10. März): „Er wird für die Dorfschule zu viel studiert zu haben glauben, und im Grunde die Dorfbewohner, deren Kinder u. Lebensart zu wenig studiert haben"; ferner das V o t u m des Kirchenrates Friedel II vom selben Tage, der als Voraussetzung zur Annahme des Studenten verlangte, daß er mit „der ganzen Lage eines armen Dorfschulmeisters sich gehörig bekannt gemacht habe". Resolution des Chef-Präsidenten Thulemeier am 12. März: „accedo". Siehe im Aktenband N r . 4422 (Zwei1

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

365

Z u e r s t ist allerdings die Frage z u stellen, w e l c h e Fertigkeiten v o n den k ü n f t i g e n S c h u l m e i s t e r n ü b e r h a u p t e r w a r t e t u n d verlangt w u r d e n . D a f ü r sind insbesondere die V o k a t i o n s u r k u n d e n , m i t denen den neuen K ü s t e r n o d e r S c h u l m e i s t e r n auch ihre U n t e r r i c h t s p f l i c h t e n umschrieb e n w u r d e n , eine wesentliche Q u e l l e n g a t t u n g ; I n f o r m a t i o n e n ü b e r P r ü f u n g s a n f o r d e r u n g e n stehen — an dieser Stelle der U n t e r s u c h u n g z u n ä c h s t n u r hilfsweise — z u r V e r f ü g u n g . Festzustellen ist, daß nach diesen M a t e r i a l i e n im f r ü h e n 1 8 . J a h r h u n d e r t das R e c h n e n in den D o r f s c h u l e n nicht v e r b r e i t e t gewesen zu sein scheint 2 und daß d e r U n t e r r i c h t auf die religiöse U n t e r w e i s u n g , auf das Lesen und (allenfalls) auf das Schreiben b e s c h r ä n k t blieb; damit gingen die L e h r i n h a l t e nicht ü b e r das hinaus, was s c h o n f ü r das 1 7 . J a h r h u n d e r t nachgewiesen w e r d e n kann. 3 A u c h n o c h in der z w e i t e n H ä l f t e des 1 8 . J a h r h u n d e r t s zählte die F e r t i g k e i t z u m R e c h e n u n t e r r i c h t nicht u n b e d i n g t zu den v o n b r a n denburgischen L a n d s c h u l m e i s t e r n v e r l a n g t e n Eigenschaften. 4

Aber

nert) insbesondere die Abschrift eines Reskripts des Oberschulkollegiums an das Konsistorium zu Küstrin vom 28. Juni 1791; ferner J. F. Zöllner, Ideen über NationalErziehung..., S. 302: „Candidaten [d. h. der Theologie, — der Verf.] und überhaupt Männer, die in Städten erzogen sind, würde ich nie zu Landschullehrern wählen." Vgl. auch unten Anm. 99 ! 2 Vgl. allgemein F. Wienecke, Die Begründung der evangelischen Volksschule..., S. 63; siehe ζ. B. die Rudower Vokation von 1718 bei Erika Zinser, Beiträge zur Geschichte der Dorfschule in Rudow, in: Neuköllner Heimatvereine. V. Mitteilungsblatt, Nr. 25 (1964), S. 434; F. Vollmer, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 113; E. Kaeber, Geschichte des Bezirks Lichtenberg..., S. 71, S. 88; E. Dahlenburg, Birkenwerder..., S. 71; O. Hellmann, Stralau..., S. 96; für das frühe 18. Jahrhundert auch die interessante Edition: Die Schneider und Schulmeister, in: Teltower Kreiskalender, Bd. 24 (1927), S. 83 (Dergischow 1724, Unterricht in der Gottesfurcht und im Lesen); ferner die Mitteilungen aus den Konduitenlisten des Jahres 1736 bei J. Schultze, Die Lehrerschaft des Kreises Züllichau..., S. 172, S. 174 (mangelnde Fertigkeiten der Schulmeister im Schreiben bzw. sogar auch im Lesen). Als Vergleichszitat für Ostpreußen: F.-W. Henning, Herrschaft und Bauernuntertänigkeit..., S. 79. 3 B. von Bonin (Hrsg.), Entscheidungen..., S. 127, S. 243, S. 289; siehe auch die schon zitierte Schöneberger Bestallungsurkunde vom 2. Januar 1647, W. Feige, Rings um die Dorfaue..., S. 110. 4 Siehe die Vokation des reformierten Schulhalters in Gosen (Beeskow-Storkow) vom 6. Juni 1766, G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 979 (Gosen); 1790 wurde dann in einer Bestallung das Rechnen auch in diesem Ort erwähnt. Siehe ferner die Visitationsabschiede für Buchholz, Glienicke und Wegendorf (1786), im Archiv d. Konsist., Spezialia Berlin, Sup. Friedrichswerder I, Gen. Nr. 5 (Visitationen 1756—1806); L. Lehmann, Märkisches Dorfleben..., S. 57; A. Giertz, Bausteine zu einer Geschichte des Barnim..., S. 803; vgl. zu dem Lehrer in Stolzenhagen, der, im Jahre 1810 seit 35 Jahren im Amt, nicht rechnen konnte, so daß

366

//. Schule im absolutistischen

Staat

seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts erscheint immerhin häufiger ein Typ von Bestallungsurkunden in der Uberlieferung, in dem auch der Unterricht im Rechnen verlangt wurde, 5 wobei das auffällige Phänomen entgegentritt, daß aus den Gemeinden selbst der Wunsch nach einem Unterricht auch im Rechnen laut wurde. 6 Dagegen sind

der Unterricht auf die Religion, die Buchstabenkenntnis sowie das Lesen und Schreiben beschränkt blieb: (Leopold) Lüders, Eine uckermärkische Dorfschule vor hundert Jahren, in: Mitteilungendes Ockermärkischen Museums- und Geschichtsvereins zu Ρ renzlau, Bd. 4 (1908), S. 172 f.; zu ostpreußischen Beispielen sei verwiesen auf E. Gloria, Der Pietismus. .., S. 67. 5 G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 4554 (Quappendorf), Kopie der Vokation des Quappendorfer Schulmeisters (Patron: Oberstleutnant von Prittwitz) vom 2. April 1765; Nr. 597 (Herzfelde), Vokation für den adjungierten Schulhalter zu Herzfelde (Amt Rüdersdorf); Archiv d. Konsist., Spezialia Kurmark, Sup. Storkow, Par. Neuzittau, Wernsdorf, Spec, g Nr. 10, Vokation des Schulmeisters in Wernsdorf (1789); ferner aus der Literatur ζ. Β.: E. Kaeber, Geschichte des Bezirks Lichtenberg..., S. 124 (Kaulsdorf 1761); R. Schmidt-Eberswalde, Die Amtsdörfer ..., S. 131 (Buchholz, Oberbarnim, 1781); zu entsprechenden Prüfungsanforderungen siehe E. Zinser, Beiträge..., S. 455 (Rudow 1759/1793); Ernst Rehfeldt, Geschichte von Niederschönhausen. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Barnimer Landes, Berlin-Niederschönhausen 1920, S. 190 f. (Niederschönhausen 1740). 6 G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 4524 (Müncheberg), Visitationsbericht des Inspektors Schönholtz, 4. April 1737, zum adeligen Dorf Steinhöfel (Lebus) und dessen Küster: „Die Gemeinde erinnerte 1) daß er denen Kindern nicht die Ziffern und das Nachschlagen lehrete, u. II) unter den SchulStunden arbeite. Er ist wegen beyden puncten coram Patrono & Pastore erinnert, u. Ihnen beyderseits die Aufsicht recommendiret." Siehe a.a.O., den Band Nr. 4566 (Neuentempel), Supplik der von Burgsdorf, des Pfarrers und der Gemeinde zu Neuentempel (unterschrieben bzw. mit Kreuzen gezeichnet von 14 Gemeindemitgliedern), 25. April 1732; danach konnte der Küster nicht schreiben, Schule werde schon mehrere Wochen vor Ostern nicht mehr gehalten; die Väter in der Gemeinde wünschten aber einen Küster mit Fertigkeiten im Schreiben und Rechnen; schließlich die Akte Nr. 814 (Ruhlsdorf), Protokoll der Vernehmung der Niederbarnimer Filial-Gemeinde Ruhlsdorf, 16. Sept. 1726, „im Schultzen Gerichte" : der Schulmeister könne ohne die Küstereinkünfte nicht leben, die Gemeinde sei darum besorgt, „daß ihre Kinder von Jugend auf zur Gottesfurcht, Lesen, Schreiben und rechnen angeführet würden"; dazu sei ein entsprechender Unterhalt für den Schulmeister erforderlich, sonst müsse er „sein Handwerk zu stark dabey treiben" (wurde vom Konsistorium abgewiesen!); in der Vokation für den Ruhlsdorfer Schulmeister vom 12. Juni 1730 ist allein von einem zu haltenden Unterricht im Christentum, Lesen und Schreiben die Rede (a.a.O.)·, eine bei den Akten befindliche Prozeßvollmacht der Gemeinde vom 1. Febr. 1727 ist eigenhändig unterschrieben von 32 Gemeindeangehörigen, was auf ein vergleichsweise hohes „Bildungsniveau" an diesem Ort schließen läßt. Diese deutlichen Quellenstücke, in denen vor allem die Untertanen selbst handelnd unmittelbar entgegentreten, geben ein punk-

Entstehung und Wirkung organisierter

Lebrerbildung

367

Fälle einer weiteren Anreicherung dieses Landschullehrkanons offenbar nur selten vertreten und in zeitlicher Nähe zum Jahrhundertende zu beobachten. Dabei handelt es sich um Ansätze eines Unterrichts in der Geographie sowie in der Naturgeschichte. 7 Die Masse der vorliegenden Aussagen über konkrete Lehranforderungen und die Lehrpraxis läßt denn auch keinen Zweifel darüber zu, daß in der Regel die brandenburgische Dorfschule über die religiöse Unterweisung und die Vermittlung der elementaren Kenntnisse des Lesens, Schreibens und allenfalls des Rechnens nicht hinausführte. Dieses Lehrniveau ist zu beachten und vorauszusetzen, sollen Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung der Lehrfähigkeiten im 18. Jahrhundert geklärt werden; denn in der Mark Brandenburg sind auch in der zweiten Jahrhunderthälfte Gelegenheiten zu organisierter „Lehrerbildung" für (Land-)Schullehrer — wie noch näher zu betrachten sein wird — nur recht begrenzt vorhanden gewesen. Vor und neben dem Auftreten der ersten seminaristischen Anstalten sind Qualifikationsformen zu erkennen, die durch gänzlich fehlende oder doch geringe organisatorische Verfestigung gekennzeichnet sind und die auch nicht durch landesherrliche Regelungen geprägt wurden. Insofern sie der fremdgestützten Regulation entbehrten und dagegen

tuell keimendes Interesse an ausgebautem Schulunterricht zu erkennen. Dagegen stehen gerade für das spätere 18. Jahrhundert Zeugnisse für ein überwiegend geringes Interesse an ausgebreiteterem Unterricht, Nachrichten, die die entsprechenden Ausführungen von (Heinrich Christof Steinhart), Ό eher die Altmark. Ein Beitrag zur Kunde der Mark Brandenburg, Bd. 1, Stendal 1800, S. 116, bestätigen. 7 Siehe das aus dem Jahre 1792 stammende Verzeichnis der Lektionen in der Letschiner Dorfschule, G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 3313 (Letschin), mit einem außerordentlich gut besoldeten und seminaristisch präparierten Lehrer; hier wurde neben der Lektüre von Rochows „Kinderfreund" auch „etwas von der Geographie" und „etwas... aus der Natur-Geschichte" vorgelesen. Ferner Nr. 3324 (Libbenichen), der Bericht des Inspektors Protzen vom 16. November 1796 an das Oberkonsistorium sowie die Prüfungsprotokolle des künftigen Schulmeisters in Libbenichen (Geographie, Naturgeschichte); Prüfung in Erdbeschreibung: a.a.O., Nr. 278 (Parstein), Bericht des Inspektors Vogel vom 26. Juni 1795. Die verschiedenen Einzeltabellen aus Ostpreußen: G.St.A., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabt., Etats-Ministerium Königsberg, Tit. 42 a, Nr. 81 (Verzeichnis der Lehrereinkommen) zeigen, das Unterrichtsgegenstände wie Geographie und Geschichte sich auf den Kirchschulen durchzusetzen begonnen hatten, jedoch noch nicht als allgemein verbreitet angesehen werden dürfen (insofern zu optimistisch der Bericht der Spezial-Kirchen- und Schulkommission vom 6. März 1799 an das Etats-Ministerium, Tit. 42 a, Nr. 50 a [Oberschulkollegium 1787—1800]).

3 6 8

II. Schule im absolutistischen

Staat

Kennzeichen einer bisweilen beliebig erscheinenden Reproduktion schulischer Strukturen tragen, könnten sie als quasi anarchische Qualifikationsformen angesprochen werden. 8 Das bedeutet freilich nicht, daß Determinanten sozialer Art außer acht gelassen werden dürfen. Vielmehr muß gerade in der Weitervererbung der Lehrertätigkeit und der Lehrfähigkeit ein Phänomen „einer ständisch orientierten W e l t " (Wolfram Fischer) erkannt werden, 9 das auch in der Mark Brandenburg das Modell des „ganzen Hauses" mit seinen Funktionen der „Umgangserziehung", 10 des Hereinleitens und Hereinwachsens in den Stand und die Tätigkeit des Vaters in der (niederen) städtischen oder ländlichen Schulwirklichkeit konkret erkennbar werden läßt. Die Ausbildung des künftigen Schulmeisters durch den schulehaltenden Vater galt auch am Ende des 18. Jahrhunderts als eine der wichtigsten Wege zum Erwerb der nötigen Lehrfertigkeiten. „Daß er die Kinder öfters durch seinen Sohn unterrichten laße", heißt es in der Aussage eines Ruppiner Schulmeisters aus dem Jahre 1798, „geschähe hauptsächlich darum, um diesen zu üben und zu bilden ./. keine Beßere Anweisung kann auch der Sohn erhalten als die seines Vaters./ Auch der Sohn erklärte [,] er sei mit seiner Lage als Lehrling und als Gehülfe seines Vaters vor jetzo sehr wohl zufrieden, da ihm sein guter Vater alles gäbe, was er billiger Weise wünschen könne." 1 1 Die väterliche Vorbereitung war denn auch ein wirkungsvolles Argument bei dem Bestreben, die Schulstelle an den Sohn weiterzu8 Das bedeutet zugleich, daß diese Wege des Befähigungserwerbs quellenmäßig weit schlechter zu erfassen sind als die gleichsam registraturbildenden Seminarinstitute. Die quantitative Relation wird erst im Vergleich mit der Bedeutung seminaristischer Ausbildung insbesondere im ausgehenden 18. Jahrhundert zu erschließen sein. 9 W. Fischer, Der Volksschullehrer..S. 41 (mit Bezug auf das frühe 19. Jahrhundert); vgl. auch S. 42; siehe auch allgemein H. Titze, Die Politisierung..., S. 43.

Vgl. oben im E R S T E N T E I L , E R S T E S K A P I T E L , bei Anm. 8 — 1 2 . ' G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2B, Abt. II, Spezialakten Kurmark,Nr. 1116 (Lüdersdorf), Bericht des Inspektors Hanckwitz vom 29. Juni 1798 über die Aussage des Schulmeisters Mauerhof zu Lüdersdorf (Ruppin). Siehe auch Pr. Br. Rep. 40, Reg. Bez. Potsdam, Nr. 1256 (Merz), die handschriftliche Konduitenliste des Predigers Ruß zu Merz (Beeskow-Storkow) vom 27. Nov. 1800 zum Küster und Schulhalter Becker: Er erhielt seine „Praeparation in dem Hause seines Vaters [,] der Küster in Sachsen bey Guben mit einen Dinste gewesen". Nach einem bei den Akten liegenden Protokoll vom 13. Januar 1801 hatte Becker, selbst ein Schneider, auch einen Schneidergesellen ausgebildet. Der Fall läßt erkennen, daß auch mit der handwerklichen Rekrutierung des Schulpersonals ein lehrhaftes Element verbunden war, das im weiteren Sinne bei der Frage nach dem Qualifikationserwerb zu beachten ist (vgl. Anm. 19); siehe zum Posener Gebiet F. Kempff, Beiträge..., S. 102 f., aber auch zu den westlichen Teilen Preußens H. Keussen sen./H. Keussen jun., Beiträge..., S. 80 (Mörs 1789). 10 1

Entstehung und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

369

geben, so wenn etwa der K ü s t e r zu Biesdorf und Kaulsdorf (nahe Berlin) mit seiner Mitteilung im J a h r e 1 7 7 7 sein Ziel völlig erreichte, „daß ich meine[n] jüngsten Sohn [ . . . ] von J u g e n d auf, dazu angehalten, sich zu einem S c h u l - A m t e fähig und tüchtig zu machen. In dieser Absicht habe ich ihn [ . . . ] selbst in Schreiben [,] R e c h n e n und anderen Schul-Sachen nach Möglichkeit u n t e r r i c h t e t " , bevor er ihn (und damit in der T a t seinen Amtsnachfolger) auch noch auf das Berliner Küsterseminar sandte; 1 2 selbst bei seminaristischer Fortbildung blieb also die häusliche V o r b e r e i t u n g auf eine Schulstelle von Bedeutung, und der Berliner Seminarinspektor H e r z b e r g konnte 1795 mitteilen, daß mehrere Präparanden das Seminar eigens deshalb verließen, „ u m ihre V ä t e r bei der W i n t e r s c h u l e zu u n t e r s t ü t z e n und sich so im U n t e r r i c h t e n zu ü b e n " 3 Deshalb erstaunt auch nicht die vielfach anzutreffende Beobachtung, daß im frühen wie im ausgehenden 18. J a h r h u n d e r t die Söhne eben die Küster- beziehungsweise Schulmeisterstellen der V ä t e r übernahmen, 1 4 so daß in Einzelfällen gleichsam Schulmeisterdynastien über mehrere J a h r z e h n t e ein und dieselbe Stelle hielten. 1 5

12 G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Groß-Berlin (Eingemeindete Orte) Nr. 4951 (Biesdorf), Supplik des Küsters Christian Friedrich Stromer vom 20. Februar 1777 an das Oberkonsistorium; a.a.O., Spezialakten Kurmark, Nr. 3382 (Stenzig), ein Lebenslauf des Johann Friedrich Grassow (Anfang 1807), dessen Vater Küster und Schullehrer in Löwenberg bei Oranienburg war: „Demselben ich auch die ersten Kenntnisse im Christenthum, wie auch im Lesern [so!], Schreiben und Rechnen zu verdanken habe. Dort ich auch bei dem damaligen Herrn Prediger Jona in Unterricht ging [,] der mich weiter in der Christen-Lehre unterrichtete." Danach erlernte er das Schneiderhandwerk, arbeitete bis 1797 in kleinen Städten der Umgebung, „da in mir der Trieb erregt wurde, mich auch einmal als Schullehrer vorbereiten zu lassen: welches auch meine Eltern ihr herzlicher Wunsch war. Derhalben ich wieder nach Hause kam [!], um in Ciavierspielen und Rechnen mich zu üben." 1799 bis 1801 folgte ein Seminaraufenthalt in Berlin. Als weitere Fälle z. B.: Nr. 4549 (Müncheberg) Stücke von 1799 zum Müncheberger Konrektor; J . Schultze, Die Lehrerschaft des Kreises Züllichau..., S. 174; ferner P. Schwartz, Die beiden Opfer..., S. 131.

F. Herzberg, Auch ein Wort über den verewigten Grafen von Hertzberg..., S. 52. Siehe E. Dahlenburg, Birkenwerder..., S. 71; L. Lehmann, Märkisches Dorfleben..., S. 48, S. 56; G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Groß-Berlin Spezialia, Nr. 5002 (Mahlsdorf), Stücke von 1767 und 1803; W. Feige, Rings um die Dorfaue..., S. 111; zu analogen Erscheinungen in Mecklenburg: K. W. Ritter von Türk, Uber die zweckmäßige Einrichtung..., S. 67. 15 Fritz Stollhoff, 2244 Lehrer, Küster, Kantore und Organisten des Regierungsbezirks Potsdam, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Familiengeschichte im Kulturkreis Siemens E.V., Nr. 55 (1971), S. 121; zu Wernsdorf, wo 1789 die Schulstelle in der 3. Generation in der Hand einer Familie lag, siehe: Archiv d. Konsist., Spezialia Kurmark, 15 H

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II. Schule im absolutistischen Staat

Die V e r e r b u n g der L e h r e r q u a l i t ä t ist im ländlichen wie im städtischen N e x u s z u b e o b a c h t e n , 1 6 darf also als S t r u k t u r m e r k m a l v o r m o derner Schulwirklichkeit in B r a n d e n b u r g ü b e r h a u p t gelten, wobei sich die T e n d e n z z u r Erblichkeit einer Stelle auch v o n der Qualifikationsü b e r t r a g u n g verselbständigen k o n n t e . 1 7 Die erforderlichen elementaren Kenntnisse für das A u s ü b e n des Schuldienstes wurden e r w o r b e n , w o sich a u c h i m m e r eine Gelegenheit d a z u b o t . D a z u zählte die Ausbildung d u r c h irgend einen städtischen o d e r ländlichen Prediger. Dieser für die Z e i t der W e n d e v o m 18. z u m 19. J a h r h u n d e r t mehrfach belegte W e g z u r Lehrqualifikation war sowohl geeignet, die häusliche, durch den V a t e r gegebene Ausbildung z u e r g ä n z e n , als auch eine solche gänzlich z u e r s e t z e n , 1 8 eine angesichts des starken Anteils religiöser

Sup. Storkow, Par. Neuzittau, Wernsdorf, Spec, g Nr. 10; E. Dahlenburg, Birkenwerder. .., S. 71 (eine Schulhalterfamilie auf einer Stelle mehr als hundert Jahre); L. Moritz, Die Dorfschule von Wilmersdorf..., S. 126 Anm. 1 a, siehe auch S. 130; J . Schultze, Die Lebrerschaft des Kreises Züllichau..., S. 187. 16 Entsprechende Beobachtungen lassen sich sowohl für die Berliner Gymnasien als auch für kleinere Stadtschulen in der Provinz machen. Zum ersteren siehe Friedrich Gedike, Zum Andenken des verstorbenen Professors M. Job. Andr. Chr. Michelsen und des verstorbenen Prorektors Martin Heinrich Thieme..., Berlin 1798, S. 24 f. (Titel gekürzt), zum Prorektor am Grauen Kloster, Thieme, geboren 1747 in Sachsen, wo sein Vater als Schullehrer und Kantor tätig war, der seinem Sohn den ersten Unterricht gab (siehe auch Friedrich Gedike, Zum Andenken des verstorbenen Professors Johann Friedrich Heindorf. .., Berlin 1797, S. 16—19 [Titel gekürzt], zum Nachziehen der zweiten Generation auch im städtischen Bereich); Zum Andenken des verstorbenen Rectors und ProfessorsJoh. Heinr. Ludw. Meierotto..., Berlin 1801, S. 1—3 (Titel gekürzt); siehe ferner die Bewerbung des an einer Berliner Parochialschule tätigen Lehrgehilfen Lohsée um die Rektorstelle an der Berliner Garnisonschule zu dessen erster Unterrichtung durch den als Kantor tätigen Vater (danach ein kurzer Aufenthalt an der Frankfurter Friedrichsschule): Archiv d. Konst., Spezialia Berlin, Militärgemeinde (Alte Garnisonkirche), Schul-Kuratorium, Ansetzung eines Rektors 1805—1818; G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 1262 (Bernau), Bericht des Inspektors Cremer (zum Kantor in Bernau), 25. Juli 1778. 17 So in den Fällen, in denen die Heirat der Schulmeisterwitwe zur Übertragung der Schulmeisterstelle führte (!); siehe S. Passow, Ein märkischer Rittersitz..., Bd. 1, S. 241 f.; F. Vollmer, Friedrich Wilhelm / . . . . , S. 111. 18 Siehe aus der Altmark das Beispiel bei K. H. Schmidt, Nutzbarkeit des Predigtamtes.. ., S. 400—403; 2244 Lehrer, Küster, Kantore..., in: Mitteilungen..., Nr. 47 (1966), S. 121; auch in diesem Falle sind verschiedene Mischformen zu beachten: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 823 (AltLandsberg), Zeugnis des Inspektors Bauer (Zossen) vom 6. Mai 1801 für den 1802—1804 in Alt-Landsberg amtierenden Kanton erst Unterricht durch Bauer, dann Seminarbesuch; vgl. oben Anm. 12, auch zum Folgenden; Ausbildung zu Schulmeistern durch

Entstehung

und Wirkung organisierter

Lehrerbildung

371

Unterweisung in der Schule augenscheinlich praktikable Lösung, die durch einen zusätzlichen Seminarbesuch ergänzt werden konnte, aber durchaus nicht ergänzt werden mußte. Neben dem Unterricht durch einen Prediger stand dem an einer Schulstelle Interessierten auch im Anlernen durch einen bereits im A m t stehenden Stadtlehrer oder Landschulmeister eine weitere Möglichkeit freier, nicht institutionell gebundener Qualifikation zur Verfügung. 1 9 In dem alleinigen Erwerb von zur Lehrtätigkeit erforderlichem und nützlichem Wissen durch den Besuch einer Stadtschule tritt ein weiterer Vorbildungsstrang entgegen, der, obwohl an eine Anstalt gebunden, gleichwohl nicht mit einer seminaristischen Präparation verwechselt werden darf. 2 0 Vielmehr handelt es sich hierbei um Fälle direkten Abgangs von einer Stadtschule zur ländlichen Schulmeisterstelle ohne eine spezielle Vorbereitung für diese Tätigkeit. Auch ohne Gymnasialseminare für niedere Stadt- und Dorfschullehrer in der Kurmark, wie sie Gunnar Thiele für andere Teile Preußens feststellte, 2 1 dürfen also

Landprediger in Pommern: Hellmuth Heyden, Kirchengeschichte

Pommerns

(= Osteu-

ropa und der deutsche Osten, Bd. 3), Köln-Braunsfeld 1957, S. 167, ebenfalls für das Ende des 18. Jahrhunderts. Vgl. unten Anm. 177 für die Grafschaft Mark! 19

Siehe den aufschlußreichen Bericht des Inspektors Rickert (Eberswalde) vom 2.

