Abhandlung über das Wasser und die Erde / Philosophische Werke 2, Bd.2: Philosophische Werke Band 2. Zweisprachige Ausgabe. Latein.-dtsch. Hrsg. u. eingel. v. Dominik Perler 9783787311255, 9783787332090, 3787311254

In der Beantwortung der für das geozentrische Weltbild aristotelisch-ptolemäischer Prägung zentralen Frage, welches der

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Abhandlung über das Wasser und die Erde / Philosophische Werke 2, Bd.2: Philosophische Werke Band 2. Zweisprachige Ausgabe. Latein.-dtsch. Hrsg. u. eingel. v. Dominik Perler
 9783787311255, 9783787332090, 3787311254

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DANTE ALIGHIERI

Philosophische Werke Herausgegeben unter der Leitung von Ruedi Imbach Band2

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DANTE ALIGHIERI

Abhandlung über das Wasser und die Erde übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Dominik Perler

Lateinisch- Deutsch

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG



INHALT

Einleitung. Von Dominik Perler .......................................... VII 1. „Ad naturalem racionem" oder „ficte loquendo"? Zwei Zugänge zur Frage nach der Lage von Wasser und Erde........................................................... VII 2. Das Verhältnis der naturphilosophischen Questio zur schöpfungstheologischen Kosmologie im Inferno........................................................................... XII 3. Dantes Naturbegriff und die Funktion der Naturphilosophie ............................................... XXVIII 4. Die Problemstellung der Questio im historischen Kontext................................................. XLIII 5. Die philosophiehistorische Bedeutung der Questio ..... .. .. .. .. .. .. .... .. .. ...... .... .. .. .. .... .. .... .... .. .... ... LIX Zur Ausgabe ..................................................................... LXXV

DANTE ALIGHIERI Questio de aqua et terra /Abhandlung über das Wasser und die Erde De forma et situ duorum elementorum aque videlicet et terre I Über die Form und die Lage zweier Elemente, nämlich des Wassers und der Erde ...................................... 2/3

Literalkommentar ......................................... ....................... 43 Literatur ................................................................................ 133 Index nominum .................................................................... 143

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Index rerum ............. „ „ „ ...... „ „ ..... „.„.„„ ... „.„„ ... „„ ............. 145 Index der im Text zitierten Werke ................ „ .......... „ ......... 149 Personenregister zum Literalkommentar (antike und mittelalterliche Autoren) „ .•••••••.. „ .••• „ ....••.. „ .•. 151

EINLEITUNG

1. „Ad naturalem racionem" oder „ficte loquendo"? Zwei Zugänge zur Frage nach der Lage von Wasser und Erde

Pietro Alighieri, der Sohn Dantes, erwähnt in der dritten, um 1358 entstandenen Redaktion seines Kommentars zur Commedia eine gewisse Disputation, an der sein Vater angeblich teilgenommen hat: „Als Dante, jener Autor, einmal darüber disputierte, ob die Erde höher liege als das Wasser oder umgekehrt, bejahte er diese Frage, indem er mit folgenden Worten dafür eintrat, daß die Erde sicherlich höher liege: Es ist gewiß, daß jeder sphärische Körper, der über einen sphärischen Körper hinausragt, einen runden Kreisbogen bildet, so wie dies deutlich wird, wenn ein runder Apfel an einer Schnur aus dem Wasser herausgez.ogen wird; aber die Erde, die aus dem Wasser emporragt, bildet keinen runden Kreisbogen, denn sie ragt halbmondförmig empor; also ist die Erde nicht sphärisch. Dennoch behauptete Dante, hinsichtlich der Natur der Elemente befinde sich die Erde in der Mitte, und sie müsse vollständig von Wasser umgeben sein. Aber die allgemeine Natur, die nicht nur über die Natur der Elemente, sondern auch über die Erhaltung des Belebten und Lebendigen auf der Erde waltet, hat angeordnet, daß die Erde in unserem bewohnbaren Teil aus dem Wasser emporragt. Und sie liegt höher als das Wasser, d.h. sie ist dem Himmel an einer Stelle näher."1

II „Commentarium" di Pietro Alighieri nelle redazioni Ashburnhamiana e Ottoboniana, ed. R. della Vedova / M.T. Silvotti, Ein!. von E. Guidubaldi, Firenze: Olschki 1978, 450-451: „... Dantes auctor iste, disputando 1

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Diese Textstelle weckt wohl in jedem Leser Dantes die Neugierde. Der berühmte Vater Pietros hat in keinem seiner Werke auf eine Disputation über die Lage von Wasser und Erde hingewiesen, und es ist auch keine Handschrift mit der Aufzeichnung einer solchen Debatte überliefert. Die Ausführungen Pietros sind zudem verwirrend, weil sie sich im Kommentar zu InP XXXIV, 121-126 finden, also genau zu jener Stelle, wo die Lage von Wasser und Erde auf einem schöpfungstheologischen Hintergrund erklärt wird: Zur Zeit der Weltschöpfung ragte die Erde auf der südlichen Hemisphäre über das Wasser hinaus. Als aber der abtrünnige Engel Luzifer aus dem Himmel verstoßen wurde, bewirkte er eine Katastrophe. Er stürzte auf die südliche Hemisphäre, worauf sich die Erde voller Schrecken aus der südlichen Hemisphäre auf die nördliche zurückzog und nur eine semel scilicet an terra esset alcior aqua (ed. alcior, a qua] vel e contra sie arguebat, tenendo quod terra certo respectu foret alcior, ita dicendo: certum est quod omne corpus spericum emergens de corpore sperico facit orizontem orbicularem rotundum, sicut patet in pomo rotundo educto cum aliquo filo de aqua; sed terra emergens de aquis non facit orizontem circularem rotundum cum emergat in modum semilunij, ut dictum est; ergo terra non est sperica. Tarnen dicebat ipse Dantes quod quantum erat de natura elementorum terra est in medio et deberet esse tota circumdata aquis, sed natura universalis intendens non tantum ad naturam elementorum sed ad conservacionem animancium et vivencium super terram, ordinavit quod terra in nostra habitabili emineat aquis et est alcior aquis, idest propinquior celo in aliqua eius parte." F. Mazzoni hat diese wichtige Textstelle bereit~ transkribiert (mit der überzeugenderen Lesart „alcior aqua") in „Il punto sulla Questio de aqua et terra", Studi danteschi 39 (1962), 49. Siehe auch F. Mazzoni, „La questio de aqua et terra", Studi danteschi 34 (1957), 163-204, besonders 193-200. Zu Pietros Kommentierung vgl. F. Mazzoni, „Pietro Alighieri interprete di Dante", Studi danteschi 40 (1963), 279-360. Vgl. als Einführung in die Kommentartradition A. Buck (Hrsg.), Die italienische Literatur im Zeitalter Dantes und am Übergang vom Mittelalter zur Renaissance. Band 1: Dantes „Commedia" und die Dante-Rezeption des 14. und 15. Jahrhunderts, Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters X/1, Heidelberg: Winter 1987 (zu Pietro Alighieri 248-249). 2 Für die im folgenden abgekürzt zitierten Werke siehe das Literaturverzeichnis, S.133 und S. 136.

Einleitung

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Höhle zurückließ. Da nun auf der nördlichen Hemisphäre die Erdmassen beider Hemisphären vereint waren, verdrängten sie das Wasser und ragten über das Meer hinaus. „Da questa parte cadde giU dal cielo; e la terra ehe pria di quasi sporse per paura di lui fe' del mar velo, e venne a l'emisperio nostro; e forse per fuggir lui lascio qui 'l luogo voto quella ch'appar di qua, e su ricorse." „Auf dieser Seite stürzte er vom Himmel, Und was an Erde einst sich hier gebreitet, Hat sich aus Furcht verhilllt mit einem Meere Und kam zu unsrer Hälfte; und die andre, Die hier erscheint und sich nach oben wölbte, Schuf wohl, um ihn zu fliehen, diese Höhle. " 3 Offensichtlich stehen sich zwei unterschiedliche Erklärungsmodelle gegenüber. In der von Pietro Alighieri erwähnten Disputation wird die ungleiche Lage von Wasser und Erde mit einem genuin naturphilosophischen Argument begründet Der Einfluß der allgemeinen Natur auf die partikuläre Natur bewirkt, daß sich die Erde an einer bestimmten Stelle über das Wasser erhebt In den zitierten Versen des lnf. hingegen dienen die Schöpfungsgeschichte und ein anthropomorphes Naturverständnis als Interpretationsgrundlage: Der Fall Luzifers hat die Erde erschreckt und das Verhältnis von Erde und Wasser auf den beiden Hemisphären aus dem Gleichgewicht gebracht. Auch Pietro Alighieri hat das Auseinanderklaffen der beiden Erklärungsansätze erkannt und deshalb festgehalten, die naturphilosophische Begründung entspreche der Wahrheit und der natürlichen Vernunft (ad veritatem et naturalem racionem), wäh3

Übers. H. Gmelin, Stuttgart: Kielt 1954 ff..

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rend die schöpfungsgeschichtliche Erklärung in einem poetischen, übertragenen Sinn (ficte et transwnptive loquendo) zu verstehen sei4• Einern modernen Leser erscheinen wohl beide Erklärungen bizarr und unverständlich. Man könnte sich vielleicht mit der biblisch inspirierten Geschichte begnügen und diese als ein poetisches Bild - nicht etwa als eine rationale Erklärung - interpretieren, wenn nicht ein Druck aus dem Jahre 1508 überliefert wäre, der eine Questio disputata de aqua et terra enthält. Benedetto Moncetti, der Herausgeber, schreibt diese kurze, aber äußerst konzise, im Stil scholastische Abhandlung Dante Alighieri zu, und sowohl am Anfang als auch am Ende des Textes wird Dante ausdrücklich als Autor genannt. „Schon viele Olympiaden sind vergangen, seitdem diese F1orentiner Questio in einer Schachtel geruht hat", hält Gerolamo Gavardo im Einleitungsbrief fest5• Die Questio enthält die Aufzeichnung einer Disputation, die Dante am 20. Januar 1320, also eineinhalb Jahre vor seinem Tod, vor dem versammelten Veroneser Klerus abgehalten hat. Entscheidend ist nun, daß die Questio genau jene Fragestellung aufweist, die sich auch in der von Pietro Alighieri erwähnten Disputation findet: Welches der sphärisch angeordneten Elemente liegt höher, das Wasser oder die Erde? Die Questio beruft sich auf die gleiche Lösung wie die erwähnte Disputation. Gemäß der partikulären Natur liegt das Wasser höher als die Erde, die allgemeine Natur bewirkt jedoch, daß sich die Erde an einer bestimmten Stelle - genau auf dem bewohnbaren, auf der nördlichen Hemisphäre gelegenen Teil der Weltkugel - über das Wasser erhebt. Zudem wird betont, die Abhandlung verlasse II „Commentarium" di Pietro Alighieri, op.cit., 449: „Quantum vero ad veritatem et naturalem racionemde huiusmodi parte terre nostre sie ellevata a mari, non ficte et transumptive loquendo, ut est loqutus hie auctor..." 5 Vgl. den Nachdruck der editio princeps in: G. Boffito, La „Quaestio de aqua et terra" di Dante Alighieri. Introduzione storica e trascrizione critica de! testo latino, Firenze: Olschki 1905 (ohne Paginierung): „Iam multae olympiades praeteriere, quod hec Questio florulenta in scriniis quiescebat." 4

Einleitung

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nicht das Untersuchungsgebiet der Naturwissenschaft und sei als philosophischer Text zu verstehen6• Offensichtlich liegt der Questio und der Disputation eine gemeinsame Intention zugrunde. Die gegenseitige Lage von Wasser und Erde soll nicht poetisch, sondern im Rahmen der Naturwissenschaft und-philosophie ad veritatem et naturalem racionem erklärt werden. Aufgrund der verblüffenden Parallelen legt es sich natürlich nahe, die Questio als die schriftliche Fassung der von Pietro Alighieri zitierten Disputation zu identifizieren. Somit wäre der Teilnehmer an der Disputation mit dem Autor der Questio identisch: Dante Alighieri. Die Echtheit der Questio ist allerdings schon so oft und hartnäckig bestritten worden7 , daß es sich empfiehlt, zunächst zwei grundsätzliche Fragen aufzuwerfen: In welchem Verhältnis steht die naturphilosophische Argumentation, die sich_in der Disputation und in der Questio findet, zur bibli6

§ 60: „... tractatus presens non est extra materiam naturalem..."; § 'öl:

„Determinata est hec phylosophia..." 7 Hier soll nicht die ausführliche Authentizitätsdebatte aufgerollt werden. Externe Faktoren zur Beurteilung der Echtheit (Fragen zur Textüberlieferung, zur Datierung und zum Stil) werden nicht behandelt. Von den internen Faktoren wird nur das Problem der Kohärenz oder Inkohärenz von Questio und Inf. XXXIV, 121-126 berücksichtigt. Die philologische Diskussion wurde vor allem vom polemischen Beitrag B. Nardis geprägt (La caduta di Lucifero e l'autenticita della „Quaestio de aqua et terra", Torino: Societa Editrice Internazionale 1959), der im Gegensatz zu F. Mazzoni (vgl. die in Anm. 1 zitierten Aufsätze) die Echtheit energisch bestritt. Die Autorschaft der Questio war jedoch bereits um die Jahrhundertwende kontrovers diskutiert worden. Vgl. vor allem die Beiträge von E. Moore, „Tue Genuineness of the Quaestio de aqua et terra", in: idem, Studies in Dante, second series, Oxford: Oarendon 1899, 303-374; G. Boffito, „Intorno alla Quaestio de aqua et terra attribuita a Dante. Memoria I/II", Memorie della Reale Accademia delle Scienze di Torino, 51 (1902), 73-159 und 52 (1903), 257 -342; V. Russo, Per l'autenticita della „Quaestio de aqua et terra", Catania: Giannotta 1901; V. Biagi, La „Quaestio de aqua et terra" di Dante Alighieri. Bibliografia - Dissertazione critica sull'autenticita - Testo e commento - Lessigrafia - Facsimili, Modena: Vincenzi e Nipoti 1907 (besonders 13-72). Einen kurzen Überblick über die Authentizitätsdebatte gibt M. Pastore Stocchi in: ED IV, 763-764.

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sehen Erklärung, die an der zitierten Stelle des Inf angeführt wird? Ist es überhaupt möglich, beide Erklärungsansätze - ad naturalem radonem und ftete loquendo-ein und demselben Autor zuzuschreiben, ohne daß sich Widersprüche ergeben? Diese Fragen sollen im zweiten Abschnitt behandelt werden. Danach gilt es, näher zu betrachten, was hier unter einer Untersuchung „gemäß der natürlichen Vernunft" genau zu verstehen ist. Im dritten Abschnitt soll deshalb untersucht werden, von welchem Natur- und Vernunftbegriff die Disputation ausgeht, und wie sich dieser spezifische Begriff in Dantes Konzeption der Naturphilosophie einfügt. Weiter bedarf die Problemstellung der ganzen Disputation einer Prüfung. Weshalb wird die auf den ersten Blick ziemlich sonderbare Frage nach der gegenseitigen Lage von Wasser und Erde überhaupt gestellt? Auf welchen Voraussetzungen beruht die Fragestellung, und wie ist die vorgeschlagene Lösung auf dem historischen Hintergrund zu verstehen? Diese Problemstellung soll im vierten Abschnitt kurz erörtert werden. Und schließlich soll nach der philosophiehistorischen Bedeutung der überlieferten Disputation gefragt werden: Wie ist die Disputation im Kontext der spätmittelalterlichen Naturwissenschaft und -philosophie zu situieren? Welche Funktion hat sie in diesem Kontext, und wie kann sie von einem modernen Standpunkt aus verstanden werden?

2. Das Verhältnis der naturphilosophischen Questio zur schöpfungstheologischen Kosmologie im Inferno Die Questio und Inf XXXN, 121-126 weisen unübersehbare Unterschiede auf. Die wichtigsten können folgendermaßen kurz zusammengefaßt werden: (1) Die Questio ist ein streng logischer Text, der gemäß der scholastischen Disputationstechnik aufgebaut ist. Er enthält ausschließlich Argumente aus der ptolemäisch-aristotelischen Tradition und gelangt erst nach einer sorgfältigen Abwägung

Einleitung

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der einzelnen Argumentationsschritte zu einer Lösung. Die beiden Terzinen des Inf. hingegen beschreiben mit Hilfe eines poetischen Bildes ein biblisch-kosmologisches Ereignis, sie enthalten jedoch keine deduktiv oder induktiv herleitbaren Argumente. (2) Gemäß der Questio ist die Erhebung der Erde über das Wasser auf die Wirkung der allgemeinenNaturzurückzuführen. Sie besteht also seit der Existenz der allgemeinen Natur, d.h. seit dem Schöpfungsakt. Die Verse des Inf. halten jedoch fest, daß zur Zeit der Schöpfung die Erde auf der nördlichen Hemisphäre noch nicht über das Wasser hinausragte. Erst der Fall Luzifers, der zwischen der Weltschöpfung und der Erschaffung des Menschen erfolgte, bewirkte das ungleiche Verhältnis der beiden Elemente. (3) Die Questio beschränkt sich auf die nördliche Hemisphäre, ja sogar nur auf den bewohnbaren vierten Teil (quarta habitabilis) dieser Hälfte der Weltkugel. Für eine Bestimmung der Lage von Wasser und Erde im bewohnbaren Teil der nördlichen Hemisphäre ist es unwesentlich, wie sich die beiden Elemente in den übrigen Erdteilen zueinander verhalten. Im lnf. ist das Verhältnis von nördlicher und südlicher Hemisphäre jedoch entscheidend. Das Hinausragen der Erde über das Wasser auf der nördlichen Hemisphäre ist nur möglich, weil sich die Erdmassen aus der südlichen Hemisphäre zurückgezogen haben. (4) In der Questio wird ausführlich diskutiert, in welchem Verhältnis die Elemente Wasser und Erde zu den Himmelskörpern -vor allem zum Mond und zum Fixsternhimmel-stehen, da die Erhebungskraft (virtus elevandi) von einem Himmelskörper ausgehen muß. In der zitierten Stelle des Inf. dagegen spielen die Himmelskörper keine Rolle. Der Fall Luzifers, ein momentanes Ereignis, reicht dort zur Erklärung der gegenseitigen Lage von Wasser und Erde aus, ohne daß auf eine ständig wirkende Kraft rekurriert wird. (5) Das halbmondförmige Emporragen der bewohnbaren Erde über das Wasser ist die einzige Erhebung, die in der Questio

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genannt wird. Gemäß der geographischen Gesamtkonzeption der Comm. gibt es jedoch noch eine weitere Erhebung: Auf der südlichen Hemisphäre ragt in antipodischer Lage zu Jerusalem der Läuterungsberg empor, auf dessen Spitze sich das irdische Paradies befindet. Aufgrund dieser und anderer Vergleiche haben verschiedene Interpreten behauptet, die Questio sei mit den Ausführungen über den Fall Luzifers unvereinbar und müsse folglich eine Fälschung sein, da die Echtheit des Inf außer Zweifel steht. Besonders B. Nardi hat mit Nachdruck betont, die Questio könne auf keinen Fall von Dante stammen, sondern sei zwischen 1330 und 1350-alsovor der dritten Redaktion von Pietro Alighieris Kommentar zur Comm - gefälscht worden8• Mit dieser These einer frühen Fälschung versuchte Nardi zu erklären, weshalb bereits Pietro Kenntnis von einer Disputation haben konnte, ohne daß die Disputation wirklich stattgefunden hatte. Hätte Dante nämlich an einer naturphilosophischen Disputation teilgenommen, hätte Pietro dieses wichtige Ereignis bereits in der ersten oder zweiten Fassung des Kommentars erwähnt. N ardis These ist schon mehrmals angegriffen worden und soll hier nicht detailliert diskutiert werden9• Im Hinblick auf die fünf oben erwähnten Unterschiede zwischen der Questio und der Inf-Stelle soll nur die Frage aufgeworfen werden, ob hier tatsächlich von einer Unvereinbarkeit im strengen Sinn, d.h. von einer logischen Kontradiktion, die Rede sein kann. Und es stellt • Vgl. B. Nardi, La caduta di Lucifero, op.cit., 66. Nardi hat damit die frühere Fälschungsthese von G. Boffito (Memoria 1, op.cit., 75) revidiert, der behauptet hatte, die Questio sei erst kurz vor der Drucklegung von B. Moncetti oder von einem anderen Augustiner gefälscht worden. • Vgl. vor allem die Kritik von F. Mazzoni, „II punto sulla Questio de aqua et terra", op.cit.; J. Freccero, „Satan's Fall and the Quaestio de aqua et terra", Italica 38 (1961), 99-115; G. Padoan, „Causa, struttura e significato del De situ et figura aque etterre",in: V. Branca/G. Padoan (Hrsg.), Dante e la cultura veneta. Atti del convegno di Studi (Venezia, Padova, Verona, 30 marzo-5 aprile 1966), Firenze: Olschki 1966, 347-366; F. Mazzoni, Introduzione alla Questio de aqua et terra, OM II, 712-732.

Einleitung

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sich vor allem die Frage, ob Nardis Schlußfolgerung zulässig ist Muß von einer Unvereinbarkeit auf eine Fälschung geschlossen werden? Zunächst ist der in (1) erwähnte Unterschied bezüglich Stil und Argumentation zu beurteilen. Es trifft zweifellos zu, daß sich die beiden Texte in der Gedankenführung, in der Argumentationsart und in den jeweiligen Prämissen deutlich voneinander unterscheiden. Dabei ist aber sogleich zu beachten, daß es sich um zwei verschiedene Textgattungen handelt Der Auszug aus dem Inf ist ein poetischer Text, der nicht unmittelbar als naturwissenschaftlicher Bericht gelesen werden darf, sondern zunächst in seiner künstlerischen Struktur entschlüsselt werden muß10• Er knüpft an biblische Topoi (Schöpfungsgeschichte, Aufstand Luzifers11) an, verbindet diese mit Elementen der aristotelischen Kosmologie (unterschiedliche Funktion von nördlicher und südlicher Hemisphäre, Einteilung der sub lunaren Welt in vier Elemente) und schafft daraus ein poetisches Bild. Im Gegensatz dazu ist die Questio eine scholastische Disputation, die festgelegten Regeln folgt.Nach der Formulierung der Frage (status questionis) und der Erwägung von zwei möglichen Antworten folgen zunächst die Argumente für die eine Position (rationes pro) sowie deren Widerlegung, danach die Argumente für die Gegenposition (rationes contra) und eine ausführliche Diskussion dieser Argumente. Schließlich wird eine abschließende Antwort gegeben ( determinatio questionis). Dieses Argumentationsschema entspricht genau der Struktur der universitären questio disputata, die Dante sicherlich gekannt hat12• Er wendet Es ist freilich seit den ersten Kommentatoren umstritten, nach welchen „Dekodierungsregeln" die Comm. gelesen werden soll. Vgl. zur Einführung P. Dronke,Dante and Medieval Latin Traditions, Cambridge: University Press 1986, 1-31. 11 Wie B. Nardi (La caduta di Lucifero, op.cit., 5-28) überzeugend gezeigt hat, stammen die biblischen Motive aus Jes. 14, 11-16; Apok. 12, 7-16; Lk. 10, 18; Mt. 25, 41. 12 Vgl. zur Einführung F. del Punta, „Questione", ED IV, 795-798; B.C. 10

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auch an vielen Stellen der Mon. diese strenge, auf logische Kohärenz bedachte Argumentationsform an13• Zudem weist die Questio zahlreiche Teilargumente und Formulierungen auf, die auch in anderen Werken Dantes zu finden sind14• Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß von Unterschieden in Stil und Argumentationsart nicht auf eine Unvereinbarkeit geschlossen werden kann. Es gilt erstens zu beachten, welcher Textgattung die beiden Texte zuzuordnen sind, und zweitens ist über den Textvergleich hinaus zu prüfen, ob Parallelen zu anderen Werken des Autors bestehen. Der in (2) erwähnte Unterschied wiegt schwerer, da er inhaltlicher Natur ist Allerdings istdie Tatsache, daß die Ungleichheit von Wasser und Erde im einen Text als Naturzustand erklärt wird, im anderen jedoch als Folge eines mythologischen Ereignisses gedeutet wird, noch kein zwingender Grund für eine Unvereinbarkeit der beiden Texte. Mindestens zwei Argumente zugunsten einer Vereinbarkeit können vorgebracht werden: Man kann erstens dafür argumentieren, daß Dante ein und dasselbe Naturphänomen aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet15• Im Inf. wählt er eine theologische Sicht und berücksichtigt die Schöpfungsgeschichte16, in der Questio hingegen beschränkt er sich auf eine philosophische Sicht. Im ersten Fall untersucht er, warum die einzelnen Naturkräfte-vor allem BazAn, „La quaestio disputata", in: Les genres litteraires dans les sources theologiques et philosophiques medievales. Actes du Colloque international de Louvain-la-Neuve, 25-27 mai 1981, Louvain-la-Neuve: Institut d'Etudes Medievales 1982, 31-49. 13 Dies belegt der Kommentar von R Imbach in: Ch. Flileler IR. Imbach, Dante Alighieri: Monarchia, Stuttgart: Reclam 1989. 14 Vgl. eine ausführliclie Liste dieser Parallelen in: F. Mazzoni, „II punto sulla Questio de aqua etterra", op.cit., 54-73. 1' Dies betonen J. Freccero, „Satan's Fall", op.cit., 110, und G. Padoan, Introduzione, op.cit., XXVII-XXXI. 16 Vgl. zum theologischen Hintergrund G. Stabile, „Cosmologia e teologia nella Commedia: La caduta di Lucifero e il rovesciamento del mondo", Letture Classensi 12 (1983), 139-173.

Einleitung

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die allgemeine und die partikuläre Natur- so wirken, wie dies seit der Erschaffung des Menschen der Fall ist. Folglich muß er auf die Entstehung der Naturkräfte vor der Erschaffung des Menschen eingehen. Im zweiten Fall hingegen konzentriert er sich nur darauf, wie die Naturkräfte wirken, und zwar unabhängig davon, auf welche übernatürliche Ursache sie zurückzuführen sind. Wenn die höhere Lage der Erde gegenüber dem Wasser im theologischen Text mit dem Fall Luzifers und im philosophischen Text mit der Wirkung der allgemeinen Natur begründet wird, so heißt dies, daß zwei unterschiedliche Erklärungsebenen vorliegen, die sich nicht notwendigerweise ausschließen: Der Fall Luzifers ist theologisch betrachtet die Ursache dafür, daß sich die Elemente auf eine bestimmte Art verteilt haben und gemäß bestimmten Naturkräften in einem gegenseitigen Verhältnis stehen. Wie dieses Verhältnis aber konkret aussieht und von welchen Naturkräften es geregelt wird, ist philosophisch zu untersuchen. Die Wahl zweier unterschiedlicher Erklärungsebenen zur Beschreibung eines Naturphänomens ist ein methodisches Prinzip, das Dante auch an anderen Stellen anwendet. Beispielsweise beschreibt er die Bewegung der Himmel zu Beginn des zweiten Buches des Conv. zuerst mit einem Gedicht, darauf erklärt er sie mit philosophischen Argumenten. Er hält fest, daß sich die beiden Darstellungen nicht ausschließen, denn „die wahre Aussage des ersten Verses der vorangestellten Canzone kann man durch eine fiktive und literarische Auslegung erkennen." 17 Die Bewegung der Himmel kann also sowohl naturphilosophisch als auch poetisch angemessen erklärt werden. Bei der Beurteilung einer Erklärung ist nämlich nicht nur der wörtliche Gehalt, sondern stets auch der zugrundeliegende modus tractandi zu berücksichConv. II, xv, 2: „ ... vedere si puo la vera sentenza del primo verso de la canzone proposta, per Ja esposizione fittizia e litterale." Vgl. zum Merkmal der Fiktion, das die Poesie kennzeichnet, VE II, iv, 2: „ ... si poesim recte consideremus: que nichil aliud est quam fictio rethorica musicaque posita." 17

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tigen, wie Dante im XIII. Bri,ef ausführlich erläutert. Je nach Argumentationsart verändert sich die Struktur einer Erklärung (z.B. fiktiv, deskriptiv oder explikativ), ohne daß sich notwendigerweise Widersprüche für den erklärten Sachverhalt ergeben18• Man könnte zweitens aber auch die These vertreten, daß Dante seine Kosmologie entwickelt und teilweise revidiert hat. In einer frühen Phase (ca. 1304-08), in der das lnf entstanden ist, nimmt er einen biblisch geprägten Standpunkt ein und behauptet, daß die ungleiche Lage von Wasser und Erde unmittelbar auf den Fall Luzifers zurückzuführen ist. In einer späteren Phase hingegen(ca.1316-20),indererdie QuestiounddasPar. verfaßt, distanziert er sich von der biblischen Interpretation und wählt einen vorwiegend naturphilosophischen Standpunkt. Als ein Indiz für diese Entwicklung kann Par. XXIX, 49-57 gelesen werden, wo Dante ein zweites Mal den Fall Luzifers erwähnt, ohne jedoch auf allfällige Konsequenzen für das gegenseitige Verhältnis der Elemente hinzuweisen. Er hält nur fest, der Engelsturz habe die Grundlage der Elemente aufgewühlt (Vers 51: „turbü il suggetto d'i vostri alimenti"). 'Suggetto d'alimenti' kann hier, wie F. Mazzoni gezeigt hat19, im Sinn von 'subiectwn elementorum' gelesen werden. Darunter ist die erste Materie zu verstehen, die sich noch nicht mit konkreten Formen verbunden hat und noch keine distinkten Elemente bildet. Der Engelsturz fällt somit injene Zeit, in der die Welt sich in einem Urzustand befand und nicht in Wasser, Erde, Feuer und Luft aufgeteilt war. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Naturkräfte, die das Verhältnis der einzelnen Elemente geregelt hätten. Freilich lehnt Dante auch in der Spätphase des Par. nicht die theologische Lehrmeinung ab; er bestreitet nicht, daß der Fall Luzifers stattVgl. Ep. XIII, 27: „Forma sive modus tractandi est poeticus, fictivus, descriptivus, digressivus, transumptivus, et cum hoc diffinitivus, divisivus, probativus, improbativus, et exemplorum positivus." Dante lehnt sich mit dieser Unterteilung an ein verbreitetes Schema der mittelalterlichen Rhetorik an. Vgl. den Kommentar von G. Brugnoli, OM II, 613-614. 19 Vgl. Introduzione, op.cit., 7'23. 18

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gefunden hat Er erwähnt aber nicht eine mögliche Relevanz dieses Ereignisses für die Erklärung von Naturphänomenen. Da sichdieNaturwissenschaftnuraufkonkrete,miteinerFormverbundene Materie bezieht, die Vertreibung des abtrünnigen Engels jedoch vor der Bildung dieser individualisierten Materie erfolgt ist, kann die Naturwissenschaft von dem biblischen Ereignis absehen. Aus den beiden Argumenten läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß der in (2) erwähnte Unterschied nicht notwendigerweise als inhaltlicher Gegensatz zu interpretieren ist. Er kann entweder als eine Differenz in der Problemperspektive oder als eine werkimmanente Entwicklung erklärt werden. Der in (3) angeführte Einwand ist zunächst in formaler Hinsicht zu prüfen. Von der Tatsache, daß in der Questio nur die nördliche Hemisphäre diskutiert wird, während im Inf das Verhältnis beider Hemisphären Untersuchungsgegenstand ist, wird auf eine Unvereinbarkeit der beiden Texte geschlossen. Dies ist eine voreilige Schlußfolgerung; was in einem Text nicht erwähnt wird, muß nicht unbedingtin Widerspruch zu dem stehen, was in einem anderen Text ausgeführt wird. Wird der kosmographische Hintergrund der Questio berücksichtigt, findet sich ein konkreter Grund, weshalb die Frage nach der südlichen Hemisphäre nicht behandelt wird. Das in der Questio skizzierte Weltbild entspricht demjenigen einer Macrobius-Weltkarte (vgl. Abbildung S. XX): Die kugelförmige Welt wird in fünf Klimazonen eingeteilt, von denen drei (Nordpol-, Südpol- und Äquatorgegend) wegen ihrer großen Kälte bzw. Hitze unbewohnbar sind211• Die beiden gemäßigten Klimazonen erstrecken sich halbmondförmigje zwischen einer heißen und einer kalten Zone. Die gemäßigte Zone auf der nördlichen Hemisphäre wird in der Questio ausführlich beschrieben(§§ 54-55). Sie reicht von den Gaden (westliche GrenSiehe auch VE 1, viü, 1; Conv. III, v, 12; Par. XXVII, 79-80. In: Mon. I, xiv, 6 spricht Dante hingegen von sieben Klimazonen. 20

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Macrobius-Weltkarte mit Darstellung der fünf Klimazanen

1 kalte Zone - 2 gemäßigte, bewohnbare Zone - 3 heiße Zone 4 gemäßigte antipodische Zone - 5 kalte Zone

Karte No. ITT i Macrobius, Brescia, 1483, British Library IB. 31072 aus T. Campbell, Tue Earliest Printed Maps 1472-1500, London 19ITT.