Juli 1782 an das Oberkonsistorium ( G . S t . A . , Berlin-Dahlem,

Pr. Br. Rep., 2 B, Abt. II,

Spezialakten Kurmark, Nr. 4086 [Liepe]) über den (erfolgreichen) Bewerber um die Schulstelle in dem Amtsdorf Liepe (Amt Chorin). Dieser sei fähig, „da er sich einige Jahre bei dem Schulhalter in Broichsdorf Namens Landschulz, der einer der besten in der hiesigen Inspection ist, aufgehalten [,] um das Schneider-Handwerk zu erlernen, [er] hat sich während der Zeit die Fertigkeit erworben [,] Kinder auf eine faßliche Weise in der Religion zu unterrichten." Siehe auch L(eopold) H(ermann) Fischer, Berliner

Schulhal-

ter im 18. Jahrhundert.

Staatsar-

Mitteilungen

aus den Akten des Königlichen

Geheimen

chivs in Berlin (= Vossische Zeitung. Sonntagsbeilage Nr. 46 und 47), Berlin 1887, wieder in: Ders ,,Aus Berlins Vergangenheit.

Gesammelte

Aufsätze

zur Kultur-

und

Literaturge-

schichte Berlins, Berlin 1891, S. 2. 20

G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

Pr. Br. Rep. 3 B, Abt. II, O r t e A — Z , Nr. 263 (Fürsten-

walde und Berckenbrück), Vokation des Schulmeisters zu Berckenbrück vom 31. August 1802 (Abschrift), ferner der Bericht des Predigers Richter (1810): Ausbildung auf der Stadtschule zu Fürstenwalde ohne Besuch eines Seminars; Bruno Sauer, Aus

dem

Leben eines märkisch-pommerschen

und

Kulturgeschichte

Dorfschullehrers

um 1800. Ein Beitrag zur Schul-

(= Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde O s t -

Mitteleuropas, Nr. 89), Marburg (Lahn) 1970, S. 7 f., S. 11; zu Magdeburg siehe das Beispiel bei F. Danneil, Geschichte

des evangelischen

Dorfschulwesens...,

S. 186; in

Halberstadt scheint die ausschließliche Ausbildung auf Stadtschulen eine große quantitative Bedeutung besessen zu haben, siehe für die Mitte des 18. Jahrhunderts: W . Werner, Die Entwicklung

der Landschulen...,

- 1 Gunnar Thiele, Geschichte

der preußischen

Bd. 1, S. 65. Seminare.

Erster Teil: Allgemeine

Vor-

372

II. Schule im absolutistischen

Staat

„höhere", gymnasiale Anstalten als Stätten des Erwerbs der Unterrichtskenntnisse für ländliche und elementare städtische Schulen in Brandenburg angesprochen werden, 22 ein Ausbildungsgang, der auch im Berlin der Zeit um 1800 nicht als selten galt. 23 Schließlich wird das (materialmäßig allerdings außerordentlich schwer zu fassende) autodidaktische Element nicht außer Betracht bleiben dürfen, und dies wiederum bisweilen in Kombination mit anderen Möglichkeiten des Lernens. 24 Jedenfalls standen dem Interessenten auch noch im ausgehenden 18. Jahrhundert zahlreiche Wege des Qualifikationserwerbs zur Verfügung, die den künftigen Schulmeister ohne seminaristisch organisierte Vorbereitung die erforderlichen Kenntnisse erlangen ließen.

Privatinstitut organisierter

und Staatsanstalt Lehrerbildung

— die Anfänge

Schwerlich wird also der vormodernen Schulwirklichkeit gerecht, wer die Geschichte der Lehrerbildung allein als Seminargeschichte betrachtet. Gleichwohl ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung

aussetzungen zur Geschichte der Preußischen Lehrerseminare (= M o n u m e n t a Germaniae Paedagogica, Bd. 62), Berlin 1938, S. 176; z u r Ausbildung von Lehrern f ü r niedere Schulen an höheren Stadtschulen in Mitteldeutschland siehe a.a.O., S. 145—168; das von Thiele angesprochene 1731 begründete theologische Seminar am Joachimsthalschen Gymnasium ist nicht als Ausbildungsstätte f ü r niedere Schulen anzusehen, vgl. vorläufig D . H . H e r i n g , Beiträge..., T . 2, Breslau 1785, S. 157; J. C . Gädicke, Lexicon von Berlin..., S. 289. 22

Beispiele: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 40, Regierungsbezirk Berlin, Generaba, N r . 315 (Konduitenlisten), Konduitenliste der „Stadt-Schul-Lehrer" der Inspektion Berlin (1788), zum L e h r e r a u f der Spandauer V o r s t a d t ; Archiv d. Konsist., Spezialia Berlin, Militärgemeinde (Garnisonkirche), „Verschiedene nicht geordnete A k t e n der Alten-Garnisonkirche Berlin", zum Lehrer an der Garnisonkirche, Bauer; A n t o n Friedrich Büsching, Abhandlung... daß der Staat den Lehrern seiner öffentlichen Stadtschulen größere Ehrentitel und Besoldungen ertheilen müsse, Berlin 1783, S. 12 (Titel gekürzt); vgl. auch G . Thiele, Geschichte der Preußischen Lehrerseminare..., S. 124 f.; Friedrich Bengs, 200 Jahre Schullehrer in Mantel, (1650—1850), in: Kreis-Kalender für den Heimatkreis Königsberg-Neumark, Bd. 18 (1970), S. 103 f.; R . Schmidt-Eberswalde, Die Amtsdörfer..., S. 228f. 23

Vgl. Ernst G o t t f r i e d Fischer, Ueber die zweckmäßigste Einrichtung der Lehranstalten für die gebildeten Stände. Versuch einer neuen A nsicht dieses Gegenstandes mit besonderer Rücksicht auf Berlin, Berlin 1806, S. 24, S. 72. 24 E(mil) Unger, Geschichte Lichtenbergs bis zur Erlangung der Stadtrechte, Berlin 1910, S. 83, A n m . 1; E. Zinser, Beiträge..., S. 461.

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

373

notwendigerweise die Frage zu beantworten, welche entscheidenden Impulse für die frühe organisierte Lehrerbildung in BrandenburgPreußen zu erkennen sind. Dies ist um so mehr erforderlich, als von der älteren und neueren Forschung gerade den Seminaren ein Charakter als Staatsinstitut zugeschrieben worden ist,25 eine Aussage, die im Rahmen dieser Studie einer kritischen Uberprüfung bedarf, wobei das Hauptaugenmerk weiterhin auf der Masse der niederen Stadt- und Landschullehrer zu verbleiben hat. Zunächst ist festzustellen, daß der in Brandenburg-Preußen an Einfluß gewinnende hallesche Pietismus für die Geschichte der preußischen Lehrerseminare in ihrer frühesten Entwicklungsphase von prägender Bedeutung war. Dies gilt auch für Halle selbst, gliederte doch August Hermann Francke seinem Anstaltskomplex im Jahre 1695/9626 das Seminarium praeceptorum, zunächst für das Lehrpersonal der Francke'schen Stiftungen selbst bestimmt, an,27 gefolgt von dem Seminarium selectum praeceptorum (seit 1707); hier sollten Studenten in einem mehrjährigen Kursus mit Schulwissenschaften vertraut gemacht werden, die sie befähigten, an den lateinischen Schulen des Waisenhauses zu wirken, ein organisatorischer Reflex auf die permanenten Perso25

Vgl. C. Bornhak, Das preußische Unterrichtswesen als Staatsinstitut..., S. 120f.; Berthold Michael/Heinz-Hermann Schepp, Einführung, in: Dies. (Hrsg.), Politik und Schule von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart. Eine Quellensammlung zum Verhältnis von Gesellschaft, Schule und Staat im 19. und 20. Jahrhundert (= Fischer Athenäum Taschenbücher Erziehungswissenschaft), Bd. 1, Frankfurt am Main 1973, S. 30: „Um die Lehrer für ihre Aufgabe als .Staatsdiener' zu befähigen, sucht der absolutistische Staat ihre Ausbildung zu verbessern und in eigenen Institutionen (Landesuniversität, Küster- und Schullehrerseminar) durchzuführen." 26 Das Jahr 1695 nennt August Hermann Francke, Kurtze und deutliche Nachricht!In welcher Verfassung Die zu Glaucha an Halle Beydes zur Erziehung der Jugend, und zur Aufnehmung, Auch nöthiger Verpflegung der Dürftigen Anstalten Sich ietziger Zeit im Julio 1709 befinden, zu künftiger VII. Fortsetzungvorläufigertheilet, Halle 1709, S. 7, wo zugleich für 1709 90 Studenten der Theologie als Mitglieder genannt werden; zum Gründungsdatum 1696: Ders., Segens-voile Fußstapfen..., S. 19; O . Frick, Das Seminarium praeceptorum an den Franckeschen Stiftungen zu Halle. Ein Beitrag zur Lösung der Lehrerbildungsfrage, Halle 1883, wieder in: Oers., Pädagogische und didaktische Abhandlungen, hrsg. von Georg Frick, Bd. 2, Halle a. S. 1893, S. 189; E. Gloria, Der Pietismus. .., S. 60f. 27

W. Fries, Seminarium praeceptorum der Franckeschen Stiftungen, in: W. Rein (Hrsg.), Encyklopädisches Handbuch..., Bd. 8, 2. Aufl., Langensalza 1908, S. 540; O . Podczeck (Hrsg.), August Hermann Franckes Schrift..., S. 97, S. 112, S. 135; ferner W. Oschlies, Die Arbeits- und Berufspädagogik..., S. 147—157, mit weiteren Einzelheiten.

374

II. Schule im absolutistischen

Staat

nalnöte Franckes. 28 Damit ist zugleich angezeigt, daß beide Seminare, da sie von Studenten der Theologie frequentiert wurden, nicht Lehrpersonal für elementare, zum Beispiel Landschulen, ausbilden sollten, sondern auf die theologisch geschulte Stadtschullehrerschicht orientiert waren; 29 unter den Lehrobjekten dominierten denn auch die alten Sprachen mit der „Geographia Antiqua", der Universalgeschichte und der neueren Geographie neben der theologischen Unterweisung. 30 Mit zehn Zöglingen eröffnet, lassen sich in der Jahrhundertmitte Frequenzen bis zu 48 Mitgliedern nachweisen,31 wobei nach wie vor die Präparation auf die Arbeit an den Francke'schen Anstalten selbst im Vordergrund stand, 32 bis das Seminar, wie es scheint, in der Mitte der 1780er Jahre, einging.33 28 So nach der Beschreibung der Gründung des Seminarium selectum bei August Hermann Francke, Die V. Fortsetzung der Wahrhaften und umständlichen Nachricht Vom Waysen-H ause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor H alle..., Halle 1708, S. 60— 71, besonders S. 62—68; ders., Kurtze und deutliche Nachricht..., S. 7; I. Tönnies, Die Arbeitswelt..., S. 155; O. Frick, Das Seminarium praeceptorum..., S. 190 ff.; A. H. Francke, Schriften..., S. 14 (Einleitung von Karl Richter) und S. 642. 29 Daß es sich aber durchaus um Seminare für Lehrer an Schulen handelte und nicht der eigentliche Zweck dieser Einrichtungen bei ihrer Gründung darin bestand, Geistliche pädagogisch auf die Aufgaben der Katechisation vorzubereiten, geht aus den Francke-Stellen hervor, die in Anm. 26 und 28 angegeben wurden. Diese Position mit P. Menck, Die Erziehung der Jugend..., S. 24, S. 71 mit Anm. 1, S. 76, S. 123, gegenüber der Darstellung bei G. Thiele, Geschichte der Preußischen Lehrerseminare..., S. 314— 354, besonders S. 342—345; Menck weist treffend darauf hin, daß Thieles Argumentation die Tätigkeit des jungen Theologen im Schulamt (wenn auch als Durchgangsstellung) unzureichend berücksichtigt.

A. H. Francke, Die V. Fortsetzung..., S. 65 ff., S. 63: Anfang 1708 mit 10 Personen im Seminarium selectum; P. Menck, Die Erziehung der Jugend..., S. 80 f.; I. Tönnies, Die Arbeitswelt..., S. 155, auch zu den Anfangsproblemen des Seminars. 31 Siehe G. Kramer, August Hermann Francke..., Bd. 2, S. 11—14; O. Frick, Das Seminarium praeceptorum..., S. 192. 32 Siehe Johann Julius Hecker, Daß an keine Verbeßerung der Schulen zu gedencken, wo nicht gute Schulleute auf künftige Zeiten zugezogen werden, zeiget hierinnen kürtzlich an..., Berlin 1751, S. 8 (Titel gekürzt), danach kann die Spitzenfrequenz von 48 Seminaristen nicht als repräsentativ angesehen werden; zum Seminarium selectum um 1750 auch Johann Christoph von Dreyhaupt, Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, nunmehr aber durch den westphälischen F riedens-Schluß secularisierten Hertzogthum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses..., Bd. 2, Halle 1750, S. 169 f. (Titel gekürzt). 30

Dazu und zum Mangel an Nachrichten über die Organisation der Franckeschen Seminare unter den Nachfolgern A. H. Franckes siehe O. Frick, Das Seminarium praeceptorum..., S. 196; nach Frick ist ein Zusammenhang zwischen der Verkürzung 33

Entstehung und Wirkung

organisierter

375

Lehrerbildung

Für das wirkungsgeschichtliche Urteil über die Bedeutung des halleschen Pietismus für die Brandenburg-preußische Bildungsgeschichte ist der Befund von entscheidendem W e r t , daß die pietistischen Impulse für die Entwicklung der organisierten Lehrerbildung durchaus nicht auf Halle beschränkt geblieben sind. Ausdrücklich heißt es in der Instruktion für den mit der Leitung des theologischen Seminars am Joachimsthalschen Gymnasium (eingerichtet 1730/31)34 beauftragten H o f p r e d i gersjohann Arnold Noltenius, 3 5 er habe dieses A m t so wahrzunehmen, „wie der verstorbene Professor Francke in Halle die theologischen Anstalten eingerichtet und geführet habe". 36 Allerdings erlaubt der Charakter dieses Instituts es nicht, in ihm ein Lehrerseminar reinen T y p s für höhere Schulen zu erkennen. W i e bei seiner Begründung instruiert, so schien noch den Topographen und Historikern um 1800 die Funktion dieser Ausbildungsstätte als theologisches Seminar das entscheidende Signum, 37 primär ausgerichtet auf die spätere pastorale Praxis. Auch diese theologische Vorbereitung dürfte der Lehrerbildung lediglich indirekt, über die aufgezeigte Verbindung von theologischem Lehrpersonal und schulischen „Wartestellungen" zugute gekommen sein,38 nicht unähnlich den „theologischen Seminarien" ,39 wie sie für Theologiekandidaten der litauischen und polnischen Sprache 1718 beziehungsweise 1728 an der Königsberger Universität eingerich-

der akademischen Studien und der Schließung wahrscheinlich; siehe auch W . Fries, Seminarium 34

S. 542 f.

praeceptorum...,

V g l . oben A n m . 21. A l s Gründungsjahr gibt E. W e t z e l , Die Geschichte...,

S. 202,

1730 an; tatsächlich ging die Einrichtung des Seminars auf eine Kabinettsorder aus dem N o v e m b e r 1730 zurück ( R . A . D o r w a r t , The Prussian Welfare

S. 196f., mit

State...,

Beleg), doch datieren R e g l e m e n t und Instruktion v o m Juli 1731 ; siehe den Druck bei C . O . Mylius ( H r s g . ) , Corpus

Constitutionum

Marchicarum...,

T . 1, 2. A b t . , N r . 131,

Sp. 251—260, besonders Sp. 257 f.: das Seminarium T h e o l o g i c u m für 12 junge Leute reformierter Konfession, die T h e o l o g i e studieren wollen; einige Seminaristen sollten sich ganz der Schularbeit widmen. 35

ger..., 36

V g l . zu Nolthenius R . v o n Thadden, Die brandenburgisch

preußischen

Hofpredi-

S. 211 f. D . H . H e r i n g , Beiträge...,

T . 2, S. 158, a.a.O., auch zum Bestand des Seminars im

Jahr 1785. 37

V g l . A n m . 34 und für die spätere Z e i t F. N i c o l a i , Beschreibung

Residenzstädte

Berlin und Potsdam...,

S. 158, zum Lehrplan 1785; J. C . Gädicke, Lexicon 38

V g l . zu Halle A n m . 29.

39

Daniel Heinrich A r n o l d t , Ausführliche

Königsbergischen

Universität,

der

Königlichen

Bd. 2, S. 736; D . H . H e r i n g , Beiträge..., von Berlin...,

und mit Urkunden

T . 2, Königsberg 1746, S. 133.

T . 2,

S. 289. versehene Historie

der

376

II. Schule im absolutistischen

Staat

tet worden sind,40 auch hier mit nachweisbaren Einflüssen der halleschen Theologie. 41 Waren Franckes Seminareinrichtungen aus der von ihm erkannten Notwendigkeit zur personellen Absicherung seiner Anstaltsschöpfungen erwachsen, so darf der landesherrliche Impuls für die theologischen Seminare in Berlin und Königsberg nicht übersehen werden.42 Von diesen theologischen Lehrstätten sind nun die ersten Schulmeister- und Küsterseminare zu unterscheiden, die definitiv für Land- und niedere Stadtschulen angelegt wurden und für die gleichfalls in einer ersten Gründungsphase der Einfluß pietistischer Geistlicher als entscheidend angesehen werden muß. In Stettin ergriff Johann Christoph Schinmeyer die Initiative; er hatte in Halle studiert und mehrere Jahre an den Franckeschen Anstalten sowie am Potsdamer Militärwaisenhaus, an das er auf Empfehlung des jüngeren Francke und Freylinghausens berufen worden war,43 gewirkt. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt an der Johanneskirche in Stettin begann Schinmeyer aus eigener Initiative und auf eigene Kosten mit der Anlegung einer Armenschule;44 es folgten weitere Gründungen, darunter von besonderer Bedeutung das mit königlicher Bewilligung eröffnete Waisenhaus, zu dessen Direktor der König Schinmeyer ernannte.45 In dem auf Antrag Schinmeyers im Mai 40

A.a.O.,

S. 133—137, S. 138 zur Besetzung von Praecentorenstellen auf Kirchdör-

fern aus den Seminaren; C. Hinrichs, Preußentum S. 291; H . Notbohm, Das evangelische A. Keil, Das Volksschulwesen...,

State...,

S. 256ff., S. 264, S. 16; M. Toeppen,

S. 114; R. A. Dorwart, The Prussian

S. 189; E. Gloria, Der Pietismus...,

Welfare

S. 64; C. Hinrichs, Preußentum

und

S. 264.

Pietismus..., 42

und Pietismus...,

und Schulwesen...,

S. 341.

Geschichte Masurens..., 41

Kirchen-

Ebda.; H. D. Arnoldt, Ausfuhrliche...

T . 2, S. 133; S. 474, Beilage 99;

Historie...,

ferner oben Anm. 34. 45

Grundlegend: H(ermann) Waterstraat, Johann

bild aus der Zeit des Pietismus,

Christoph

Schinmeyer.

deutlich werdenden Gegensatz zur Stadtgeistlichkeit; Lebensbeschreibung Christoph

Schinmeyers,

Oder Sammlung

Hauptpastors

Preußischen 44

in Tönning,

zu den neuesten Kirchengeschichten,

hardt, Von der Gründung

Ein

und den früheren

Volks-Schul-Wesens,

in: Nova

acta

Hrn.

Joh.

historico-ecclesiastica.

Bd. 8 (1768/69), S. 226 f.; I. Bern-

Schicksalen

der Schule, in: Jahrbücher

des

Bd. 6 (1827), S. 57f.

Siehe die Abschriften verschiedener Aktenstücke aus dem Jahre 1730 im

Berlin-Dahlem,

Lebens-

Gotha 1897, S. 1—3, S. 5 f. zu dem sofort in Stettin

G.St.A.,

1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 15 (Pommern 1730—1804);

H . Waterstraat, Johann

Christoph

Schinmeyer...,

S. 8 ff., auch zu dem Versuch des

Stargarder Konsistoriums, Schinmeyer das Halten dieser Privatschule zu untersagen; anders dagegen die Entscheidung der Regierung. 45

Was nicht über die entscheidende Rolle Schinmeyers hinwegtäuschen kann; α. α. Ο.,

Entstehung und Wirkung organisierter Lehrerbildung

377

1732 ergangenen königlichen Fundationsedikt war nun auch davon die Rede, daß an den Anstalten Schinmeyers auch künftige Küster und Schulmeister in Seminarform im Schreiben, Rechnen und in der Fertigkeit des Katechisierens unterrichtet werden könnten.46 Dabei darf freilich hierin nicht der Beginn einer landesherrlich initiierten quasi Seminargründungspolitik gesehen werden. Vielmehr hatte Schinmeyer schon im Frühjahr 1732 Vorschläge für die Ausbildung von Lehrpersonal unterbreitet, 4 7 und es lag von daher in der Logik seines eigenen Vorstoßes, wenn er im Jahre 1732 mit der Lehrerbildung begann. 48 Wird also in Schinmeyer die eigentlich treibende Kraft zu erkennen sein, so konnte er sich doch auch durch entsprechende königliche Verordnungen gedeckt glauben. 49 Als um so bemerkenswerter wird deshalb die Tatsache zu bewerten sein, daß es dem Widerstand der Stettiner Stadtgeistlichkeit und des Generalsuperintendenten H o r n e jus schon 1737 gelang, Schinmeyers Versetzung nach Rathenow und die Aufhebung des Waisenhauses zu bewirken, 5 0 und nach den Mitteilungen Waterstraats hatte dann auch das Seminar keinen weiteren Bestand. Ganze zwölf Abgänger sind bis 1737 gezählt worden. 5 1 Erst 1783 wurde in Stettin erneut ein Seminar für Pommern begründet. 5 2 S. 13 f., S. 16 ff., auch zur materiellen Unterstützung durch den König; S. 35 f. zu den erheblichen Spenden für Schinmeyers Anstalten, darunter zahlreiche Beiträge von Adligen. Zum Waisenhaus siehe auch I. Bernhardt, Von der Gründung..., S. 57 ff. 46 H . Waterstraat, Johann Christoph Schinmeyer..., S. 17; die Fundation auch in Abschrift: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 15 (Pommern 1730—1804). 47 Nach H . Waterstraat, Johann Christoph Schinmeyer..., S. 15, im März 1732. 48 So aus der Kombination der Angaben a.a.O., S. 18, S. 21. Die königlichen Befehle in dem Kabinettsdekret vom 14. Juli 1736, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 15 (Pommern 1730—1804), Abschrift aus Rep. 47, und in der Kabinettsorder vom 5. Dezember 1736, J. D. E. Preuß, Friedrich der Große..., Bd. 3, S. 468, hatten also allenfalls bestätigenden Charakter. 49 Vgl. die in Anm. 48 genannten Stücke. 50 W. Stolze, Friedrich Wilhelm I. und der Pietismus..., S. 200 f.; I . Bernhardt, Von der Gründung..., S. 60f.; H . Waterstraat, Johann Christoph Schinmeyer..., S. 30, S. 36 f. 51 A.a.O., S. 23, S. 51, entgegen anderen Darstellungen; auch I. Bernhardt, Von der Gründung..., S. 62, ließ das Seminar noch bis zum Siebenjährigen Krieg fortbestehen. 52 Mit einer Bewilligung von jährlich 144 Talern aus Meliorations-Zinsen; F. Koch, Der Fürst und die Schule..., S. 49; siehe ferner die inhaltsreiche Schrift von Friedrich Ludwig Reinhold, Nachricht von der Herzogt. Mecklenburg-Strelitzischen Bildungsanstalt für Küster und Landschullehrer, nebst Beschreibung der Seminarien zu Stettin, Ludwigslust, Greifswald und Berlin, Rostock-Leipzig 1802, S. 76.

378

II. Schule im absolutistischen

Staat

Das Stettiner Seminar als ein früher pietistischer Versuch in Richtung auf eine organisierte Lehrerbildung für niedere Schulen zeigt deutlich den begrenzten Wert landesherrlicher Unterstützung und ihre geringe quantitative Auswirkung. Auch das nach Vorschlägen des dem Pietismus verbundenen 53 Abtes Steinmetz aus dem Jahre 1735 54 im Kloster Berge bei Magdeburg errichtete Schulmeisterseminar darf in seiner quantitativen Bedeutung nicht überschätzt werden, wiewohl es sich — nicht ohne schwere Krisen 55 — über das Jahrhundert zu halten vermochte. 56 Das in Berlin im Jahre 1748 begründete Küster- und Schulmeisterseminar fügt sich in das gewonnene Bild von den Seminargründungen der

55 Siehe insbesondere H. Holstein, Johann Adam Steinmetz, Abt des Klosters Berge (1732—1762), in: Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg, Bd. 21 (1886), S. 296 ff.; Steinmetz war geborener Schlesier und kam mit pietistischer Literatur in Kontakt, worauf er auf Grund seiner religiösen Richtung vertrieben und mit Unterstützung der Hallenser zum Abt von Kloster Berge berufen wurde; zu Steinmetz ferner: Ders., Artikel: Johann Adam Steinmetz, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 36, Leipzig 1893, Neudruck Berlin 1971, S. 1 ff.; W. Stolze, Friedrich Wilhelm 1. und der Pietismus..., S. 194; zuletzt H. G. Bloth, Pädagoge im Vorfeld..., S. 19f. 54 Siehe einschlägige Aktenabschriften: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 9 (Magdeburg 1684/85—1807), insbesondere der Immediatbericht Steinmetz' vom 28. April 1735; H. Holstein, Geschichte der ehemaligen Schule zu Kloster Berge, Leipzig 1886, S. 28 auch zur folgenden (!!!) Genehmigung des Königs vom 21. Juni 1735. Auch hinsichtlich der Finanzierung blieb das Seminar neben einer Abgabe von allen Mater- bzw. Filialkirchen von einem Taler bzw. 12 Groschen (Revidirte Kirchen-Ordnung..., Anhang S. 563 f.) auf das Klostervermögen angewiesen, siehe J. H. F. Ulrich, Ueber den Religionszustand..., Bd. 3, S. 332; vgl. die Kurtze Beschreibung eines zu Closter Berga errichteten Schul-Seminarii, in: Agenda scholastica..., Neuntes Stück, Berlin 1752, S. 753, wo auch darauf hingewiesen wird, daß die Gelder aus den Kirchenvermögen sehr schlecht gezahlt wurden, so daß „zuletzt" kaum 12 Taler eingekommen seien; ebda, wird von 85 im Kloster Berge 1737—1749 ausgebildeten Personen gesprochen; E. Clausnitzer, Zur Geschichte..., S. 364 mit Anm. 4, kennt sodann eine Bewilligung des Geistlichen Departements aus dem Jahre 1767. 55 Insbesondere die Affäre um die Absetzung von Steinmetz' Nachfolger Hähn, vgl. dazu H. G. Bloth, Pädagoge im Vorfeld..., S. 42—46; A. F. Biisching, Beyträge zu der Lebensgeschichte..., S. 62—71. 56 Um 1800 ist mehrfach eine Frequenz von ganzen elf Seminaristen belegt (so 1801), J . C. F. Berghauer, Magdeburg..., T . 2, S. 205; vgl. für 1799: F. Danneil, Die Geschichte des evangelischen Dorfschulwesens..., S. 197; zur unzureichenden quantitativen Leistung des Seminars in der Mitte des Jahrhunderts siehe — noch vor seinem Amtsantritt als Abt — Johann Friedrich Hähn, Von der Einrichtung nützlicher Schulen für die zarteste Jugend, Magdeburg 1752, in: Joh(ann) Gott(lieb) Biedermann (Hrsg.), Altes und Neues von Schulsachen, T . 2, Halle 1753, S. 238.

Entstehung und Wirkung organisierter

Lehrerbildung

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ersten Jahrhunderthälfte ein, wurde doch auch in diesem für die Bildungsgeschichte der Mark Brandenburg in besonderem Maße zu beachtenden Falle mit dem schon mehrfach erwähnten Johann Julius Hecker ein Theologe des hallschen Lagers initiativ. 57 Heckers Berliner Seminargründung und -organisation ist wiederholt bis in die Details geschildert worden, 58 so daß auf diese Literatur insofern verwiesen werden kann. Festzuhalten bleibt, daß in Hecker die „pietistische" Phase der Seminargründungen gleichsam kulminiert; Hecker hatte selbst dem halleschen Seminarium selectum praeceptorum angehört, 59 und ihm galt das von Steinmetz angelegte Seminar als Vorbild seiner eigenen Gründung. 60 Unstrittig ist ferner, daß Hecker sein Seminar, das er an den Schulen seiner Dreifaltigkeitsparochie anlegte, im Jahre 1748 als ein Privatinstitut eröffnete, 61 wiewohl er selbst wenige Monate zuvor Friedrich II. in einer Audienz und in schriftlicher Form grundsätzlich über die Anlegung sogar mehrerer Seminare in verschiedenen Städten der Monarchie vorgetragen hatte. 62 Die Qualität eines PrivatinstituZu Johann Julius Hecker vgl. schon im E R S T E N T E I L , D R I T T E S K A P I T E L bei Anm. 1 1 7 und 118. 58 Siehe ζ. B. A. Wiedemann, Johann Julius Heckers pädagogisches Verdienst..., S. 37 ff.; F. Wienecke, Zum Gedächtnis..., passim; Α. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 312 ff.; aus der neueren Literatur siehe H. G. B\oih, Johann Julius Hecker..., S. 110f.; siehe auch W. Richter, Berliner Schulgeschichte..., S. 31, S. 34. 5 ' G. Kramer, August Hermann Francke..., Bd. 2, S. 455; Hugo Gotthart Bloth, Zwei „Gesamtschulen" an der Schwelle der industriellen Gesellschaft. Zum Lehenswerk der Brüder Johann Julius Hecker (1707—1768) in Berlin und Andreas Petrus Hecker (1709—1770) in Stargard!Pommern, in: Pädagogische Rundschau, 24. Jg. (1970), S. 678; J. J. Hecker, Daß an keine Verbesserung der Schulen zu gedencken..., S. 8, weist im Jahre 1751 selbst auf die Lehrerbildung an den Franckeschen Anstalten und auf das Seminarium selectum hin. 60 Vgl. A. Wiedemann, J ohann Julius Heckers pädagogisches Verdienst..., S. 37. 61 So Hecker selbst in einem Bericht an das Oberkonsistorium vom 30. November 1752, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Nr. 2029], er habe das Seminar an der Dreifaltigkeitskirche „zuerst privatim angeleget". A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem mit der hiesigen Königlichen Realschule verbundenen Küster- und Schullehrer-Seminar..., Berlin 1787, S. 7 („Privatpflanzschule"); Gunnar Thiele, Uber die Gründungsepoche der ältesten Lehrerbildungsanstalt Preußens. Festvortrag zum 175jährigen Bestehen des Köpenicker Seminars am 14. Dezember 1923, in: Die Deutsche Schule, Bd. 28 (1924), S. 260; A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 312. 62 Zu den Heckerschen Vorschlägen vom Anfang des Jahres 1748 vgl. A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 7 ff., auch zum Schicksal dieser Vorschläge; G. Thiele, Über die Gründungsepoche..., S. 259; A. Wiedemann, Johann Julius Heckers pädagogisches Verdienst..., S. 26 f. 57

II. Schule im absolutistischen Staat

380

t e s s c h l o ß d a b e i n i c h t a u s , d a ß d e r K ö n i g u n d das G e i s t l i c h e D e p a r t e m e n t in m e h r e r e n B e f e h l e n die B e v o r z u g u n g H e c k e r s c h e r S e m i n a r i s t e n bei d e r V a k a n z v o n S c h u l s t e l l e n „in U n s e r n L a n d e n " 6 3

verkündet

h a t t e n , 6 4 o h n e d a ß v o n l a n d e s h e r r l i c h e r S e i t e a u c h eine f i n a n z i e l l e Beteiligung gefolgt wäre. Erst nach einem Bericht H e c k e r s v o m 30. N o v e m b e r 1 7 5 2 , in d e m e r f ü r d e n U n t e r h a l t v o n z w ö l f S e m i n a r i s t e n 2 5 0 0 T a l e r v e r a n s c h l a g t h a t t e , w u r d e die n u n m e h r als „Berlinisches K ü s t e r u n d S c h u l m e i s t e r s e m i n a r f ü r die K ö n i g l i c h e n A m t s d ö r f e r d e r K u r m a r k " f i r m i e r e n d e A n s t a l t v o m K ö n i g auch m a t e r i e l l u n t e r s t ü t z t . 6 5 F ü r z e h n bis z w ö l f o r d e n t l i c h e S e m i n a r i s t e n wies d e r K ö n i g 6 0 0 T a l e r aus

Mitteln

des

Amtskirchen-Revenüen-Direktoriums

an, 6 6

eine

S u m m e , die H e c k e r a b e r n o c h i m selben J a h r in e i n e m an das O b e r k o n -

65 Siehe so schon das Reskript vom 24. Februar 1748 an den Etats-Minister von Brand, Abschrift im G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Nr. 2029]; F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 23. 64 Zu der Bestimmung des Jahres 1750 über die Ansetzung von Seminaristen in einem Radius von 8—10 Meilen um Berlin siehe A. J . Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 9; D. Rittershausen, Beiträge..., S. 244; bei diesem Befehl ist allerdings als außerschulisches Motiv zu beachten, daß im Seminar Heckers den Zöglingen auch Unterricht im Seidenbau erteilt wurde, und dies scheint den König besonders an diesem Institut interessiert zu hiben, siehe denn auch: Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den G roßen, hrsg. von G(ustav) Schmoller und O(tto) Hintze, Bd. 1, Berlin 1892, Nr. 200, S. 192 f. (auch zur Kabinettsorder vom 23. Januar 1750); F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik. .., S. 24; ferner das Reskript vom 25. September 1752 an die Stettiner Regierung und das Konsistorium zu Köslin, in: Novum Corpus Constitutionum. •., Bd. 1, Nr. 60, Sp. 371 f., zur Ansetzung von an der Realschule Heckers Ausgebildeten auch in Pommern; zu einer analogen Verordnung für die Neumark sowie zu den geringen Auswirkungen für diese Provinzen vgl. A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 9 f. 65 Neben der Schilderung a.a.O., S. 10 f.; F. Vollmer, Die Preußische Volksschulpolitik..., S. 25; G. Thiele, Uber die Gründungsepoche..., S. 261; E. Clausnitzer, Zur Geschichte..., S. 347; Abdruck des Berichtes vom 30. Nov. 1752 im Auszug aller bisher ergangenen Königl. Preußl. und Kurfürstl. Brandenburgischen Geseze..., S. 185 f. 66 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Nr. 2029], Bericht des Oberkonsistoriums an den König vom 8. Januar 1753 mit dem Vorschlag einer Bewilligung von 600 Talern; auf diesem Stück die Marginalresolution des Königs: „guht wohr das geldt erfolgen kan. Fh"; in dem Band sodann die Korrespondenzen zwischen dem Amtskirchen-Revenüen-Direktorium und dem Oberkonsistorium.

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

381

sistorium gerichteten Bericht in aller Deutlichkeit als unzureichend bezeichnete. 67 Belegt die Gründungsgeschichte des Berliner Landschullehrerseminars die auslösende Wirkung pietistischer Eigeninitiative sowie die subsidiarische und sehr zurückhaltende Aktivität der landesherrlichen Gewalt, so zeigt die weitere Finanzgeschichte dieses Instituts, wie wenig die formale Erhebung zu einer königlichen Anstalt 175 3 68 f ü r dessen weitere Entwicklung und Funktion bedeuten mußte, selbst wenn es förmlich mit der größtmöglichen Versorgung vakanter Küsterund Schulmeisterstellen königlichen Patronats beauftragt war. 69 Auch künftig war das Seminar nicht ohne finanzielle Unterstützung der von Hecker initiierten und dirigierten Schulen an der Dreifaltigkeitskirche, das heißt insbesondere der Realschule, 70 lebensfähig. 71 Der langjährige Seminardirektor Herzberg stellte 1810 rückerinnernd fest, daß sich das Seminar zu allen Zeiten „fast ganz auf eigne Kosten" habe erhalten müssen und allein 1753 bis 1767 5606 Taler zugesetzt habe. 72 Mithin ist das Berliner Landschulmeister- und Küsterseminar auch nach der königlichen „Bewilligung" von 600 Talern in seiner finanziellen Basis nur graduell von seiner „privaten" Gründungsphase zu unterscheiden, zumal, wie sich zeigte, diese Zuweisung durchaus nicht zu einer zuver-

67 In der Akte a.a.O. Bericht Heckers vom 19. September 1753 an das Oberkonsistorium. 68 Vgl. in diesem Sinne A. J. Hecker, Kurzer Abriß der Geschichte der Königl. RealSchule..., S. 13; vgl. auch den Auszug aller... Geseze..., S. 184; W. Hubatsch, Friedrich der Große..., S. 205; E. Gloria, Der Pietismus als Förderer der Volksbildung..., S. 71, wo das Seminar sodann als „Mittelpunkt des Volksschulwesens" bezeichnet wird. 69 Siehe die „Circular-Verordnung" vom 1. Oktober 1753, Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 3, Supplement, Nr. 52, Sp. 1315—1318, mit gleichgewichtetem Hinweis auf die in dem Seminar zu lernende „Informations-Methode" und den Unterricht im „Seiden-Bau und Cultur der Maulbeer-Bäume". Ahnlich die Anordnung im Generallandschulreglement (a.a.O., Nr. 53 zu 1763, Sp. 272); vgl. auch die Verordnung vom 11. Februar 1763 (a.a.O., Supplement Nr. 75, Sp. 1361 f.). 70 Zur Realschule vgl. unten im SIEBENTEN KAPITEL bei Anm. 21—35. 71 Vgl. die Aufstellung Heckers in einem Bericht an den Minister Danckelmann vom 21. Febr. 1763 (Abschrift: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 6 [Kurmark 1600—1767]), danach hatte die „Realschule" 1752 bis 1761 2355 Taler für das Seminar zuschießen müssen. 72 Friedrich Herzberg, Einige Rückblicke auf die Geschichte des Churmärkischen Landschullehrer- und Küster-Seminars während meiner 25jährigen Amtsführung bei dieser Anstalt..., Berlin 1810, S. 13 (Titel gekürzt), mit beredter Klage über den „Mangel an einem völlig ausreichenden Fonds."

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II. Schule im absolutistischen

Staat

lässigen Finanzierungsstütze wurde. Im Jahre 1767 stellte das Amtskirchen-Revenüen-Direktorium die Zahlung der 600 Taler deshalb ein, weil erhebliche finanzielle Aufwendungen für Kirchenreparaturen die Priorität erhielten. Die sofortigen Vorstellungen Heckers blieben ohne Antwort und ohne Erfolg, so daß zunächst eine drastische Reduzierung des Seminarbetriebes die Folge war.73 Heckers Nachfolger Silberschlag unternahm 1770 einen erneuten, verzweifelten Versuch mit einem Bericht an die kurmärkische Kammer, und diesmal nicht ohne einen ultimativen Unterton. Silberschlag verwies darauf, daß er „mehr als eines allergnädigsten Königl. Befehls ansichtig geworden" sei, daß brauchbare Schulmeister für die königlichen Schulstellen der Kurmark ausgebildet werden sollten. Nach dem Entzug der 600 Taler könne der nötige Aufwand nicht aus anderen Quellen bestritten werden, und deshalb möge die Kammer „einen zureichenden Fond" für das Seminar ermitteln, eine Bitte, die Silberschlag mit einem Hinweis auf „die Gefahr, in welcher ich stehe, bei eigenmächtiger Aufhebung dieses Seminarli Verantwortung auf mich zu laden", krönte. 74 Silberschlags Bericht zeigte Wirkung: Mit Einwilligung des Königs bestimmte das Generaldirektorium für das Seminar einen jährlichen Betrag von 800 Talern, der von den „vermögendsten Kämmereien der Kurmark, Magdeburgfs] und Halberstadt[s]" aufzubringen war, also von den wohlhabendsten Städten dieser Provinzen. 75 Freilich wurde der begrenzte Wert auch dieser Bewilligung sehr schnell offenkundig, denn die Magistrate erwiesen sich gegenüber dem königlichen Befehl als außerordentlich widerstandsfreudig und widerstandsfähig. Gleich 1770 baten die Magistrate von Berlin und Nauen um Befreiung von der Zahlungsverpflichtung; mehrere Kämmereien, insbesondere die Haiberstadts, ignorierten die Weisung zur Zahlung von Anfang an, andere hörten „nach Verlauf Eines Jahres ihren Antheil zu entrichten" auf. 76

73 A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 13 f.; G. Thiele, Uber die Gründungsepoche..., S. 263. 74 Bericht Silberschlags vom 1. März 1770 an die kurmärkische Kammer, Abschrift aus den Akten des Generaldirektoriums: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 7 (Kurmark 1768—1798). 75 Diverse Stücke in dem Aktenband a.a.O., hier insbesondere das Reskript der Minister von Derschau und von der Hagen vom 30. Mai 1770 an die kurmärkische Kammer; das königliche Reskript an die kurmärkische Kammer vom selben Tage in Abschrift in: A.a.O., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Nr. 2029]. 76 So A. J. Hecker, Kurzer Abriß der Geschichte der Königl. Real-Schule..., S. 60; ferner verschiedene Stücke in dem in Anm. 74 genannten Aktenband auch mit Nach-

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und Wirkung

organisierter

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Die praktische Folge war, daß statt der jährlichen 800 Taler mit 450 Talern nur rund die Hälfte des Zugewiesenen auch tatsächlich zur Verfügung stand. 77 Erst bei der Einsetzung des Oberschulkollegiums wurde aus dessen Finanzmitteln für das Berliner Schulmeister- und Küsterseminar mit jährlich 1000 Talern eine größere materielle Absicherung erreicht. 78 Eine den weitdefinierten Aufgaben des Seminars entsprechende Finanzierung hat es, wie auch Bassewitz bezeugte, aber niemals erhalten, 79 wobei die Frequenz der Anstalt natürlich nicht zuletzt von der materiellen Ausstattung abhängig war. Von der Begründung im Jahre 1748 bis zum September 1753 waren ganze 18 Abgänger zu zählen, von denen allein acht an den Schulen von Heckers Dreifaltigkeitsparochie angestellt wurden, weitere vier in anderen Städten Brandenburgs tätig waren und nur einer eine Landstelle in dieser Provinz übernahm. 80 Dieses Faktum wird für das wirkungsgeschichtliche Urteil über das

richten über die Rückstände einzelner Städte; ferner dazu Friedrich Herzberg, Materialien und Actenstücke zur Geschichte des hiesigen Königlichen Churmärkischen LandschulLehrer- und Küster-Seminariums, während des letzt verflossenen Jahrzehndes und sonderlich der Jahre 1796 u. 1797..., Berlin 1797, S. 19f. (Titel gekürzt). 77 Vgl. so 1787 A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und SchullehrerSeminarium..., S. 14: „ . . . s o sind seit 15 Jahren nur 450 Reichsthaler jährlich zur Unterhaltung des Seminars ausgezahlt worden." Friedrich Herzberg, Fortsetzung der Nachrichten von dem mit der hiesigen Königlichen Realschule verbundenen Schullehrerund Küster-Seminar..., Berlin 1788, S. 6, gibt sogar nur 350 Taler an. 78 A.a.O., S. 5; ders., Materialien und Actenstücke..., S. 19f.; im Etat des Seminars für 1799—1805, Abschrift in: G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, N r . 8 (Kurmark 1799—1805), wurden auch noch 330 Taler aus Lotteriegeldern ausgewiesen; für die Anstellung eines zweiten Hauptlehrers am Seminar, die zu einer Teilung der zuvor in einem Block (!) unterrichteten Seminarteilnehmer führte, verschaffte das Oberschulkollegium dem Seminar 1804 eine Bewilligung von 320 Talern aus der Städtekasse; siehe die Mitteilungen von Friedrich Herzberg, Ueher zwei bedeutende Veränderungen, die das Königl. Friedrich-Wilhelms-Gymnasium und die damit vereinigten Schulanstalten im Laufe des gegenwärtigen Jahres erfahren haben..., Berlin 1804, S. 6 f. (Titel gekürzt). 79 Vgl. M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg..., S. 342; vgl. auch die Herzberg-Stelle oben bei Anm. 72. 80 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1 ) [Nr. 2029], Liste von der Hand Johann Julius Heckers mit namentlicher Aufführung der 18 Personen; von den anderen fünf Abgängern war einer nach Halberstadt und einer nach Pommern gegangen; siehe ferner die Notiz Heckers auf der Liste: „Ausser diesen haben auch noch jederzeit einige Schulmeister aus andern Parochien hiesiger Residentz das Seminarium gleichfalls frequentiret."

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II. Schule im absolutistischen

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Berliner Schulmeisterseminar in seiner frühen Phase als entscheidend zu betrachten sein. H a t t e Hecker Ende 1752 an eine Frequenz von zwölf Seminaristen gedacht, 81 so sind in den 1780er und 1790er Jahren sogar Gesamtfrequenzen von 60 bis 80 Zöglingen zu erkennen. 82 Der Seminarinspektor Herzberg berechnete zum fünfzigjährigen Bestehen der Anstalt 1798, daß in ihr bis dahin „weitmehr als Eintausend, größten Theils [!] brauchbare und geschickte, Lehrer" ausgebildet worden seien,83 davon etwa 500 in den zwölf Jahren bis 1797.84 Und dennoch, selbst die augenscheinliche Expansion des kurmärkischen Landschullehrerseminars, begleitet von organisatorischen und lehrinhaltlichen Fortentwicklungen, 85 kann nicht ungeprüft als Indiz für die tatsächliche Wirksamkeit organisierter Lehrerbildung im ausgehenden 18. Jahrhundert herangezogen werden. Auch und gerade bei merklich gesteigerter Frequenz blieb dem Berliner Landschullehrerseminar ein Rekrutierungsmerkmal eigen, das schon in den 1750er Jahren die Zusammensetzung der Seminarabsolventen charakterisierte, denn das Institut entließ nicht etwa ausschließlich gründlich ausgebildete Seminaristen. Seit der Bewilligung von 1753 galt grundsätzlich eine 81 Vgl. bei Anm. 65 und A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. lOf. 82 F. Herzberg, Fortsetzung der Ν achrichten..., S. 7, nennt für Ende 1788 63 Mitglieder des Seminars, Ende 1791 war die Zahl der Zöglinge „zu der ungeheuren Menge von 78 angewachsen", so Friedrich Herzberg, Einige Gedanken über die Schulzucht in niederen Volksschulen..., Berlin 1791, S. 13 (Titel gekürzt), für 1795 und 1796 werden jeweils 50 Teilnehmer genannt, F. Herzberg, Auch ein Wort..., S. 48; ders., Wie können die schlechten Landküster- und Schulhalterstellen ... verbessert werdenf..., S. 16; für die Jahre nach 1753 ist mit A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und Schullehrer-Seminar..S. 11 von Frequenzen von 20 bis 25 auszugehen. 83 F. Herzberg, Patriotische Wünsche, Vorschläge und Hoffnungen..., S. 53. 84 So ders., Materialien und Actenstücke..., S. V (November 1797). 85 Vgl. schon Anm. 78; vgl. zuletzt zusammenfassend Friedrich Buchholz/Gerhard Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare und die ihnen angegliederten Präparandenanstalten. Einzeldarstellungen ihrer Entwicklung. Mit Unterstützung der Hauptstelle für Erziehungs- und Schulwesen Berlin, Berlin 1961, S. 14—20, auch zur Entwicklung des Lehrplans, der 1787 auch Geschichte, Naturgeschichte und Geographie umfaßte; schon eine Instruktion, die Zedlitz 1772 für die Direktion des Realschulseminars hatte ergehen lassen, nannte auch ζ. B. Naturgeschichte, Physik, Mechanik als vorgesehen, Abschrift aus Rep. 92 (Massow) im G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, N r . 7 (Kurmark 1768—1798); bemerkenswerterweise erklärte F. Herzberg, Materialien und Actenstücke..S. 18, daß von dieser Instruktion „in so weit sie für das Locale des Instituts paßte, ein pflichtmäßiger Gebrauch gemacht worden ist"!