Einleitung

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ze) bis zum Ganges (östliche Grenze) und vom Polarkreis (nördliche Grenze) bis zum Äquatorkreis (südliche Grenze). Das wasserfreie, halbmondförmige Land in dieser gemäßigten Klimazone ist genau der bewohnbare Teil der Erde. Nun ist es vorstellbar, daß die gemäßigte Klimazone auf der südlichen Hemisphäre eine ähnliche Form aufweist und ebenfalls bewohnbar ist. Bereits Macrobius hat darauf hingewiesen, daß auf der südlichen Hemisphäre „Gegenfüßler" leben können21 • Die Existenz dieser Antipoden war allerdings während des ganzen Mittelalters umstritten und wurde meistens mit einem von Augustin stammenden theologischen Argument abgelehnt22• Da die Gegenfüßler durch die undurchdringbare Äquatorzone von den Bewohnern der nördlichen Hemisphäre getrennt sind, können sie nicht zum selben Menschengeschlecht gehören. Dies bedeutet, daß sie nicht von Adam und Eva abstammen und folglich auch nicht mit der Erbsünde belastet sind. Dann können sie aber auch nicht durch Jesus Christus von der Erbsünde befreit werden -eine häretische Vorstellung, da Jesus doch alle Menschen erlöst hat. Es läßt sich nicht nachweisen, ob sich Dante dieser weit verbreiteten Argumentation angeschlossen hat. Auf jeden Fall erwähnt er an keiner Stelle die Existenz von Antipoden23 • In der Commentariorum in Somnium Scipionis libri duo, II, 5.33, ed. L. Scarpa, Padova: Liviana 1981, 286: „Hi quos separat a nobis perusta, quos Graeci antoikous vocant, similiter ab illis qui inferiorem wnae suae incolunt partem, interiecta australi gelida separantur; rursus illos ab antoecis suis, id est per nostri cinguli inferiora viventibus, interiectio ardentis sequestrat, et illi a nobis septentrionalis extremitatis rigore removentur." 22 Vgl. zum Diskussionshintergrund G. Boffito, „La Jeggenda degli Antipodi", Miscellanea di studi critici edita in onore di Arturo Graf, Bergamo 1903, 583-001; V.I.J. Flint, „Monsters and Antipodes in the Early Middle Ages and Enlightenment", Viator 15 (1984), 65-80. 23 Die „guten Menschen", die gemäß Purg. XXVII, 91-96 das irdische Paradies (in antipodischer Lage zu Jerusalem) bewohnt haben, sind nicht Antipoden im strengen Sinn. Es handelt sich vielmehr um das Menschengeschlecht im Garten Eden, das wegen des Sündenfalls aus dem irdischen 21

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Odysseus-Szene, wo die waghalsige, todbringende Fahrt über den Äquator hinaus beschrieben wird, hält Odysseus in seiner Rede an die Gefährten ausdrücklich fest, er breche in ein unbewohntes Gebiet (mondo sanza gente) auf24. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß die Frage nach wasserfreiem Land auf der südlichen Hemisphäre entfällt, wenn die Existenz von Menschen auf diesem Erdteil ausgeschlossen wird. Das Problem, warum die Erde in einem bewohnbaren Teil über das Wasser hinausragt, ist nämlich nur dann relevant, wenn auch angenommen wird, daß der bewohnbare Teil wirklich bewohnt ist, denn die Menschen sind für ihr überleben auf eine wasserfreie Zone angewiesen. Ist die südliche Hemisphäre ohnehin frei von Menschen, ist es bedeutungslos, ob sich dort - wie im Jnf behauptet wird-die Erde zurückgezogen hat, oder ob es ähnlich wie auf der nördlichen Hemisphäre Stellen gibt, an denen die Erde über das Wasser hinausragt Eine weitere Antwort auf die Frage, weshalb die Lage der Elemente auf der südlichen Hemisphäre nicht thematisiert wird, findet sich explizit in der Questio. In § 75 heißt es: „Aber dann könnte weiter argumentiert und gefragt werden: Warum erfolgte die Erhebung einer Hemisphäre eher auf dieser als auf jener Seite? Darauf ist zu erwidern[...], daß solche Fragen aus großer Dummheit oder großer Anmaßung entstehen, weil sie unser Denkvermögen übersteigen." Diese Stelle ist zweideutig; es ist nicht klar, ob mit der Gegenüberstellung von dieser und jener Seite die Opposition von nördlicher und südlicher Hemisphäre oder die Opposition von östlichem und westlichem Teil auf der nördlichen Hemisphäre gemeint ist. Wenn aber die erste Interpretation angenommen wird, steht fest, daß der Autor die Frage Paradies vertrieben wurde und nun die quarta habitabilis bewohnt. Vgl. zur geographischen Konzeption des irdischen Paradieses ausführlich B. Nardi, „II mito dell'Eden", Saggi di filosofia dantesca, Firenze: La Nuova Italia

1967, 311-340. Vgl. Inf. XXVI, 117. Daß die Fahrt in die südliche Hemisphäre führt, geht aus Vers 127 hervor: „Tutte Je stelle gia de l'altro polo ... " 24

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dadurch beantwortet, daß er sie zurückweist. Da wir wegen der Undurchdringbarkeit der Äquatorzone kein Wissen von der südlichen Hemisphäre erwerben können, ist es uns unmöglich, irgendeine Aussage über diesen Erdteil zu treffen. Das prinzipiell Unerfahrbare übersteigt das natürliche Denkvermögen. Folglich ist es unsinnig, die südliche Hemisphäre in eine naturphilosophische Untersuchung über die Lage von Wasser und Erde einzubeziehen. Dies schließt freilich nicht aus, daß die südliche Hemisphäre in einer theologischen, nicht-empirischen Betrachtungsweise, wie dies im Jnf der Fall ist, berücksichtigt wird. Zusammenfassend läßt sich festhalten: Die Tatsache, daß die südliche Hemisphäre in der Questio nicht erwähnt wird, ist nicht notwendigerweise als ein Widerspruch zum lnf zu verstehen. Entweder ist ein Einbezug der südlichen Hemisphäre aus praktischen Gründen überflüssig, weil keine Existenz von Menschen auf dieser Erdhälfte angenommen wird, so daß auch das Emporragen der Erde bedeutungslos ist. Oder aber es wird von vornherein ausgeschlossen, daß mittels der natürlichen Erkenntnis eine sinnvolle Aussage über die südliche Hemisphäre gemacht werden kann, weil jenseits des Äquators nichts unserer Erfahrung zugänglich ist. Der in (4) formulierte Einwand weist darauf hin, daß in der Questio die Wirkung der Himmelskörper - d.h. der neun Himmelssphären vom Mond bis zum Kristallhimmel - thematisiert wird, während im Inf ausschließlich vom Sturz Luzifers die Rede ist. Gegen diesen Einwand können zwei Argumente vorgebracht werden. Zunächst ist wie bereits bezüglich des zweiten Einwandes festzuhalten, daß die beiden Texte von zwei unterschiedlichen Perspektiven ausgehen und deshalb auch unterschiedliche Fragestellungen aufweisen. In der theologischen Sichtweise des lnf ist die Wirkung der Himmelssphären von untergeordneter Bedeutung. Die grundlegende Frage lautet vielmehr: Was sind die durch den Schöpfungsakt und durch die frühe Schöpfungsgeschichte geschaffenen Bedingungen dafür, daß die Welt sich aus

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verschiedenen Elementen zusammensetzt? Die Wirkung der Himmelssphären wird dabei zwar nicht vollständig ausgeblendet; in Par. VII, 137 werden die Sterne ausdrücklich als die prägende Kraft (virtU informante) genannt, die auf die Materie einwirkt. Welche Himmelssphäre einwirkt und in welcher Form sie die Materie prägt, ist jedoch eine sekundäre Frage, die sich erst innerhalb der geschaffenen Naturordnung stellt. In der naturphilosophischen Perspektive der Questio hingegen lautet die Ausgangsfrage: Wie ist innerhalb des geschaffenen Kosmos, in dessen Zentrum sich die Weltkugel befindet, das Verhältnis zwischen dem Element Erde und den Himmelskörpern zu erklären? Und in welchem Himmelskörper muß die Ursache für gewisse Naturphänomene, z.B. für das Emporragen der Erde, gesucht werden? Die theologische und die philosophische Perspektive schließen sich nicht aus, solange angenommen wird, daß der Schöpfungsakt notwendigerweise die Bedingung dafür schafft, daß eine natürliche Ordnung entsteht, die mit rationalen, naturphilosophischen Methoden untersucht werden kann25 • Weiter kann argumentiert werden, daß die Frage nach der Wirkursache nicht nur in theologischer, sondern auch in philosophischer Perspektive von zweitrangiger Bedeutung ist. Erst nachdem ausführlich erörtert wurde, ob die Erde über das Wasser hinausragt, wird die Frage aufgeworfen, wodurch das Hinausragen bewirkt wird. „Hier handelt es sich um einen Argumentationsverlauf gemäß der Kunst [der Logik], denn die Frage, Die enge Verbindung von Schöpfungsakt und natürlicher Ordnung wurde allerdings bereits im 13. Jahrhundert angefochten, als im Zuge der Aristoteles-Rezeption die Möglichkeit einer ewigen, nicht erschaffenen Welt erwogen wurde. Eine besondere Brisanz erhielten diese Diskussionen 1277, als E. Tempi er, der Bischof von Paris, ausdrücklich die These verurteilte, die Welt habe ewig existiert und sei nicht durch einen Schöpfungsakt entstanden. Dante scheint von diesen Diskussionen allerdings nicht beeinflußt zu sein. Vgl. zur Einführung L. Bianchi, L'errore di Aristotele. La polemica contro l'eternita del mondo nel XIII secolo, Firenze: La Nuova Italia 1984; R.C. Dales, Medieval Discussions of the Eternity of the World, Leiden: Brill 1990 (zum frühen 14. Jahrhundert 199-253). 25

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ob etwas ist, muß der Frage, weshalb etwas ist, vorausgehen", heißt es in§ 59 in Anlehnung an die aristotelische Wissenschaftslehre. Es muß als genau zwischen einer primären Frage („Ragt die Erde über das Wasser hinaus oder umgekehrt?") und einer sekundären Frage („Was ist die Wirkursache des Hinausragens?") unterschieden werden. Wenn sich die Frage nach der spezifischen Ursache nur im Schlußteil der Questio und nicht in denzweiTerzinendeslnf findet,istdiesnochkeinBelegftireine Unvereinbarkeit der beiden Texte. Dies bedeutet nur, daß die Questio auch die logisch sekundäre Frage behandelt, während sich die kurze Stelle im Inf auf die logisch primäre Frage beschränkt. Als Antwort auf den Einwand (4) kann festgehalten werden, daß die fehlende Erwähnung der Himmelskörper im Jnf entweder auf die spezifisch theologische Perspektive oder auf die logisch sekundäre Bedeutung dieses Aspekts zurückzuführen ist. Es wäre jedoch nicht gerechtfertigt, in diesem Punkt einen Gegensatz zur Questio zu sehen. Der in (5) erwähnte Gegensatz, den B. Nardi mit Nachdruck betont hat26, besteht darin, daß in der Questio nur von einer Ausbuchtung auf der nördlichen Hemisphäre die Rede ist, während im zweiten Gesang des Purg. ausführlich erklärt wird, daß auf der südlichen Hemisphäre der Läuterungsberg emporragtZ1. Folglich muß es gemäß der geographischen Konzeption des Purg. mindestens zwei Ausbuchtungen geben, während in der Questio nur eine Ausbuchtung erwähnt und hinsichtlich ihrer Ursache erklärt wird. Eine Antwort auf diesen Einwand erfordert zunächst eine grundsätzliche Bemerkung zur mittelalterlichen Geographie. Der Läuterungsberg ist sicherlich nicht eine rein literarische FikVgl. La caduta di Lucifero, op.cit., 65-66. r1 Vgl. auch Purg. XXVIII, 91-102, wo das irdische Paradies auf der Spitze des Läuterungsberges beschrieben wird. Siehe zur geographischen Gesamtkonzeption der Comm. J.G. Demaray, Dante and the Book of the Cosmos, Philadelphia: The American Philosophical Society 1987. 26

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tion, sondern er bildet einen Bestandteil des christlich geprägten Weltbildes und ist gelegentlich sogar auf Weltkarten eingezeichnet. Allerdings ist eine mittelalterliche Karte nicht einfach das Abbild einer objektiv gegebenen Welt, sondern stets Ausdruck einer subjektiv gedeuteten Welt Vielfach ist die Kartographie sogar losgelöst von einer geographischen Erdvermessung und dient der Bibelexegese als Hilfswissenschaft. Sie stellt die Orte des göttlichen Handelns und die Stellung des Menschen im Heilsgeschehen dar28 • Auf dem Hintergrund dieses spezifisch mittelalterlichen Kartenverständnisses kann die geographische Situierung des Läuterungsberges gedeutet werden. Die Existenz eines solchen Berges ist nicht als die Existenz eines genau vermessenen, realen Berges zu verstehen, sondern vielmehr als allegorisch dargestellter Ort der inneren Läuterung. Der Mensch als viator mundi bereitet sich im Übergang vom irdischen zum paradiesischen Leben am Ort der Läuterung auf die ewige Glückseligkeit vor. Die antipodische Lage des Läuterungsbergs gegenüber Jerusalem symbolisiert eine Spannung innerhalb des christlich geprägten Weltbildes: Der Ort des Sündenfalls (auf der Spitze des Läuterungsberges befindet sich das irdische Paradies, aus dem die Menschen vertrieben wurden) liegt gegenüber dem Ort der Auferstehung29. Der Läuterungsberg ist also offensichtlich in theoloVgl. A.-D. van den Brincken, „ ... utdescriberetur universus orbis. Zur Universalkartographie des Mittelalters", in: A. Zimmermann (Hrsg.), Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters, Miscellanea Mediaevalia 7, Berlin: de Gruyter 1970, 249-278 (siehe besonders die Analyse des Ausdrucks 'descriptio orbis', 257-264). 29 B. Nardi hat bereits auf diese theologische Bedeutung des Läuterungsberges hingewiesen. „II mito dell'Eden", Saggi di filosofia dantesca, op.cit., 313: „Gia nel porre Ja montagna dell'Eden agli antipodi di Gerusalemme, il Poeta fu indotto da! bisogno di simboleggiare l'opposizione morale ehe v'e tra Ja colpa antica e iJ Riscatto, tra l'uomo peccatore e l'uomo redentore ... ". Nardis naturalistische Deutung des Läuterungsberges in La caduta di Lucifero ist allerdings kaum mit dieser früheren Aussage („II mito dell'Eden" erschien zuerst 1922) vereinbar. 28

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gischer Perspektive zu deuten, und er fällt nicht in das U ntersuchungsgebiet der Naturphilosophie. Somit ist es nicht die Aufgabe der Questio, die das Gebiet der Naturphilosophie nicht verläßt, die Frage zu erörtern, wo und weshalb der Läuterungsberg über das Wasser hinausragt. Der in (5) formulierte Einwand kann folglich zurückgewiesen werden. Die Tatsache, daß in der Questio nur die Ausbuchtung der Erde auf dernördlichenHemisphäre erwähnt wird, bedeutet lediglich, daß die Untersuchung auf die Existenz einer natürlichen Ausbuchtung beschränkt wird. Dies schließt aber nicht aus, daß imPurg. zusätzlich eine allegorisch-theologisch verstandene Ausbuchtung angenommen werden kann. Die kurze Diskussion der fünf Haupteinwände gegen die Vereinbarkeit von Inf XXXIV, 121-126 mit der Questio (und dies heißt immer auch: mit der von Pietro Alighieri zitierten Disputation) hat zu zwei Hauptergebnissen geführt. Erstens sind die beiden Texte in vielfacher Hinsicht vereinbar, wenn die einzelnen Argumente in einem weiteren Kontext situiert und teilweise auch unter Berücksichtigung einer werkimmanenten Entwicklung interpretiert werden. Zweitens darf aus der Unvereinbarkeit, die in gewissen Punkten zweifellos besteht, nicht voreilig auf die Unechtheit der Questio geschlossen werden. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß dieselbe Fragestellung aus verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Methoden untersucht werden kann. Wird Dante diese Methodenpluralität zugestanden30, kann er als der Autor beider Texte angenommen werden, ohne daß sich daraus Widersprüche ergeben31 • Sicherlich ist da"'Vgl. H. Rheinfelder, „Die Mannigfaltigkeit wissenschaftlicher und künstlerischer Methoden im Werk Dantes", in: Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters, op.cit., 172-1%. Der Autor weist nach, daß Dante nicht nur in verschiedenen Werken unterschiedlichen methodischen Ansätze folgt, sondern sogar innerhalb eines Werkes mehrere Methoden vereint. 31 Nardis hartnäckige Leugnung einer Vereinbarkeit beruht nicht zuletzt auf seinem Gesamtbild Dantes. Er sieht in Dante weniger den Intellektuel-

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mit noch kein endgültiger Beweis für die Echtheit der Questio erbracht. Es besteht aber eine ausreichende Grundlage für die Annahme, daß Pietro Alighieri sich nicht geirrt hat, wenn er seinen Vater Dante als Teilnehmer an einer Disputation über das Wasser und die Erde nennt.

3. Dantes Naturbegriff und die Funktion der Naturphilosophie Pietro Alighieri hält fest, im Gegensatz zu den poetisch-fiktiven Ausführungen im Inf sei die Questio „gemäß der Wahrheit und der natürlichen Vernunft" zu verstehen. Und auch in der Questio heißt es, die Abhandlung verfolge das Ziel, die Wahrheit aufzuzeigen und falsche Gegenargumente aufzulösen(§ 3). Der Wahrheitsanspruch wird damit begründet, daß es sich um eine rein wissenschaftliche Disputation handelt, die eine Gewißheit gemäß der materia naturalis anstrebt (§ 60). Diese Materie - die Natur in ihren einzelnen Erscheinungen und in der Gesamtstruktur - soll in erster Linie nicht mit empirischen Methoden untersucht werden. Das Ziel ist vielmehr eine Reflexion, die sich zwar teilweise auf empirisch-induktive Argumente stützt, jedoch vor allem mit Hilfe nicht-empirischer Argumente die Naturprinzipien und deren Wirkung auf das bewegbare Seiende zu bestimmen versucht. Daher sollen nicht die Methoden einer spezifischen Naturwissenschaft, sondern jene der Naturphilosophie angewandt werden. Dante nennt die ganze Untersuchung ausdrücklich hec phylosophia (§ 87), und er stellt sich selber, den Untersuchenden, als Philosophen vor (§§ 1, 87), wenn er sich auch in aller Bescheidenheit für den geringsten der Philosophen hält. Jen, der verschiedene Methoden verbindet, als vielmehr den Propheten; vgl. „Dante profeta", in B. N ardi, Dante e Ja cultura medievale, ed. P. Mazzantini, Roma / Bari: Laterza 1985, 265-326.

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Aufgrund dieser Aussagen empfiehlt es sich, zwei grundsätzliche Fragen zu klären, um die Voraussetzungen zu verstehen, die der Questio zugrundeliegen: Von welchem Naturbegriff geht Dante aus, wenn er von der materia naturalis spricht? Wie untersucht die Naturphilosophie diese materia naturalis, und wie verhält sich die Naturphilosophie zu den anderen philosophischen und nicht-philosophischen Disziplinen im Rahmen des ganzen Wissenschaftsgefüges? Auf die Frage nach dem Naturbegriff findet sich eine konzise Antwort in Mon. II, ii, 2, wo Dante die Natur mit der Kunst vergleicht „Man muß also wissen: So wie die Kunst in dreifacher Abstufung existiert, nämlich im Geist des Künstlers, im Werkzeug und in der durch die Kunst geformten Materie, ebenso können wir der Natur in dreifacher Abstufung ansichtig werden. Die Natur existiert nämlich im Geist des ersten Bewegers, der Gott ist; dann im Himmel wie in einem Werkzeug, mittels dessen die Ähnlichkeit der ewigen Gutheit in der unbeständigen Materie entfaltet wird. "32 Offensichtlich sind drei verschiedene Arten oder Ebenen von Natur zu unterscheiden: In einem ersten, neuplatonischen Sinn, der vor allem durch den anonymen Liber de causis geprägt ist, wird die Natur mit dem ersten Beweger oder mit den Intelligenzen des Himmels identifiziert. Sie ist somit nicht die konkrete, materielle Natur, sondern vielmehr eine allgemeine Form oder Idee der konkreten Natur und existiert auf ideale Weise in Gott. Als Archetyp oder exemplar besteht sie ewig33. Da es zwischen der Existenz im „Sciendum est igitur quod, quemadmodum ars in triplici gradu invenitur, in mente scilicet artificis, in organo et in materia formata per artem, sie et naturam in triplici gradu possumus intueri. Est enim natura in mente primi motoris, qui Deus est; deinde in celo, tanquam in organo quo mediante similitudo bonitatis ecterne in fluitantem materiam explicatur." Die Übersetzung ist entnommen aus: R. Imbach/ Ch. Flüeler, Dante Alighieri: Monarchia, op.cit., 119. Eine gründliche Analyse dieser Stelle bietet E. Volpini, „Natura", ED IV, 14-17. 33 Vgl. zu den Intelligenzen Conv. II, iv, 5; zum Archetyp, der in mente 32

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Geist Gottes und Gott selbst keine Realdistinktion gibt, kann man sogar behaupten, daß diese höchste Natur nichts anderes als Gott ist. Unter der Natur ist also die natura naturans34 zu verstehen, die eine Existenz der himmlischen und irdischen natura naturata ermöglicht. Als erste Ursache gibt sie-zusammen mit den zweiten Ursachen-jeder einzelnen Materie nicht nur die individuelle Existenz, sondern auch die spezifische Form. In einem zweiten, rein naturphilosophischen Sinn ist die Natur die natura universalis35, die zwar unmittelbar von Gott geschaffen wurde, jedoch nicht mit Gott gleichgesetzt werden darf. Sie ist vielmehr mit den neun Himmelssphären identisch, die als zweite Ursachen wirken. Die ersten sieben Sphären, in denen die Planeten kreisen, sowie der Fixsternhimmel umrunden zwar die unbewegliche Erde, doch sie werden selber bewegt. Der neunte Himmel oder Kristallhimmel (auch diaphanum genannt) besteht aus reinem Licht und ist nicht wahrnehmbar.Naturphilosophisch gesehen ist dieser Himmel der Beweger für alle anderen Himmel. Theologisch betrachtet wird er von einem zehnten Himmel, dem Empyreum, bewegt36• Die allgemeine Natur in den Himmelssphären verfolgt das Ziel, eine vollkommene Ordnung in der partikulären Natur herzustellen und alle Formen, die nur potentiell existieren, in der Materie zu aktualisieren37. Die allgemeine Natur bestimmt auch die Struktur jedes einzelnen Lebewesens. Beispielsweise gehorcht die partikuläre

primi motoris existiert, Mon. II, ü, 20. Zum neuplatonischen Einfluß siehe B. Nardi, „Le citazioni dantesche de! Liber de causis", in: Saggi di filosofia dantesca, Firenze: La Nuova Italia 1967, 81-109. 34 Vgl. Mon. II, ü, 3; VE 1, vii, 4. 3s Vgl. Conv. III, iv, 11. 36 Vgl. Conv. II, iü, 7; ausführlich dazu B. Nardi, „La dottrina dell'empireo nella sua genesi storica e nel pensiero dantesco", in: Saggi di filosofia dantesca, op.cit., 167-214. 31 Vgl. Conv. IV, xxvi, 3; Questio 45 und 48. Dante spricht auch von einem Gegensatz zwischen natura superior (Mon. 1, i, 1) und natura inferior (VE 1, iv,6).

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Natur der allgemeinen, wenn diese anordnet, daß der Mensch genau zweiunddreißig Zähne und fünf Finger an jeder Hand hat38 • In einem dritten, ebenfalls naturphilosophischen Sinn ist die Natur die natura particularis, die der allgemeinen Natur untergeordnet ist: die sublunare Materie, in der die Formen aktualisiert werden. Jede Unvollkommenheit in der Natur ist auf diese individuelle Materie zuriickzuftihren39• Alle Gegenstände der partikulären Natur streben zwar aufgrund eines individuellen Antriebes - Dante spricht von einem speziale anwrf!'O- nach dem Ort, der ihnen natürlicherweise entspricht Durch eine Unvollkommenheit der Materie oder durch den Einfluß eines anderen Gegenstandes können sie jedoch am Erreichen des Zieles gehindert werden. Beispielsweise strebt jeder schwere Körper aufgrund seines Gewichts nach unten, er kann aber von einem Magnet nach oben gezogen werden, wenn es sich um einen metallenen Körper handelt, oder er kann durch einen anderen Körper nach oben getragen werden. Im Hinblick auf den ontischen Status sind zwei verschiedene Arten von partikulärer Natur zu unterscheiden: Ist die partikuläre Natur noch nicht mit einer Form verbunden (d.h. bildet sie noch nicht einen konkreten, aus Materie und Form bestehenden Gegenstand), so ist sie die in potentia existierende erste Materie. Ist die partikuläre Natur jedoch aktualisiert ( d.h. mit einer Form verbunden), ist sie ein konkreter, individueller Gegenstand. Die edelste dieser individuellen Naturen ist die menschliche41 • Conv.1, vii, 9: „„. si come la natura particulare e obediente a la universale, quando fa trentadue denti a l'uomo, e non pill ne meno; e quando fa cinque dita ne la mano, e non pill ne meno." 39 Vgl. Mon. II, ii, 3. 40 Vgl. Omv. III, iii, 2. 41 Vgl. zur Unterscheidung von erster und individuierter Materie Questio § 45. Der Vorrang der menschlichen Natur gegenüber allen anderen individuierten Naturen (vgl. Conv. II, viii, 10) wird damit begründet, daß sämtliche partikulären Naturen in einer Seinshierarchie geordnet sind, an deren Spitze die vernunftbegabten Lebewesen stehen. 38

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Aus dieser gerafften Darstellung geht hervor, daß Dante über einen mehrschichtigen, hierarchisch konzipierten Naturbegriff verfügt. Er beschränkt sich nicht auf die aristotelische Definition, gemäß der sich die Natur aus dem bewegbaren Seienden zusammensetzt, denn dieser Naturbegriff deckt nur einen Teil der Natur ab. Mit seiner Gleichsetzung von höchster Natur und Gott greift Dante auch auf neuplatonisch-theologisches Gedankengut zurück. Sicherlich sind die begrifflichen Unterscheidungen, vor allem die Gegenüberstellungen natura naturans - naturata und natura universalis - particularis keine Innovation Dantes. Sie gehen auf antike Quellen zurück und finden sich in zahlreichen naturphilosophischen Abhandlungen des 13. Jahrhunderts42. Bemerkenswert ist jedoch, daß Dante die aristotelische und die neuplatonische Tradition miteinander verbindet und einen komplexen Naturbegriff bildet. Grob zusammengefaßt lassen sich drei Naturebenen unterscheiden: (a) die göttliche Natur, Ursprung und erste Ursache jeder himmlischen und irdischen Natur; (b) die Himmelskörper, zweite Ursache und Ordnungsprinzip für die sub lunare Welt; (c) die konkrete, materielle Natur in der sublunaren Welt. Diese Unterscheidung von drei Ebenen ist für ein Verständnis der Questio entscheidend. Dante betont nämlich, die Disputation berücksichtige keine Argumente extra materiam naturalem (§ 60). Damit verdeutlicht er, daß der erste, durch die neuplatonische Theologie beeinflußte Naturbegriff in diesem Kontext ausgeblendet wird. Nicht die Wirkung Gottes als natura naturans soll diskutiert werden, sondern es gilt vielmehr, das Verhältnis zwischen den Himmelssphären und der sublunaren Natur zu analysieren. Daher beruft sich Dante ausdrücklich auf die Differenz zwischen allgemeiner und partikulärer Natur (§§ 44-48). Diese Unterscheidung ist für die Beantwortung der Frage von Vgl. zur Begriffsgeschichte die Beiträge von K. Hedwig und T. Borsche/ B. Hoppe in HWPh VI, 504-517; zu den antiken Quellen A. Pellicer, Natura. Etude semantique et historique du mot latin, Paris: Presses Universitaires de France 1966, 227-270. 42

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grundlegender Bedeutung: Ein konkretes Natwphänomen, nämlich die Erhebung der Erde über das Wasser, ist darauf zurückzuführen, daß die allgemeine Natur auf die partikuläre einwirkt. Würde nur die partikuläre Natur betrachtet, könnte die Erderhebung nicht ausreichend erklärtwerden, denn sowohl die Lehrsätze der aristotelischen Kosmologie als auch die Sinneswahrnehmung bekräftigen die These, daß das Wasser über die Erde hinausragen muß. Erst eine Berücksichtigung des hierarchischen Naturbegriffs ermöglicht die differenzierte Antwort, daß das Wasser zwar gemäß der partikulären Natur über die Erde hinausragt, an einer ganz bestimmten Stelle-genau auf der quarta habitabilis-jedoch von der allgemeinen Natur niedergedrückt wird. Nach dieser kurzen Erläuterung des Naturbegriffs gilt es nun zu klären, in welcher Hinsicht und mit welchen Methoden die Natur gemäß Dante untersucht werden kann. zweifellos fällt der Naturphilosophie (auch scienza naturale oder fisica genannt43) die Aufgabe der Naturbetrachtung zu. Doch was ist hier unter Naturphilosophie genau zu verstehen? Von welchem allgemeinen Philosophieverständnis geht die Definition dieser philosophischen Spezialdisziplin aus? Gleich zu Beginn zweier Werke hält Dante in Anknüpfung an Aristoteles fest, daß jeder Mensch von Natur aus nach Wissen und Wahrheit strebt44• Dieses anthropologische Faktum beruht darauf, daß jedes Lebewesen nach seiner Vervollkommnung trachtet. Die höchste Vollkommenheit des Menschen besteht im Wissenserwerb, in ihm findet er sein höchstes Glück. Zwar hat nicht jeder Mensch die Möglichkeit, dieses höchste Glück zu finden, da er je nach individueller Lebenssituation durch alltägliche Verpflichtungen vom Studium abgehalten wird. Doch dieser äußere Umstand ändert nichts daran, daß jeder Mensch von Natur aus ein Freund der Wahrheit ist, denn jeder Mensch hat 43 44

Vgl. Conv. II, xiü, 8. Vgl. Mon. I,i, l; Conv. 1, i, l.