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und Wirkung

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Unterscheidung v o n eigentlichen Seminaristen und sogenannten Präp a r a n d e n . 8 6 N u r e r s t e r e w u r d e n w ä h r e n d ihres A u f e n t h a l t e s i m S e m i nar v e r s o r g t und w o h n t e n auch hier. D i e Z a h l dieser H a u s s e m i n a r i s t e n d o m i n i e r t e nie; sie lag u m die z e h n , z e i t w e i s e a u c h e r h e b l i c h d a r u n t e r . 8 7 D i e P r ä p a r a n d e n j e d o c h , die in z u n e h m e n d e m A u s m a ß e die F r e q u e n z des S e m i n a r s a n h o b e n , h a t t e n sich w ä h r e n d ihrer L e h r z e i t a u c h selbst z u b e k ö s t i g e n . D a s A n g e b o t o r g a n i s i e r t e n Q u a l i f i k a t i o n s e r w e r b s in e i n e r g e w i s s e n Z e i t — die K u r s d a u e r w a r e b e n s o w e n i g f ü r S e m i n a r i s t e n wie f ü r P r ä p a r a n d e n f e s t g e l e g t u n d es g a b a u c h k e i n e

bestimmten

E i n t r i t t s t e r m i n e ! 8 8 — o h n e d a ß f ü r d e n U n t e r h a l t d e r P r ä p a r a n d e n , die aus d e r P r o v i n z a n z u r e i s e n h a t t e n , g e s o r g t w e r d e n k o n n t e , b e w i r k t e s c h l i e ß l i c h , d a ß d e r h a n d w e r k l i c h e R e k r u t i e r u n g s n e x u s d u r c h das B e r liner S e m i n a r e b e n s o gestützt

w u r d e , wie dies f ü r das S t e t t i n e r o d e r

K l o s t e r B e r g e r I n s t i t u t n a c h g e w i e s e n w e r d e n k a n n , die b e i d e a u s d r ü c k lich die A u f n a h m e v o n H a n d w e r k e r n n i c h t n u r d u l d e t e n s o n d e r n f ö r d e r t e n . 8 9 I n B e r l i n w a r d e r A n t e i l d e r P r ä p a r a n d e n aus h a n d w e r k l i c h e m

86 Dazu und zum Folgenden: F. Wienecke, Zum Gedächtnis..., S. 476 f.; damit F. Buchholz/G. Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare..., S. 15; ferner zu den verschiedenen Arten der Seminarbesucher der Bericht Johann Julius Heckers vom 4. November 1765 an den Minister von Münchhausen, G.St. Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Nr. 2029], der drei Gruppen unterscheiden wollte: „Praeparandi ordinarli" mit freiem Unterricht und Unterkunft, „Praeparandi extraordinarii" mit freiem Unterricht und eigenem Unterhalt sowie „Praeparandi hospites", die ζ. B. von Patronatsherren unterhalten wurden und ein monatliches Schulgeld von 16 Talern zu bezahlen hatten; für die obige Argumentation kommt es freilich grundsätzlich sowohl auf die quantitative Relation als auch auf die geringe Ausbildbarkeit der nicht — wie die Seminaristen — im Seminar unterhaltenen Absolventen an; vgl. schon K. Fischer, Geschichte..., Bd. 1, S. 298.

F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 25, S. 293; C. Müller, Grundriß der Geschichte des preußischenVolksschulwesens..., S. 51 f.; Friedrich Herzberg, Versuch einer Instruktion für die Seminaristen und Präparanden des hiesigen Königlichen Churmärkischen Landschullehrerund Küster-Seminariums..., Berlin 1794, S. 9 (Titel gekürzt), gibt die Zahl der von königlichen Mitteln unterhaltenen Hausseminaristen mit 6 an. 87

88 F. Buchholz/G. Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare..., S. 15. Friedrich Wienecke, Zwei Berliner Schulmänner im achtzehnten Jahrhundert, in: Brandenburgia, Bd. 19 (1910/11), S. 324: „Geordnete Jahreskurse gab es nicht: die Zöglinge kamen und wurden nach Bedürfnis entlassen; es war ein Unterrichten ohne Anfang und Ende." Ferner L. H. Fischer, Berliner Schulhalter..., S. 2. 89 Vgl. die Kurtze Beschreibung eines zu Closter Berga errichteten Schul-Seminarii..., S. 747 ff.; F. Wienecke, Zwei Berliner Schulmänner..., S. 368; A. Heubaum, Geschichte des deutschen Bildungswesens..., S. 170.

386

II. Schule im absolutistischen

Staat

Umfeld beträchtlich,90 wie auch aus der Angabe von 1789 geschlossen werden kann, daß von insgesamt 60 Zöglingen „39 Professionisten (meistens Schneider und Schuster)" zu zählen waren und nur 21 „keine Profession erlernt" hatten.91 Das Handwerk war und blieb denn auch ihre Erwerbsquelle während des Seminaraufenthaltes, das heißt, sie arbeiteten nach dem Unterricht am Nachmittag in Berlin in ihrem jeweiligen Handwerk und wohnten verstreut in der Stadt.92 Es kann unter diesen Umständen nicht verwundern, daß mithin Lernerfolg und Nahrungszwang während des Seminaraufenthaltes zu konkurrieren hatten. So wußte auch Silberschlag 1770 zu berichten, daß es unmöglich sei, „durch blosse Praeparanden, die noch dazu nicht einmal von ihren Meistern Erlaubnis bekommen, die Unterweisungen abzuwarten".93 Nicht also die bloße Frequenz kann für die Bedeutung des Berliner Landschullehrer- und Küsterseminars in der Schulwirklichkeit des Landes als entscheidendes Datum genügen. Es bleibt nach der Prägsamkeit der organisierten Lehrerbildung in der Kurmark gerade bei gesteigerten Quantitäten zu fragen, also nach der qualitativen Bedeutung des Seminars für die Schulwirklichkeit der Provinz. Festzuhalten ist dabei zunächst, daß der halb mit Lernen und halb mit handwerklichem Erwerb verbrachte Aufenthalt der Präparanden an der Bildungsstätte nur einige Monate zu dauern pflegte,94 zumal die offene Kursdauer ein jederzeitiges Verlassen der Anstalt ermöglichte.95 Das Schloß

90 Vgl. allgemein Friedrich Herzberg, Warum herrscht unter dem gemeinen Volke noch immer so viel Unwissenheit und Rohheit..., Berlin 1790, S. 44 (Titel gekürzt); D. Rittershausen, Beiträge..., S. 245. " So die Mitteilungen von F. Herzberg, Einige Gedanken über die zweckmäßige Βildung der Landschullehrer..., S. 35; zum handwerklichen Nexus der Seminarbesucher vgl. ferner für die eigentlichen Seminaristen: H. G. Bloth, Johann Julius Hecker..., S. 100f.; D. Rittershausen, Beiträge..., S. 244f.; Zur Geschichte des Königlichen Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums. (Auszüge aus Programmen und anderen Schriften), in: Festschrift zur Hundertjahr-Feier des Königlichen Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums zu Berlin am 8. Mai 1897, hrsg. vom Festausschuß der ehemaligen Schüler, o. O. (1897), S. 10. 92 Neben den Stellen in Anm. 91 siehe F. Herzberg, Versuch einer Instruktion..., S. 10; F. Buchholz/G. Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare..., S. 15. 93 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 7 (Kurmark 1768—1798), Bericht Silberschlags vom 1. März 1770. 94 F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 293; K. Fischer, Geschichte..., Bd. 1, S. 298. 95 Vgl. Anm. 88.

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

387

n i c h t aus, d a ß e i n z e l n e P r ä p a r a n d e n a u c h m e h r als ein J a h r — o d e r gar zwei — das S e m i n a r b e s u c h t e n ; 9 6 m ö g l i c h w a r a b e r gleichfalls, das Z e u g n i s des S e m i n a r b e s u c h s n a c h e i n e m A u f e n t h a l t v o n n u r w e n i g e n W o c h e n zu erlangen.97 D a s S e m i n a r selbst ließ es in d e n v e r ö f f e n t l i c h t e n Z u s t a n d s b e s c h r e i b u n g e n , die in den j ä h r l i c h e n P r o g r a m m s c h r i f t e n e n t h a l t e n w a r e n , an der nötigen Deutlichkeit über den geringen W i r k u n g s g r a d der Semin a r a u s b i l d u n g für die P r ä p a r a n d e n n i c h t m a n g e l n . „ D i e s e L e u t e h a l t e n sich s o lange h i e r auf, als ihre V e r m ö g e n s u m s t ä n d e es e r l a u b e n . W e i l sie a b e r b i s h e r g r ö s t e n t h e i l s n a c h einigen M o n a t e n w i e d e r a b g e g a n g e n sind: so ist es g a n z u n m ö g l i c h g e w e s e n , d a ß sie die e r f o r d e r l i c h e B i l d u n g z u i h r e r B e s t i m m u n g h a b e n e r h a l t e n k ö n n e n " , 9 8 ließ sich d e r D i r e k t o r des I n s t i t u t s v e r n e h m e n , u n d e r b e t o n t e z u g l e i c h , d a ß dies n i c h t d e m S e m i n a r z u r L a s t g e l e g t w e r d e n k ö n n e . D i e P r ä f e r e n z für M ä n n e r ländlicher H e r k u n f t , 9 9 die N o t w e n d i g k e i t d e r R e k r u t i e r u n g aus d e m K r e i s d e r H a n d w e r k e r , weil e b e n die z u ü b e r n e h m e n d e n S c h u l s t e l l e n ü b e r w i e g e n d z u m L e b e n s u n t e r h a l t des S c h u l m e i s t e r s n i c h t ausreicht e n , 1 0 0 u n d z u d e m die r e c h t u n t e r s c h i e d l i c h e n u n d m a n g e l h a f t e n V o r -

G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 5277 (Rudow), Zeugnis des Berliner Landschullehrerseminars für den späteren Küster und Schulmeister (einen Garnweber) in Rudow vom 21. April 1790, der das Seminar zweieinhalb Jahre besuchte; er habe „aber die Lehrstunden mit so vielen und langen Unterbrechungen besuchet, daß man die Zeit seiner gesammten Vorbereitung auf höchstens ein Jahr ansetzen kann." 96

G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep., 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 762a (Serwest), Zeugnis des Seminars vom 14. Oktober 1800 für den künftigen Schulmeister in Serwest (sechswöchiger Seminarbesuch); dreimonatiger Aufenthalt: Nr. 4951 (Biesdorf), Zeugnis vom 25. Oktober 1776. Beispiel für vierwöchige Seminarvorbereitung: Aus dem Schulwesen der Parochie Zabelsdorf, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg, 51. J g . (1886), S. 295. ,7

*8 So A. J . Hecker in seiner 1787 veröffentlichten Kurze[n] Nachricht von dem mit der hiesigen Königlichen Realschule verbundenen Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 18. n Vgl. F. Herzberg, Ideen, Wünsche und Vorschläge..., S. 12, spricht sich mit folgender Begründung gegen die Verwendung von Städtern auf Landküsterstellen aus: „Sie kennen die ganze Verfassung des Landmanns, seine Denk- und Handlungsweise, seine Art sich auszudrücken, seine Vorurtheile, abergläubischen Meinungen, seine Gemüthseigenschaften, seine Geistes- und Herzensbedürfnisse zu wenig, um darnach ganz zweckmäßig die Jugend unterrichten, sich in ihrem Wirkungskreise gehörig herabstimmen, und einen ausgebreiteten Nutzen stiften zu können." Vgl. ferner oben bei Anm. 1. 100 Ders., Versuch einer Instruction..., S. 7, mit ausdrücklicher Erwähnung der „Schneider-Profession" und dem interessanten Hinweis auf die besondere Eignung

388

II. Schule im absolutistischen

Staat

kenntnisse101 der A u f g e n o m m e n e n bestimmten den Grad der Prägsamk e i t , d e r q u a l i t a t i v e n W i r k u n g des S e m i n a r s auf dessen A b s o l v e n t e n . L e t z t l i c h sah sich die L e i t u n g des Berliner S c h u l l e h r e r - u n d K ü s t e r s e m i n a r s g e z w u n g e n , m i t d i e s e m P e r s o n e n k r e i s aus h a n d w e r k l i c h e m N e x u s a u c h s o l c h e M ä n n e r a u f z u n e h m e n , die „ n i c h t e i n m a l m e c h a n i s c h r i c h t i g l e s e n " k o n n t e n , 1 0 2 „ L e u t e v o n sehr m i t t e l m ä ß i g e n F ä h i g k e i t e n u n d K e n n t n i s s e n " ; diese, bei d e r e n A u s w a h l , wie H e r z b e r g o f f e n aussprach, „nicht zu strenge" verfahren wurde,103 mit denen z u s a m m e n dieses Gewerbes, das geräuschlos und bei geringem Platzbedarf ausgeübt werden könne; schon weniger günstig sei deshalb die Leineweberei! Nur „besonders fähige Subjekte" mit Hoffnung auf eine sehr gute Stelle dürften „auch ohne eine Profession erlernet zu haben, in unser Institut aufgenommen werden. —" 101 A.a.O., S. 5, gibt an, daß aufzunehmende Präparanden Vorkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen besitzen sollten; zum „Mangel an Vorkenntnissen" und der materiellen Notsituation der Präparanden vgl. die Schilderung bei F. Herzberg, Fortsetzung der Nachrichten von dem ... Schullehrer- und Küster-Seminar..., S. 19. Ebda.; wie Hecker, so sprach auch Herzberg a.a.O., S. 19f., die Unmöglichkeit für das Seminar an, qualifiziertes Personal zu bilden. 103 Ders., Einige Gedanken über die zweckmäßige Bildung der Landschullehrer in Seminarien..., S. 18 f.; vgl. zum Gesamtproblem, das hier aus Äußerungen des Seminars analysiert wurde, die aus dem Jahre 1796 stammende und obige Darstellung bestätigende Analyse von L. A. Baumann, Ueber die Mängel in der Verfassung des platten Landes der Kurmark..., S. 81. Baumann argumentierte treffend, daß die Schuld nicht bei den leitenden Männern des Seminars zu suchen sei. Deshalb wird die schroffe Kritik von Zedlitz, die er 1779 gegen das Berliner Seminar mehrfach richtete (ζ. B.: G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 40, Bezirk Berlin, Generalia, Nr. 874 [Dreifaltigkeitskirche], Ausf. eines von Zedlitz unterzeichneten Reskripts des Geistlichen Departements vom 6. Oktober 1779), wenn er Nachlässigkeit der Leitung, schlechte Visitationsergebnisse und die ungenügende Methode, die nahezu völlig „in weiter nichts als in ganz unüberlegtem auswendiglernen bestehet" (ebda.; vgl. nach den Rochow-Korrespondenzen: M. Heinemann, Schule im Vorfeld..., S. 145), angriff, als oberflächlich und wenig kenntnisreich charakterisiert werden müssen. Das Funktionsproblem des Berliner Seminars war nicht ein Personal-, Leitungs- oder Methoden-, sondern ein Strukturproblem! Deshalb darf auch mit Recht bezweifelt werden, daß mit dem unter Zedlitz erweiterten Lehrplan Wesentliches bewirkt werden konnte. Von den rd. 30 Wochenstunden des Seminarunterrichts (1787/88) entfielen auf Geographie, Geschichte, Naturgeschichte und Diätetik ganze zwei (sechs dagegen allein auf die Religion), F. Herzberg, Fortsetzung der Nachrichten..., S. 8, S. 13, und A. J. Hecker, Kurze Nachricht von dem ... Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 19—32 sowie die 4 unpag. Blätternach S. 32; es ist unschwer zu ermessen, welche Wirkung dieser erweiterte Lesestoff auf einen Landhandwerker bei unregelmäßigem und nur wenige Wochen oder Monate währendem Seminarbesuch (bei möglicherweise unzureichenden Lesekenntnissen und begleitender kräftezehrender Handarbeit neben den Lehrstunden) erreichen konnte. Auch ein Lehr-Plan ist also eine sehr kritisch zu benutzende Quelle. 102

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

389

aber auch die Besseren unterrichtet werden mußten, bezogen das Seminar. Es wird deutlich: Die Strukturprobleme des Berliner Schullehrerund Küsterseminars erwuchsen letztlich aus der Resistenz der schulischen Grundbeschaffenheiten, die in ihrer Traditionalität die Schulwirklichkeit auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts prägten, etwa Rekrutierungsfeld, Nebenberuf und materielle Dotierung. 104 Dagegen kam die übliche Präparandenausbildung nicht an, und diese überwog quantitativ deutlich die Vorbereitung der Seminaristen. TABELLE 21 quantifiziert diese Aussage an dem entscheidenden Verhältnis der Abgängerzahlen — nur diese sind letztlich für die Schulwirklichkeit aussagekräftig — für Seminaristen und Präparanden in den Jahren 1788 bis 1799. 105 TABELLE 21 gewährt zudem einen exakten quantifizierenden Einblick in den Verbleib der einmal am Berliner Schullehrer- und Küsterseminar ausgebildeten Personen, sowohl im Verhältnis Stadt-Land als auch nach Patronatsstruktur und provinzialem Zielort differenziert. 106 Deutlich ist das erdrückende Ubergewicht präparandischer Seminarausbildung, deutlich zugleich, daß der Anteil derer, die auf königliche Landschulstellen vor allem der Kurmark gelangten, doch mit 146 von 334 (43,7 %) einen — gemessen an der Aufgabenstellung der Anstalt! — vergleichsweise geringen Anteil ausmachte. Die Summe der 140 Seminaristen und Präparanden, die auf königlichen Landpatronatsstellen der Kurmark unterkamn, muß freilich auf dem Hintergrund der Angabe betrachtet werden, daß 1800 in dieser Provinz insgesamt 588 derartige Landschulstellen zu zählen waren (TABELLE 18). Diese Anga-

,04

D e s h a l b verwundert es nicht, daß die aus dem J a h r e 1752 stammende

Beschreibung

eines zu Closter Berga errichteten

Schul-Seminarii...,

Kurtze

S. 738, den geschil-

derten Berliner Problemen sehr ähnliche Phänomene beschreibt. 105

Sie wurde zusammengestellt aus Angaben über die einzelnen Abgänger aus dem

Seminar, die in kleinen, den einzelnen Abgänger charakterisierenden Artikeln den genannten Programmschriften beigegeben wurden und nach denen die für die Tabelle gewählten Kriterien ausgezählt werden konnten. Auf eine A n g a b e der Schriften mit ihren umfangreichen T i t e l n sei verzichtet; sie wurden mit dem T a g der angegebenen öffentlichen P r ü f u n g , für die sie herausgegeben wurden, in der Tabelle zitiert (vgl. das Quellenverzeichnis). Die Zahlen beziehen sich auf das ganze jeweils vorhergehende Schuljahr. 106

Erfaßt sind die sogleich nach dem Verlassen des Seminars mit einer Schulstelle

Versorgten; — offenbar besaß das Seminar keinen Überblick über diejenigen, die gar nicht oder erst nach kürzerer oder längerer Zeit eine Schulstelle erhielten.

II. Schule im absolutistischen Staat

390

TABELLE 21

Ausstoß und Abgangsstruktur des Berliner Schullehrer- und Küsterseminars 1788—1799

Abgänger

Quelle

sogleich

kgl. Stadt- kgl. Dorf-

versorgt

stelle

adi. Dorf- Stadtstelle

stelle

stelle

(städt.

(Datum des Programms)

Patronat) insgesamt

S

1

4

3. Dez. 1788

29

21. Dez. 1789

„Ueber dreißig"

8. Dez. 1790

„Etwa 40"

4

20. Dez. 1791

„Über 30"

1

20. Dez. 1792

„Ueber 40"

3 ?

Ρ 25

24

(26)

27



25



20. Dez. 1793 3. Dez. 1794

über 30

(19)

(1)

S

1

1

25



33



29



21



S

P

L

I

S

P

1

P

1

10



4

1

2

12



3



1

1

3

4



4



3



1 —

1

3

9



5



4

18



6



3



7



5

1

9



5



5

1

5

8. Dez. 1795

über 30

27

6



5



6

15. Nov. 1796

„über 30"

23





1

15



3



2

21. Nov. 1797

über 40

36





1

14



3



6

14. Dez. 1798

50

(2)

(38)

40





14



8



5

20. Dez. 1799

24

(1)

(23)

24

1

-

12

-

7

-

2

334

3

130

-

58

Summe

ca. 410

1

1





1

S

P

1 -

7



10

sogleich

kgl. Stadt- kgl. Dorf- adi. Dorf- Stadtstelle

versorgt

stelle

stelle

stelle

(städt.

(Datum des

Patronat) insgesamt

S

4

1

Ρ

S

1

P

S

1

p









1











1*



2





33











2*





29







1*













2













1*













20. Dez. 1791

„Über 30"

1

25

20. Dez. 1792

„Ueber 40"

20. Dez. 1793 (19)

1*

21

8. Dez. 1795

über 30

27

15. Nov. 1796

„über 30"

23

21. Nov. 1797

über 40

14. Dez. 1798

50

20. Dez. 1799

24

S = Seminaristen. Ρ = Präparanden.

S



4

ca. 410

P

25

„Etwa 40"

Summe

L

27

„Ueber dreißig"

8. Dez. 1790

(1)

S

(26)

21. Dez. 1789

über 30

P

24

29

3 ?

1

25

3. Dez. 1788

3. Dez. 1794

45

Abgänger

Quelle

Programms)

2

36 (2)

(38)

40

(1)

(23)

24 334





1

> -

} -

1

2

1

5



2 5

> 8

1

* Neumark. ** Stettin. *** Mecklenburg.

3

Entstehung und Wirkung organisierter Lehrerbildung

391

TABELLE 21 (Fortsetzung) Ausstoß und Abgangsstruktur des Berliner Schullehrer- und Küsterseminars 1788—1799

in der Kurmark Kämmereidorf

sonst.

Hauslehrer

Regiments- und

adlige

Dorfstelle

„Privatlehrer

Garnisonschule

Stadtstellen

unbestimmt

auf dem Lande" s

I



Ρ





1



1



1



1



2

s

I

1

Ρ

s

1

Ρ

s

1

Ρ

s

1

Ρ

s

I

Ρ

1



2

11

außerhalb der Kurmark Kämmereidorf

sonst.

Hauslehrer

Dorfstelle S

I

Ρ

s

-

I

Ρ

s

I

Ρ

Regiments- und

außerhalb

Garnisonschule

Preußens

s

I

Ρ

s

Ρ

I

_

ι «*

_

ι **»

1 (?)

1



1

„Sonstige Dorfstellen": insbesondere geistliche Körperschaften als Patron, Hüttenwerke. „ U n b e s t i m m t " : auch M i s c h p a t r o n a t e .