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aufgrund seiner spezifisch menschlichen Fähigkeit, rational zu denken, ein angeborenes Streben nach Wahrheit45• Und jeder Freund der Wahrheit ist definitionsgemäß auch ein Philosoph. „Daher kann man sehen, wenn man die Bedeutung des ersten und zweiten Wortes betrachtet, daß 'Philosophie' nichts anderes als 'Liebe zur Weisheit oder zum Wissen' heißt. Somit kann in gewisser Weise jeder ein Philosoph genannt werden, nämlich gemäß der natürlichen Liebe, die in jedem die Begierde nach Wissen hervorruft. " 46 Das letzte Ziel dieses Strebens nach Wissen ist die Betrachtung der Wahrheit47• Diese sehr allgemeine Bestimmung der Philosophie ist keine Innovation Dantes. Sie steht in einer langen Tradition und ist im 13. Jahrhundert weit verbreitet. Beispielsweise führt auch Robert Kilwardby in seiner einflußreichen wissenschaftstheoretischen Schrift De ortuscientiarum den Ursprung der spekulativen Wissenschaften auf ein natürliches Erkenntnisstreben zurück48 • Und Thomas von Aquin hält ebenfalls fest, der Mensch unterscheide sich durch seine Rationalität von anderen Lebewesen und werde durch die Anwendung der ratio in seinen Handlungen geleitet49 • Es ist jedoch bemerkenswert, daß Dante betont, Conv. III, iii, 11: „E per Ja quinta e ultima natura, cioe vera umana o, meglio dieendo, angelica, cioe razionale, ha l'uomo amore a la veritade e a Ja vertude ... " 46 Conv. III, xi, 6: „Onde si puo vedere, considerando Ja significanza de! primo e del seeondo vocabulo, ehe Filosofia non e altro ehe amistanza a sapienza, o vero a sapere; onde in aJeuno modo si puo dicere catuno filosofo, secondo lo naturale amore ehe in ciascuno genera lo desidcrio di sape45

re." Vgl. Conv. III, xi, 14. Vgl. De ortu scientiarum, cap. IV, ed. A.G. Judy, Oxford/ Toronto: Tue British Academy and the Pontifical Institute 1976, 11. 49 Expositio libri Posteriorum, ed. R.-A. Gauthier, Leonina 1/2, Rom I Paris: Commissio Leonina und Vrin 1989, 3: ,,Sicut dicit Aristotiles in principio Metaphisice, hominum genus arte et rationibus uiuit. In quo uidetur Philosophus tangere quoddam hominis proprium quo a ceteris animalibus differt: alia enim animalia quodam naturali instinctu ad suos actus aguntur, homo autem rationis iudicio in suis actionibus dirigitur." 47

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jeder Mensch - unabhängig von Geschlecht, Nationalität oder sozialer Herkunft - strebe nach Wissen und Weisheit Philosophieren ist ein universelles Wesensmerkmal des Menschen. Zudem ist zu beachten, daß gemäß Dante das höchste Lebensglück allein durch die philosophische Tätigkeit erreicht wird. Diese These stimmt mit jener der sogenannten radikalen Aristoteliker überein. Auch Boethius von Dacien behauptet in De summo bono, das höchste vom Menschen erreichbare Gut bestehe einerseits in der Erkenntnis des Wahren (Ziel der theoretischen Philosophie) und andererseits im Bewirken des Guten (Ziel der praktischen Philosophie) sowie im Genuß dieser beiden Tätigkeiten50. Nach einer allgemeinen Erklärung des Philosophiebegriffs formuliert Dante eine enger gefaßte Definition. In einem strengen Sinn werden genau jene Wissenschaften Philosophie genannt, die auf die sieben freien Künste folgen. Dies sind die Naturphilosophie, die Moralphilosophie (sowohl Individualethik "'De summo bono, ed. N.G. Green-Pedersen, in Opuscula, Corpus PhilosophorumDanicorumMedii Aevi Vl/2, Hauniae: Gad 1976, 371: ,„ .. summum bonum quod est homini possibile est cognitio veri et operatio boni et delectatio in utroque." Vgl. zum Ideal des „geistigen Glücks" bei Dante M. Corti, La felicita mentale. N uove prospettive per Cavalcanti e Dante, Torino: Einaudi 1983, 72-155. Die Interpretation des philosophischen summum bonum ist umstritten. Es handelt sich sicherlich um eine Anknüpfung an den antiken Topos des glücklichen Weisen, aber auch um eine Abgrenzung gegenüber dem Ideal einer religiösen Glückseligkeit. Im emphatischen Lob der philosophischen Glückseligkeit kann allerdings auch der Ausdruck einer Spannung gesehen werden: Der spätrnittelalterliche Intellektuelle orientierte sich einerseits an einem streng hierarchischen Wissenschaftsmodell, an dessen Spitze die Philosophie steht, er befand sich andererseits meistens aber in einer sozial und ökonomisch benachteiligten Stellung. Diesem Mißverhältnis zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Wirklichkeit versuchte er durch eine besondere Betonung seiner intellektuellen Möglichkeiten, ja sogar durch eine Überschätzung seiner eigenen Fähigkeiten zu entgehen. Vgl. zu diesem Aspekt L. Bianchi, „Virtu, felicita e filosofia", in: idem, II vescovo e i filosofi. La condanna parigiana del 1277 e l'evoluzione dell'aristotelismo scolastico, Bergamo: Lubrina 1990, 149-201.

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als auch politische Philosophie) und die Metaphysik51 • Indem der Mensch sich diesen Wissenschaften widmet, kann er jenes Wissen erwerben, das er zur Erreichung der größten Vollkommenheit benötigt. Jede Wissenschaft hat nämlich, wie Dante in Anlehnung an Aristoteles festhält, die „vollkommene, vernünftige Einsicht in gewisse Dinge"52 als Ziel. Sie zeichnet sich also einerseits durch eine rationale Methode (ragione) und andererseits durch die Gewißheit der Untersuchungsgegenstände (certe cose) aus. Auch diese These entspricht dem allgemeinen Wissenschaftsverständnis des 13. Jahrhunderts, das sich an der Wissenschaftstheorie des Aristoteles und vor allem an der Rezeption seiner Werke im universitären Lehrbetrieb orientierte. Nach einer Grundausbildung in den sieben freien Künsten, d.h. in den Fächern des Triviums und Quadriviums (die größte Bedeutung kam dabei der Logik zu), folgte das Studium jener Schriften des Aristoteles, die als Hauptwerke betrachtet wurden: die Physik (auch andere naturphilosophische Schriften wie z.B. Über den Himmel und Über die Seele), die Nikomachische Ethik (ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert auch die Politik), die Metaphysik53. Indem Dante die Philosophie als die Gesamtheit der drei aristotelischen Hauptschriften und -disziplinen bestimmt, übernimmt er die vorherrschende Definition der universitären Tradition, obwohl er als Laie nie in einer Universität integriert war54. Vgl. Conv. III, xi, 16-17. 52 Conv. IV,xü, 12: „Che [Ja scienza] sia perfetta, e manifcsto per lo Filosofo nel sesto de l'Etica, ehe dice la scienza esscre perfetta ragione di certe cose." Vgl. Aristoteles, Eth. Nie. VI, 3 (1139b31-34). 53 Vgl. zur Wissenschaftseinteilung J.A. Weisheip~ „The Nature, Scope, and Oassificationofthe Sciences",in:D.C. Lindberg (Hrsg.), Science in the Middle Ages, Chicago I London: Chicago University Press 1978, 461-482. Zur Aristoteles-Rezeption vgl. als Einführung B.G. Dod, „Aristoteles latinus" und C.H. Lohr, „The Medieval Reception of Aristotle", in N. Kretzmann / A. Kenny / J. Pinborg (Hrsg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge: University Press 1982, 45-98. 54 Vgl. zum Laienstatus R. Imbach, Laien in der Philosophie des Mittelal51

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Entscheidend ist jedoch, daß Dante die dominierende Wissenschaftseinteilung nicht als einen historisch gewachsenen, veränderbaren Fächerkanon betrachtet Er erachtet die Gliederung der Wissenschaften und damit auch die Definition und Einteilung der Philosophie als eine notwendige Ordnung, indem er sie mit der ewigen Himmelsordnung vergleicht. Für diese Parallele knüpft Dante an die aristotelische Kosmologie an: Die Weltkugel bildet den Mittelpunkt des Universums und wird von sieben Planetenhimmeln (darunter auch der Mond und die Sonne), vom Fixsternhimmel und vom Kristallhimmel umgeben. In theologischer Hinsicht existiert zudem ein zehnter, übernatürlicher Himmel, das Empyreum. Dante behauptet nun, daß jedem Himmel eine Wissenschaft zugeordnet werden kann, und er begründet diese Parallele, indem er auf drei grundlegende Gemeinsamkeiten hinweist55• Erstens kreist jede Wissenschaft genauso um ihr Subjekt, wie sich jeder Himmel um die unbewegliche Weltkugel dreht. Zweitens beleuchtet jede Wissenschaft die verstehbaren Gegenstände, genau wie jeder Himmel die erkennbaren Dinge bescheint. Und drittens vervollkommnet jede Wissenschaft die untersuchenden Subjekte, genau wie jeder Himmel eine Vollkommenheit in die aufnahmefähigen, sublunaren Dinge hineinträgt. Dante ordnet den sieben Planetenhimmeln die sieben freien Künste zu, dem Fixsternhimmel die Naturphilosophie und die Metaphysik, dem Kristallhimmel die Ethik und- unter Berücksichtigung des zehnten übernatürlichen Himmels - dem Empyreum die Theologie. Er diskutiert ausführlich jede einzelne Entsprechung, indem er die besonderen Merkmale jeder Wissenschaft mit den Charakteristika des jeweiligen Himmelskörpers vergleicht56• Von besonderem Interesse ist hier die Bestimmung der Naturphilosophie. ters. Hinweise und Anregungen zu einem vernachlässigten Thema, Amsterdam: Grüner 1989, 132-142. 55 Vgl. Conv. II, xiii, 2-5. 56 Vgl. Conv. II, xiii, 9 - xiv, 21.

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Die Physik oder Naturphilosophie, die den sieben freien Künsten unmittelbar folgt, entspricht genau dem Fixsternhimmel, der den sieben Planetenhimmeln übergeordnet ist. Der Fixsternhimmel besteht gemäß Dante aus 1022 Sternen57• Diese Zahl hat einen symbolischen Wert, denn sie veranschaulicht die drei verschiedenen Bewegungen, die den Untersuchungsgegenstand der Physik bilden. Die Zahl zwei drückt die Ortsbewegung aus; ein Körper bewegt sich stets von einem Punkt zu einem anderen. Die Zahl zwanzig symbolisiert die Bewegung der Veränderung oder Verdoppelung, denn die Zahl zehn, Symbol der Vollkommenheit, verändert sich auf die vollkommenste Weise dadurch, daß sie sich verdoppelt. Die Zahl tausend schließlich symbolisiert die Bewegung des Anwachsens58 • Genau von diesen drei verschiedenen Bewegungen des materiellen Seienden handelt die Naturphilosophie oder Physik, die gemäß der klassischen aristotelischen Definition die Wissenschaft von den beweglichen Körpern und deren Prinzipien (Materie, Form, Privation) ist59• Allerdings finden sich bei Dante zwei unterschiedliche Definitionen. In der Questio hält er fest, die Naturphilosophie handle vom bewegbaren Seienden(§ 60), in Conv. II, xiii, 17 hingegen behaupteter, sie beziehe sich auf den bewegbaren Körper. Dieser Unterschied ist wohl darauf zurückzuführen, daß er sich in der ersten Definition eher an Thomas von Aquin, in der zweiten hingegen an Albertus Magnus anlehnt. Albert versteht nämlich unter dem Bewegbaren ausschließlich einen bewegbaren Körper (corpus mobile) und grenzt damit den Untersuchungsgegenstand der Naturphilosophie von jenem der Mathematik und Metaphysik ab, die das Seiende analysieren. Thomas hingegen nennt den Untersu-

Vgl. Conv.11,xiv, 2. Dante beruft sich hier auf eine astrologische Tradition, die bis zur babylonischen Zahlenmystik zurückverfolgt werden kann; vgl. den Kommentar von C. Vasoli, OM 1/2, 245. 58 Vgl. Conv.11, xiv, 3-4. 59 Vgl. Met. VI, 1 (102Sb27-29). 57

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chungsgegenstand in allgemeinerer Weise ein bewegbares Seiendes (ens mobile), denn es ist bereits eine zu begründende These und kein Grundprinzip, daß alles bewegbare Seiende ein Körper ist60. Nun fällt auf, daß Dante in seinem Vergleich zwischen Himmelskörpern und Wissenschaften dem Fixsternhimmel neben der Naturphilosophie auch die Metaphysik zuordnet, während er für jeden anderen Himmel jeweils nur eine entsprechende Wissenschaft bestimmt. Der Grund für diese Disanalogie besteht darin, daß es im Bereich der natürlichen Erkenntnis zehn Wissenschaften gibt, die auf neun Himmel verteilt werden müssen.Und da Dante der Moralphilosophie den Vorrang vor allen anderen Wissenschaften einräumt, muß er sie mit dem obersten Himmel, dem Kristallhimmel, gleichsetzen61 • Obwohl er aufgrund dieser Bedingung die Physik zusammen mit der Metaphysik dem Fixsternhimmel zuordnet, trifft er eine klare U nterscheidung zwischen den beiden Wissenschaften. Die Physik entspricht dem Fixsternhimmel, insofern dieser als eine Menge von sichtbaren, zählbaren Sternen betrachtet wird, denn die Physik handelt von erkennbaren, numerisch bestimmbaren Gegenständen. Wird der Fixsternhimmel hingegen als Milchstraße, d.h. als eine Menge von nicht zählbaren Sternen, wahrgenommen, so ist er mit der Metaphysik gleichzusetzen, denn die Metaphysik untersucht die ersten, nicht wahrnehmbaren, nicht abzählbaren Substanzen. Versteht man die beiden Aspekte des Fixsternhimmels als seine beiden Pole, kann man schließen: „Aufgrund des Pols, den wir sehen, steht [der Fixsternhimmel] für die wahrnehmbaren Dinge, von denen die Physik handelt,

Auf diesen Unterschied weist R. Imbach hin in: „Dante und die Naturphilosophie", in: W. Haug (Hrsg.), Literatur und Philosophie (im Druck); vgl. auch den Kommentar zu§ 60. 61 Wie E. Gilson, Dante et Ja philosophie, Paris: Vrin 1939, 100-113, gezeigt hat, dient der Vergleich von Wissenschafts- und Himmelsordnung vornehmlich dem Ziel, den Primat der Ethik zu veranschaulichen. 60

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indem sie diese allgemein auffaßt. Und aufgrund des Pols, den wir nicht sehen, steht er für die immateriellen Dinge, die nicht wahrnehmbar sind, von denen die Metaphysik handelt" 62 Die Gleichsetzung des quantifizierbaren Fixsternhimmels mit der Physik ist nicht nur für ein allgemeines Verständnis von Dantes Auffassung der Naturphilosophie bedeutungsvoll. Sie ermöglicht auch einen interpretatorischen Zugang zur Questio. Dante kommt nämlich nach einer langen Argumentation zum Schluß, daß die Erde auf dem vierten, bewohnbaren Teil eine Ausbuchtung aufweist (§ 49). Die Ursache für diese Erderhöhung liegt in der Anziehungskraft des Fixsternhimmels (§ 73). Will man also nach einer rein naturphilosophischen Erklärung des gegenseitigen Verhältnisses von Erde und Wasser suchen, muß man genau auf jenen Himmel rekurrieren, dem die Naturphilosophie zugeordnet ist. Dante konstruiert offensichtlich eine Parallele zwischen den allgemeinen Eigenschaften der Naturphilosophie und der Lösung eines bestimmten Problems innerhalb dieser wissenschaftlichen Disziplin: Wie die Naturphilosophie im allgemeinen dem Fixsternhimmel entspricht, so ist auch im besonderen - nämlich beim Problem der Erderhebung - die Erklärung in der Wirkung des Fixsternhimmels zu suchen. Freilich könnte man nun einwenden, daß Dante eine künstliche Parallele konstruiert. Es ist kaum einsichtig, welcher sachliche Zusammenhang zwischen der willkürlich bestimmten Anzahl an Fixsternen und dem Untersuchungsgegenstand der Naturphilosophie bestehen soll. Und es ist noch weniger verständlich, wie der Fixsternhimmel auf das Verhältnis von Wasser und Erde einwirken soll. Die gegenseitige Zuordnung von Himmelskörpern und Wissenschaften, besonders von Fixsternhimmel und Naturphilosophie, kann jedoch begreifbar werden, wenn sie im Hinblick auf Conv. II, xiv, 9: „... per Jo poJo ehe vedemo signifiea Je eose sensibili, de Je quali, universaJmente pigliandoJe, tratta Ja Fisiea; e per lo polo ehe non vedemo significa le eose ehe sono sanza materia, ehe non sono sensibil~ de le quali tratta la Metafisiea." 62

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ihre Voraussetzungen und Zielsetzungen betrachtet wird. Dabei sind vor allem drei Punkte festzuhalten. Erstens fällt auf, daß sich Dante in eine Tradition der allegorischen Wissenschaftsauslegung einreiht. Auch Alexander Nekkam, Restoro d'Arezzo und andere verglichen die sieben freien Künste mit den sieben Planeten, umdie besondere Aufgabe jeder einzelnen Wissenschaft anhand eines anschaulichen Bildes zu verdeutlichen63 • Der besondere Beitrag Dantes besteht darin, daß er den allegorischen Vergleich auf die Naturphilosophie, Metaphysik und Ethik ausdehnt und somit eine bildliche Darstellung sämtlicher Wissenschaften gibt; er entwirft gleichsam einen Wissenschaftskosmos. Nicht nur die Aufgabe jeder einzelnen Wissenschaft, sondern auch ihre Stellung in bezug auf alle anderen Wissenschaften wird dadurch auf einprägsame Weise dargestellt. Zweitens ist zu beachten, daß der Vergleich mit der Himmelsordnung einen Grundgedanken zum Ausdruck bringt, von dem sich Dante stets leiten läßt: Jedes Ding und jede Tätigkeit hat einen festgefügten Platz in einer umfassenden Ordnung. Auch die Wissenschaft als „die höchste Vollkommenheit unserer Seele"64 ist daher nicht einfach ein veränderbares System von deduktiv oder induktiv gewonnenen Lehrsätzen, sondern genau jene Tätigkeit, die einem bestimmten Ziel, nämlich der Erreichung des höchsten Glücks, untergeordnet ist Sie dient dazu, die Seele des Menschen zu vervollkommnen65• Da die Philosophie Vgl. O.M. Johnston, „Dante's Comparison between the Seven Planets and the Seven Liberal Arts", The Romanic Review 21(1930),34-35. Conv. 1, i, 1: „... Ja scienza e!'ultima perfezione de Ja nostra anima ..." 65 Dies geht aus dem dritten Vergleich zwischen den Wissenschaften und den Himmelskörpern hervor. Conv. II, xiii, 5: „E Ja terza similitudine si elo inducere perfezione ne Je disposte cose." Genau wie die sublunaren Dinge ihre „disposizione" vervollkommnen können, indem sie in ihrer spezifischen Form (erste Vollkommenheit) und in ihren Handlungen (zweite Vollkommenheit) von den Himmelskörpern bestimmt werden, kann auch der Mensch seine natürliche „disposizione" zum Erwerb von Wissen vervollkommnen, indem er Wissenschaft betreibt. Siehe auch den Kommentar von C. Vasoli, OM J/2, 215. 63



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mit den Wissenschaften identisch ist, wenn sie im strengen Sinn verstanden wird, bedeutet dies, daß auch das Streben nach Weisheit nicht ein beliebiges Ansammeln von Wissen ist. Stets wird mittels der Philosophie die Vervollkommnung des Menschen angestrebt. Drittens verdeutlicht die Analogie von Himmels- und Wissenschaftseinteilung den zentralen Stellenwert, den Dante dem Aristotelismus beimißt. Er wählt nicht nur die aristotelische Kosmologie und zahlreiche Prinzipien der aristotelischen Wissenschaftstheorie als Orientierungspunkte, sondern er versucht zudem, eine systematische Beziehung zwischen den Hauptthesen dieser Kosmologie und der Einteilung der aristotelischen Schriften herzustellen: Die werkimmanente Hierarchie, die genau der Himmelseinteilung entspricht, ist ein Abbild der kosmischen Ordnung. Wenn erkannt wird, welchen Platz jede aristotelische Schrift und Disziplin im gesamten Wissenschaftskosmos einnimmt, werden gleichzeitig auch ihre Bedeutung und Funktion erkannt. Freilich weisen die Werke des Aristoteles, des „Meisters und Führers der menschlichen Vemunft" 66, keineswegs den streng geordneten Aufbau auf, den Dante ihnen zuschreibt. Doch sein Versuch der Hierarchisierung zeigt, wie tiefgreifend das spätmittelalterliche intellektuelle Weltverständnis von der Aristoteles-Rezeption geprägt war. Die Werke des philosophus wurden gleichsam als eine Chiffre gedeutet, deren Dekodierung ein Verständnis des gesamten Kosmos ermöglichen sollte.

Conv. IV, vi, 8: „maestro e duca de Ja ragione umana ... " Dantes Bild von Aristoteles ist allerdings nur teilweise durch eine unmittelbare Lektüre der aristotelischen Werke geprägt. Hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Schriften ist es umstritten, ob Dante eine direkte Kenntnis von den Meteorologica hatte. Entscheidend war für ihn die Vermittlung des aristotelischen Corpus durch verschiedene Autoren des 13. Jahrhunderts, besonders durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Vgl. dazu L. Minio-Paluello, „Dante's Reading of Aristotle", in: C. Grayson (ed.), Tue World of Dante. Essays on Dante and his Time, Oxford: Clarendon 1980, 61-80, besonders 67-{)8. 66

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4. Die Problemstellung der Questio im historischen Kontext

Die Questio weist auf den ersten Blick eine ziemlich bizarre, ja beinahe abwegige Problemstellung auf. Wie kommt ein Autor des frühen 14. Jahrhunderts dazu, gerade die Frage nach der Lage von Wasser und Erde zu diskutieren, die aufgrund empirischer Beobachtung hinreichend geklärt scheint? Jeder Mensch sieht ja, daß die Erdoberfläche uneben ist, so daß die Erde an einigen Stellen über das Wasser hinausragt, während sie an anderen Stellen vom Wasser überflutet wird. Warum wählt ein spätmittelalterlicher Autor nicht eine jener naturphilosophischen Fragen, die zu seiner Zeit am aktuellsten und umstrittensten sind, z.B. die Frage nach der Existenz des Vakuums, nach der Definition des Kontinuums oder nach der Ursache der Bewegung67? Um eine Einsicht in die Bedeutung und Brisanz der spezifischen Problemstellung zu gewinnen, muß die Questio im historischen Kontext situiert und kurz auf die wichtigsten kosmologischen Voraussetzungen hin untersucht werden. Die ganze Fragestellung beruht auf einem Konflikt zwischen der alltäglichen Erfahrung einerseits und der aristotelischen Kosmologie sowie der Schöpfungslehre andererseits. Gemäß der alltäglichen Erfahrung nehmen die Elemente Wasser und Erde keinen festen, genau abgegrenzten Platz ein. Sie sind vielmehr miteinander vermischt. Ihre jeweilige Lage hängt von den topographischen Verhältnissen ab. An einigen Stellen, z.B. im Meer, überflutet das Wasser die Erde, an anderen Stellen hingegen, z.B. in den Bergen, überragt die Erde das Wasser. Zudem verändert sich die Lage der Elemente je nach Wetter und Jahreszeit. In heißen Perioden weisen einige Gebiete der Erde nur

Einen Überblick über die wichtigsten Fragestellungen gibt E. Grant, Physical Science in the Middle Ages, Cambridge: University Press 1971; vgl. auch den in Anm. 53 zitierten Sammelband Science in the Middle Ages. •7

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wenig oder kein Wasser auf, in kalten und regnerischen Perioden hingegen sind sie wasserreich. Dieser Auffassung widerspricht die aristotelische Theorie, die den Elementen innerhalb der Weltordnung einen ganz bestimmten Platz zuweist. Den Ausgangspunkt zu dieser Theorie stellt das geozentrische Weltbild dar: Die Erde befindet sich in der Mitte des Kosmos und wird von den Himmelssphären konzentrisch umgeben. Sie ist kugelförmig, unbeweglich und bildet den Mittelpunkt für die supralunaren Bewegungen. Wie alle mittelalterlichen Autoren stimmt auch Dante dieser Auffassung uneingeschränkt zu. Er hält sie für so einleuchtend, daß er abweichende Meinungen nicht einmal als diskussionswürdig erachtet: „Platon war dann anderer Ansicht, und er schrieb in einem seiner Bücher, das den Titel Timäus trägt, die Erde sei zusammen rnitdemMeerwohldieMittedesGanzen,dochihreganzeKreisbewegung gehe um den Mittelpunkt, wobei sie der ersten Bewegung des Himmels folge.Aufgrund ihrer großen Masse und ihrer riesigen Distanz weise sie aber eine beträchtliche Verzögerung auf. Diese Meinungen werden im zweiten Buch Über Himmel und Erde von dem ruhmreichen Philosophen, dem die Natur ihre Geheimnisse am meisten offenbart hat, als falsch verworfen. Und für ihn ist es an dieser Stelle bewiesen, daß die Welt, d.h. die Erde, auf Ewigkeit in sich fest und unbeweglich verharrt.Und es ist nicht meine Absicht, hier die Argumente aufzuzählen, von denen Aristoteles sagt, daß sie die Gegenargumente auflösen und die Wahrheit darlegen, denn für die Leute, an die ich mich wende, reicht es vollständig aus, aufgrund seiner großen Autorität zu wissen, daß die Erde fest ist und sich nicht dreht, und daß sie zusammen mit dem Meer den Mittelpunkt des Himmels bildet."68 Conv. III, V, 6-7: „Platone fu poi d'altra oppinione, e scrisse in uno suo libro ehe si ehiama Timeo, ehe la terra eol mare era bene lo mezzo di tutto, ma ehe 'l suo tondo tutto si girava a torno al suo centro, seguendo lo primo movimento del eielo; ma tarda molto, per la sua grossa matera e per la mas68

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Die Weltkugel im Mittelpunkt des Kosmos besteht aus vier Elementen, nämlich aus Erde, Wasser, Luft und Feuer69. Entscheidend ist nun, daß diese vier Elemente sphärisch angeordnet sind. Die Erde bildet den Mittelpunkt und wird vom Wasser umgeben, dieses von der Luft, und die Luft wiederum vom Feuer. Die Elemente verhalten sich also wie vier konzentrisch angeordnete Kugeln. Dieses Modell dient Aristoteles vor allem dazu, den Wasserkreislauf zu erklären: Die Sonne erwärmt die Wassersphäre und bewirkt, daß das Wasser dampfförmig in die höher gelegene Luftsphäre aufsteigt. Dort kühlt es sich wieder ab, wird schwer und kehrt in die tiefere Wassersphäre zurlick70• Aristoteles entwickelte diese Sphärentheorie, um die Frage nach der Ursache des Meeres-die Leitfrage flir das ganze zweite Buch der Meteorologie- beantworten zu können. Er versuchte also, mit Hilfe eines anschaulichen Modells ein praktisches naturwissenschaftliches Problem zu erklären. Die mittelalter liehen Kommentatoren lösten die Sphärentheorie jedoch aus dem meteorologischen Diskussionskontext heraus und interpretierten sie als ein umfassendes kosmologisches Modell, das eine prinzipielle Erklärung der Elementenanordung bieten sollte. Zudem neigten sie aufgrund der Euklid-Rezeption zu einer Geometrisierung des Erklärungsmodells71 • Während Aristoteles noch in sima distanza da quello. Queste oppinioni sono riprovate per false nel seeondo De Celo et Mundo da quello glorioso filosofo al quale Ja natura piu aperse li suoi segreti; e per lui quivi eprovato, questo mondo, eioe Ja terra, stare in se stabile e fissa in sempiterno. E Je sue ragioni, ehe Aristotile dice a rompere eostoro e affermare Ja veritade, non emia intenzione qui narrare, perehe assai basta a Ja gente a eu' io parlo, per Ja sua grande autoritade sapere ehe questa terra efissa e non si gira, e ehe essa eol mare eeentro de! cielo." Vgl. De eaelo II, 13-14 (293a-298a), zu weiteren Quellen vgl. den Kommentar von C. Vasoli, OM 1/2, 341-344. 69 Vgl. De eaelo III, 3-8 (302a10-307b24); De gen. et eorr. II, 2-3 (330a30331a6). 70 Vgl. Meteor. II, 2 (354b24-32). 71 Vgl. zum Einfluß Euklids J.E. Murdoch, „Tue Medieval Euelid: Salient Aspeets of the Translations of the Elements by Adelard of Bath and Campanus of Novara", Revue de synthese 89 (1968), 67-94. Die Geometrisie-

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einem eher umgangssprachlichen Sinn von Sphären als verschiedenen Bereichen der Welt gesprochen hatte, definierten die mittelalterlichen Autoren im Anschluß an Johannes Sacrobosco die Sphäre streng geometrisch als jenen Körper, der durch einen halbmondförmigen Bogen beschrieben wird72• Durch die kosmologische Universalisierung und Geometrisierung des aristotelischen Sphärenmodells entstehen weitreichende Probleme. Zunächst ist es nicht einsichtig, wie die Erde an einigen Stellen über das Wasser hinausragen kann, wenn doch die ganze Erde als ein genau abgegrenztes Element sphärenförmig vom Wasser umgeben wird. Wie sind bei einer streng geometrischen Anordnung der Elemente die Abweichungen vom Kugelmodell erklärbar? Die Frage nach der Lage der Elemente wirft noch ein weiteres, grundsätzlicheres Problem auf. Gemäß der geozentrischen Himmelsordnung und der sphärischen Elementenordnung wird die Vollkommenheit des Kosmos dadurch gewährleistet, daß alle supra- und sublunaren Bewegungen auf den Mittelpunkt, d.h. auf das Element Erde, ausgerichtet sind; der Kosmos bildet eine in sich geschlossene, vollkommene Ordnung. Was geschieht aber, wenn die Erde an einigen Stellen über das Wasser hinausragt und somit den Mittelpunkt verläßt? Wird dann nicht das Gleichgewicht der Elemente und auch die Bewegung der rung der Kosmologie belegen A.G. Molland, „Colonizing the World for Mathematics:The Diversity of Medieval Strategies", in: E. Grant/ J.E. Murdoch (Hrsg.), Mathematics and its Applications to Science and Natural Philosophy in the Middle Ages, Cambridge: University Press 1987, 45-66, und J.E. Murdoch, Album of Science: Antiquity and the Middle Ages, New York: Charles Scribner's Sons 1984, 133-145 (mit zahlreichen Abbildungen). Vgl. zu Dantes Verwendung der Geometrie ED III, 119-121. 72 Johannes Sacrobosco, Tractatus de spera, cap. 1, in: Tue „Sphere" of Sacrobosco and Its Commentators, ed. L. Thomdike, Glticago: University Press 1949, 76-77: „spera est transitus circumferentie dimidii circuli quotiens fixa diametro quousque ad locum suum redeat circumducitur. ld est, spera est tale corpus rotundum et solidum quod describitur ab arcu semicirculi circumducto."

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supralunaren Körper gestört, weil es keinen einheitlichen Mittelpunktmehr gibt, der den ganzen Kosmos zusammenhält? Die Frage nacheinermöglichenAbweichungder Erde von der sphärischen Anordnung der Elemente stellt also die gesamte aristotelische Kosmologie in Frage. Wenn nämlich der Mittelpunkt des Kosmos nicht vollkommen kugelförmig und vom nächstliegenden Element klar abgegrenzt ist, ist es möglich, daß auch die supra- und sublunaren Bewegungen, die sich auf diesen Mittelpunkt ausrichten, an einigen Stellen von ihren konzentrischen Bahnen abweichen. Dies bedeutet aber, daß möglicherweise die gesamte Bewegung des Kosmos aus der Bahn geworfen wird. Angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen ist es nicht erstaunlich, daß bereits die hellenistischen und die arabischen Kommentatoren des Aristoteles die Frage nach der Lage von Wasserund Erde als eine zentrale Frage der Kosmologie hervorgehoben haben73 • Den zweiten Ausgangspunkt für die Diskussion bildete die Schöpfungslehre. Gemäß der biblischen Autorität schuf Gott am ersten Tag Himmel, Erde und Licht. Am zweiten Tag schied er die Wasser voneinander und schuf das Firmament. Zum dritten Schöpfungstag heißt es in Gen. I, 9-10: ,,Nun sprach Gott: Es sammle sich das Wasser, das unter dem Himmel ist, zu einer Ansammlung, und es erscheine das trockene Land! Und es geschah so. Gott nannte das trockene Land Erde, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer." Wird diese Stelle, die Dante in der Questio zitiert(§ 76), wörtlich interpretiert, bedeutet dies erstens, daß sich alle Wassermassen im Meer gesammelt haben, und zweitens, daß sich Erde und Wasser nun an zwei unterschiedlichen, voneinander genau getrennten Stellen befinden. Wie ist dann aber zu erklären, daß es auch außerhalb de& Meeres Wasser gibt, das sich teilweise über und teilweise unter Vgl. als Überblick P. Duhem, Le systeme du monde. Vol. 9: Histoire des doctrines cosmologiques de Platon a Copernic, Paris: Hermann 1959, 79-109; G. Boffito, „Intorno alla Quaestio de aqua etterra attribuita a Dante. Memoria 1", op.cit., 75-102. 73

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der Erde befindet? Und wie ist die Trennung der Elemente genau zu verstehen? Diese Fragen griffen die mittelalterlichen Autoren in den Genesis-Kommentaren auf 4• Bereits im 12. Jahrhundert versuchte Thierry von Chartres, eine rationale Erklärung für die biblische Beschreibung der Trennung von Wasser und Erde zu geben. Er behauptete, das Auftauchen von wasserfreien Gebieten sei auf eine teilweise Verdunstung des Wassers zurückzuführen. Während der Rotation des Himmels, d.h. während der Entstehung des Firmaments am zweiten Schöpfungstag, erwärmte sich nämlich das Wasser und wurde über dem Firmament als Dampf zusammengezogen. Daher verringerte sich die Wassermenge auf der Erde, und so entstanden am dritten Schöpfungstag wasserfreie Gebiete. Allerdings bildete sich keine einheitliche wasserfreie Zone, wie die Bibelstelle auf den ersten Blick nahelegt, sondern inmitten des Wassers tauchten Erdinseln auf. Thierry erläutert diesen Vorgang anhand eines Vergleichs. Wenn die Oberfläche eines Tisches mit Wasser bedeckt ist und Feuer über den Tisch gehalten wird, verdünnt sich die Wasserschicht aufgrund der Wärmeeinwirkung. Es tauchen trockene Stellen auf, gleichzeitig bleiben aber zusammenhängende Wasserflecken zurück75 • Dies ist zweiVgl. ein Verzeichnis dieser Kommentare und anderer mittelalterlicher Texte zur Schöpfungsgeschichte in J. Zahlten, Creatio mundi: Darstellungen der sechs Schöpfungstage und naturwissenschaftliches Weltbild im Mittelalter, Stuttgart: Klett-Cotta 1979, 284-300; zum dritten Schöpfungstag siehe 164-173. 75 Tractatus de sex dierum operibus, ediert in: N. Häring, „Die Erschaffung der Welt und ihr Schöpfer nach Thierry von Chartres und Oarenbaldus von Arras", in: W. Beierwaltes (Hrsg.), Platonismus in der Philosophie des Mittelalters, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1969, 161-267, besonders 235: „Similiter si super mensam aliquam superficies aquae continuetur et postea ignis illi continuae aquae superponatur, statim contigit ut per superpositum calorem superficies illa aquae attenuetur et in ipsa superficie quaedam maculae aridae appareant, aqua in quibusdam locis contracta et congregata. Sie igitur aer inter utramque aquam positus ac per hoc maiori calore agitatus terciam conversionem integram fecit et in ipsa conversione terram insulis quibusdam circumquaquae distinxit." 74

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fellos eine elegante Erklärung, denn sie bietet einerseits eine theoretische Grundlage für die alltägliche Erfahrung, daß wasserfreie und wasserbedeckte Zonen nicht streng voneinander getrennt sind, sondern ineinander übergehen. Andererseits bestätigt sie die biblische Autorität; am dritten Schöpfungstag hat tatsächlich eine Trennung von Wasser und Erde stattgefunden. Im Zuge der Aristoteles-Rezeption und einer verstärkten Geometrisierung der kosmologischen Modelle verlor Thierrys Theorie der Landflecken jedoch an Bedeutung. Im 13. Jahrhundert stand die Frage im Vordergrund, wie die alltägliche Erfahrung und die biblische Darstellung des dritten Schöpfungstages mit der aristotelischen Sphärentheorie in Einklang gebracht werden kann. Wie ist es möglich, die Trennung von Wasser und Erde, die offensichtlich für die beiden Sphären nicht einheitlich erfolgt, mit einem streng geometrischen Modell zu vereinbaren? Zwei Lösungsmöglichkeiten bieten sich an: (1) Es wird angenommen, daß die Elemente zwar sphärisch, aber nicht konzentrisch angeordnet sind. Dies bedeutet, daß die beiden Sphären zwei unterschiedliche Mittelpunkte besitzen, so daß eine Sphäre an einer bestimmten Stelle über die andere hinausragt. Somit ist es möglich, daß die Erdsphäre an einer bestimmten Stelle - genau auf dem wasserfreien Gebiet der nördlichen Hemisphäre halbmondförmig über die Wassersphäre hinausragt. (2) Es wird angenommen, daß die Elemente sphärisch und konzentrisch angeordnet sind. Wenn zwei Sphären denselben Mittelpunkt haben, muß aber notwendigerweise eine Sphäre die andere einschließen, und jedes Hinausragen an einer bestimmten Stelle ist als eine Ausnahme zu interpretieren. Für diese Ausnahme muß eine konkrete Ursache angegeben werden. Genau bei diesen beiden Lösungsmöglichkeiten setzt Dante in der Questio an(§ 18). Er untersucht zuerst die Hypothese der Exzentrizität (§§ 22-29), diskutiert darauf die Hypothese der Konzentrizität(§§ 31-43) und erklärt, weshalb an einer bestimmten Stelle eine Abweichung von der konzentrischen Anordnung erfolgt (§§ 44-49). Da sich aus der Hypothese der Exzentrizität

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drei Konsequenzen ergeben, die den Prinzipien der aristotelischen Naturphilosophie widersprechen, ist sie zu verwerfen (§ 30). Folglich ist aufgrund der Disjunktion zwischen den beiden Lösungsmöglichkeiten die Hypothese der Konzentrizität zu wählen. Diese wirft aber zwei schwerwiegende Probleme auf: Welches der beiden Elemente Wasser und Erde schließt das andere Element sphärisch ein und liegt somit höher? Und wie ist eine Abweichung von dieser Anordnung möglich? Diese Fragen wurden im 13. Jahrhundert rege diskutiert76 • Zwei Lager standen sich gegenüber: Die einen behaupteten, das Wasser liege höher, die anderen plädierten für eine höhere Lage der Erde. Für die erste These traten zahlreiche Autoren ein, von denen vier als Beispiele genannt seien. In seinem einflußreichen Tractatus de spera bekräftigt Johannes Sacrobosco zunächst die traditionelle aristotelische Auffassung, daß sich die vier Elemente wie vier ineinander geschobene Kugeln verhalten. Die Erde, die sich in der Mitte befindet, wird überall von den drei übrigen Elementen einheitlich umgeben. Dies würde allerdings bedeuten, daß das umschließende Wasser die Erde überall überflutet. Um dieser Konsequenz zu entgehen, formuliert Sacrobosco eine Ausnahmebedingung: Die Trockenheit der Erde widersteht der Feuchtigkeit des Wassers, um das Leben der Tiere zu schützen77 • Wie dieser Widerstand genau erfolgt, wird nicht ausgeführt. Eine mögliche Erkärung findet sich jedoch in der Beschreibung der Form von Wasser und Erde. Sacrobosco hält nämlich fest, daß diese beiden Elemente nicht eine vollkommen ebenmäßige Oberfläche besitzen, sondern eiVgl. G. Boffito, „Intomo alla Quaestio de aqua et terra attribuita a Dante. Memoria I", op.cit„ 103-159; P. Duhem, Le systeme du monde, Bd. 9, op.cit„ 109-170. 77 Tractatus de spera, cap.1, op.cit„ 78-79: „Est enim terra tamquam centrum in medio omnium sita, circa quam aqua, circa aquam aer, circa aerem ignis est... tri um quorumquodlibet terram orbiculariter undique circumdat, nisi quantum siccitas terre humori aque obsistit ad vitam anirnantium tuendam." 76

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ne Anschwellung (tumor) aufweisen. Für diese These führt er zwei empirische Argumente an78 • Wenn jemand vom Norden in den Süden fährt, sieht er nicht immer dieselben Sterne am Himmel. Vielmehr verschwinden einige Sterne, die zu Beginn sichtbar waren, aus dem Gesichtsfeld. Je mehr er sich dem Süden nähert, desto mehr verändert sich das Sternenbild. Und genau gleich verhält es sich, wenn er in die umgekehrte Richtung fährt Das zweite Argument stutzt sich auf eine Beobachtung der Seeleute. Wenn ein Schiff aus dem Hafen ausläuft und bereits eine gewisse Distanz zurückgelegt hat, ist ein Erkennungszeichen an der Küste vom Schiffsdeck aus nicht mehr sichtbar. Klettert man jedoch auf den Mastbaum, ist das Zeichen noch zu sehen. Diese beiden Beispiele verdeutlichen, daß die Oberfläche von Wasser und Erde nicht eben ist. Bewegt man sich auf ihren Oberflächen, fährt man gleichsam stets hinauf oder hinunter, so daß sich das Gesichtsfeld kontinuierlich verändert. Aufgrund dieser Unebenheit der Oberflächen ist es möglich, daß das Wasser von der „Anschwellung" der Erde abfließt und ein trockenes, bewohnbares Gebiet zurückläßt. Auch Brunetto Latini vertritt in den Livres dou tresor die These, daß das Wasser höher liegt als die Erde, da sich die Erde in der Mitte der Elemente befindet. Dies wird seiner Meinung nach durch die Tatsache deutlich, daß sich auch in den hohen Bergen Wasserfälle befinden. Das Wasser strebt nämlich von Natur aus nach oben79• Freilich räumt auch Brunetto Latini ein, daß das Wasser nicht überall höher liegt und nicht an jeder Stelle die Vgl. Tractatus de spcra, cap.1, op.cit„ 82-83. 79 Li livres dou tresor, 1, 105, n. 2, ed. F J. Carmody, Berkeley/ Los Angeles: University of California Press 1948, 89: „Et il est voirs que la mers est *sus la terre, selonc ke ce li contes devise ca en ariere el chapitle des elirnens. Et se ce est voirs k'ele siet sur la terre, donc est ele plus haute ke la terre; donc n'est il mie merveille des fontaines ki sordent sor les hautes montaignes, car c'est la propre nature des euues k'ele monte tant comm elle avale." Zur konzentrischen, sphärischen Anordnung der Elemente vgl. ibid. I, 104, n. 5 (ed. Carmody, 87). 78

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Erde bedeckt Es gibt ja, wie die Erfahrung zeigt, zahlreiche wasserfreie Stellen. Der Grund dafür liegt aber nicht in der Lage der Elemente, sondern in der Beschaffenheit der Erde. Diese weist nämlich innere Kanäle und Höhlen auf, die als Wasserläufe dienen80. Somit kann das höher gelegene Wasser von der Erdoberfläche abfließen und sich in der Erde ansammeln. Restoro d'Arezzo geht in La composizione del mondo colle sue cascioni ebenfalls von der sphärischen Anordnung der Elemente und von der höheren Lage des Wassers aus. Er sieht jedoch einen Zusammenhang zwischen der Lage der Elemente und der Wirkkraft der Himmelskörper. Der Himmel wirkt durch die Sphären des Feuers und der Luft hindurch auf die Sphäre des Wassers ein und schiebt einen Teil des Wassers beiseite, so daß auf der quarta habitabilis ein wasserfreies Stück Erde zurückbleibt Diese Wasserverschiebung ist aus zwei Gründen möglich. Erstens liegt die Wassersphäre dem Himmel näher als die Erdsphäre, und der Himmel kann auf das Nähere besser einwirken als auf das Entferntere. Zweitens ist das Wasser leichter als die Erde und kann somit eher von seinem natürlichen Ort entfernt werden. Die Einwirkung des Himmels ist auch eine Erklärung für die Existenz des ozeanischen Gürtelmeers: Das verschobene Wasser ist nicht verschwunden, sondern hat sich rund um die Erde in einem großen Meer angesammelt81. Das Eingreifen des Himmels in die Anordnung der

••Li livres dou tresor, 1, 105, n. 1, op.cit., 89: „Ja terre est toute petuisie dedens et plaine de vaines et de cavernes, par quoi !es euues ki de Ja mer issent vont et vienent parmi Ja terre, et dedens et dehors sordent, selonc ce ke !es vaincs l'amainent ~et la." 81 La composizione de! mondo colle sue cascioni, II, 5.2, ed. A. Morino, Firenze: Accademia della Crusca 1976, 114-115: „E lo cielo per rascione dea adoparare ordenatamente; unde passando la virtude de! cielo entro per la spera de! foeo e venendo entro per Ja spera de l'aere, trova en prima la spera de l'acqua ehe quella de la terra: cessovia l'acquae Ja terra remase scoperta, en tanta quantita quanta fo mestieri a la sua operazione. [„.] E e rascione ehe la virtude e'ha ad andare ad adoparare sopra doe cose, eh'ellea adopari en prima sopra quella ehe li epiU presso; e Ja spera de l'acqua epiu presso a

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Elemente hat einzig zum Ziel, das Leben der Pflanzen und Tiere auf der Erde zu ermöglichen82• Ähnlich wie Johannes Sacrobosco gibt also auch Restoro d' Arezzo eine finalistische Erklärung. Eine Abweichung vom aristotelischen Sphärenmodell ist notwendig, damit überhaupt die Existenz von Lebewesen möglich wird. Im Gegensatz zu Sacrobosco beruft sich Restoro jedoch auf die hierarchische Unterordnung der sublunaren Elemente unter die supralunaren Kräfte. Eine finalistische Interpretation findet sich auch in der Summa theologica des Thomas von Aquin. Gemäß der natürlichen Ordnung müßte das höher gelegene Wasser überall die Erde umfluten. Um aber das Leben der Pflanzen und Tiere zu gewährleisten, ist eine Ausnahme erforderlich. Thomas erklärt, daß diese Ausnahme entweder philosophisch oder theologisch begründet werden kann. Gemäß einigen Philosophen ist die Sonne die Ursache für die wasserfreie Erde, denn sie läßt das Wasserverdunsten und trockene Stellen hervortreten. Nach den Theologen hingegen ist die göttliche Macht die Ursache, denn sie hat dem Meer Grenzen gesetzt83 • lo eielo ehe quella de Ja tcrra ... E anco l'acqua e piu lcve de Ja terra: e rascione eh'ella debia anti essare eessata ehe la terra, eh'e piU grave, debia essare levata su... E a cascione ehe l'acqua eeessata da Ja terra e eremasa scoperta avemo l'acqua atorno Ja terra, Ja quale noi ehiamamo mare magiure, e tali lo ehiamaro mare oceeano." 82 La composi:zione del mondo, II, 5.4, op.cit., 117: „E Ja terra, Ja quale scoperta da l'acqua per lo movimento e per la virtude del cielo e per adoparareli su come e.llo monte 'e.llo piano, deal'avere en tale modo scoperta e desposta ehe Je plante e li animali li possano abetare e vlvare su." 83 Summa theologica I-I, q. 69, art. 1, ed. N .S. Billuart / CJ. Drioux, Paris: Barri-Ducis 1879, Bd. 1: „ ... naturale esset quod aqua undique esset circa terram, sicut aer undique est circa aquam et terram; sed propter necessitatem finis, ut scilicet animalia et plantae essent super terram, oportuit quod aliqua pars terrae esset discooperta ab aquis. Quod quidem aliqui philosophi attribuunt actioni solis per elevationem vaporum desiccantis terram. Sed sacra Scriptura attribuit potestati divinae; non solum in Genesi, sed etiam in Job (xxxviii, 10), ubi ex persona Domini dicitur: Circumdedi mare terminis meis; et (Jerem. v, 22): Me ergo non timebitis, ait Dominus, qui posui arenam terminum mari?"

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Der These, daß das Wasser prinzipiell höher liegt als die Erde, stand im 13. Jahrhundert die These gegenüber, daß die Erde höher liegt als das Wasser. Die Vertreter dieser Gegenposition mußten allerdings begründen, wie eine solche prinzipielle Abweichung von der sphärischen Elementenanordnung möglich ist Fünf Autoren seien als Beispiele genannt In seinem Kommentar zu Sacroboscos Tractatus de spera for muliert Michael Scotus konzis die Problemstellung: „Daher wird gefragt, weshalb das Wasser nicht anjeder Stelle die Erde umfaßt, wie das Wasser an jeder Stelle von der Luft und die Luft vom Feuer umfaßt wird. " 84 Er gibt sogleich die Antwort, „daß die ganze Erde gemäß der angemessenen Form der Elemente vom Wasser umfaßt werden sollte, wie dies auch bei den anderen [Elementen] der Fall ist. Da die Welt dann aber nicht vollkommen wäre, weil es keine [warm]blütigen Tiere und Pflanzen gäbe (im Wasser könnten sie nicht überleben), ist ein bestimmter Teil der Erde nicht mit Wasser bedeckt, so daß die edleren Lebewesen zwecks einer Vollkommenheit des Universums erhalten werden. " 85 Die Umkehrung der sphärisch korrekten Lage von Wasser und Erde erfolgt also nicht aufgrund eines genau bestimmbaren Vorganges in der Natur (z.B. einer Einwirkung des Himmels oder der Sonnenwärme), sondern aufgrund eines allgemein gültigen aristotelischen Prinzips86: Gott und die Natur streben immer den Zustand der Vollkommenheit an und weichen zur Erreichung dieses Zieles gelegentlich sogar von der „angemessenen Form" ab. Tue „Sphere" of Sacrobosco and Its Commentators, op.cit„ 296: „Unde queritur quare aqua non ex omni parte continet terram sicut aqua ex omni parte continetur ab aere et aer ab igne ... " 85 Tue „Sphcre" of Sacrobosco and Its Commentators, op.cit., 296: „ ... quod tota terra secundum formam debitam elementorum debet contineri ab aqua sicut est in aliis, sed quoniam non esset mundus perfectus, quia non essent animalia sanguinem habenlia et plante que salvari non possunt in aqua, ideo discooperla est quedam pars terre ab aqua, ut nobiliora animalia salventur ad perfectionem universi." 86 Vgl. De caelo 1, 4 (271a33) und De gen. anim. II, 1 (731b14-15). 84

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Roger Bacon wirft in den Quaestiones zur Physik ebenfalls die Frage auf, worauf eine offensichtliche Umkehrung der gegenseitigen Lage von Wasser und Erde zurückzuführen sei. Im Gegensatz zu Michael Scotus gibt er in seiner Antwort jedoch eine genaue Ursache an. Zunächst beruft er sich auf eine begriffliche Unterscheidung. Wenn man Naturphänomene untersucht, muß man stets präzisieren, ob man von der Natur als natura universalis oder als natura particularis spricht87. Würden die Elemente gemäß der partikulären Natur angeordnet, gäbe es U nvollkommenheiten im Kosmos. Beispielsweise würde zwischen dem Feuer, dem letzten irdischen Element, und der ersten Himmelssphäre ein Vakuum existieren. Um dies zu verhindern, gebietet die allgemeine Natur, daß sich der Himmel unmittelbar an das Element Feuer anschließt88. Die allgemeine Natur, die als Korrektiv im Kosmos dient, wirkt auch auf die konzentrische Anordnung der Elemente - genauer gesagt: auf deren Mittelpunkte - ein. Man muß nämlich zwei verschiedene Mittelpunkte unterscheiden. Gemäß der Quantität der Elemente und gemäß der partikulären Natur gibt es einen Mittelpunkt, der sich in der Mitte der Erde befindet. „Ein anderer Mittelpunkt ist jener, der die äußerste Stelle des Wassers bildet und die kleinste in der Gattung des Ortes ist, denn er hat als äußerster und kleinster an jenem wunderbaren Vermögen des Ortes und an jenem Einfluß teil. Und deshalb ist er unteilbar in der Gattung des Ortes, denn weniger kann er nicht an jener vom Himmel ausgeströmten Natur teilhaben, die sich unter dem edelsten Sein am Ort des

~ Vgl. zu dieser Unterscheidung oben Anm. 42 sowie ausführlich den Kommentar zu § 44. 88 Questiones supra libros octo Physicorum Aristotelis, IV, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi fase. XIII, ed. R. Steele, Oxford: Clarendon 1935, 213: „ ... nos possumus loqui quod duplex est natura, particularis et universalis: ex ordinatione nature universalis concurrent latera celi, quia natura universalis quecumque sit illa non patitur nichil, et quia vacuum nichil est, ut patet, ideo etc..."

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Feuers befindet. "89 Unter „jenem Einfluß" ist an dieser Stelle die Wirkung der allgemeinen Natur zu verstehen. Offensichtlich bewirkt die allgemeine Natur, daß nicht ein Punkt das Zentrum der Elemente bildet, sondern ein Kreis, nämlich genau der letzte Kreis der Wassersphäre. Roger Bacon führt zwar nicht aus, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, doch seine Intention ist wohl folgendermaßen zu verstehen: Wäre nur der geometrische Mittelpunkt der Erdsphäre das Zentrum der Elemente, müßte die Wassersphäre vollständig die Erdsphäre umgeben. Ist aber der letzte, innerste Kreis der Wassersphäre das Zentrum, liegt ein Punkt A auf dem zweitinnersten Kreis der Wassersphäre näher beim Zentrum als ein Punkt B, der sich diametral gegenüber von A innerhalb der Erdsphäre befindet. Also ist es möglich, daß eine bestimmte Stelle der Erde weiter vom Zentrum entfernt ist (geometrisch gesehen) und somit höher liegt (geographisch gesehen). Auch Albertus Magnus stellt in seinem Kommentar zu den Meteorologica fest, daß die Erde höher liegt als das Wasser.Nach seiner Ansicht ist die Sonne die Ursache für diese Veränderung der Lage der Elemente. Die Sonne bewirkt nämlich durch ihre Wärmeeinstrahlung, daß das Wasser teilweise verdunstet und in die Luft- und Feuersphäre aufsteigt. Wo das Wasser verdunstet (vor allem im Süden), erscheint trockene Erde. Wo das Wasser nicht verdunstet (vor allem im Norden), bleibt das Meer zurück00. Offensichtlich handelt es sich um dasselbe Argument, das

Questiones supra libros octo Physicorum Aristotelis, IV, op.cit., 216: „aliud est centrum quod est ultimum aque et illud est rninimum in genere loci, quia ultimum minimum habet de illa mirabili potentia loci et illa influentia et ideo est indivisibile in genere loci, quia minus non potest habere de illa natura diffusa a celo que sub esse nobilissimo est in loco ignis ... " "' Liber II Meteororum, tract. III, cap. 1, Opera omnia IV, ed. A. Borgnet, Paris: Vives 1890, 563-564: „ ... esse ipsius maris habet principium ex hoc quod cum hurniditas aquae primo operuit totam terram, sol continue super illam humiditatem elevat vaporabiliter partem ipsius, et convertit eam in aerem et in ignem, et hoc ex parte Meridiei ubi so! est ferventior: remansit 89

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auch Alberts Schüler Thomas von Aquin anführt Während Thomas jedoch die These vertritt, daß das Wasser grundsätzlich höher liegt als die Erde und die Sonne nur die Ursache für einen Ausnahmefall ist, plädiert Albert dafür, daß die Sonneneinwirkung prinzipiell die Lage der Elemente verändert Im Tractatus de spera erarbeitet Campanus von Novara einen innovativen Lösungsvorschlag für das Problem, wie die Erde über das Wasser hinausragen kann. Er hält fest, daß die Erdsphäre nicht von irgendeiner Wirkkraft (z.B. von der Sonne) über die Wassersphäre emporgehoben wird. Vielmehr taucht die trockene Erde inselförmig (in modum insulae) aus dem Wasser empor und verläßt an einigen Stellen ihre sphärische Lage91 • Dies ist möglich, weil das Wasser aufgrund seiner flüssigen Form keine eigene, natürliche Grenze hat, während die Erde wegen ihrer Trockenheit eine eigene Grenze besitzt. Folglich kann die begrenzbare Erde in das unbegrenzbare Wasser vorstoßen, jedoch nicht umgekehrt. Diese Lösung ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens schreibt sie der Erde selbst und nicht einer von außen einwirkenden Kraft die Ursache für die Erhebung über das Wasser zu. Die Erde verfügt also über eine intrinsische Kraft, die es ihr ermöglicht, die sphärische Anordnung zu überwinden. Zweitens vermeidet diese Lösung eine strenge Trennung von Wasser - und Erdsphäre. Indem die Erde inselförmig aus dem Wasser auftaucht, kommt es zu einer gegenseitigen Durchdringung der beiden Elemente. autem quiddam humoris quod so! non consumpsit, praecipue ex parte Aquilonis: ed ideo secundum opinionem istam mare quod prima continebat terram, imminutum est a quantitate ipsa in qua fuit: et facta est terra sicca in quibusdam locis, et alibi remansit mare." 91 Tractatus de spera, zitiert in G. Boffito, lntorno alla Quaestio de aqua et terra attribuita a Dante. Memoria 1, op.cit., 108: „ ... quod non est intelligendum ut intumuerint a forma spherae in altum elevate sed quod terra in parte quae apparet nunc arida exurrexerit quasi in modum insulae spheram aquae intercipiens et suam veram sphericitatem dereliquens." In ähnlicher Weise spricht Bartholomäus von Parma von einem tumor terre; vgl. ibid., 106.