2



5

392

II. Schule im absolutistischen Staat

ben allein genügen allerdings noch nicht, ein ungefähres Bild von der ausreichenden oder ungenügenden quantitativen Leistung des Seminars (mit unzureichenden Präparanden!) zu gewinnen. Erforderlich wäre eine Erhebung über die durchschnittliche Amtsdauer des brandenburgischen Landschulmeisters, und eine derartige Berechnung zeitgenössischer Provenienz scheint nicht zu existieren. Eine nachträgliche ungefähre Rekonstruktion dieses Datums aus dem vorliegenden Einzelmaterial deutet auf eine durchschnittliche Amtszeit von etwa zwanzig Jahren hin. 107 Wird weiter in Betracht gezogen, daß von den nicht sogleich Versorgten noch eine Aufrundung der Zahl der 140 für königliche Landstellen zur Verfügung stehenden Seminarabsolventen einkalkuliert werden muß, so wird doch erkennbar, daß das Berliner Seminar gleichwohl nicht annähernd den Bedarf auch nur für Landstellen königlichen Patronats zu decken vermochte, denn prinzipiell dürfte nach dem angegebenen Näherungswert alle zwanzig Jahre der Personalbestand der besagten Schulen (rd. 600 Steilen) gewechselt haben, während in zwölf Jahren nur die 140 zuzüglich einer keinesfalls über weiteren 70 liegenden Rate an „Spätversorgungen" zur Verfügung stand, wobei letztere freilich schwerlich in voller Höhe einbezogen werden dürften. Eine optimistische Schätzung auf der Grundlage dieser Daten kann bestenfalls im Durchschnitt die Hälfte der königlichen Landschulstellen der Kurmark durch das Berliner Landschullehrer- und Küsterseminar versorgt sehen.108 Allerdings muß auch das Verhältnis zur Gesamtzahl der kurmärkischen Landschulstellen beachtet werden. 109 Immerhin gelangten Seminarabsolventen auch auf adlige Stellen, allerdings in ungleich geringerer Verteilungsdichte.110 Für diese ist 107

Aus dem verfügbaren Aktenmaterial sowie aus der auch an dieser Stelle unver-

zichtbaren lokalgeschichtlichen Literatur ließ sich in 115 Fällen für königliche Dörfer die Amtszeit mit zureichender Genauigkeit rekonstruieren, wobei die häufig ganz erheblich über dem Durchschnitt liegenden Dienstperioden den Erhebungszeitraum von 1700 bis 1828 bedingen (der Amtsantritt liegt aber in allen Fällen vor 1806/07); die Zahl der durchschnittlichen Amtsjahre wurde mit 20,3 berechnet. Für die — quellenmäßig schwerer zu fassenden — adligen Patronatsstellen wurden 9 9 Fälle für die Zeit von 1621 bis 1838 eindeutig identifiziert. Die Vergleichszahl ließ sich mit 25,1 Amtsjahren bestimmen. 108

Wenn die für zwölf Jahre aus dem verfügbaren Material gezogenen Zahlen auf

zwanzig Jahre hochgerechnet werden. 10

'' M. F. von Bassewitz, Die Kurmark

Brandenburg...,

S. 342, gab den Anteil der

Seminarabsolventen in Relation zu dem Gesamtbedarf für die Jahre vor 1806 mit einem Sechstel an. Vgl. TABI I I K 18: 1060 Stellen unter „Privat"-Patronat.

Entstehung und Wirkung organisierter Lehrerbildung

393

also mit einem erheblich stärkeren Beharren „anarchischer" Vorbereitungsformen zu rechnen. Der geringere Dichtegrad an systematisch Vorgebildeten muß auch auf dem Hintergrund der etwas schlechteren Einkommensstruktur der Privatpatronatsstellen (TABELLE 18) gesehen werden. Immerhin geben beide Daten doch einen objektiven Anhaltspunkt für die Aussage, daß die adligen Stellen im Vergleich mit denen königlichen Patronats durch eine graduell schlechtere Gesamtqualität gekennzeichnet gewesen sein mögen. Seminaristen tauchen denn auch auf adligen Stellen überhaupt nicht auf. Zu einem beachtlichen Teil belieferte das Berliner Seminar sodann insbesondere Stadtstellen städtischen Patronats (Kurmark: 47); mit 35 Abgängern für andere Provinzen beziehungsweise solchen, die Preußen verließen, ist dieser Anteil mit 10 % der Gesamtabsolventen der Jahre 1788 bis 1799 durchaus für die Frage des Wirkungsgrades, den das Berliner Schulmeisterseminar für die Kurmark erlangte, relevant. Diese quantifizierenden Betrachtungen auf dem Hintergrund der Schulstellenzahlen widerlegen das Bild vom Berliner Schullehrer- und Küsterseminar als einer „ Zwangs-Anstalt" auch nur für die königlichen Schulstellen, 111 und dies gilt auch für die Zeit der maximalen quantitativen Expansion dieses Instituts. Allerdings muß gerade für die Differenz zwischen den jährlich abgegangenen und den sogleich versorgten Seminaristen und Präparanden weiter berücksichtigt werden, daß diese ihnen angetragene, aber schlecht bezahlte Stellen rundweg ablehnten und somit unvorbereitete Interessenten den Dienst übernahmen. 112 Überhaupt traten wiederholt Schwierigkeiten für das Seminar auf, seine Zöglinge auch auf den vorgesehenen Schulstellen zu piazieren. Johann Julius Hecker hatte schon im September 1753 Anlaß gesehen für die Klage, daß „die Beamten noch immer nach eigenem Gefallen die Küster und Schulmeister vociren und einsetzen [,] obgleich Sr. Königl. Majestät allergnädigst befohlen, daß die Subjecta aus dem Seminario dazu genommen werden sollen", 1 1 3 und Silberschlag bat 1770, an alle " ' Deshalb irrig: Johann Georg Krünitz, Land-Schule, technologische Encyklopädie, Wirtschaft,

in: Ders.,

oder allgemeines System der Stats-Stadt-Haus

und der Kunst-Geschichte

in alphabetischer

Ordnung,

Oekonomischund

Land-

Bd. 61, Berlin 1793,

S. 669. " 2 So expresses verbis der Bericht A. J . Heckers vom 24. Januar 1789 an das Oberkonsistorium: G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

1. Hauptabt., Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr.

198, Bd. 1) [Nr. 2029], 113

A.a.O.,

und diverse Stücke zu dem erneuten Zirkular an die Inspektoren der

Kurmark vom 1. O k t o b e r 1753, sowie oben Anm. 69; ferner A. J . Hecker,

Kurze

394

II. Schule im absolutistischen

Staat

kurmärkischen Inspektoren und Beamten den Befehl ergehen zu lassen, „dass jede Schulmeister- u. Küster Vacanz sofort einem Hochwürdigen Ober Consistorio und an Er. Höchstlöbl. Churmärkische Kammer gemeldet werde. Geschiehet dieses nicht, so wird es gehen wie bisher [!], nämlich [daß, — fehlt, der Verf.] das Seminarium nur solche Stellen zu besetzen bekommt, bei welchen die Leute Hungersnot auszustehen haben, und die besten Stellen werden den Bedienten der Amtsleute Preis gegeben."114 Trotz wiederholter Verordnungen war es aber auch um 1800 für das Seminar nicht weniger problematisch, auch nur von den freigewordenen Stellen Kenntnis zu erhalten, wie denn der Seminarinspektor Herzberg in einem Schreiben an Andreas Jakob Hecker im Jahre 1801 mit Rücksicht auf jüngste Entwicklungen berichtete, daß sich „seit einiger Zeit schon die Anzahl der Versorgungen, zumahl mit Königl. Stellen [ . . . ] vermindert" habe, was er unter anderem auf die immer spärlichere Meldung der Vakanzen zurückführte.115 Die Stärke und „Ferne" der lokalen Amtsträger von den Berliner Organen begrenzte auch für das Berliner Schullehrer- und Küsterseminar die Chance, die eigene Wirksamkeit bis auf die einzelne lokale königliche Schulstelle hinunterdringen zu lassen; dies bestimmte das Ausmaß, in dem die Absolventen tatsächlich in Schulstellen gelangen konnten.116 Das so gewonnene Resultat kennzeichnet nicht ein isoliertes Sonderphänomen der Schulwirklichkeit im Preußen des 18. Jahrhunderts. Die Analyse des von Johann Julius Hecker begründeten, dann „königlich" genannten, aber nicht „königlich" unterstützten, auch am Ende des 18. Jahrhunderts quantitativ und qualitativ nicht zu überschätzenden Schullehrerseminars ist von gesamtprovinzialer Signifikanz, da es das einzige seiner Art für die große Masse der lutherischen Land- und niederen Stadtschulen der Kurmark blieb. Der durchaus ernst ge-

Nachricht von dem... Küster- und Schullehrer-Seminar..., S. 12, auch zu auf Beschwerden Heckers ergangenen Befehlen der Kammer an die Beamten. „Mehrmals wurden diese Verordnungen erneuert..."! "4 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt. Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 7 (Kurmark 1768—1798), Silberschlags „Plan zur Wiederherstellung des Schulmeister u. Küster Seminarii für die Churmärkische Land-Gemeinden" vom 1. Juli 1770 (Abschrift aus Rep. 92, Massow). Ein entsprechendes Reskript von Derschaus erging an die Kammer, 29. August 1770 (Abschrift a.a.O.). 1,5 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt. Rep. 76 (Seminare, Altes Paket, Nr. 198, Bd. 1) [Nr. 2029], Brief vom 24. Febr. 1801. 116 Vgl. die Rate der nicht sogleich Versorgten in Tabklle 21.

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lebrerbildung

395

meinte, freilich doch recht skurrile Versuch Friedrichs II., mit einer Handvoll aus Kursachsen importierter Schulmeister der Lösung der Probleme näher zu kommen, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Behandlung, da ihm kaum mehr Bedeutung als die einer wahren Anekdote zuzumessen ist. 117 Dagegen bleibt zu prüfen, ob für die musterhaft eingerichteten Dorfschulen Friedrich Eberhard von Rochows 1 1 8 eine überlokale Wirkung etwa in einer zu Reckahn betriebenen Lehrerbildung zu erkennen ist. Diese Frage zu stellen liegt durchaus nahe, war es doch Rochow, der wiederholt eine systematische Ausbildung von Lehrern in Seminaren forderte. 119 Dabei kommt es nicht auf die zahlreichen einfachen Besucher dieser Musterschulen an, 120 von denen Rochow deutlich sagte, daß ihnen selbst ein mehrwöchiger Aufenthalt noch nicht die Gelegenheit vermitteln könne, die in den Schulen seines Besitzes eingeführte „Lehrart" zu erwerben. 121 Ausdrücklich stellte der Erbherr auf Reckahn fest, daß „die hiesige Schule kein Seminarium für Lehrer, sondern nur eine Schule für Kinder" sei, 122 und tatsächlich kann die Gesamtzahl derer, die in Reckahn einen Aufenthalt zu Ausbildungszwecken verbrachten, nur auf etwa sechzig angesetzt werden. 123 Insofern reihte sich Rochow Novum Corpus Constitutionum..., Bd. 3, Nr. 5 zu 1763, Sp. 195 f., Kabinettsorder vom 12. Februar 1763 an den Minister von Danckelmann: Ansetzung von je vier Sachsen in der Kurmark und in Pommern; zu den weiteren Einzelheiten: K. Fischer, Geschichte..., Bd. 1, S. 295, S. 306 f.; F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 104 ff., auch zum Scheitern des Experiments. 117

Vgl. oben im E R S T E N T E I L , ZWEITES KAPITEL, bei Anm. 4 9 a. F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 1, S. 326—331; Bd. 3, S. 190; O. Gerlach, Die Idee der Nationalerziehung..., S. 65 ff.; F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 294. 120 F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 4, S. 437—463, ein Verzeichnis der Besucher aus den Jahren 1772—1805. 121 Friedrich Eberhard von Rochow, Vorrede, in Karl Friedrich Riemanns Versuch einer Beschreibung der Reckahnschen Schuleinrichtung. Mit einer Vorrede von Sr. Hochwürden, dem Herrn Domherrn ec. ec. Friedrich Eberhard von Rochow, Erbherr auf Reckan, ec. ec., Wien 1788, zuerst Berlin-Stettin 1781, S. VII; S. X wird ausdrücklich von von Rochow die Riemannsche Beschreibung damit begründet, daß sie den Besuch der Schule zu Reckahn ersetzen solle. 118

119

A.a.O., S. VII. So die Ergebnisse von E. Schäfer, Friedrich Eberhard von Rochow..., S. 62; sodann auch Th. Klähr, Rochow, in: W. Rein (Hrsg.), Encyclopädisches Handbuch..., Bd. 7,2. Aufl., Langensalza 1908, S. 582; nach F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 4, S. 34 Anm. 1, gingen aus dem Kreis der Reckahner Schulkinder der Jahre 1773—1805 nur vier Knaben hervor, die später Lehrer wurden. 122

123

396

II. Schule im absolutistischen Staat

nicht in die von Francke über Schinmeyer und Steinmetz bis zu Hecker lebendige Tradition einer „privat" und nicht landesherrlich initiierten, später dann königlich sanktionierten frühen Form organisierter Lehrerbildung ein. Zugleich ist damit ein sprechendes Beispiel für den von Horst Möller betonten „Gegensatz von Theorie und Praxis" im Verhältnis der Aufklärung zum Bildungsproblem gegeben. 124 Ausbreitung und Funktion der Seminare bis 1806 Die letzten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts sind bildungsgeschichtlich durch eine bemerkenswerte Verdichtung des Seminarnetzes in Brandenburg-Preußen gekennzeichnet. Allerdings wird zu zeigen sein, daß bei durchaus zunehmendem und nun auch initiativ werdenden Engagement der landesherrlichen Gewalt in die Entwicklung auch vielfältige Reformkräfte eingriffen, die „von unten" initiativ wurden, ein um so bedeutenderer Tatbestand, als bei den Vorstößen der Träger des landesherrlichen Schulregiments — wie schon bei dem Berliner Seminar Heckers beobachtet — die Effizienzgrenzen in allen Fällen als sehr eng gezogen erscheinen. Tatsächlich ging der Einrichtung eines Seminars für die Neumark ein entsprechender Vorschlag Zedlitz' voraus, den dieser Friedrich Wilhelm II. unterbreitet hatte. 1 2 5 Im Sommer 1787 folgte ein detaillierter Plan aus der Feder des zum Oberschulrat ernannten neumärkischen Konsistorialrats Gotthilf Samuel Steinbart, 1 2 6 Professor an der Universität zu Frankfurt an der Oder und Enkel des zum Pietismus neigenden Züllich^uer Nadlermeisters Siegmund Steinbart, der nach einem Besuch in Halle 1719 in Züllichau ein nach dem halleschen Vorbild gestaltetes Waisenhaus begründet hatte. 1 2 7 An dem bei diesem Waisen-

124

H . Möller, Aufklärung

ZWEITES KAPITEL b e i A n m . 125

in Preußen...,

Κ. A. Freiherr von Zedlitz, Vorschläge zur Verbesserung...,

Die preußische Volksschulpolitik..., preußischen 126

S. 304; vgl. schon oben im ERSTEN TEIL,

58.

Volksschule...,

S. 424.

P. Schwartz, Die neumärkischen

Schulen...,

S. 103f.; ders., Der erste

kampf. .., S. 402; vgl. K . - E . Jeismann, Das preußische Gymnasium..., 127

S. 106; F . Vollmer,

S. 292, S. 294; E. Clausnitzer, Zur Geschichte der Kultur-

S. 89.

Informativ: Karl Lobach, Geschichte des Waisenhauses bei Züllichau während

ersten achtundvierzig Jahre (1719—1766), Erziehungs-

und Unterrichts-Anstalten

in: Beiträge zur Geschichte der

der

Steinbartschen

[,] Waisenhaus und Königl. Pädagogium bei Zül-

lichau, T . 1, J e n a 1867, S. 7 f f . , S. 14ff., S. 20, S. 3 7 f f . , auch zur Privilegierung durch den König. A(rthur) Splittgerber, Geschichte der Stadt und des Kreises Züllichau,

Zül-

Entstehung

und Wirkung

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Lebrerbildung

397

haus im Laufe der Zeit entstandenen Anstaltskomplex, 128 den Steinbart selbst leitete, sollte nun auch das neue Seminar für die Neumark angelegt werden. Vom Oberschulkollegium gleich anfangs mit jährlich 2000 Talern für Unterhaltskosten und einer einmaligen Zahlung von 720 Talern für die Einrichtung unterstützt, wurde die Arbeit Anfang 1788 mit je sechs Seminaristen für Land- und Stadtschulen aufgenommen. 129 Nur kurzzeitig unter Woellner in den Jahren 1796/97 in seiner Existenz gefährdet, 130 wurden auch in Züllichau die Frequenzen unter anderem durch sich selbst versorgende Besucher gesteigert, so daß — bei gleichbleibendem landesherrlichen Finanzbeitrag 131 — 1806 neben insgesamt 23 unterhaltenen Seminaristen auch 16 Landseminaristen dem Institut angehörten, die keine Unterstützung empfingen. 132 Deshalb erstaunt es nicht, wenn — wie schon für Berlin aufgezeigt — auch im Schullehrerseminar zu Züllichau zwischen Seminaristen und Präpa^ randen unterschieden wurde, 133 wobei unter letzteren gleichfalls lichau 1927, S. 62 ff.; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus..., S. 340 ff., auch zu den Kontakten Siegmund Steinbarts zu August Hermann Francke; diese Titel auch zur weiteren Entwicklung des Waisenhauses. Vgl. weiter Erich Biehahn, Der alte Züllichauer Verlagsbuchhandel, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 17 (1966), S. 8. 128 Vgl. den Überblick für die späten 1780er Jahre bei P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 104, zum Waisenhaus und den verschiedenen angeschlossenen Schulen; zu Gotthilf Samuel Steinbart siehe die biographischen Angaben bei J . H. F. Ulrich, lieber den Religionszustand..., Bd. 3, S. 396—406, auch zu Steinbarts Tätigkeit als Lehrer an der Berliner Realschule, wo er 1760—1762 wirkte; vgl. D. G. Fr. Herzberg, Dritter Nachtrag zur Geschichte der Königlichen Realschule in den ersten fünfzig Jahren nach ihrer Stiftung..., Berlin 1816, S. 5 f. (Titel gekürzt); K. Lobach, Geschichte des Waisenhauses..., S. 91 ff. 129 F. Buchholz/G. Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare..., S. 447; (Hans) G(eorg Gustav) Spieker, Das Königl. Schullehrerseminar und Waisenhaus zu Neuzelle in dem ersten Halbjahrhundert ihres Bestehens, geschichtlich dargestellt, Berlin 1867, S. 8f.; P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 104f., vgl. S. 108; für den Anfang des 19. Jahrhunderts bezeugt F. W. A. Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung..., Bd. 3, S. 78, den Fonds von 2000 Talern. 130 Die Einzelheiten hat P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 111—119, und ders., Der erste Kulturkampf..., S. 417 ff., S. 447—451 dargelegt. Abschriften mehrerer einschlägiger Aktenstücke aus den Jahren 1796/97 im G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 11 (Neumark 1735—1805). m Vgl. Anm. 129. 132 P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 119, vgl. auch die Angaben S. 110 (zu 1793 und 1794). 133 H. G. G. Spieker, Das Königl. Schullehrerseminar und Waisenhaus zu Neuzelle..., S. 9, zur Unterscheidung zwischen Präparanden und Seminaristen in Züllichau!

398

II. Schule im absolutistischen

Staat

Schneider Erwähnung fanden. 134 Trotz der spürbaren Ausweitung der Kapazitäten wurden aber in den drei Jahrzehnten von 1788 bis 1817 in Züllichau nur ganze 240 Lehrer ausgebildet, 135 bei 728 Küstern und Schulmeistern allein auf dem platten Lande der Neumark (1805).136 Zu berücksichtigen bleibt, daß in Züllichau zeitweilig auch für die Provinz Südpreußen ausgebildet wurde.137 Danach besteht zu einer Uberschätzung der Züllichauer Gründung in ihrer Ausstrahlung auf die Provinz wahrlich wenig Anlaß (vgl. auch unten T A B E L L E 22 !). Erst recht werden die Seminare, die Absolventen für die ohnehin nur dünne Schicht gymnasialer Anstalten ausbildeten, in ihrer realen Funktion in der Schulwirklichkeit nicht mit übertriebenen Erwartungen „überfrachtet" werden dürfen. Das 1777 an der Hallenser TheologenFakultät (bis 1779/80) nicht ohne Impulse durch Zedlitz eingerichtete pädagogische Seminar erwies sich nach wenigen Jahren als Fehlkonstruktion in sachlicher und personeller Hinsicht und wurde bereits 1784 wieder geschlossen.138 Das weitaus bekanntere, von dem berühmten Neuhumanisten Friedrich August Wolf 139 geprägte pädagogische Seminar zielte von Anfang an auf ein abgehobenes Wirkungsniveau, der Popularisierung entrückt, obwohl sich diese Entwicklung nicht mit den ursprünglichen Plänen des Oberschulkollegiums deckte. 140 Bezweckte

134 Vgl. den Auszug aus Steinbarts ,,Kurze[r] Nachricht über das Züllichauer Seminar" von 1793, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 11, (Neumark 1735—1805). 135 So F. Stollhoff, 2244 Lehrer, Küster, Kantoren und Organisten..., S. 123, und F. Buchholz/G. Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare..., S. 448. 136 Vgl. TABELLE 9; damit übereinstimmend die entsprechende Summe in TABELLE 6. 137 Vgl. z. B. H . G. G. Spieker, Das Königl. Schullehrerseminar..., S. 10; I. C. Bussenius, Die preußische Verwaltung..., S. 265—268. 138 Eine interessante Schilderung kurz nach der Einrichtung bei J . H . F. Ulrich, Bemerkungen eines Reisenden..., Bd. 1, S. 134—142, zu Zedlitz S. 134; ferner C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 176—184, auch zur finanziellen Unterstützung von 450 Talern sowie den Mängeln und Problemen aus der Berufung Trapps; F. A. Wolf hatte 1783/84 die Professur für Pädagogik inne; F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts..., Bd. 2, 3. Aufl., Berlin-Leipzig 1921, S. 82; siehe ferner H . Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 62. 139 Vgl. aus der neueren Literatur Manfred Fuhrmann, Friedrich August Wolf. Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 15. Februar 1959, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Bd. 33 (1959), S. 187—236, besonders S. 201 ff.; vgl. F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts..., Bd. 2, S. 210—229. 140 Die Zahl der Seminaristen wurde auf zwölf festgesetzt; zu alledem siehe die immer noch grundlegende, da quellennahe A r b e i t v o n J . F. J . Arnoidt, Fr. Aug. Wolfinseinem

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

399

dieses Institut in der Intention Wolfs bewußt eine Trennung des (städtischen) Schullehrerdienstes vom theologischen Rekrutierungs- und Ausbildungssektor, 141 so intendierte eine Berliner Gründung gleichfalls eine spezialisierte höhere Stadtschullehrerqualifikation. Hatte Wolf die Hallenser Seminareinrichtungen mit dem Oberschulkollegium abgestimmt, so ging auch das unter Gedikes Leitung zunächst am Friedrichswerderschen Gymnasium errichtete „Seminarium für gelehrte Schulen" auf einen Beschluß des Oberschulkollegiums zurück. 142 Dieses stellte aus den ihm verfügbaren Geldern jährlich 1000 Taler bereit, und die Arbeit konnte zu Ostern 1788 begonnen werden.143 Von den ursprünglich vorgesehenen fünf, dann bis zu acht Seminaristen, die von den verfügbaren Mitteln unterhalten werden konnten, 144 wurde aber schon bei Eintritt in das Seminar erwartet, daß sie „bereits die nöthigen Kenntnisse oder das Materiale des Unterrichts" 1 4 5 mitbrachten, wäh-

Verhältnisse zum Schulwesen und zur Pädagogik, Bd. 1, Braunschweig 1861, S. 94 f., S. 99, S. 102, S. 251—254; C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 192 ff.; vgl. Arnoldt und Rethwisch auch zur Rolle des Oberschulkollegiums bei den Planungen; H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 62 ff.; diese Stellen auch zum Folgenden. 141 J . F. J . Arnoldt, Wolf..., Bd. 1, S. 97; M. Fuhrmann, Friedrich August Wolf..., S. 206; A. Pinloche, Geschichte des Philanthropinismus..., S. 449. 1.2 Dem Gedike freilich selbst als Rat angehörte, wie mehrfach bereits ausgeführt wurde; zur Rolle des Oberschulkollegiums bei der Entstehung des Seminars siehe zunächst 1788 F. Gedike, Neue Nachricht von der Einrichtung..., S. 87 f., mit Hinweis auf den „Plan seines eben so einsichtsvollen als patriotischen Chefs" zur Einrichtung von Seminaren. G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 7 (Kurmark 1768—1798), der (entscheidende) Bericht Gedikes vom 7. Okt. 1787 (Abschrift aus Rep. 76), auch zu den bewilligten 1000 Talern; Friedrich Gedike, Ausführliche Nachricht von dem mit dem Friedrichswerderschen Gymnasium verbundenen Seminarium für gelehrte Schulen, Berlin 1790, S. 5; H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 64; C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 190, S. 195, S. 225—227, ein Auszug aus Gedikes Seminarentwurf vom 7. Okt. 1787. 1.3 Siehe insgesamt L(eopold) H(ermann) Fischer, Das Königliche Pädagogische Seminar in Berlin 1787—1887. Nach den Akten des Königl. Provinzial-Schulkollegiums zu Berlin, in: Zeitschrift für das Gymnasial-Wesen, Bd. 42 (1888), S. 1—42, zum Arbeitsbeginn S. 5. 144 Vgl. a.a.O., S. 10ff., auch zur Anhebung der Frequenz auf sieben durch Einsparungen, nachdem Gedikes Bitte nach weiteren 200 Talern abgelehnt worden war. C. Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 195, kennt außerdem noch Exspektanten. 145 So F. Gedike, Neue Nachricht von der Einrichtung..., S. 88, zu den vorausgesetzten Kenntnissen; vgl. ferner die Instruktion des Seminars, in: Den., Ausführliche Nachricht..., S. 11; K. R . Tränkmann, Friedrich Gedike..., S. 40ff.; wichtig auch Paul