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Eine ähnliche Lösung schlägt Ägidius Romanus vor. Er hält fest, „daß die Erde kreisförmig ist. Über dieser Kreisform ragt eine große, hohe Ausbuchtung empor. Und auf dieser Ausbuchtung, die sich auch auf der Kreisform der Erde befindet, sind viele Berge und viele Ausbuchtungen sowie Höhlen. Wegen ihrer Höhe und ihrer emporra&enden Stellung bleibt diese Ausbuchtung trocken, so daß das Wasser nicht das ganze Gebiet der bewohnbaren Erde, das sozusagen den vierten Teil der Erde umfaßt, bedecken kann. " 92 Nun stellt sich sogleich die Frage, was mit dem Wasser geschieht, das durch die Erdausbuchtung verdrängtwird. Ägidius antwortet auf diesen Einwand, daß die emporragende Erde die Wassermenge in keiner Weise verringert. Die Ausbuchtung ist nämlich größer als der vierte Teil der Erde, so daß das Wasser auch einen Teil der Ausbuchtung überflutet93 • Und sogar der bewohnbare vierte Teil der Erde weist stellenweise Wasser auf. Die Ausbuchtung ist also nicht ein vollkommen wasserfreies Gebiet. Sie ist nur im Gegensatz zu den übrigen Teilen der Erde nicht vollkommen mit Wasser bedeckt und verfügt über trockene Stellen. Wie Campanus von Novara behauptet also auch Ägidius, daß sich die Erde aus eigenem Antrieb erhebt und ihre Sphäre an einer bestimmten Stelle verlassen kann. Ägidius stellt sich diese Erhebung jedoch in Form einer großen Ausbuchtung - gleichsam einer Rieseninsel - vor, während Campanus die Existenz zahlreicher kleiner Inseln annimmt. Hexaemeron, lib. II, cap. 25, Patavii 1549, in-4o, fol. 114r-115v, zitiert nach G. Boffito, Intorno alla Quaestio de aqua et terra attribuita a Dante. Memoria 1, op.cit., 153: „„. quod terra habet suam formam rotundam, super hanc autem formam rotundam est una rnagna gibbositas alta et elevata, et in hac gibbositate etiam in forma hac rotunda terrae sunt multi montes et multae gibbositates, concavitates; ipsa quidem gibbositas propter sui altitudinem et elevationem remanet arida ut aqua non possit cooperire totum spacium terrae habitabilis quae quasi continet quartam partem terrae." 93 Hexaemeron, op.cit., 153, „„. gibbositas terrae quae est terra habitabilis est plus quam quarta pars terrae, sed quod dicitur habitari minus de terra quam quarta pars hoc est quia aliquid cooperit aqua de illa gibbositate." 92

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Dante hat sich in der Questin mit den meisten dieser Positionen auseinandergesetzt. Er schließt sich Michael Scotus, Roger Bacon, Albertus Magnus, Campanus von Novara und Ägidius Romanus in der These an, daß die Erde höher liegt als das Wasser. Zur Erklärung dieser Abweichung von der sphärischen Anordnung der Elemente beruft er sich auf die ägidische These, daß das Wasser in Form einer Ausbuchtung emporragt(§ Zl). Als Ursache der Erhebung bestimmt er jedoch nicht eine intrinsische Kraft der Erde, sondern er verweist wie Roger Bacon auf die Wirkung der allgemeinen Natur(§§ 44-48). Und ähnlich wie Michael Scotus gibt Dante eine finalistische Begründung. Die Erhebung der Erde ist für eine Vollkommenheit des Kosmos notwendig, denn die Natur strebt immer ihre Vervollkommnung an ( § 28). Es ist bemerkenswert, daß Dante zudem von der Gegenposition ein entscheidendes Argument übernimmt. Wie Restoro d 'Arezzo lokalisiert er die äußere Kraft, die eine Erderhebung bewirkt, in den Himmelssphären (§ 65). Diese Anlehnung an zahlreiche bereits bestehende Positionen zeigt, daß die Questio in Auseinandersetzung mit konkreten Texten oder Gesprächspartnern entstanden ist und sich in den Diskussionskontext des 13. Jahrhunderts einfügt.

5. Die philosophiehistorische Bedeutung der Questio Über den philosophiehistorischen Wert der Questio herrscht unter den Interpreten Uneinigkeit. Handelt es sich bei dieser kurzen Schrift um ein Werk ohne jede philosophisch-wissenschaftliche Bedeutung und ohne jeden künstlerischen Wert, das nur als Zeugnis der Kultur und der Argumentationskunst Dantes Beachtung verdient, wie G. Padoan behauptet94? Oder ist die G. Padoan, Introduzione, op.cit., XXIII: „Di irrelevante importanza filosofico-scientifica, di nessun valore artistico, tuttavia, a saperlo leggere, esso si rivela documenta appassionato ed appassionante dell'animo, piu an94

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Questio aufgrund ihrer synthetischen Zusammenfassung der verschiedensten Argumente und aufgrund des dialektischen Scharfsinns als ein Bravourstück zu bewerten, wie F. Mazzoni meint95? Philosophiehistorische Beurteilungen sind nie endgültige, objektive Einschätzungen. Sie hängen stets von den Beurteilungskriterien ab, die gewählt werden. Daher müssen verschiedene Beurteilungen stets im Hinblick auf die zugrundeliegenden Kriterien expliziert und miteinander verglichen werden. Grob zusammengefaßt können drei Gruppen von Kriterien unterschieden werden. Ein Werk wird beurteilt (a) hinsichtlich der werkimmanenten Kohärenz und Schlüssigkeit, (b) hinsichtlich seiner Funktion, seines innovativen Beitrages und seiner Rezeption im historischen Kontext, (c) hinsichtlich seiner genuin philosophischen, über den historischen Kontext hinausweisenden Bedeutung96•

cora ehe della cultura, di Dante, proprio per quel desiderio vivissimo - ehe muoveva da precise ragioni - di ostentare dinanzi a tutti salda conoscenza della dottrina aristotelica e dei principi di fisica." 9' F. Mazzoni, Introduzione, op.cit., 711: „Per capacita di sintesi e rigore dialettico, per il suo vigoroso, ben condotto e strutturato argomentare, Ja Questio (...] einsomma, nel genere suo, un pezzo di bravura, teso a definire e risolvere (facendo un ben ragionato punto), un discusso problema, senza presumere di scoprire e portare novita." 96 Freilich ist dies nur eine grobe Bestimmung von Kriterien, die im Rahmen einer Theorie der Philosophiegeschichtsschrcibung ausführlich begründet werden müßte. Die Kriterien sind ihrerseits anfechtbar; ein rein systematisch orientierter Philosoph könnte die Relevanz des Kriteriums (b) bestreiten, während ein strenger Historiker bezweifeln könnte, daß es eine transhistorische Bedeutung von philosophischen Werken gibt, wie in (c) behauptet wird. In diesem Zusammenhang soll nur festgehalten werden, daß die Beurteilung der Questio stets von diesen Kriterien ausging, wobei die unterschiedlichen Beurteilungsansätze leider nicht immer kenntlich gemacht wurden. Die Divergenz der Beurteilungskriterien in der Historiographie der mittelalterlichen Philosophie verdeutlichen exemplarisch die Beiträge in R. Imbach/ A. Maieru (Hrsg.), Gli studi di filosofia medievale tra otto e novecento. Contributo a un bilancio storiografico, Roma: Storia e Letteratura 1991.

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Bezüglich des ersten Kriteriums sind sich die Interpreten einig. Die Questio zeichnet sich durch eine konzise, formal schlüssige Argumentation aus, die den Regeln der aristotelischen Syllogistik folgt. In knapper Form werden die wichtigsten Argumente zusammengetragen, kritisch diskutiert und ausgewertet. Die Prämissen der einzelnen Argumente werden entweder mit empirischen Beobachtungen (per sensum) oder formalen Überlegungen (per racionem) begründet, teilweise bildet auch die Berufung auf eine Autorität die Grundlage. Sicherlich wirkt die Argumentation nicht an allen Stellen überzeugend. Beispielsweise fehlt eine ausführliche Begründung dafür, weshalb von allen Himmelssphären gerade der Fixsternhimmel die Ursache für die Erderhöhung darstellt; der in § 72 angeführte Lehrsatz des Ptolemäus reicht als Argument nicht aus. Eine mögliche Begründung findet sich erst, wenn -wie oben angedeutet wurde die Questio im Hinblick auf Dantes Gesamtkonzeption der Naturphilosophie interpretiert wird. Zudem werden einige Gegenargumente in pauschaler Weise abgewiesen, ohne daß sich eine überzeugende Begründung dafür findet. Beispielsweise antwortet Dante auf die These, daß die Wasserbewegung der Mondbewegung folgt (§ 15), mit dem Einwand, daß das Wasser den Mond nicht injeder Hinsicht nachahmt(§ 84). Warum aber gerade in der hier relevanten Hinsicht, nämlich in bezug auf das Verhältnis des Wassers zur Erde, die Wasserbewegung nicht der Mondbewegung folgt, bleibt ungeklärt. Und schließlich fällt auf, daß Dante einigen wichtigen Einwänden einfach ausweicht, indem er sich dogmatisch auf die Unergründbarkeit des göttlichen Handelns beruft. Die durchaus angebrachte Frage, warum sich die Erde nur auf einer Erdhälfte erhebt (§ 75), wird einfach als törichte, anmaßende Frage disqualifiziert. Diese Reaktion läßt sich erst erklären, wenn die spezifische Frage im weiteren Diskussionskontext- z.B. im Kontext der oben erwähnten Antipodendiskussion - geprüft wird. Trotz gewisser Mängel kann aber zusammenfassend festgehalten werden: Wird die Questio rein werkimmanent hinsichtlich der argumentativen Kohärenz und

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Schlüssigkeit beurteilt, handelt es sich um ein konzises, streng logisch aufgebautes Werk, das in exemplarischer Weise die scholastische Technik der disputatio verdeutlicht Beurteilt man die Questio hingegen hinsichtlich ihrer Bedeutung im historischen Kontext, ist zunächst die Stellung bezüglich ähnlicher Werke zu begutachten. Der kurze Überblick über den historischen Hintergrund hat gezeigt, daß Dante mehrere Traditionen aufnimmt und an verschiedene Autoren anknüpft Die Rezeption der aristotelischen Naturphilosophie durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin wird ebenso berücksichtigt wie die Kommentartradition zur archimedischen Sphärentheorie. Und die wichtigsten Argumente zeitgenössischer Autoren, z.B. des Ägidius Romanus, werden ebenso diskutiert wie ältere Lehrmeinungen, z.B. die avicennische, von Roger Bacon ausgearbeitete Theorie der natura universalis. Die besondere Leistung Dantes besteht darin, daß er die unterschiedlichen Traditionslinien auf originelle Weise miteinander verbindet und dadurch zu neuen Einsichten gelangt. Beispielsweise verknüpft er die Lehre von der allgemeinen Natur mit der Lehre von der Wirkung der Himmelskörper, indem er eine spezifische Wirkung der allgemeinen Natur - nämlich die Erderhebung - genau einem spezifischen Himmelskörper - dem Fixsternhimmel - zuweist. Durch diese kreative Verbindung verschiedenster Argumentationsansätze hebt sich die Questiovon rein kompilatorischen Werken ab und erweist sich als eine selbständige, originelle Schrift. Freilich ist einschränkend festzuhalten, daß nur die Verbindung der einzelnen Argumente, nicht aber die Argumente selbst als originell zu bewerten sind. Mit Ausnahme der Bestimmung des Fixsternhimmels als Ursache für die Erderhebung führt Dante keine Überlegungen an, die sich nicht schon bei früheren Autoren finden. Erst nach Dante werden innovative Lösungsvorschläge erarbeitet, die entscheidend zu einer Überwindung traditioneller Argumentationsmuster und zu einer Weiterentwicklung der ganzen Diskussion über die Lage der Elemente beitragen. Besonders zu erwähnen sind dabei Thomas Bradwar-

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dines These, daß die sphärische Lage der Elemente proportional zu ihrem Gewicht und Volumen beurteilt werden muß, sowie die von Johannes B uridan und Nicole Oresme vertretene Position, daß Gewicht und Volumen der Elemente unterschiedliche Mittelpunkte aufweisen. Wie P. Duhem bereits gezeigt hat, ermöglichten erst diese mechanistischen Modelle die Erarbeitung einer (innerhalb des geozentrischen Weltbildes) überzeugenden Lösung, die nicht auf metaphysische Annahmen wie beispielsweise die Existenz einer allgemeinen Natur angewiesen war97 • Es fällt auch auf, daß die Questio in hohem Maße dem Argumentationsstil des 13. Jahrhunderts verpflichtet ist und noch keine Elemente der analytischen Naturphilosophie des 14. Jahrhunderts aufweist. Sie besitzt zwar einen logisch-analytischen Aufbau, doch es fehlen jene drei Merkmale, die für die meisten Texte des 14. Jahrhunderts (vor allem im Oxforder und Pariser Milieu) kennzeichnend sind: die metalinguistische Analyse, die Einführung von analytischen Sprachen und die konsequente Anwendung gewisser methodischer Grundsätze98• Unter der metalinguistischen Analyse ist eine Methode zu verstehen, die sich primär auf die logisch-semantische Untersuchung naturphilosophischer Begriffe konzentriert und nur indirekt die Naturphänomene selbst einer Untersuchung unterwirft. Beispielsweise richtet sich eine metalinguistische Analyse der Frage „ Was ist 97

Vgl. P. Duhem, Le systcme du monde, Bd. 9, op.cit., 164-165 und 186-

204. In zahlreichen Aufsätzen hat J.E. Murdoch diese drei Merkmale an Fallbeispielen nachgewiesen. Vgl. z.B. „Scientia mcdiantibus vocibus. Metalinguistic Analysis in Late Medieval Natural Philosophy", in: J.P. Beckmann u.a. (Hrsg.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter, Miscellanea Mediaevalia 13/1, Berlin I New York: de Gruyter 1981, 73-106; „The Analytic Character of Late Medieval Learning. Natural Philosophy without Nature", in: L.D. Roberts (Hrsg.), Approaches to Nature in the Middle Ages, Binghamton N.Y.: Center for Medieval and Early Renaissance Studies 1982, 171-213; „The Involvment of Logic in Late Medieval Natural Philosophy", in: S. Caroti (Hrsg.), Studies in Medieval Natural Philosophy ,Firenze: Olschki 1989, 3-28. 98

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das Vakuum?" nicht auf das physikalische Phänomen des luftleeren Raums, sondern auf die semantische Klärung des Terminus 'Vakuum'. Die Einführung von analytischen Sprachen betrifft die logisch-semantische Analyse ganz bestimmter naturphilosophischer Probleme. Beispielsweise wird die Frage, wie der Anfangs- und Endpunkt einer Bewegung zu bestimmen sei, dadurch untersucht, daß eine incipitldesinit-Sprache (eine Sprache zur semantischen Analyse jener Wörter, die den Anfangsund den Endpunkt bezeichnen) eingeführt wird.Unter der Ausarbeitung gewisser methodischer Ansätze ist die Anwendung der sog. nominalistischen Prinzipien zu verstehen. Dazu gehören das Ökonomieprinzip (es dürfen nicht mehr Entitäten angenommen werden, als unbedingt erforderlich sind) und das Prinzip der semantischen Reduktion (alle Termini, die abstrakte Entitäten bezeichen, müssen durch eine Umformung auf jene Termini zurückgeführt werden, die singuläre Entitäten bezeichnen). Keines dieser drei Merkmale findet sich in der Questio99. Nicht die semantische Klärung der verwendeten Begriffe (z.B. 'Element', 'Emporragen') steht im Vordergrund, sondern die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Sachfragen. Es werden auch keine neuen Fachsprachen eingeführt, und die angewendeten Prinzipien beschränken sich auf traditionelle aristotelische Grundsätze100• Dante wendet das Ökonomieprinzip zwar in anderen Werken an, z.B. an entscheidender Stelle in Mon. 1, xiv, 1. Aber er beruft sich nur auf das klassische naturphilosophisch-kausale Ökonomieprinzip, das sich bereits in Phys. 1, 4 (188al 7) findet, und nicht auf das (für den Nominalismus typische) ontologische Ökonomieprinzip. 100 Einige dieser Grundsätze lauten: Man kann nicht mit jemandem diskutieren, der die Grundlagen einer Wissenschaft nicht anerkennt(§ 21); Prinzipien werden durch Induktion gewonnen(§ 21); Natur und Gott wollen immer das, was besser ist (§ 28); jede naturphilosophische Untersuchung geht vom Bekannteren zum weniger Bekannten Ober(§ 61). E. Carruccio, „Principi filosofici e metodi scientifici nella Questio de aqua et terra di Dante", Filosofia 21 (1970), 525-533 (besonders 525-529), weist darauf hin, daß einige dieser Prinzipien - vor allem der Grundsatz, daß Gott und 99

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Die Erneuerung der naturphilosophischen Grundlagen und Methoden trat allerdings erst nach 1320 ein, und sie erfolgte in den beiden intellektuellen Zentren Oxford und Paris, mit denen Dante - abgesehen von einem möglichen Aufenthalt in Paris 1310- nicht vertraut war. Er konnte von ihnen höchstens durch indirekte Vermittlung Kenntnis haben101• Entscheidend war für ihn vielmehr das intellektuelle Milieu der oberitalienischen Universitäten, vor allem der Einfluß der Naturphilosophen in Bologna und Padua. Auch in diesem Milieu finden sich aber neue Ansätze zur Beantwortung der Frage nach der Lage von Wasser und Erde. Der Arzt, Astronom und Philosoph Antonio Pelacani, der zwischen 1316 und 1326 in Bologna dozierte, erörtert in seinem Kommentar zum ersten Buch von Avicennas Canon medicinae ausführlich die traditionellen Argumente, die für und gegen die höhere Lage des Wassers gegenUber der Erde vorgebracht wurden. Er kommt zum Schluß, daß Wasser und Erde zwar konzentrisch angeordnet sind, daß aber trotzdem die Erde an bestimmten Stellen wasserfrei ist Zur BegrUndung dieser die Natur stets das Beste wollen- eine große Ähnlichkeit mit den Leibnizschen Prinzipien aufweisen. Obwohl sicherlich gewisse Parallelen zu Leibniz bestehen, ist gegen eine voreilige „Modernisierung" der Questio einzuwenden, daß sämtliche Prinzipien unmittelbar auf Aristoteles zurückgehen und in der scholastisch-aristotelischen Kultur weit verbreitet waren (vgl. Belege in den Kommentaren zu den jeweiligen Textstellen). 101 Die Tatsache, daß sich die Veränderungen im klassischen Fächerkanon der Artistenfakultäten von Paris und Oxford (z.B. die zunehmende Bedeutung der politischen Philosophie und der Rhetorik nach der Rezeption der entsprechenden aristotelischen Werke) auch in Dantes Werk zeigen, ist kein Indiz dafür, daß Dante sich unmittelbar mit den intellektuellen Bewegungen in Paris und Oxford auseinandersetzte, wie P. Kibre behauptet (vgl. „Dante and tlle Universities of Paris and Oxford", in: G. Di Scipio I A. Scaglione (Hrsg.), The Divine Comedy and tlle Encyclopedia of Arts and Sciences, Amsterdam/ Philadelphia: J. Benjamins Pub!. Comp. 1988, 367-371). Diese Entwicklungen wurden vielmehr von Autoren vermittelt, die entweder in Paris studiert hatten und in Oberitalien dozierten (z.B. Petrus von Abano) oder die in Paris unterrichteten und sich vorübergehend in Oberitalien aufhielten (z.B. Siger von Brabant). ·

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These führt er folgendes Argument an: „Daher ist zu beachten, daß die Natur selbst, d.h. die allgemeine Natur, bei der Anordnung des Universums das Unmögliche weggelassen und das Bestmögliche geschaffen hat Hätte sie zwei unterschiedliche Sphären für Erde und Wasser festgesetzt, hätten die Lebewesen unmöglich in ihrer Atmung gerettet werden können; hauptsächlich aus diesem Grunde wurden die Elemente geschaffen. Daher schuf die Natur gleichzeitig eine Sphäre für Erde und Wasser, die eine einzige Sphäre bildete, und zwar derart, daß sie in der Erde Hohlräume schuf, in denen das Wasser enthalten war."102 Die Innovation Pelacanis besteht darin, daß er zwischen Elementen und Sphären unterscheidet: Wasser und Erde sind zwar zwei Elemente, aber nur eine Sphäre. Folglich ist es unsinnig zu fragen, welche Sphäre höher liegt. Vielmehr muß die Beschaffenheit der beiden Elemente genauer betrachtet werden. Pelacani stellt fest (wie vor ihm bereits Brunetto Latini), daß die Erde keine glatte Oberfläche aufweist, sondern Hohlräume (vacuitates) besitzt. Und da das Wasser ein unstetes Element ist, fließt es in diese Hohlräume ab. Somit kann erklärt werden, warum die Weltkugel auf dem vierten bewohnbaren Teil wasserfrei ist. Genau an dieser Stelle fließt das Wasser nämlich von der Erde ab und sammelt sich im ozeanischen Gürtelmeer, das einen großen Hohlraum bildet. Diese Erklärung ist zweifellos elegant und kommt durch die Überwindung der traditionellen Sphärentheorie einer modernen Lösung nahe. Es ist bislang ungeklärt, warum Dante sie nicht berücksichtigt hat. Die Tatsache, daß Pelacanis Position in Cod. Vat. lat. 4452, f. 4va; zitiert nach B. Nardi, La caduta di Lucifero, op.cit., 58: „Unde advertendum, quod natura ipsa, [scilicet universalis), in ordinando universum, omisit impossibilia et fecit quod melius possibile erat. Unde, ponendo duas speras [distinctas) terre et aque, impossibile erat animalia salvari in eorum respiratione; et propter illa principaliter facta erant elementa. ldeo natura simul construxit speram tere et aque, ex eis unam constituens [speram], ita quod in tera ordinavit vacuitates in quibus aqua continebatur." (Die Ergänzungen stammen von Nardi.) 102

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der Questio nicht diskutiert wird, bedeutet allerdings noch keineswegs, daß die Questio nicht von Dante stammen kann, wie B. N ardi behauptet hat103• Erstens kann zum Nachweis der Echtheit nicht gefordert werden, daß ein Autor sämtliche Positionen berücksichtigen muß, die zu seiner Zeit in seinem intellektuellen Umfeld diskutiert werden. Eine solche Forderung ist vor allem bei Dante unangebracht, da er als Laie nicht in den universitären Strukturen integriert war und somit auch nicht von sämtlichen universitären Diskussionen eine Kenntnis haben konnte. Zweitens ist es zweifelhaft, ob Pelacani seine Position überhaupt vor 1320 entwickelt hat. Es steht lediglich fest, daß der zitierte Kommentar vor 1323 entstanden ist104 und daß sich Pelacani im November 1319 - also zwei Monate vor Dantes Disputation - in Verona aufgehalten hat105• Es fehlt aber ein Nachweis dafür, daß die Abfassung des Kommentars in die Zeit des Veroneser Aufenthaltes fällt oder daß Dante in dieser Periode mit Pelacani zusammengetroffen ist. Beim heutigen Forschungsstand kann auch nicht nachgewiesen werden, daß die Questio einen Widerhall gefunden hat. Aufgrund einer fehlenden handschriftlichen Überlieferung läßt sich keine Rezeption bis zur ersten Drucklegung feststellen. Zwar diskutiert Johannes Buridan teilweise jene Argumente, die in der Questio vorgebracht werden106, doch es ist unklar, ob er den Text gekannt hat. Auch nach dem ersten Druck von 1508 (Nachdruck 1576) fehlt jede Auseinandersetzung mit dem Werk. Dies läßt sich wohl damit erklären, daß die Fragestellung der Questio im Kontext der kopernikanischen und galileischen Naturwissenschaft des 16. und 17. Jahrhunderts bereits obsolet geworden La caduta di Lucifero, op.cit„ 59-61. Pelacani spricht im Kommentar vom frater Thomas. Dies ist ein Indiz dafür, daß er den Kommentar vor der Kanonisierung des Thomas von Aquin (18.7.1323) verfaßt hat; vgl. B. Nardi, La caduta di Lucifero, op.cit„ 53. 105 Vgl. G. Amaldi, „Verona", ED V, 976. 106 Darauf weist P. Duhem, Le systeme du monde, Bd. 9, 198, hin. 103 104

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war. In einigen Handbüchern, z.B. in der /storia degli scrittori fiorentini (1722), wird die Questio zwar erwähnt1()7, doch nicht diskutiert. Eine Beschäftigung mit dem Werk setzt erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein, als es durch die Neueditionen und Übersetzungen von A. Torri (1843), P. Fraticelli (1856-57) und G.B. Giuliani (1867) einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird108• Die ersten gründlichen Studien stammen sogar erst aus der Jahrhundertwende; in den Arbeiten von E. Moore (1899), G. Boffito (1901-02) und V. Biagi (1907) steht vor allem die Quellenfrage sowie das Problem der Authentizität im Vordergrund. Zusammenfassend kann hinsichtlich des zweiten Beurteilungskriteriums, das sich an der Bedeutung im historischen Kontext orientiert, festgehalten werden: Die Questio knüpft an verschiedene Traditionen an und versammelt die wichtigsten Argumente, die im ausgehenden 13. Jahrhundert zur Frage nach der Lage der Elemente diskutiert wurden. Indem sie die Argumente gezielt auswählt und auf originelle Weise miteinander verbindet, zeichnet sie sich als ein beachtenswertes Werk aus. Allerdings berücksichtigt sie nicht alle Argumente, die im intellektuellen Umfeld aktuell waren, und sie entwickelt keine grundsätzlich neuen Ansätze. Auf die Diskussionen des 14. und 15. Jahrhunderts scheint sie keinen Einfluß ausgeübt zu haben. Da Dante sich offensichtlich intensiv mit den naturphilosophischen Debatten des 13. Jahrhunderts beschäftigt hat, wie die Questio bezeugt, dürfen auch in den übrigen Werken die theoretischen Ausführungen über einzelne Naturphänomene und über die gesamte Naturkonzeption nicht übersehen werden. Dante war nicht bloß der Dicher, als der er in das kollektive kulturelle Gedächtnis Eingang gefunden hat, sondern stets auch Vgl. G. Negri, Istoria degli scrittori fiorentini, Ferrara: Bernardino Pomatelli Stampatore 1722, 141. 1"' Vgl. das Verzeichnis der wichtigsten Editionen und Übersetzungen s. 136ff. 107

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ein theoretischer, von der scholastischen Kultur geprägter Denker. Bereits die Kommentatoren des 14. und 15. Jahrhunderts erkannten diese enge Verflechtung von wissenschaftlicher und literarischer Tätigkeit, indem sie Dante einen gloriosus theologus, philosophus et poeta (Pietro Alighieri) oder einen Intellektuellen in professione philosopho poetico (Marsilius Ficino) nannten109• Eine wichtige Funktion der Questio besteht darin, daß sie auf den Philosophen Dante aufmerksam macht und dazu anregt, auch in der Comm., einem auf den ersten Blick literarischen Werk, nach außerliterarischen Elementen zu suchen. Schließlich kann drittens nach der kontextunabhängigen, genuin philosophischen Bedeutung der Questio gefragt werden. Auf diese Frage ist scheinbar eine kurze und einfache Antwort möglich: Die Questio besitzt außerhalb des historischen Kontexts keine philosophische Bedeutung. Seit der Überwindung des geozentrischen Weltbildes und der aristotelischen Elemententheorie ist nicht nur die vorgeschlagene Lösung, sondern die ganze Problemstellung hinfällig geworden. Ja, die spitzfindige Frage, wie denn trotz der konzentrischen Anordnung der Elemente die Erde über das Wasser hinausragen könne, erscheint einem modernen Leser seltsam und kaum verständlich. Die Versuchung liegt nahe, die Questio als eine historische Kuriosität aus dem Bereich der „wirklich philosophischen Fragen" zu verbannen. Eine solche Verbannung wäre zwar praktisch, weil man sich dann auf philosophische Fragen mit überzeitlicher Gültigkeit konzentrieren könnte. Und sicherlich gibt es Fragen - z.B. die Frage nach einer Definition von Wahrheit oder nach den Bedingungen objektiver Erkenntnis-, die sich unabhängig vom historischen Kontext immer wieder stellen und eine philosophische Grundlagendiskussion erfordern. Es wäre jedoch verhängnisVgl. II „Commentarium" di Pietro Alighieri, op.cit., 2; M. Ficino, Prohemia sopra Ja Monarchia, ed. P.A. Shaw, Studi danteschi 51 (1978), 109

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voll, eine philosophische Frage nur dann als genuin philosophisch zu betrachten, wenn sie sich als „ewige" Frage stellt Die Beurteilung des philosophischen Gehalts hängt stets vom jeweiligen Philosophiebegriff ab, und dieser verändert sich im historischen Kontext. Wenn Dante seine Untersuchung über die Lage der Elemente als hec phylosophia (§ 87) bezeichnet, geht er sicherlich nicht vom heute üblichen Philosophiebegriff aus. Doch ist seine Disputation deshalb unphilosophisch? Es wäre wohl angebrachter, in vorsichtiger Weise von einem anderen Philosophiebegriff zu sprechen, der nicht unmittelbar an einem modernen Philosophiebegriff meßbar ist. Genau diese Andersheit, die Alterität der mittelalterlichen Philosophie110 - präziser gesagt die Alterität gewisser mittelalterlicher Texte, die vom jeweiligen Autor ausdrücklich als philosophische Texte bezeichnet werden - gilt es wahrzunehmen und kritisch zu reflektieren. Dies schließt freilich nicht aus, daß einige Texte der mittelalterlichen Philosophie auch eine Modernität besitzen und der gegenwärtigen systematischen Diskussion wichtige Impulse geben könnenm. Entscheidend ist, daß die Aspekte der Alterität und Modernität koexistieren und ein Spannungsverhältnis bilden. Ob ein Text eher fremd oder aktuell erscheint, kann nicht eindeutig entschieden werden. Die jeweilige Beurteilung hängt einerseits davon ab, auf welchem Hintergrund die Problemstellung und die Prämissen des Textes begutachtet werden, sie wird andererseits aber auch von der Lesererwartung geprägt.

Ich bilde diesen Ausdruck in Anlehnung an den Titelessai von H.-R. Jauß, Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur, München: Fink l'J77, 9-47, vor allem 14-22. 111 Das in den letzten Jahren erstarkte Interesse an der mittelalterlichen Logik, Sprachphilosophie und Ontologie geht vor allem von diesem Aspekt der Modernität aus. Exemplarisch für diesen Zugang zur mittelalterlichen Philosophie ist die philosophisch äußerst anregende Cambridge History of Later Medieval Philosophy (zitiert in Anm. 53). 110

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Wie kann nun der Aspekt der Alterität in bezug auf die naturphilosophische Questio kritisch reflektiert werden? Ich möchte auf drei mögliche Ansätze hinweisen: Zunächst gilt es zu beachten, daß sich die Questio wie jeder mittelalterliche Text sehr stark an bestehenden Traditionen orientiert. Diese Ausrichtung auf das überlieferte Erbe bedeutet freilich nicht notwendigerweise eine vollständige Unterordnung unter die Tradition. Sie umfaßt neben einer Anlehnung an einen bestimmten Textkanon auch Elemente der kritischen Abgrenzung. Es ist für die scholastische Kultur aber kennzeichnend, daß immer eine Anlehnung oder Abgrenzung erforderlich war. Philosophieren war stets ein Kommentieren bereits existierender Texte und keineswegs eine Entfaltung gänzlich neuer Ideen. Die prägenden Texte für die Questio waren zweifellos die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles, des „Meisters der Wissenden"112. Sie stellten nicht nur den Ausgangspunkt für die meisten Detailargumente dar, sondern bildeten die Grundlage für das gesamte Weltbild. Die Kosmologie des Aristoteles wurde zudem mit Elementen anderer Traditionen (des Neuplatonismus, des Avicennismus usw.) durchsetzt, so daß ein äußerst komplexer Aristotelismus entstand113• Will man verstehen, warum die Questio uns in vielfacher Hinsicht fremd erscheint, muß man untersuchen, welche Elemente des zugrundeliegenden Aristotelismus fremd erscheinen. Eine solche Untersuchung er-

Inf. IV, 131: „maestro di color ehe sanno". Es ist kaum möglich, eine präzise Definition des Ausdrucks 'mittelalterlicher Aristotelismus' zu formulieren. E. Grant schlägt zwei Interpretationen vor: Man kann entweder von einem morphologischen Aristotelismus sprechen. Dann verhalten sich die einzelnen Kommentare zum Schriftcorpus des Aristoteles wie die einzelnen Individuen zu einer Spezies. Oder man kann in einem weiter gefaßten Sinn von einem Aristotelismus sprechen, bei dem die Kommentare wie die einzelnen Spezies einer Population in Beziehung zueinander stehen. Vgl. E. Grant, „Ways to Interpret the Terms 'Aristotelian' and 'Aristotelianism' in Medieval and Renaissance Natural Philosophy", History of Science 25 (1987), 335-358. 112 113

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fordert eine detaillierte Prüfung der aristotelischen Vora~t­ zungen in den einzelnen Argumenten. zweitens ist zu berücksichtigen, daß wir heute teilweise in anderen Begriffskategorien denken und daher gewisse mittelalterliche Ausdrücke nicht nur aus der mittelalterlichen (meistens lateinischen) Sprache in eine moderne Sprache übertragen müssen, sondern gleichzeitig auch von einem Begriff~tem in ein anderes. Ein solcher zu übertragender Ausdruck ist 'philosophia naturalis'. Wird er -was naheliegend ist-mit 'Naturphilosophie' übersetzt, assoziiert ein moderner Leser wohl sogleich zwei Gedanken: Erstens grenzt sich die nicht-empirische Naturphilosophie von den empirischen Naturwissenschaften ab, und zweitens wird durch die Naturphilosophie im Gegensatz zur Theologie ein rein rationales Wissen von der Natur gewonnen. Beide Assoziationen sind irreführend. Während des Mittelalters bestand keine scharfe Trennlinie zwischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft114. Sowohl die nicht-empirische Reflexion über die Natur als auch die empirische Analyse einzelner Naturphänomene orientierte sich immer an den naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles und versuchte, durch eine Textexegese zu neuen Einsichten zu gelangen. In der Schriftkommentierung vermischten sich empirische und nicht-empirische Argumente. Dies ist in der Questio deutlich sichtbar; empirische Beobachtungen (z.B. daß das Wasser von den Bergen abfließt oder daß sich die Lichtstrahlen im Wasser brechen) gehen mit nicht-empirischen Thesen (z.B. daß die partikuläre Natur der allgemeinen Natur untergeordnet ist) einher. Auch die Opposition zwischen einem philosophischen und einem theologischen Wissen von der Natur ist innerhalb des mittelalterlichen Begriffssystems unangebracht. Es handelt sich eher um zwei verschiedene Formen von Wissen und um zwei gleichberechtigte Zugänge zur Vgl. dazu grundlegend J .E. Murdoch, „Philosophy and the Enterprise of Science in the Later Middle Ages", in: Y. Elkana (Hrsg.), Tue Interaction between Science and Philosophy, Atlantic Highlands N. Y.: Humanities Press 1974, 51-74, besonders 52. 114

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Natur115• Häufig wurde versucht, eine Übereinstimmung zwischen den beiden Formen zu finden. Dieses Anliegen findet sich auch in der Questio (§ 76), denn die Disputation setzt sich zum Ziel, die aristotelisch-naturphilosophische Theorie von der Lage der Elemente mit der Schöpfungslehre in Einklang zu bringen. Aus dieser kurzen Bemerkung zum Bedeutungswandel von 'philosophia naturalis' wird ersichtlich: Will man die Alterität der Questio verstehen, muß man die Bedeutungsdifferenz zwischen mittelalterlichen und modernen Begriffen wahrnehmen und explizieren. Die Differenz beschränkt sich jedoch nicht auf einzelne Begriffe. Das ganze Weltbild, das die Begriffe beschreiben, hat sich seit der kopernikanischen Wende grundsätzlich verändert. Das mittelalterliche Weltbild ist zu einem „abgelegten Bild" 116 herabgesunken. Diesen Wandel verdeutlichen die folgenden Verse aus Par. I, lOCJ-114: „Ne l'ordine ch'io dico sono accline tutte nature, per diverse sorti, pfü al principio loro e men vicine; onde si muovono a diversi porti per lo gran mar de l'essere, e ciascuna con istinto a lei dato ehe la porti." Vgl. T. Gregory, „Forme di conoscenza e ideali di sapere nella cultura medievale", Giornale critico della filosofia italiana 67 (1988), 1-62; E. Grant, „Science and Theology in the Middle Ages", in: D.C. Lindberg / R.L. Numbers (Hrsg.), God and Nature: Historical Essays on the Encounter between Christianity and Science, Berkeley I Los Angeles / London: University of California Press 1986, 49-75. Die Existenz von zwei verschiedenen Formen des Wissens ist indessen nicht als friedliche Koexistenz zu verstehen. Zwischen den beiden Formen gab es zahlreiche Spannungen, ohne daß jedoch die eine Form die andere ausschloß. Vgl. L. Bianchi, „Loquens ut naturalis", in: L. Bianchi I E. Randi, Le verita dissonanti, Roma / Bari: Laterza 1990, 33-56. 116 Vgl. C.S. Lewis, The Discarded Image. An Introduction to Medieval and Renaissance Literature, Cambridge: University Press 1964. 115

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„Zu dieser Ordnung, wie ich sage, neigen Nun alle Wesen nach verschiednen Losen, Und ihrem Ursprung näher oder ferner. Darum ziehn sie auch nach verschiednen Häfen Im großen Meer des Seins, und jedes Wesen Von einem angebornen Trieb getragen." (Übers. H. Gmelin) Für Dante bildet die ganze Natur eine vollkommene Ordnung. Jeder einzelne Gegenstand in der Natur hat seinen Platz im „Meer des Seins" und strebt seinem spezifischen Bestimmungsort zu. Für einen Menschen des 20. Jahrhunderts hingegen stellt die Natur ein komplexes System von physikalischen und chemischen Prozessen dar, das sich in zahlreiche Subsysteme gliedert und von komplizierten Gesetzen bestimmt wird. Innerhalb von Dantes Weltbild ist es sinnvoll und wichtig, die Frage nach dem natürlichen Ort von Wasser und Erde zu stellen, denn jedes Wesen und jedes Element wird „von einem angebornen Trieb" zu seinem natürlichen Ort getragen. Innerhalb des modernen Weltbildes ist die Frage sinnlos. Will man die Alterität der Questio verstehen, muß man diese Alterität des Weltbildes berücksichtigen -eine Alterität, die sich auf die unmittelbare Weltwahrnehmung auswirkt; denn wer sich die Welt anders vorstellt, betrachtet sie auch anders. An einem Beispiel verdeutlicht heißt dies: Blickt ein Mensch des 20. Jahrhunderts in den Nachthimmel, sieht er ein unendliches Weltall mit unendlich vielen Sternen, die zu fernen Sonnensystemen gehören. Blickt ein Mensch des frühen 14. Jahrhunderts in den Nachthimmel, sieht er sich umgeben von konzentrischen, hierarchisch geordneten Himmelssphären, die begrenzt sind, von einem Weltenherrscher gelenkt werden und auf die sublunare Welt (z.B. auf die Lage der Elemente) einwirken. Der mittelalterliche Mensch sieht also die Welt anders. Und wer die Welt anders sieht, stellt auch andere philosophische Fragen.

ZUR AUSGABE

Für die vorliegende zweisprachige Ausgabe wurde der Text der Societll Dantesca ltaliana gewählt, den Pistelli 1921 ediert und Mazzoni 1979 in den Opere minnri übernommen hat Da die editio princeps von 1508-die einzige Textgrundlage-zahlreiche Fehler aufweist, sah sich Pistelli zu mehreren Konjekturen gezwungen. Diese Texteingriffe sind jedoch umstritten. Besonders Padoan (vgl. die Einleitung zur Edition von 1968, XXXIII-L) hat mehrere Emendationen Pistellis kritisiert und eine neue Textrekonstruktion versucht Wie Mazzoni in einem ausführlichen Kommentar (vgl. OM II, 774-880) gezeigt hat, sind aber einige Texteingriffe Padoans anfechtbar. Daher wurde für diese Ausgabe auf die Textfassung von Pistelli zurückgegriffen. Zwar wäre eine Überarbeitung der teilweise inkonsequenten Orthographie und Interpunktion wünschenswert, doch um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten, wurde der Text mit einer Ausnahme (vgl. Kommentar zu § 40) unverändert belassen. Der Kommentar ist weniger von einem philologischen als vielmehr von einem philosophiehistorischen Interesse geleitet. Textkritische Fragen werden nur dann erwähnt und erörtert, wenn sie für ein inhaltliches Verständnis unmittelbar relevant sind. Für ausführliche philologische Diskussionen sei auf die Kommentare von Padoan und Mazzoni verwiesen. Mit dem Kommentar werden vor allem vier Ziele verfolgt Erstens soll die Argumentationsstruktur des Textes erschlossen werden. Dante bedient sich häufig komplizierter Syllogismen und Implikationen, die einer Erklärung bedürfen. Es ist für ein genaues Textverständnis hilfreich, diese Argumentationstechniken, die einem heutigen Leserpublikum nicht mehr geläufig sind, mit Hilfe mittelalterlicher Logik-Handbücher aufzuschlüsseln. Als wichtigste Quellen dienen das aristotelische

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Organon (mit ausgewählten Kommentaren des 13. Jhs.) und der Tractatus des Petrus Hispanus, das einflußreichste Logik-Kompendium im Spätmittelalter. Zweitens soll ausführlich auf Parallelstellen verwiesen werden, um einerseits gewisse schwer verständliche Textstellen zu erklären und andererseits die enge inhaltliche Verknüpfung der Questio mit anderen Werken Dantes (vor allem mit Conv. und Mon.) aufzuzeigen. Drittens gilt es, den Text im philosophiehistorischen Kontext zu situieren. Daher werden die wichtigsten antiken und mittelalterlichen Quellen zitiert, auf die sich Dante stützen konnte. Freilich läßt sich nicht genau bestimmen, welche Vorlagen Dante tatsächlich verwendet hat, da keine Angaben über seine Privatbibliothek überliefert sind. Wie aus seinen Zitaten hervorgeht, hat er sich aber vor allem mit drei Traditionslinien befaßt: (1) die aristotelischen Schriften, die er sowohl durch eigene Lektüre als auch durch die Kommentare des Albertus Magnus und Thomas von Aquin kannte; (2) die Abhandlungen zur Sphärentheorie, die auf Euklid zurückgehen und vor allem durch Sacrobosco und dessen Kommentatoren im 13. Jh. an Einfluß gewannen; (3) gewisse „vulgärphilosophische", kompilatorische Werke, vor allem die Livres dou tresor des Brunetto Latini. Da Dante stark von der dominierenden aristotelischen Kultur geprägt war, werden zudem die Auctoritates Aristotelis, eine Sammlung der geläufigsten Aristoteles-Zitate, beigezogen. Um eine Übersicht und eine Konzentration auf die wichtigsten Stellen zu gewährleisten, wurde eine beschränkte Auswahl an Hintergrundmaterial getroffen. Für weitere Belege sei auf die reichhaltigen Kommentare von Boffito und Biagi verwiesen. Viertens schließlich soll mit kurzen Verweisen auf weiterführende Literatur das selbständige Studium angeregt werden. Die genauen bibliographischen Angaben zu den Kurztiteln finden sich im Literaturverzeichnis.

Zur Ausgabe

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Der vorliegende Band, der sich in die vierhändige Ausgabe von Dantes philosophischen Werken einreiht, ist im Rahmen eines Forschungsprojekts des Lehrstuhls für mittelalterliche Philosophie an der Universität Freiburg i.Ue. (Schweiz) entstanden. Unter der LeitungvonProf.Ruedilmbach habe ich mich zusammen mit Tiziana Suarez-Nani, Francis Cheneval und Thomas Ricklin der Erforschung des Dante phUosophus gewidmet. Die zahlreichen Diskussionen in der freundschaftlichen Atmosphäre dieser Forschungsgruppe waren mir stets eine wertvolle Hilfe, Anregung und Ermunterung. Vielen Dank! Judith Meuwly Correll danke ich für die sorgfältige und kompetente Vorbereitung des Manuskripts für den Druck. Dem Schweizerischen Nationalfonds bin ich für die großzügige finanzielle Förderung des Forschungsprojekts zu Dank verpflichtet. Auf der Jagd nach entlegener Literatur waren mir zahlreiche Bibliotheken behilflich. Ich danke vor allem der Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg i.Ue., der Bayrischen Staatsbibliothek in München und der Carl A. Kroch Library der Cornell University für tatkräftige Unterstützung.

DANTE ALIGHIERI

Questio de aqua et terra Abhandlung über das Wasser und die Erde

Queftio ßorulentaacperutilisde duobus elemmris aquae &rerrae tracras/nuperrepttta que olim Manruae au fpicara. Vcröae uero difputata & decifa acmanu propria fcripta/a/Danre Ftorentino pocta dariffimo/q diligeter&accurarecor.cs retta fuitp_erreucrendu Magiftni IoanneBencdia:wn Moncct tti de Caftilione Arrcrino R~ Patauinuonfi nis Bremirarum diui Auguftinifaaaeqs Tlieologiaedo &oremexcd tenammu.

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Editio princeps, Venedig 1508. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Carl A. Kroch Library, Comell University (Ithaca, NY)

DE FORMA ET SITU DUORUMELEMENTORUM AQUE VIDELICETETTERRE

(1) Universis et singulis presentes litteras inspecturis, Dantes Alagherii de Florentia inter vere phylosophantes minirnus, in Eo salutem qui est principium veritatis et lumen. (2) Manifestum sit omnibus vobis quod, existente me Mantue, questio quedam exorta est, que dilatrata multotiens ad apparentiam magis quam ad veritatem, indeterminata restabat. (3) Unde cum in amore veritatis a pueritia mea continue sim nutritus, non sustinui questionem prefatam linquere indiscussam; sed placuit de ipsa verum ostendere, nec non argumenta facta contra dissolvere, turn veritatis amore, turn etiam odio falsitatis. Et ne livor multorum, qui absentibus viris invidiosis mendacia confingere solent, post tergum bene dicta transmutent, placuit insuper in hac cedula meis digitis exarata quod determinatum fuit a me relinquere, et formam totius disputationis calamo designare. (4) Questio igitur fuit de situ et figura sive forma duorum elementorum, aque videlicet et terre; et voco hie 'forrnam' illam quam Phylosophus ponit in quarta specie qualitatis in Predicamentis. (5) Et restricta fuit questio ad hoc, tanquam ad principium investigande veritatis, ut quereretur utrum aqua in spera sua, hoc est in sua naturali circumferentia, in aliqua parte esset altior terra que emergit ab aquis et quam comuniter quartam

ÜBER DIE FORM UND DIE LAGE ZWEIER ELEMENTE, NÄMLICH DES WASSERS UND DER ERDE (1) Allen insgesamt Und den ei117.elnen, die den vorliegenden Brief prüfen werden, entbietet Dante Alighieri aus Aorenz, der geringste unter den wahrhaft Philosophierenden, seinen Gruß in dem, der Anfang der Wahrheit ist und Licht (2) Euch allen sei folgendes offenkundig: Als ich mich in Mantua aufhielt, wurde eine gewisse Frage aufgeworfen, die mehrmals eher gemäß dem Schein als gemäß der Wahrheit abgehandelt wurde und unentschieden blieb. (3) Da ich seit meiner Kindheit unaufhörlich in der Liebe zur Wahrheit genährt wurde, ertrug ich es nicht, die erwähnte Frage unerörtert zu lassen, sondern hielt es für angebracht, diesbezüglich das Wahre aufzuzeigen, nicht ohne die Gegenargumente aufzulösen- aus Liebe zur Wahrheit wie auch aus Abscheu vor der Falschheit Und damit nicht die Mißgunst der vielen, die in Abwesenheit der beneideten Männer Lügen zu erfinden pflegen, hinter dem Rücken das gut Gesagte verdrehe, schien es überdies angemessen, in diesem eigenhändig niedergeschriebenen Dokument das zurückzulassen, was von mir festgesetzt wurde, und den Ablauf der ganzen Disputation mit der Feder nachzuz.eichnen.

[Fragestellung]

(4) Die Frage also handelte von der Lage und der Figur oder Form zweier Elemente, nämlich des Wassers und der Erde. Und Form nenne ich hier das, was der Philosoph in den Kategorien als die vierte Art der Qualität festsetzt (5) Und die Frage wurde im Sinne des Prinzips der zu ergründenden Wahrheit auf folgendes eingegrenzt Es sollte untersucht werden, ob das Wasser in seiner Sphäre, d.h. in seiner natürlichen Kugeloberfläche, in ir-

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Questio de aqua et terra . 5-9

habitabilem appellamus. (6) Et arguebatur quod sie multis rationibus, quarum, quibusdam omissis propter earum levitatem, quinque retinui que aliquam efficaciam habere videbantur. (7) Prima fuit talis: Duarum circumferentiarum inequaliter a se distantium impossibile est idem esse centrum: circumferentia aque et circumferentia terre inequaliter distant; ergo etc. Deinde procedebatur: Cum centrum terre sit centrum universi, ut ab omnibus confirmatur; et omne quod habetpositionem in mundo aliam ab eo, sit altius; quod circumferentia aque sit altior circumferentia terre concludebatur, cum circumferentia sequatur undique ipsum centrum. (8) Maior principalis sillogismi videbatur patere per ea que demonstrata sunt in geometria; minor per sensum, eo quod videmus in aliqua parte terre circumferentiam includi a circumferentia aque, in aliqua vero excludi. (9) Secunda ratio erat: Nobiliori corpori debetur nobilior locus: aqua est nobilius corpus quam terra; ergo aque debetur nobilior locus. Et cum locus tanto sit nobilior quanto superiorpropter magis propinquare nobilissimo continenti quod est celum primum, relinquitur quod locus aque sit altior Joco terre et per consequens quod aqua sit altior terra, cum situs loci et locati non

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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gendeinem Teil höher liegt als die Erde, die aus den Wassern emporragt und die wir gewöhnlich den vierten bewohnbaren [Teil] nennen. ( 6) Und mit vielen Gründen, von denen ich einige wegen ihres geringen Gewichts weggelassen habe, wurde dafür argumentiert. Fünf davon, die eine gewisse Schlilssigkeit zu haben schienen, habe ich festgehalten.

[Argumente fiir die These, daß das Wasser höher liegt als die Erde] (7) Das erste [Argument] lautete folgendermaßen: Es ist unmöglich, daß zwei Kugeloberflächen, die ungleich voneinander entfernt sind, denselben Mittelpunkt haben. Die Kugeloberfläche des Wassers und die Kugeloberfläche der Erde haben eine ungleiche Entfernung voneinander. Also [haben sie nicht denselben Mittelpunkt]. Dann wurde weiter argumentiert: Da der Mittelpunkt der Erde der Mittelpunkt des Universums ist, wie von vielen bestätigt wird, und da alles, was in der Welt eine von ihr verschiedene Lage hat, höher liegt als sie, wurde gefolgert Die Kugeloberfläche des Wassers liegt höher als die Kugeloberfläche der Erde, weil eine Kugeloberfläche überall den gleichen Abstand zu ihrem Mittelpunkt hat. (8) Der Obersatz des Hauptsyllogismus schien klar aufgrund dessen, was in der Geometrie bewiesen wird; der Untersatz aufgrund der Sinneswahrnehmung, denn wir sehen, daß die Kugeloberfläche der Erde an einer gewissen Stelle von der Kugeloberfläche des Wassers eingeschlossen, an einer anderen aber von ihr ausgeschlossen wird. (9) Das zweite Argument lautete: Einern edleren Körper gebührt ein edlerer Ort. Das Wasser ist ein edlerer Körper als die Erde. Also gebührt dem Wasser ein edlerer Ort. Und weil ein Ort um so edler ist, je höher er liegt wegen seiner größeren Nähe zum edelsten Umfassenden, d.h. dem ersten Himmel, ergibt sich, daß der Ort des Wassers höher liegt als der Ort der Erde und daß folglich das Wasser höher liegt als die Erde, weil sich die Lage des Ortes und dessen, was sich am Ort befindet, nicht unterschei-

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Questio de aqua et terra . 9-15

differat. (10) Maior et minor principalis sillogismi huius rationis quasi manifeste dimittebantur. (ll)TertiaratioeratOmnisoppinioquecontradicitsensuiest mala oppinio: oppinari aquam non esse altiorem terra est contradicere sensui; ergo est mala oppinio. (12) Prima dicebatur patere per Commentatorem super tertio De Anima; secunda sive minor per experientiam nautarum, qui vident, in mari existentes, montes sub se, et probant dicendo quod ascendendo malum vident eos, in navi vero non vident; quod videtur accidere propter hoc, quod terra valde inferior sit et depressa a dorso maris. (13) Quarto arguebatur sie: Si terra non esset inferior ipsa aqua, terra esset totaliter sine aquis, saltem in parte detecta, de qua queritur: et sie nec essent fontes neque flumina neque lacus; cuius oppositum videmus: quare oppositum eius ex quo sequebatur est verum, scilicet quod aqua sit altior terra. (14) Consequentia probabatur per hoc, quod aqua naturaliter fertur deorsum; et cum mare sit principium omnium aquarum ut patet per Phylosophum in Metauris suis, si mare non esset altius quam terra, non moveretur aqua ad ipsam terram, cum in omni motu naturali aque principium oporteat esse altius. (15) Item arguebatur quinto: Aqua videtur maxime sequi motum lune, ut patet in accessu et recessu maris; cum igitur orbis lune sit ecentricus, rationabile videtur quod aqua in sua spera ecentricitatem imitetur orbis lune, et per consequens sit ecentrica; et cum hoc esse non possit nisi sit altior terra, ut in prima ratione ostensum est, sequitur idem quod prius.

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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den. (10) Ober- und Untersatz des Hauptsyllogismus in diesem Argument wurden gleichsam als offenkundig hingenommen. (11) Das dritte Argument lautete: Jede Meinung, die der Sinneswahrnehmung widerspricht, ist eine schlechte Meinung. Zu meinen, das Wasser liege nicht höher als die Erde, heißt der Sinneswahrnehmung widersprechen. Also ist dies eine schlechte Meinung. (12) Von der ersten Prämisse wurde gesagt, siegehe aus dem Kommentar des Averroes zum dritten Buch Über die Seele hervor; die zweite Prämisse oder der Untersatz aus der Erfahrung der Seeleute, die auf See unter sich Berge sehen. Und dies bekräftigen sie mit dem Hinweis, daß sie diese sehen, wenn sie den Mastbaum besteigen, jedoch nicht vom Schiffsdeck aus. Das scheint deshalb der Fall zu sein, weil die Erde sehr viel tiefer liegt und vom Meeresrücken niedergedrückt wird. (13) Viertens wurde folgendermaßen argumentiert: Wenn die Erde nicht tiefer läge als das Wasser, wäre die Erde vollkommen ohne Wasser, mindestens auf dem unbedeckten Teil, von dem die Rede ist. Und so gäbe es keine Quellen, keine Flüsse, keine Seen. Doch wir sehen das Gegenteil. Daher ist das Gegenteil, das daraus folgt, wahr, nämlich daß das Wasser höher liegt als die Erde. (14) Die Implikation wurde dadurch bewiesen, daß das W a8ser natürlicherweise nach unten fließt. Und da das Meer der Anfang aller Gewässer ist, wie aus der Meteorologie des Philosophen hervorgeht, gilt: Wenn das Meer nicht höher läge als die Erde, würde sich das Wasser nicht zur Erde bewegen, denn bei jeder natürlichen Bewegung des Wassers muß der Anfang höher liegen. (15) Weiter wurde fünftens argumentiert: Das Wasser scheint in höchstem Maße der Mondbewegung zu folgen, wie bei Flut und Ebbe des Meeres deutlich wird. Da nun die Mondlaufbahn exzentrisch ist, scheint es vernünftig, daß das Wasser in seiner Sphäre die Exzentrizität der Mondbahn nachahmt und folglich exzentrisch ist. Und da dies nur der Fall sein kann, wenn es höher liegt als die Erde, wie im ersten Argument gezeigt wurde, folgt dasselbe wie zuvor.

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Questio de aqua et terra . 16-18

(16) Hiis igitur rationibus, et aliis non curandis, conantur ostendere suarn oppinionem esse verarn qui tenent aquarn esse altiorem terra ista detecta sive habitabili, licet in contrarium est sensus et ratio. Ad sensum enim videmus per totarn terrarn flurnina descendere ad mare, tarn meridionale quarn septentrionale, tarn orientale quarn occidentale; quod non esset, si principia flurninum et tractus alveorum non essent altiora ipsa superficie maris. Ad rationem vero patebit inferius, et hoc multis rationibus demonstrabitur. (17) In ostendendo sive determinando de situ et forma duorum elementorum, ut superius tangebatur, hie erit ordo. Primo demonstrabitur impossibile aquam in aliqua parte sue circurnferentie altiorem esse hac terra emergente sive detecta. Secundo demonstrabitur terrarn hanc emergentem esse ubique altiorem totali superficie maris. Tertio instabitur contra demonstrata et solvetur instantia. Quarto ostendetur causa finalis et efficiens huius elevationis sive emergentie terre. Quinto solvetur ad argumenta superius prenotata. (18) Dico ergo propter primum quod si aqua, in sua circumferentia considerata, esset in aliqua parte altior quarn terra, hoc

Abhandlung Ober das Wasser und die Erde

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(16) Mit diesen Argumenten also und anderen, um die man sich nicht zu kllmmern braucht, versuchen jene, die behaupten, das Wasser liege höher als die unbedeckte oder bewohnbare Erde, zu zeigen, daß ihre Meinung wahr ist, obwohl die Sinneswahrnehmung und die vernünftige Überlegung für das Gegenteil sprechen. Was die Sinneswahrnehmung betrifft, sehen wir nämlich auf der ganzen Erde die Flüsse zum Meer hinabfließen, sowohl zum südlichen wie zum nördlichen, zum östlichen wie zum westlichen. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Anfänge der Flüsse und die Läufe der Flußbette nicht höher lägen als die Oberfläche des Meeres. Was aber die vernünftige Überlegung betrifft, so wird diese weiter unten deutlich und mit vielen Argumenten bewiesen werden.

[Argumentationsverlauf] (17) Bei der Darlegung oder Festsetzung von Lage und Form zweier Elemente - wie oben erwähnt wurde - wird folgende Ordnung befolgt werden. Zuerst wird bewiesen werden, daß das Wasser unmöglich in einem Teil seiner Kugeloberfläche höher liegt als die emporragende oder unbedeckte Erde. Zweitens wird bewiesen werden, daß die emporragende Erde überall höher liegt als die gesamte Oberfläche des Meeres. Drittens wird dem Bewiesenen widersprochen und der Einwand widerlegt werden. Viertens wird die Ziel- und Wirkursache dieser Erhebung oder des Emporragens der Erde aufgezeigt werden. Fünftens wird eine Lösung zu den oben angeführten Argumenten dargelegt werden.