400

II. Schule im absolutistischen

Staat

rend nun an dem Institut praktische pädagogische Übungen im Vordergrund standen. Die Anlehnung an das Friedrichs-Werdersche und nach Gedikes Wechsel der Direktorenstelle an das Berlinisch-Köllnische Gymnasium bot die Möglichkeit der Hospitation wie auch der späteren Übernahme einer Lehrerstelle an der jeweiligen Schule, 1 4 6 so daß schon durch diese Eigenversorgung die Breitenwirkung beschränkt werden mußte. Karl-Ernst Jeismann hat denn auch zu Recht die quantitative Bedeutung des Seminars gering bewertet. 1 4 7 Wird die bis zu vier Jahren dauernde Ausbildungszeit 148 in Rechnung gestellt, so wird verständlich, weshalb Gedike im Dezember des Jahres 1800 in einem „Verzeichnis der bisher gebildeten Subjekte" 1 4 9 ganze 43 Personen aufführte, von denen neun noch nicht versorgt waren und zum Teil das Seminar erst seit kürzerer Zeit besuchten; von den verbleibenden 34 Seminaristen waren zu diesem Zeitpunkt noch 19 im (zum Teil akademischen) Lehramt in Preußen, und von den übrigen 15 Personen hatten inzwischen sechs eine Predigerstelle übernommen. Angesichts dieser Größenordnungen wird denn doch Karl-Ernst Jeismann entgegenzuhalten sein, daß, wenn er mit diesem Seminar den „Einfluß des Staates auf die Ausbildung der [!] Lehrer an Gymnasien institutionalisiert" sieht, 1 5 0 er trotz der von ihm schon geübten Vorsicht die Bedeutung dieses Instituts für die Schulwirklichkeit noch immer entscheidend überschätzt. 1 5 1 Schwartz, F. Gedikes letzter Bericht über sein Pädagogisches Seminar vom 6. Dezember 1800, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, Bd. 20 (1930), S. 146—149, auch zu den Details des Ausbildungsganges; vgl. K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 101. 146 H. Scholtz, Friedrich Gedike..., S. 153—157; Franz Horn, Friedrich Gedike, eine Biographie, Berlin 1808, S. 56; L. H. Fischer, Das Königliche Pädagogische Seminar..., S. 14. 147 K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 101; freilich gingen aus dem Seminar bedeutende Pädagogen (ζ. B. Süvern) hervor, vgl. ders., „Nationalerziehung ..., S. 207. 148 H. Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 67. , 4 9 P. Schwartz, F. Gedikes letzter Bericht..., S. 149—151, mit der Beifügung: „Häufig hat das Seminarium auch außerordentliche Mitglieder gehabt, die nur an einigen Uebungen desselben Antheil genommen haben." 150 K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium..., S. 101. 151 Zu der seit dem Schuljahr 1801/02 am Gedikeschen Seminar geleisteten Ausbildung einiger Anwärter für höhere Schulämter in Süd- und Neuostpreußen vgl. Friedrich Gedike, Ueher den Begrifeiner gelehrten Schule..., Berlin 1802, S. 46 (Titel gekürzt); am Joachimsthalschen Gymnasium hospitierte um 1800 ein Professor der Piarenschule Bialystock (P. Schwartz, Die preußische Schulpolitik in den Provinzen Südpreußen und

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

401

Gerade Berlin ist aber ein geeignetes Demonstrationsfeld für die These einer bildungsgeschichtlich signifikanten Verdichtung des Seminarnetzes in den drei letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. In Berlin bot nicht nur die von Zedlitz (als einzige ihrer Art) initiierte, auf der Königsvorstadt angelegte „Normalschule" des zuvor bei Rochow tätigen Samuel Ludwig 152 eine Gelegenheit zur Ausbildung von künftigem Lehrpersonal. An sie angeschlossen war „eine Privatanstalt zur Ausbildung von Elementarlehrern" (Jonas/Wienecke), 153 doch erwies sich die Normalschule sehr schnell als ein grandioser Fehlschlag. Offenbar verstand es Ludwig nicht, sich „den Beifall und das Zutrauen der in seinem Revier wohnenden B ü r g e r . . . [zu] verschaffen" ; „keine Schule ward durch ihn oder um seinetwillen verbessert". 154 Die französische Koloniegemeinde hatte 1779 in Berlin ein Lehrerseminar für ihre Schulen eingerichtet. 155 Auch das „Privat-Schullehrer-Seminar" (Fischer), 156 Neuostpreußen..., S. 161 f.). — Vgl. ders., Die Schulen der Provinz Ostpreußen..., S. 292ff., und E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte..., S. 385, zu dem seit 1789/90 am Königsberger Collegium Fridericianum aus Mitteln des Meliorationsfonds unterhaltenen Seminar anerkannter Qualität, dessen Abgänger allerdings zu einem großen Teil Hauslehrerstellen übernahmen! Näheres zur Entstehung dieses Instituts auf Grund von Plänen des Königsberger Professors Wald seit 1788 siehe bei: Kurt Forstreuter, Pläne eines pädagogischen Seminars in Königsberg 1788—1793, zuerst in: Preußenland, Bd. 7 (1969), S. 1—8, wieder in: Ders., Wirkungen des Preußenlandes. Vierzig Beiträge (= Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 33), Köln-Berlin 1981, S. 154—160, hier S. 159. 152 F. E. von Rochow, Sämtliche Pädagogische Schriften..., Bd. 3, S. 476, Bd. 4, S. 237, S. 245, S. 254 Anm. 1, S. 277; siehe auch A. Trendelenburg, Friedrich der Grosse..., S. 153; D. Rittershausen, Beiträge zur Geschichte..., S. 246 mit Anm. 1. 153 F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 3, S. 476; siehe gleichfalls F. Wienecke, Zwei Berliner Schulmänner..., S. 327. 154 Siehe die Mitteilungen bei W. C. C. (Ritter) von Türk, Beiträge zur Kenntniß einiger deutschen Elementar-Schulanstalten, namentlich der zu Dessau, Leipzig, Heidelberg, Frankfurt am Mayn und Berlin, Leipzig 1806, S. 285. 155 E. Muret, Geschichte der Französischen Kolonie..., S. 168, der auch berichtet, daß 1784 die Zahl der Zöglinge sich auf sieben belief, das Seminar aber 1793 aus Geldgründen um die Hälfte reduziert werden mußte; nach a.a.O., S. 168 f., wurde fortan ein landesherrlicher Finanzbeitrag von 150 Talern gezahlt; siehe auch St. Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen"..., S. 237f.; S. H. Catel, Johann Peter Erman. Eine biographische Skizze bey Gelegenheit seines am 9ten December gefeyerten A mtsjubiläums. Seinen und meinen Freunden gewidmet, Berlin 1804, S. 35. 156 L(eopold) H(ermann) Fischer, Die Schulen und Erziehungsanstalten Berlins vor hundert Jahren. Unter Benutzung der Akten des Königlichen Geheimen Staatsarchivs zu Berlin (=Vossische Zeitung. Sonntagsbeilage No. 24—28), Berlin 1884, wieder in: Ders., Aus Berlins Vergangenheit..., S. 41; siehe ebenso Friedrich Wienecke, Das Kirchen-und Schulwesen der Kurmark Brandenburg im Jahre 1806, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg, 72. Jg. (1907), S. 155 Anm.

402

II. Schule im absolutistischen

Staat

das der Domlehrer Johann August Härtung 157 an der Domschule zu Berlin für Schullehrer reformierter Konfession anlegte, ist mehr ein Indiz für das wachsende Bewußtsein für die Notwendigkeit einer systematischen und organisierten Lehrerbildung als ein Beweis ihrer Realisierung im Alten Preußen. 158 Dafür wird auch das von der Leiterin einer Berliner Töchterschule begründete und sodann „unter Königl. Schutz genommen[e]" (Gädicke) 159 „Erzieherinnen-Seminarium" als ein sprechender Beleg gelten dürfen; dieses Institut bot seit 1803 in Berlin nun auch für die städtische Mädchenbildung eine Stätte organisierter Personalqualifikation.160

157 Auch Härtung ist — wie Ludwig — dem Kreis der von Rochow geprägten Pädagogen zuzurechnen; zu Hartungs Aufenthalt in Reckahn vgl. F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 3, S. 21, S. 475.

August Härtung, Geschichte der Berliner Domschulen, Berlin 1836, S. 95 f., wo auf die Approbation von Hartungs 1795 dem reformierten Kirchendirektorium vorgelegten Plan sowie auf eine geringe jährliche Zahlung (110 Taler) aus der Domkasse hingewiesen wird; allerdings hieß es in der vom Hofprediger Sack unterzeichneten Antwort vom 15. September 1795 (Abschrift aus Rep. 76: G. St.Α., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Nachlaß Thiele Nr. 7 [Kurmark 1768—1798]), daß das Kirchendirektorium jetzt nicht daran denken könne, „eine eigentliche Anstalt zur Bildung vollkommener Schulhalter zu errichten" ; Härtung wurde aber die Ausbildung von Schulhaltern freigestellt. Siehe auch die zitierten Charakterisierungen des Seminars; die Initiative ist jedenfalls von Härtung ausgegangen, vgl. auch die Mitteilungen von Friedrich Wienecke, Die Berliner Domschule, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg, 68. Jg. (1903), S. 611 f.; Jonas und Wienecke weisen in ihrem Anhang bei F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 3, S. 475, auf die Unterhaltung des Seminars durch Härtung „aus eigenen Mitteln" und „ohne staatliche Unterstützung" hin. F. Buchholz/G. Buchwald (Hrsg.), Die brandenburgischen Lehrerseminare..., S. 167, beziffern die Zahl der 1795— 1828 bei Härtung ausgebildeten Lehrer auf etwa einhundert, was auf dem Hintergrund der vergleichsweise kleinen Zahl reformierter Schulstellen zu sehen ist. — In Stargard (Pommern) bestand gleichfalls ein Seminar, das reformierte Schullehrer ausbildete, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 2 (Generalia 1788—1799). Immediatbericht von Thulemeier, Meierotto und Sack vom 29. November 1798 (Abschrift aus Rep. 76). 158

J . C. Gädicke, Lexicon von Berlin..., S. 155. Neben der inhaltsreichen Schilderung a.a.O., S. 155, und D. Rittershausen, Beiträge..., S. 293, siehe die Darstellung aus der Feder der Initiatorin des Instituts: Ernestine von Krosigk, Ausführliche Nachricht von der Einrichtung und der Verfassung des Königlichen Seminariums für Erzieherinnen und der damit verbundenen Töchterschule zu Berlin, Berlin 1804, besonders S. 20—25, zu Vorkenntnissen und Unterrichtsgegenständen (u. a.: Französisch, Erdbeschreibung, Naturgeschichte, Geschichte); K. Bormann, Das erste Seminar für Erzieherinnen zu Berlin, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg, Bd. 31 (1886), S. 123—138, besonders S. 124—128, S. 135, auch zu der 159

160

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und Wirkung

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403

War auch in diesem Falle nicht eine landesherrliche Seminarpolitik, sondern privates Engagement der Anlaß der Neuschöpfung, so wird dies gleichfalls für das sogenannte „Parochial-Schullehrer-Seminarium"161 gezeigt werden können. Dieses ging auf die Initiative des „Schullehrer[s] auf der Luisenstadt", Michaelis, zurück, der kurz nach 1800 die Ausbildung mehrerer junger Männer zu Lehrern auf eigene Faust begann und sich schließlich mit anderen Berliner Parochialschullehrern zusammentat; mit ihnen entwarf er einen Plan, „der hauptsächlich für Berlin, aber doch auch für Elementarschulen in andern Städten berechnet war". 162 Bezeichnend genug für das Verhältnis dieser Seminargründung zum landesherrlichen Vorgehen, wurde dem Plan für das neue Institut seitens des Oberschulkollegiums die Autorisierung versagt und den Lehrern lediglich gestattet, „für sich dergleichen zu errichten". 163 Erst nach einer erneuten Bitte, die die beteiligten Parochiallehrer direkt dem König zugehen ließen, wurde das Seminar approbiert. Der Titel eines „königlichen" Seminars besagte also auch um 1800 nichts über die landesherrliche Trägerschaft oder über seine Ursprünge. Vielmehr zeigen die Berliner Seminare bis zur Zeit der Jahrhundertwende, daß dem „königlichen" Titel kaum mehr als ein Patinacharakter zuzumessen ist.

Frage einer finanziellen Unterstützung, die Massow anfangs abgelehnt hatte mit der Begründung, das Seminar sei ein „Privat-Unternehmen" (S. 124). Schließlich wurden für dieses Seminar (mit 1804 allerdings nur zwei Seminaristinnen; 1806:8) auf drei Jahre 300 Taler bewilligt; ebda, auch zu den Zweifeln an der Qualität der Ausbildung. 161 J. C. Gädicke, Lexicon von Berlin..., S. 446. 162 So Samuel Christian Gottfried Küster, Kurze Nachricht von der Entstehung und innern Einrichtung des Kngl. Seminars für Lehrer der untern Volksschulen in Städten..., Berlin 1805, S. 4 f. (Titel gekürzt); W. C. C. (Ritter) von Türk, Beiträge zur Kenntniß..., S. 246f., S. 351—359. 163 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 8 (Kurmark 1799— 1805), Reskript vom 15. Dez. 1803 (Abschrift aus Rep. 76); die Abschriften dieses Bandes auch zum Folgenden; bei Türk und Küster wird das Oberkonsistorium als die ablehnende Stelle genannt. W. C. C. (Ritter) von Türk, Beiträge zur Kenntniß..., S. 352f. (zum Folgenden S. 354f.); S. C. G. Küster, Kurze Nachricht..., S. 5f., zum Folgenden S. 6 f., auch zu organisatorischen Veränderungen vor der erteilten Approbation. Der Inspektor Küster wurde von den Lehrern, die das Seminar trugen, zum Direktor des Instituts gewählt. M. F. von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg..., S. 346, schätzte die tatsächliche Leistung des Seminars bis 1806 jedoch gering ein. Bei einer Frequenz von 12 Seminaristen gingen auch nur noch neun von dem Institut ab. D. Rittershausen, Beiträge..., S. 287—290; F. Wienecke, Zwei Berliner Schulmänner..., S. 326.

404

II. Schule im absolutistischen

Staat

D i e S e m i n a r e n t w i c k l u n g in d e n l e t z t e n J a h r z e h n t e n des 18. J a h r h u n d e r t s a u ß e r h a l b des R a u m e s B e r l i n - B r a n d e n b u r g b e s t ä t i g t das Bild v o n d e r P l u r a l i t ä t d e r u r s ä c h l i c h e n b i l d u n g s g e s c h i c h t l i c h e n K r ä f t e , die eine R e d u k t i o n d e r E r k l ä r u n g auf l a n d e s h e r r l i c h e I n i t i a t i v e n s c h l e c h t e r d i n g s v e r b i e t e n . 1 6 4 Sei es das in O s t p r e u ß e n v o n d e m

Kriegsrat

G e n g e „aus e i g e n e r B e w e g u n g " 1 6 5 a n g e l e g t e , v o n s e i n e m V o r w e r k L o e l ken

finanzierte

und

vom

König

konfirmierte

Seminar

zu

Klein-

D e x e n , 1 6 6 in d e m seit 1 7 7 4 ü b e r w i e g e n d H a n d w e r k e r in ein bis zwei J a h r e n die für n o t w e n d i g g e h a l t e n e n F e r t i g k e i t e n z u m S c h u l m e i s t e r d i e n s t e r w e r b e n s o l l t e n , 1 6 7 sei es das v o m D o m k a p i t e l zu H a l b e r s t a d t , d e m a u c h v o n R o c h o w a n g e h ö r t e , a n g e l e g t e S c h u l l e h r e r s e m i n a r , in d e m seit 1 7 7 8 z w ö l f S e m i n a r i s t e n a u s g e b i l d e t w u r d e n , 1 6 8 es w a r e n dezentrale

Kräfte,

die für die V e r d i c h t u n g des p r e u ß i s c h e n S e m i n a r n e t -

zes i m s p ä t e n 1 8 . J a h r h u n d e r t w i r k t e n . I n P e t e r s h a g e n b e z i e h u n g s w e i s e

Vgl. treffend W. Hubatsch, Friedrich der Große..., S. 204, S. 207; C. Müller, Grundriß der Geschichte..., S. 48. 165 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76, Nr. 2029 (Seminar Dexen), Bericht der Spezial-Kirchen- und Schulkommission vom 10. Dezember 1767 an die Königsberger Regierung. 166 Neben den umfangreichen Korrespondenzen in dem Anm. 165 zitierten Band vgl. aus der Literatur H. Notbohm, Das evangelische Kirchen- und Schulwesen..., S. 155 f. und vor allem die materialreiche Darstellung von Mahraun, Geschichte des Pr. Eylauer Schullehrer-Seminars, in: Das Königliche Schullehrer-Seminar in Pr. Eylau. Festschrift zur Feier des 100jährigen Bestehens der Anstalt, Königsberg 1874, S. 3—6. 167 A.a.O., S. 13—16, auch zum Verfall des Seminars in den 1790er Jahren; H. Notbohm, Das evangelische Kirchen- und Schulwesen..., S. 158 f., der auch mitteilt, daß sich die Seminarteilnehmer selbst unterhalten mußten; Jürgen Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage des arbeitenden Kindes in Deutschland von 1700 his zur Gegenwart (= Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil 1, Bd. 19), Berlin (Ost) 1968, S. 12. Von den 242 bis 1806 ausgebildeten Seminaristen waren 109 Schneider; 69 hatten keine Profession. 168 Grundlegend: C. Kehr, Geschichte des Königl. Schullehrer-Seminars zu Haiherstadt ..., S. 48, S. 53 f., auch zur Finanzierung aus den Mitteln des Domkapitels; zu den Anfängen seit 1773 vgl. S. 39, S. 42, S. 50i.;W.Werner, Die Entwicklungder Landschulen..., Bd. 1, S. l l l f . , S. 115, S. 119; (August Ludwig) Steinberg, Geschichte und Statistik des Schullehrer-Seminars zu Haiherstadt. Zum Besten des Pestalozzivereins der Provinz Sachsen, Halle 1871, S. 4 ff.; vgl. auch (Friedrich Eberhard von Rochow), Eines Hochwürdigen Domkapitels Verordnung wegen zweckmäßiger Einrichtung des Domkapitularischen Landschullehrer-Seminariums in Halberstadt. Aus den gemeinnützigen Blättern, Jahrg. I. Nr. 49. besonders abgedruckt, Halberstadt 1789. Halberstadt als das Lehrerseminar der Aufklärungszeit: F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 212 ff. 164

Entstehung

und Wirkung

organisierter

Lehrerbildung

405

in Minden waren es die Superintendenten Venator (seit 1773/76) und Westermann (1792), die die entscheidenden, dann von Zedlitz beziehungsweise Woellner genehmigten Vorschläge für ein Lehrerseminar vorbrachten. 169 Schließlich ging das seit 1781/84 tätige 170 Seminar in Wesel auf langjährige, seit 1769 zu beobachtende Initiativen der klevischen reformierten Synode und des reformierten Predigers Baumann zurück, während die Regierung sich bis 1782 mit der Verfolgung dieses Projektes reichlich Zeit ließ. 171 Auch für das Seminar in Wesel läßt sich eine bildungsgeschichtliche Traditionslinie zur philanthropinistischen Pädagogik von Rochows aufweisen, hielt sich doch der erste Weseler Seminardirektor längere Zeit in Reckahn auf.172

169

Vgl. die mit dem Jahre 1773 einsetzenden Korrespondenzen in dem Bestand: Staatsarchiv Münster, Minden-Ravensberg, Konsistorium III, 11, Bd. 1 (Anlegung eines Schullehrerseminars in Minden), insbesondere den Bericht des adjungierten Superintendenten Venator vom 14. September 1773; nach den Stücken aus dem Jahre 1785/86 waren es Handwerker und „Bediente", die Seminaristen wurden; zu Petershagen seit 1791/92 vgl. den Band: Minden-Ravensberg, Konsistorium III, 11, Bd. 2 und G. C. Gieseler, Lehen Georg Heinrich Westermanns..., S. 52 f.; vgl. damit ferner die detaillierten Darstellungen von H . Eickhoff, Kirchen- und Schulgeschichte..., S. 134, und ders., Schulgeschichte von Minden-Ravensberg, in: E. Schoneweg (Hrsg.), Minden-Ravensberg. Ein Heimatbuch. Im Auftrage des Minden-Ravensbergischen Hauptvereins für Heimatschutz und Denkmalpflege, Bielefeld-Leipzig 1929, S. 388; diese Titel auch zu den an dieser Stelle nicht erneut darzustellenden Einzelheiten. 170 W. Zimmermann, Die Anfänge..., S. 208ff. W. Meiners, Landschulwesen und Landschullehrer..., S. 346; F. Klein, Das niedere Schul- und Seminarwesen der Grafschaft Mark..., S. 23. 171 Siehe zu den Einzelheiten die Mitteilungen bei Wilhelm Meiners, Das Volksschullehrerseminar in Wesel (¡784—1806), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins, Bd. 38 (1905), S. 361 ff. und a.a.O., S. 364, S. 367, zu dem schon seit 1687 bestehenden sog. Contubernium, mit dem das neue Seminar kombiniert werden sollte. Im Contubernium wohnten schon seit seiner Einrichtung in Form eines Konvikts arme Lateinschüler, die nach mehrjährigem Gymnasialbesuch für die Übernahme von deutschen Schulhalterstellen ζ. B. auf Dörfern für fähig galten (also vergleichbar dem von Thiele für den mitteldeutschen Bereich beschriebenen Seminartypus; vgl. Anm. 21); siehe ferner F. Klein, Das niedere Schul- und Seminarwesen..., S. 20f.; vgl. auch: „Geforderte Nachrichten von dem Schullehrer-Seminario zu Wesel", vom 4. September 1800, G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 5 (Cleve-Mark-Mörs 1767— 1806). 172

Neben ebda.: W. Meiners, Dai Volksschullehrerseminar in Wesel..., S. 366 f.; auch wurde in dem Seminar von Rochows „Kinderfreund" benutzt: F. Klein, Das niedere Schul- und Seminarwesen..., S. 27, hier auch zum Unterricht im Seminar (u. a. Geschichte, Geographie, Naturlehre und -geschichte, Landwirtschafts- und Gesundheitslehre, Mechanik, also mit stark realienbezogenem Einschlag).

406

II. Schule im absolutistischen

Staat

Freilich verbietet es sich, auch bei diesen, der anspruchsvollen volkspädagogischen Strömung des ausgehenden 18. Jahrhunderts verpflichteten Instituten, aus der programmatischen Zuordnung ungeprüft auf eine breitere Wirkung schließen zu wollen. Die ältere wie die neuere Literatur hat denn auch keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß das Seminar zu Wesel bei nur elf bis vierzehn Zöglingen 173 und einer Besuchsdauer von zwei, zumeist aber drei oder vier Jahren den Bedarf zumal für Kleve und Mark (vgl. TABELLE 9) auch nicht annähernd zu decken vermochte, ja daß von einer Blüte dieses Instituts zu keiner Zeit gesprochen werden kann. 174 Immerhin wurden seit etwa 1796 auch auf dem von der Reck'schen G u t Overdyck 1 7 5 — wiederum eine Bildungsstätte, die vom von Rochowschen Muster beeinflußt war 176 — Lehrer ausgebildet, doch schwankte hier die Frequenz nur zwischen einem und sechs Seminaristen; das Oberschulkollegium hatte in den 1790er Jahren mehrmals ein weiteres Seminar für Kleve-Mark neben dem in Wesel abgelehnt. 177 Mochte in diesen Lehrstätten auch ein vergleichsweise hohes Niveau gewährleistet sein, das über dem des Berliner Schullehrer- und Küsterseminars gelegen haben dürfte, so erreichte doch keine der betrachteten

173 A.a.O., S. 25; W. Meiners, Das Volksschullehrerseminar in Wesel..., S. 368 mit Angaben für die Jahre 1788—1800; zum Folgenden: A.a.O., S. 369. 174 A.a.O., S. 372; M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 113f.; Κ. E. Jeismann, Tendenzen zur Verbesserung des Schulwesens..., S. 83; vgl. auch die „Geford e r t e ^ ] Nachrichten" (vgl. Anm. 171), danach war im vergangenen Jahr (1799/1800) nur ein Seminarist abgegangen. — Zum geringen Anteil seminaristisch gebildeter Landlehrer im rechtsrheinischen Kleve vgl. generell W. Meiners, Landschulwesen und Landschullehrer. .., S. 349 f.; die Revisoren sprachen 1802/3 den 67 Lehrern auf Dörfern und fünf in kleinen Städten in 43 Fällen schlichtweg die Amtsfähigkeit ab und — resignierten.