[Erster Teil: Das Wasser liegt nicht höher als die Erde] (18) Hinsichtlich des ersten Punktes sage ich also: Wenn das Wasser, in seiner Oberfläche betrachtet, an einer Stelle höher

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Questio de aqua et terra . 18-22

esset de necessitate altero istorum duorum modorum: vel quod aqua esset ecentrica, sicut prima et quinta ratio procedebat; vel quod, concentrica existens, esset gibbosa in aliqua parte, secundum quam terre superhemineret; aliter esse non posset, ut subtiliter inspicienti satis manifestum est: sed neutrum istorum est possibile; ergo nec illud ex quo alterum vel alterum sequebatur. (19) Consequentia, ut dicitur, est manifesta per locum a sufficienti divisione cause; impossibilitas consequentis per ea que ostendentur apparebit. (20) Ad evidentiam igitur dicendorum, duo supponenda sunt: primum est quod aqua naturaliter movetur deorsum; secundum est quod aqua est labile corpus naturaliter, et non terrninabile termino proprio. (21) Et si quis hec duo principia vel alterum ipsorum negaret, ad ipsum non esset deterrninatio, cum contra negantem principia alicuius scientie non sit disputandum in illa scientia, utpatet ex primo Physicorum; sunt etenim hecprincipia inventa sensu et inductione, quorum est talia invenire, ut patet ex primo Ad Nicomacum. (22) Ad destructionem igitur primi membri consequentis dico quod aquam esse ecentricam est impossibile. Quod sie demonstro: Si aqua esset ecentrica, tria impossibilia sequerentur; quorum primum est quod aqua esset naturaliter mobilis sursum et deorsum; secundum est quod aqua non moveretur deorsum per eandem lineam cum terra; tertium est quod 'gravitas' equivoce predicaretur de ipsis; que omnia non tantum falsa sed impossibi-

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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läge als die Erde, so wäre dies aus Notwendigkeit auf eine der beiden folgenden Weisen der Fall: entweder weil das Wasser exzentrisch wäre, wie das erste und das fünfte Argument annahmen; oder weil es-durchaus konzentrisch-an einer Stelle, wo es über die Erde hinausragt, ausgebuchtet wäre. Anders wäre dies nicht möglich, wie einem sorgfältigen Beobachter zur Genüge klar ist Aber keines von beidem ist möglich, also auch nicht das, aus dem das eine oder andere folgte. (19) Die Implikation ist, wie man sagt, durch den [Argumentations]ort von der ausreichenden Unterteilung der Ursache offensichtlich. Die Unmöglichkeit des Folgesatzes wird sich durch die folgenden Darlegungen zeigen. (20) Zur Erhellung dessen also, was zu sagen ist, müssen zwei Annahmen getroffen werden: erstens, daß das Wasser sich natürlicherweise nach unten bewegt; zweitens, daß das Wasser natürlicherweise ein unsteter Körper ist und nicht durch eine eigene Grenze begrenzbar. (21) Und würde jemand diese beiden Prinzipien oder eines von beiden bestreiten, so wäre die Untersuchung nicht für ihn bestimmt, denn mit jemandem, der die Prinzipien einer Wissenschaft bestreitet, kann man nicht in dieser Wissenschaft diskutieren, wie aus dem ersten Buch der Physik hervorgeht. Diese Prinzipien werden nämlich durch Sinneswahrnehmung und durch Induktion gefunden, denen es zukommt, solche [Prinzipien] zu finden, wie aus dem ersten Buch der Nikomachischen Ethik hervorgeht (22)UmalsodasersteGlieddesFolgesatzeszuzerstören,sage ich: Es ist unmöglich, daß das Wasser exzentrisch ist. Dies beweise ich folgendermaßen: Wenn das Wasser exzentrisch wäre, würde dreierlei Unmögliches folgen. Das Erste lautet: Das Wasser könnte sich natürlicherweise nach oben und unten bewegen. Das Zweite lautet: Das Wasser würde sich nicht auf derselben Geraden wie die Erde nach unten bewegen. Das Dritte lautet: 'Schwerkraft' würde äquivok von diesen ausgesagt All dies scheint nicht nur falsch, sondern unmöglich zu sein. (23) Die Implikation wird folgendermaßen dargelegt: Der Himmel sei eine

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Questio de aqua et terra . 22-25

lia esse videntur. (23) Consequentia declaratur sie: Sit celum circumferentia in qua tres cruces, aqua in qua due, terra in qua una; et sit centrum celi et terre punctus in quo A, centrum vero aque ecentrice punctus in quo B; ut patet in figura signata. Dico ergo quod, si aqua erit in A et habeat transitum, quod naturaliter movebitur ad B, cum omne grave moveatur ad centrum proprie circumferentie naturaliter; et cum moveri ab A ad B sit moveri sursum, cum A sit simpliciter deorsum ad omnia, aqua movebitur naturaliter sursum; quod erat primum impossibile, quod sequi dicebatur. (24) Preterea sit gleba terre in Z, et ibidem sit quantitas aque, et absit omne prohibens: cum igitur, ut dictum est, omne grave moveatur ad centrum proprie circumferentie, terra movebiturper lineam rectam ad A, et aqua per lineam rectam ad B; sed hoc oportebit esse per lineas diversas, ut patet in figura signata; quod non solum est impossibile, sed rideret Aristotiles si audiret. Et hoc erat secundum quod declarari debebatur. (25) Tertium vero declaro sie: Grave et leve sunt passiones corporum simplicium, que moventur motu recto; et levia moventur sursum, gravia vero deorsum. Hoc enim intendo per grave et leve, quod sit mobile; sicut vult Phylosophus in Celo et Mundo. Si igitur aqua moveretur ad B, terra vero ad A, cum ambo sint corpora gravia, movebuntur ad diversa deorsum; quorum una ratio esse non potest, cum unum sit deorsum simpliciter, aliud vero secundum quid. Et cum diversitas in ratione finium arguat diversitatem in hiis que sunt propter illos, manifestum est quod diversa ratio gravitatis erit in aqua et in terra; et

Abhandlung über das W~r und die Erde

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Oberfläche, die mit drei Kreuzen gekennzeichnet wird, das Wasser mit zwei, die Erde mit einem. Und der Mittelpunkt von Himmel und Erde sei der Punkt A, der Mittelpunkt des exzentrischen Wassers aber der Punkt B, wie aus der gezeichneten Figur hervorgeht Ich sage also: Wenn sich in A Wasser befinden wird und freien Ruß hat, wird es sich natürlicherweise zu B bewegen, denn alles Schwere bewegt sich natürlicherweise zum Mittelpunkt der eigenen Kugeloberfläche. Und da die Bewegung von A zu B eine Bewegung nach oben ist, weil A schlechthin der tiefste Punkt von allen ist, wird sich das Wasser natürlicherweise nach oben bewegen. Dies war das erste Unmögliche, von dem gesagt wurde, es folge. (24) Außerdem sei eine Erdscholle in Z gegeben, und an demselben Ort sei eine Quantität Wasser, und es sei kein Hindernis vorhanden. Da also, wiegesagt wurde, alles Schwere sich zum Mittelpunkt der eigenen Kugeloberfläche bewegt, wird sich die Erde auf einer Geraden nach A bewegen, und das Wasser auf einer Geraden nach B. Aber dies wird auf zwei verschiedenen Geraden erfolgen müssen, wie aus der gezeichneten Figur hervorgeht Dies ist nicht nur unmöglich, sondern Aristoteles würde sogar lachen, wenn er es hörte. Und dies war das Zweite, das dargelegt werden sollte. (25) Das Dritte aber lege ich folgendermaßen dar: Schwer und leicht sind Eigenschaften von einfachen Körpern, die sich geradlinig bewegen; und Leichtes bewegt sich nach oben, Schweres aber nach unten. Ich verstehe unter schwer und leicht nämlich das, was bewegbar ist, wie es der Philosoph in Über Himmel und Erde festlegt. Wenn sich also das Wasser nach B bewegte, die Erde aber nach A, weil beide schwere Körper sind, werden sie sich zu verschiedenen Punkten nach unten bewegen. Diese können nicht eine einzige Zielbestimmtheit haben, denn der eine (Punkt] ist schlechthin unten, der andere aber relativ. Und da eine Verschiedenheit in der Bestimmtheit der Ziele eine Verschiedenheit in dem zur Folge hat, was auf sie zugeordnet ist, ist es offenkundig, daß es für das Wasser und die Erde eine unterschiedliche Bestimmtheit der Schwerkraft geben wird. Und da

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Questio de aqua et terra . 25-28

cum diversitas rationis cum identitate nominis equivocationem faciat, ut patet per Phylosophum inAntepredicamentis, sequitur quod 'gravitas' equivoce predicetur de aqua et terra; quod erat tertium consequentie membrum declarandum. (26) Sie igitur patet per veram demonstrationem hoc, quod aqua non est ecentrica; quod erat primum consequentis principalis consequentie quod destrui debebatur. (27) Ad destructionem secundi membri consequentis principalis consequentie, dico quod aquam esse gibbosam est etiam impossibile. Quod sie demonstro: Sit celum in quo quatuor cruces, aqua in quo tres, terra in quo due; et centrum terre et aque concentrice et celi sit D. Et presciatur hoc, quod aqua non potest esse concentrica terre, nisi terra sit in aliqua parte gibbosa supra centralem circumferentiam ut patetinstructis in mathematicis, si in aliqua parte emergit a circumferentia aque. Et ideo gibbus aque sit in quo H, gibbus vero terre in quo G; deinde protrahatur linea una a D ad H, et una alia a D ad F. Manifestum est quod linea que est a D ad H est longior quam que est a D ad F, et per hoc summitas eius est altior summitate alterius; et cum utraq ue contingat in summitate sua superficiem aque, neque transcendat, patet quod aqua gibbi erit sursum per respectum ad superficiem ubi est F. Cum igitur non sit ibi prohibens si vera sunt que prius supposita erant, aqua gibbi dilabetur, donec coequetur ad D cum circumferentia centrali sive regulari; et sie impossibile erit permanere gibbum, vel esse; quod demonstrari debebat. (28) Et preter hanc potissimam demonstrationem, potest etiam probabiliter ostendi quod aqua

Abhandlung über das W~r und die Erde

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eine Verschiedenheit der Bestimmtheit bei einer Gleichheit des Namens eine Äquivokation verursacht, wie durch den Philosophen in den Kategorien deutlich wird, folgt, daß 'Schwerkraft' äquivok von Wasser und Erde ausgesagt wird. Dies war das dritte zu erläuternde Glied der Implikation. (26) So wird also durch einen echten Beweis klar, daß das Wasser nicht exzentrisch ist Das war das erste Glied des Folgesatzes in der Hauptimplikation, das zerstört werden mußte. (27) Um das zweite Glied des Folgesatzes in der Hauptimplikation zu zerstören, sage ich: Es ist auch unmöglich, daß das Wasser ausgebuchtet ist. Dies beweise ich folgendermaßen: Der Himmel sei mit vier Kreuzen gekenm.eichnet, das Wasser mit drei, die Erde mit zwei. Und der Mittelpunkt der Erde, des konzentrischen Wassers und des Himmels sei D. Und dies sei vorausgesetzt: Das Wasser kann nur dann mit der Erde konzentrisch sein, wenn die Erde an einer Stelle über die zentrale Kugeloberfläche hinaus ausgebuchtet ist- wie den mathematisch Gebildeten klar ist-, sofern die [Erde] an einer Stelle aus der Kugeloberfläche des Wassers hervorragt. Und deshalb sei eine Ausbuchtung des Wassers in H, eine Ausbuchtung der Erde aber in G. Dann werde eine Gerade von D zu Hgezogen und eine andere von D zu F. Es ist offenkundig, daß die Gerade, die von D zu H führt, länger ist als jene, die von D zu F führt, und daß deshalb der höchste Punkt der einen höher liegt als der höchste Punkt der anderen. Und da beide in ihrem höchsten Punkt die Oberfläche des Wassers erreichen, sie jedoch nicht überschreiten, ist es klar, daß das Wasser der Ausbuchtung sich über jener Oberfläche befinden wird, auf der Fliegt. Da es dort nun kein Hindernis gibt, wenn das vorher Vorausgesetzte wahr ist, wird das Wasser der Ausbuchtung abfließen, bis es sich bezüglich D mit einer zentralen oder regelmäßigen Kugeloberfläche ausgleicht. Und so wird es unmöglich sein, daß eine Ausbuchtung bleiben wird, oder daß sie überhaupt besteht, was zu beweisen war. (28) Und außer diesem durchschlagenden Beweis kann auch mit Wahrscheinlichkeit gezeigt werden, daß das Wasser außerhalb der regelmäßi-

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Questio de aqua et terra · 28-31

non habeat gi.bbum extra circumferentiam regularem; quia quod potest fieri per unum, melius est quod fiat per unum quam per plura: sed totum suppositum potest fieri per solum gibbum terre, ut infra patebit; ergo non est gibbus in aqua; cum Deus et natura semper faciat et velit quod melius est, ut patet per Phylosophum primo De Celo et Mundo, et secundo De Generatione Animalium. (29) Sie igitur patet de primo sufficienter; videlicet quod impossibile est aquam in aliqua parte sue circumferentie esse altiorem, hoc est remotiorem ad centrum mundi, quam sit superficies huius terre habitabilis; quod erat primum in ordine dicendorum. (30) Si ergo impossibile est aquam esse ecentricam, ut per primam figuram demonstratum est, et esse cum aliquo gibbo, utper secundam est demonstratum; necesse est ipsam esse concentricam et coequam, hoc est equaliter in omni parte sue circumferentie distantem a centro mundi, ut de se patet (31) Nunc arguo sie: Quicquid superheminet alicui parti circumferentie distantis equaliter a centro, est remotius ab ipso centro quam aliqua pars ipsius circumferentie: sed omnia littora, tam ipsius Amphitritis quam marium mediterraneorum, superheminent superficiei contingentis maris, ut patet ad oculum; ergo omnia littora sunt remotiora a centro mundi, cum centrum mundi sit centrum maris ut visum est, et superficies littorales sint partes totalis superficiei maris: et cum omne remotius a centro

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gen Kugeloberfläche keine Ausbuchtung aufweist, denn wenn etwas durch ein einziges bewirkt werden kann, wird es besser durch eines als durch vieles bewirkt Aber das ganze Vorausgesetzte kann durch eine einzige Ausbuchtung der Erde erfolgen, wie sich weiter unten zeigen wird. Also gibt es im Wasser keine Ausbuchtung; denn Gott und die Natur bewirken und wollen immer das, was besser ist, wie durch den Philosophen im ersten Buch Über Himmel und Erde und im zweiten Buch Über die Entstehung der Tiere deutlich wird. (29) So also besteht im Hinblick auf den ersten Punkt ausreichende Klarheit, nämlich daß es unmöglich ist, daß das Wasser an einer Stelle seiner Kugeloberfläche höher liegt, d.h. weiter als die Oberfläche dieser bewohnbaren Erde vom Mittelpunkt der Welt entfernt. Dies war der erste Schritt im Argumentationsverlauf. (30) Wenn es also unmöglich ist, daß das Wasser exzentrisch ist, wie durch die erste Figur gezeigt wurde, und daß es eine Ausbuchtung aufweist, wie durch die zweite bewiesen wurde, ist es notwendigerweise konzentrisch und eben, d.h. an jeder Stelle seiner Kugeloberfläche gleich weit vom Mittelpunkt der Erde entfernt, wie von selbst klar wird.

[Zweiter Teil: Die Erde liegt hiiherals das Wasser]

(31) Nun argumentiere ich folgendermaßen: Was auch immer über eine Stelle der gleich weit vom Mittelpunkt entfernten Kugeloberfläche hinausragt, ist weiter von diesem Mittelpunkt entfernt als irgendeine Stelle der Kugeloberfläche. Aber alle Küsten, jene des Ozeans ebenso wie jene der Mittelmeere, ragen über die Oberfläche des anstoßenden Meeres hinaus, wie ins Auge springt Also sind alle Küsten weiter vom Mittelpunkt der Erde entfernt, denn der Mittelpunkt der Erde ist der Mittelpunkt des Meeres, wie sich gezeigt hat, und die Oberflächen der Küsten sind Teile der ganzen Meeresoberfläche. Und da alles, was vom Mittelpunkt der Erde weiter entfernt ist, höher liegt, folgt, daß

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Questio de aqua et terra · 31-35

mundi sit altius, consequens est quod littora omnia sint superheminentia toti mari; et si littora, multo magis alie regiones terre, cum littora sint inferiores partes terre; et id flumina ad illa descendentia manifestant. (32) Maior vero huius demonstrationis demonstratur in theorematibus geometricis; et demonstratio est ostensiva, licet vim suam habeat, ut in hiis que demonstrate sunt superius, per impossibile. (33) Et sie patet de secundo. (34) Sed contra ea que sunt determinata, sie arguitur: Gravissimum corpus equaliter undique ac potissime petit centrum: terra est gravissimum corpus; ergo equaliter undique ac potissime petit centrum. Et ex hac conclusione sequitur, ut declarabo, quod terra equaliter in omni parte sue circumferentie distet a centro, per hoc quod dicitur „equaliter"; et quod sit substans omnibus corporibus, per hoc quod dicitur „potissime"; unde sequeretur, si aqua esset concentrica, ut dicitur, quod terra undique esset circumfusa et latens; cuius contrarium videmus. (35) Quod illa sequantur ex conclusione, sie declaro: Ponamus per contrarium sive oppositum consequentis illius quod est in omni parte equaliter distare, et dicamus quod non distet; et ponamus quod ex una parte superficies terre distet per viginti stadia, ex alia per decem: et sie unum emisperium eius erit maioris quantitatis quam alterum: nec refert utrum parum vel multum diversificentur in distantia, dummodo diversificentur. Cum ergo maioris quantitatis terre sit maior virtus ponderis, emisperium maius per virtutem sui ponderis prevalentem impellet emisperium mi-

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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alle Küsten über das ganze Meer hinausragen. Und wenn dies für die Küsten gilt, so noch viel mehr für andere Gegenden der Erde, denn die Küsten sind tiefer gelegene Teile der Erde. Und dies veranschaulichen die Flüsse, die zu ihnen hinabfließen. (32) Der Obersatz dieser Argumentation wird in den geometrischen Theoremen bewiesen. Und der Beweis ist ostensiv, obwohl er wie in den Ausführungen weiter oben seine Beweiskraft durch [eine Rückführung auf] Unmögliches erhält. (33) Und so wird der zweite Argumentationsschritt deutlich.

[Dritter Teil: Einwand und Widerlegung des Einwandes] (34) Doch gegen das Festgelegte wird folgendermaßen argumentiert: Der schwerste Körper strebt überall gleich und mit größter Kraft zum Mittelpunkt. Die Erde ist der schwerste Körper. Also strebt sie überall gleich und am stärksten zum Mittelpunkt. Und aus diesem Schlußsatz folgt, wie ich darlegen werde, daß die Erde an jeder Stelle ihrer Kugeloberfläche gleich weit vom Mittelpunkt entfernt ist; dies besagt „gleich"; und daß sie allen Körpern zugrunde liegt; dies besagt „am stärksten". Daher würde folgen, wenn -wie gesagt-das Wasser konzentrisch wäre, daß die Erde überall umströmt und bedeckt wäre. Das Gegenteil davon sehen wir. (35) Daß dies aus dem Schlußsatz folgt, lege ich folgendermaßen dar: Treffen wir aufgrund des Gegenteils oder der Umkehrung des Folgesatzes, daß an jeder Stelle ein gleicher Abstand besteht, eine Festsetzung und sagen wir, es bestehe kein [gleicher] Abstand. Und setzen wir fest, daß an einer Stelle die Erdoberfläche zwanzig Stadien entfernt ist, an einer anderen zehn [Stadien]. Und so wird eine ihrer Hemisphären eine größere Quantität haben als die andere. Es spielt keine Rolle, ob sie sich im Abstand weniger oder mehr unterscheiden, solange sie sich unterscheiden. Da also die größere Quantität Erde ein größeres Gewicht hat, drückt die größere Hemisphäre wegen ihres vorherrschenden Gewichts auf die kleinere Hemi-

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Questio de aqua et terra · 35-40

nus, donec adequetur quantitas utriusque, per cuius adequationem adequetur pondus; et sie undique redibit ad distantiam quindecim stadiorum; sicut et videmus in appensione ac adequatione ponderum in bilancibus. (36) Per quod patet quod impossibile est terram equaliter centrum petentem diversimode sive inequaliter in sua circumferentia distare ab eo. Ergo necessarium est oppositum suum quod est equaliter distare, cum distet; et sie declarata est consequentia, quantum ex parte eius quod est equaliter distare. (37) Quod etiam sequatur ipsam substare omnibus corporibus, quod sequi etiam ex conclusione dicebatur, sie declaro: Potissima virtus potissime attingit finem, nam per hoc potissima est, quod citissime ac facillime finem consequi potest: potissima virtus gravitatis est in corpore potissime petente centrum, quod quidem est terra; ergo ipsa potissime attingit finem gravitatis, qui est centrum mundi; ergo substabit omnibus corporibus, si potissime petit centrum; quod erat secundo declarandum. (38) Sie igitur apparet esse impossibile quod aqua sit concentrica terre; quod est contra determinata. (39) Sed ista ratio non videtur demonstrare, quia propositio maior principalis sillogismi non videtur habere necessitatem. Dicebatur enim „gravissimum corpus equaliter undique ac potissime petit centrum"; quod non videtur esse necessarium; quia, licet terra sit gravissimum corpus comparatum ad alia corpora, comparatum tarnen in se, secundum suas partes, potest esse gravissimum et non gravissimum, quia potest esse gravior terra ex una parte quam ex altera. (40) Nam cum adequatio corporis gravis non fiat per quantitatem, in quantum quantitas, sed per pon-

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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sphäre, bis sich die beiden Quantitäten angeglichen haben und sich durch diese Angleichung auch das Gewicht angleicht. Und so wird sich [die Oberfläche] überall auf einen Abstand von fünfzehn Stadien einstellen, wie wir bei der Abwägung und Angleichung von Gewichten auf einer Waage sehen. (36) Dadurch wird deutlich, daß es unmöglich ist, daß die Erde, die in gleicher Weise den Mittelpunkt anstrebt, in ihrer Oberfläche unterschiedlich oder ungleich von ihm entfernt ist. Also ist das Gegenteil davon notwendig, nämlich daß sie den gleichen Abstand hat, da sie einen Abstand hat. Und so wurde die Implikation erläutert, was den Teil „gleicher Abstand" betrifft. (37) Daß auch folgt, [die Erde] liege allen Körpern zugrunde, was sich aus dem Schlußsatz ergeben sollte, lege ich folgendermaßen dar: Die mächtigste Kraft erreicht am stärksten das Ziel, denn sie ist dadurch die mächtigste, daß sie am schnellsten und am leichtesten das Ziel erreichen kann. Die mächtigste Schwerkraft ist injenem Körper, der den Mittelpunkt am stärksten anstrebt, und das ist die Erde. Also erreicht sie am stärksten das Ziel der Schwerkraft, das der Mittelpunkt der Erde ist. Also wird sie allen Körpern zugrunde liegen, wenn sie am stärksten den Mittelpunkt anstrebt. Dies war zweitens zu erklären. (38) So also ist es offensichtlich unmöglich, daß das Wasser mit der Erde konzentrisch ist. Dies widerspricht dem Festgesetzten. (39) Dieses Argument scheint aber nicht beweiskräftig zu sein, denn der Obersatz des Hauptsyllogismus scheint keine Notwendigkeit zu besitzen. Es wurde nämlich gesagt: ,,Der schwerste Körper strebt überall gleich und am stärksten zum Mittelpunkt". Dies scheint nicht notwendig zu sein, denn obwohl die Erde im Vergleich zu anderen Körpern der schwerste Körper ist, kann sie dennoch im Vergleich zu sich selbst, d.h. bezüglich ihrer Teile, der schwerste und nicht der schwerste (Körper] sein, denn die Erde kann an einer Stelle schwerer sein als an einer anderen. (40) Denn da die Angleichung eines schweren Körpers nicht durch die Quantität als Quantität, sondern durch das Gewicht erfolgt, wird es dort eine Angleichung des

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Questio de aqua et terra . 40-46

dus, poterit ibi esse adequatio ponderis, cum non sit ibi adequatio quantitatis; et sie illa demonstratio est apparens et non existens. (41) Sed talis instantia nulla est; procedit enim ex ignorantia nature homogeneorum et simplicium. Corpora enim homogenea et simplicia -surrt homogenea ut aurum depuratum, et simplicia ut ignis et terra - regulariter in suis partibus qualificantur omni naturali passione. (42) Unde, cum terra sit corpus simplex, regulariter in suis partibus qualificatur, naturaliter et per se loquendo; quare cum gravitas insit naturaliter terre, et terra sit corpus simplex, necesse est ipsam in omnibus partibus suis regularem habere gravitatem, secundum proportionem quantitatis; et sie cadit ratio instantie principalis. (43) Unde respondendum est quod ratio instantie sophistica est, quia fallit secundum quid et simpliciter. (44) Propter quod sciendum est quod Natura universalis non frustratur suo fine; unde, licet natura particularis aliquando propter inobedientiam materie ab intento fine frustretur, Natura tarnen universalis nullo modo potest a sua intentione deficere, cum Nature universali equaliter actus et potentia rerum, que possunt esse et non esse, subiaceant. ( 45) Sed intentio Nature universalis est ut omnes forme, que surrt in potentia materie prime, reducantur in actum, et secundum rationem speciei sint in actu; ut materia prima secundum suam totalitatem sit sub omni forma materiali, licet secundum partem sit sub omni privatione opposita, preter unam. (46) N am cum omnes forme, que surrt in potentia materie, ydealiter sint in actu in Motore celi, ut dicit Comentator in De Substantia Orbis, si omnes iste forme non essent semper in actu, Motor celi deficeret ab integritate

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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Gewichts geben können, obwohl dort keine Angleichung der Quantität erfolgt. Und so ist dieser Beweis ein Scheinbeweis und existiert nicht. (41) Aber ein solcher Einwand ist nicht stichhaltig. Er beruht nämlich auf einer Unkenntnis von der Natur der homogenen und einfachen [Körper). Die homogenen und einfachen Körper - homogen ist z.B. gereinigtes Gold, einfach sind Feuer und Erde - werden in ihren Teilen von der ganzen natUrlichen Eigenschaft gleichmäßig qualitativ bestimmt. (42) Da die Erde ein einfacher Körper ist, wird sie daher in ihren Teilen gleichmäßig qualitativ bestimmt, sofern man von ihr gemäß der Natur und an sich spricht. Da die Schwerkraft auf natürliche Weise der Erde innewohnt und die Erde ein einfacher Körper ist, ist es deshalb notwendig, daß sie in allen ihren Teilen eine gleichmäßige Schwerkraft besitzt, in jeweiliger Entsprechung zur Quantität. Und so zerfällt das Argument des Haupteinwandes. (43) Daher ist zu erwidern, daß das Argument des Einwandes sophistisch ist, denn es ist relativ und schlechthin trügerisch. (44) Deshalb muß man wissen, daß die allgemeine Natur ihr Ziel nicht verfehlt. Obwohl die partikuläre Natur manchmal wegen der Unfügsamkeit der Materie das angestrebte Ziel verfehlt, kann die allgemeine Natur dennoch in keiner Weise von ihrer Absicht abweichen, denn der allgemeinen Natur liegen in gleicher Weise der Akt und das Vermögen jener Dinge zugrunde, die existieren können und nicht existieren können. (45) Es ist aber die Absicht der allgemeinen Natur, daß alle Formen, die im Vermögen der ersten Materie bestehen, in den Akt zurückgeführt werden und ihrer Art gemäß im Akt sind; derart daß die erste Materie gemäß ihrer Ganzheitjeder materiellen Form untersteht, obwohl sie gemäß einem Teil jeder entgegengesetzten Privation außer einer zugrunde liegt. (46) Da nämlich alle Formen, die im Vermögen der Materie sind, als Ideen im Himmelsbeweger in Akt sind, wie der Kommentator [A verroes] in Über die Erdsubstanz sagt, gilt: Wenn alle jene Formen nicht immer in Akt wären, würde der Himmelsbeweger die vollständige Ausstrahlung seiner Gü-

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Questio de aqua et terra · 46-50

diffusionis sue bonitatis, quod non est dicendum. ( 47) Et cum omnes forme materiales generabilium et corruptibilium, preter formas elementorum, requirant materiam et subiectum mixtum et complexionatum, ad quod tanquam ad finem ordinata sunt elementa in quantum elementa, et mixtio esse non possit ubi miscibilia simul esse non possunt, ut de se patet; necesse est esse partem in universo ubi omnia miscibilia, scilicet elementa, convenire possint; hec autem esse non posset, nisi terra in aliqua parte emergeretur, ut patet intuenti. (48) Unde cum intentioni Nature universalis omnis natura obediat, necesse fuit etiam preter simplicem naturam terre, que est esse deorsum, inesse aliam naturam per quam obediret intentioni universalis Nature; ut scilicet pateretur elevari in parte a virtute celi, tanquam obediens a precipiente, sicut videmus de concupiscibili et irascibili in homine; que licet secundum proprium impetum ferantur secundum sensitivam affectionem, secundum tarnen quod rationi obedibiles sunt, quandoque a proprio impetu retrahuntur, ut patet ex primo Ethicorum. (49) Et ideo, licet terra secundum simplicem eius naturam equaliter petat centrum, ut in ratione instantie dicebatur, secundum tarnen naturam quandam patitur elevari in parte, Nature universali obediens, ut mixtio sit possibilis. (50) Et secundum hec salvatur concentricitas terre et aque; et nichil sequitur impossibile apud recte phylosophantes, ut patet in ista figura, ut sit celum circulus in quo A, aqua circulus in quo B, terra circulus in quo C. Nec refert, quantum ad propositum verum, aqua parum velmultum a terradistarevideatur. Etsciendumquod ista

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te verfehlen, was man nicht behaupten darf. (47) Und da alle materiellen Formen des Entstehbaren und Vergänglichen (außer den Formen der Elemente) eine Materie sowie ein gemischtes und zusammengefügtes Subjekt erfordern, worauf die Elemente (insofern sie Elemente sind) als auf ihr Ziel ausgerichtet sind, und da es keine Vermischung geben kann, wo das Mischbare nicht gleichzeitig existieren kann, wie an sich klar ist, muß es im Universum notwendigerweise einen Teil geben, wo alles Mischbare, nämlich die Elemente, zusammentreffen könnte. Dies wäre aber nicht möglich, wenn die Erde nicht an einer Stelle emporragte, wie einem Betrachter klar ist. (48) Da also jede Natur der Absicht der allgemeinen Natur gehorcht, war es notwendig, daß der Erde außer der einfachen Natur, die im Abwärts-Streben besteht, eine andere Natur innewohnt, durch die sie sich der Absicht der allgemeinen Natur fügt, derart nämlich, daß sie es erträgt, an einer Stelle von der Himmelskraft emporgehoben zu werden, wie das Gehorchende vom Befehlenden, wie wir dies beim begehrenden und erzürnbaren [Trieb] im Menschen sehen. Obwohl diese manchmal aus eigenem Antrieb vom leidenschaftlichen Gefühl bewegt werden, sind sie doch manchmal, wenn sie vom eigenen Antrieb zurückgehalten werden, der Vernunft gefügig, wie aus dem ersten Buch der Nikomachischen Ethik hervorgeht. (49) Und deshalb gilt: Obwohl die Erde gemäß ihrer einfachen Natur gleichmäßig zum Mittelpunkt strebt, wie im Argument des Einwandes gesagt wurde, läßt sie sich doch gemäß einer bestimmten Natur an einer Stelle emporheben, wenn sie sich der allgemeinen Natur fügt, so daß eine Vermischung möglich ist. (50) Und demnach wird die Konzentrizität von Erde und Wasser gewahrt. Und nichts Unmögliches folgt für die korrekt Philosophierenden, wie aus der Figur deutlich wird, in der der Himmel der Kreis sei, auf dem sich A befindet, das Wasser der Kreis, auf dem sich B befindet, die Erde der Kreis, auf dem C liegt. Hinsichtlich des wahren Sachgehaltes macht es keinen U nterschied, ob das Wasser nur wenig oder weit von der Erde ent-

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Questio de aqua et terra · 50-55

est vera, quia est qualis est forma et situs duorum elementorum; alie due superiores false; et posite sunt, non quia sie sit, sed ut sentiat discens, ut ille dicit in primo Priorum. ( 51) Et quod terra emergat per gibbum et non per centralem circurnferentiam, indubitabiliter patet, considerata figura terre emergentis; nam figura terre emergentis est figura semilunii, qualis nullo modo esse posset si emergeretur secundum circumferentiam regularem sive centralem. (52) Nam, ut demonstratum est in theorematibus mathematicis, necesse est circurnferentiam regularem spere a superficie plana sive sperica, qualem oportet esse superficiem aque,emergeresempercumorizontecirculari. (53) Etquod terra emergens habeat figuram qualis est semilunii, patet et per naturales de ipsa tractantes, et per astrologos climata describentes, et per cosmographos regiones terre per omnes plagas ponentes. (54) Nam, ut comuniter ab omnibus habetur, hec habitabilis extenditur per lineam longitudinis a Gadibus, que supra terminos occidentales ab Hercule positos ponitur, usque ad hostia flurninis Ganges, ut scribit Orosius. Que quidem longitudo tanta est, ut occidente sole in equinoctiali existente illis qui sunt in altero terrninorum, oriturillis qui sunt in altero, sicut per eclipsim lune compertum est ab astrologis. Igitur oportet terrninos predicte longitudinis distare per clxxx gradus, que est dirnidia distantia totius circurnferentie. (55) Per lineam vero latitudinis, ut comuniter habemus ab eisdem, extenditur ab illis quorum cenith est circulus equinoctialis, usque ad illos quorum cenith est circulus descriptus a polo zodiaci circa polum mundi, qui quidem

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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fernt scheint Und es ist zu wissen: Diese [Figur] ist die richtige, denn sie entspricht der Form und Lage der beiden Elemente; die zwei anderen, oben [beschriebenen Figuren] sind falsch. Sie wurden nicht vorgelegt, weil es sich so verhält, sondern damit der Lernende begreife, wie [Aristoteles] im ersten Buch der ErstenAnalytiken sagt. (51) Und daß die Erde aufgrund einer Ausbuchtung und nicht aufgrund der zentralen Kugeloberfläche emporragt, geht unbezweifelbar hervor, wenn man die Figur der emporragenden Erde betrachtet. Denn die Figur der emporragenden Erde ist die Figur eines Halbmondes. Auf keine Weise könnte sie derart sein, wenn sie gemäß einer gleichmäßigen oder zentralen Kugeloberfläche emporragte. (52) Denn es ist notwendig, wie in den mathematischen Theoremen gezeigt wurde, daß die regelmäßige Kugeloberfläche einer Sphäre aus einer ebenen oder sphärischen Oberfläche - wie dies bei der Wasseroberfläche der Fall sein muß- immer mit einem bogenförmigen Horizont emporragt. (53) Und daß die emporragende Erde eine solche Halbmondform besitzt, wird auch durch die Naturforscher deutlich, die sich mit ihr befassen, durch die Astrologen, die die Klimabereiche beschreiben, und durch die Kosmographen, die die Regionen der Erde durch alle Zonen hindurch einteilen. (54) Denn -wie gewöhnlich von allen eingeräumt wirddieser bewohnbare [Erdteil] erstreckt sich der Länge nach von den Gaden, die über die westlichen, von Herkules bestimmten Grenzen festgelegt wurden, bis zum Ganges-Dei ta, wie Orosius schreibt. Diese Länge ist so groß, daß, wenn die Sonne über dem Äquator für jene untergeht, die an einem Ende sind, sie für jene aufgeht, die am anderen Ende sind, wie von den Astrologen aufgrund der Mondfinsternis herausgefunden wurde. Also müssen die Endpunkte der genannten Länge um 180 Grad voneinander entfernt sein, was der halbe Umfang der ganzen Kugeloberfläche ist. (55) Der Breite nach aber erstreckt sie sich, wie wir im allgemeinen von denselben übernehmen, von jenen, deren Scheitelpunkt der Äquatorkreis ist, bis zu jenen, deren Scheitelpunkt jener Kreis ist, der rund um den Pol der Welt vom Polar-

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Questio de aqua et terra . 55-61

distat a polo mundi circiterxxiij gradus; et sie extensio latitudinis est quasi lxvij graduum et non ultra, ut patet intuenti. (56) Et sie patet quod terram emergentem oportet habere figuram semilunii vel quasi, quia illa figura resultat ex tanta latitudine et longitudine, ut patet. (57) Si vero haberet orizontem circularem, haberet figuram circularem cum convexo; et sie longitudo et latitudo non differrent in distantia terminorum, sicut manifestum esse potest etiam mulieribus. (58) Et sie patet de tertio proposito in ordine dicendorum. (59) Restat nunc videre de causa finali et efficiente huius elevationis terre, que demonstrata est sufficienter; et hie est ordo artificialis, nam questio „an est", debet precedere questionem „propter quid est". Et de causa finali sufficiant que dicta sunt in premediata distinctione. (60) Propter causam vero efficientem investigandam, prenotandum est quod tractatus presens non est extra materiam naturalem, quia inter ens mobile, scilicet aquam et terram, que sunt corpora naturalia; et propter hec querenda est certitudo secundum materiam naturalem, que est hie materia subiecta; nam circa unumquodque genus in tantum certitudo querenda est, in quantum natura rei recipit, ut patet ex prima Ethicorum (61) Cum igitur innata sit nobis via investigande veritatis circa naturalia ex notioribus nobis, nature vero minus notis, in certiora nature et notiora, ut patet ex prima Phisicorum, et

Abhandlung Ober das Wasser und die Erde

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kreis umschrieben wird; dieser ist vom Pol der Welt ungefähr 23 Grade entfernt Und so beträgt diese Ausdehnung in der Breite etwa 67 Grade und nicht mehr, wie einem Betrachter deutlich wird. (56) Und so geht hervor, daß die emporragende Erde die Figur eines Halbmondes aufweisen muß, oder jedenfalls fast, denn diese Figur ergibt sich aus der Breite und Länge dieses Umfanges, wie klar ist (57) Hätte sie aber einen kreisförmigen Horizont, hätte sie eine kreisförmige Figur mit konvexer Gestalt. Und so würden sich Länge und Breite nicht im Abstand der Endpunkte unterscheiden, wie dies auch den Frauen offenkundig sein kann. (58) Und so wird der dritte Punkt im Argumentationsverlauf deutlich.

[Vierter Teil· Ziel- und Wirkursache der Erderhöhung] (59) Nun verbleibt noch, die Ziel- und Wirkursache dieser Erderhöhung zu untersuchen, die ausreichend bewiesen wurde. Hier handelt es sich um einen Argumentationsverlauf gemäß der Kunst [der Logik], denn die Frage, ob etwas ist, muß der Frage, weshalb etwas ist, vorausgehen. Und hinsichtlich der Zielursache genügen die Aussagen im vorhergehenden Abschnitt. (60) Um aber die Wirkursache zu untersuchen, muß zuvor festgehalten werden, daß die vorliegende Abhandlung die Materieder Naturwissenschaft nicht verläßt, d.h. das bewegbare Seiende, nämlich Wasser und Erde, die natürliche Körper sind. Und deshalb muß eine Gewißheit gemäß der Materie der Naturwissenschaft angestrebt werden, die hier Gegenstand der Untersuchung ist. Denn in bezug auf jedes Untersuchungsobjekt ist in dem Maße Gewißheit anzustreben, als die Natur der Sache es zuläßt, wie aus dem ersten Buch der [Nikomachischen] Ethik hervorgeht. (61) Da uns also der Weg zur Untersuchung der Wahrheit in bezug auf natürliche Gegenstände angeboren ist (nämlich ausgehend von dem, was uns bekannter, der Natur aber weniger bekannt ist, hin zu jenem, was für die Natur gewis-

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Questio de aqua et terra · 61-67

notiores sint nobis in talibus effectus quam cause, - quia per ipsos inducimur in cognitionem causarum, ut patet, quia eclipsis solis duxit in cognitionem interpositionis lune, unde propter admirari cepere phylosophari -, viam inquisitionis in naturalibus oportet esse ab effectibus ad causas. (62) Que quidem via, licet habeat certitudinem sufficientem, non tarnen habet tantam, quantam habet via inquisitionis inmathematicis, que est a causis, sive a superioribus, ad effectus, sive ad inferiora; et ideo querenda est illa certitudo que sie demonstrando haberi potest. (63) Dico igitur quod causa huius elevationis efficiens non potest esse terra ipsa; quia cum elevari sit quoddam ferri sursum, et ferri sursum sit contra naturam terre, et nichil, per se loquendo, possit esse causa eius quod est contra suam naturam, relinquitur quod terra huius elevationis efficiens causa esse non possit. (64) Et similiter etiam neque aqua esse potest; quia cum aqua sit corpus homogeneum, in qualibet sui parte, per se loquendo, uniformiter oportet esse virtuatam; et sie non esset ratio quia magis elevasset hie quam alibi. (65) Hec eadem ratio removet ab hac causalitate aerem et ignem; et cum non restet ulterius nisi celum, reducendus est hie effectus in ipsum, tanquam in causam propriam. ( 66) Sed cum sint plures celi, adhuc restat inquirere in quod, tanquam in propriam causam, habeat reduci. (67) Non in celum lune; quia cum organum sue virtutis sive influentie sit ipsa luna, et ipsa tantum declinet per zodiacum ab equinoctiali versus pol um antarcticum quantum versus arcticum, ita elevasset ultra

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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ser und bekannter ist, wie aus dem ersten Buch der Physik hervorgeht), und da uns dabei die Wirkungen bekannter sind als die Ursachen (von ihnen nämlich werden wir zur Erkenntnis der Ursachen hingeführt, wie klar ist, denn die Sonnenfinsternis hat zur Erkenntnis geführt, daß sich der Mond zwischen [der Erde und der Sonne] befindet, und daher hat das Philosophieren mit dem Staunen begonnen), aus diesen Gründen muß der Weg der Erforschung natürlicher Gegenstände von den Wirkungen zu den Ursachen führen. (62) Obwohl dieser Weg eine ausreichende Gewißheit bietet, verfügt er doch nicht über eine so große Gewißheit wie der Weg der Erforschung in der Mathematik, der von den Ursachen, d.h. vom Übergeordneten, zu den Wirkungen, d.h. zum Untergeordneten, führt. Und deshalb muß jene Gewißheit angestrebt werden, die durch einen solchen Beweis erreicht werden kann. (63) Ich sage also, daß die Wirkursache dieser Erhebung nicht die Erde selbst sein kann, denn wenn 'erhoben werden' bedeutet, daß irgend etwas nach oben getragen wird, und wenn es der Natur der Erde widerspricht, nach oben getragen zu werden, und wenn - absolut gesprochen - nichts die Ursache dessen sein kann, was der Natur widerspricht, so folgt daraus, daß die Erde nicht die Wirkursache dieser Erhebung sein kann. (64) Und ähnlich kann auch nicht das Wasser [die Wirkursache] sein, denn weil das Wasser injedem Teil- absolut gesprochen -ein homogener Körper ist, muß es überall die gleichen Eigenschaften besitzen. Und so gäbe es keinen Grund, weshalb es sich an einer Stelle mehr erheben sollte als an einer anderen. (65) Aus demselben Grund sind auch Luft und Feuer als Wirkursachenausgeschlossen. Und da nichts weiter verbleibt als der Himmel, muß hier die Wirkung auf ihn als die eigentliche Ursache zurückgeführt werden. (66) Da es aber mehrere Himmel gibt, muß noch untersucht werden, auf welchen sie als auf die eigentliche Ursache zurückgeführt werden muß. (67) Nicht auf den Himmel des Mondes, denn wenn der Mond selbst das Instrument seiner Kraft oder seines Einflusses wäre und er nur durch den Polarkreis sowohl gegen den antarktischen als auch

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Questio de aqua et terra · 67-72

equinoctialem sicut citra; quod non est factum. Nec valet dicere quod illa declinatio non potuit esse propter magis appropinquare terre per ecentricitatem; quia si hec virtus elevandi fuisset in luna, cum agentia propinquiora virtuosius operentur, magis elevasset ibi quam hie. (68) Hec eadem ratio removet ab huiusmodi causalitate omnes orbes planetarum. Et cum primum mobile, scilicet spera nona, sit uniforme per totum et per consequens uniformiter per totum virtuatum, non est ratio quia magis ab ista parte quam ab alia elevasset. (69) Cum igitur non sint plura corpora mobilia, preter celum stellatum, quod est octava spera, necesse est hunc effectum in ipsum reduci. (70) Ad cuius evidentiam sciendum quod, licet celum stellatum habeat unitatem in substantia, habet tarnen multiplicitatem in virtute; propter quod oportuit habere diversitatem illam in partibus quam videmus, ut per organa diversa virtutes diversas influeret; et qui hec non advertit, extra limitem phylosophie se esse cognoscat. (71) Videmus in eo differentiam in magnitudine stellarum et in luce, in figuris et ymaginibus constellationum; que quidem differentie frustra esse non possunt, ut manifestissimum esse debet omnibus in phylosophia nutritis. Unde alia est virtus huius stelle et illius, et alia huius constellationis et illius, et alia virtus stellarum que sunt citra equinoctialem, et alia earum que sunt ultra. (72) Unde cum vultus inferiores sint similes vultibus superioribus ut Ptolomeus dicit, consequens est quod, cum iste effectus non possit reduci nisi in celum stellatum ut visum est, quod similitudo virtualis agentis

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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gegen den arktischen Pol hin vom Äquator abwiche, müßte [die Erde] sich in gleicher Weise diesseits und jenseits des Äquators erheben, was nicht der Fall ist. Es ist kein stichhaltiger Einwand, daß jene Abweichung wegen einer durch die Exzentrizität verursachten größeren Nähe zur Erde nicht erfolgen konnte. Denn wenn diese Kraft zum Erheben im Mond existiert hätte, hätte sie dort mehr erhoben als hier, da die näher Handelnden mit größerer Kraft tätig sind. (68) Derselbe Grund schließt alle Planetenkreise als Wirkursachen aus. Und da das erste Bewegbare, nämlich die neunte Sphäre, an jeder Stelle gleichförmig ist und folglich anjeder Stelle die gleichen Eigenschaften besitzt, gibt es keinen Grund, weshalb es an einer Stelle [die Erde] mehr erheben sollte als an einer anderen. (69) Da es indessen keine weiteren beweglichen Körper gibt außer dem Fixsternhiinmel, der die achte Sphäre ist, muß die Wirkung auf diesen zurückgeführt werden. (70) Um diesbezüglich Klarheit zu gewinnen, ist zu wissen: Obwohl der Fixsternhimmel in der Substanz eine Einheit bildet, weist er doch in seiner Wirkkraft eine Vielheit auf. Deshalb mußte er jene Verschiedenheit in den Teilen aufweisen, die wir sehen, so daß durch verschiedene Instrumente verschiedene Wirkkräfte Einfluß ausüben. Und wer dies nicht beachtet, sollte anerkennen, daß er sich außerhalb der Grenzen der Philosophie bewegt. (71) Bei diesem [Himmel] sehen wir einen Unterschied in bezug auf die Größe der Sterne, das Licht, die Figuren und die Bilder der Konstellationen. Diese Unterschiede können nicht vergeblich bestehen, wie allen, die in der Philosophie genährt wurden, ganz klar sein muß. Daher gibt es je eine andere Wirkkraft für diesen und jenen Stern, je eine andere für diese und jene Konstellation, je eine Wirkkraft für die Sterne, die diesseits des Äquators sind, und eine andere für jene, die jenseits sind. (72) Da also das irdische Aussehen dem oberen ähnlich ist, wie Ptolemäus sagt, folgt: Da jene Wirkung nur auf den Fixsternhimmel zurückgeführt werden kann, wie gesehen wurde, besteht eine Ähnlichkeit des virtuell Handelnden in jener Hirn-

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Questio de aqua et terra · 72-77

consistat in illa regione celi que operit hanc terram detectam. (73) Et cum ista terra detecta extendatur a linea equinoctiali usque ad lineam quam describit polus zodiaci circa polum mundi, ut superius dictum est, manifestum est quod virtus elevans est illis stellis que sunt in regione celi istis duobus circulis contenta, sive elevet per modum attractionis, ut magnes attrahit ferrum, sive per modum pulsionis, generando vapores pellentes, ut in particularibus montuositatibus. (74) Sed nunc queritur: Cum illa regio celi circulariter feratur, quare illa elevatio non fuit circularis? Et respondeo quod ideo non fuit circularis, quia materia non sufficiebat ad tantam elevationem. (75) Sed tune arguetur magis, et queretur: Quare potius elevatio ernisperialis fuit ab ista parte quam ab alia? Et ad hoc est dicendum, sicut dicit Phylosophus in secundo De Celo, cum querit quare celum movetur ab oriente in occidentem et non e converso; ibi enim dicit quod consirniles questiones vel a multa stultitia vel a multa presumptione procedunt, propterea quod sunt supra intellectum nostrum. (76) Et ideo dicendum ad hanc questionem, quod ille dispensator Deus gloriosus, qui dispensavit de situ polorum, de situ centri mundi, de distantia ultime circumferentie universi a centro eius, et de aliis consirnilibus, hoc fecit tanquam melius, sicut et illa. Unde cum dixit: „Congregentur aque in locum unum, et appareat arida", simul et virtuatum est celum ad agendum, et terra potentiata ad patiendum. (77) Desinant ergo, desinant homines querere que supra eos sunt, et querant usque quo possunt, uttrahant se ad inmortalia et divina pro posse, ac maiora se relinquant. Audiant amicum lob

Abhandlung über das Wasser und die Erde

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melsgegend, die die unbedeckte Erde umgibt (73) Und da sich diese unbedeckte Erde vom Äquator bis zu jener Linie erstreckt, die der Polarkreis rund um den Erdpol beschreibt, wie weiter oben gesagt wurde, kommt die Erhebungskraft offensichtlich jenen Sternen zu, die in der Himmelsgegend sind, die zwischen diesen zwei Kreisen eingeschlossenen ist - sei es, daß diese [Erhebungskraft] durch Anziehung erhebt, wie ein Magnet Eisen anzieht, sei es durch Druck, indem sie pressenden Dampf erzeugt, wie dies in bestimmten Gebirgen der Fall ist. (74) Nun wird aber gefragt: Wenn diese Himmelsgegend doch eine kreisförmige Bewegung beschreibt, warum erfolgte die Erhebung dann nicht kreisförmig? Und ich antworte: Sie erfolgte nicht kreisförmig, weil die Materie für eine so große Erhebung nicht ausreichte. (75) Aber dann könnte weiter argumentiert und gefragt werden: Warum erfolgte die Erhebung einer Hemisphäre eher auf dieser als auf jener Seite? Darauf ist so zu erwidern, wie der Philosoph es im zweiten Buch Über den Himmel unternimmt, wo er untersucht, weshalb der Himmel sich von Osten nach Westen bewegt und nicht umgekehrt. Dort sagt er nämlich, daß solche Fragen aus großer Dummheit oder großer Anmaßung entstehen, weil sie unser Denkvermögen übersteigen. (76) Und deshalb ist auf diese Frage zu antworten, daß jener Sachwalter, der glorreiche Gott, der die Lage der Pole angeordnet hat, die Lage des Weltmittelpunktes, den Abstand der äußersten Kugeloberfläche des Universums von dessen Mittelpunkt und ähnliches, daß er dies sowie auch jenes aufs Beste bestellt hat. Als er nämlich sagte: „Die Wasser sollen an einem Ort zusammenfließen, und trockenes Land soll erscheinen", da erhielt der Himmel sogleich die Kraft zu handeln und die Erde die Fähigkeit zu erleiden. (77) Aufhören sollen sie also, aufhören sollen die Menschen, nach dem zu fragen, was sie übersteigt, und sie sollen bis dorthin fragen, wo sie es können, damit sie sich dem Unsterblichen und Göttlichen gemäß ihrem Vermögen nähern, und sie sollen von dem ablassen, was größer ist als sie. Sie sollen auf den Freund

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Questio de aqua et terra . 77-81

dicentem: „Nunquid vestigia Dei comprehendes, et Omnipotentem usque ad perfectionem reperies?". Audiant Psalmistam dicentem: „Mirabilis facta est scientia tua ex me: confortata est, et non potero ad eam". Audiant Ysaiam dicentem: „Quam distant celi a terra, tantum distant vie mee a viis vestris"; loquebatur equidem in persona Dei ad hominem. Audiant vocem Apostoli ad Romanos: „0 altitudo divitiarum scientie et sapientie Dei, quam incomprehensibilia iudicia eius et investigabiles vie eius!". Et denique audiant propriam Creatoris vocem dicentis:" Quo ego vado, vos non potestis venire". (78) Et hec sufficiant ad inquisitionem intente veritatis. (79) Hiis visis, facile est solvere ad argumenta que superius contra fiebant; quod quidem quinto proponebatur faciendum. (80) Cum igitur dicebatur: „Duarum circumferentiarum inequaliter a se distantium impossibile est idem esse centrum"; dico quod verum est, si circumferentie sunt regulares sine gibbo vel gibbis; et cum dicitur in minori quod circumferentia aque et circumferentia terre sunt huiusmodi, dico quod non est verum, nisi per gibbum qui est in terra; et ideo ratio non procedit. (81) Ad secundum, cum dicebatur: „Nobiliori corpori debetur nobilior locus", dico quod verum est secundum propriam naturam, et concedo minorem; sed cum concluditur quod ideo aqua regio celi centrum: Mittelpunkt 7, 23, 24, 27,31,34,36,37,39,49, 76, 80,82

- maris: Mittelpunkt des Meeres 31 - mundi: Mittelpunkt der Welt 29, 30, 31, 37, 76 certitudo: Gewißheit 60, 62 circumferentia: (Kugel-) oberfläche 5, 7, 8, 17, 18, 23, 24, 27,29,30,31,34,36,54, 76, 80 - centralis: zentrale (Kugel-) oberfläche 27,51 - regularis: regelmäßige (Kugel-) oberfläche 27, 28, 51, 52,80 climata: Klimabereiche 53 cognitio: Erkenntnis 61 concentricitas/ concentricus: Konzentrizität / konzentrisch 18,27,30,34,38,50 conclusio: Schlußsatz 34, 35, 37 consequens: Folgesatz 19, 22, 26,27,31,35 consequentia: Implikation 14, 19,23,25,26,27,36 corpus: Körper 9, 34, 37, 39, 81, 84 - grave: schwerer Körper 25, 34,39,40 - homogeneum: homogener Körper 41, 64

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Indexrerum

- labile: unsteter Körper 20 - leve: leichter Körper - mobilis: beweglicher Körper 69 - naturale: natürlicher Körper 60 - nobilior: edlerer Körper 9, 81 - simplex: einfacher Körper 25,41,42 cosmographi: Kosmographen 53 declinatio: Abweichung 67 demonstratio: Beweis 26, 28, 32, 40 - apparens: Scheinbeweis 40 - ostensiva: ostensiver Beweis 32 determinatio: Festsetzung, Streitfrage 21, 85 Deus: Gott 28, 76, 77, 88 diffusio bonitatis: Ausstrahlung derGüte 46 disputatio: Disputation 3 distinctio: Abschnitt 59 ecentricitas / ecentricus: Exzentrizität I exzentrisch 15, 18, 22,23,26,30,67,84 effectus: Wirkung 61, 62, 65, 69, 72 elementa: Elemente 4, 17, 47, 50,86 ->forma elementorum elevatio: Erhöhung 17, 59, 63, 74,75 emisperium: Hemisphäre 35 ens mobile: bewegbar Seiendes 60 equinoctialis (circulus vel linea): Äquator 54, 55, 67, 71, 73

equivocatio / equivoce: Äquivokation I äquivok 22, 25 experientia: Erfahrung 12 evidentia: Erhellung, Klarheit 20,70 falsitas: Falschheit 3 figura: Figur 4, 23, 24, 30, 50, 51, 53,56,71 - circularis: Kreisfigur 57 - semilunii: Halbmondform 51,53,56 finis: Ziel 25, 37, 44, 47 flumen: Fluß 13, 16, 31 forma: Form 4,17,45,46,50,82, 83,85,86 - materialis: materielle Form 45,47 - elementorum: Form der Elemente 47 genus: Gattung 60 geometria I geometricus: Geometrie I geometrisch 8, 32 gibbosus/ gibbus: ausgebuchtet/ Ausbuchtung 18, 27, 28, 30, 51,80 gleba: Scholle 24 gravitas: Gewichtskraft 22, 25, 37,42 - regularis: regelmäßige Gewichtskraft 42 ignis: Feuer 41, 65, 84 inductio: Induktion 21 instantia:Einwand 17,41,42,43, 49 intentio: Absicht 44, 45, 48 latitudo: Breite 55, 56, 57 linea: Gerade 22, 24, 27, 54, 55, 73 littora: Küsten 31

Indexrerum locus: Ort, „locus" 9, 19, 76, 81, 83 - nobilior l.: edlerer Ort 9, 81 - et locatum: Ort und das, was sich am Ort befindet 9 longitudo: Länge 54, 56, 57 luna: Mond 15, 61, 67 - eclipsis l.: Mondfinsternis 54 - orbis l.: Mondbahn 15, 84 maior: Obersatz 8, 10, 32, 39 mare:Meer 12,14,15,16,17,31, 82 - mediterraneum: mittleres Meer 31 materia: Materie 44, 46, 47, 74, 83 - naturalis: Gebiet der Naturwissenschaft 60 - prima: erste Materie 45 mathematicus: mathematisch 27,52,62 minor: Untersatz 8, 10, 12, 80, 81 mixtio: Vermischung 47, 49 mobilis: beweglich 22, 25 - primum mobile: erstes Bewegbares 68 mons: Berg 12, 83 Motor celi: Himmelsbeweger 46 ->Deus motus: Bewegung 14, 15 - naturalis: natürliche Bewegung 14 - rectus: geradlinige Bewegung 25,84 mundus: Welt 7, 29, 30, 31, 37, 55,73,76 natura: Natur 28, 41, 48, 49, 61, 81

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- particularis: partikuläre Natur 44 - rei: Natur der Sache 60 - simplex: einfache Natur 48, 49 - terre: Natur der Erde 63 - universalis: allgemeine Natur 44, 45, 48, 49 naturales: Naturphilosophen 53 nauta: Seemann 12, 82 necessitas: Notwendigkeit 39, 84 oppinio: Meinung 11, 16, 82 ordo:Ordnung 17,29,58,59 orizon: Horizont 52, 57 passio: Eigenschaft 25 - naturalis: natürliche Eigenschaft 41 phylosophantes: Philosophierende 1, 50 phylosophia: Philosophie 70, 71, 87 plaga: Zone 53 planeta: Planet 68 polus: Pol 76 - antarcticus: antarktischer Pol 67 - arcticus: arktischer Pol 67 - mundi: Erdpol 55, 73 - zodiaci: Polarkreis 55, 67, 73 pondus: Schwere 35, 40 potentia: Vermögen 44, 45, 46 principium: Prinzip, Anfang 5, 14,16,21 - veritatis: Anfang der Wahrheit 1 privatio: Privation 45 qualitas: Qualität 4, 84

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Indexrerum

quantitas: Quantität 24, 35, 40, 42 questio: Frage, Disputation 2, 3, 4,5,59,75,76 radius: Strahl 82 ratio: Argument, vernünftige Überlegung 6, 9, 10, 11, 15, 16,18,25,39,42,43,45,48, 49,64,65,68,80,81,82,83, 84 - sophistica: sophistisches Argument 43 regio: Gegend 31, 53 - celi: Himmelsgegend 72, 73,74 scientia: Wissen, Wissenschaft 21, 77 sensus: Sinneswahrnehmung 8, 11, 16, 21, 82 situs: Lage 4, 9, 17, 50, 76, 86 secundum quid: relativ 25, 43 sillogismus: Syllogismus 8, 10,39 so!: Sonne 54, 88 - eclipsis s.: Sonnenfinsternis 61 species: Art 4, 45 spera:Sphäre 5,15,52,68,69 stella: Stern 71, 73 -> celum stellatum subiectum: Subjekt 47 substantia: Substanz 70 superficies: Oberfläche 17, 27, 29,31,35,52

- Jittoralis: Küstenoberfläche 31 - maris: Meeresoberfläche 16,17,31 - plana: ebene Oberfläche 52 terminus: Grenze 20 terra: Erde 4, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 14,15,17,18,22,23,24,25, 27,28,31,34,35,36,37,38, 39,41,42,47,48,49,50,51, 53,59,60,63,67, 76, 77,80, 81,82,83 - detecta sive habitabilis: unbedeckte oder bewohnbare Erde 5, 16,29, 54, 72, 73 - emergens: emporragende Erde 5, 17, 51, 53, 56 transitus: freier Fluß 23 Universum: Universum 7, 47, 76 univoce: univok 22 veritas / verum: Wahrheit/ wahr 1,2,3,5,13,16,27,50,61,78, 80,81 virtus:Kraft 35,37,48,67,70,71, 87 - elevandi: Kraft zum Emporheben 67, 73 - stellarum: Wirkkraft der Sterne 71 vultus: Aussehen 72 ymaginatio: Vorstellung 82 ymago: Bild 71

INDEX DER IM TEXT ZITIERTEN WERKE

Die Zahl bezieht sich jeweils auf den Paragraphen im lateinischen und deutschen Text Aristoteles

- Analytica Priora: Erste Analytiken 50

- Ethica Nicomachea: Nikoma-

- De Caelo et Mundo: Über Himmel und Erde 25, 28, 75 - De Generatione Animalium:

chische Ethik 21, 48, 60 - Meteorologica: Meteorologie 14,83 - Physica: Physik 21, 61

Über die Entstehung der Tiere 28

- Predicamenta / Antepredicamenta: Kategorien 4, 25

Averroes

- Super De anima: Kommentar zu Über die Seele 12 - De substantia orbis: Über die Erdsubstanz 46

PERSONENREGISTER ZUM LITERALKOMMENTAR Antike und mittelalterliche Autoren

Adelard von Bath 57, 81, 103 Albertus Magnus 51, 55, 56, 58, 59,60,63,64,65,68,69, 70, 72,73,74,75,80,84,86,91, 92, 100, 103, 106, 107, 108, 109,110, 111,112,113,114, 118,119,120,121,122, 127, 128 Andalo del Negro 65, 102 Anonymus (Liber de causis) 96, 97 Archimedes 53 Aristoteles 44, 47, 50, 52, 54, 56, 57,58,59,60,63,66,68,69, 70,71, 74, 75,76,77, 78,82, 83,84,85,86,87,89,92,93, 94,95,97,98,100, 101,102, 104,105,110,111,112,114, 115,122,125,127, Averroes 58,61,69,94,97 Avicenna 91 Bartholomäus Anglicus 128 Bartholomäus von Parma 102 Boethius 50 Bonaventura 44 Brunetto Latini 48, 62, 64, 80, 84,107,114,128 Campanus 77, 102, 105 Cecco d'Ascoli 56, 64, 101, 118, 120 Dionysius 91, 92 Euklid 57, 81, 103, Isidor von Sevilla 105

Johannes Sacrobosco 53, 54, 56, 57,63,64,101,108,109,116, 118,129 Johannes Salisbury 44, JohannesvonJandun 95,97 Lukan 108 Macrobius 106 Michael Scotus 54, 56, 87, 101, 114, 118, 129 Orosius 106, 107 Ovid 80, 106 Petrus Hispanus 48, 55, 56, 63, 67,70,71,74,81,87,89 Petrus von Abano 100, 122 Platon 90, 127, Ptolemäus 108, 110, 120 Remigio de' Girolami 45 Restoro d' Are'ZZO 57, 62, 65, 85, 100,106,117,121,128 Robert Kilwardby 105 Robertus Anglicus 56, 108 Roger Bacon 91, 96, 127 Siger von Brabant 97 Simonides 125 Theodosius 103 Thomas von Aquin 48, 52, 56, 58,59,63,65,68,69, 70, 71, 72,73,75,84,86,87,92,94, 95, 96, 99, 100, 101, 104, 110, 111,113,114,119,122,123, 125,127,128 Wilhelm von Auvergne 44 Wilhelm von Sherwood 67