' 75 Vgl. in anderem Zusammenhang oben im ZWEITEN T E I L , ZWEITES KAPITEL bei Anm. 133. M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 18 ff.; zu dem auf Overdyck seit 1790/91 bis 1802 tätigen, u. a. von Rochow geschulten Johann Friedrich Wilberg a.a.O., S. 28—32 und passim; F. E. von Rochow, Sämtliche pädagogische Schriften..., Bd. 3, S. 477. 177 Zu alledem jetzt grundlegend: M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 54 ff., S. 92, S. 95, S. 101, S. 121; S. 178 ein Protokoll der Gesellschaft der Freunde vom 3. Juni 1800, nach dem zu dieser Zeit nur ein Seminarist vorhanden war; W. Meiners, Das Volksschulwesen in Mark undCleve..., S. 121—124; ferner ist belegt, daß in der Grafschaft Mark mehrere Prediger ohne Auftrag und aus eigenem Antrieb Lehrer ausbildeten: F. Klein, Das niedere Schul- und Seminarwesen..., S. 33; M. Heinemann/W. Rüter, Landschulreform..., S. 139 f. (für Soest), dazu auch W. Zimmermann, Die Anfänge..., S. 217f.; vgl. auch P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 392, Anm. 1. 176

Entstehung und Wirkung organisierter

Lehrerbildung

407

außerbrandenburgischen Anstaltsgründungen dessen quantitative Kapazität, wiewohl die Strukturprobleme der Ausbildung sich bisweilen frappant ähneln k o n n t e n . Das qualitativ vergleichsweise hochstehende Seminar zu H a l b e r s t a d t weist für den Zeitraum v o m Juli 1 7 7 8 bis zum J a h r e 1 8 0 6 , also in knapp drei Jahrzehnten, in summa „Schüler" auf.

178

maximal 161

Bemerkenswert ist dabei, daß unter diesen — neben

einem beachtlichen Anteil von Zöglingen handwerklicher H e r k u n f t — die mit vierzig Personen stärkste G r u p p e aus dem Elternhause von K a n t o r e n , Schulmeistern, 1 7 9 K ü s t e r n und (zwei) Organisten stammte, das Seminar also zu einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß die ständische Berufstradition weiterhin stabilisierte. Beachtet werden m u ß aber auch der U m s t a n d , daß diese 161 Seminarabsolventen auch außerhalb H a i b e r s t a d t s , ja wiederum auch außerhalb Preußens Anstellungen annehmen k o n n t e n , 1 8 0 die Seminaristen also nicht allein der P r o v i n z Halberstadt zugute kamen. 1 8 1 A u c h in Magdeburg h a t t e um 1 8 0 0 nur eine Minorität der Landlehrer ein Seminar besucht, während die „anarchischen" Ausbildungswege, sei es durch Pastoren oder durch ältere Lehrer in praktischer Schulung, das Bild beherrschten. 1 8 2 Dies galt offenbar auch in P o m m e r n . H a t t e hier G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt. Rep. 76, Nr. 1403 (Seminar Halberstadt), „Verzeichnis der Schüler des Seminars zu Halberstadt von der Gründung am 10. Juli 1778 bis zur Reorganisation am 12. Juni 1822", hier ausgewertet für die Zeit bis inklusive 1806; von den 161 sind jedoch sechs Namen wieder (ohne daß die Gründe erkennbar sind) gestrichen worden. 179 Dabei eingerechnet ein Sohn eines französischen Sprachmeisters. 180 Mehrere Stücke in dem Band G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 76, Nr. 1347 (Seminar Halberstadt), für die Jahre 1791 —1794; C. Kehr, Die Geschichte des Königl. Schullehrer-Seminars zu Halberstadt..., S. 56; A. L. Steinberg, Geschichte und Statistik..., S. 9. 178

181 Zudem zählt das gedruckt vorliegende Verzeichnis der Lehrer und Schüler des Königl. Schullehrer-Seminars zu Halberstadt von 1778 his 1878, Halberstadt 1878, S. 4— 9, bis inklusive 1806 nur 150 (aufgenommene) Schüler. W. Werner, Die Entwicklung der Landschulen..., Bd. 2, S. 122 Anm. 823, teilt die Auswertung von 40 Bewerbungen um (Land-)Schulstellen in Halberstadt aus den Jahren 1770 bis 1806 mit; von den Bewerbern waren 16 Halberstädter Seminaristen, 21 Schüler aus Stadtschulen, der Domschule usw., und drei werden allein als Handwerker und Bediente geführt. Auch am Ende des Jahrhunderts wurden Handwerker ohne besondere Vorbildung für gering dotierte Stellen angenommen, wenn Seminaristen oder Schüler nicht zur Verfügung standen (a.a.O., Bd. 1, S. 159f.). Zu dem 1779 von dem Pfarrer Herbing in Nachterstädt eingerichteten Erziehungsinstitut sei verwiesen auf J . G. Krünitz, Land-Schule, in: Ders., Oekonomisch-technologische Encyclopädie..., Bd. 61, S. 703 f. 182

sens...,

Siehe die Darstellung von F. Danneil, Geschichte des evangelischen S. 206.

Dorfschulwe-

II. Schule im absolutistischen Staat

408

d e r G e n e r a l s u p e r i n t e n d e n t G ö r i n g im J a h r e 1 7 8 8 b e r i c h t e t , das S t e t t i n e r S e m i n a r m ü s s e j ä h r l i c h mindestens

dreißig P e r s o n e n ausbilden,183 so

w a r e n es 1 7 8 9 bis 1 7 9 7 t a t s ä c h l i c h n u r 9 4 , 1 8 4 a l s o i m J a h r e s d u r c h s c h n i t t z e h n , die e i n e r G e s a m t s t e l l e n z a h l in P o m m e r n v o n r u n d 1 4 0 0 1 8 5 g e g e n ü b e r s t a n d e n , w o b e i a b e r n o c h z u b e r ü c k s i c h t i g e n ist, d a ß d a s S t e t t i n e r S e m i n a r a u c h W e s t p r e u ß e n v e r s o r g e n s o l l t e . 1 8 6 W i e im B e r l i n e r L e h r e r u n d K ü s t e r s e m i n a r m ü s s e n a b e r a u c h in d i e s e m F a l l e d e r h a n d w e r k l i c h e R e k r u t i e r u n g s b e r e i c h d e r S e m i n a r i s t e n sowie ihre d r ü c k e n d e n U n t e r h a l t s p r o b l e m e 1 8 7 w ä h r e n d ihres A u f e n t h a l t e s im qualitativen

Sinne

B e r ü c k s i c h t i g u n g f i n d e n , u n d d i e s gilt gleichfalls f ü r die A n s t a l t i m o s t p r e u ß i s c h e n K l e i n - D e x e n , w o bis 1 8 0 6 v o n 2 4 2 a u s g e b i l d e t e n P e r sonen188 7 1 , 5 % einen (nahezu ausschließlich handwerklichen) Beruf e r l e r n t h a t t e n 1 8 9 u n d a u c h w ä h r e n d i h r e s S e m i n a r b e s u c h s in d e n O r t -

183 G.St.A., Berlin-Dahlem, 1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß Thiele, Nr. 15 (Pommern 1730—1804), Bericht vom 29. Juli 1788 (auszugsweise Abschrift aus Rep. 76). 184 So P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 414f., unter Hinweis auf eine Erweiterung des Seminars durch das Oberschulkollegium. 185

V g l . TABELLE 8 u n d 9.

C. F. Wutstrack, Kurze historisch-geographisch-statistische Beschreibung..., S. 337, der (1793) mitteilte, daß in dem Seminar „gegenwärtig 18 Seminaristen auf königl. Kosten unterhalten" würden; F. L. Reinhold, Nachricht..., S. 76; S. 81 nennt er eine Frequenz von 16 bis 18 Personen. 186

187 Neben dem in Anm. 183 zitierten Bericht siehe ausdrücklich F. L. Reinhold, Nachricht..., S. 83. iss Wiederum ist diese Zahl nur auf dem Hintergrund der über 2000 Kirchen- und Schuldiener auf dem Lande in Ostpreußen richtig zu bewerten; vgl. TABELLE 9. Die unzureichende quantitative Leistung des Dexener Seminars wurde schon vor dessen Rückgang in den 1790er Jahren durchaus erkannt, siehe das „Gutachten" der SpezialKirchen- und Schulkommission vom 12. März 1788, G.St.A., Berlin-Dahlem, 20. Hauptabt., Etats-Ministerium Königsberg, Schulsachen T i t . 42 a, Nr. 50a (Oberschulkollegium), mit Vorschlägen für weitere Seminare in Ostpreußen; um 1800 gründete der Erzpriester Sprengel (Insp. Memel) zwei Seminare in seinem Bezirk zur Verbesserung der Qualität der hier tätigen Lehrer; siehe a.a.O., Rep. 92, Nachlaß Thiele Nr. 14 (Ostpreußen 1798—1805), Bericht Sprengeis vom 17. Sept. 1802 (Abschrift aus Rep. 76), sowie P. Schwanz, Die Schulen der Provinz Ostpreußen..., S. 298.

' 8 * Vgl. Anm. 167; zur handwerklichen Herkunft der Seminaristen in Minden vgl. Anm. 169; daß auch in Minden die Qualität der Ausbildung durch Nebentätigkeiten (hier genannt: „als Schreiber und Bediente") bei täglichem Unterricht von nur einer Stunde nicht ausreichen konnte, wußte der Konsistorialrat Westermann sehr deutlich zu schildern, siehe dazu seinen Bericht vom 26. Okt. 1791, Staatsarchiv Münster, Minden-Ravensberg, Konsistorium III, 11, Bd. 2 (Seminar Minden). Auf schlechten, für Seminaristen nicht interessanten Stellen, geschehe es häufig, daß „der Sohn dem Vater folget".

Entstehung und Wirkung organisierter

Lehrerbildung

409

Schäften um Klein-Dexen als Handwerker tätig waren, so daß der Unterricht täglich auf drei oder vier Stunden beschränkt bleiben mußte, ein um so gravierenderer Umstand, als auch hier — wie in Berlin beobachtet — die Besuchsdauer auf wenige Monate zusammenschrumpfen konnte. 190 Wie wenig die Seminare des 18. Jahrhunderts in der Lage und darauf ausgerichtet waren, etwa mit den überkommenen Rekrutierungsmechanismen zu brechen, deutet einerseits auf die Stabilität der die Schulwirklichkeit auch um 1800 prägenden traditionalen Strukturen und andererseits auf die begrenzte bis rudimentäre Prägefähigkeit der Seminare im Alten Preußen. Wenn der Etats-Minister von Voß im Jahre 1804 allgemein feststellen konnte, daß die „gewöhnlichen Schulmeister-Seminarien [ . . . ] die meisten Seminaristen schlecht vorbereitet aufnehmen, aber auch schlecht ausgebildet zurückgeben", 191 so bestätigte er eben diese Feststellungen, wenn auch in farbloser Form. Von so unterschiedlichem Ursprung, Qualität und quantitativer Leistung die Seminare in Preußen um 1800 auch erscheinen, gemeinsam war ihnen, daß sie den Bedarf „ihrer" Provinz auch nicht entfernt zu decken vermochten. Zudem ist mit freilich quellenmäßig nicht leicht zu erfassenden, jedoch offenkundig erheblichen regionalen Verteilungsunterschieden auch innerhalb einer Provinz zu rechnen. Die von Paul Schwartz aus Konduitenlisten mitgeteilten Daten von elf der insgesamt dreizehn neumärkischen Inspektionen, 192 die den tatsächlichen Zug

190

Vgl. zur handwerklichen Nebentätigkeit der Seminaristen: Mahraun,

schichte. .., S. 16; zur Besuchsdauer vgl. die unterschiedlichen Angaben a.a.O., ferner H . N o t b o h m , Das evangelische Kirchen- und Schulwesen...,

GeS. 14,

S. 159 (hier auch das

Urteil: „Für das Schulwesen in ganz Ostpreußen gesehen, hatte das Seminar in KleinDexen bis 1786 keine Bedeutung.") Sehr negativ zu Klein-Dexen der Revisionsbericht Zöllners vom 30. August 1802, G.St.A.,

Berlin-Dahlem,

1. Hauptabt., Rep. 92, Nachlaß

Thiele, N r . 14 (Ostpreußen 1798—1805), abschriftlich aus Rep. 76, zur geringen Frequenz von gegenwärtig vier Seminaristen, zum schlechten Unterricht und einer Aufenthaltsdauer von 6 Monaten; nach einem a.a.O., befindlichen Bericht von Massows vom Jahre 1802 (Abschrift aus Rep. 89) muß auch mit dreimonatigen Besuchszeiten gerechnet werden. '" A.a.O.,

Nachlaß Thiele Nr. 4 (Generalia 1803—1805), (Immediat-?)Bericht von

Voß, 13. Januar 1804 (Abschrift aus Rep. 76). 192

Es fehlen die Inspektionen Dramburg und Schivelbein; die Kreise Dramburg und

Schivelbein wurden 1815 Pommern zugeschlagen; deren Akten befanden sich offenbar deshalb nicht mehr bei dem von Paul Schwartz benutzten Material. Anzeichen für eine überdurchschnittliche Konzentration von Seminaristen in diesen beiden Inspektionen liegen nicht vor.

410

II. Schule im absolutistischen Staat

„der auf Seminaren vorgebildeten Lehrer" auf Landschulstellen zeigen, werden in T A B E L L E 22 zusammengestellt. 193 TABELLE 2 2

Seminaristisch ausgebildete Landschullehrer in 11 von 13 neumärkischen lnspektionen 1799 und 1805

Inspektion Arnswalde Küstrin Drossen Friedeberg Landsberg Königsberg Kottbus Krossen Soldin Sonneburg Züllichau Summe „Seminaristen" in %

Lehrer

1799 Seminaristenanteil

64 22 44 59 77 83 75 73 32 57 15

1(S) —

1(Z) 2(Z) 3(B) 9(8 Β, 1 Z) —

— —

1(B) 4(3 Ζ, 1 Br) 21

601 3,5

Lehrer

1805 Seminaristenanteil

68 18 46 60 59 84 74 71 27 60 19



1 1(Z) 2(Z) 2(Z, B) 12(9 B, 3 Z) — —

2 2 2(Z) 24

586 4,1

S = Seminar Stettin Ζ = Seminar Züllichau Β = Seminar Berlin Br. = Seminar Breslau (Angabe der Seminare soweit vorhanden)

Anders als nach T A B E L L E 21 für das platte Land der Kurmark konstatiert, wird für die Neumark festgestellt werden können, daß für die Landschullehrer dieser Provinz die organisierte seminaristische Lehrerbildung noch keine Rolle spielte, obwohl 1799 seit einem Jahrzehnt in Züllichau ausgebildet wurde 194 und obgleich, wie T A B E L L E 22 zeigt, 1,3

Durch Kombination und Korrektur der Angaben bei Paul Schwanz, Z«r Geschichte der neumärkischen Landschulen, in: Die Neumark. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Neumark, 5. Jg. (1928), S. 19ff„ S. 23, S. 25; das Zitat im Text S. 25. Vgl. bei Anm. 129—132 und bei Anm. 135.

Entstehung und Wirkung organisierter Lebrerbildung

411

auch die N e u m a r k im weiteren Einzugsbereich des Berliner Seminars lag. Der geringe quantitative Wirkungsgrad des Züllichauer Seminars auch nur für die „eigene" Provinz widerspricht selbst den Frequenzen dieser Anstalt. Es muß dabei zum Beispiel mit der bevorzugten Übernahme städtischer Stellen (auch außerhalb der Neumark) wie mit längeren Wartezeiten auf einträgliche Schulmeisterposten in der Provinz gerechnet werden, lag doch das neumärkische Gehaltsniveau selbst auf königlichen Stellen nahezu gänzlich unter 100 Talern. 1 9 5 Mit einem erheblichen Anteil nicht organisierter Bildungsformen muß also in den aufgezeigten neumärkischen Inspektionen gerechnet werden, wie denn auch für die Inspektion Landsberg an der Warthe 1799 bekannt ist, daß von den 77 Schulmeistern „22 in Schulen, von dem Prediger ihres Geburtsortes oder ihrem Vater, der Lehrer war", eine Ausbildung erfahren hatten und „52 überhaupt nicht vorbereitet" waren. 196 In der Kurmark 1 9 7 verteilten sich die Seminaristen auf die verschiedenen Landschaften durchaus nicht gleichmäßig, sondern in ausgeprägter regionaler Konzentration auf die mittleren Kreise. Der Inspektor des Berliner Schullehrer- und Küsterseminars, Herzberg, beschrieb diesen U m s t a n d im Jahre 1791 geradezu in klassischer Form. „In Rücksicht auf die so große Anzahl unserer Präparanden", so formulierte er, „wäre freilich noch wol — so patriotisch thätig sich auch Ein Königl. Hochpreißl. Oberkonsistorium für die Versorgung derselben bewiesen hat — eine größere Menge von Versorgungen zu wünschen gewesen; und wir können wenigstens bei dieser Gelegenheit den U m s t a n d nicht unbemerkt lassen, daß bisher nur immer sehr wenige Stellen aus der entlegeneren Ukermark, besonders aber aus der Prignitz und Altmark unseren Zöglingen zu Theil worden sind, wenn gleich diese Provinzen einen ansehnlichen Umfang und viele sehr wichtige Königl. Aemter enthalten." 1 9 8 Herzberg bezog seine Feststellungen also durchaus auch 1,5

V g l . TABELLE

20.

A . Kehrberges, Historisch-Chronologischer

Marck...,

T.

Abrißl der Stadt Königsberg

in der

Neu-

1, S. 171 f. Siehe für die Z e i t um 1 7 0 0 / 1 0 : P. van Nießen, Geschichte

Stadt Woldenberg...,

der

S. 4 7 6 f.: V e r b o t von Winkelschulen durch den R a t , „freilich ohne

ernstlich auch für N a c h a c h t u n g zu s o r g e n " ; S. 4 8 7 zu einem V e r b o t im J a h r e 1747, das mit der Berufung auf das im Lande übliche G e w o h n h e i t s r e c h t g e k o n t e r t wurde! Selbst in der nur rd. 1 0 0 0 E i n w o h n e r zählenden S t a d t Seelow ( F . W . A . Bratring, topographische

Beschreibung...,

Bd. 2, S. 2 9 4 ) waren 1 7 1 9 mehrere

Statistisch-

Winkelschulen vor-

handen, u m deren B e k ä m p f u n g der neue O r t s p f a r r e r b e m ü h t war und dabei R ü c k h a l t am K o n s i s t o r i u m suchte und fand, siehe die S t ü c k e zu 1 7 1 9 / 2 8 / 2 9 : G.St.A., Dahlem, (Seelow).

Berlin-

Pr. Br. R e p . 2 B, A b t . II, Spezialakten K u r m a r k , N r . 4 3 7 9 (Seelow) und 3 3 9 4

586

II. Schule im absolutistischen

Staat

derheith auch deswegen nicht wohl möglich noch convenable ist, weilen die eintzige publique schule nicht capable ist [,] alle jugend aufzunehmen und mit gebührender Information zu versehen; so ist Magistrat, nebst dem H . probst Porst bedacht, wie diesem remediiret werden könne, und haben zu dem ende ein règlement projectiret, Vermöge deßen nur einige grosse privat schulen dazu sollen authorisiret und ihnen gewiße Leges vorgeschrieben, die übrige aber abgeschaffet und verbothen werden." 17 Schon 1719 war also ein Reglement für die Berliner Privatschulen in Aussicht genommen worden und dies auf Grund von Anregungen aus dem Kreis der Lehrer an der ,,publique[n]" 18 Schule; der Magistrat sollte es vorlegen. 19 Erst nach knapp zwei Jahrzehnten ist es dazu tatsächlich gekommen. Wie es ausdrücklich in dem bekannten „Reglement wegen der Teutschen Privat-Schulen in denen Städten und VorStädten Berlin, den 16ten Octobr. 1738" 2 0 heißt, war es der Magistrat, der diese Verordnung entworfen und bei den geistlichen Kollegien um deren Bestätigung nachgesucht hatte. 21 Künftig sollte niemand ohne G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 40, Bezirk Berlin Generalia, Nr. 185 (Visitationen von Berlin), das Stück (ohne Unterschrift) vom 17. Juni 1719. Im selben Band ein „Verzeichnis derjenigen puncten, worüber mit den Magistrat alhier zu conferiren, oder welche auch von der Commission noch fest zu setzen seyn mögen" (sicher von 1719), darin als 14. Rubrik: „Das projectirte Reglement wegen der privat-schulen von dem Magistrat zu fodern." (Mehr liegt zu dieser Sache nicht bei den angegebenen Akten). Die Stücke sind im Zusammenhang mit der 1719 in Berlin durchgeführten Generalvisitation entstanden, also der Berliner Visitation in der Folge des Generalvisitationsediktes von 1710, dazu Johann Christoph Müller/Georg Gottfried Küster, Altes und Neues Berlin. .., T . 3, Berlin 1756, S. 410 (Titel gekürzt); die in dem oben zitierten Stück angesprochenen Visitationsfragen zu Stadtschulen bei C. O. Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum..., T . 1, 1. Abt., Nr. 77 (Edikt vom 16. April 1710), Sp. 443. Zum Vergleich sei bemerkt, daß um 1690 allein auf der Berliner Georgenvorstadt 14 Winkelschulen völlig aufsichtslos bestanden, siehe (Karl Eduard) W(ilhelm) Wegener, Geschichte der St. Georgen-Kirche und Gemeinde zu Berlin..., Berlin 1889, S. 29 mit S. 25 f. (Titel gekürzt). 17

" Nur sie dürften 1719 visitiert worden sein, nicht auch die Privatlehrer. " So das in Anm. 17 zitierte „Verzeichnis". 20 (C.O. Mylius [Hrsg.]), Corporis Constitutionum Marchicarum Continuationum I. II. et III. Supplementa..., Berlin-Halle 1751, Nr. 14, vom 16. Okt. 1738, Sp. 11—18. 21 A.a.O., Sp. 11 f.; siehe auch F. Vollmer, Friedrich Wilhelm I S. 100 f. Deshalb ist es doppelt problematisch, wenn Ε. K. Deutscher, Private Schulen..., S. 68 f. in dem Privatschulreglement einen Ausdruck von „Schulpolitik des Staates" erkennen will, problematisch hinsichtlich der Genese und des Wirkungsbezuges; ein im Kemgehalt nicht unähnliches Patent des Leipziger Rates vom 5. Juni 1711 bei C. F. E. Mangner, Geschichte der Leipziger Winkelschulen..., S. 25 f.

Schulische „Freiräume"

im preußischen

Absolutismus

587

Prüfung und Zeugnis vom Inspektor oder Prediger nebst Konfirmation durch Kirchendirektorium beziehungsweise Magistrat Schule halten dürfen. 22 Die Bestimmungen waren an sich sehr deutlich gefaßt, 23 aber gleichwohl sind schon in den Jahren unmittelbar nach dem Erlaß des Reglements Winkelschulen in Berlin wieder bezeugt. 24 Erst recht besteht für die späteren Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts kein Zweifel, daß in den Winkelschulen auch in Berlin ein traditionales Element in der Schulwirklichkeit prägend blieb. 25 In der Regel wurde ein „entdeckter" Schulhalter auf das Rathaus zitiert, um ihm dort ein Verbot zuteil werden zu lassen; hielt sich der „Lehrer" nicht an diese Weisung, so half auf Dauer auch die von Magistratsdienern exekutierte Wegnahme der aushängenden Tafel und das Fortschicken der Kinder wenig, konnte doch am folgenden Tag der Unterricht erneut aufgenommen werden.

22 C. O. Mylius (Hrsg.), Corporis Constitutionum Marchicarum Continuationum I. II. et III. Supplemento..., Sp. 11 ff.; Sp. 13 f.: lokale Verteilung der Lehrer durch die Prediger; Sp. 14: Einschränkung des Lehrplans, damit „denen publiquen Schulen" kein Nachteil entstünde.

Das Reglement blieb „in seinen wesentlichen Bestimmungen" bis 1812 in Kraft, D. Rittershausen, Beiträge..., S. 223, siehe auch S. 300 Anm. 1. 24 L. Geiger, Berlin 1688—1840..., Bd. 1, S. 569, erwähnt nicht konzessionierte Winkelschulen im Berlin des Jahres 1743; siehe auch Ernst Consentius, Alt Berlin — Anno 1740, 3., verm. Aufl., Berlin 1925, S. 271 (Auszug aus dem Intelligenzblatt vom 1. August 1740: Anzeige eines französischen Sprach- und Schreibmeisters; vgl. auch S. 122). 25 Aus der Fülle der Zeugnisse siehe die Klagen Büschings in seinem Bericht vom 29. Dez. 1768, E. Clausnitzer (Hrsg.), Die Volksschulpädagogik..., S. 105 f., wo Büsching die Winkelschulmeister aus dem Kreis schlechter Theologen, Soldaten, Handwerker usw. hervorgehen sah (daß diese Einschätzung in etwa zutreffen könnte, zeigt das von D. Rittershausen, Beiträge..., S. 271 f., Anm. 1, mitgeteilte Beispiel der Sozialstruktur von acht Winkelschulhaltern an der Sebastianskirche, 1798); vgl. A. F. Büsching, Beschreibung seiner Reise von Berlin über Potsdam nach Rekahn..., S. 78 f.; Ueber Berlin. Von einem Fremden, 24. und 23. Brief, in: Berlinische Monatsschrift, Bd. 4 (1784), S. 455, mit der Feststellung, daß in Berlin „das Schulhalten . . . eine zu freie Kunst" sei. Siehe auch die anonyme Schrift: Fortsetzung der Karakteristik der Sitten Berlins, in: Bibliothek für Denker und Männer von Geschmak, Bd. 1 (1783), S. 199, wo geklagt wird, „wie wenig man darauf achtet, wer diese Winkelschulen . . . hält". Siehe jetzt die materialreiche Abhandlung von Gerhard Krienke, „Man hat nicht sehr strenge sein dürfen". Wildwuchs im Berliner Elementarschulwesen des 18. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 77. Jg. (1981), Heft 2, S. 305—311, wo wiederum Büschings These über die Herkunft von Winkelschulmeistern Bestätigung findet (S. 307 ff., auch zur Frequenz bis um die 100). 25

588

II. Schule im absolutistischen

Staat

Allenfalls holte der Schulhalter eine „Prüfung" bei dem Inspektor nach, um die schulische Arbeit sodann gesichert fortzuführen. 2 6 Im Jahre 1788 standen im Berliner Viertel, in der Köllnischen Vorstadt, in der Friedrichs- und in der Dorotheenstadt — für diese Stadtteile waren im letzten Jahrhundert die Unterlagen noch halbwegs vollständig vorhanden — den 75 beaufsichtigten deutschen sowie den 66 französischen Instituten nicht weniger als 102 Winkelschulen gegenüber, 27 in denen nicht nur das Schreiben und Lesen, sondern auch bisweilen Geschichte, Geographie, Naturgeschichte, Latein und Französisch unterrichtet wurden. 28 Diese Erhebungen waren auf Befehl des Oberschulkollegiums durchgeführt worden, das auch die Aufsicht über die Winkelschulen beanspruchte. 29 Daneben fällt freilich auf, daß bei den unter Woellner durch die Immediat-Examinationskommission in Berlin durchgeführten Schulvisitationen die Winkelschulen einer Untersuchung nicht für wert erachtet wurden. 30 Im Jahre 1792 handelte schließlich das Oberschulkollegium: Es erließ eine gegen Privat- und gegen Winkelschulen gerichtete Verfügung, die ebenso erfolglos blieb 31 wie ihre Vorgänger aus drei Jahrhunderten. 3 2 Etwa die Klagen des Inspektors Küster aus dem Jahre 1799 sprechen in bezug auf die Lebensfähigkeit der Winkelschulen zu dieser Zeit eine deutliche Sprache, 33 war es ihm doch nicht einmal

- 6 Siehe die Schilderung bei L. H . Fischer, Berliner Schulhalter..., S. 5; ders., Die Schulen und Erziehungsanstalten..., S. 49 f.; ders., Die Entwicklung..., S. 61, S. 63 f.; jetzt auch G . Krienke, „ Man hat nicht sehr strenge sein dürfen"..., S. 306 f. 37 So (1865) D. Rittershausen, Beiträge..., S. 270f. (1798 in der Sebastiansparochie: 8 konzessionierte und 8 Winkelschulhalter; S. 271 f. Anm. 1); F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 280; die bei L. H . Fischer, Die Schulen und Erziehungsanstalten. .., S. 51, mitgeteilten Zahlen dürften also für die Winkelschulen unvollständig sein. -8 A.a.O., S. 51 f. Neben a.a.O., S. 20, S. 50f. und D. Rittershausen, Beiträge..., S. 269 f., siehe die interessante Stelle bei H . Schmitt, Friedrich Gedike..., S. 57 mit Anm. 179; ferner C . Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr v. Zedlitz..., S. 186. , 0 Vgl. P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 312, und das, obwohl die Visitatoren auf die Winkelschulen während der Visitation ausdrücklich hingewiesen worden waren! (A.a.O., S. 307). 11 L. H . Fischer, Die Entwicklung..., S. 66; ders., Die Schulen und Erziehungsanstalten. .., S. 53; D . Rittershausen, Beiträge..., S. 271. 12

Siehe oben Anm. 10.

" L. H . Fischer, Die Schulen und Erziehungsanstalten..., S. 54; siehe auch den Versuch einer Schilderung..., in: W. C. C. (Ritter) von T ü r k , Beiträge..., S. 340f., zu dem blühenden Winkelschulwesen im Berlin des Jahres 1806.

Schulische „Freiräume" im preußischen Absolutismus

589

möglich, die bloße Zahl der Neben- und Winkelschulen seiner eigenen Inspektion vollständig zu ermitteln. Das Beispiel Berlin34 zeigt die Bedeutung der Winkelschulen als tragendes Element städtischer Schulwirklichkeit in der Kontinuität vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, ein grundlegender Bestandteil frühmoderner Schulrealität, der dem landesherrlich-,,staatlich"-obrigkeitlichen Zugriff auf Dauer entzogen blieb. Erst recht läßt sich dies für Städte zeigen, bei denen schon die räumliche Distanz zu den Kollegien in der Residenz als ein Faktor zur Verminderung der landesherrlichen Herrschaftsintensität sicher nicht unterschätzt werden darf. In dem altmärkischen Gardelegen, einem Ort mittelstädtischen Zuschnitts, klagte noch 1801 der Küster und Schulmeister an St. Marien aus eigener Erfahrung vehement über die „vielen neben u. Winckelschulen die jetzo geduldet werden/: Leute die sich ohne Erlaubniß hin sezzen und unter gar keiner Aufsicht stehen:/". Nicht allein die übliche Klage über die schlechte Qualität der insgesamt vier Winkelschullehrer in Gardelegen, nicht die unzureichende Schulzucht in diesen Nebenschulen, die die Position der Eltern auch gegenüber den ordentlichen Lehrern spürbar stärkten, weil sie die Kinder aus ihrer Schule zu ziehen drohten, machen den Kern des Phänomens in herrschaftsgeschichtlicher Perspektive aus; das Verhältnis zum „Staat" und zur lokalen Obrigkeit charakterisiert das breite Winkelschulwesen erst im vollen Umfange. W o h l hatten die Gardelegener Lehrer mehrmals über die Winkelschulen öffentlich Klage geführt, „allein wir finden kein Gehör, haben uns auch dieserhalb an ein Hochpreußl. Ober-Consistorium gewendet, und Er. Königl. Majestät haben auch aller huldreichst unsere demütige Bitte und Gesuchs Gehör gegeben und dem strengsten Befehl sogleich ertheilt, und ausgehen lassen, an den hiesigen Magistrat und Superintendent: die neben und Winkelschulen sofort zu zerstöhren; allein wie es ist so bleibt es". 35 Nicht anders sah sich zum Beispiel der Magistrat in der Lebuser Kleinstadt Müllrose auch angesichts des Protestes der Bürgerschaft außerstande, die von einem ehemaligen Bäckermeister angelegte Winkelschule zu verbieten, und überließ dies höherer Entscheidung. 3 6 Wiewohl die „staatsfernen" Winkelschulen in 34 Vgl. in diesem Sinne E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte..., S. 194 ff., S. 1 9 9 f . , f ü r das ostpreußische Königsberg. 35 G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Generalia Nr. 3822 (Einrichtung der Landschulen), Immediatbericht des Küsters und Schullehrers zu St. Marien in Gardelegen, Hilmar Jahn, vom 9. September 1801. 36

A.a.O.,

Spezialakten Kurmark, Nr. 4 3 1 4 (Müllrose), mit verschiedenen Stücken

590

II. Schule im absolutistischen

Staat

den amtlichen R e g i s t r a t u r e n auch nicht systematisch erfaßt wurden,37 b e s t e h t d o c h kein Z w e i f e l , d a ß in d e r K u r - u n d in d e r N e u m a r k a u c h n o c h in d e r z w e i t e n H ä l f t e des 1 8 . J a h r h u n d e r t s die W i n k e l s c h u l e n in einer e n t s c h e i d e n d e n P o s i t i o n z u b e h a r r e n v e r m o c h t e n . 3 8 Zwischen Winkelschulen und ordentlichen Stadtschulen herrschte ein Z u s t a n d g e r e i z t e r K o n k u r r e n z . D o r t , w o z u m Beispiel u n t e r e i n e m w e n i g g e e i g n e t e n R e k t o r die ( ö f f e n t l i c h e ) S t a d t s c h u l e verfiel, w a r , wie e t w a das Beispiel d e r K ö n i g s b e r g e r S t a d t s c h u l e n a c h 1 7 1 7 z e i g t , die „ n a t ü r l i c h e F o l g e " ein „allgemeines M i ß t r a u e n g e g e n die A n s t a l t , u n d eine M e n g e v o n W i n k e l s c h u l e n , die bald m e h r bald w e n i g e r l e i s t e t e n , im G a n z e n aber z u m R u i n der großen Stadtschule vorzüglich mitwirkt e n " . 3 9 A b e r d u r c h a u s n i c h t n u r in s o l c h e n Fällen, in d e n e n g a n z offenb a r die S t a d t s c h u l e selbst eine „ M a r k t l ü c k e " e r ö f f n e t h a t t e , k o n n t e d e r „ ö f f e n t l i c h e n " A n s t a l t aus d e n W i n k e l s c h u l e n eine bisweilen sehr ge-

aus dem Jahre 1798, insbesondere ein Kommunikat des Magistrats von Müllrose an das Amt Biegen vom 20. Febr. 1798: Dem Bäckermeister Schultze wurde „die von ihm angelegte Winkelschule wiederholentlich untersagt. Er meint aber, daß ihm solche nicht gewehrt werden könne." Der Magistrat stellte den Fall höherer Entscheidung anheim. Am 26. Sept. 1799 erging auf die Resolution Gedikes ein Dekret an den Inspektor Protzen (erneutes Verbot der Winkelschule — Erfolg?); in den Aktenstücken werden auch Winkelschulen in Beeskow erwähnt. Ferner zu dem Vorgang Hermann Trebbin, Müllrose. Aus den Schicksalen und Kämpfen einer märkischen Landstadt (= Frankfurter Abhandlungen zur Geschichte, Heft 10/11), Frankfurt/Oder-Berlin 1934, S. 202. 37 Vgl. Anm. 3. 38 Siehe P. Schwartz, Die neumärkischen Schulen..., S. 11; F. Vollmer, Die preußische Volksschulpolitik..., S. 274; J . C. G. Schumann, Die Geschichte des Volksschulwesens in der Altmark..., S. 405f. (Osterburg); B. Seiffert, Die Strausberger Stadtschule..., S. 83 f.; A. Jaster, GeschichteCöpenicks..., S. 52; B. Raettig, Geschichte..., S. 173. Siehe auch die zahlreichen Stücke im G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark, Nr. 314 (Liebenwalde), zu den Jahren 1796 bis 1806, wiederum ein sprechendes Beispiel für die Uberlebensfähigkeit von Winkelschulen auch in kleinen märkischen Städten trotz Einschreitens und der Verbote von Inspektor und Oberkonsistorium bei Weigerung des Magistrats, den Verfügungen zu entsprechen. M So 1805 Ph. Siefert, Kurze Geschichte des Friedrich-Wilhelm-Lyceums zu Königsberg in der Neumark..., S. 8; S. 8 f.: Aufschwung der Schule 1733 unter einem neuen Rektor; ähnlich die Entwicklung in Stendal: L. Götze, Geschichte des Gymnasiums zu Stendal..., S. 118 ff. (um 1720); siehe für die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts das Beispiel Eberswalde: R. Schmidt, Geschichte..., Bd. 1, S. 236. Vgl. auch allgemein 1805 J. D. Arnold, Vorschläge zur Beseitigung..., S. 40 (Winkelschulen aus Mangel an gutem Lehrpersonal); vgl. auch im gleichen Sinne Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, Bd. 2 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 10/11), KölnGraz 1968, S. 477 f.

Schulische „Freiräume"

im preußischen

Absolutismus

591

f ä h r l i c h e K o n k u r r e n z e r w a c h s e n , die die S c h ü l e r z a h l e n d e r S t a d t s c h u len in g r ö ß e r e n wie in kleineren S t ä d t e n e r h e b l i c h d e z i m i e r t e 4 0



E r k l ä r u n g für die f e s t g e s t e l l t e n geringen F r e q u e n z e n d e r b r a n d e n b u r g i s c h e n S t a d t s c h u l e n 4 1 u n d z u g l e i c h eine B a r r i e r e für die B e r e c h n u n g v o n E i n s c h u l u n g s q u o t e n in e i n z e l n e n S t ä d t e n . G i b t es d e u t l i c h e B e lege, die in B r a n d e n b u r g , a b e r a u c h in a n d e r e n p r e u ß i s c h e n P r o v i n z e n die W i n k e l s c h u l m e i s t e r u n d die K i n d e r , die W i n k e l s c h u l e n b e s u c h t e n , gleichermaßen der handwerklichen und städtischen U n t e r s c h i c h t zuz u w e i s e n s c h e i n e n , 4 2 so t r u g e n in M a g d e b u r g , einer S t a d t m i t einer t r a d i t i o n e l l s t a r k e n W i n k e l s c h u l s c h i c h t , diese I n s t i t u t e s o g a r m i t z u m E i n g e h e n des a l t e n S t a d t g y m n a s i u m s in d e n 9 0 e r J a h r e n des 1 8 . J a h r h u n d e r t s e r h e b l i c h bei; allerdings h a t t e in M a g d e b u r g i m 1 8 . J a h r h u n -

Aus zahlreichen Beispielen: H. Begemann, A nnalen..., S. 14 (Neuruppin 1766/68); J . Schultze, Die Lehrerschaft des Kreises Züllichau..., S. 170 (große Stadtschule Züllichau 1756); R. Boschan, Das Bildungswesen in der Stadt Potsdam..., S. 56 f.; siehe auch zu der adligen Mediatstadt Buckow (1800: 878 Ew., 1801: 860 Ew., F. W. A. Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung..., Bd. 2, S. 302; frühere Zahlen fehlen), G.St.A., Berlin-Dahlem, Pr. Br. Rep. 2 B, Abt. II, Spezialakten Kurmark Nr. 4517 (Müncheberg), Inspektionsbericht des Inspektors Winter vom 3. März 1783: Zwei Lehrer an der Stadtschule, daneben zwei Winkelschulen, die die Stadtschule schädigten. Als Vergleichsfall aus den westlichen Provinzen siehe die Aktenstücke aus den Jahren 1790/91 im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Reg. Mörs III, Generalia Nr. 40 (Reform. Schulen Mörs); Ostpreußen: E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte..., S. 252. 40

Siehe Büschings Bericht vom 29. Sept. 1768 (E. Clausnitzer [Hrsg.], Die Volksschulpädagogik. .., S. 106), siehe auch oben Anm. 15; vgl. auch bereits oben im Si chsti n Kapitel bei Anm. 85 und 86; in der Stadtschule von Königsberg (Neumark) befanden sich 1748 insgesamt 22 Schüler, aber neben dieser Anstalt existierten mehrere Winkelschulen in der Stadt, P. Schwartz, Das Schulwesen der Stadt Königsberg..., S. 19. 41

Damit sind allerdings Fragen gestellt, die hart an die Grenzen der aus dem Material zu gewinnenden Aussagen stoßen; siehe als brandenburgische Beispiele: F. W. Haehnelt, Chronik der Marien-Kirchengemeinde zu Angermünde..., S. 24; für die Lehrer auch R. Boschan, Das Bildungswesen in der Stadt Potsdam..., S. 56 f. (Witwen, verarmte Gewerbetreibende, Soldaten; an der Hl. Geistkirche um 1800 8 Privatschulen); vgl. Anm. 25; für Königsberg (Pr.): E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte..., S. 196 f., zu der Herkunft Königsberger Winkelschullehrer 1797 (25 Fälle, ζ. T . mit Konzession, unter den 25: 15 Frauen, darunter mehrere von Schneidern, 5 Schuhmacher, 2 Friseure). Zur Schülerschaft die Mitteilungen bei G. Krienke, „Man hat nicht sehr strenge sein dürfen" ..., S. 307 (Tagelöhnerkinder nachgewiesen; ein früherer Bierschenker als Winkelschullehrer, weitere Beispiele für die heterogene Herkunft dieser Lehrpersonen S. 307f.); Stettin: I. Bernhardt, Von der Gründung..., S. 61; C. Grünhagen, Das schlesische Schulwesen..., S. 28; zu Halle (17. Jahrhundert) vgl. G. F. Hertzberg, Geschichte der Stadt Halle an der Saale..., Bd. 2, S. 519; vgl. Anm. 43. 4:

592

II. Schule im absolutistischen

Staat

dert die Mehrzahl der „Winkelschulen" eine Genehmigung vom Magistrat erhalten und erreichte bisweilen ein beträchtliches schulisches Niveau. 43 Die Winkelschulen, die auch am Ende des 18. Jahrhunderts in den verschiedenen preußischen Provinzen — allen reglementsmäßigen Verboten zum T r o t z — angetroffen werden können, 4 4 dürfen, dies haben schon die bisherigen Beispiele gezeigt, nicht als Randerscheinung der Schulwirklichkeit mißdeutet werden. Vielmehr läßt sich in der Regel für die Orte, an denen — trotz der themenimmanenten Quellenproblematik — in etwa die quantitative Rolle der Winkelschulen ermittelt werden kann, ein Überwiegen dieser Institute über die quantitative Bedeutung der „öffentlichen" Anstalten feststellen. 45 Allein in Neuruppin haben, wie Hermann Elß mitzuteilen wußte, im 18. Jahrhundert zeitweise „an 20" Winkelschulen existiert. 4 6 Für das ostpreußische Königsberg sind im 18. Jahrhundert „weit über 100" Winkelschulen die Regel gewesen, und diese erreichten auch durchaus stattliche Frequenzen, so daß allerdings in Zweifel steht, ob die Mehrheit der Königsberger Kinder die (1790) 17 öffentlichen Schulen der Stadt (einschließlich des Collegium Fridericianum) besuchte. 47 Selbst in dem wahrlich beZu alledem F. A. Wolter, Geschichte der Stadt Magdeburg..., S. 224f., der allerdings auch erkennen läßt, daß der obrigkeitliche Einfluß auf diese Winkelschulen offenbar denkbar gering blieb; J . H. F. Ulrich, Ueber den Religionszustand..., Bd. 3, S. 340; ders., Bemerkungen eines Reisenden..., Bd. 1, S. 248 („eine gewaltige Menge Winkelschulen" in Magdeburg „für die niedrige Art Menschen"; Frequenzen bis zu 80/100 Schülern). 44 Siehe schon Anm. 39 und Anm. 40; ζ. B. allgemein für Ostpreußen: P. Schwartz, Der erste Kulturkampf..., S. 434 (nach dems., Die Schulen der Provinz Ostpreußen..., S. 298, wurden in Memel 1800 die Winkelschulen beseitigt); J . Grüner, Das Schulwesen des Netzedistrikts..., S. 53 mit Anm. 1—4; für Halle um 1750: J . C. Dreyhaupt, Pagus Neletici..., Bd. 2, S. 216 f. Ferner sei auf das Beispiel Stettins verwiesen. Hier gelang es um 1780 dem Magistrat, zusammen mit der Geistlichkeit gegen die Winkelschulen vorzugehen (vgl. J . H. F. Ulrich, Ueber den Religionszustand..., Bd. 3, S. 209; Martin Wehrmann, Geschichte der Stadt Stettin, Stettin 1911, S. 403); und doch klagte der Stettiner Konrektor Friedrich Koch, Einige Gedanken..., S. 24 f., im Jahre 1794 über die die Stettiner Ratsschule schädigenden Winkelschulen! 45 Vgl. auch oben bei Anm. 17 und 27 zu dem starken Winkelschulanteil in Berlin im frühen wie im ausgehenden 18. Jahrhundert. 46 In seiner Geschichte des Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums zu Neuruppin..., S. 1 mit Anm. 1. 47 Die Zahlen bei E. Hollack/F. Tromnau, Geschichte..., S. 138, S. 172 für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts; S. 208: Beispiel eines Winkelschulhalters (Ende 18. Jahrhundert), der 100 Kinder unterrichtete. 41

Schulische

„Freiräume"

im preußischen

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Absolutismus

scheidenen südpreußischen Mediatstädtchen Dobra mit 80 katholischen und drei evangelischen Familien besuchte nur ein Sechstel der 80 katholischen Kinder in schulfähigem Alter die Parochialschule, während sich die von einem ehemaligen Bedienten betriebene Winkelschule eines sehrviel regeren Zuspruchs erfreuen konnte. 48 Auch einige Beispiele für die mittleren Provinzen zeigen, daß nur eine Minderheit der Schulkinder die öffentliche Schule besuchte, wie für das neumärkische Königsberg (1776) mit rund einem Drittel oder für Wriezen am Ende des 18. Jahrhunderts mit etwa einem Sechstel nachzuweisen ist. 49 In der Magdeburger Stadt Burg hatten die Reorganisationsbemühungen bezüglich der elementaren Küsterschulen um 1768 keinen Effekt, sollten diese doch in neuer Gestalt die Winkelschulen zur Seite drängen. „Trotzdem bestanden", wie F. A. Wolter 1881 berichtete, „aber noch so viele Winkelschulen fort, daß in ihnen noch im ersten Decennium dieses Jahrhunderts weit über die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder und bis auf einen ganz kleinen Bruchteil die ganze weibliche Jugend ihren gesammten Schulunterricht empfing". 5 0 TABELLE 29 gibt für brandenburgisch-preußische Städte, für die auf Grund der ortsgeschichtlichen beziehungsweise archivalischen Uberlieferung Angaben hinlänglicher Aussagekraft ermittelt werden konnten, eine vergleichende größenordnungsmäßige Zusammenschau der am Ort vorhandenen öffentlichen Bildungsanstalten und der Winkelschulen. 51 P. Schwartz, Die preußische Schulpolitik preußen..., S. 179 f. 48

in den Provinzen Südpreußen

und

Neuost-

Vgl. die Nachweise in Anm. 51. 50

F. A. Wolter, Mitteilungen...,

S. 167.

Besondere Schulen für ggf. vorhandene Reformierte werden auf Grund der auch schulischen Konfessionstrennung nicht berücksichtigt. Krossen: F. Berbig, Nachrichten und Urkunden..., T . 3, S. 4f., S. 28 (Supplik der Lehrer an der lateinischen Schule 1701); R . Lamprecht, Die Große Stadtschule von Spandau..., S. 128 (hier auch das Quellenzitat). Eventuell war hier um 1712 auch eine Mädchenschule vorhanden, für 1730: D(aniel) F(riedrich) Schulze, Zur Beschreibung und Geschichte von Spandow. Gesammelte Materialien, hrsg. von O t t o Recke, Bd. 1, Spandau 1913, S. 446; Frankfurt: C . W. Spieker, Bericht..., S. 7, ferner S. 3; Barth: F. E. Keller, Geschichte..., S. 6 9 f . Anm.; Königsberg i. N . : P. Schwartz, Das Schulwesen..., S. 19f., S. 32:1776 in Königsberg 365 schulpflichtige Kinder, von denen 150 zugelassene Schulen besuchten; 215 gingen in die Schule des reformierten Küsters und in Winkelschulen; Arendsee: A. König, Das Schulwesen..., S. 167f.; Bütow: E. Waschinsky, Das Schulwesen..., S. 113 f. (das Zitat aus einer Quelle); Wriezen: R. Schmidt, Wriezen..., S. 247f.(S. 249: Ende 18. Jahrhundert 658 Schulpflichtige, 104 Schüler in der Stadtschule). Angermünde: C . F. F. Lösener, Chronik..S. 420; Memel: P. Schwartz, Die Schulen der 51

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II. Schule im absolutistischen Staat

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